Die WTO und das Weltern hrungssystem: eine Gewerkschaftsstrategie
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die WTO und das Welternährungssystem Die WTO und das Welternährungssystem: eine Gewerkschaftsstrategie Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Café- und Genussmittelarbeiter-Gewerkschaften Genf, 2002 Gedruckt auf Umweltschutzpapier eine Gewerkschaftsstrategie 1
Die WTO und das Welternährungssystem Inhalt 3 1. Einleitung: Die WTO und die «Globale Landwirtschaft» 6 2. Die Antwort der Gewerkschaften: Eine Strategie der integrierten Rechte 11 3. Die WTO-Abkommen und die globale Ungleichheit 3.1 Die «Entwicklungsbox» 3.2 Konsolidierung des Einflusses der Unternehmen 3.3 Harmonisierung nach unten 3.4 Der Angriff gegen die Kennzeichnung genetisch veränderter Organismen 18 4. Die weiteren Zusammenhänge 4.1 Die WTO als System 4.2 Unternehmensglobalisierung: Die Aufhebung von Schranken 4.3 Exportabhängigkeit und Auslandsschulden 22 5. Globale Investitionssysteme 5.1 Investitionsregeln in der WTO 5.2 NAFTA-Kapitel 11 5.3 Die FTAA und bilaterale Investitionssysteme 25 6. Schlussbetrachtung 2 eine Gewerkschaftsstrategie
Die WTO und das Welternährungssystem 1. Einleitung: Die WTO und die ‘Globale Landwirtschaft´ Das Welternährungssystem von heute zu analysie- wenn doch mehr als die Hälfte der Erwerbsbevöl- ren, ist gleichzeitig einfach und kompliziert. Es ist kerung der Welt in der landwirtschaftlichen Produk- einfach, wenn wir uns die Bedeutung der Ernäh- tion arbeitet? Nach Angaben der IAO verlieren in rung für die Aufrechterhaltung des menschlichen jedem Jahr mindestens 170 000 Landwirtschafts- Lebens vor Augen führen. Jeder Mensch braucht arbeitnehmer ihr Leben infolge eines Unfalls an ih- Nahrungsmittel; der Zugang zu ausreichenden, si- rer Arbeitsstätte. Arbeitnehmern in der Landwirt- cheren und gehaltvollen Nahrungsmitteln ist ein schaft droht zweimal so häufig der Tod am Arbeits- grundlegendes Menschenrecht. Rund 1,3 Milliar- platz wie in jedem anderen Wirtschaftszweig. In den Menschen sind aktiv in der landwirtschaftli- jedem Jahr werden 40 000 dieser Todesfälle durch chen Produktion tätig, und die Landwirtschaft be- die Einwirkung von Pestiziden verursacht. Jedes schäftigt die Hälfte der Erwerbsbevölkerung der Jahr erleiden schätzungsweise drei bis vier Millio- Welt. Hierzu gehören auch 450 Millionen unselb- nen in der Landwirtschaft beschäftigte Menschen ständige Landwirtschaftsarbeitnehmer. In den Ent- durch die gefährlichen Pestizide, die sie verwen- wicklungsländern bilden die Landwirtschaftsarbeit- den müssen, schwere Vergiftungen, die auch zu nehmer die Mehrheit der Erwerbsbevölkerung, und Krebs und zu Beeinträchtigungen der Reproduk- ihr Anteil erreicht in einigen Ländern bis zu 80 Pro- tionsfähigkeit führen können. Nur 5 Prozent der zent. Mehr als die Hälfte der unselbständigen Er- 1,3 Millionen Landwirtschaftsarbeitnehmer der werbstätigen in der Landwirtschaft der Welt sind Welt können irgendeine Form der Arbeitsaufsicht Frauen, und 70 Prozent aller arbeitenden Kinder oder einen gesetzlichen Schutz ihrer Rechte auf Si- sind in der Landwirtschaft beschäftigt. cherheit und Gesundheit in Anspruch nehmen. Und dennoch strebt die von Institutionen wie der Welt- Die meisten in der landwirtschaftlichen Produktion handelsorganisation (WTO) aggressiv geförderte tätigen Menschen erzeugen