Ruhestand (Un-) Titelthema - Sportentwicklung - Landessportbund Hessen eV
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Nr. 16 | 10. August 2019 | 73. Jahrgang Titelthema (Un-) Ruhestand Sportentwicklung Neuer Bericht liefert Daten und Fakten Pilotprojekt Übungsleiter B-Fitness ausgebildet
2 INHALT Inhalt 3 Sport.Medien.Camp Kostenloses Seminar 4 11 Kurz notiert Namen und Notizen Titelthema (Un-)Ruhestand Neustart im neuen Lebensabschnitt 14 Pilotausbildung beendet 17 Übungsleiter B-Fitness 16 Wichtiger Wegbereiter Laufbahnberater Arnulf Rücker 12 17 Tipps für die Praxis Sportentwicklungsbericht Der Übungsleiter Was Vereine herausfordert 21 Vereinsmanagement Kurz-Anlaysen versendet 24 Amtliches 22 Neuaufnahmen und Co. Sport und Ernährung 25 Nachruf Kurzzeitfasten für Sportler Hermann Klaus verstorben 26 Neue Bücher Sportliche Lesetipps 30 27 Sportversicherung Die ARAG informiert Sportstiftung Hessen Oliver Geis im Porträt 28 Sport und Geschichte Sportbegegnungen im Kalten Krieg 31 Bildungsakademie Integratives Sport- und Spielfest 33 Sportjugend Hessen Kleine und große Politik Impressum Herausgeber: Landessportbund Hessen e. V. (lsb h); Otto-Fleck- Anzeigen Nord/Mitte: Claudia Brummert, Frankfurter Straße 168, Titelfoto: Endlich mal nichts tun? Für viele Neu-Ruheständler ist das Schneise 4, 60528 Frankfurt, Tel.: 069/6789 -0 34121 Kassel, Tel.: 0561/60280-180, Fax: 0561/60280-199, keine Option. Sie wollen ihren dritten Lebensabschnitt mit Sinn füllen Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Susanne Lapp, Vizepräsidentin für E-Mail: brummert@ddm.de – zum Beispiel dadurch, dass sie ein Ehrenamt übernehmen. Kommunikation und Marketing, Glauburgstraße 11, 60318 Frankfurt. Anzeigen Süd: Torsten Wethlow, Waldstraße 226, 63071 Offenbach, Foto: LightField Studios/shuttersstock.com Redaktion: Leitung Ralf Wächter (RW), Isabell Boger (ib), Markus Tel.: 069/85008-368, Fax: -394, E-Mail: sih@op-online.de www.landessportbund-hessen.de Wimmer (maw), Otto-Fleck-Schneise 4, 60528 Frankfurt. So erreichen Sie uns: Ralf Wächter, rwaechter@lsbh.de, Tel.: 069/6789 Sport in Hessen erscheint vierzehntägig zum Wochenende -262; Isabell Boger, iboger@lsbh.de, Tel.: 069/ 6789-267; Markus Bezugspreis: Jährlich Euro 51,11 einschl. Postgebühren und MwSt. Wimmer, mwimmer@lsbh.de, Tel. 069/6789-437; Fax: 069/6789-300. Bestellungen für Vereine beim Landessportbund Hessen e. V., Verlag: Pressehaus Bintz-Verlag GmbH & Co. KG, Waldstraße 226, für Privatpersonen bei Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG 63071 Offenbach Druck und Vertrieb: Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG, Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Verfasser Frankfurter Straße 168, 34121 Kassel. wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keine Abonnementverwaltung: Frankfurter Straße 168, 34121 Kassel, Gewähr übernommen. Eine Rücksendepflicht besteht nicht. Tel.: 0561/60280-452, Fax: 0561/60280-499, E-Mail: abo-sih@dierichs-druck.de SIH 1 6 / 1 0 . 0 8 . 2 0 1 9
ANGEBOTE FÜR VEREINSVERTRETER 3 Einmal zahlen, zweimal feiern und genießen Rabattaktion für Vereinsvertreter läuft noch bis 23. August „Bewegende Momente“ erwarten die Gäste der 18. Olympischen Ballnacht am 21. September im Kurhaus Wies- baden. Für bewegende Momente sor- gen Tag für Tag auch zahlreiche Eh- Der Sportverein renamtliche in den hessischen Sport- vereinen. Mit einer speziellen Rabatt- in bewegten Bildern aktion soll dieser Einsatz belohnt werden. Offener Kanal Kassel lädt Vereinsvertreter zu kostenlosem „Zwei für Eine“ heißt die Aktion – und der Sport.Medien.Camp am 11. und 12. Oktober ein Name ist Programm: Wer bis zum 23. Au- gust zwei Flanierkarten für die Ballnacht bestellt und Mitglied in einem hessischen „Mein Verein in TV und Internet – Das Sport.Medien.Camp vermittelt das nö- Sportverein ist, muss nur eine davon be- Sportberichterstattung im digitalen tige Handwerkszeug dazu – vom Dreh bis zahlen. Doppelt gefeiert und genossen wird Zeitalter“: Unter dieser Überschrift zum Schnitt: Nach einer kurzen Einweisung knapp einen Monat später dann aber trotz- laden das Medienprojektzentrum Of- konzipieren, drehen und schneiden die dem – zusammen für nur 45 Euro. fener Kanal Kassel und der Lan- Teilnehmer in Kleingruppen kurze Spots zu dessportbund Hessen am Freitag selbst ausgesuchten Sportthemen. Ange- und Samstag, 11. und 12. Oktober, sprochen sind Öffentlichkeitsarbeiter und zum Sport.Medien.Camp nach Kas- Interessierte aus Sportvereinen, Sportkrei- sel ein. sen und Sportverbänden. Welchen Mehrwert haben Fernsehen, Inter- Maximal 20 Teilnehmer net, YouTube, Facebook oder Instagram für den Alltag in den Vereinen? Wie kann die Das Sport.Medien.Camp findet am Freitag, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit durch die 11. Oktober, von 15 bis 19 Uhr und am Sportberichterstattung via TV und Internet Samstag, 12. Oktober, von 10 bis 17 Uhr im optimiert werden? Diese und viele weitere Medienprojektzentrum Offener Kanal Kas- Fragen will das Seminar praxisnah beant- sel statt, das seinen Sitz im dortigen „Mit dieser Aktion wollen wir Vereinsver- worten. Anhand von Beispielen wird aufge- Hauptbahnhof hat. Die Teilnahme ist für antwortlichen die Chance geben, besonders zeigt, wie das Vereinsgeschehen oder die Mitglieder aus im Landessportbund Hessen engagierten Personen zu danken“, sagt Dr. Wettkämpfe der einzelnen Abteilungen organisierten Vereinen kostenlos und auf Rolf Müller, Präsident des Landessportbun- ohne großen Aufwand und dennoch aktuell 20 Personen begrenzt – also schnell des Hessen. Natürlich haben aber auch Eh- der interessierten Öffentlichkeit vermittelt anmelden! renamtliche oder Vereinsmitglieder selbst werden können. Isabell Boger die Möglichkeit, sich und ihre Liebsten zu belohnen. Kreativität und Technik Anmeldung und weitere Informationen bei Los geht es für die Flaniergäste am 21. Sep- Ein kurzer Imagefilm, ein multimedialer Armin Ruda vom Offenen Kanal Kassel, tember ab 21 Uhr mit einem Glas Henkell- Aufruf zur Mitgliedergewinnung, Veran- Telefon: 0561 9200920, Sekt. Im Anschluss erwarten sie Live-Musik E-Mail: ruda@mok-kassel.de. staltungshinweise oder ein Lehrfilm für die vom Feinsten, abwechslungsreiche Aktivan- Trainingsarbeit mit Kindern und Jugendli- gebote und eine Ballnacht-Disco. Für Hö- chen: Mit etwas Kreativität und der pas- hepunkte sorgen die Vorführungen der senden Technik bereichern solche Videos „Firedancer“, der Handstand-Akrobatin und Kurzfilme die Öffentlichkeitsarbeit ei- Anissa Elakel sowie der Gruppe „Icke Per- nes Vereines. formers“, die Akrobatik gekonnt mit Beat- box-Tönen vermischen. ib SIH 1 6 / 10.08.2019
