Eine Zukunftsagenda für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) - Bibliothek der Friedrich ...
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Internationale Politikanalyse Internationale Politikanalyse International Policy Analysis Eine Zukunftsagenda für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) Borja Lasheras, Enrique Ayala (Opex, Fundación Alternativas) Jean-Pierre Maulny, Fabio Liberti (Institut de Relations Internationales et Stratégiques, IRIS) Christos Katsioulis (Friedrich-Ebert-Stiftung) Sven Biscop (Egmont-Royal Institute for International Relations) JULI 2009
Internationale Politikanalyse 1 Inhalt 1 Einleitung: Nach St. Malo ..........................................................................................................2 2 Auf dem Weg zu einem Europäischen Weißbuch zur Verteidigung ......................................3 3 Auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigung......................................11 4 Die europäische Verteidigungsindustrie ...............................................................................21 5 Zusammenfassung der Vorschläge für die nähere Zukunft..................................................25
2 Eine Zukunftsagenda für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) 1 Einleitung: Nach St. Malo∗ men – und dies wiederum hemmt laut dem ESS- Bericht die Fähigkeit der EU, auf der dynamischen Zehn Jahre nach der Geburt der Europäischen Si- strategischen Bühne des 21. Jahrhunderts mit all cherheits- und Verteidigungspolitik blickt die Euro- ihren Verschiebungen im Machtgefüge und mitein- päische Union (EU) auf zahlreiche Errungenschaften ander im Wettstreit stehenden Werten tatsächlich in diesem Bereich zurück. So organisierte sie insbe- Einfluss zu nehmen. Eine Vielzahl von Experten hat sondere bislang 21 zivile und militärische Missionen in den vergangenen Jahren bereits auf diese Stol- im Ausland, teils in enger Zusammenarbeit mit den persteine auf einem Weg zur europäischen Vertei- Vereinten Nationen, was noch vor kurzem undenk- digung (mangelnde Fähigkeiten, engstirnige Verwal- bar gewesen wäre. Als Instrument der Gemeinsa- tung der Verteidigungshaushalte, politische Hürden men Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) hat die usw.) hingewiesen, weshalb hier nicht noch einmal ESVP dazu beigetragen, die EU zu einem globalen unnötig darauf eingegangen werden soll. Darüber Akteur mit einheitlichem Auftreten zu machen, der hinaus sind die Kosten einer nicht-europäischen mit »Soft Power« – und hypothetisch auch mit Verteidigung derzeit unbestritten, insbesondere, »Hard Power« – für die Erhaltung des internationa- wenn man die etwa 200 Milliarden Euro in Betracht len Friedens und der internationalen Sicherheit, aber zieht, die die EU-Mitgliedstaaten insgesamt für ihre auch für die Verteidigung seiner unmittelbaren Verteidigung ausgeben. Interessen und Werte eintreten kann. Es gibt in Man könnte sogar argumentieren, dass diese Europa eine wachsende Sicherheitskultur, ergänzt nicht harmonisierte Politik unvereinbar sei mit de- durch die wachsende Erkenntnis, dass die EU eine mokratischer Regierungsführung und Rechenschaft, kohärentere, aktivere und effizientere Rolle beim denn obwohl immer gesagt wird, dass die öffentli- Krisenmanagement spielen muss, so wie es auch in che Meinung nicht hinter weiter reichenden Ver- der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) von pflichtungen hin zu einer europäischen Verteidi- 2003 dargelegt ist.1 Dazu gehört nach dem jüngst gung steht, ist es doch so, dass die Bürgerinnen und veröffentlichten Bericht über die Umsetzung der ESS Bürger Europas eine stärkere Rolle der EU in diesen auch, dass die EU effektiver sein und ihre Fähigkei- Fragen mehr unterstützen, als man vielfach an- ten ausbauen muss.2 nimmt.4 Trotzdem bleibt die europäische Verteidigung Der Vertrag von Lissabon könnte die europäi- als solche und als Teil der modernen Sicherheitsphi- sche Verteidigung ein großes Stück nach vorne losophie der ESS ein Work-in-Progress, das haupt- bringen, vor allem durch die Umsetzung der Ständi- sächlich auf dem Papier besteht. Insbesondere wur- gen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) oder einer den die Ziele einer gemeinsamen europäischen verstärkten Zusammenarbeit in Übereinstimmung Verteidigungspolitik oder gar einer gemeinsamen mit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäi- Verteidigung, wie sie im Vertrag über die Europäi- schen Union. Außerdem könnte er sich positiv auf sche Union (EUV)3 und später im Vertrag von Lissa- die Außenwirkung der EU niederschlagen, wenn er bon vorgesehen ist, nicht erreicht und können auch Ende dieses Jahres oder im Jahr 2010 endlich in nicht erreicht werden, solange die Staats- und Re- Kraft tritt. gierungschefs Europas nicht entschlossen sind, entscheidende Schritte hin zu diesem Ziel zu unter- nehmen. Es ist bekannt, dass es mehrere Beschrän- kungen und strukturelle Probleme gibt, die die Entwicklung der Verteidigungssäule der ESVP hem- 4 Siehe beispielsweise die Fragen zur europäischen Verteidi- gung im Rahmen der Umfrage »Qué Europa queremos?« unter spanischen Bürgern (Fundación Alternativas und ∗ Mit Beiträgen von Giovanni Gasparini (Istituto Affari Interna- Staatssekretariat für Europäische Angelegenheiten des zionali) und Daniel Keohane (EU Institute for Security Stu- spanischen Außenministeriums 2008, nachzulesen unter dies). http://www.falternativas.org/lafundacion/documentos/libro 1 »Ein sicheres Europa in einer besseren Welt« – Europäische s-e-informes/informe-que-europa-queremos). So sprachen Sicherheitsstrategie (Dezember 2003). sich im Durchschnitt 74 Prozent der Befragten für europäi- 2 Bericht über die Umsetzung der Europäischen Sicherheits- sche Streitkräfte aus – das geht weit über die Inhalte der strategie: »Sicherheit schaffen in einer Welt im Wandel«, ESVP hinaus. 87 Prozent waren dafür, dass die EU- 11. Dezember 2008, zu finden unter Mitgliedstaaten sich zu gemeinsamer Verteidigung im Falle http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pr eines Angriffs auf einen der Mitgliedstaaten verpflichten essdata/DE/reports/104634.pdf und 49 Prozent würden die finanzielle Gesamtausstattung 3 Zitate von Bestimmungen des EUV beziehen sich auf den der Verteidigungshaushalte nicht ändern, allerdings die Vertrag nach Änderung durch den Vertrag von Lissabon. Zuteilung und Koordinierung der Ausgaben verbessern.
