Ein Tool-Set zur Unterstützung einer Gender+-gerechten Stadtplanung
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Ein Tool-Set zur Unterstützung einer Gender -gerechten Stadtplanung + Ergebnisbericht des Forschungsprojekts „Smart through Gender+ ̶ Integration von Gender+ in digitale Stadtplanungs-Tools und Entwicklung eines Tool-Sets für Gender+-gerechte Stadtplanung“
Impressum Universität für Bodenkultur Wien Institut für Landschaftsplanung (Projektleitung) Assoc. Prof.in DIin Dr.in Doris Damyanovic E-Mail: doris.damyanovic@boku.ac.at DI Dr. Florian Reinwald E-Mail: florian.reinwald@boku.ac.at DIin Roswitha Weichselbaumer E-Mail: roswitha.weichselbaumer@boku.ac.at Universität für Bodenkultur Wien Institut für Landschaftsarchitektur Ass. Prof.in DIin Dr.in Dagmar Grimm-Pretner E-Mail: dagmar.grimm-pretner@boku.ac.at DIin Roswitha Weichselbaumer E-Mail: roswitha.weichselbaumer@boku.ac.at AIT Austrian Institute of Technology Dr. Ernst Gebetsroither-Geringer E-Mail: ernst.gebetsroither@ait.ac.at Theresa Fink, MSc. E-Mail: theresa.fink@ait.ac.at DIin Romana Stollnberger E-Mail: romana.stollnberger@ait.ac.at Anna Kozlowska, MSc. E-Mail: anna.kozlowska@ait.ac.at planwind – Büro für Raumplanung und Umweltconsulting in Zusammenarbeit mit dem Büro Tussen Ruimte Dr.in Heidrun Wankiewicz E-Mail: office@planwind.at Dr.in Lidewij Tummers E-Mail: post@tussen-ruimte.nl Raumsinn Mag.a Sarah Untner E-Mail: sarah.untner@raum-sinn.at Zitiervorschlag: Damyanovic, D.; Fink, T.; Gebetsroither- Geringer, E.; Grimm-Pretner, D.; Kozlowska, A.; Reinwald, F.; Stollnberger, R.; Tummers, L.; Untner, S.; Wankiewicz, H.; Weichselbaumer, R. (2021): Ein Tool-Set zur Unterstützung einer Gender+-gerechten Stadtplanung. Ergebnisbericht des Forschungsprojekts SmartThroughGender+ – Integration von Gender+ in digitale Stadtplanungs-Tools und Entwicklung eines Tool-Sets für Gender+-gerechte Stadtplanung, Wien. DOI: 10.5281/zenodo.5763862 Entstanden im Rahmen des Projekts „SmartThroughGender+ – Integration von Gender+ in digitale Stadtplanungs-Tools und Entwicklung eines Tool-Sets für gendergerechte Stadtplanung“ Gefördert im Rahmen des Programms Talente: FEMtech Forschungsprojekte 2017, Projekt-Nr. 866764. Institut für Landschaftsplanung, BOKU Wien Wien 2021
Inhaltsverzeichnis Einleitung 2 Gender+ in der Stadtplanung und räumlichen Entwicklung 3 F ünf Kernthemen einer Gender+-gerechten Stadtplanung und räumlichen Entwicklung 4 Unterschiedliche Ansprüche von Gender+-Gruppen an den Raum 5 Aufbau des Tool-Sets 6 Arbeitsschritte zur Entwicklung des Tool-Sets 7 Einsatz des SMTG+-Tool-Sets 8 Rapid-Assessment-Tool für die Gesamtstadtebene 9 Methoden- und Instrumentenset für vertiefende Analysen auf Stadtteilebene 13 Planerische Erhebungs- und Analysemethoden für den „Blick von außen“ 14 S ozialwissenschaftliche Erhebungs- und Analysemethoden für den „Blick von innen“ 15 Kernthema „Vielfalt“ 16 Kernthema „Vereinbarkeit im Alltag & Sichtbarkeit des versorgenden Alltags“ 17 Kernthema „Autonom mobil“ 18 Kernthema „Körperliche Integrität, Sicherheit und Gesundheit“ 19 Kernthema Durchmischung 20 Rapid-Assessment-Tool für die Stadtteilebene 21 Möglichkeiten und Grenzen des SMTG+-Tool-Sets 25 Mit welchen Methoden und Instrumenten-Sets lassen sich die einzelnen Kernthemen bearbeiten? 26 Quellen und weiterführende Literatur 29 1
Einleitung Städte sind mit einer immer rascheren Veränderung ihrer Bevölkerung, deren Bedürfnisse und der damit verbundenen Anforderungen an die Stadt konfron- tiert. Die Urbanisierung, der aktuelle Migrationsdruck auf europäische Städte und die Heterogenisierung der Bevölkerung stellen die Stadtplanung zunehmend vor große Herausforderungen. Viele Themen wie demografischer Wandel, Verdich- tung, Versorgung mit (grüner) Infrastruktur oder Gestaltung des öffentlichen Raums erfordern eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Anforderungen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und eine Ableitung von Maßnahmen für eine Gender+-sensible1 Stadtplanung. Dies bedeutet eine Berücksichtigung von geschlechts-, alters- und gruppenspezifischen Anforderungen und Auswirkun- gen in allen Planungsaufgaben und -schritten. In der Stadtplanung werden zunehmend digitale Planungs-Tools zur Analyse der Berücksichtigung der unterschiedlichen Anforderungen sozialräumlichen Strukturen und zur Simulation von planerischen Maßnahmen und deren Effekten eingesetzt. Immer mehr soziale und räumliche Daten sind verfügbar, die in diesen Analysen verarbeitet werden können. Den Tools fehlt aller- dings meist eine Integration von geschlechts-, alters- und gruppenspezifischen Aspekten. Eine Verschneidung von sozialen und räumlichen Daten sowie eine geschlechtsspezifisch disaggregierte Datenaufbereitung erfolgen selten, da dazu die (digitalen) Methoden, aussagekräftige Indikatoren oder Ressourcen fehlen. Proof of Concept eines Tool-Sets Hier setzte das Forschungsprojekt „SmartThroughGender+“ (SMTG+) an. Über- geordnetes Ziel des Projekts war die Entwicklung eines Sets an sozialräum- lich orientierten Analyse- und Bewertungsinstrumenten zur Unterstützung einer Gender+-gerechten Stadtplanung, welches die unterschiedlichen Bedürfnisse der vielfältigen Bewohner*innen integriert und geschlechts-, alters- und gruppenspe- zifische Anforderungen berücksichtigt. Das Tool-Set besteht aus i) quantitativen Differenziertes Angebot für unterschiedliche Gruppen digitalen Analyse- und Simulations-Tools sowie ii) qualitativen Methoden und Inst- rumenten aus der Stadt- und Landschaftsplanung, der Landschaftsarchitektur und der Soziologie. Das Forschungsteam erarbeitete ein „Proof of Concept“ für das Tool-Set. Dabei wurde die prinzipielle Anwendbarkeit des Forschungsansatzes und des Tool-Sets beispielhaft anhand einer Fallstudie in der Stadt Linz erprobt. Fallstudie Stadt Linz Im Rahmen der Fallstudie wurde geprüft, wie und ob mit den üblicherweise vorhandenen und verfügbaren Daten, Indikatoren und Merkmale entwickelt werden können, die eine (teilstandardisierte) Analyse und das Monitoring sozialer und räumlicher Strukturen unter Berücksichtigung des Gender+-Ansatzes ermög- lichen. Das Forschungsteam arbeitete dabei auf zwei Maßstabsebenen. Auf der Gesamtstadtebene wurde ein quantitativer Forschungsansatz erprobt, bei dem Gender+-Kriterien anhand verfügbarer Daten in einer programmierten R-gestütz- Wohnungsnahe Freiräume unterstützen den Alltag ten Web-GIS-Applikation abgebildet, analysiert und bewertet wurden. Auf der Stadtteilebene wurden quantitative und qualitative planerische, landschaftsar- chitektoniesche und soziologische Methoden verknüpft. Geprüft wurde, welche Gender+-Kriterien sich auf diesem räumlichen Maßstab durch die Kombination aus der Verarbeitung verfügbarer Daten und eigenen quantitativen und qualitati- ven Erhebungen bearbeiten lassen. Die eigenen Erhebungen erfolgten exempla- risch im Rahmen einer vertiefenden Stadtteilanalyse in einem ausgewählten Linzer Stadtteil, dem Bezirk Bulgariplatz. Die Datenverarbeitung erfolgte mithilfe eines Geografischen Informationssystems sowie der Modellierungssoftware Rhinoceros 3D, erweitert mit dem parametrischen Plug-in Grasshopper. Der vorliegende Bericht dokumentiert die Forschungsergebnisse des Projekts. Er beschreibt den Aufbau und die Funktionsweise des SMTG+-Tool-Sets am Beispiel der durchgeführten Fallstudie in der Stadt Linz und erläutert Anwendungsfälle für Nutzungsmischung unterstützt unterschiedliche Alltage den möglichen Einsatz des Tool-Sets in der Planungspraxis. 