Nahrungsmittel. Nach Globalisierungsagenda der Unternehmen noch Angaben der VN-Organisation für Ernährung und mehr Deregulierung und noch weniger sozialen Landwirtschaft (FAO) erzeugen Landfrauen die Schutz an. Hälfte der Nahrungsmittel der Welt und 60 bis 80 Prozent der Nahrungsmittel in den meisten Ent- Nach dem von der WTO so bezeichneten "Rück- wicklungsländern. Alle Landwirtschaftsarbeitneh- schlag in Seattle" im Jahr 1999 startete die Vierte mer und Kleinbauern sind gleichzeitig Erzeuger Ministertagung der WTO in Doha (9.-15. Novem- und Verbraucher von Nahrungsmitteln, und ihre ber 2001) eine neue Runde der Handelsliberalisie- Existenz ist an die Existenz jener gekoppelt, die rung. Die Gewinner dieser neuen `Doha-Entwick- die von ihnen erzeugten Nahrungsmittel verbrau- lungsrunde´ sind ganz eindeutig die transnationa- chen. Dies ist ein ganz einfacher, aber grundlegen- len Konzerne (TNKs), die die Weltwirtschaft domi- der Zusammenhang innerhalb des Welternährungs- nieren. Hierzu gehört auch die Landwirtschafts- systems. und Nahrungsmittelverarbeitungsbranche, in der durch Fusionen und Übernahmen einige globale Wenn man das Welternährungssystem mit dem ge- Konzerne die Kontrolle übernommen haben. Kon- sunden Menschenverstand erfassen will, stellen zerne, die Saatgut liefern, haben mit Unternehmen sich zunächst einige elementare Fragen. Warum der Agrochemie und der Biotechnologie fusioniert hungern heute 820 Millionen Menschen, wenn der und damit das Welternährungssystem neu ausge- Zugang zu sicheren, gehaltvollen Nahrungsmitteln richtet. Robert Fraley, der Präsident der Saatgut- so wichtig ist? Warum hungern Menschen in nah- sparte von Monsanto hat hierzu festgestellt: "Dies rungsmittelexportierenden Ländern und warum sind ist keine bloße Konsolidierung von Saatgutfirmen, Landwirtschaftsarbeitnehmer schlecht ernährt? sondern in Wirklichkeit eine Konsolidierung der Warum gehören unselbständige Landwirtschafts- gesamten Nahrungsmittelkette"1 . arbeitnehmer und Kleinbauern zu den Ärmsten der Welt, wenn sich der Wert der jährlichen weltwei- Aufgrund dieser Kontrolle der gesamten Nahrungs- ten Ausfuhren von landwirtschaftlichen Erzeugnis- mittelkette können Konzerne wie Du Pont in ihre sen auf 545 Milliarden US-Dollar beläuft? "Liste der Dinge, die für den Planeten zu tun sind" auch die simple Aufgabe aufnehmen, die darin be- Warum sind die Bedingungen, unter denen Nah- steht, "den Planeten zu ernähren". In Wirklichkeit rungsmittel erzeugt werden, für die Gesundheit bedeutet dies jedoch, dass die Menschen sich und das Wohl dieser Menschen so schädlich, ohne Riesenkonzerne wie Du Pont immer weniger eine Gewerkschaftsstrategie 3
Die WTO und das Welternährungssystem selbst ernähren können, da sie immer abhängiger stertagung in Doha erklärte Präsident Bush: "Ich von den Erzeugnissen und Produktionsmethoden möchte, dass Amerika die Welt ernährt. Wir lassen der TNKs werden. In diesem Sinne ist die Nah- einige große Möglichkeiten ungenutzt, nicht nur in rungsmittelkette mit einem Schloss versehen, und unserer Welthälfte, sondern in der ganzen Welt"2 . die TNKs haben den Schlüssel dazu. Dies ist das So werden die globale Menschheitskrise und die Ziel ist, zu dem uns die Globalisierung der Unter- umfassende Verletzung des Rechts der Menschen nehmen hinführen will und die neue WTO Runde auf Zugang zu ausreichenden, sicheren und