Internationale Politikanalyse 3 Umfang dieses Arbeitspapiers Zu Beginn dieses Arbeitspapiers werden in Kapi- tel 1 allgemeine Sicherheitsfragen im Zusammen- Dieses Arbeitspapier ist das Ergebnis eines allgemei- hang mit der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) nen Konsenses mehrerer Fachleute aus führenden als erforderlichem Rahmen für die Entscheidungs- europäischen Institutionen und Think-Tanks und soll findung in Verteidigungsfragen erörtert. Hierzu einen Beitrag zur Debatte und zur politischen Ges- gehören Ideen für zukünftige Überprüfungen sowie taltungsarbeit in der nahen Zukunft mit einigen der Vorschlag an die EU-Mitgliedstaaten, ein Euro- Vorschlägen in den wichtigsten Bereichen der Ver- päisches Weißbuch zur Verteidigung zu verab- teidigung in der EU leisten. Wir sind der Auffassung, schieden. In Kapitel 2 werden dann unterschiedliche dass die meisten Vorschläge durchführbar sind und Wege aufgezeigt: zuerst, wie sich die gesamte EU eine Zukunftsagenda für die ESVP (oder eine »Road hin zu einer gemeinsamen europäischen Verteidi- Map«) ergeben könnten. Die Vorschläge halten sich gung bewegen kann, und dann, wie kleinere Grup- eng an die grundlegenden Initiativen, die 2008 pen von Mitgliedstaaten, die dies wünschen, unter unter dem französischen EU-Vorsitz verabschiedet der Aufsicht der Europäischen Verteidigungsagentur wurden, versuchen aber, weiter zu gehen und ihre Fähigkeiten bündeln können, was nützliche Grundsteine für zukünftige Fortschritte zu legen. Kriterien für eine Ständige Strukturierte Zusam- Obgleich diesem Arbeitspapier moderne Sicher- menarbeit im Sinne des Vertrags von Lissabon zur heitsbegriffe zugrunde liegen, die größtenteils in Folge haben kann. Außerdem werden einige Ideen Kapitel 1 (zur ESS und darüber hinaus) behandelt angeboten, die sich auf die Einrichtung einer ver- werden, legen wir unser Hauptaugenmerk auf den stärkten Zusammenarbeit unter dem Vertrag von spezifischen Bereich »Verteidigung« als logisches Lissabon oder einer so genannten »politischen Element der Sicherheit. Die grundlegende Annahme Avantgarde« aus Staaten, die mehr Verpflichtungen der hier vertretenen Institutionen ist, dass Europa übernehmen möchten, beziehen. Zum Abschluss sich durch schrittweise Integration einzelstaatlicher wird in Kapitel 3 dann die mit diesem Themenkom- Fähigkeiten und politischer Maßnahmen zur Ent- plex verwandte Frage der europäischen Verteidi- wicklung einer autonomen ESVP mit eigenständigen gungsindustrie behandelt, die umso wichtiger ist, Fähigkeiten auf ein gemeinsames Verteidigungs- wenn die Mitgliedstaaten der EU eine solide Grund- system hinbewegen muss – so EU-spezifisch es lage für dieses Unterfangen wollen. auch sein mag. Dieses Ziel ist durchaus mit der Am Ende dieses Arbeitspapiers findet sich eine NATO vereinbar, wenngleich es das Argument Zusammenfassung der wichtigsten Vorschläge für stützt, dass die NATO sich verändern muss, wenn die nahe Zukunft. Die Autoren hoffen, dass sie den die EU immer mehr Verantwortung für ihre eigene Politikerinnen und Politikern Europas eine hilfreiche Verteidigung übernimmt. Die transatlantische Part- Stütze bei der Erfüllung der in den Verträgen fest- nerschaft wird sogar gestärkt, da die EU einen grö- geschriebenen Ziele sein werden. ßeren Teil der Bewältigung internationaler Probleme übernehmen kann, wie sie es auch in anderen wich- tigen Feldern wie beispielsweise dem internationa- 2 Auf dem Weg zu einem Europäi- len Handel bereits tut. schen Weißbuch zur Verteidigung Um uns diesem Ziel näher zu bringen, betrach- ten wir zunächst verschiedene Möglichkeiten, was für die EU als Ganzes erreicht werden kann. Danach 2.1 Regelmäßige Bewertung der Europäischen schauen wir uns an, was für kleinere Staatengrup- Sicherheitsstrategie pen erreichbar ist, die innerhalb des EU-Rahmens gemeinsam schneller voranschreiten wollen. Dabei Die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003 werden wir auch Vorschläge unterbreiten, wie bildet einen der wichtigsten Schritte in der Entwick- bestimmte Abschnitte des Vertrags von Lissabon lung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspo- zum Thema ESVP (zum Beispiel SSZ) umgesetzt litik (GASP). Mit ihrem Fokus auf Prävention, zivil- werden und welche Maßnahmen ergriffen werden militärischer Kooperation, wirksamem Multilatera- können, die unabhängig vom Inkrafttreten des lismus und der Möglichkeit zu robustem Engage- Vertrags von Lissabon durchführbar sind – denn ment (oder »robuster Intervention« im Wortlaut der Verteidigung ist und bleibt ein intergouvernementa- ESS) ist sie zum Symbol und Referenzpunkt für die ler Bereich. europäische Außen- und Sicherheitspolitik gewor- den. Sie steht für einen ganzheitlichen Ansatz zu
4 Eine Zukunftsagenda für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) internationaler Sicherheit und internationalem Kri- Herausforderungen und gegenwärtige strategische senmanagement im 21. Jahrhundert, wozu sowohl Gegebenheiten anpassen muss. Dazu gehört auch »Soft Power« als auch »Hard Power« gehören – das Aufkommen neuer, wichtiger Akteure in einer also von der Diplomatie und dem Handel bis hin zu schon jetzt multipolaren Welt, in der Machtbezie- militärischen Operationen. Des Weiteren betont sie hungen von entscheidender Bedeutung sind.6 Das die Bedeutung eines kohärenten Ansatzes mit Frie- alles sind Umstände, die der EU immer mehr Grün- den schaffenden Maßnahmen, Prävention etc. Ein de bieten, sich ihren Pflichten als globale Macht solcher Ansatz findet sich auch im Bericht über die tatsächlich zu stellen. In den Worten der ESS heißt Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie das: »Europa muss daher bereit sein, Verantwor- von 2008 (im folgenden ESS-Umsetzungsbericht), tung für die globale Sicherheit und für eine bessere der die Strategie ein »eigenes europäisches Kon- Welt mit zu tragen.