Eine 41-jährige Frau mit M. Crohn, Kreuzschmerzen und zunehmender Schwäche in den Oberschenkelnein Fallbericht
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ÖZPMR, Österr. Z. Phys. Med .Rehabil 16/2(2006) Eine 41-jährige Frau mit M. Crohn, Kreuzschmerzen und zunehmender Schwäche in den Oberschenkeln- ein Fallbericht Barbara Ressl Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Hanuschkrankenhaus, Wien Zusätzlich beschreibt die Patientin eine schmerzende Es wird die Erkrankung einer 41-jährigen Frau mit Müdigkeit in beiden Oberschenkeln. Die Gestik der Kreuzschmerzen berichtet, bei der als Ursache des Patientin deutet auf die Ventralseite der Oberschenkel, Schmerzsyndroms eine Iliosacralarthritis bei M. Crohn bzw. die neuromuskuläre Symptomatik eines absteigend. Aktuell ist die Patientin relativ beschwer- primären Hyperparthyroidismus zu differenzieren defrei. Es ist Montag morgen, und die Patientin bedau- war. Die Ursachen einzelner Symptome werden dis- ert den Termin zu Wochenbeginn, da sich die Sym- kutiert und der diagnostische Weg bei Nebenschild- ptomatik im Wochenverlauf massiv verschlechtert. drüsenüberfunktion sowie die Therapieoptionen werden dargestellt. Bei der Patientin wurde im Februar 2006 ein M. Crohn A 41-YEAR OLD FEMALE WITH MORBUS, neu diagnostiziert. In diesem Zusammenhang ist sie CROHN, LOW BACK PAIN AND durch Episoden mit Diarrhoe und Bauchkrämpfen in INCREASING WEAKNESS OF THE THIGHS - ihrer Arbeitsfähigkeit stark beeinträchtigt. Außerdem A CASE REPORT wurde die Patientin während ihres 27.Lebensjaht we- The case of 41 year old female with low back pain is gen einer Hypophyseninsuffizienz behandelt. reported, in which a sacroilitis associated with Crohn´s disease or neuromuscular symptoms of pri- Die Stimmungslage erscheint subdepressiv verstimmt. mary hyperparathyroidism may have been possible causes of back pain. Reasoning of particular symp- Zusätzlich ist eine Hyperkalziämie und ein erhöhter toms is given, the diagnostic pathway for hyper- Parathormonspiegel als Ausdruck eines wahrschein- function of the parathyroid glands and the thera- peutic options for this disease are discussed. lich primären Hyperparathyroidismus bekannt. An Medikamenten nimmt die Patientin täglich 3g Me- salazin (Pentasa®), 105 mg Eisen -2- Sulfat(FerroGra- dumet ®), 40 mg Pantprazol (Zurcal®), 100mg Aza- Einleitung thioprin (Imurek®) und 5 mg Prednison (Apredniso- lon®) ein, wobei die Cortisondosis gerade reduziert Jesserer wies in einer Monographie darauf hin, dass wird. eine Reihe von Knochenerkrankungen die Ursache von rheumatischen Beschwerden sein können (1). Großen Raum nehmen dabei die Erkrankungen der Körperliche Untersuchung Nebenschilddrüse ein. Die nachfolgende Patientenge- Der Fingerbodenabstand beträgt 10 cm; Rückbeuge, schichte beschreibt ein diagnostisch komplexes Schmerz- Seitbeuge, Rotation der Wirbelsäule sind unauffällig. syndrom, indem die klinische Symptomatik wesentlich Es findet sich kein Druckschmerz interspinal oder pa- durch einen Hyperparathyroidismus bedingt ist. ravertebral, auch die Stoßpalpation ist unauffällig und schmerzlos. Die Iliosakralgelenke