ge- wird uns dort noch rascher hinbringen. haltvollen Nahrungsmittel zu einer Chance für die Unternehmen umdefiniert. Zu denen, die `von Dies alles sind keine philosophischen Fragen oder Amerika ernährt´ werden sollen (d.h. von den US- Gedanken über die Moral unserer Zeit. Es sind amerikanischen Agrarkonzernen), gehören die vielmehr einige der elementarsten politischen Fra- Kleinbauern und Landwirtschaftsarbeitnehmer in al- gen, die in bezug auf das System, in dem wir le- ler Welt, deren Lebensgrundlage durch Wettbe- ben, gestellt werden müssen. Sie wiederum werfen werb, fallende Rohstoffpreise, Schulden und Ver- eine andere grundlegende Frage auf: Wenn dies drängung infolge des Preisdumpings der Agrarkon- heute für Milliarden von Menschen die drängend- zerne und ihrer eigenen Abhängigkeit von überteu- sten Probleme sind, warum ist dann die WTO so erten Düngemitteln und überteuertem Saatgut ver- sehr bemüht, diese noch zu verschärfen? In der ab- nichtet wurde. Hinzu kommt, dass 30 Millionen schließenden Ministererklärung der WTO wurden Menschen in den USA, die Hunger leiden – darun- Hunger und Unterernährung, Ernährungssicherheit ter mehr als 4 Millionen unterernährte Menschen in und nachhaltige Landwirtschaft als "Nicht-Handels- dem nahrungsmittelexportierenden Bundesstaat Ka- fragen" nur am Rande erwähnt. Auf die Arbeitsbe- lifornien – genau wissen, dass erst, wenn ihr Hun- dingungen in der Landwirtschaft wurde überhaupt ger zu einer Chance für die Unternehmen wird, nicht eingegangen. Statt ernsthafte Versuche zu un- "Amerika Amerika ernährt". ternehmen, diese Probleme anzugehen, befassten sich die Handelsgespräche in erster Linie damit, Für die Regierung der USA bedeuten die Ernäh- wie mehr Druck auf Landwirtschaftsarbeitnehmer rung der Hungernden in der Welt und die Förde- und Kleinbauern ausgeübt werden könne, damit rung der US-amerikanischen Landwirtschaftsex- sie konkurrenzfähiger würden, und wie sie noch porte ein und dasselbe. Wie Bush sagte: "Zu- stärker einem unbeständigen, schwankenden nächst muss man eine Regierung haben, die ge- Markt ausgesetzt werden könnten. Es ist dies der- willt ist, Handelsschranken niederzureißen, und selbe Markt, der Hunderttausende von Kleinbauern genau das tun wir". und Landwirtschaftsarbeitnehmern durch fallende Preise für Kaffee, Zucker und andere landwirt- Was aber sind diese "Schranken", wie werden sie schaftliche Erzeugnisse von ihrem Land verdrängt "niedergerissen", und was sind die Folgen? und arm gemacht hat. Hunger und die Notwendig- keit, Millionen von Menschen Zugang zu Nah- Kurz nach der WTO-Tagung in Doha machte die rungsmitteln zu verschaffen, sind zwar zwei der US-amerikanische Landwirtschaftsministerin Ann größten Herausforderungen, denen wir uns gegen- M. Veneman klar und deutlich, dass zu diesen übersehen, doch auf der Agenda der WTO hat die "Schranken" auch Bemühungen der Regierungen Frage Vorrang, wie der "Marktzugang" so gestal- zum Schutz der Gesundheit gehörten, mit denen tet werden kann, dass sich die Macht und die Ge- gewährleistet werden solle, dass die Verbraucher winne der Konzerne in der Agro-Nahrungsmittelin- das Recht hätten, sich gegen genetisch veränderte dustrie konsolidieren. Nahrungsmittelerzeugnisse zu entscheiden. Vene- mann kritisierte insbesondere die Entscheidung der 1996 hat der Welternährungsgipfel seinen Plan EU, genetisch veränderte