1 Der Begriff „Gender“ bezeichnet das soziale Geschlecht und umfasst mehr als die rein biologi- sche Unterscheidung zwischen Mann und Frau. Er bezieht sich auf das anerzogene Geschlecht, gesellschaftliche Erwartungen und Verhaltensnormen (Schiebiger 1999; Hyde et. al. 2018). Der Begriff „Gender+“ beschreibt einen erweiterten Gender-Begriff. Er signalisiert, dass das Geschlecht immer mit weiteren Merkmalen überlagert wird, auf denen strukturelle Ungleichheit basiert, wie zum Beispiel Alter, Herkunft, Hautfarbe, Bildung, Beruf, Behinderung, sexuelle Orientierung oder Religion (Intersektionalität) (Verloo et. al. 2009). 2
Gender+ in der Stadtplanung und Gender+-Planung ... räumlichen Entwicklung? • ... fokussiert auf die Beziehungen und Rollenerwartung unterschiedlicher Bewohner*innengruppen, insbe- Soziale Veränderungsprozesse und die globale Tendenz des Zuzugs von Frauen sondere auf Frauen und Männer mit und Männern2 – jung und alt – aus ländlichen Gebieten in Städte (Saunders 2011), unterschiedlichem/r Alter, Herkunft, sowie der aktuelle Migrationsdruck auf europäische Städte – einerseits von außer- Bildung, Einkommen, Beruf und Le- halb der EU, aber auch innerhalb der Mitgliedsstaaten – stellen Städte zunehmend bensabschnitt. vor große Herausforderungen im Hinblick auf ihre zukünftige Entwicklung und die damit zusammenhängenden räumlichen Veränderungs- und Planungsprozesse. • ... berücksichtigt rollen- und gruppen- Der sozioökonomische, soziodemografische und soziokulturelle Wandel, wach- typische Aktivitäten in der Planung sende Städte, Verdichtung, urbane Sicherheit, Versorgung mit grüner Infrastruktur, und Bewertung von Nutzungsqua- um einige wenige zu nennen, sind alles dringliche Themen unserer Zeit, die eine litäten für die vielfältigen und un- inklusive Entwicklung notwendig machen. terschiedlichen Lebensalltage der Bürger*innen. Ansätze, Theorien und Zugänge, die Städte im Umgang mit • ... macht gesellschaftliche Rahmen- Veränderungen unterstützen bedingungen, Normen und Werthal- tungen in der Planung sichtbar. Um Städte in ihrem sozialen und räumlichen Veränderungsprozess zu unterstüt- zen, gibt es verschiedene planerische und theoretische Ansätze und Modelle, die • ... ist transformativ und zielt auf die helfen, diese Herausforderungen produktiv zu gestalten und sich daraus ergeben- Veränderung von Strukturen, Werthal- de Möglichkeiten und Chancen zu erkennen und zu nutzen. tungen und Planungskonzepten ab. • ... ist partizipativ und gibt unterreprä- Gendersensible Stadtplanung und Gender-Planning sentierten Gruppen eine Stimme im Seit den 1970er-Jahren ist eine zunehmende Berücksichtigung geschlechtsspezifi- Planungsprozess. scher Aspekte in der Planungstheorie und -praxis erkennbar (Damyanovic & Zibell (Damyanovic 2007 adaptiert von Wankiewicz & 2013). Seit der Verankerung der Gender-Mainstreaming Strategie im Amsterdamer Tummers 2018) Vertrag 1997 (Art. 8 AEUV) erfolgt auch eine verstärkte Umsetzung dieser Strate- gie und damit geschlechtsspezifischer Aspekte in der Stadtplanung. In Österreich ist Gender-Mainstreaming seit 1999 eine verbindliche Strategie für alle Politikfelder und für die Verwaltung. Seither werden in Österreich die Auswirkungen plane- Fundamente einer Gender+-Planung rischer Entscheidungen auf gesellschaftliche Gruppen verstärkt berücksichtigt (Damyanovic 2007). Einige europäische Städte haben Leitfäden zur Integration • Gender+-Rollenerwartungen sind geschlechts- und gruppenspezifischer Aspekte in die Stadtplanung und -entwick- sozial gelernt und bewirken Ungleich- lung herausgegeben (u. a. Berlin, Wien). Eine breite Integration von Gender-Main- heit zwischen den Geschlechtern. streaming in der Stadtplanung und -entwicklung ist jedoch bisher größtenteils Das muss geändert werden. nicht erfolgt. • Frauen & Mädchen leisten überwie- gend die unbezahlte Versorgungs- Sozialraumorientierung in der Stadtplanung und Stadtentwicklung und Familienarbeit und das ist unge- Ein zentraler Ansatz vieler Städte, um mit den sozialen Veränderungsprozessen recht. und den damit zusammenhängenden räumlichen und planerischen Herausforde- • Gender+-gerechte Planung orien- rungen umzugehen und eine gendersensible Stadtplanung umzusetzen, ist jener tiert sich an den Anforderungen des der Sozialraumorientierung (Lefebvre 1991; Harvey 2009; Löw 2001). Das Konzept Alltags und an allen Dimensionen der des Sozialraums, also das gemeinsame Denken und das Berücksichtigen der Alltagsarbeit (Erwerbs-, Haus-, Fami- Wechselwirkungen zwischen gebauter Umwelt und unterschiedlichen sozialen lien- und Versorgungsarbeit). Gruppen, ist leitend für das Projekt. • Vielfalt (sozial, familiär, ethnisch, wirt- Soziale und räumliche Gerechtigkeit und Alltagstauglichkeit schaftlich, religiös, baulich-räumlich) ist eine Qualität und bereichert die Das Konzept sozialer und räumlicher Gerechtigkeit (Reinwald 2017) stellt ein Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur in wesentliches Ziel einer nachhaltigen und gendersensiblen (Stadt-)Planung dar. der Stadt und Region. Während klassischerweise Einkommensungleichheit, Landverteilung und Vermö- gensbildung den Mainstream der Planungspraxis und Urbanistik beschäftig- • Alle Menschen, unabhängig von ten (Harvey 2009 [1973]), verfolgt man in den letzten drei Jahrzehnten zuneh- Gender+-Merkmalen, haben das mend auch in der Planung die Perspektive der „Differenz“, indem Aspekte wie Recht auf gute Lebensbedingungen Geschlecht, Herkunft, Religion, Fähigkeiten, Alter und sexuelle Orientierung und Mitgestaltung ihrer Stadt oder Berücksichtigung finden (siehe u. a. Fainstein 2010; Hall 2012). Soziale und Region. räumliche Gerechtigkeit werden durch den planerischen Ansatz gefördert, Stadt • Herausforderungen wie die Energie- und Infrastruktur aus der Alltagsperspektive zu betrachten. Der Ansatz orientiert wende, Klimawandelanpassung oder sich an der subjektiven Alltagserfahrung der Menschen und hat zum Ziel, den technologischer und sozialer Wandel Lebensalltag zu erleichtern, indem alle Formen der Alltagsarbeit (Erwerbs-, Haus-, sind nur gemeinsam mit allen schaff- Familien- und Versorgungsarbeit) räumlich-organisatorisch unterstützt werden bar. (Horelli & Wallin 2013; Gilroy & Booth 1999; Horelli & Vepsä 1994). 2 Wenn im Bericht von „Frauen und Männern“ geschrieben wird, sind stets auch andere Geschlech teridentitäten mitgemeint. Das Sternchen in den Personenbezeichnungen (z. B. Expert*innen) symbolisiert, dass sowohl Männer als auch Frauen und ebenso jene Personen angesprochen sind, 3 die sich in einem binären System mit zwei Geschlechtern nicht wiederfinden.