erscheinen hin- Falldarstellung gegen beidseits druckschmerzhaft, rechts mehr als links. Eine 41 jährige Patientin wird von der Rheumaambu- Beide Hüftgelenke sind frei beweglich. Druckschmer- lanz wegen einer Iliosacralgelenks-Symptomatik zuge- zen sind im Ursprungsgebiet M. gluteus medius und wiesen. Die Patientin klagt über Schmerzen im lumbo- minimus, rechts mehr als links auslösbar.. sacralen Übergang seit mehreren Jahren. Die Nacht- ruhe ist durch diese Schmerzen zwischen 4-5 Uhr mor- Insgesamt ist der Tonus der Muskulatur herabgesetzt gens gestört, zwingen die Patientin jedoch nicht aus und die Patientin von Seiten der Beweglichkeit an der dem Bett. Grenze einer Hypermobilität. 38
Fallbericht Bildgebende Diagnostik Die typischen Symptome der Sacroiliitis sind lokale 3 Monate vor der Erstvorstellung waren Röntgenbil- Schmerzen von entzündlichem Charakter, d.h. sie sind der der Brust- (BWS)- und Lendenwirbelsäule (LWS) auch in Ruhe vorhanden. Die Patienten berichten, dass sowie beider Kreuzdarmbeingelenke angefertigt wor- sie zwischen 2 und 3 Uhr morgens von den Schmer- den. Dabei zeigte sich in der BWS zarte Randleisten- zen geweckt werden und das Bett verlassen müssen, verplumpungen im gesamten Verlauf und Zeichen ei- weil Bewegung Erleichterung bringt. ner Costotransversalarthrose auf Höhe Th 9. In der Im Röntgen und im MRT der Patientin der Sacroiliacal- LWS wurden osteochondrotische Veränderungen im Gelenke ist kein Hinweis auf einen entzündlichen Pro- Segment L5/S1 beschrieben. An den Kreuzdarm- zess zu finden. Es zeigen sich jedoch in beiden Befun- beingelenken fanden sich Veränderungen im Sinne den Hinweise auf eine Hyperstosis triangularis ilii rechts. einer Hyperosto sis triangularis ilii. Die Kreuzdarm- beingelenke sonst unauffällig. Eine Hyperostosis triangularis ilii betrifft Frauen häu- figer als Männer (2:1), tritt einseitig oder doppelseitig 14 Tage vor der Untersuchung waren bei der klini- auf, hat bei Frauen einen Häufigkeitsgipfel im 4.- 5. schen Fragestellung einer Sacroileitis links Magnetre- Dezenium, einen zweiten im 8. Dezenium. Bei Män- sonanzbilder der Kreuzdarmbeingelenke, ohne und nern gibt es nur einen Häufigkeitsgipfel im Durch- nach Kontrastmittelgabe angefertigt worden. Dabei schnittsalter von fast 70 Jahren. Der Verdichtungs- wurde der Gelenksspalt beiderseits weitgehend regulär prozess ist nicht Ausdruck einer Ostitis oder Osteo- und glatt begrenzt beschrieben. Lediglich in den cau- myelitis, sondern eine entzündungsfreie Transformati- dalen Abschnitten rechts zeigte sich im Bereich des Sa- on der Spongiosa in kompakte Knochensubstanz als crums und geringer auch des Os Ileum ein umschrie- Reaktion auf einen sacroiliacalen Überlastungsscha- benes hypodenses Areal in den gelenksnahen Ab- den (Arthrose, Gefügelockerung im Kapsel-Bandap- schnitten, dieses bot kein Kontrastmittel-Enhance- parat des Beckens). Wahrscheinlich sind diese Über- ment. lastungssschäden die Ursache der Kreuzschmerzen Dieser Befund wurde am ehesten als Ausdruck einer bei der Hyperostosis triangularis ilii, nicht der entzün- verstärkten Sklerosierung im Rahmen einer möglichen dungsfreie