« Andererseits lässt das kurze zept« nennt.5 Des Weiteren vertritt die ESS einen Dokument selbstverständlich einige Fragen offen, wertvollen Konsens unter den Mitgliedstaaten in der die man noch eingehender bearbeiten kann. Beurteilung gemeinsamer Bedrohungen und In- In dieser Beziehung ist der ESS- strumente zu deren Bekämpfung. Umsetzungsbericht, wie der Titel schon sagt, weni- Die ESS konzentriert sich jedoch nicht aus- ger eine Gesamtrevision der ESS als vielmehr eine schließlich auf Sicherheit in Bezug auf ihre militäri- nützliche, wenngleich leicht begrenzte Aktualisie- schen Aspekte. Vielmehr handelt es sich um eine rung (mit Änderungen in einigen Bereichen, neuen allgemeine Strategie, die die gesamte Bandbreite Aspekten von Bedrohungen, die bereits 2003 defi- der Außenbeziehungen der EU abdeckt und ein niert worden waren, neuen Partnerschaften oder besonderes Augenmerk auf Außenpolitik und Si- politischen Entwicklungen usw.), während die cherheit legt. Insbesondere bestanden die Ziele der grundlegenden Aussagen des Dokuments von 2003 ESS darin, die Bedrohungen für die EU und ihre aufrechterhalten werden: wirksamer Multilateralis- Bürger zu definieren, die Leitprinzipien für die Au- mus, der bereits erwähnte ganzheitliche Ansatz und ßen- und Sicherheitspolitik der EU festzulegen und die Verantwortung der EU für Weltfrieden und die Reaktionen der Union auf diese Herausforde- globale Sicherheit. Es wird auch kein Follow-Up- rungen sowie die wichtigsten Partner bei diesen Mechanismus eingerichtet, der die Umsetzung der Unterfangen zu beschreiben. Dieser Rahmen hat ESS erleichtern soll – das wäre nach den strategi- sich als extrem hilfreich erwiesen und die Ziele und schen Überlegungen ein logischer Schritt gewesen, Instrumentenkategorien haben im Allgemeinen der einen Fortschritt hin zu einer echten strategi- nach wie vor Gültigkeit. Das Problem der europäi- schen Überprüfung nach sich ziehen würde. schen Außen- und Sicherheitspolitik liegt eher darin, Vor allem muss betont werden, dass die die Ziele der Sicherheitsstrategie umzusetzen. Die GASP/ESVP nicht nur aus Worten bestehen kann. Es Umsetzung hinkt den Erklärungen hinterher. reicht nicht, ein paar Phrasen oder großartige Erklä- Jede Überprüfung oder Aktualisierung der ESS rungen hinzuzufügen. Daher schlagen wir keine sollte sich deshalb darauf konzentrieren, wie die grundsätzliche Überarbeitung der ESS vor, sondern europäische Außen- und Sicherheitspolitik nach der befürworten eher einen praktischen, regelmäßigen Maßgabe der ESS implementiert werden kann. Und Bewertungsprozess, der berücksichtigt, welche da die ESS in den letzten fünf Jahren wichtigster Lektionen man gelernt hat und wie sich die geostra- Bezugspunkt und wichtigste Benchmark für Europas tegische Situation verändert hat. Eine solche Über- Sicherheitspolitik gewesen ist, ist klar, dass die prüfung sollte alle fünf Jahre jeweils nach der Wahl tatsächlichen Entwicklungen seit 2003 in der Si- cherheit Europas ihre Spuren hinterlassen haben 6 Jolyon Howorth drückt es wie folgt aus: »Für die EU ist die und daher berücksichtigt werden sollten. Das be- Zeit gekommen, sich konstruktiv Gedanken über Macht- deutet auch, dass Europa seine Strategie und die beziehungen zu machen: Wie sieht Macht in der heutigen Ziele und Instrumente der Union an dynamische Welt aus, wie verändert sich ihre Definition, wer hat Macht, welche strategischen Ziele sollte das Europa der 27 verfolgen, wenn es Macht in all ihren Erscheinungsformen anwendet, mit welchen Bündnispartnern und mit dem Ein- 5 ESS-Umsetzungsbericht, S. 2. Der Bericht wurde durch die satz genau welcher Instrumente? Das sind die wichtigsten Erklärung des Europäischen Rates zum Ausbau der Euro- Fragen bezüglich eines umfassenden strategischen Ansat- päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) vom zes, den es sich die EU nicht leisten kann zu ignorieren.« 11. und 12. Dezember 2008 unterstützt (Anhang 2, »The Case for an EU Grand Strategy«, in: Europe: A Time Schlussfolgerungen des Vorsitzes vom 12. Dezember for a Strategy. Sven Biscop, Jolyon Howorth und Bastian 2008, zu finden unter http://www.consilium.europa.eu/ Giegerich, Egmont-Royal Institute for International Relati- uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/104697.pdf). ons (Januar 2009).
Internationale Politikanalyse 5 eines neuen Europäischen Parlaments stattfinden. In Dieser Überprüfungsprozess könnte sich außerdem ihr sollten die Erfolge und Unzulänglichkeiten der in »Substrategien« oder speziellen politischen bestehenden Politiken in allen Bereichen der ESS Aktionsplänen (von Regionen und/oder mit einzel- ehrlich bewertet werden, einschließlich Hilfe und nen Partnern) zum Thema »Sicherheit« niederschla- Handel, Förderung von Demokratie und Menschen- gen. Im Folgenden sollen einige solcher Substrate- rechten, Diplomatie sowie zivile und militärische gien vorgeschlagen werden. Missionen. Die ESS bietet bereits politische Leitlinien für alle EU-Institutionen, die an den Außenbeziehungen 2.2 Gegenstände künftiger ESS- beteiligt sind. Dieser Fokus sollte erhalten oder Bewertungsprozesse sogar erweitert werden. Ein solch umfassender Bewertungsprozess würde die EU in die Lage verset- Im Folgenden sollen einige Ideen angeboten wer- zen, sich insbesondere auf die Bereiche zu konzent- den, welche Prioritäten ein solcher künftiger Bewer- rieren, in denen die ESS noch nicht zu wirksamen tungsprozess bezüglich der Effektivität und des Maßnahmen geführt hat oder nicht zufriedenstel- Umsetzungsgrads der ESS haben könnte. Das Er- lend umgesetzt wurde. So könnte die ESS von 2003 gebnis könnte in der Entwicklung spezifischer behutsam überarbeitet und gleichzeitig die Sicher- »Substrategien« bestehen – damit meinen wir heitsdimension des europäischen Integrationspro- Politik- und Aktionspläne zur Umsetzung der allge- zesses gestärkt und legitimiert werden. meineren Grundsätze der ESS. Selbstverständlich Bevor wir uns den ESVP-spezifischen Themen für liegt der Fokus hierbei auf der ESVP-Komponente, diesen Bewertungsprozess widmen, wollen wir noch die ja Gegenstand dieses Papiers ist. einige grundsätzliche Anmerkungen zu den Akteu- ren machen: Herausforderungen und Bedrohungen Im Sinne einer EU-weiten Kohärenz sollten an dieser Überprüfung unter der Federführung des Die Lösung kann nicht darin bestehen, dem Doku- Hohen Vertreters für die GASP (sollte der Ver- ment eine lange Liste neuer Bedrohungen und trag von Lissabon endlich in Kraft treten, wird er Herausforderungen hinzuzufügen. Vielmehr ist es Hoher Vertreter der Union für Außen- und Si- erforderlich, die Verbindungen zwischen bestehen- cherheitspolitik heißen) und hoffentlich mit der den und neuen Herausforderungen hervorzuheben, Unterstützung des Europäischen Auswärtigen neue Dimensionen oder Dringlichkeiten andauern- Dienstes auch die Kommission und das Europäi- der Bedrohungen zu unterstreichen und sich über sche Parlament beteiligt werden und der Euro- deren Ursachen Gedanken zu machen. Dies würde päische Rat am Schluss seine Zustimmung ge- der EU helfen, ihre politischen Prioritäten frühzeitig ben. festzulegen und die verschiedenen Aktionen zur Bekämpfung der Wurzeln der Herausforderungen Eine große Errungenschaft seit der Einrichtung für unsere