4 TITELTHEMA (UN-)RUHESTAND Neuer Lebensabschnitt, neue Chancen Vereine dürfen nicht überaltern, sollten Personen im Ruhestand aber durchaus als potenzielle Ehrenamtliche ansehen und fördern N achwuchssorgen, Überalterung, vakante Ämter – wer in den deutschen Lokalzeitungen Be- richte über die Jahreshauptversammlungen von Sportvereinen liest, stößt immer wieder auf diese Begriffe. Ganz klar: Wird ein Verein nur noch von „Alten“ geleitet, ist dies oft kein gutes Zeichen. Und wer kennt ihn nicht, den jungen, motivierten Ver- einsvertreter, der betet, der alte Patriarch möge doch endlich abtreten und das ewige „Haben wir schon im- mer so gemacht“ damit ein für alle Mal beenden? Doch „Alt“, das soll dieses Titelthema zeigen, ist nicht gleich schlecht. „Alt“ ist überhaupt ein unpassendes Wort in Zeiten, in denen 70-Jährige Marathon laufen, 90-Jährige noch ihr Sportabzeichen ablegen und An- fang 60 der perfekte Zeitpunkt für eine Lizenzausbil- dung zu sein scheint (siehe S. 8). Dieses Titelthema ist deshalb mit „(Un-)Ruhestand“ überschrieben. Dabei geht es um Menschen, die ihr Berufsleben hinter sich gelassen haben. Nicht ihre sportliche Leistungsfähig- keit steht im Mittelpunkt, sondern ihr Wert als Übungs- leiter, Vorstandsmitglieder und sonstige Mitarbeiter und Helfer im Sportverein. und motiviert. Bei Renteneintritt liegt häufig noch ein Mehr Ältere, mehr Mitglieder Vierteljahrhundert vor ihnen. Und die große Mehrheit von ihnen fühlt sich deutlich jünger als sie ist! Das OBEN Allein ein Blick auf die Zahlen zeigt, warum das Sinn birgt große Potenziale für Sportvereine – nicht nur in Aus dem Anzug in macht: Ende 2017 waren rund 1,28 Millionen Hessinnen Sachen Mitgliederbindung und -gewinnung oder für die Sportklamotten, aus dem Berufsleben und Hessen 65 Jahre oder älter. Laut dem Statistischen den Ausbau von zielgruppengeeigneten Sportangebo- direkt hinein in den Landesamt liegt ihr Anteil an der Bevölkerung damit bei ten, sondern eben auch für freiwilliges Engagement. Verein: Auch im rund 20 Prozent – das sind fünf Prozent mehr als noch dritten Lebensab- vor 20 Jahren. Der Anteil der 20- bis unter 65-Jährigen Durchmischung fördern schnitt bringen sich ist unterdessen auf rund 61 Prozent gesunken. immer mehr Die Herausforderung ist dabei klar: Wie kann es gelin- Personen Das schlägt sich auch in der Mitgliederstruktur der hes- gen, ältere Menschen im Ehrenamt zu halten oder sie ehrenamtlich ein. Zeichnung: Isabell sichen Sportvereine nieder: Von 2009 bis 2019 ist die gar erst dafür zu gewinnen, ohne nach außen hin über- Boger Zahl der über 60-Jährigen massiv angestiegen, von altert zu wirken? Die Zauberformel lautet natürlich: 233.708 auf 434.901 Mitglieder. Zurückzuführen ist Durchmischung! Ein Verein oder eine Sportorganisa- das nicht nur auf die größere Grundgesamtheit. Auch tion, die eine möglichst breite Masse ansprechen will, der Organisationsgrad, also der Anteil der Bevölke- sollte auch im Ehrenamt breit aufgestellt sein. Dabei rung, der Mitglied in einem Sportverein ist, stieg in mag es jungen Leuten noch ganz gut gelingen, heraus- den vergangenen 20 Jahren gewaltig an, von 18 auf 26 zufinden, welche Sportangebote sich Ältere wünschen. Prozent. Es ist zu erwarten, dass diese Entwicklungen Und die Vorstellung, dass Ruheständler per se nicht weitergehen, denn in den kommenden Jahrzehnten wissen, was es mit Facebook oder WhatsApp auf sich wird die Bevölkerung wohl vor allem in diesem Alters- hat, ist längst überholt. spektrum weiter wachsen. Wer neue Ehrenamtliche sucht, könnte sie also vor allem hier finden. Und doch: Manchmal kann es angenehmer sein, wenn der Übungsleiter aus eigener Erfahrung weiß, dass es Da ist es gut, dass die Generali Altersstudie zeigt: Äl- mit zunehmendem Alter schwerer wird, von der Matte tere Menschen sind mehrheitlich optimistisch, aktiv wieder ins Stehen zu kommen. Und lassen sich die SIH 1 6 / 1 0 . 0 8 . 2 0 1 9
TITELTHEMA (UN-)RUHESTAND 5 Turnmädchen nicht leichter von der 28-jährigen Trai- Jahren sinkt der Anteil der Engagierten deutlich ab. nerin motivieren, die selbst noch das Rad auf dem Generell aber, schreiben die Autoren, sei der Anstieg Schwebebalken vormacht, als von ihrer Mutter, die mit der Engagierten in der Altersgruppe ab 65 Jahre „in 50 zwar viel Erfahrung hat, das Rad aber schon auf dem den letzten Jahren besonders ausgeprägt“. Boden nicht mehr vorführen möchte? Erfolgreich und produktiv altern Außerdem gibt es Aufgaben, die für bestimmte Alters- gruppen besser geeignet sind: Wenn das Ehrenmitglied Diesen Trend offenbarte schon der 2011 erschienene 80. Geburtstag feiert, freut es sich vielleicht mehr, „Monitor Engagement“ zum Engagement älterer Men- wenn der 65-jährige Schriftführer vorbeikommt, mit schen. Er unterteilte in „Junge Alte“ (50-64 Jahre), Äl- dem es selbst noch zusammengearbeitet hat, anstelle tere (65-74 Jahre) und Hochbetagte (75 Jahre). Ins- der jungen Vorsitzenden, die er nur aus der Ferne besondere die Gruppe der Älteren, „die in ihrer kennt. Andererseits ist ein 59-jähriger Jugendwart ver- körperlichen und geistigen Fitness deutlich besserge- mutlich nicht die optimale Besetzung, um nah an der stellt ist als die gleiche Altersgruppe vor 25 Jahren“, Zielgruppe zu sein. verzeichnete von 1999 bis 2009 eine gesteigerte Enga- gementquote – von 26 auf 33 Prozent. Ein „erfolgrei- Um den Verein oder die Sportorganisation voranzu- ches und produktives“ Altern verdrängt laut den Auto- bringen, ist es aber wünschenswert, wenn verschie- ren zunehmend die Vorstellung vom „Alter in Ruhe und dene Generationen an einem Tisch sitzen und Ideen Abgeschiedenheit“. einbringen. Dass es dabei manchmal zu Unstimmigkei- ten kommt, ist normal. Ein Blick auf den Deutschen Wer dabei nur an Personen denkt, die schon seit Jahr- Freiwilligensurvey zeigt aber auch: Für Menschen ab 50 zehnten als Übungsleiter/-in im Einsatz sind oder mit ist das Zusammenkommen mit anderen Generationen 73 die vierte Amtszeit als Vorsitzende/r antreten, liegt eine wichtige Motivation für ein freiwilliges Engage- falsch. Die Beispiele ab Seite 6 zeigen, dass auch Per- ment. In der Altersklasse der ab 65-Jährigen bezeich- sonen, die sich während ihres Bewerbslebens nicht nen dies 85,7 Prozent als sehr oder eher wichtig. oder nicht so stark in einem Verein eingebracht haben, potenzielle Ehrenamtliche sind. Auch eine Lizenzaus- Willkommen und anerkannt fühlen bildung ist im (Un-)Ruhestand noch möglich, Vereine sollten dazu durchaus ermutigen. Der Freiwilligensur- Beruflich voranzukommen oder neue Qualifikationen vey zeigt, dass fast ein Viertel der über 65-Jährigen, zu erwerben ist für sie – zum Teil naturgemäß – relativ die bisher nicht freiwillig engagiert sind, sich das für unwichtig. Um einen Zuverdienst geht es sogar nur 3,2 die Zukunft vorstellen können. Prozent dieser Altersklasse. Die Gesellschaft mitzuge- stalten, mit anderen Menschen zusammenzukommen Hohe Anzahl an Wochenstunden und Spaß zu haben, sind über alle Generationengren- zen hinweg wichtige Motivationen. Dort gilt es dann Kein Wunder: Die Ressource Zeit ist mit Renteneintritt auch anzusetzen – unabhängig vom Alter potenziell stärker vorhanden als davor. Für Vereine kann das eine Engagierter: Nur wer sich in der Gruppe, also im Verein Chance ein. Wer jemanden sucht, der im vereinseige- generell, unter den Übungsleitern und Trainern oder nen Fitnesstudio montagmorgens Thekendienst im Vorstand, willkommen und anerkannt fühlt, wird schiebt, wird bei vielen Berufstätigen auf Kopfschüt- sich auch dauerhaft engagieren. teln stoßen. Ein Neu-Ruheständler könnte Zeit haben: „Die meisten Wochenstunden für ihr Engagment ver- Eine persönliche Ansprache ist deshalb wichtig: Wer für wenden Engagierte ab 65 Jahren“, heißt es folgerich- seine Eigenschaften gelobt und auf deren Grundlage um tig auch im Freiwilligensurvey. Überlasten sollte man ein Engagement gebeten wird, dürfte sich erst einmal diese Altersgruppe aber nicht: Auch für sie spielen geschmeichelt fühlen. „Hilde, du backst immer so tolle Freizeit und Reisen heute eine größere Rolle, eine ge- Torten. Könntest du dir vorstellen, uns bei Veranstal- wisse Flexibilität muss daher gewährleistet werden. tungen mit Kuchenspenden zu unterstützen?