Knochenumbau (2) Fehlhaltungs bedingten degenerativen Veränderung Beim HPT kommt es zu Hyperostosen als periostale interpretiert. Es fand sich kein Hinweis auf florieren- Knochenapposition oder als Knochenverdichtung an de Kreuzdarmbeinentzündung . spongiösen Skeletteilen infolge von erhöhtem Kno- Eine Knochendichte DXA – Messung vom Juli.2006 chenumbau an mechanisch belasteten Stellen (Sacro- fand an LWS, Femurhals und , Ward`sche Region alter- iliacal-,Acromioclaviculargelenke,Schambeinfuge) (2). entsprechende unauffällige Befunde. Die Beschreibung der schmerzenden Müdigkeit in Rezente Laborfunde zeigten Serum das Kalzium mit den Oberschenkeln ist gut mit der Klinik der Hyper- 2.80 mmol/l (Normwert: 2.10-2,65) und das Parathor- calciämie, leichte Ermüdbarkeit, unspezifische Glie- mon int. (1-84) 136 pg/ml (Normwert: 12-72), und derschmerzen, Knochenschmerzen, Müdigkeit bis zur Serum Crosslaps (CTP) 1.040 ng/ml (Normwert: 0.00 Atrophie der proximalen Muskulatur vereinbar. – 0.400) erhöht. BUN, Kreatinin, geschätzte glomeru- Der Neurostatus ist unauffällig, es ergibt sich kein läre Filtrationsrate lagen im Normbereich, das spezifi- Hinweis auf eine radikuläre oder pseudoradikuläre sche Gewicht des Harns mit 1008 (Normwert: 1012- Störung. Klinisch und aus der Anamnese besteht auch 1030) leicht vermindert. kein Hinweis auf eine Claudicatio spinalis Die neuropsychiatrische Symptomatik des PTH Diskussion inkludiert Depression, Schwächegefühl, Gedächtnis- Tiefsitzende, nächtliche Kreuzschmerzen und M. und Schlafstörungen (1,4). Sie sind aber gerade in die- Crohn in der Anamnese lassen an eine entzündliche sem Fall mit Vorsicht zu bewerten, da die relativ rezen- Affektion des Kreuzdarmbeingelenks denken. Eben- te Diagnosestellung M.Crohn und Hyperparathyroidis- so können auch beim primären Hyperparathyroidis- mus mit all ihren möglichen therapeutischen Konse- mus (pHPT) die Röntgenkriterien des „bunten“ Sakro- quenzen und deren Folgen für das alltägliche Leben, iliacalbildes mit marginalen Knochenresorptionen Anlass genug für eine reaktive Depression bieten. (Pseudoerweiterung und Erosion), reaktiven Kno- chenverdichtung und Knorpelverkalkungen erfüllt Nicht zur Klinik der Hypercalciämie passen Episo- werden (2) den mit Diarrhoe. Die Hypercalciämie ist eher mit 39
ÖZPMR, Österr. Z. Phys. Med .Rehabil 16/2(2006) der Neigung zur Obstipation vergesellschaftet. Die nen Nebenschilddrüse. Bei Entfernung des gesamten Diarrhoe, verbunden mit heftigen Tenesmen ist bei Nebenschilddrüsengewebes kann eventuell eine Auto- der Patientin dem M. Crohn zuzuordnen logtransplantation in einen Unterarm vorgenommen werden. Diese hat den Vorteil, dass ein postoperativer Bei Durchsicht der Röntgenbilder findet sich die Hypoparathyroidismus vermieden werden kann und Knochenstruktur der mit der BWS abgebildeten Rip- gegebenenfalls findet sich ein leichterer Zugang bei ei- pen etwas strähnig und die Rippenknorpel teilweise in ner erforderlichen Re-Operation. Verknöcherung befindlich. Vom Aspekt ist dies nicht mit dem normalen Befund einer 41jährigen Patientin Die Heilungsraten werden mit 95-98% angegeben mit vereinbar, sondern