Fünf Kernthemen einer Gender+-gerechten Stadtplanung und räumlichen Entwicklung Um die Themen und Kriterien einer Gender+-gerechten Stadt Stadtplanung identifiziert werden. Jedem der hier beschrie- beschreiben zu können, wurden fünf forschungsleitende benen Kernthemen ist ein planerisches Leitbild zugeordnet, Kernthemen formuliert. Die Kernthemen sind Ergebnis einer welches die Vision und Zielsetzung einer Gender+-gerechten Auswertung von Literatur (u. a. Tummers & Wankiewicz 2020; Stadtplanung beschreibt und die zugrundeliegenden Wert- MacGregor & Tummers 2019; Tummers et. al. 2019; Wanki- haltungen offenlegt. Die fünf Kernthemen konkretisieren die ewicz 2016; Tummers & Zibell 2012) und aktueller Planungs- theoretischen Grundlagen und Prinzipien einer Gender+-Pla- handbücher europäischer Städte, welche die thematische, nung für eine Bewertung der Stadträume und die Ableitung prozessuale und institutionelle Umsetzung einer geschlech- von stadtplanerischen Handlungsmöglichkeiten. Mit den fünf tergerechten räumlichen Entwicklung „in den Mainstream“ Kernthemen und den Gender+-Gruppen (siehe S. 5) setzt brachten (Stadt Wien 2013; Stadt Berlin 2011a & b; Stadt das Forschungsprojekt das theoretische Fundament einer Barcelona 2015; Stadt Paris 2017). In einem Vergleich der Gender+-gerechten Stadtplanung in die Praxis der räumli- zugrundeliegenden planerischen Leitbilder konnten fünf chen Planung und Entwicklung um. europaweit gemeinsame Themen einer Gender+-gerechten Kernthema „Vielfalt“ Das Kernthema umfasst die Vielfalt der Menschen, die Planungsprozesse mitgestalten und die von Planungspro- jekten und Stadtentwicklung betroffen sind (Geschlecht, Alter, Lebensphase, Einkommen und kulturelle Identität, Sorgepflichten oder Sorgeabhängig- keit, etc.). Die Diversität der städtischen Kernthema „Durchmischung“ Gesellschaft (Bewohner*innen und Kernthema „Vereinbarkeit im Nutzer*innen einer Stadt) soll in allen Alltag & Sichtbarkeit des versor- Im Fokus steht die Durchmischung der Phasen eines Planungsprozesses von genden Alltags“ städtebaulichen Struktur, der Grün- und der sozioökonomischen Analyse bis zur Freiraumstruktur, der Wohnungstypologi- Zielgruppendefinition vertreten sein. Im Mittelpunkt dieses Kernthemas steht die en sowie der Funktionen und Nutzungen Vereinbarkeit der beruflichen Tätigkeit und im Stadtteil. Im Gegensatz zu baulicher Planungsleitbild familiären Versorgungsarbeit für sorgebe- „Partizipative Stadt/Region“ und sozialer Homogenität, soziokulturel- dürftige oder sorgeabhängige Personen. ler Segregation und Monofunktionalität Stadtplanung trägt zur Selbstständigkeit trägt Durchmischung zu vielfältig beleb- von Personen mit Sorgebedarf und zur ten Räumen und langfristiger Resilienz Erleichterung des Alltags für Personen bei. Aufgabe der Stadtplanung ist die mit Sorgepflichten (Care-Givers) durch Schaffung einer feinmaschigen funktio- die Ausstattung der Stadt mit Nahversor- nalen Vielfalt und Nutzungsvarietät, wo gungs-, Betreuungsangeboten und ande- alle einen Platz finden können. ren Alltagsinfrastrukturen bei. Planungsleitbild Planungsleitbild „Lebendige Stadt/Region“ „Stadt/Region der kurzen Wege“ Kernthema „Körperliche Integri- Kernthema „Autonom mobil“ tät, Sicherheit und Gesundheit“ Im Mittelpunkt dieses Kernthemas stehen die Qualität und die barrierefreie Das Kernthema umfasst objektive Risi- (räumliche) und chancengleiche (sozi- ken, subjektives Wohlbefinden und die ale) Zugänglichkeit der Wegenetze, der Wahrnehmung von Gefahren. Einerseits Grün- und Freiräume und des öffentli- haben Umweltfaktoren (Lärm, Staub, chen Verkehrs. Damit eng verbunden Schmutz), sowie baulich-räumliche und sind die barrierefreie Erreichbarkeit und gestalterische Faktoren Einfluss auf die Zugänglichkeit von Alltagsinfrastruk- Gesundheit und das Wohlbefinden der tureinrichtungen sowie Grün- und Frei- Bewohner*innen. Zusätzlich sind die räumen. Menschen aller Geschlechter, Wahrnehmung der Bewohner*innen und Lebensalter, Herkunft und Gesundheit ihre subjektive Sicht auf diese Faktoren können sich frei und unabhängig in der relevant. Stadt bewegen. Planungsleitbild „Inklusive & offene Stadt/Region“ Planungsleitbild „Zugängliche Stadt/Region“ 4
Unterschiedliche Ansprüche von Gender+-Gruppen und ihre Gender+-Gruppen an den Raum Anforderungen Die Ansprüche der Bewohner*innen an die Ausstattung einer Stadt mit Alltags- Körperlich beeinträchtigte Menschen infrastrukturen (Nahversorgung, Betreuungs-, Bildungs- und Freizeitangeboten, Diese Gruppe umfasst Frauen und Grün- und Freiräumen) sind abhängig von der Alltagssituation und sind daher Männer in allen Altersstufen, mit sehr unterschiedlich (Damyanovic 2007). Um die verschiedenen Ansprüche an die unterschiedlichen Behinderungen und Stadt abzubilden, nutzt das SMTG+-Tool-Set Indikatorgruppen (sogenannte Ansprüchen an die barrierefreien Stadt- „Gender+-Gruppen“), die unterschiedliche Tagesabläufe repräsentieren und eine räume und Infrastrukturen. Bei Erwerbs- Ableitung von Ansprüchen erlauben. tätigkeit benötigen sie mobile Dienste oder ein Tageszentrum. Aus Gender-Planungshandbüchern (Stadt Paris 2017; Stadt Barcelona 2015; Stadt Wien 2013; Stadt Berlin 2011a, 2011b) sowie nationalen und internationalen Studi- Kinder zwischen 0 und 14 Jahren en (Eurofound 2012) und Forschungsergebnissen (Klünder & Meier-Gräwe 2017; Mädchen und Buben (vor allem Babys Panova et al. 2017; Horelli 2010) wurden fünf Dimensionen identifiziert, die die und Kleinkinder) sind besonders Rigidität und Flexibilität von Tagesabläufen von Menschen bestimmen, unabhän- sorgeabhängig. Aber auch Kinder im gig von Geschlecht oder Nationalität: schulpflichtigen Alter sind auf Betreu- ungspersonen angewiesen. Gut nutz- • Sorgeabhängigkeit: Sorgeabhängige Personen sind Kinder oder Erwachsene, bare gebäudebezogene Freiräume, die begleitet werden müssen, für die (teilweise) gekocht oder eingekauft wird Spielplätze, öffentliche Grün- und oder die sonstige Hilfe im Alltag brauchen. Freiflächen und sichere Straßen im • Sorgepflicht: Menschen mit Sorgepflichten (Care-Givers) sorgen für Kinder Wohnumfeld sowie qualitätsvolle Schu- oder Erwachsene. Sie sind zeitlich sehr eingeschränkt und von den Angeboten len und Kinderbetreuungseinrichtungen an Alltagsinfrastruktureinrichtungen, kombinierbaren Erledigungen (Wegeket- beeinflussen ihre Lebensqualität. ten) und von den Bedürfnissen der Menschen, für die sie sorgen, abhängig. Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren • Erwerbstätigkeit: Tagesabläufe und damit die Möglichkeiten für flexible Alltags- Junge Frauen/Männer, die teils gestaltung und Alltagswege hängen vom Umfang der Erwerbstätigkeit oder autonom, teils sorgebedürftig sind, auch einer unbezahlten ehrenamtlichen Tätigkeit (z. B. Verein) ab. Unterschie- brauchen eine große Bandbreite an den wird zwischen Vollzeit- oder Teilzeit-Erwerbstätigen, geringfügig oder nicht Bildungs-, Ausbildungs-, Freizeit- und erwerbstätigen Personen. Einkaufsangeboten sowie Freiräumen • Einkommen: Das Einkommen bestimmt über die Möglichkeiten für den Zukauf – auch außerhalb des Stadtteils. von Versorgungs-, Betreuungs- oder Mobilitätsleistungen und beeinflusst wiederum die Spielräume im Alltag. Einkommen hängt häufig (aber nicht zwin- Menschen mit Sorgepflichten für Kinder gend) vom Umfang der Erwerbstätigkeit ab. Menschen, die alleine, als Paar oder als • Mobilitätseinschränkung: Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen (Seh- oder Mehrgenerationenfamilie für eine unter- Hörbehinderung), Gehbehinderungen, Lernschwierigkeiten oder mehrfachen schiedliche Zahl von Kindern sorgen, Behinderungen sind von wohnungsnahen Alltagsinfrastrukturangeboten sowie brauchen familienstützende Alltagsinf- barrierefreien Wegen und Mobilitätsangeboten abhängig. rastrukturen in guter Erreichbarkeit und eine gute, wohnungsnahe Versorgung Die Faktoren Sorgepflicht, Erwerbstätigkeit und Einkommen sind von geschlechts- mit Grün- und Freiräumen. spezifischen Unterschieden gekennzeichnet. Aufgrund der geschlechtsspezifi- schen Arbeitsteilung in Österreich und in der EU (Eurofound 2012) haben Frauen Menschen mit Sorgepflichten für pflege- derzeit häufiger Sorgepflichten, können aufgrund fehlender familienentlastender bedürftige Erwachsene/Senior*innen Alltagsinfrastrukturangebote seltener vollzeiterwerbstätig sein als Männer. Sie „Pflegende Angehörige“ oder 24-Stun- verfügen daher im Erwerbsalter – und noch deutlicher im Pensionsalter – im den-Betreuer*innen (in der Regel Schnitt über ein deutlich niedrigeres Einkommen als Männer (Statistik Austria Frauen) brauchen gut erreichbare 2020; Trapez 2020). Versorgungsangebote im Wohnumfeld und qualitätsvolle Grün- und Freiräume Die Gender+-Gruppen charakterisieren sich durch einzelne oder eine Kombination für Begleitwege. dieser Dimensionen. Das SMTG+-Tool-Set nutzt Gender+-Gruppen zur systemati- schen Prüfung einer Stadt oder eines Stadtteils nach den unterschiedlichen Anfor- Senior*innen derungen im Alltag. Die Gruppenbeschreibungen sollen den besonderen Infra- Senior*innen können autonom sein, strukturbedarf und stadträumliche Anforderungen aufzeigen und abstrahieren. sorgebedürftig oder sorgeabhängig, allein oder mit anderen leben und auch Im Forschungsprojekt wurden unterschiedliche Zugänge für die Auswahl für andere sorgen. Mobilitätseinschrän- der Indikatorgruppen gewählt. Da in den amtlichen Statistiken teilweise keine kungen und kleinere Bewegungsra- geschlechts-, alters- oder gruppenspezifische Disaggregierung vorhanden ist und dien sind bei Hochbetagten häufiger die Dimensionen Sorgeabhängigkeit und Mobilitätseinschränkung kaum abgebil- (Sammer & Röschel o. J.). Je nach det sind, mussten für die statistischen Analysen andere Merkmale zur Abgrenzung Alter, motorischen Fähigkeiten und verwendet werden.3 Die Auswahl der Gender+-Gruppen für die vertiefende Stadt- Lebenssituation können ihre Ansprüche teilanalyse orientierte sich an den oben beschriebenen Dimensionen und war von variieren. der Erreichbarkeit der Gruppen bestimmt. Mögliche Indikatorgruppen und ihre Anforderungen sind in der Infobox rechts beschrieben. 3 In den statistischen Analysen wurden daher die Merkmale Alter, Geschlecht, Nationalität, Erwerbs- status, Familienstand und Betreuungspflichten kombiniert (siehe S. 16). 5
Rapid-Assessment-Tool auf Aufbau des Tool-Sets Gesamtstadtebene Das SMTG+-Tool-Set besteht aus einer Kombination aus digitalen Analyse- und Das Tool ist eine R-basierte Simulations-Tools sowie planerischen und sozialwissenschaftlichen Methoden, die Web-GIS-Applikation, die das Zusam- auf unterschiedlichen Maßstabsebenen zum Einsatz kommen. Ziel des Tool-Sets menspiel zwischen Sozialstruktur ist die Unterstützung einer Gender+-gerechten Stadtplanung, indem Qualitäten und Alltagsinfrastrukturversorgung und Defizite aus Sicht der Gender+-Gerechtigkeit identifiziert werden und Hand- quantitativ anhand verfügbarer sozio lungsbedarf abgeleitet wird. demografischer und räumlicher Daten analysiert und bewertet. In Die fünf Kernthemen der Gender+-gerechten Stadtplanung als theoretisches einem Analyseraster von 250 x 250 m Fundament des SMTG+-Tool-Sets wird die räumliche Verteilung von Gender+-Gruppen analysiert und mit Die Kernthemen einer Gender+-gerechten Stadtplanung (siehe S. 4) bilden das quantitativen Versorgungs- und Erreich- theortetische Fundament des SMTG+-Tool-Sets. Sie geben die Inhalte für die barkeitsanalysen notwendiger Alltags- Funktionen des Tool-Sets vor und definieren die Kriterien für die Analyse und infrastruktur und Grün- und Freiräumen Bewertung der Gender+-Gerechtigkeit. Die fünf Kernthemen werden durch das kombiniert. Siehe S. 9–12. gesamte Tool-Set berücksichtigt und in die Analysen mit einbezogen. Kombination aus planerischen und sozialwissenschaftlichen, quantitativen und qualitativen Methoden sowie digitalen und analogen Instrumenten Methoden- und Instrumentenset Methodisch orientiert sich das SMTG+-Tool-Set an der Funktions- und Sozialraum für die vertiefende Stadtteilanalyse analyse, einem Instrument zur Analyse der Wechselwirkungen zwischen physi- Auf Stadtteilebene kommen qualitative schen, sozialen und funktionalen Aspekten des Raums (Damyanovic et. al. 2018). Instrumente aus der Stadt- und Land- Die Funktions- und Sozialraumanalyse zeichnet sich durch eine Kombination aus schaftsplanung, der Landschaftsarchi- planerischen und sozialwissenschaftlichen, quantitativen und qualitativen Metho- tektur und der Soziologie zum Einsatz. den aus, die eine gleichwertige Berücksichtigung der räumlichen und sozialen Sie dienen der Erhebung und Analyse Perspektive ermöglicht. Das SMTG+-Tool-Set übernimmt diese methodischen jener sozialräumlichen Aspekte, die rein Säulen und fokussiert zusätzlich auf die Verknüpfung digitaler und analoger Inst- mithilfe verfügbarer Daten und digitaler rumente. Es lotet aus, wie digitale Instrumente und digitale Daten sozialräumliche Rapid-Assessment-Tools nicht erfasst Erhebungs- und Analyseschritte unterstützen können. werden können. Planerische und land- schaftsarchitektonische Methoden Mehrere Bearbeitungsebenen: Gesamtstadt, Stadtteil und Baublock (Kartierungen, Aufnahmen, Gestalt Das SMTG+-Tool-Set arbeitet auf mehreren räumlichen Maßstabsebenen in unter- analysen etc.) erfassen die räumliche schiedlichem Detaillierungsgrad. Auf Gesamtstadtebene können quantitative Struktur, die Gestaltung öffentlicher Analysen in einem groben Analyseraster erfolgen. Die Analyseergebnisse können Grün- und Freiräume und stellen den Orte im Stadtgebiet identifizieren, die erste Merkmale von Gender+-Ungleichheiten Bezug zum physischen Raum her aufweisen und für detailliertere Untersuchungen relevant sein können. Auf Stadt („Blick von außen“). Sozialwissenschaft- teilebene können in einem nächsten Schritt vertiefende quantitatitve und qualita- liche Methoden (Interviews, Workshops, tive Analysen stattfinden. Je nach Fragestellung können zusätzlich gezielte Erhe- Gender-Walks etc.) erheben die Sicht bungen und Analysen ausgewählter öffentlicher Freiräume oder Baublöcke auf der Bewohner*innen und Nutzer*innen detailliertem räumlichen Maßstab durchgeführt werden. auf das Untersuchungsgebiet sowie deren Anforderungen („Blick von in- Bestandteile des Tool-Sets nen“). Siehe S. 13–20. Auf der Gesamtstadtebene kommt ein digitales Rapid-Assessment-Tool in Form einer im Projekt programmierten R-gestützten Web-GIS-Applikation zum Einsatz, das die Sozialstruktur und die Alltagsinfrastrukturversorgung quantitativ analy- siert und bewertet. Auf der Stadtteilebene kombiniert das Tool-Set ein digitales Rapid-Assessment-Tool auf Rapid-Assessement-Tool mit analogen Erhebungs- und Analyseinstrumenten. Stadtteilebene Letztere bezeichnen planerische, landschaftsarchitektonische und soziologische Das Tool wurde in der Modellierungs- Methoden für die vertiefenden Untersuchungen im Stadtteil. Die Aufbereitung der software Rhinoceros 3D, erweitert mit erhobenen Daten erfolgt mithilfe eines Geografischen Informationssystems sowie dem parametrischen Plug-in Grasshop- mithilfe eines Tools, das mit der Modellierungssoftware Rhinoceros 3D und dem per, entwickelt. Es ermöglicht interak- parametrischen Plug-in Grasshopper entwickelt wurde. tive Verknüpfungen vorhandener und selbst erhobener Daten, dynamische Synthese und Ableitung von Handlungsbedarf Visualisierungen auf kleinräumiger Das SMTG+-Tool-Set kann Qualitäten und Defizite im Hinblick auf Kriterien einer Maßstabsebene (Stadtteil, Baublock) Gender+-gerechten Stadtplanung ermitteln und Handlungsbedarf identifizieren. sowie Darstellungen in Themenkarten. Auf Gesamtstadtebene erfolgt die Bewertung quantitativ in Form eines „Gender+ Auch Berechnungen der Alltagsinfra- Scores“ (siehe S. 9). Dieser zeigt, wo sich Gender+-Ungleichheiten befinden. Die strukturversorgung sowie Modellierun- Analysen auf Stadtteilebene ermöglichen vertiefender, Gender+-Ungleichheiten zu gen von Alltagswegen sind möglich. erkennen. Der Blick auf gängige Planungsdokumente (wie Stadtentwicklungskon- Siehe S. 21–24. zepte, Masterpläne oder sektorale Fachkonzepte) zeigt, ob in Gebieten mit Hand- lungsbedarf auch Handlungsspielraum für planerische Maßnahmen besteht. 6
Arbeitsschritte zur Entwicklung des Tool-Sets Die nachstehende Abbildung zeigt den Arbeitsablauf und mentenset für die vertiefende Analyse auf Stadtteilebene) das die durchgeführten Arbeitsschritte im Forschungsprojekt. SMTG+-Tool-Set. Der Arbeitsablauf kann als Orientierung für Losgelöst von der Fallstudie bilden die dabei entwickelten den Prozessablauf beim Einsatz des Tool-Sets in der Planung und erprobten Tools (digitale Rapid-Assessment-Tools auf dienen. Gesamtstadt- und Stadtteilebene und Methoden- und Instru- 7
Einsatz des SMTG+-Tool-Sets Einsatzmöglichkeiten des Tool-Sets Flächenwidmungsplänen kann das Tool-Set als Instrument in der Raumforschung eingesetzt werden – zum Beispiel für Das SMTG+-Tool-Set kann Planer*innen und Entscheidungs- die Erhebung sozialräumlicher Entwicklungstrends oder für träger*innen bei Planungsaufgaben unterstützen. Es dient dem Bedarfsscreenings. Im Rahmen der Entwicklung städtebauli- Informationsgewinn über einen Bearbeitungsraum unter Berück- cher Masterpläne kann es bei der Prüfung der Qualitäten der sichtigung gruppen-, alters- und geschlechtsspezifischer All- umgebenden Bereiche und bei der Ableitung von Anforderun- tagsanforderungen. Auch bei der Prüfung der Auswirkung gen an den neuen Stadtteil unterstützen. Das Tool-Set eignet planerischer Entscheidungen auf unterschiedliche Gruppen sich außerdem für die Bedarfs- und Standorteinschätzungen kann das SMTG+-Tool-Set helfen. Es bezieht qualitative und von technischer, sozialer und grüner Infrastruktur – z. B. für die quantitative soziale und räumliche Informationen aufeinander Verortung eines neuen Stadtteilzentrums oder einer öffentlichen und unterstützt die Interpretation sozialer und räumlicher Struk- Parkanlage. Für unterschiedliche Fachplanungen kann das turen. Tool-Set als Analyse- und Planungswerkzeug dienen; etwa zur Planungsaufgaben und planerische Fragestellungen Erstellung von Anforderungsprofilen, zur Verortung von Halte- stellen oder Querungen oder zur Maßnahmensimulation in Das SMTG+-Tool-Set kann für unterschiedliche Planungsauf- der Mobilitätsplanung. Bei der Gestaltung von Parks, Plätzen, gaben und planerische Fragestellungen eingesetzt werden. Straßen oder sonstigen öffentlichen Freiräumen unterstützt es Es arbeitet analytisch und planerisch und eignet sich sowohl die differenzierte Analyse der Anforderungen unterschiedlicher für Analysen im Bestand als auch für Prognosen im Neubau. Gruppen. Dies fördert einen zielgerichteten Ressourceneinsatz Bei der Erstellung von örtlichen Entwicklungskonzepten oder und wirkt möglichen Nutzungskonflikten entgegen. Planungsaufgabe bzw. planerische Fragestellung Ausarbeiten der Ziele und Inhalte der Analyse Auswahl der Vertiefungsschwerpunkte aus den fünf Kernthemen und der Methoden aus dem Methodenset Durchführung Analyse Rapid-Assessment-Tool Gesamtstadtebene SMTG+-TOOL-SET Vertiefende quantitative und qualitative soziale, räumliche und gestalterische Analysen auf Stadtteilebene „Blick von innen“ „Blick von außen“ Perspektive der Bewohner*innen Forscher*innenperspektive und Nutzer*innen landschaftsarchitektonische und sozialwissenschaftliche Methoden planerische Methoden Rapid-Assessment-Tool Stadtteilebene Ergebnisinterpretation und -triangulation Ableiten von Maßnahmen bzw. Empfehlungen Umsetzen und Monitoren der Maßnahmen 8
Rapid-Assessment-Tool für die DemographicScore Gesamtstadtebene (Demografie-Score) Verwendet soziodemografische Das Tool kombiniert die räumlichen Verteilung der verschiedenen Gender+-Grup- Statistik-Austria-Daten zur Analy- pen mit ihrer gruppenspezifisch differenzierten Nachfrage nach Alltagsinfrastruktur se der Bevölkerungsstruktur und und Grün- und Freiräumen. Dies bedeutet eine Kombination von drei Faktoren, der räumlichen Verteilung einzelner sogenannten Scores: einem demografischen Score, einem Infrastruktur-Score Gender+-Gruppen. Der Demogra- und einem Grün- und Freiraum-Score. Die Kombination der drei einzelnen Scores phicScore bildet die Basis für die ergibt den sogenannten Gender+Score, einen einzigartigen Key-Performance-Indi- Analyse von Nachfrage vs. Angebote cator (KPI), um zu untersuchen, wie die Nachfrage und das Angebot übereinstim- beim Infra- und SpatialScore und wird men. in drei Gruppen (low, medium, high) angegeben. + Soziodemografische Daten (Nachfrage) Infrastruktur- Grün- und Daten (POIs) Freiraum-Daten InfraScore (Angebot) (Angebot) (Infrastruktur-Score) Analysiert die Verteilung des Infra- strukturangebots für die verschiede- DemographicScore InfraScore SpatialScore nen Gender+-Gruppen. Ermöglicht (Nachfrage) (Nachfrage