Nahrungsmittel streng zu verkündet, den Hunger in der Welt bis 2015 um regulieren und eine Kennzeichnungspflicht für ge- die Hälfte zu vermindern. Doch in den Handels- netisch veränderte Nahrungsmittelerzeugnisse ein- gesprächen der WTO wurden wesentlich kürzere zuführen. Ebenso wie andere Formen des Umwelt- Fristen für die Ausweitung des globalen Agrarge- und Sozialschutzes werden auch Beschränkungen schäfts festgelegt. Die Frist für die Halbierung des für genetisch veränderte Produkte als "Schranken" Hungers in der Welt läuft erst in 15 Jahren ab, die betrachtet, die niedergerissen werden müssen oder rasche Marktliberalisierung in der Landwirtschaft erst gar nicht errichtet werden dürfen. soll jedoch bereits in 15 Monaten erreicht werden – wobei für die Fünfte Ministertagung der WTO in In der gleichen Rede betonte Veneman, dass "... Mexiko Mitte 2003 neue Verpflichtungen vorgese- nicht hingenommen werden kann, dass Nicht-Han- hen sind. delsfragen wesentliche WTO-Bestimmungen aus- höhlen oder uns von unserem primären Ziel ablen- Hunger und Unterernährung finden nur Beachtung, ken". Dieses Ziel besteht nicht darin, das universa- wenn das Problem zum Nutzen der Agrarwirt- le Recht auf ausreichende, sichere und gehaltvolle schaft formuliert werden kann. Vor der WTO-Mini- Nahrungsmittel zu gewährleisten oder eine nach- 4 eine Gewerkschaftsstrategie
Die WTO und das Welternährungssystem haltige Landwirtschaft zu fördern, die Millionen Die Vision der "globalen Landwirtschaft" lässt völ- ihren Lebensunterhalt bietet, sondern vielmehr dar- lig die immanenten Sozial- und Umweltkrisen des in, eine "globale Landwirtschaft"3 zu schaffen. derzeitigen Welternährungssystems und ihre ge- Nach dieser globalen Vision "muss eine künftige waltigen Kosten in Gestalt von Menschenleben au- Landwirtschaftspolitik marktorientiert sein ... Sie ßer Acht. Bezeichnenderweise werden die Rechte muss die Landwirtschaft in die globale Wirtschaft und Existenzen der Millionen Arbeitnehmer in der integrieren und sie nicht von ihr isolieren". Vor die- Landwirtschaft und in der nahrungsmittelverarbei- sem Hintergrund kommt dem WTO-Landwirtschafts- tenden Industrie, der Subsistenzfarmer und der abkommen und den Abkommen über sanitäre und Kleinbauern, auf deren Arbeit das gesamte System phytosanitäre Standards (SPS) und Technische Han- aufbaut, völlig ignoriert. delsschranken (TBT) eine zentrale Rolle bei der Be- seitigung von Schranken und der Konsolidierung Und genau deshalb muss die Gewerkschaftsbewe- der Beherrschung des Welternährungssystems gung die Herausforderung annehmen, eine langfri- durch die globalen Konzerne zu. stige, umfassende Strategie zu entwickeln, um si- cherzustellen, dass das Welternährungssystem in Ungeachtet einiger Meinungsunterschiede darüber, erster Linie darauf ausgerichtet ist, das Recht auf si- wann und wie die Landwirtschaft liberalisiert wer- chere Ernährung, Nahrungsmittelsicherheit und den sollte und die Interessen der Agrarindustrie ge- Nahrungsmittelsouveränität sowie die Rechte und fördert werden müssten, unterstützte die Mehrheit den Lebensunterhalt der in der Nahrungsmittel- der auf der WTO-Tagung in Doha vertretenen Re- produktion tätigen Menschen zu gewährleisten. gierungen stillschweigend die von der US-Regie- rung entwickelte Vision einer marktorientierten und kommerzialisierten "globalen Landwirtschaft". Mit wenigen Ausnahmen stritten die Verhandlungs- führer in erster Linie darüber, wer welchen Anteil 1 Zitiert in The Guardian, 15. Dezember 1997. der Gewinne aus der "globalen Landwirtschaft" er- halten solle, nicht jedoch über die Verletzung der 2 New York Times, 19. Juni 2001. Rechte der arbeitenden Menschen im Zuge des zerstörerischen Prozesses der Globalisierung der 3 Rede der Landwirtschaftsministerin der USA Ann Landwirtschaft. M. Veneman, Oxford, VK, 3. Januar 2002. eine Gewerkschaftsstrategie 5