mit den Skelettzeichen der intra- einer Komplikationsrate von 1-2 % bei Operation kortikalen Resorption und der Chondrokalzinose des durch einen erfahrenen Chirurgen. Schwerwiegende PHT. Komplikationen sind Verletzungen des N. recurrens, Blutungen, anhaltender oder wiederkehrender Hy- Im Labor finden sich neben wiederholt erhöhten Kal- perparathyroidismus oder dauerhafter Hypoparathy- zium- und Parathormonwerten, erhöhte Werte der Se- roidismus. Die Mortalität ist sehr gering (keine Zahlen rum Crosslaps, als Zeichen eines erhöhten Knochen angegeben). Die Risiken für einen fehlenden Thera- abbaus. piererfolg sind multiglanduläre Erkrankung, ektope Die nierenspezifischen Parameter BUN, Kreatinin, glo- oder überzählige Nebenschilddrüsen, Nebenschild- meruläre Filtrationsrate liegen im Normbereich. Die drüsencarcinom, fehlende Erfahrung des Chirurgen Nierenfunktion kann als normal angenommen werden. (5,9,10,11). Das bedeutet, dass sowohl die Niere als Ursache für einen Östrogensubstitution, mit allen bislang bekannten Ris- sekundären Hyperparathyroidismus ausgeschlossen wer- ken, kann bei fehlenden Kontraindikationen bei post- den kann, als auch, dass die Hypercalciämie die Niere menopausalen Frauen den Calciumspiegel gering re- ihrerseits nicht in ihrer Funktion beeinträchtigt hat. Eine Hypercalciurie wurde bisher nicht untersucht. duzieren, die PTH-Werte bleiben unbeeinflusst und die Knochendichte wird stabilisiert (8,11) . Im Fall der Das erniedrigte spezifische Gewicht des Harns kann beschriebenen 41-jährigen Patientin sind sie keine Zufall oder ein Indiz für Polydipsie und Polyurie sein, Therapieoption. mit der Klinik der Hypercalciämie vereinbar. Bisphosphonate werden oral eingesetzt, um die gestei- Therapie gerte Ca-Resorption aus dem Knochen zu verhindern. Das Ziel der Therapie des pHPT ist die Reduktion der Sie haben einen positiven Effekt in Bezug auf die Kno- Hypercalciämie und die Verhinderung der durch sie chendichtewerte (Frakturraten wurden bislang nicht verursachten Organschäden und Symptome (5.6.7.8): untersucht), den Calciumspiegel verändern sie nicht wesentlich (6). Eine Vergrößerung der Adenome mit · Verhinderung von Abbauvorgängen an den Knochen gesteigerter PTH-Produktion durch Langzeittherapie · Verhinderung von Nierenschäden (Nierensteinen, mit Bisphosphonaten wird ambivalent diskutiert. Pa- Koliken, Niereninsuffizienz) renterale Verabreichung von Bisphosphonaten ist der Akuttherapie bei ausgeprägten, meist tumorassoziier- · Reduktion neuromuskulärer Symptome wie unspezi- fische Gliederschmerzen, Knochenschmerzen, Schwäche ten Hypercalciämien vorbehalten (10). Ebenso eher in der proximalen Muskulatur, leichte Ermüdbarkeit den Bereich der Akuttherapie einer ausgeprägten Hy- percalciämie gehört die Therapie mit Schleifendiureti- · Verhinderung cardiovaskulärer Spätschäden wie Hy- ka zur gesteigerten Calciumausscheidung bei gleich- pertonie, Linksventrikelhypertrophie. zeitigem Volumensausgleich (12). 