Sicherheit zu unterstützen anstatt nur an der GASP/ESVP ist die voranschreitende Entwick- den Symptomen herumzudoktern. Die neue Beto- lung einer spezifisch europäischen Sicher- nung von Energiesicherheit, Klimawandel (als »Be- heitskultur. Um die Unterstützung der Bürger drohungsmultiplikator«) und Piraterie im ESS- Europas für eine gemeinsame Sicherheits- und Umsetzungsbericht ist bereits ein Schritt in die rich- Verteidigungspolitik zu erhalten, sollte der Pro- tige Richtung. Wie bereits erwähnt wäre eine ver- zess zum einen die allgemeineren Fachkreise wandte Priorität für eine solche strategische Über- zum Thema »Sicherheit« sowie einzelstaatliche prüfung die Beurteilung des Trends hin zur Multipo- politische Institutionen (vor allem die Parlamen- larität und das Aufkommen regionaler Mächte, te) einbeziehen. Zum anderen müssen sich die deren Interessen in einigen Bereichen von strategi- einzelstaatlichen Regierungen dazu verpflichten, scher Bedeutung teilweise mit denen Europas im die Ergebnisse der Überprüfung in ihren Ländern Widerstreit liegen. als Teil der Harmonisierung des Sicherheits- und Verteidigungspfeilers der EU in die politische Ar- Nachbarschaft: Prioritäten der ESVP beit einfließen zu lassen. Dass die Länder sich die Prozesse zu Eigen machen müssen, ist bei den Wie die gegenwärtige ESS anerkennt, sind zahlrei- meisten Aspekten des Integrationsprozesses der che der Bedrohungen für die europäische Sicherheit Fall – hier gilt dies umso mehr. in der heutigen Welt globaler Natur – zum Beispiel
6 Eine Zukunftsagenda für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) die nukleare Proliferation. Dazu kommt, dass einige Engagement der EU« in ihrer (durchaus problemati- der so genannten »entfernten« Bedrohungen den schen) Nachbarschaft geht; sie besagt aber mitnich- Europäern in der Tat unmittelbar Anlass zur Besorg- ten, dass man sich aus anderen, »globaleren« Kri- nis geben. Der ESS-Umsetzungsbericht unterstreicht sen zurückzieht. Vielmehr bedeutet es, dass die EU ganz richtig, dass »die Sicherheitsinteressen Europas bei ihrem praktischen Engagement und bei der über seine unmittelbaren Nachbarländer hinausrei- Nutzung ihrer Instrumente insbesondere der ESVP chen.« Das unterstützt das Argument, dass Europa (bis hin zur Entsendung von EU-Truppen in Krisen- ein globaler Akteur mit beträchtlicher Wirkung in gebiete) diese Prioritäten als Erstes bedenken sollte, der Welt sein muss. Dafür muss es aber auch in der zumal sich Bedrohungen überschneiden und Europa Lage sein, die oben genannten Instrumente seiner in seiner Nachbarschaft wesentlich mehr Einfluss Außenbeziehungen (vom Handel über eine verstärk- hat. Spezifische Regionen oder Kriterien für eine te GASP hin zur Europäischen Nachbarschaftspolitik Beteiligung zu definieren, wird sich auch als nützlich usw.) kohärent zu nutzen. erweisen, wenn es um die verwandte Priorität der Trotzdem ist es nicht falsch, wenn die ESS davon militärischen Beteiligung Europas an Konflikten spricht, dass es auf Geografie immer noch an- geht: Sich auf die akuten Herausforderungen in der kommt. Um genau zu sein: Auf Geopolitik kommt Nachbarschaft Europas zu konzentrieren, kann beim es an. Mit einigen klaren Ausnahmen wie Afghanis- Entscheidungsprozess zu möglichen Einsätzen für tan, das der Umsetzungsbericht als einen besonde- die knappen europäischen Fähigkeiten auch im ren Bereich der Besorgnis bezeichnet, oder Irak, Lichte der Öffentlichkeit durchaus hilfreich sein. sollte der wichtigste geografische Bereich für die Zum zweiten ist diese Sichtweise auch kompati- Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik bel mit Überlegungen zu anderen Kriterien, zum als Instrument der GASP zuallererst in der Nachbar- Beispiel einen europäischen Beitrag zur Einhaltung schaft der Union liegen. Dazu gehören beispielswei- des Grundsatzes der »Responsibility to Protect« se der Kaukasus, das Mittelmeer und der Nahe (R2P), den die VN 2005 offiziell verabschiedet ha- Osten. Diese Regionen stellen für die Sicherheit der ben. Dieser Beitrag kann bestehen in i) der Nutzung Europäerinnen und Europäer besonders dringende diplomatischer Mittel in den VN-Foren oder, wo Herausforderungen dar und einige Krisen in diesen nötig, ii) der Entsendung von ESVP-Missionen zur Regionen betreffen sogar die ganze Welt – der Unterstützung von VN-Operationen oder aber iii) Nahe Osten ist ein nahe liegendes Beispiel. Einige der Bereitstellung von Streitkräften für friedenser- Bedrohungen liegen auf der Hand, wie die Heraus- haltende Missionen der VN. Diesem Thema werden forderung der massiven illegalen Migration oder wir uns im Folgenden noch widmen, wenn wir direkte Bedrohungen für die Energieversorgung mögliche Elemente eines Europäischen Weißbuchs Europas (im Moment in den Schlagzeilen wegen der zur Verteidigung besprechen.7 Auswirkungen des russisch-ukrainischen Gasstreits Mit diesen allgemeinen Ideen als Hintergrund im Winter 2009 auf die Europäer), das organisierte argumentieren wir für einen Bewertungsprozess, Verbrechen und eingefrorene Konflikte, die sich zu der sich bezüglich der Regionen auf Folgendes ewigen Stellvertreterkriegen entwickeln könnten konzentrieren sollte: (Südossetien und Libanon sind hierfür die jüngsten kollektive europäische Interessen in diesen spezi- Beispiele). fischen Regionen (z. B. Energie, Migrati- Andere Konflikte scheinen weiter entfernt zu onskontrolle, Bekämpfung des organisierten liegen, zum Beispiel die endemische Gewalt in zu- Verbrechens) oder Werte, die aufrechterhalten sammengebrochenen Staaten südlich der Sahara werden müssen und die überall zu findende extreme Armut. Trotz- unterschiedliche Instrumente für unterschiedli- dem werden die vielschichtigen Probleme, zu denen che Herausforderungen. Für eine bessere Kohä- diese Konflikte führen, von Tag zu Tag sichtbarer. renz nach außen sollten diese Instrumente wie- Terrorismus und Piraterie sind eindeutige Beispiele derum nicht nur die Instrumente des Rates (ins- und Somalia ist Lackmustest für beides. Ein proakti- besondere die ESVP) beinhalten, sondern auch ves, rechtzeitiges und robustes europäisches Enga- die Instrumente der Kommission, denn wir brau- gement unter Nutzung der verschiedenen Instru- chen einen ganzheitlichen Ansatz für eine ge- mente, die die EU in Abhängigkeit der Situation meinsame Vision für Europas Nachbarn nutzen kann, ist in diesen Krisen daher erforderlich. Diese Idee findet sich implizit auch im Umset- zungsbericht, und zwar dort, wo es um »größeres 7 Siehe unten, S. 19, zu den Kriterien für militärisches Kri- senmanagement.