“, „Lothar, so einen guten Handwerker wie dich könnten wir ge- Sind (Un-)Ruheständler also eine Riesenchance für die brauchen. Hast du nicht Lust, Gerätewart zu werden?“ Vereine? Auf jeden Fall! Verstärkt auf ältere Engagierte „Maria, wir konnten uns als helfende Hand immer auf zu setzen, darf aber nicht mit Stillstand verwechselt dich verlassen. Willst du nach deinem Ruhestand nicht werden: Wenn die Vorstandsmitglieder seit Jahren etwas mehr Veranwortung übernehmen?“ über fehlenden Nachwuchs klagen, aber wenig dafür tun, dies zu ändern, ist das ein Problem. Manchmal be- Anteil der engagierten Älteren steigt darf es dann der klaren Aussage: Ich will aufhören – und halte mich danach auch raus! Wer nachfolgt, wird Diese und ähnliche Fragen werden in den hessischen neue Ideen haben – egal, ob er nun 35 oder 65 ist! Vereinen wohl fast jeden Tag gestellt. Und zunehmend sagen die Älteren „ja“: Laut des Freiwilligensurveys Isabell Boger liegt der Anteil freiwillig engagierter Personen ab 65 Jahren derzeit bei rund 34 Prozent. Hinein spielen dort aber auch Hochaltrige, die häufig krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sind, sich einzubringen: Ab 75 SIH 1 6 / 10.08.2019
6 TITELTHEMA (UN-)RUHESTAND „Lust ist wichtiger als Qualifikationen“ Sigrid Jacob, Leiterin des Freiwilligenzentrums in Offenbach, spricht im Interview über Engagement im Ruhestand und den Wunsch nach Selbstverwirklichung W as wünschen sich Menschen, die ein ehren- amtliches Engagement in Erwägung ziehen? Welche Vorstellungen haben sie? Und wie müssen sich Organisationen aufstellen, die freiwillige Helfer suchen? Über diese und weitere Fra- gen haben wir mit Sigrid Jacob gesprochen. Sie leitet das Freiwilligenzentrum Offenbach und ist Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagentu- ren (LAGFA Hessen e. V.). Frau Jacob, Sie beraten Menschen, die sich gerne eh- renamtlich engagieren würden. Welche Rolle spielen Personen im Ruhestand dabei? Sie sind eine große Zielgruppe. Das liegt an unseren Spielt projektbezogenes Engagement heute auch für Angeboten sowie daran, dass sich ältere Menschen ihre Ältere eine größere Rolle? OBEN Zeit freier einteilen können. Viele Aufgaben, für die wir Nicht alle „Neu-Ruhe- Freiwillige suchen, sind für voll Berufstätige nur schwer Zu hundert Prozent. Viele wollen sich nicht mehr lang- ständler“ stehen in den Startlöchern realisierbar. Gerade im karitativen Bereich ist das der fristig binden. Das sieht man auch im aktiven Bereich: – viele sind aber Fall – denken Sie zum Beispiel an Mitarbeiter der Tafel Zehnerkarte statt Mitgliedschaft! Auch für Ältere ist die bereit, sich oder Lernbegleiter in der Schule. Der klassische Sport- Vereinbarung auf ein dauerhaftes Engagement eher ab- ehenamtlich zu verein hat hier vielleicht einen Vorteil: Dort können schreckend. Wenn ich sage, bei einem Engagement als engagieren. viele Aufgaben auch nach Feierabend erledigt werden. Lernbegleiter sollte man mindestens ein halbes Jahr ak- Foto: Halfpoint / tiv sein, zucken viele. Dabei zählt hier die Haltung, es ist Fotolia Haben es Sportvereine leichter, Freiwillige zu finden? die unverbindliche Verbindlichkeit. Natürlich ist der Ur- laub drin und wenn die Enkel zu Besuch kommen, wird Nein. Denn alle Vereine – ob nun im Sport- oder Kul- eine Vertretung organisiert. Vereinen rate ich, kleine turbereich – haben einen festen Vereinszweck. Wer da- Päckchen zu packen, Aufgaben auf mehrere Schultern zu mit nicht viel zu tun hat, wird sich hier kaum engagie- verteilen, um den Einstieg zu erleichtern. Häufig bleiben ren. Natürlich könnte man sagen: Um die Webseite des die Leute dann doch dauerhaft dabei. Schließlich sind Tennisvereins zu pflegen, muss man nicht selbst Tennis soziale Kontakte, das Miteinander und Eingebundensein spielen. Aber wenn man keine Affinität zu Tennis hat, wichtige Erwartungen an ein Ehrenamt. Und diese las- ist es schwer, in die Gruppe hereinzukommen, wirklich sen sich nur über Kontinuität erfüllen. Gleichzeitig Kontakt zu den Menschen im Verein aufzubauen. Das sollte es immer eine Ausstiegsmöglichkeit geben. Titelthema ist bei Initiativen ohne feste Mitglieder leichter. Und gerade für ältere Menschen ist das Miteinander, das Gibt es Veränderungen, die Sie in den letzten (Un)- Dazugehören und Wertgeschätzt-Werden wichtig. Jahren festgestellt haben? Ruhestand Müssen Vereine sich also mehr öffnen? Man kann durchaus sagen, dass die Altersgrenze sich nach oben verschoben hat. Das bestätigt auch Viele Vereine tun das bereits. Für sie besteht die große die Wissenschaft: Der heute 70-Jährige fühlt sich so fit Aufgabe darin, Mitglieder zu gewinnen und diese zu ak- wie früher ein 60-Jähriger. Ich beobachte eine rundum tiven Mitgliedern zu machen, die kleine und große Auf- hohe Bereitschaft, sich einzubringen. Gleichzeitig ist gaben übernehmen. Der Jügesheimer Sport- und Kul- für die Menschen im Ruhestand von heute Selbstver- turverein ist ein gutes Beispiel: Die jetzige Ehrenvor- wirklichung wichtiger. Sie wissen genau, was sie wol- sitzende Heide Klabers hat viel getan, um das Vereins- len. Ein Ehrenamt gehört häufig dazu, weil das Sinn leben attraktiv zu machen und Gemeinschaft zu erzeu- gibt, eine Aufgabe ist und soziale Kontakte bringt. Aber gen. Unter diesen Voraussetzungen fällt es leichter, um auch Reisen und Bildung spielen eine Rolle. Bei uns Mithilfe zu bitten. Vereine, die innovativ sind und auf sind häufig Balken im Kalender, weil ältere Freiwillige die veränderten Lebensbedingungen von Jungen und im Urlaub sind. Das muss man als Organisation akzep- Älteren reagieren, finden auch eher Ehrenamtliche. tieren. Auf der anderen Seite erlebe ich – zumindest SIH 1 6 / 1 0 . 0 8 . 2 0 1 9