80-85% der Erwachsenen mit pHPT haben ein einzel- nes benignes Adenom einer Nebenschilddrüse, bei Eine neuer medikamentöser Therapieansatz ist das 10% finden sich multiple glanduläre Hyperplasien aller Kalzimimetikum Cinacalcet. Bisher ist es nur zur The- vier Nebenschilddrüsen, bei 4% 2- fache Adenome. rapie des sekundären Hyperparathyroidismus und der Nur bei 1% der Patienten mit pHPT findet sich ein Hypercalciämie bei Nebenschilddrüsencarcinom zu- Carcinom der Nebenschilddrüse (5) gelassen. Für die Indikation milder pHPT ist es in kli- nischer Erprobung (11, 13, 14). Eine chirurgische Entfernung des betroffenen Neben- schilddrüsengewebes gilt bislang als einzige dauerhafte Die Hypercalciämie bei gleichzeitig inadäquat norma- Therapie. Diese erfolgt entweder als selektive Adenom- lem oder erhöhtem PTH-Spiegel resultiert aus einer entfernung oder Entfernung einer einzelnen befalle- Hyperplasie der Nebenschilddrüsenzellen in einer 40
Fallbericht Kombination mit einem Defekt des Calciumrezeptors Neuromuskuläre Symptome als alleinige OP-Indikati- an den Nebenschilddrüsenzellen in seiner Calcium- on werden ambivalent diskutiert, da ihre Beeinfluss- sensitivität (6). Die herabgesetzte Sensitivität gegen- barkeit durch eine Parathyroidektomie nicht immer über extrazellulärem Calcium führt zu einer Calcium- erreicht werden kann. Ein Großteil der Patienten, die resistenz. Im Normalfall „misst“ der Ca-Rezeptor den die oben genannten Kriterien nicht erfüllen, sind nach Ca- Spiegel im Blut. Bei Hypocalciämie kommt es re- 10 Jahren in ihren Laborwerten stabil, sie sind weitge- zeptorvermittelt innerhalb weniger Sekunden zu einer hend beschwerdefrei, es kann keine Progression der vermehrten PTH- Exkretion der Nebenschilddrüsen- Erkrankung festgestellt werden. Bei 25% der asympto- zellen. Bei Hypercalciämie wird die PTH-Ausschüt- matischen Patienten kommt es zur Progression des tung gedrosselt. Der normale Set-point für die 50%ige pHPT mit Verschlechterung der Hypercalciämie, Hy- Reduktion der PTH-Ausschüttung ist ein Serum Calci- percalciurie und Reduktion der Knochendichte. umwert (ionisiert) von 1mmol/l oder 4mg/dl. Kalzi- Daher kann bei kontinuierlicher klinischer Überwa- mimetika binden an die Ca-Rezeptoren und redu- chung „beobachtend“ zugewartet werden, ob die zieren die PTH-Ausschüttung und verhindern die zel- Krankheit stabil bleibt, daher keiner weiteren Inter- luläre Nebenschilddrüsenhyperplasie.In einer einjähri- vention als der lebenslangen Überwachung bedarf, gen RCT-Studie bei mildem pHPT senken sie die oder ob eine Progression eine chirurgische Interventi- Parathormon- und Calciumwerte in den Normbe- on notwendig macht. Ein wesentliches Kriterium ist reich, bringen jedoch keine Verbesserung de Kno- noch das Alter bei Diagnosestellung. Ein Alter unter chendichtewerte. Langzeitstudien fehlen. 50 Jahren scheint mit einer dreifach erhöhten Wahr- scheinlichkeit für eine deutliche Progression des Eine temporärer Einsatz von Kalzimimetika bei mil- pHPT verbunden zu sein. Zusätzlich wird in den Con- dem pHPT mit fraglicher OP- Indikation könnte sinn- sensuspapieren (1990. 