vs. Angebot) (Nachfrage vs. Angebot) eine flexible Kombination der einzel- nen Infrastrukturkategorien und bietet eine hohe Flexibilität in den Analysen. + Gender+Score (Nachfrage vs. Angebot) Welche Daten werden für die Analysen verwendet? SpatialScore Um die Nachfrage verschiedener Gender+-Gruppen nach Infrastruktureinrichtun- (Grün- und Freiraum-Score) gen (Points of Interest, POIs) und Grün- und Freiräumen, sowie das räumliche Angebot der Alltagsinfrastruktur auf gesamtstädtischer Ebene quantitativ zu analy- Ermöglicht eine quantitative Analyse sieren, wurden verschiedene Datenquellen untersucht. Der Fokus lag dabei auf der Erreichbarkeit von Freiräumen allgemein verfügbaren Daten, um die Methodik einfach auf andere Städte übertra- verschiedener Größenkategorien und gen zu können. Eine gute Verfügbarkeit und eine standardisierte Form der Daten- kombiniert diese zu einem Score, sätze ist essenziell für die automatisierte Verarbeitung und Analyse der Daten. wobei die einzelnen Größenkategorien Neben der flächendeckenden Verfügbarkeit sind regelmäßige Aktualisierungen unterschiedlich gewählt und gewichtet der Daten eine wesentliche Voraussetzung. Als besonders hilfreich erwiesen sich werden können. Datensätze, welche die Entwicklung in Städten über einen Zeitraum von mehreren = Jahren abbilden. Im Forschungsprojekt wurden für die Analysen demografische Daten und Standortdaten zu ausgewählten Infrastruktureinrichtungen verwendet. Für die soziodemografischen Analysen wurden die Daten der nationalen Statis- tikbehörde (Statistik Austria) in einer Zellauflösung von 250 m x 250 m verwendet. Eine Vielzahl von statistischen Merkmalen (Familie, Haushalt, Erwerbsstatus etc.), bildet die Bevölkerungsstruktur auf einem österreichweit verfügbaren Raster ab.5 Gender+Score Für die Analyse des Angebots und der räumlichen Verteilung der Alltagsinfrastruk- Kombiniert Demographic-, Infra- tur (erfasst anhand von POIs) wurden Vergleiche zwischen verschiedenen Daten- und SpatialScore und analysiert quellen durchgeführt. Die unterschiedlichen Klassifizierungsschemata innerhalb die Nachfrage der verschiedenen der Datensätze bilden eine Herausforderung für die Auszählung und den Vergleich Gender+-Gruppen nach Alltagsinfra- von Merkmalen (Hochmair & Zielstra 2013). Ein Vergleich der Datensätze zeigte, struktur (POIs) sowie nach Grün- und dass nicht nur die Lage der Punktdaten variiert, sondern auch die Anzahl der POIs Freiräumen und das Angebot auf der im Stadtgebiet. Für die allgemeine Erreichbarkeit in einem 250x250-m-Raster ist Gesamtstadtebene. die geographisch exakte Lage auf wenige Meter Abweichung vernachlässigbar, die Vollständigkeit der Datensätze ist jedoch ein wesentliches Qualitätskriteri- um. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich die Validierung der Daten als notwendiger Schritt für eine repräsentative Aussage der Analysen. Für das Projekt wurden TomTom-Daten zusammen mit Open-Government-Daten (OGD) sowie selbst erhobenen Daten verwendet. 5 iehe auch Auswahl der Gender+-Gruppen (S. 5) und Abbildung dieser Gruppen durch statistische S Merkmale (S. 16). 9
Welche Analysekarten können erstellt werden? Das Rapid-Assessment-Tool auf der Gesamtstadtebene bietet hauptsächlich drei Möglich- keiten, Analysekarten zu erzeugen: (i) Mittels Layervergleich können z. B. die Statistik-Austria-Daten (soziodemografische Daten der 250 m Rasterzellen) verglichen werden. Zudem können auch eigene räum- liche Daten (als ESRI-Shapefiles) in das Tool zur Analyse hochgeladen werden. Des Weiteren steht eine einfache statistische Auswertung der Daten im Tool zur Verfügung. (ii) Der InfraScore bietet eine flexible Möglichkeit zur Analyse verschiedener Alltags- infrastruktureinrichtungen (z. B. Apotheken, Schulen, ÖV-Haltestellen) aus den TomTom-Daten oder Open-Government-Data und ermöglicht, diese beliebig mitei- nander zu kombinieren. Dabei kann die Analysedistanz im Tool dynamisch gewählt werden. (iii) Der Gender+Score ist das eigentliche Kernstück des Analysetools auf der Gesamt stadtebene. Darin werden der DemographicScore, der InfraScore und der Spatial Score miteinander kombiniert. Die Alltagsinfrastruktureinrichtungen können dabei im Unterschied zum reinen InfraScore(ii) nach gruppenspezifischen Bedürfnissen gewich- tet kombiniert werden. Dazu wurde eine spezielle alphanumerische Klassifizierung (Legende) integriert, die eine Interpretation der Gender+Score-Karten erleichtert. ! Eine weiterführende Ergebnisdarstellung und Dokumentation Dokumentation des Tools ist unter Die Web-GIS-Applikation ermöglicht eine Betrachtung und interaktive Analyse der einzel- https://cities.ait. nen Ergebniskarten im Webbrowser. Dazu wurde ein User-Interface programmiert, das ac.at/projects/smtg/ ermöglicht, Karten synchron darzustellen oder zu verändern (zoomen und verschieben), Gesamtstadtebene/ um die Analyse zu unterstützen. Zur Dokumentation der durchgeführten Analysen können SMTG+_Explorer.html die Ergebniskarten als ESRI-Shapefiles exportiert werden. Des Weiteren ist es möglich, zu finden. auf Knopfdruck komplexe HTML-Berichte6 zu erstellen, welche heruntergeladen werden können und außerhalb des Tools eine interaktive Betrachtung ermöglichen. Layervergleich © AIT, eigene Berechnungen, Quellen Hintergrund: Data by OpenStreetMap contributors CC BY-SA 2.0, Map tiles by Stamen Design CC BY 3.0. Das Analysetool des Layervergleichs ermöglicht es, verschiedene Attribute gemeinsam zu betrachten. Die Daten können gefiltert werden, um z. B. zu untersuchen, ob zwischen verschiedenen demografischen Gruppen ein statisti- scher Zusammenhang besteht. Die Abbildung zeigt die Verteilung der männlichen Bevölkerung über 70 Jahren links und jene der weiblichen Bevölkerung über 70 Jahren rechts. Mit der Funktion des Layervergleichs können auch komplexere Vergleiche durchgeführt werden:, z. B.: Wo befinden sich öffentliche WCs (Open-Government-Data) in der Nähe von Parks und Erholungsflächen (TomTom-Daten). Zudem können eigene GIS-Daten in die Web-Applikati- on als Shapefiles hochgeladen werden. 6 TML-Berichte sind HTML-Files die alle Informationen (Karten und Text) enthalten und interativ in einem Webbrowser betrachtet werden H können. Die dazu verwendete Technik ist R markdown: https://rmarkdown.rstudio.com/index.html. 10