Die WTO und das Welternährungssystem 2. Die Antwort der Gewerkschaften: Eine Strategie der integrierten Rechte Was tun wir als Gewerkschaften, die die Interessen vielmehr den Versuch, den Rahmen für eine Ge- der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft und der werkschaftsstrategie zu entwickeln. Dabei wird zu- Nahrungsmittelindustrie organisiert vertreten und nächst von einer Reihe von Grundsätzen und Zie- die Interessen der marginalisierten Farmer und len ausgegangen – die eine Festlegung auf Rechte Kleinbauern unterstützen, um auf diese Herausfor- darstellen – mit deren Hilfe die Auswirkungen der derungen zu reagieren? WTO auf das Welternährungssystem bestimmt und die Herausforderungen ermittelt werden, denen Es genügt nicht, diese Probleme als `Gegenstände´ sich Landwirtschaftsarbeitnehmer und Kleinbauern in die Liste der Dinge aufzunehmen, mit denen sich gegenübersehen. Was hier dargelegt wird, sind unsere Gewerkschaften befassen müssen. Wir be- eine auf integrierten Rechten beruhende Strategie nötigen vielmehr eine Strategie, die ein kritisches zum Verständnis der Auswirkungen des WTO-Land- Verständnis der WTO, der Globalisierung und der wirtschaftsabkommens und insbesondere der Kon- Landwirtschaft entwickelt, die das, was geschieht, sequenzen der neuen Verhandlungsrunde, die in erläutert, und den Grundstein für die Reaktionen der Fünften WTO-Ministerkonferenz in Mexiko im der Gewerkschaften legt. Solche Reaktionen umfas- Jahr 2003 gipfeln wird, sowie ein Rahmenplan für sen Strategien und Taktiken, die komplexen Proble- die Schulung und Mobilisierung unserer Mitglieder. men Rechnung tragen müssen, ohne sich in techni- schen Einzelheiten und nebensächlichen Diskussio- Eine Vorgehensweise besteht darin, eine Reihe kol- nen zu verlieren. Wie nachstehend (in Abschnitt 4) lektiver Rechte festzulegen, die so viele Probleme gezeigt wird, ist die Behandlung der WTO-Abkom- wie möglich abdecken, wobei diese Reihe jedoch men als Rechtstexte, die technisches Verständnis übersichtlich und zu bewältigen sein muss. Diese und fachliches Wissen erfordern, eine Art der Rechte sollten als Paket behandelt werden, untrenn- Selbstbeschränkung, die den Einfluss und die Poli- bar nicht nur im Prinzip, sondern auch in der Pra- tik der WTO unberücksichtigt lässt. xis. Dies ist wichtig, weil eine Gruppe von Rechten nicht ohne die anderen verwirklicht werden kann. Damit unsere Strategie für unsere Mitglieder kon- Da die Probleme, denen wir uns gegenübersehen, krete Folgen hat, muss sie ein Bild der Globalisie- vielfältig sind und mit einer langen Reihe anderer rung der Landwirtschaft und der WTO vermitteln, Probleme zusammenhängen, benötigen wir eine das ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und integrierte Strategie, mit der auf eine Vielfalt von Kleinbauern in aller Welt verständlich macht. Dar- Problemen reagiert werden