2000, 2005) immer wieder an- voll sein, um medikamentös zu erproben, ob die, von geführt, dass die Kosten für die lebenslange regel- den Patienten sehr wohl als belastend empfundenen mäßige klinische Überwachung und die allenfalls me- neuromuskulären Symptome, durch Senkung der Hy- dikamentöse Therapie die Kosten für die Parathyroi- percalciämie beeinflusst werden können. In diesem dektomie übertreffen. Fall könnte ein Therapieerfolg Entscheidungshilfe für eine chirurgische Intervention werden. Eine Langzeit- Für die betroffene Patientin bleibt die Frage nach therapie kann erst zu einem späteren Zeitpunkt über- der Therapieempfehlung. legt werden. Die Patientin ist subjektiv nicht beschwerdefrei. Der In den Bereich der Verhaltensmaßnahmen bei mildem Grund der Zuweisung an unser Institut eine ISG- pHPT gehören weitere Empfehlungen: Patienten soll- Symptomatik und die Patientin schilderte „schmer- ten jede Form der Dehydrierung meiden, ebenso Me- zende Müdigkeit in den Oberschenkeln“. Werden die- dikamente, die den Kalzium-Serumspiegel anheben se Symptome als Ausdruck der Hypercalciämie beim können, wie z.B. Thiazid- Diuretika.- Eine besonders pHPT gesehen, kann die physikalische Therapie allen- kalziumarme Diät (Vermeidung aller Milchprodukte) falls ein symptomatisches Adjuvans betrachtet wer- wird nicht einheitlich beurteilt, sie wird auch als mögli- den. Die Frage ist, ob für die Patientin zusätzliche che Ursache für einen weiteren Anstieg des PTH-Se- Therapietermine , die wahrscheinlich mit der Arbeits- rumspiegels gesehen. zeit kollidieren, als hilfreich oder belastend empfunden werden. Kalzimimetika erscheinen hier als interes- In der Literatur gib es klare Empfehlungen zur Para- sante Option, wenn auch noch nicht für die Therapie thyroidektomie bei deutlich veränderten Laborwer- der Hypercalciämie bei pHPT zugelassen, so doch ev. ten (Serum - Ca um mehr als 0,25-0,40 mmol/l oder als Entscheidungshilfe bezüglich der, von der Patientin 1-1,6mg/dl erhöht, oder absolut Serum - Ca > 2,99 als belastend empfundenen neuromuskulären Symp- mmol/l oder 12 mg/dl, Calciumausscheidung im Urin tome. Östrogene entfallen aufgrund des Alters der von > 400mg/24h oder 9,98 mmol/24h, Kreatinin Patientin. Bisphosphonate müssen überlegt werden, Clearance um > 30% reduziert), eindeutigen Auswir- da gerade die bisherigen radiologischen Befunde auf kungen des PTH und der Hypercalciämie auf gefähr- eine Veränderung im Organ Knochen durch den dete Organsysteme Niere und Knochen (Nierenstei- pHPT hinweisen. Wesentliche diagnostische Elemen- ne, Knochendichtewerte von –2 SD Z-score, dem auf te der Radiologie sind aber noch ausständig. die altersabhängige Norm bezogenen Wert oder von –2,5 SD T-score, dem auf das gesunde, junge Norm- Zuletzt bleibt die Frage, ob der Patientin eine chirur- kollektiv bezogenen Wert). gische Intervention geraten werden soll oder muss. 41