TITELTHEMA (UN-)RUHESTAND 7 hier in Offenbach – auch viele Ältere, die die Ressourcen für Urlaube etc. nicht haben. Für sie spielt es eine Rolle, ob sie für ihr Engagement eine Auslagenerstattung oder App will Helfer pauschale Aufwandsentschädigung erhalten. und Vereine Können auch Arbeitgeber etwas dafür tun, den Über- gang vom Beruf ins Ehrenamt zu erleichtern? „verkuppeln“ Ja, etwa indem sie vorbereitende Seminare anbieten. „Letsact“ ist eine neue Smartphone- Große Arbeitgeber tun das bereits. Einige stellen Mitar- Applikation im Stil der Dating-App Tinder beiter auch schon für zwei, drei Stunden pro Monat frei, um in ein freiwilliges Engagement hinein zu schnup- pern. Auch in öffentlichen Verwaltungen könnte man Gutes tun, sich engagieren: Für viele Menschen über eine solche Freistellung nachdenken. Dadurch wä- ist das ein Ziel. Doch losziehen, sich informie- ren die Personen schon „drin“ und hätten bei Renten- ren und tatsächlich tätig werden – daran hakt eintritt bereits eine Vorstellung davon. Wie ich gehört es oftmals. Die App „letsact“ will das ändern, habe, können einige Beamte von Post, Telekom und indem sie eine unbürokratische Plattform Postbank sogar früher abschlagsfrei in Rente gehen, schafft, auf der potenzielle Helfer sich über Or- wenn sie sich über drei Jahre mindestens 1.000 Einsatz- ganisationen und Vereine informieren und mit stunden lang engagieren. Diese Zahl ist aber sehr hoch. ihnen in Kontakt treten können. Wir finden kaum einzelne Organisationen, die so einen Bedarf haben. Aber wer weiß, vielleicht gibt es den ei- Die Funktionsweise erinnert dabei an die Dating-App nen oder anderen Sportverein ...? Tinder. Denn ähnlich wie auf Tinder, wo zwei Singles nach einer Bekanntschaft suchen, treffen auch auf let- Wie wichtig ist sind Vor-Qualifikationen? Oder anders: sact zwei Suchende aufeinander: Organisationen einer- Wenn jemand sein Leben lang Buchhalter war, ist er seits und engagementwillige Personen andererseits. dann der optimale Vereinskassier? Mit gewissen Filtern, etwa zum Wohnort, kann eine Vorauswahl getroffen werden. Dann wischt man sich Das lässt sich pauschal nicht sagen. Wenn jemand mit durch die Angebote der Organisationen, die ihr jeweili- Herzblut Buchhalter war, findet er es vielleicht toll, nach ges Projekt auf der Plattform kurz vorstellen können. dem Steuerbüro die Buchführung für den Kulturverein zu Gibt es ein Match, können die beiden Partner direkt machen. Ein anderer sagt: Ich saß mein Leben lang am über die Plattform miteinander in Kontakt treten – Schreibtisch, jetzt möchte ich was Handfestes tun. In un- ohne auf E-Mail oder WhatsApp wechseln zu müssen. seren Beratungen spielen Vorqualifikationen deshalb eine geringere Rolle als Motivation und Bereitschaft. Wenn Entwickelt haben die App zwei junge Männer, gerade Kenntnisse erforderlich sind, werden Ehrenamtliche da- mal Anfang 20. Sie sind überzeugt, dass viel mehr Men- mit ausgestattet. Das Land fördert entsprechende Semi- schen sich engagieren würden, wenn sie wüssten, „was nare über das Hessische Qualifizierungsprogramm für eh- für coole Sachen man machen kann“, sagen sie in ei- renamtliche Tätigkeiten im sozialen Bereich. Außerdem nem Zeitungs-Interview. Gerade für die jüngere Ziel- bietet ein Ehrenamt ja die Chance, etwas Neues zu tun. gruppe müsse man das Ehrenamt cooler machen. Dazu Manchmal dauert es, das Richtige zu finden, aber es gibt zählt auch, dieses Wort so gut wie nicht zu benutzten. für jeden das passende Engagement. Organisationen soll- Denn mit „Ehrenamt“ assoziieren viele, sich für viele ten dabei begleiten und unterstützen. Und ich rate: Drän- Jahre zu binden. Die Gründer reden deshalb gern von gen Sie niemanden zu etwas, auf das er keine Lust hat. Volunteering – und ermutigen die Organisationen, vor allem zeitlich begrenzte Projekte anzubieten. Haben Sie noch weitere Tipps? Klar definierte, zeitlich begrenzte Aufgaben Achten Sie darauf, wer mit welchen Erwartungen kommt. Werden Sie unterschiedlichen Engagement-Typen ge- Ihre Hauptzielgruppe, „Peergroup“, wie die Gründer recht. Der eine organisiert gerne und übernimmt Verant- sagen, sind jüngere Menschen, Smartphone- und App- wortung, der andere erledigt Aufgaben lieber im Team. begeisterte, aber trotzdem mit dem Wunsch, ihr Leben Außerdem brauchen Ehrenamtliche Ansprechpartner, am sinnvoll zu nutzen. Allzu viele (Un-)Ruheständler dürf- besten hauptamtlich. Zunehmend gibt es auch Personen, ten unter den 10.000 Nutzern, die die App derzeit hat, die sich engagieren und dabei besser Deutsch lernen also nicht sein. Egal, nach welcher Altersklasse die Eh- wollen. Für sie gibt es bisher wenige Angebote. Gibt es renamtlichen Vereine suchen, kann es für sie aber im Verein etwas, was sich dafür anbietet? Und falls Sie ei- sinnvoll sein, sich an der App zu orientieren. nen Verein in Offenbach kennen, der jemanden zum Gie- ßen oder für Gartenarbeiten sucht: Ich kenne einen Schließlich schrecken auch ältere Erwachsene zuneh- Herrn mit einer leichten Behinderung, der macht das mend davor zurück, sich dauerhaft zu binden. Projekte sehr gerne. Das ist für ihn tagesstrukturierend und erfül- und Aufgaben klar zu definieren und schriftlich zu fi- lend. Man muss also immer schauen, was die Menschen xieren, ist ebenfalls ratsam – ob man bei der Suche mitbringen, darauf eingehen, dann kann man gut nach „Volunteers“ nun auf eine App zurückgreift, auf zusammenarbeiten! das Schwarze Brett in der eigenen Halle oder auf per- Die Fragen stellte Isabell Boger sönliche Ansprache. ib SIH 1 6 / 10.08.2019
8 TITELTHEMA (UN-)RUHESTAND Von wegen Ruhestand! Ruhestand bedeutet nicht zwangsläufig, nur noch zu Hause zu sitzen: Vier Beispiele, die beweisen, wie erfüllend Ehrenamt im neuen Lebensabschnitt sein kann W er in Rente geht, der gehört zu den Senio- ren. Das dachte man jedenfalls früher. Das passende Bild hatte man auch gleich vor Au- gen: Die Oma im Schaukelstuhl, der etwas gebückt gehende Herr mit Hut. Mit den Ruheständlern von heute hat das nichts mehr zu tun. Viele von ihnen sind fit, gehen regelmäßig zum Sport, genießen Kreuz- fahrten und Wanderurlaube, die Betreuung der Enkel- kinder – und nicht selten den Einsatz für die gute Sa- che (siehe S. 4). Statt zu Hause endlich mal zur Ruhe zu kommen, wol- len sie ihrem Leben einen Sinn geben, etwas für sich und die Gesellschaft tun. Nicht selten haben sich diese Menschen schon während des Arbeitslebens ehrenamt- lich engagiert. Der (Un-)Ruhestand ermöglicht es ih- nen aber häufig, sich noch intensiver einzubringen – einen Punkt, an dem ich dachte: Warum machst du oder gar ganz neue Aufgaben zu übernehmen. Vier das? So eine Hausarbeit schreibt man ja nicht aller OBEN Männer und Frauen berichten, warum sie das tun und Tage und auch die Lehrprobe hat mir Respekt einge- Fit in Turnschuhen: was es ihnen gibt. flößt. Aber da ging es den Jüngeren nicht anders! Und Rainer Lauterbacher (r.) mit einigen das Durchhalten hat sich gelohnt. Teilnehmerinnen Rainer Lauterbacher, seiner Body-Work- Übungsleiter und Abteilungsleiter: Erst habe ich andere Übungsleiter vertreten, aber bald out-Gruppe. schon habe ich meine eigenen Gruppen übernommen. Bild: PRV „Als Feuerwehrbeamter bin ich mit 60 Jahren in den Heute leite ich zwei Gruppen Wirbelsäulengymnastik, Ruhestand gegangen. Schon davor habe ich mich da- eine BodyWork-Gruppe und den Nordic-Walking-Treff. mit