kann. über hinaus muss sie ein Leitfaden für Gewerk- schaften sein, an dem sie ihre lokalen Reaktionen Das Prinzip der voneinander abhängigen, untrenn- ausrichten können. Wir benötigen eine gemeinsa- baren Rechte ist keinesfalls neu. Dieser Begriff wird me Agenda, die die internationale Solidarität bereits in der Allgemeinen Erklärung der Men- stärkt und ein international koordiniertes Vorgehen schenrechte aus dem Jahr 1948 verwendet. Die ermöglicht, wobei aber gleichzeitig eine Vielfalt FAO hat in bezug auf die Untrennbarkeit dieser von Strategien und Taktiken auf nationaler und lo- Rechte folgendes erklärt: kaler Ebene zu berücksichtigen und zu fördern sind. Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschen- rechte proklamierten bürgerlichen, kulturellen, wirt- In der Einleitung haben wir festgestellt, dass die schaftlichen, politischen und sozialen Rechte gelten WTO und die neoliberale Politik im allgemeinen als voneinander abhängig, miteinander verbun- die Arbeitsbedingungen und das Leben arbeiten- den, unteilbar und gleich wichtig. Um das Recht der Menschen gefährden und ihnen den Zugang auf Ernährung in vollem Umfang nutzen zu kön- zu ausreichender, gesunder und gehaltvoller Er- nen, benötigen die Menschen Zugang zu Gesund- nährung verwehren. Um es anders zu formuieren, heitsfürsorge und Bildung, Achtung ihrer kulturellen verweigern die WTO und die neoliberale Politik Werte, das Recht auf Eigentum und das Recht, sich das Recht auf ausreichende, sichere und gehalt- wirtschaftlich und politisch zu organisieren. volle Ernährung. Dieses Argument der voneinander abhängigen und Diese Abhandlung stellt keine umfassende Analyse unteilbaren Rechte gilt auch für den Internationa- der WTO-Abkommen und ihrer Folgen für Ernäh- len Pakt der VN über wirtschaftliche, soziale und rung und Landwirtschaft dar, sondern unternimmt kulturelle Rechte (1966). Artikel 8 dieses Paktes 6 eine Gewerkschaftsstrategie
Die WTO und das Welternährungssystem gewährleistet das Recht, Gewerkschaften zu bilden in der Praxis die Rolle der Arbeitnehmer berück- und einer frei gewählten Gewerkschaft beizutreten, sichtigen, die diese Nahrungsmittel anbauen und sowie das Streikrecht, während Artikel 11 das verarbeiten. Unabhängig davon, ob es sich um ge- Recht auf eine angemessene Ernährung gewähr- fährliche Pestizide oder die Beschleunigung der leistet. Produktionsbänder handelt, muss der Schutz des Rechtes auf sichere Nahrungsmittel nicht im Regal, Eine gewerkschaftliche Reaktion, die Arbeitnehmer- sondern auf den Feldern und in den Fabriken be- und Gewerkschaftsrechte mit Ernährungsrechten ginnen. So besteht beispielsweise ein unmittelbarer koppelt, geht jedoch über bloße Prinzipien hinaus Zusammenhang zwischen dem weitverbreiteten und zielt auf die Praxis an der Basis ab. Eine inte- Problem der Schädigungen durch repetitive Bela- grierte Strategie ist nicht nur notwendig, weil uns stungen und den hohen Unfall- und Todesfallraten das Welternährungssystem mit einem breiten Spek- in der nahrungsmittelverarbeitenden Industrie einer- trum von Herausforderungen konfrontiert, sondern seits und dem hohen Produktionstempo und der In- auch wegen der Natur der Nahrungsmittelkette tensität der Arbeit andererseits. Ebenso hat die Ver- selbst, in der die Interessen der Arbeitnehmer und dopplung und Verdreifachung der Geschwindigkeit der Verbraucher