InfraScore © AIT, eigene Berechnungen, Quellen Hintergrund: Data by OpenStreetMap contributors CC BY-SA 2.0, Map tiles by Stamen Design CC BY 3.0. Die interaktive InfraScore-Berechnung, als eigenständige Berechnungsvariante gegenüber der spezifischen Infra- strukturberechnung im Gender+Score, bietet eine flexible Art und Weise, verschiedene Infrastruktureinrichtungen (z. B. Schulen, Apotheken, Kinderspielplätze...), abgebildet in Form von Points of Interest, miteinander zu verknüp- fen. Dabei kommen verschiedene Datenquellen zum Einsatz: zum einen gekaufte TomTom-Daten, zum anderen frei verfügbare OGD. Die POIs können in verschiedenen Distanzen zu den 250-m-Rasterzellen analysiert werden. Die einzelnen POIs aus den TomTom-Daten sowie den OGD werden nicht gewichtet und die zwei numerischen Indizes (TomTom & OGD) werden zum InfraScore-Index aufsummiert. Gender+Score © AIT, eigene Berechnungen, Quellen Hintergrund: Data by OpenStreetMap contributors CC BY-SA 2.0, Map tiles by Stamen Design CC BY 3.0. Beim spezifischen Gender+Score wurde eine andere Klassifizierung zur Kombination der Einzelkarten verwen- det, die sich aus einer Kombination von jeweils drei Klassen (a, b, c) für den DemographicScore, (A, B, C) für den gewichteten InfraScore und (1, 2, 3) für den gewichteten SpatialScore ergibt. Zusätzlich wurde „0“ für Gebiete ohne Nachfrage hinzugefügt. Dadurch kann die Ursache für die Gender+Score-Klasse (z. B. Aa1, Ca1 ...) eindeutig abge- leitet werden (mehr Information dazu in Gebetsroither-Geringer et al. 2020). 11
Gender+Score © AIT, eigene Berechnungen, Quellen Hintergrund: Data by OpenStreetMap contributors CC BY-SA 2.0, Map tiles by Stamen Design CC BY 3.0. Neben der kombinierten Angebots- und Nachfrageanalyse mit dem Gender+Score sind auch die einzelnen Karten (Demographic-, Infra- sowie SpatialScore) im Analysetool verfügbar, welche in der Abbildung dargestellt sind. Zudem wird die Ergebniskarte des Gender+Scores (Kombination des Demographic- Infra- und SpatialScores) ange- zeigt. Die Cursorbewegung ist dabei in allen vier Karten synchronisiert, um die Analyse für die User*innen zu verein- fachen. Potenzial und Weiterentwicklung Das Rapid-Assessment-Tool auf der Gesamtstadtebene wurde als Web-GIS-Ap- plikation mittels R und Shiny entwickelt. R ist eine freie Softwareumgebung für statistische Berechnungen und Grafiken. Shiny ist ein R-Paket (von R-Studio), mit dem sich interaktive Webanwendungen direkt aus R erstellen lassen. Die Web-GIS-Applikation ist modular aufgebaut und kann somit einfach erweitert werden. Während des Projektes wurden Analyse-Features entwickelt, die für den Einsatz in der Gender+-gerechten Stadtplanung als sinnvoll erachtet wurden und auf einer guten Datenverfügbarkeit aufbauen. Ziel war, ein Expert*innentool für Stadtplaner*innen zu entwickeln, die sich in die Berechnungslogik des Tools eingearbeitet haben, bevor sie es im Planungspro- zess einsetzen. Das Analysetool ist daher nicht selbsterklärend. Die hohe Flexi- bilität (es können z. B. eigene Shapefiles hochgeladen werden) ermöglicht es, vorhandene und vorab bearbeitete Daten mit neuen Daten zu vergleichen. Die Web-GIS-Applikation läuft auf einem Entwicklungsserver des Austrian Institute of Technology (AIT), kann jedoch auch relativ einfach auf andere Server übertragen werden. Für einige Features des Tools wäre auch die Erstellung einer Desktop-Ap- plikation möglich. Mögliche Weiterentwicklungen beinhalten v. a. die Aufnahme neuer Datenquellen und eine Analyse der zeitlichen Dynamik – z. B. durch den Vergleich der demo- grafischen Entwicklung aus den Statistik-Austria-Daten. Zudem könnten interak- tive Infrastruktureingaben (z. B. neue Schulen) eine einfache Impaktanalyse von gesetzten Maßnahmen ermöglichen. 12
Methoden- und Instrumentenset Vorbereitung für vertiefende Analysen auf Theoretischer Rahmen Definition Ziele und Fragestellungen Stadtteilebene Auswahl Analysethemen/-kriterien Erarbeitung Projektdesign Im SMTG+-Tool-Set werden die programmierten digitalen Tools (Rapid-Assess- ment-Tools) durch vertiefende räumliche und soziale Analysen auf Stadtteilebene Phase 1 – Annäherung ergänzt. Dabei kommt ein Set an sozialwissenschaftlichen, planerischen und landschaftsarchitektonischen Methoden und Instrumenten zum Einsatz. Die in der Desktoprecherchen, Sichtung vertiefenden Stadtteilanalyse erhobenen Daten können in mehreren Rückkoppe- B.a. und Auswertung verfügbarer lungsschleifen in die Rapid-Assessment-Tools integriert und in die digitalen Analy- statistischer und räumlicher sen eingebunden werden. Daten Zielsetzungen der vertiefenden räumlichen und sozialen Stadtteilanalyse Desktoprecherchen, Sichtung Rückkoppelung Rapid-Assessment-Tools B.i. und Auswertung verfügbarer Die vertiefende Stadtteilanalyse dient der inhaltlichen und methodischen Ergän- sozialer und räumlicher Daten, zung der digitalen Analysemethoden und ihrer Ergebnisse. Sie wird durchgeführt, Stakeholder*innen-Mapping um qualitative sozialräumliche Informationen zu erheben, die neben den quan- titativen digitalen Analysen zusätzlich notwendig sind, um eine Stadt oder einen Stadtteil gruppenspezifisch und hinsichtlich seiner Gender+-Gerechtigkeit zu Analyse und Interpretation analysieren und zu bewerten. Insbesondere dient die vertiefende Stadtteilanalyse Identifikation zu erhebender Inhalte, der Erhebung von Informationen zu gruppenspezifischen Bedürfnissen und zur Identifikation von Dialogpartner*innen alltags- und Gender+-gerechten Ausstattung und Gestaltung eines Stadtteils, die rein mithilfe verfügbarer Daten nicht ausreichend gewonnen werden können. Folgende Ziele und Teilziele für die vertiefende Stadtteilanalyse können festgehal- Phase 2 – Durchführung ten werden: B.a. Landschaftsplanerische Erhebun- • Erhebung qualitativer Informationen zu gruppenspezifischen Bedürfnissen gen (Begehungen, Kartierungen) und zur alltags- und Gender+-gerechten Ausstattung und Gestaltung eines Stadtteils; Sozialwissenschaftliche Erhebun- gen Stufe 1 (Expert*inneninter- Rückkoppelung Rapid-Assessment-Tools B.i. • Lernen von den Expert*innen: Überprüfung und Ergänzung der quantitativen views, Expert*innenworkshops) Analysen mit qualitativen Aspekten aus Expert*innensicht und aus Sicht der unterschiedlichen Nutzer*innen und Bewohner*innen; • Ergänzung der Datengrundlagen der digitalen Tools durch Rückkoppelung der erhobenen sozialen, räumlichen und gestalterischen Daten und Informa- Analyse und Interpretation tionen. Ableitung von Zwischenergebnissen, Präzisierung der Vorgangsweise, Methoden für die vertiefende Stadtteilanalyse Auswahl weiterer Dialogpartner*innen In der vertiefenden Stadtteilanalyse wird zwischen den beiden Analysepers- pektiven „Blick von außen“ (B.a.) und „Blick von innen“ (B.i.) unterschieden. Der Phase 3 – Durchführung „Blick von außen“ bezeichnet Erhebungen und Analysen aus der Perspektive des Forschungsteams. Er umfasst sozialräumliche, landschaftsplanerische und land- Vertiefende landschaftsarchitek- schaftsarchitektonische Erhebungen und Untersuchungen unabhängig von den B.a. tonische Erhebungen (Aufnah- Wahrnehmungen der lokalen Bevölkerung. Der „Blick von innen“ bezeichnet sozi- men, Raum- und Gestaltanaly- alwissenschaftliche Erhebungen und Analysen, die die Perspektiven der Bewoh- sen, Nutzungsbeobachtungen) ner*innen, Nutzer*innen und lokalen Expert*innen integriert. Sozialwissenschaftliche Erhebun- Welche Erhebungs- und Analysemethoden ausgewählt werden, ist abhängig von B.i. gen Stufe 2 (Fokusgruppeninter- den Forschungsfragen und dem übergeordneten theoretischen