Internationale Politikanalyse 7 unterschiedliche Partner, mit denen die EU je heit sein – die »Spitze des internationalen Sys- nach Region oder Thema zusammenarbeiten tems«, wie es im ESS-Umsetzungsbericht heißt. kann, um wirksamen Multilateralismus zu schaf- Die Partnerschaft zwischen EU und VN bei frie- fen. Darauf werden wir noch zurückkommen. denserhaltenden und friedensschaffenden Maß- nahmen muss vertieft werden. Querschnittskohärenz der sicherheitspolitischen NATO: EU und NATO haben viel gemeinsam, Instrumente nicht zuletzt 21 Staaten, die Mitglieder in beiden Organisationen sind. Diese Gemeinsamkeit Die ESS beschreibt kurz, wie die EU mit den neuen macht aus der Beziehung zwischen diesen bei- Bedrohungen umgehen wird. Sie schafft es aber den Organisationen eine wichtige Garantin für nicht, das gesamte Instrumentarium klar darzule- die Sicherheit der transatlantischen Gemein- gen, mit dem die EU einen Beitrag zu einer besseren schaft, insbesondere wenn beide Organisationen Welt leisten kann. Im Falle der Fähigkeiten ist die ihre Ziele, auch im Bereich der militärischen Fä- Kluft zwischen Absichtserklärungen und Umsetzung higkeiten, ähnlich definieren und sich gemein- am größten, denn die ESS bleibt bezüglich der samen Bedrohungen gegenüber sehen. Die NA- unterschiedlichen verfügbaren Instrumente sehr TO sorgt für die Kooperation der Vereinigten vage. Besonders Handelspolitik, Entwicklungshilfe Staaten als stärkste Militärmacht und der EU und interne Sicherheitspolitik als Kompetenzen der steht das vielfältigste und einflussreichste System Kommission sollten mit den Zielen der Sicherheits- an Wirtschafts- und Entwicklungshilfsinstrumen- strategie in Einklang gebracht werden. Der Vertrag ten zur Verfügung. Im Allgemeinen wird ein von Lissabon ist nur ein Schritt in diese Richtung, neuer strategischer Dialog zwischen NATO und dem weitere folgen müssen. Die EU-Afrika-Strategie EU immer stärker als Notwendigkeit erachtet; zeigt, wie man einen strategischen Ansatz unter die gegenwärtige Situation ist kontraproduktiv Bündelung aller Fähigkeiten der Union entwickeln und wird den Bedürfnissen beider Organisatio- kann. nen sowie ihrer Mitgliedstaaten nicht gerecht.8 USA: Die transatlantische Verbindung wird in Partner: Politikpläne für Organisationen und Schlüs- der ESS bereits als unersetzlich beschrieben, da selmächte die USA laut dem ESS-Umsetzungsbericht für Europa der wichtigste Partner sind. Die Imple- Der »wirksame Multilateralismus« der ESS ist ein mentierung ist jedoch suboptimal, denn die Zu- wesentlicher Faktor des positiven Images, das die EU sammenarbeit zwischen den USA und Europa ist allgemein genießt. Gemeint sind damit effektive immer noch stark verbesserungsfähig. Eine EU- internationale Organisationen und Rechtsinstrumen- USA-Sicherheitsstrategie, vielleicht im Rah- te zur Bekämpfung der Bedrohungen für den Frie- men einer überarbeiteten Neuen Transatlanti- den und die Entschlossenheit, entschieden vorzuge- schen Agenda (NTA) sollte gemeinsame Ziele hen, wenn jemand die Spielregeln bricht. In der und Bedrohungswahrnehmungen formulieren, Praxis gründet sich die Zusammenarbeit mit regio- die offen zwischen der EU und den USA disku- nalen oder globalen Organisationen und Schlüssel- tiert werden, so dass im Kontext des 21. Jahr- akteuren auf Ad-hoc-Entscheidungen oder politi- hunderts die transatlantische Gemeinschaft neu schen Szenarien in der Union. Eine stabile Basis für definiert werden kann – um es in den Worten Kooperation oder politischen Dialog gibt es nicht. der Schlussfolgerungen des Vorsitzes vom Rat im Das sollte sich ändern. Genau so, wie sich die EU letzten Dezember auszudrücken: eine erneuerte und die AU auf eine gemeinsame Afrika-EU- Partnerschaft. Beide Parteien brauchen ein direk- Strategie mit gemeinsamen Zielen und einer Kom- tes, angemessenes Forum, um aktuelle Sicher- bination der unterschiedlichen Instrumente geeinigt haben, sollte sich die ESS durch organisatorische, akteurbezogene Substrategien entwickeln, die die 8 Wie der französische Präsident Nicolas Sarkozy und Bundes- kanzlerin Angela Merkel in einem gemeinsamen Artikel strategischen Ziele für partnerschaftliche Zusam- erklärten: »Zu unserem Bedauern ist die ›strategische Part- menarbeit zwischen der EU und den folgenden nerschaft‹ zwischen Nato und EU aufgrund fortbestehen- relevanten Akteuren darlegen: der Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Mit- gliedstaaten hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Vereinte Nationen: Die Vereinten Nationen Dies darf nicht so bleiben. Wir müssen auf der Basis not- werden auch weiterhin der wichtigste Bezugs- wendiger Komplementarität zu einer echten Zusammen- punkt für Weltfrieden und internationale Sicher- arbeit finden.« (»Wir Europäer müssen mit einer Stimme sprechen«, Süddeutsche Zeitung, 3. Februar 2009).
8 Eine Zukunftsagenda für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) heitsthemen, unterschiedliche Wahrnehmungen einigen Umständen (und natürlich im ganzheitlichen auf beiden Seiten des Atlantiks und ESVP- europäischen Stil des Krisenmanagements) mit Angelegenheiten ehrlich anzusprechen. Dies ist, »Hard Power« zu agieren, um ihre Interessen und wie auch amerikanische Offizielle immer stärker Werte beispielsweise in den düstereren R2P- erkennen, für beide Seiten von Interesse. Weder Szenarien aufrechtzuerhalten. Der ESS- der EU-USA-Gipfel allein noch der Nordatlantik- Umsetzungsbericht betont hier die Bedeutung der rat reichen aus, um eine wahrhaftige strategi- ESVP-Komponente innerhalb der ESS (Missionen, sche Partnerschaft aufzubauen: Wir brauchen Fähigkeiten usw.) als operatives Instrument einer einen gesonderten EU-USA-Sicherheitsgipfel, europäischen Außen- und Sicherheitspolitik in ei- der um die Sitzungen des Europäischen Rates nem Europa, das »wirksamer« ist und »mehr Fähig- herum und mindestens alle zwei Jahre stattfin- keiten« besitzt. 10 den könnte.9 All diese Erklärungen bewegen sich allerdings Die EU sollte versuchen, Russland zu stärkerer innerhalb des allgemeinen Rahmens der Sicherheit Zusammenarbeit im Bereich der Außen- und Si- und Sicherheitskultur. Die logischen Auswirkungen cherheitspolitik zu bewegen und zwar auf der auf die Verteidigung werden nicht erwähnt. Grundlage einer Gegenseitigkeit der Verpflich- Daher muss die EU neben einem regelmäßigen tungen und innerhalb einer allgemeinen Über- ESS-Bewertungsprozess innerhalb der ESS und prüfung der Rolle Russlands in der europäischen GASP/ESVP in einem spezifischen Europäischen Sicherheitsarchitektur. Dies sollte zur Förderung Weißbuch zur Verteidigung (EDWP) eine Vertei- der gemeinsamen Interessen geschehen, die der digungsdoktrin entwickeln. Hierbei würde es sich ESS-Umsetzungsbericht fordert, und anderen um eine zivil-militärische Strategie handeln, die Diskussionen nicht im Weg stehen (z. B. Rechts- Leitfaden für die Anstrengungen der Mitgliedstaa- staatlichkeit oder Energieversorgung). Russland ten im operativen Bereich (Missionen, Bereitstellung kann beim Kampf gegen Terrorismus, organisier- von Truppen usw.) sein könnte, einschließlich im tes Verbrechen und Proliferation ein wertvoller Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenar- Partner werden. Obwohl die diplomatischen Po- beit (SSZ) gemäß dem Vertrag von Lissabon oder sitionen von Zeit zu Zeit unterschiedlich sein mit anderen Möglichkeiten, die wir in Kapitel 2 werden, bleibt eine Zusammenarbeit bei ESVP- noch darlegen werden und die nicht vom Inkrafttre- Missionen eine plausible Möglichkeit, wie EUFOR ten des Vertrags von Lissabon abhängen. Dieses Tschad/RCA vielleicht belegt. Europäische Weißbuch zur Verteidigung sollte inklu- Im Falle anderer regionaler Organisationen oder siv sein und das gemeinsame Verständnis aller EU- Mächte sollte die EU dem Beispiel folgen, das Mitgliedstaaten unter der Verteidigungssäule der 2007 durch die Afrika-EU-Strategie (oder auch ESS widerspiegeln. die strategische Partnerschaft zwischen EU und China) gegeben wurde. Sie sollte mit ihren Part- Warum ein Europäisches Weißbuch zur nern gemeinsame Visionen und Strategien erar- Verteidigung? beiten – insbesondere, wie gesagt, mit den Part- nern in der unmittelbaren Nachbarschaft. Ein Zum Aufbau militärischer Kapazitäten in den euro- Beispiel hierfür ist die neue Union für das Mit- päischen Staaten ist zuallererst eine einheitliche telmeer mit Sitz in Barcelona. Vision bezüglich der Höhe der Ziele erforderlich und zwar über die Grenzen zwischen Organisationen hinweg: Wie umfangreich sollten die Streitkräfte 2.3 Stärkung der ESVP: Auf dem Weg zu einem sein, die die EU-27 als Ganzes für Krisenmanage- Europäischen Weißbuch zur Verteidigung ment und langfristige friedenserhaltende Maßnah- men zur Verfügung stellen kann, welche Prioritäten Die EU ist eine internationale Akteurin, die schon werden gesetzt, wie viele Operationen können jetzt über erhebliche »Soft Power« verfügt und gleichzeitig durchgeführt werden, welche Reserven diese bereits erfolgreich in einigen Krisen angewen- braucht man dafür und welche Kapazitäten müssen det hat. Sie muss auch willens – und fähig – sein, in für die territoriale Verteidigung vorgehalten wer- 9 Siehe dazu auch die Vorschläge im Memorandum des Europäischen Rates für Außenbeziehungen vom Dezember 10 ESS-Umsetzungsbericht. In der ESS von 2003 wird die 2008 (»Re-wiring the US-EU Relationship«, Daniel Korski, ESVP kaum erwähnt, was nicht verwundert, da diese da- Ulrike Guérot und Mark Leonard). mals noch in den Anfängen steckte.