auseinandergesetzt, was ich dann mit mir und der Meine jüngste Teilnehmerin ist Ende 20, aber gerade vielen Freizeit sinnvolles anfangen will. Ich finde es bei der Gymnastik sind viele Ältere dabei. Ich wichtig, dass man Ziele hat und den Ruhestand nicht glaube, es ist ein Vorteil, wenn man da altersmä- nur auf sich zukommen lässt – sonst baut man ab, das ßig nicht zu weit weg ist. Ich weiß, was man Titelthema sehe ich an manchem ehemaligen Kollegen. Ich selbst 70-Jährigen zumuten kann. Dass ich viel Lob war immer sportlich aktiv. Daher war für mich klar, bekomme, motiviert mich. Generell gibt mir (Un)- dass ich mich im TV 88 Reinheim einbringen will. 2011, kurz vor meiner Pensionierung, habe ich die Leitung mein Einsatz als Übungsleiter viel zurück. Ruhestand der Abteilung Gesundheitssport übernommen. Inzwi- Das Wissen, das mir Sportlehrerin Silke Hänsch schen ist das mit knapp 330 aktiven Mitgliedern die und ihr Team bei der Ausbildung vermittelt habe, größte Abteilung in unserem Mehrsparten-Verein mit hilft mir dabei sehr. Mobilisation und Dehnen hat in 1.300 Mitgliedern. Sechs Jahre lang war ich zudem Ge- vielen Gruppen davor nicht stattgefunden. Inzwischen schäftsführer des TV 88 Reinheim. Beides waren bzw. gehört es auch für die Teilnehmer dazu. Natürlich muss sind tolle Erfahrungen, weil man nochmal wahnsinnig man auch zu Hause einiges tun, z. B. die Stunden am viel dazulernt und neue Leute kennenlernt. Das hat Schreibtisch erarbeiten. Bevor man eine Ausbildung an- mich beflügelt und gestärkt. tritt, muss man sich deshalb fragen: Will ich das? Wenn man das mit „ja“ beantwortet, wird man ziemlich sicher Selbst als Übungsleiter tätig zu werden, hat lange in Spaß haben. Ich habe das Gefühl, im Ruhestand etwas mir geschlummert. Als ich 2016 in der „Sport in Hes- Sinnvolles zu tun – für mich und andere. Und unsere sen“ das Portrait über Heide Franz aus Eberstadt las, Gesellschaft braucht solche Menschen. Also: nur zu!“ die mit 72 ihre Übungsleiter-Lizenz gemacht hat, war das eine Initialzündung. Ich habe mich informiert und Kurt Richter, Vorsitzender und mein Vorhaben im Verein vorgetragen. Einige ältere Vereinsmanager: Übungsleiterinnen haben zu mir gesagt, das sei ambi- tioniert – aber mir trotzdem zugeraten. 2017 habe ich Als Rentner eine Ausbildung zum Vereinsmanager ma- dann meine Ausbildung beim lsb h erfolgreich abge- chen? Warum nicht? Kurt Richter aus Wabern fiel diese schlossen, mit vielen jungen Hüpfern! Natürlich gab es Entscheidung nicht schwer. „Als der Ruhestand immer SIH 1 6 / 1 0 . 0 8 . 2 0 1 9
TITELTHEMA (UN-)RUHESTAND 9 näher rückte, dachte ich mir: Mit dem Wohnmobil he- cherung, bekommen haben, direkt in meiner Funktion rumreisen will ich nicht, Radfahren auch nicht und an als Kassenwart nutzen“, gefällt ihm die konkrete Wech- die Uni gehen, wie das inzwischen einige Senioren ma- selwirkung zwischen Ausbildungsinhalten und der Ar- chen, war auch nicht mein Fall. Ich habe mich gefragt, beit im Ehrenamt. Auch das Finanzierungsmodell das was kannst Du gut? Und die Antwort war schnell gege- im Sportkreis Schwalm-Eder für die Vereinsmanager- ben: Sport kann ich gut.“ Ausbildung gefunden wurde findet Kurt Richter nach- ahmenswert. Sportkreis, Landkreis und Verein teilen Mit 13 hat Kurt Richter mit dem Sport angefangen. sich dort die Ausbildungskosten zu je einem Drittel. Fußball (früher) und Tischtennis (immer noch aktiv) sind seine Passion. Mehr als 1.000 Fußballspiele und Wer frisch gebackene Ruheständler zur Mitarbeit moti- noch mehr Tischtennis-Matches hat er inzwischen auf vieren wolle, dürfe aber auf keinen Fall mit dem Argu- dem Buckel. „Sport hat mir schon immer Spaß ge- ment „du bist doch jetzt Rentner und hast Zeit“ kom- macht“, erzählt der 64-Jährige, „das war immer meine men. „Das wollen Rentner nicht hören“, weiß Richter wichtigste Motivation“. Doch er ist nicht nur aktiver aus eigener Erfahrung. Wer allerdings die persönlichen Sportler, sondern auch Vorsitzender des kleinen Tisch- Qualitäten und den Erfahrungsschatz der „Kandidaten“ tennisvereins TTV Udenborn (90 Mitglieder) und Kas- ins Spiel bringe, habe gute Chancen, dass die Werbung sierer bei der SG Utterhausen-Lendorf (Fußball/Leicht- glückt. Grundvoraussetzung für jedes Ehrenamt ist für athletik/Turnen (230 Mitglieder). Vor allem aber ist ihn, unabhängig von Werbestrategien „ein weites Richter angehender Vereinsmanager. Aktuell absol- Herz, die Fähigkeit Kompromisse zu schließen und die viert er in Kassel seine Ausbildung. Bereitschaft, sich zu kümmern.“ Auf die Frage, ob es ihm die Ausbildung und vor allem Irene Domsel, Schriftführerin das Lernen nicht schwer falle, muss Kurt Richter lachen: und Leiterin der Geschäftsstelle „Ich lerne mein ganzes Leben lang schon. Und zwar je- den Tag. Mir macht es Spaß, Neues zu erfahren und „Ich hatte das Glück, wenn möglich dieses neue Wissen auch umzusetzen“. Er mit 57 in Ruhestand habe im Sport wichtige Dinge gelernt: Siege zu genie- gehen zu dürfen. Dass ßen, Niederlagen auszuhalten und aufzuarbeiten, mit ich mich danach noch Druck umzugehen („wer schon einmal in der 90. Minute einbringen will, war einen entscheidenden Elfmeter schießen musste, weiß für mich immer klar – wovon ich rede“), aber auch Solidarität und Freund- um weiterhin am ge- schaft. Im Fußballverein gebe es 40 Aktive Senioren- sellschaftlichen Leben Spieler aus sieben Nationen, das sei eine tolle Gemein- beteiligt zu sein. Es schaft, erzählt Richter nicht ohne Stolz. Auch die hätte aber auch eine Flüchtlinge, die gekommen seien, wurden gut inte- Aufgabe beim Senio- griert. „Wir dulden hier keine Ausländerfeindlichkeit renkreis werden kön- und schreiten sofort ein, wenn blöde Sprüche gemacht nen, denn so eng wa- werden. Da sind wir uns auch im Vorstand einig.“ ren meine Bande zum TuS Zwingenberg vor- Richter begreift die Herausforderungen mit denen sich her nicht. Ich bin ein oder zweimal pro Woche dort zum die Vereine konfrontiert sehen, als Chance. Man könne Sport gegangen, mehr auch nicht. Entscheidend war OBEN sich dem Wind zwar entgegenstemmen, aber sinnvoller wohl, dass der Rechner des Vereins mitbekommen Irene Domsel sei es doch, ihn zu nutzen, um voranzukommen, zitiert hatte, dass ich in Ruhestand gehe – und zur Vorsitzen- (sitzend) fühlt sich von der Vorsitzenden er ein Bild aus dem Segelsport. Unter diesem Aspekt den sagte: Frag‘ doch mal Irene, ob sie nicht die Ge- der TuS Zwingenberg begreift er auch die Ausbildung zum Vereinsmanager schäftsstelle übernehmen würde. und dem gesamten als Schritt, um diesen „Wind“ positiv zu nutzen. Bis- Team von Anfang an lang sei er nur auf Vereinsebene und in erster Linie als Geplant waren drei Stunden Einsatz pro Woche. Daraus gut aufgenommen. Sportler aktiv gewesen, jetzt würde sich sein Horizont wurde aber schnell mehr, weil es einen gewissen Nach- Foto: Isabell Boger erweitern. holbedarf gab und ich bestimmte Vorstellungen hatte! Mir ging es ja nicht darum, mir was dazuzuverdienen, „Man erfährt durch sondern um den Spaß. Der Vereinsvorstand hat mir LINKS die Ausbildung, wie auch einen genügenden Freiraum gelassen. Das ist ge- Kurt Richter hat vielfältig und nutz- nauso wichtig wie die Tatsache, dass es gewisse Eck- Spaß am lebenslan- gen Lernen. bringend die Arbeit pfeiler gibt. Neue Ideen einbringen zu können, finde Foto: PRV des Landessportbun- ich wichtig. Aber der Verein hat auch ein Vorleben und des und des Sport- man sollte nicht alles gleich umwerfen wollen. kreises ist. Neulich konnte ich die Infor- Mit der Geschäftsstellenleitung habe ich bereits zwei mationen, die wir im Monate nach meiner Pensionierung begonnen. Eigent- Seminar mit Edgar lich wollte ich mir etwas mehr Zeit lassen, aber als ich Oberländer vom Lan- gefragt wurde, dachte ich: warum nicht? Im Endeffekt desausschuss Recht, war das gut, weil ich dadurch gar nicht Gefahr gelaufen Steuern und Versi- bin, in ein Loch zu fallen oder im dritten Lebensab- SIH 1 6 / 10.08.2019