Rahmen, der die views, Gender-Walks) Rückkoppelung Rapid-Assessment- Tools Analysethemen für die vertiefende Stadtteilanalyse vorgibt. Seiten 14 bis 20 geben einen Überblick über geeignete Methoden am Beispiel der fünf Kernthemen und der Fallstudie im Bezirk Bulgariplatz. Analyse und Interpretation Ableitung von Zwischenergebnissen Die Grafik rechts stellt einen möglichen Ablauf einer vertiefenden Stadtteilanalyse zu B.a. und B.i. und den Einsatz möglicher Erhebungs- und Analysemethoden schematisch dar. Der Methodeneinsatz gliedert sich dabei in mehrere Arbeitsphasen. Zwischen den Erhebungen finden Analyse- und Interpretationsschritte statt, in denen Zwischen ergebnisse abgeleitet und reflektiert oder Schwerpunkte festgelegt werden. Abschließende Ergebnistriangulation Die Analyse- und Interpretationsphasen dienen außerdem der Rückkoppelung und Ergebnisdokumentation der eigenen Erhebungsergebnisse mit den digitalen Tools. Die abschließende Auswertung erfolgt in Form einer interdisziplinären Interpretation und Ergebnistri- angulation. Dabei werden die Ergebnisse der beiden Analyseperspektiven „Blick von außen“ und „Blick von innen“ zueinander in Beziehung gesetzt. Auf Basis der Identifikation Handlungsbedarf Ergebnisse kann Handlungsbedarf für die Gender+-gerechte Stadtplanung abge- leitet werden. B.a. ... Blick von außen - Sicht der Forscher*innen B.i. ... Blick von innen - Sicht der Bewohner*innen 13
Sekundärauswertungen vorhan- Planerische Erhebungs- und dener räumlicher und statistischer Daten ermöglichen eine erste Annä- Analysemethoden für den „Blick von außen“ herung an das Untersuchungsgebiet. Unter der Perspektive „Blick von außen“ werden alle Erhebungs- und Analyse- Mögliche Inhalte sind Informationen methoden aus Sicht der Forscher*innen zusammengefasst, welche kein lokales zur Stadtstruktur (Bebauungsstruktur, Wissen der Bewohner*innen, Nutzer*innen oder Stadtteilexpert*innen mit einbe- Baualter der Gebäude), Informationen ziehen. Die Ergebnisse resultieren aus der Auswertung und Interpretation vorhan- zum System an Grün- und Freiräumen dener und erhobener Daten durch das Bearbeitungsteam. oder Informationen zur Lage und Vertei- lung von Alltagsinfrastruktureinrichtun- Zielsetzungen gen. Sinnvoll können auch Recherchen Als sozialräumlich orientierte Methode untersucht die vertiefende Stadtteilanalyse zu bereits durchgeführten Studien die Verflechtungen zwischen physischen und sozialen Aspekten im Raum. Die zum Stadtteil oder zu existierenden Analysen im „Blick von außen“ dienen dabei der Erhebung der physischen Dimen- Planungsstrategien sein. Statistische sionen. Der Fokus liegt auf den baulich-räumlichen, funktionalen und gestal- Sekundärauswertungen verfügbarer terischen Charakteristika des Stadtraums, die den Alltag der Bewohner*innen soziodemografischer Daten geben beeinflussen. Der „Blick von außen“ widmet sich der Stadtstruktur (z. B. Bau- und einen Einblick in die Sozialstruktur des Freiraumstruktur, Erschließung), der Gestaltung der öffentlichen Grün- und Freiräu- Stadtteils. me sowie den Funktionen und Nutzungen im Stadtteil (Nutzung der Gebäude und Freiräume, Lage und Verteilung der Alltagsinfrastrukturen). Anhand von deduktiv festgelegten Qualitätskriterien prüft der „Blick von außen“, wie diese Merkmale und Kartierungen sind Erhebungen raum- Ausstattungen den Alltag der Menschen und die vielfältigen Bedürfnisse unter- bezogener Merkmale auf Maßstabs schiedlicher Gruppen unterstützen. ebene des Stadtteils oder des Quar- tiers. Als Arbeitsgrundlagen dienen Mögliche Methoden einheitliche Erhebungsbögen (Kar- Beim „Blick von außen“ werden quantitative sowie qualitative planerische und tierschlüssel) und Karten, in denen landschaftsarchitektonische Erhebungs- und Analysemethoden kombiniert einge- die erhobenen Informationen verortet setzt. Je nach Fragestellungen können unterschiedliche Methoden gewählt und werden. Zur Beurteilung der Gen- Schwerpunkte gesetzt werden. Mögliche Methoden umfassen (siehe auch neben- der+-Gerechtigkeit werden Merkmale stehende Infokästen): zur städtebaulichen Struktur, zur Grün- und Freiraumstruktur, zur Erschließung • Die Sichtung vorhandener statistischer und räumlicher Daten sowie (GIS-ge- sowie zur aktuellen Nutzung der Ge- stützte) statistische Sekundärauswertungen; bäude erhoben. Die Ergebnisse werden • Kartierungen der Bebauungsstrukturen, der Grün- und Freiräume, der in Themenkarten aufbereitet. Erschließung sowie der Funktionen und Nutzungen der Gebäude und Frei- räume im Untersuchungsgebiet; • Begehungen, Bestandserhebungen sowie Raum- und Gestaltanalysen Bestandserhebungen sowie Raum- öffentlicher Freiräume im Untersuchungsgebiet; und Gestaltanalysen in öffentlichen Freiräumen dienen dazu, die Nut- • Nutzungsbeobachtungen in ausgewählten öffentlichen Freiräumen im Unter- zungs- und Gebrauchsqualitäten suchungsgebiet. dieser Freiräume zu erheben. Sie erfol- gen auf detaillierter Maßstabsebene Gender+ in der Erhebung & Auswertung (Objektebene). In Schnitt- und Grund- Der Gender+-Fokus im „Blick von außen“ liegt auf der differenzierten Betrach- rissskizzen wird die räumliche und tung des Stadtraums und der Grün- und Freiräume. Der „Blick von außen“ gestalterische Struktur der Freiräume basiert auf einem relationalen und dynamischen Raumverständnis, das davon und ihrer Umgebung festgehalten. ausgeht, dass sich die Sichtweise auf den Raum und dessen Bedeutung von Dazu zählen die Zonierung, Ausstat- Mensch zu Mensch unterscheiden, je nachdem, welche alters-, geschlechts- oder tung, Erschließung und Wegeführung, gruppenspezifischen Hintergründe einen Menschen auszeichnen (Löw, 2001). Materialien und Gestaltelemente. Demnach existieren in einer urbanen Gesellschaft parallel zueinander vielfälti- ge Ansprüche an die Gestaltung des Stadtraums und der Grün- und Freiräume sowie an die Ausstattung der Stadt mit Alltagsinfrastruktur. Aufgabe des „Blicks Nutzungsbeobachtungen geben Auf- von außen“ ist es, diese unterschiedlichen Ansprüche in allen Erhebungs-, Analy- schluss über die Nutzung öffentlicher se- und Interpretationsschritten zu berücksichtigen – von der Zielformulierung und Grün- und Freiräume. Dabei werden Ableitung der Analysethemen über die Datenerhebung und -interpretation bis zur z. B. die Anzahl der angetroffenen abschließenden Bewertung von Alltags- und Gebrauchsqualitäten. Um die unter- Personen, ihr Alter und ihr Geschlecht, schiedlichen Bedürfnisse der Zielgruppen in Bezug auf die Grün- und Freiräume Bewegungsmuster, ausgeführte Tä- und den Stadtraum einbeziehen zu können, ist die Verknüpfung mit dem „Blick tigkeiten oder Interaktionen zwischen von innen“ essenziell, der die Bedürfnisse der Zielgruppen im Alltag erhebt (siehe Gruppen in Beobachtungsbögen S. 15). notiert und in Plänen verortet. Bewährt haben sich mehrere Beobachtungsein- heiten zu unterschiedlichen Tages- und Wochenzeiten. 14
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