Internationale Politikanalyse 9 den? Wahrscheinlich wird dabei herauskommen, So könnte auch die NATO ihre prioritären Ope- dass Europa die zwei Millionen Soldaten, die es in rationen, auf die sich die Bündnispartner geei- den Streitkräften seiner Mitgliedstaaten derzeit gibt, nigt haben, besser durchführen, was die Anfor- gar nicht braucht. derungen und die sich daraus ergebende Über- Das Europäische Weißbuch zur Verteidigung lastung mindert. Die EU wird im Gegenzug (European Defence White Paper, EDWP) sollte selbstständig andere Operationen durchführen, daher die gemeinsamen Ambitionen Europas im die sie für ihre spezifischen Interessen und Werte Bereich Verteidigung klarer definieren. Die ESS als vollwertige politische Akteurin und/oder dort, besagt, dass die erste Verteidigungslinie oftmals im wo man sie als eine neutralere Friedensvermittle- Ausland liegen wird, da die neuen Bedrohungen rin sieht (z. B. in Afrika oder im Kaukasus) für dynamisch sind. Sie erwähnt auch die »gegenseitige notwendig hält. Solidarität« der EU-Mitgliedstaaten. Darüber hinaus Es wäre ein logisches Element des europäischen hat die Klausel zum gegenseitigen Beistand im Integrationsprozesses, wie man es bereits in den neuen Vertrag (Artikel 42.7 EUV) einige symbolische 1950er Jahren zu Zeiten der Europäischen Ver- Bedeutung, wenngleich sie von begrenztem prakti- teidigungsgemeinschaft (die nie das Licht der schen Wert ist. Das reicht nicht, denn damit steckt Welt erblickte) diskutiert hat. Es wäre ein Pro- die EU sich ihre Ziele sehr niedrig. Das Weißbuch zess, der die Gründung einer Art politischen sollte als Konsens der EU-Mitgliedstaaten ausdrück- Körperschaft welchen Namens auch immer zum lich besagen, dass die EU sich langfristig das Ziel Ziel haben könnte, die über die Zukunft der Völ- setzt, ein kollektives Verteidigungssystem aufzubau- ker Europas in immer mehr wichtigen Bereichen en, in Übereinstimmung mit den entsprechenden entscheiden könnte. Zielvorgaben des EU-Vertrags. Darüber hinaus brauchen wir diese Eigenver- Dieses System sollte die neu identifizierten Be- antwortung, um die ehrgeizige Agenda des drohungen abdecken. Das könnte Einsätze im Aus- Ausbaus der Fähigkeiten und des einheitlichen land bedeuten, territoriale Verteidigung oder Ver- Auftretens der EU auf der Weltbühne zu för- teidigung gegen Bedrohungen innerhalb der EU, dern. Ohne ein glaubwürdiges System der kol- also innere Verteidigung. Einige der Krisen der lektiven Verteidigung einschließlich wirksamer jüngeren Zeit haben gezeigt, wie nah die EU an Bestimmungen zum gegenseitigen Beistand und einer ganzen Reihe von Konflikten ist und dass die weiterer institutionellen Verzahnung der europä- Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf ein europäi- ischen Streitkräfte wird es bei einem halbherzi- sches Land kein uralter Mythos aus dem Kalten gen Versuch bleiben. Krieg ist – ebenso wenig wie größere Anschläge Des Weiteren wird dieses Weißbuch letzten Endes durch nichtstaatliche Akteure. das Projekt eines euro-atlantischen Sicherheitssys- Die Diskussion, ob und warum die EU letzten tems, beruhend auf den beiden Stützpfeilern NATO Endes Verantwortung für ihre eigene Verteidigung und EU, fördern. Wenn dieses Projekt realisiert übernehmen muss, scheint mittlerweile veraltet. würde, könnte es auch dazu beitragen, Meinungs- Daher sei an dieser Stelle nur eine Zusammenfas- verschiedenheiten der Mitgliedstaaten zum organi- sung der Gründe gegeben: satorischen Rahmen beizulegen. Als notwendige Die Pflichten können zwischen EU und NATO Folge einer größeren Verantwortung der EU für ihre regional und global gerecht aufgeteilt werden, eigene Verteidigung könnte sich etwas ergeben, so dass dem von einigen so bezeichneten stän- was einige bereits als »Europäisierung« der NATO digen Ausweichen der EU vor strategischer Ver- oder einen »EU-Caucus« innerhalb der Nato durch antwortung ein Ende bereitet werden könnte.11 intensivere Mitarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Nordatlantikrat bezeichnet haben. Das langfristige Ziel könnte in einer Art Umwandlung des Nordat- 11 Alyson J. K. Bailes: »Mit mittlerweile 27 Mitgliedern und lantikrats in einen ständigen NATO-EU-Rat beste- weiteren Kandidaten im Westbalkan kann die EU sich nicht als ein kleiner Verein verletzbarer Gutmenschen dar- hen, in dem die EU mit einer Stimme spricht und stellen, der Schutz unter der Fittiche der NATO und der geschlossen abstimmt. Vereinigten Staaten sucht. Sie hat ein eigenes strategi- Man muss jedoch bedenken, dass dies nicht da- sches Gewicht und eine Außenwirkung, die vielerorts als unterdrückerisch erfahren werden mag: Die EU bewegt zu führen sollte, dass die ESVP in der NATO auf- sich auf eine Situation hin, in der sie potenzielle Feinde geht. All das Genannte sollte Folge einer europäi- und Wettbewerber hat.« »The EU and a ›Better World‹: schen Verteidigung sein, keine Lösung für eine What Role for the European Security and Defence Policy«, europäische Verteidigung. ESVP und europäische in: International Affairs, Januar 2008.