10 TITELTHEMA (UN-)RUHESTAND schnitt depressiv zu werden! Ich kann Vereinen des- halb nur raten: Sprechen Sie die Leute an. Anzeigen schalten ist gut und schön, aber es geht nichts über persönlichen Kontakt und Ansprache! Zusagen gibt es wohl aber nur, wenn die Stimmung im Verein und im Vorstand passt, wenn man das Gefühl hat, die Leute sind offen, motiviert und haben Lust auf die Zusammenarbeit. Das ist beim TuS Zwingenberg der Fall. Als bei den nächsten Wahlen ein Schriftführer ge- sucht wurde, habe ich deshalb nicht lange gezögert. Das passte ja gut zu meinen Tätigkeiten in der Ge- schäftsstelle. Als Lust auf die Zusammenarbeit. Das ist beim TuS Zwingenberg der Fall. Als bei den nächsten Wahlen ich dann in meinem fortgeschrittenen Alter die Idee hatte, eine Vereinsmanager-Ausbildung zu ma- chen, hat das viele überrascht. Aber es wurde positiv aufgenommen und unterstützt. Heute ist der Verein schon stolz, wenn bei den Analysen, die der Lan- Koch Fußball und Handball gespielt, „später bin ich beim dessportbund gerade verschickt ein Haken hinter Ver- Lauftreff gelandet, wo ich mich in unterschiedlichen Ver- einsmanager ist! einen immer wohl gefühlt habe bis zum heutigen Tag. OBEN Jetzt bin ich als Nordic-Walker unterwegs, hin und wieder Mit dem langjährigen Die Ausbildungen – nach der C- habe ich ja auch noch geht’s auch zum Schwimmen oder Radfahren“, schildert Staatssekretär im Hessischen die B-Lizenz erworben – war schon eine Herausforde- seine sportlichen Aktivitäten. Ministerium des rung. Aber gerade im Ruhestand ist es für mich wich- Innern und für Sport, tig, immer wieder die eigenen Grenzen auszutesten, zu Neben den positiven Auswirkungen des Sports auf die Ge- Werner Koch (links), schauen: Wozu bist du noch in der Lage? Ist deine sundheit und das Wohlbefinden des Einzelnen, war für hat der Vorsitzende Merkfähigkeit noch gut genug? Lebenslanges Lernen Werner Koch auch die gesellschaftliche Wirkung des Ver- des Sportkreises hat für mich Bedeutung und so ein Ehrenamt ermutigt einssport immer von Bedeutung: Ich habe im Alltag, auch Rheingau-Taunus, dazu, nicht stehenzubleiben. Das ist, neben dem persönlich erlebt, dass man über den Sportverein in eine Manfred Schmidt, einen kompetenten Wunsch, etwas Sinnhaftes zu tun und mit Menschen örtliche Gemeinschaft sehr schnell integriert ist.“ Mitstreiter gewonnen. zusammenzukommen, sicher auch eine der wichtigsten Foto: Michael Reitz Motivationen für mich.“ Folgerichtig ist die Förderung der Vereine auch eines seiner Schwerpunktthemen im Sportkreisvorstand. Ge- Werner Koch, vom Staatssektretär zum genwärtig befasst sich Koch mit den Förderanträgen der stellvertretenden Sportkreis-Vorsitzenden Vereine im Sportkreis, wenn diese Bau- oder Beschaf- fungsmaßnahmen in Angriff nehmen. Darüber hinaus ist Einen ganz besonderen „Unruheständler“ konnte der er auf Kreisebene in der Vereinsberatung im Rahmen des Sportkreis Rheingau-Taunus für sich gewinnen. Seit dem Projektes „Starker Sport. Starker Verein“ tätig. Sportkreistag 2018 ist der seit Januar 2019 pensionierte Staatssekretär im Hessischen Ministerium des Innern und „In meinem Bereich ist auch das Thema Inklusion ange- für Sport, Werner Koch Mitglied des Sportkreisvorstandes. siedelt. Dort möchte ich mit Mitstreitern, die ich gefunden Nicht zuletzt Dank Manfred Schmidt, der als Sportkreis- habe zunächst ein Netzwerk aufbauen, um dann das vorsitzender um Kochs Engagement geworben hatte, ist Thema noch mehr in die Vereine zu bringen. Als weiteres es gelungen, den ausgewiesenen Sportfachmann fürs Eh- künftiges Thema nennt Koch den Seniorensport, den er renamt im Sportkreis zu gewinnen. für außerordentlich wichtig hält. „In meiner Zeit als Staatssekretär, in der ich viele Vereine Auf die Frage, wie Vereine oder Sportorganisationen neue näher kennen lernen konnte, bekam ich die tiefe Über- Mitglieder aus dem Kreise der „Unruheständler“ gewinnen zeugung, dass ohne die breite Bereitschaft zum Ehren- könnten, ist Kochs Antwort einfach und klar: „Das Ein- amt, nichts oder nur wenig als Angebot realisierbar sein fachste ist, dass man die Menschen anspricht. Viele Men- würde“, beschreibt Koch seine Motivation für die Mitar- schen mögen es nicht, sich aufzudrängen. Wenn man den beit im Sportkreis. Zum anderen habe ein Sportkreis die Ruheständler schon aus dem aktiven Arbeitsleben kennt, Aufgabe, seinen Vereinen Rahmen und Unterstützung zu sollte man auch danach mit ihm im Gespräch bleiben und geben. „Den Sport den Menschen näher zu bringen und nicht aus Bequemlichkeit einfach die Tür zulassen“. Au- die Vereinsarbeit zu unterstützen ist eine lohnenswerte ßerdem sind für ihn klare Strukturen, die den „Neulingen“ Aufgabe, das ähnelt auch meiner ehemaligen Aufgabe im Orientierung geben, wichtige Faktoren. Werner Koch plä- Ministerium“. diert auch dafür, weniger zu jammern: „Als Ehrenamtler sollte man deutlich machen, dass das eine lohnenswerte Neben seinem Engagement in der Kommunal- und Partei- Aufgabe ist, die Spaß und Freude macht. Es gibt leider im- politik ist Koch seit einigen Jahren im Vorstand des Ver- mer noch viele Ehrenamtler, die über die ganze Arbeit kla- kehrsvereins Kiedrich, seit etwas über einem Jahr als Vor- gen. Damit überzeugt man nur niemanden, den man ge- sitzender. Schon mehr als 25 Jahre lang treibt er bei der winnen will. Turnerschaft Kiedrich Sport. In seiner Jugend hat Werner Isabell Boger und Markus Wimmer SIH 1 6 / 1 0 . 0 8 . 2 0 1 9