unauflösbar miteinander verbun- der Schlacht- und Verarbeitungsbänder in den letz- den sind. ten Jahrzehnten ganz entscheidend zu einer drasti- schen Zunahme der Ursachen für die steigende Nur allzu häufig wird das Recht auf sichere Nah- Zahl der Fleischvergiftungen beigetragen. Ein Pro- rungsmittel als ein Prinzip behandelt, das in multi- duktionssystem, das die Gesundheit und Sicherheit lateralen Vereinbarungen wie dem WTO-Landwirt- der Arbeitnehmer gefährdet, trägt auch zu unsiche- schaftsabkommen verankert werden muss. Natür- ren Nahrungsmitteln bei. Das Recht auf sichere lich ist es ein wichtiges Prinzip, doch muss jede Nahrungsmittel lässt sich daher nicht von dem ernst gemeinte Maßnahme zu seiner Durchsetzung Recht der Arbeitnehmer in der Nahrungsmittelver- IAO-Übereinkommen für die Landwirtschaft Übereinkommen Nr. 87: Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechtes Übereinkommen Nr. 98: Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen Übereinkommen Nr. 29: Zwangsarbeit Übereinkommen Nr. 105: Abschaffung der Zwangsarbeit Übereinkommen Nr. 100: Gleichheit des Entgelts Übereinkommen Nr. 111: Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf) Übereinkommen Nr. 138; Mindestalter Übereinkommen Nr. 11: Vereinigungsrecht (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 141: Verbände ländlicher Arbeitskräfte Übereinkommen Nr. 129: Arbeitsaufsicht (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 99: Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 101: Bezahlter Urlaub (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 25: Krankenversicherung (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 36: Altersversicherung (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 38: Invaliditätsversicherung (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 40: Hinterbliebenenversicherung (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 12: Entschädigung bei Betriebsunfällen (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 10: Mindestalter (Landwirtschaft) Übereinkommen Nr. 110: Plantagenarbeit eine Gewerkschaftsstrategie 7
Die WTO und das Welternährungssystem arbeitung trennen, Gewerkschaften zu bilden und schaft auf, bei dem die Nahrungsmittelproduktion Kollektivverhandlungen zu führen, um ein sicheres zum Nutzen der Konzerne Vorrang gegenüber Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Und wenn eine dem Gemeinwohl der Bevölkerung insgesamt hat. Reihe von Rechten in der Praxis nicht von anderen Rechten getrennt werden kann, kann eine solche Das Recht auf Ernährungssicherheit allein reicht je- Trennung auch nicht im Rahmen einer Strategie doch nicht aus, wenn Ernährungssicherheit zu eng vorgenommen werden, die darauf abzielt, das als die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln definiert Recht auf Nahrungsmittelsicherheit auf internatio- wird. Wichtige Faktoren sind nämlich auch, wer naler Ebene zu verankern. Genau deshalb muss diese Nahrungsmittel produziert, wie sie produ- das neue IAO-Übereinkommen über Arbeitsschutz ziert werden sowie die langfristige Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft (das im Juni 2001 angenom- und Fähigkeit der Aufrechterhaltung einer ange- men wurde, aber noch ratifiziert werden muss) von messenen Nahrungsmittelversorgung. Der Begriff Gewerkschaften, Kleinbauernverbänden und Ver- der Ernährungssicherheit