ÖZPMR, Österr. Z. Phys. Med .Rehabil 16/2(2006) Da bei der Patientin allein aufgrund ihres Alters (41 Tabelle 1 (nach 2) Jahre) bereits eine „weiche“ OP-Indikation besteht, Diagnostisches Minimalprogramm an Röntgenbil- sollte nach Veränderungen der gefährdeten Organsys- dern bei Verdacht auf Hyperparahyroidismus tem Nieren, Knochen sehr gezielt gesucht wer- den. • beide Hände dorsovolar (Mammographiefilm Die rezidivierenden Diarrhoen bei M. Crohn könnten oder Film-Rückfolien- Kombination) ein zusätzliches Risiko für eine Dehydrierung ergeben, • Akromioclaviculargelenke (Humerus 90° abdu- bzw. die notwendigen Medikamente eine zusätzliche ziert, dorsal rotiert, Ellenbogen 90° gebeugt) Belastung für die Nieren. • Schädel seitlich • Beckenübersicht Welche weiteren Befunde können eine Entscheidungs- • LWS seitl hilfe bei der Frage nach der richtigen Therapie für die • beide Kniegelenke a.-p. Patientin bringen ? • beide Vorfüße dorsoplantar Anamnese Darüber hinaus muss nach folgenden Skelettzeichen Ergänzende Fragen betreffen gesucht werden die Familienanamnese (MEN 1 =PHPT, Inselzell- 1. Intrakortikale Resorption an Röhrenknochen: früh tumore des Pankreas, Hypophysenadenome, assoziiert an kleinen Knochen an großen Röhrenknochen „Auf- adrenokortikale Tumoren, Karzinoide, Lipome, bei splitterung“, „Auflockerung“ – verwaschener Eindruck Frauen häufiger als bei Männern) oder MEN 2A (fami- 2. subperiostale Knochenresorption (endostale Resorp- liäres medulläres Schilddrüsen Carcinom, Phäochro- tion ist beim HPT selten) mozytome, PHPT, bei Männern häufiger als bei Frauen, 3. subtendinöser Knochenabbau – Insertionsdystro- PTH) phie: Kalkaneus, Patella, Sitzbein, Trochanter major, Darmbeinschaufeln . Selten auch Sehnenrupturen. frühere Erkrankungen (Nephrolithiasis, Bestrahlun- gen im Kopf- oder Nackenbereich, pathologische Frak- Erhöhter Knochenumbau an mechanisch beanspruch- turen, Episode von lebensbedrohender Hypercalciä- ten Stellen bes. auffällig, auch an AC-, ISG- Gelenk und Schambeinfuge. mie bei Dehydration oder durch andere Krankheit aus- gelöst) 4. Osteolyse: extrartikuläre umschriebene Knochen- resorption und weitere Symptomen (Hypertonie, Polydipsie, · ·Akroosteolyse: Frühbefund an Fingerendgliedern, Polyurie, Gewichtsverlust, Depressio, Gereiztheit,) Processus styloideus ulnae, seltener auch proc. styl. Radii Labor · ·„braune Tumoren“: resorptive Riesengranulome, führen ev. Zu patholog. Frakturen 24 Stunden Harn zur Abklärung einer Hypercalciurie, · .Osteoporose in fortgeschrittenem Stadium bzw Ausschluss oder Diagnose einer Benignen fami- 5. Hyperostose: periostale Knochenapposition an liären hypercalcämischen Hypercalciurie, bei der die spongiösen Skelettteilen z.B. Wirbelkörper,, Schädel, Parathyroidektomie nicht indiziert ist. Rippen, Becken , auch an Epiphysen, dort oft bilateral symmetrisch. Röntgen 6.Weichteilverkal-kungen Obwohl sich Skelettzeichen nur bei ca 50% der Patien- ten finden sollte ein diagnostisches Minimalprogramm · ·Chondrokalzinose in Faser- und Hyalinknorpel für Hyperparahyroidismus (HPT) durchgeführt wer- · ·Im späteren Verlauf des HPT periartikuläre, kuta- den, das in Tabelle 1 zusammengefasst ist ne, subkutane, gelenkferne Verkalkungen, Schleim- beutelverkalkungen, Tunica media der Arterien (an Die Frühveränderungen des HPT betreffen die der unteren Extremität häufiger als an der oberen Corticalis: Extremität) · partieller Schwund der subchondralen Grenzlamel- 7. Im Verlauf bei zusätzlicher renaler Osteopathie: de- le (besser an konvexen Gelenkkonturen zu beurtei- struktive Osteoarthropathie – Charcot Gelenk. Bei len, bes. leicht an den Händen, an der radialen Seite schwerem, fortgeschrittenem prim HPT: Ostitis (Os- der Metakarpusköpfe II bis IV) teodystrophia) fibrosa cystica generalisata v. Reckling- · subchondrale Zysten mit zartem Sklerosesaum hausen · subperiostale und intracorticale Knochenresorption Eine Knochendichtemessung wurde zwar durchge- an kleinen Knochen führt und ergab einen Normalbefund, jedoch beim 42