10 Eine Zukunftsagenda für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) Verteidigung sind Konzepte, die einer bestimmten Grundsatz der Responsibility to Protect (R2P) fal- in diesem Arbeitspapier dargelegten Logik entsprin- len. Die R2P verkörpert den allgemeineren Beg- gen und das kann der NATO-Rahmen nicht leisten. riff der »menschlichen Sicherheit«, der einen Die Arbeit an einem Europäischen Weißbuch zur ganzheitlichen Ansatz zur Krisenbewältigung Verteidigung könnte von der Erfahrung mit ver- verfolgt und Teil eines neuen Multilateralismus schiedenen einzelstaatlichen Verteidigungsberichten des 21. Jahrhunderts ist. Der ESS- profitieren, die seit 2008 z. B. in Frankreich, dem Umsetzungsbericht unterstützt die R2P zum ers- Vereinigten Königreich und Spanien erstellt wer- ten Mal spezifisch. den.12 Es ist nur logisch, dass innovative Synergien Dieses Engagement für humanitäre Grundsätze aus diesen Verteidigungskulturen in ein gemeinsa- sollte in dem Verständnis verfolgt werden, dass mes Verständnis einer europäischen Verteidigung es nicht das einzige Kriterium für ein militäri- einfließen sollten, anstatt immer 27 (oder 30) um- sches Engagement der EU sein kann. Wie sich fassende Verteidigungsstrategien vor sich zu haben. aus den anderen oben angeführten Kriterien und Szenarien ableiten lässt, kann es auch Um- Militärisches Krisenmanagement: stände geben, bei denen es einfach um kollekti- Wo, wann, wie und wofür? ve Interessen einer eher »eigennützigen« Art geht (zum Beispiel der Schutz von EU- Direkte militärische Interventionen gehören zu den Staatsbürgern im Ausland), die sich mit globalen offensichtlichsten Fällen, in denen Fähigkeiten an- humanitären Anliegen überschneiden können gewendet werden, aber sie sind auch in der öffent- oder auch nicht. In solche Kompromisse sollten lichen Meinung und zwischen Mitgliedstaaten auch andere Überlegungen einfließen – vor al- höchst umstrittene Instrumente. Die Agenda der lem das Risiko, dass man den Erwartungen nicht ESS bezüglich Interventionen ist auch nach dem gerecht werden kann. Das stützt aber anderer- ESS-Umsetzungsbericht zu vage und muss durch seits das Argument, dass Europa seine Worte in das Weißbuch spezifiziert werden. Bei der Erarbei- die Tat umsetzen sollte (wie die Debatte Anfang tung dieses Weißbuches sollten sich die EU- des Jahres über eine noch zu beschließende EU- Institutionen und Mitgliedstaaten genügend trans- Überbrückungsmission in Kivus/Kongo belegt parente Kriterien geben, i) wo, ii) wann, iii) wie und hat). iv) zu welchen strategischen Zwecken die EU durch »Segen der VN«: Ein weiterer Punkt könnte eine den Einsatz militärischer Fähigkeiten unter ihrer Anfrage oder eine Unterstützung durch den Si- Flagge in Krisen oder Konflikte eingreifen will. Unter cherheitsrat der Vereinten Nationen sein, eine diesen Kriterien schlagen wir die folgenden zur Operation einzuleiten, wie es bereits bei der EU- Erwägung vor: FOR Tschad/RCA der Fall war. Eine Art Überbrü- Interessen, in Übereinstimmung mit dem ge- ckungsoperation zur Unterstützung einer ande- nannten ESS-Bewertungsprozess; beispielsweise, ren VN-Mission wird immer häufiger gefragt. wenn das Risiko besteht, dass der Ausbruch ei- Jegliche militärische Gewalt (vor allem gegen ner Krise die Stabilität in der Nachbarschaft der Drittländer und in anderen, ähnlich schwierigen EU (z. B. Libanon) oder in anderen Bereichen von Fällen) sollte vorzugsweise in Zusammenarbeit strategischem Interesse für Europa massiv ge- mit dem Sicherheitsrat durchgeführt werden. fährden könnte. Zum anderen sollten hierzu Insgesamt könnte die EU in einigen Fällen ent- selbstverständlich auch Reaktionen auf Bedro- scheiden, dass eine Entsendung von Truppen hungen für die europäische Bevölkerung gehö- unter der Flagge der EU erforderlich ist; in ande- ren, u. a. Rettungsmissionen zur Evakuierung ren Szenarien hat die EU andere Mittel, bedeu- von EU-Staatsangehörigen aus Krisengebieten. tende Beiträge zur Krisenbewältigung zu ma- Schwere humanitäre Krisen, insbesondere in chen, beispielsweise durch zivile Missionen (wie Szenarien, die unter den von VN-Mitgliedstaaten die EU-Beobachtungsmission in Georgien), Bei- 2005 unterstützten und von der EU beförderten träge zu Frieden erhaltenden Operationen der VN oder allgemein durch eine gestärkte GASP. Diese Kriterien werden bei der Entscheidungsfin- 12 So verabschiedet zum Beispiel Spanien gerade eine neue dung über das spezifische europäische Engagement Richtlinie zur Nationalen Verteidigung, die trotz ihres Na- mens eine fortschrittliche Vision der europäischen Vertei- und die unterschiedlichen nachfolgenden Operatio- digung entwirft und sich gleichzeitig der NATO ver- nen (Friedensdurchsetzung, Krisenreaktion, zivil- schreibt. Dies wird künftig in eine allgemeinere Nationale militärische Operationen, Rettungseinsätze usw.) als Sicherheitsstrategie einfließen.
Internationale Politikanalyse 11 Leitlinie dienen. Sie werden einen entscheidenden 3 Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Schritt hin zu einer Krisenmanagementdoktrin europäischen Verteidigung der EU bilden. Zur Frage der Anzahl der Operatio- nen sollte das Weißbuch sich folglich um Szenarien bemühen, die sowohl realistisch als auch ehrgeizig 3.1 Inklusivität und eine europäische Verteidi- sind. Die festgelegten Zielvorgaben in der Erklä- gung der unterschiedlichen Geschwindig- rung des Rates vom 8. Dezember 2008 zur Stärkung keiten der Fähigkeiten der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik13 vermitteln eine Vorstellung Wir haben uns bisher mit den möglichen politischen von den möglichen europäischen Missionen in den Dimensionen für zukünftige Überprüfungen der ESS nächsten Jahren. Die Mitgliedstaaten müssen aber beschäftigt sowie mit der Notwendigkeit einer über die festgelegten Zielvorgaben hinaus auch speziellen Verteidigungsstrategie (ein Europäisches mehr hochintensive Operationen akzeptieren, bei- Weißbuch zur Verteidigung). In diesem Kapitel spielsweise im Bereich der Friedensdurchsetzung.14 behandeln wir die praktischen Entscheidungen, die Andererseits könnten diese festgelegten Zielvor- notwendig sind, um aus der derzeitigen ESVP eine gaben Anstrengungen zur Entwicklung der Fähig- verstärkte europäische Verteidigung zu machen. keiten voranbringen, wie sie in Kapitel 2 angespro- Zuerst haben wir Vorschläge zu Themen vorgese- chen werden. Laut EDA handelt es sich hier nicht hen, die wir für die gesamte Union für wichtig und nur um quantitative Fragen (»Wie viele Soldaten?«), machbar halten und die dem Prinzip der Inklusivität sondern auch um qualitative (der Einsatz der Fähig- Rechnung tragen. Wir unterbreiten ebenfalls einige keiten sollte auch den gewünschten strategischen Vorschläge für kleinere Staatengruppen, die im Effekt zeigen). Bereich Verteidigung innerhalb der derzeit oder potenziell verfügbaren Mechanismen schneller vorankommen möchten – vom Bereich »Fähigkei- ten« (z. B. unter der Leitung der Europäischen Ver- teidigungsagentur, auf der Basis von Ad-hoc- Projekten usw.) bis hin zu einer so genannten politi- schen »Avantgarde« von Staaten, die gewillt sind, bei der Integration ihrer Verteidigungssysteme noch weiter zu gehen. Einige Ideen könnten sich inner- halb der Mechanismen des Lissabonner Vertrags bewegen (vor allem die verstärkte und Ständige Strukturierte Zusammenarbeit), die einen klaren institutionellen Rahmen bieten können. Sie könnten 13 Rat der Europäischen Union, 11. Dezember 2008. Die jedoch auch innerhalb der derzeitigen Institutionen ehrgeizigen Ziele sehen unter anderem vor, dass Europa in den kommenden Jahren in der Lage sein sollte, zu einer (gemeint ist dabei der Vertrag von Nizza, die EDA gleichzeitigen Planung und Durchführung von zwei um- und intergouvernementale Abkommen) vorange- fangreichen Operationen zur Stabilisierung und zum Wie- bracht werden, da Verteidigung ja der klassische deraufbau über mindestens zwei Jahre, zwei zeitlich befris- teten Krisenreaktionsoperationen, einer Operation zur intergouvernementale Bereich der europäischen Notevakuierung europäischer Staatsbürger in weniger als Integration überhaupt ist. zehn Tagen, einer Mission zur Überwachung/Abriegelung In diesem Arbeitspapier versuchen wir daher, die des See- oder Luftraums; einer bis zu 90 Tage dauernden zivil-militärischen Operation zur Leistung humanitärer Hilfe Inklusivität in der europäischen Verteidigung mit und rund einem Dutzend ziviler ESVP-Missionen unter- der Idee eines Europas der mehreren Geschwin- schiedlichen Formats, einschließlich einer größeren Mission digkeiten zu verbinden, die ja in anderen Bereichen (mit eventuell bis zu 3.000 Experten), die mehrere Jahre andauern könnte. des Integrationsprozesses bereits praktiziert wird. 14 In diesem Zusammenhang scheinen zeitlich befristete Der Aufbau der ESVP beinhaltet sowohl ein poli- Krisenreaktionsoperationen unter Einsatz der Gefechtsver- tisches Ziel (eine EU, die auf internationaler Bühne bände das einzige umfangreichere Ziel in der Erklärung zu sein. Im neuen Vertrag sowie in den Petersberg-Aufgaben eine ernstzunehmende Akteurin ist) als auch ein ist von »Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewälti- praktisches (die Verbesserung der militärischen gung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen...« Fähigkeiten, damit ESVP-Missionen wirksamer, die Rede. Weiter heißt es »Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen wer- effizienter und ambitionierter ausgeführt werden den, unter anderem auch durch die Unterstützung für können). Diese Missionen sind laut ESS- Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Umsetzungsbericht zunehmend gefragt. Das lang- Hoheitsgebiet.« (Art. 43.1 EUV).