12 SPORTENTWICKLUNG Blick hinter die Kulissen Die wichtigsten Erkenntnisse des Sportentwicklungsberichts 2017/2018 für die hessischen Sportvereine W ie steht es um den Sport in Hessen? Welche Probleme empfinden die Vereine vor Ort als existenziell? Wie zufrieden sind Trainer und Übungsleiter? Und wie viele Ehrenamtliche gibt es in den hessischen Sportvereinen überhaupt? Diese und viele weitere Fragen versucht der Sportent- wicklungsbericht zu beantworten, den der DOSB, das Bundesinstitut für Sportwissenschaft sowie die Deut- schen Sporthochschule Köln nun für die Jahre 2017/2018 vorgelegt haben. Wir stellen die wichtigs- ten Erkenntnisse der Auswertung für Hessen vor. Selbstverständnis In Sachen Selbstverständnis weichen die hessischen Sportvereine nur wenig vom deutschlandweiten Durch- schnitt ab. Sie legen Wert auf Gemeinschaft und eine demokratische Beteiligung im Verein – insbesondere von jungen Menschen. Sie wollen Bisheriges besser ma- hessischen Sportvereine. Sie bilden damit weiterhin chen, setzen auf eine Qualifikation ihrer Übungsleiter eine wichtige Basis für den Leistungssport in Hessen. OBEN und engagieren sich zu großen Teilen im Kinder- und Wie verändert sich die Jugendsport. Etwa jeder dritte hessische Verein – rund 2.500 Stück – Sportvereinsland- schaft in Hessen? Der bieten Programme mit Gesundheitsbezug an. Allgemei- Sportentwicklungsbe- Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt setzen sie sich ner Gesundheitssport (31,3 Prozent) liegt dabei deut- richt gibt Auskunft. etwas mehr für Menschen mit Migrationshintergrund lich vor Rehabilitationssport (4,5 Prozent) und Sport Foto: Thomas Reimer / und Flüchtlinge ein: 39 bzw. 29 Prozent der Vereine für behinderte und chronische kranke Menschen (4,5 stock.adobe.com stimmen hier voll oder eher zu. In der Dopingpräven- Prozent). Im Verhältnis zu allen vorhandenen Sportan- tion engagiert sich über ein Drittel der Vereine (38 Pro- geboten liegt der Anteil der Angebote mit Gesund- zent) hingegen „gar nicht“, auch die Prävention von heitsbezug bei knapp zwölf Prozent. Mit dem Qualitäts- Spiel- bzw. Wettkampfabsprachen spielt für 30 Prozent siegel SPORT PRO GESUNDHEIT zertifizierte Kurse der Vereine überhaupt keine Rolle. werden von gut sechs Prozent der hessischen Sportver- eine (insgesamt rund 470 Vereine) angeboten. Beiträge unter Bundesdurchschnitt Nur rund 2,9 Prozent der hessischen Vereine betreibt Durchschnittlich verlangen die hessischen Sportver- ein eigenes Fitnessstudio. Nur 20 der 220 Studios sind eine einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von fünf Euro dabei mit dem Qualitätssiegel SPORT PRO FITNESS für Kinder und Jugendliche sowie acht Euro für Er- ausgezeichnet. wachsene. Damit liegen sie leicht unter dem Bundes- durchschnitt (fünf Euro für Kinder, sechs Euro für Ju- Ehrenamt und bezahlte Mitarbeit gendliche, 9,30 Euro für Erwachsene). Wie viele Personen engagieren sich ehrenamtlich in Dass Gemeinschaft für die Vereine eine wichtige Rolle den hessischen Sportvereinen? Um diese Frage zu be- spielt, zeigt sich auch an der Zahl der Feste und geselli- antworten, bedarf es einer Definition. Der Sportent- gen Veranstaltungen: 2016 hatten 93,5 Prozent der Ver- wicklungsbericht unterteilt dabei in Vorstandsmitglie- eine außersportliche Veranstaltungen im Programm. der, Kassenprüfer und Aktive auf Ausführungsebene. Letztere werden erfasst, wenn sie eine auf Dauer ange- Leistungs- und Gesundheitssport legte Tätigkeit unterhalb des Vorstands in „mehr als geringfügigem Umfang“ ausüben. Hierzu zählen insbe- 15,2 Prozent bzw. rund 1.160 Sportvereine in Hessen sondere Trainer/-innen, Übungsleiter/-innen, Schieds- haben laut Sportentwicklungsbericht Kaderathlet/-in- und Kampfrichter/-innen. Wendet man diese Zählweise nen (ab D-Kader) in ihren Reihen, was in etwa dem an, kommt man auf 136.500 Ehrenamtliche, von denen deutschen Durchschnitt entspricht. In eine Auswahl be- mehr als zwei Drittel (92.300 Personen) Männer sind. rufen wurden 2016 Athleten aus knapp 30 Prozent der Auf die Vorstandsebene entfallen 67.100, auf die Aus- SIH 1 6 / 1 0 . 0 8 . 2 0 1 9
SPORTENTWICKLUNG 13 führungsebene 55.700 Personen. Hinzu kommen finanzielle Unterstützung in Form von Kostenübernah- 13.700 Kassenprüfer/-innen. men von Fort- und Weiterbildungen, Aufwandsentschä- digungen, Fahrtkostenzuschüssen und Beitragsminde- Lediglich 290 hessische Vereine (3,8 Prozent) beschäf- rungen zur Unterstützung ihrer Ehrenamtlichen. tigen mindestens eine bezahlte Führungskraft, z. B. eine/-n Geschäftsführer/-in. Diese Führungsposition Fast die Hälfte mit eigener Sportanlage ist in über 70 Prozent der Fälle nur in Teilzeit besetzt. Damit liegen die hessischen Vereine unter dem Bun- 45,5 Prozent der hessischen Vereine besitzen eine ei- desschnitt, wo 4,3 Prozent der Vereine mindestens gene Sportanlage und/oder ein eigenes Vereinsheim. eine Teilzeit- sowie weitere 2,1 Prozent mindestens Dieser Anteil ist höher als im Bundesschnitt (40,9 Pro- eine Vollzeit-Führungskraft beschäftigen. zent). Kommunale Sportanlagen werden von gut 4.900 Sportvereinen in Hessen (64,5 Prozent) genutzt. Gut Herausforderung und Probleme 32 Prozent davon müssen Nutzungsgebühren entrich- ten - in ganz Deutschland ist es fast die Hälfte. Die größte Herausforderung für die Zukunft sehen die Sportvereine in Hessen, wie auch in Gesamtdeutsch- In 72 Prozent der hessischen Vereine deckten oder land, in der Bindung und Gewinnung ehrenamtlicher überstiegen die Einnahmen 2016 die Ausgaben. Am Funktionäre. 56 Prozent der befragten hessischen Ver- meisten gaben sie im Durchschnitt für Trainer/-innen, eine bezeichnen dies als großes oder sehr großes Pro- Übungsleiter/-innen und Sportlehrer/-innen aus (Mit- blem. Nur sechs Prozent sehen hier gar kein Problem. telwert: 6.390 Euro), gefolgt von Ausgaben für den Er- Seit 2005/06 sind Auch die Bindung/Gewinnung von jugendlichen Leis- halt und Betrieb eigener Anlagen (3.319), für Sportge- sieben Sportentwick- tungssportlern (43 Prozent), Kampf- und Schiedsrich- räte und Sportkleidung (2.042), den Wareneinkauf lungsberichte erschienen. Sie tern (41 Prozent), Trainern/Übungsleitern (36 Pro- (1.842) sowie Mieten und Kostenerstattungen für die dokumentieren die zente) und Mitgliedern (34 Prozent) beurteilen viele Nutzung nicht vereinseigener Sportanlagen (1.314). Struktur und Entwick- als großes oder sehr großes Problem. Erstaunlich: Nur knapp 60 Prozent der Vereine geben lung des organisierten an, überhaupt Ausgaben für Trainer/-innen, Übungs- Sports in Deutschland. In der großen Mehrheit zufrieden sind die hessischen leiter/-innen und Sportlehrer/-innen zu haben. Die Berichte basieren auf Vereine hingegen mit dem Zustand (42 Prozent „kein einer Online-Vereinsbe- Problem) und der zeitlichen Verfügbarkeit (52 Prozent) Die höchsten Einnahmen generierten die Sportvereine fragung zu feststehen- den Themenkomplexen, der genutzten Sportstätten. Auch finanziell sieht sich in Hessen 2016 aus Mitgliedsbeiträgen (Mittelwert: die jeweils aktuell der Großteil der Vereine recht gut aufgestellt: Nur 14 14.019 Euro), Spenden (2.942) und selbstbetriebenen erweitert werden. Für Prozent sehen hier große oder sehr große Probleme. Gaststätten (1.856). Gegenüber 2015 ist ein bei Mit- den neuen Bericht gliedsbeiträgen und Kursgebühren ein signifikanter wurden erstmals auch Existenzielle Bedrohungen Einnahmenzuwachs zu erkennen. Trainer, Übungsleiter und Vorstandsmitglieder „Die durchschnittlich moderaten Problemwerte sollten Unterschiedliche Qualifikationen befragt. nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an hessischen Vereinen gibt, In Sachen Ausbildung geben die Übungsleiter/-innen die mindestens ein existenzielles Problem hat. Dies und Trainer/-innen in Hessen ein sehr heterogenes trifft landesweit auf 38,3 % aller Sportvereine bzw. ins- Bild ab: Die Mehrheit (52 Prozent) gibt an, im Besitz gesamt etwa 2.920 Vereine in Hessen zu“, schreiben einer gültigen Lizenz eines Fachverbandes oder Lan- die Autoren des Sportentwicklungsberichts. Existen- dessportbundes zu sein, drei Prozent verfügen über zielle Ängste ruft bei 15,1 Prozent der hessischen Ver- eine nicht mehr gültige Lizenz. 