Fallbericht HPT betreffen die Frühveränderungen des Knochens 7. Stephen JM: Hyperparathyroid and Hypoparathyroid Disor- ders. N Engl J Med 2000; 343(25): 1863-75. die Corticalis und nicht die Spongiosa ! Daher ist eine Knochenmasseverlust am Unterarm (corticaler Kno- 8 Strewler GJ: A 64 –Year-Old Woman with Primary Hyperpa- rathyroidism. JAMA, 293 (14) 1772-79 chen) früher als in der LWS (spongiöser Knochen) oder in der Hüfte (Mischung corticaler und spongiöser 9. Silverberg SJ, Bilezikian JP. Extensive Personal Experience. Evaluation and Management of Primary HPT . . Journal of Cli- Knochen) sichtbar. nical Endocrinology and Metabolism 1996, 81 (6): 2036-2040. Danksagung 10. Ralston SH, Coleman R, Fraser WD, Gallagher SJ, Hosking DJ, Iqbal JS, Mc Closkey E, Sampson D: Medical Management Ganz besonders möchte ich mich OA Prof Dr. K. in Hypercalciemia. Calcif. Tissue Int 2004 74; 1-11. Ammer für die Unterstützung bei der Literatursuche, 11. Bilezikian JP, Siverberg SJ: Asymptomatic Primary Hypoer- die weiterführenden Diskussionen und die konstrukti- parathyroidism. N Engl J Med 2004; 350: 1746-51 ve Kritik bedanken. 12. Reichel H: Erhöhtes Calcium als Zufallsbefund. Med Klin 2005; 100: 486-94. Literatur 13. Peacock M, Bilezikian JP, Klassen PS, Guo MD, Turner 1.Jesserer H. Knochenkrankheiten - maskiert als “Rheuma” SA, Shoback D: Cinacalcet Hydrochloride Maintains Long- .Rheuma Forum 6. G.Braun, Karlsruhe, 1976 Term Normocalciemia in Patients with Primary Hyperparat- 2. Dihlmann W: Gelenke Wirbelverbindungen Thieme, Stutt- hyroidism. J Clin Endocrin Metab 90(1):135-141. gart 2002 14. Brown ME: Medical Therapy of Primary Hyperparathyroi- 3. Ebner W. Spondylitis ankylosans In:Thumb N, Bröll H, dism: Are We There Yet? BoneKEy-Osteovision. 2005; 2(8): Czurda R, Siegmeth W, Smolen J (Hrsg): Praktische Rheuma- 5-8. tologie. 4. Auflage 2001. Springer Verlag. Wien-New York, pp 196-203 4. Fauci AS, Braunwald E, Isselbacher KJ, Wilson JD, Martin JB, Kasper DL, Hauser SL, Longo DL (eds): Harrison: Innere Medizin, 14.Auflage, London-Frankfurt am Main, McGraw- Hill, 1999 Korrespondenzadresse der Autorin 5. The American Association of Clinical Endocrinologists and Mag. Dr. med Barbara Ressl the American Association of Endocrine Surgeons Position Sta- Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation, tement on the Diagnosis and Management of Primary Hyper- Hanuschkrankenhaus, Heinrich Collinstr 30, parathyroidism. Endocr. Pract. 2005; 11 (1): 49-54. 1140 Wien, Österreich 6. Khan A., Bilezikian JP: Primary Hyperparathyroidism: Patho- physiology and impact on bone. CMAJ 2000; 163 (2): 184 –187 Email: barbara.ressl@wgkk..at 43
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