12 Eine Zukunftsagenda für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) fristige Ziel, das wir bereits im Kapitel zum Europäi- nion (EUMK); der Militärstab der Europäischen schen Weißbuch zur Verteidigung genannt haben, Union (EUMS); der Zivile Planungs- und Durch- sollte in genügend Kapazitäten in der EU für eine führungsstab (CPCC) autonome, kollektive Verteidigung bestehen. Durchführung von über 20 zivilen und militäri- Je mehr Mitgliedstaaten ihre Verteidigungspoli- schen Operationen tiken angleichen und je besser die Streitkräfte zu- Gründung der Europäischen Verteidigungsagen- sammenarbeiten, desto effizienter werden die Mili- tur (EDA), die sich mit allen Aspekten der Vertei- tärausgaben. Aus wirtschaftlicher Sicht und im digung auf europäischer Ebene befasst: Fähig- Sinne der militärischen Leistungen gibt es umfang- keiten, Forschung und Technologie (F&T), Rüs- reiche Beweise dafür, dass die EU-Staaten ein Inte- tung, Markt und die verteidigungstechnologi- resse daran haben, von einem »Nicht-Europa«15 in sche und -industrielle Basis der EU (EDTIB) diesem Bereich sich dahin zu bewegen, dass ihre Verabschiedung der Europäischen Sicherheits- Verteidigungspolitik so weit wie möglich angepasst strategie (ESS) im Dezember 2003 – ein ganz- wird und parallel dazu eine umfassende Gemeinsa- heitlicher Ansatz für internationales Krisenma- me Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) entwickelt nagement, wie in Kapitel 1 beschrieben. wird. Dies ist jedoch nicht das Ende der Entwicklung einer ESVP, ungeachtet aller offensichtlichen Versäumnis- se in den ersten zehn Jahren. Tatsächlich ist es so, 3.2 Was für die gesamte EU möglich sein soll- dass es trotz der vielen bis heute durchgeführten te: Vorschläge für entscheidende Bereiche Operationen es immer schwieriger wird, bei Fragen der ESVP stetig voranzukommen. Im Allgemeinen Die GASP wurde 1992 im Vertrag von Maastricht geht der Erwerb neuer Fähigkeiten schleppend gegründet. Zu dem Zeitpunkt gehörte die ESVP voran und das liegt nicht nur an knappen Verteidi- noch nicht zum politischen Feld der EU und es war gungshaushalten: Die Bündelung von Fähigkeiten die Westeuropäische Union (WEU), die sich mit leidet im wesentlichen darunter, dass die Mitglied- diesen Fragen auseinander setzte.16 Die ESVP hat staaten auf diesem Gebiet ihre Souveränität nicht ihre Wurzeln im französisch-britischen Gipfel von St. abgeben wollen, die Verteidigungsportfolios rigide Malo im Dezember 1998, als die Idee einer europäi- sind und Eigeninteressen vorliegen. Es gibt weder schen Verteidigungspolitik, mit der die Europäische eine gemeinsame Militärdoktrin noch viele multina- Union (EU) in militärischen Angelegenheiten auto- tionale Einheiten – trotz einiger Initiativen wie dem nom handeln könnte, erfolgreich begründet wurde. Eurokorps oder einigen Gefechtsverbänden (Batt- Sie wurde von allen europäischen Partnern akzep- legroups, abgekürzt BGs).18 Es ist auch schwierig, tiert und beim Europäischen Rat in Köln im Juni eine gemeinsame Ausrüstung und eine effiziente 1999 niedergeschrieben – das war die Geburtsstun- europäische Verteidigungsindustrie umzusetzen. de der ESVP.17 Auf der anderen Seite ist die große Mehrheit der In den darauf folgenden Jahren erreichten die durchgeführten Operationen eher ziviler als militäri- EU-Staaten einige Ziele. Dazu gehörten: scher Natur (Rechtsstaatlichkeit, Missionen zur die Definition der Grundstrukturen der ESVP; das Reform des Sicherheitssektors usw.) und viele von Politische und Sicherheitspolitische Komitee ihnen sind klein mit sehr wenig EU-Personal.19 Die (PSK); der Militärausschuss der Europäischen U- aufkommende Kritik an Letzterem ist bekannt (bei- spielsweise im Hinblick auf die Finanzierung, klare Zielsetzung, fehlende kohärente EU-Strategie zum 15 Siehe »Die Kosten eines ›Nicht-Europas‹ im Bereich Sicher- Krisenmanagement usw.). heit und Verteidigung«, Abteilung Auswärtige Politik, Eu- ropäisches Parlament, Generaldirektor für die Außenpolitik Als Ziel sollte gelten, noch weiter und tiefer zu der EU, Juni 2006. gehen (wohin?), um eine möglichst integrierte 16 Diese Organisation hatte über Jahre eine Klausel über gegenseitigen Beistand. Das sollte man nicht vergessen. 17 Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass den Staats- und Regierungschefs der EU in Köln bereits bewusst war, dass 18 Es gibt seit der Einführung 2007 drei Grundtypen von dafür »autonome Handlungsfähigkeiten, die sich auf Gefechtsverbänden: einzelstaatliche BGs, BGs mit einer glaubwürdige militärische Fähigkeiten und geeignete Be- Rahmennation und multinationale BGs. schlussfassungsgremien stützen« (unsere Hervorhebun- 19 Nur die Operationen Artemis (Kongo), Concordia (Maze- gen) erforderlich sind. Erklärung des Europäischen Rates donien), EUFOR RD Kongo sowie die laufenden EUFOR über die Stärkung der Gemeinsamen Europäischen Si- Althea (Bosnien), EUFOR Tschad/RCA und die neue mari- cherheits- und Verteidigungspolitik, Köln, 3 und 4. Juni time Mission, EU-NAVFOR (»ATALANTA«) können als mili- 1999. tärisch bezeichnet werden.
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