2,7 Prozent haben eine eine das Problem hervor, nicht genügend ehrenamtli- Ausbildung eines Fachverbandes oder Landessportbun- che Funktionsträger binden oder gewinnen zu können. des ohne Lizenz abgeschlossen. Neun Prozent haben Dieser Anteil liegt noch leicht über dem Bundesschnitt. ein sportwissenschaftliches Studium absolviert, 3,3 8,4 Prozent der Vereine in Hessen betrachten es als Prozent eine Ausbildung eines kommerziellen Anbie- existenzbedrohend, nicht genügend Mitglieder binden ters. Jede(r) Zehnte der Befragten hat eine sonstige oder gewinnen zu können. Hierbei handelt es sich wohl Ausbildung abgeschlossen. Fast ein Viertel hat keine vor allem um kleinere Vereine, denn sie repräsentier- Ausbildung für die Tätigkeit im Sport – das sind rund ten lediglich 2,9 Prozent der Mitglieder. fünf Prozent mehr als im Bundesschnitt. Um ihren Problemen entgegenzuwirken, versuchen die Grundsätzlich sind die Leiter der Trainingseinheiten Vereine, ihre Ehrenamtlichen zu unterstützen. Sie ver- mit ihrer Tätigkeit zufrieden (Mittelwert 7,79 auf einer Ausführliche suchen, deren Ideen aufzugreifen, vergeben Auszeich- elfstufigen Skala). Das liegt vor allem an der Beurtei- Ergebnisse, unter nungen und Ehrungen – und sie übernehmen die Kos- lung ihrer eigenen Leistung, den Erfolgen und der Mo- anderem zur Ausbildung und Motivation von ten für Aus- und Fortbildungen, insbesondere von tivation ihrer Trainingsgruppe sowie die Zusammenar- Vorstandsmitgliedern, Übungsleiter/-innen und Trainer/-innen, etwas einge- beit und Anerkennung im Verein. Am wenigsten gibt es online unter schränkter aber auch von ehrenamtlichen Vorstands- zufrieden sind sie mit steuerlichen Vergünstigungen. http://yourls.lsbh.de/ mitgliedern. Bei Personen auf Ausführungsebenen Interessant: Geld für die eigene Tätigkeit oder andere sebhessen kommt zudem verstärkt die Übernahme von Verwal- monetär zu bewertende Leistungen zu erhalten, steht tungstätigkeiten zum Einsatz. Im Vergleich zum Bun- bei den Gründen für das eigene Engagement ganz weit desschnitt setzen hessische Vereine etwas weniger auf unten. Isabell Boger SIH 1 6 / 10.08.2019
BILDUNG 15 Mit neuer Ausbildung am Puls der Zeit 17 Männer und Frauen absolvieren Pilotausbildung „Übungsleiter B-Fitness“ / Regelmäßige Wiederholung geplant S tolz strahlen sie in die Kamera. Dann werfen 17 frischgebackene Übungsleiter/-innen B-Fitness blaue Piloten-Mützen in die Luft. Was es damit auf sich hat? „Ganz einfach“, erklärt Sportlehrer Tobias Dauner, der die Ausbildung für den Lan- dessportbund Hessen (lsb h) konzipiert und geleitet hat: „Es handelte sich um eine Pilotausbildung, bei der ich gemeinsam mit den Teilnehmern ausgelotet habe, was künftig noch verändert, verbessert oder ergänzt werden kann oder sollte.“ Das ist wichtig, weil der Landessportbund mit der Aus- bildung Neuland betritt: Eine Übungsleiter-Lizenz mit Schwerpunkt Fitness gab es bisher weder in Hessen noch in einem anderen Bundesland. „Trends aus den Bereichen Kraft und Ausdauer werden aber immer mehr nachgefragt. Außerdem setzen auch Vereine zuneh- mend auf gerätebasiertes Training in eigenen Vereins- und Gesundheitszentren“, sagt Dr. Frank Obst, für Bil- dung zuständiger Geschäftsbereichsleiter des lsb h. Mit der neuen Ausbildung leiste der Verband deshalb einen eine gegenüber anderen Fitnessanbieter abgrenzen wichtigen Beitrag für zeitgemäße Sportangebote und und behaupten können. OBEN qualifizierte Übungsleiter im Verein – und das in Ab- Nach abgeschlosse- grenzung zu sogenannten B-Lizenz-Ausbildungen der Fit für die Arbeit im Kraftraum ner Piloten-Ausbil- dung werfen die 17 freien Fitnessbranche. „Diese kosten häufig eine Menge frischgebackenen Geld, erfüllen aber nicht die qualitativen Anforderun- Dass mit der Ausbildung auch eine lizenzierte Qualifi- Übungsleiter/-innen gen, die wir als Verband stellen“, so Obst. kation für die Arbeit im Kraftraum geschaffen wurde, B-Fitness ihre sieht Sportlehrer Dauner als wichtig an: „Viele Vereine Pilotenkappen in die Inhaltlich spielen Kraft- und Ausdauertraining eine betreiben einen Kraftbereich, in dem fleißig trainiert Luft! entscheidende Rolle. Neben Klassikern wie Kurz- und wird. Die Leute dort professionell zu betreuen, wurde Bild: lsb h Langhanteltraining, Fitnesstests und Ausdauer-In- über die Ausbildungsinhalte der Übungsleiter C-Lizenz door-Training stellte Dauner auch aktuelle Trends für aber nicht abgedeckt. Bisher war man deshalb auf ei- diesen Belastungsbereich vor, z. B. Tabata, Freestyle, geninitiativen Wissenserwerb der Übungsleiter ange- Functional Training, Sling-, Kettlebell- oder EMS-Trai- wiesen. Mit der neuen Ausbildung auf der zweiten Li- ning. Ergänzend dazu gab es ein Tagesmodul zu Rege- zenzstufe ändert sich das.“ Die 17 Teilnehmer hätten neration und einfachen Methoden der Physiotherapie, passgenaues Wissen dafür erworben. Mit einem eigens wie Kinesio-Taping, Flossing und Faszientraining. Die dafür kreierten Logo könne das schon am Eingang des Teilnehmer waren sich einig: Das gute Mischverhältnis Kraftbereichs dokumentiert werden. von spannender Theorie und zum Teil anstrengender Praxis machten die vollgepackte Zeit sehr kurzweilig. „Mit der Übungsleiter B-Lizenz Fitness haben wir eine weitere Säule in unserer Ausbildung geschaffen, die Tagesmodule bei Vereinen uns qualitativ weiterbringt“, findet auch der zustän- Weitere Informatio- dige Vizepräsident Prof. Dr. Heinz Zielinski. Künftig nen zur Übungsleiter Das lag wohl aber auch am Aufbau der Aufteilung: Ne- wollen Frank Obst und seine Sportlehrer die Ausbil- B-Lizenz Fitness sowie zu weiteren ben einem dreitägigen Basismodul, einem Tageslehr- dung deshalb ein- bis zweimal pro Jahr anbieten. „Bis- Ausbildungen finden gang sowie dem Abschlusstag in der Sportschule des her ist die Resonanz sehr gut. Die nächste Ausbildung Sie in unserer Landessportbundes in Frankfurt standen zwei Tages- im Herbst war bereits im Januar ausgebucht“, sagt Bildungsbroschüre module bei Vereinen auf dem Programm: Beim KSV Obst. Die neuen Teilnehmer, verspricht Ausbilder Dau- unter yourls.lsbh.de/ Langen und der FTG Bockenheim fanden die Teilneh- ner, werden dann von den Erfahrungen der Piloten mit ausbildung2019 mer optimale Praxisbedingungen für spezielle Inhalte den blauen Mützen profitieren. vor. Außerdem zeigten beide Beispiele, wie sich Ver- Isabell Boger SIH 1 6 / 10.08.2019
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