wurde in den WTO- braucherorganisationen in gleicher Weise als In- Ministerbeschluss von Marrakesch aufgenommen, strument zur Förderung nicht nur der Rechte der dabei jedoch als Verfügbarkeit von Nahrungsmit- Landwirtschaftsarbeitnehmer, sondern des Rechts teln auf dem Markt und nicht als ausreichende aller arbeitenden Menschen auf gute, sichere Er- Nahrungsmittel für die Bevölkerung oder ausrei- nährung genutzt werden. chender Ernährungswert definiert. In der Praxis er- laubt es der Beschluss von Marrakesch Entwick- Die Bemühungen um die Verbindung der Rechte lungsländern, die Netto-Nahrungsmittelimporteure der Nahrungsmittelarbeitnehmer mit dem Recht auf sind, nur, staatliche Unterstützung und direkte Zah- gesunde, sichere Ernährung sind nicht neu. Die IUL lungen für die Einfuhr von Nahrungsmitteln zu lei- verteidigt und fördert seit langem ein umfassendes sten, wenn ein Mangel besteht. In anderen Wor- Paket von Rechten im Zusammenhang mit der Er- ten, Entwicklungsländer können die Einfuhr kom- zeugung, dem Vertrieb und dem Verbrauch von merzieller Nahrungsmittel subventionieren, wäh- Nahrungsmitteln. Hierzu gehört das Recht auf aus- rend die Subvention der lokalen Nahrungsmittel- reichende, sichere und gehaltvolle Ernährung, wo- produktion verboten ist. Dieser Widerspruch war bei die Nahrungsmittelproduktion auf die Erfüllung der Nährboden für das Argument, dass echte menschlicher Bedürfnisse ausgerichtet ist. Artikel 2, Ernährungssicherheit nur durch Ernährungssouve- Absatz 6 der IUL-Satzung lautet: ränität gewährleistet werden kann. Innerhalb ihres besonderen Tätigkeitsbereichs wird Der Begriff der Ernährungssouveränität ist verhält- die IUL aktiv die Organisation der Nahrungshilfs- nismäßig neu und wurde 1996 gezielt als Reakti- quellen der Welt zum gemeinsamen Wohl der ge- on auf die Bedrohung geprägt, die die WTO für samten Bevölkerung fördern, und sie wird eine an- die Fähigkeit armer Länder bedeutete, eine ange- gemessene Beteiliung der Arbeitnehmer- und Ver- messene Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu braucherinteressen in allen Stadien der nationalen bieten und aufrechtzuerhalter. Vor diesem Hinter- oder internationalen Politik im Zusammenhang mit grund ist die bloße Verfügbarkeit von Nahrungsmit- der Produktion, Verarbeitung und Verteilung der teln (im Sinne der Ernährungssicherheit) nicht mehr Güter der Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft ausreichend, da hierbei die Quelle dieser Nah- anstreben. rungsmittel und die von ihrer Erzeugung und Nut- zung abhängigen Existenzen völlig außer Acht ge- Das Bemühen um "angemessene Beteiligung der lassen werden. Eine brauchbare Definition des Be- Arbeitnehmer- und Verbraucherinteressen in allen griffs Ernährungssouveränität enthält die Schluss- Stadien der nationalen oder internationalen Politik" erklärung des Weltforums über Ernährungssouve- ist die Formulierung eines besonderen Rechtes – ränität, die am 17. September 2001 in Havanna, nämlich des Rechtes der Arbeitnehmerorganisatio- Kuba, verabschiedet wurde: nen, gemeinsam mit Verbrauchervertretungen na- tionale, supranationale und internationale ernäh- Ernährungssouveränität ist das Mittel, um Hunger rungspolitische Maßnahmen zu gestalten. In der und Unterernährung zu beseitigen und dauerhafte folgenden Darstellung der WTO und des Welt- und nachhaltige Ernährungssicherheit für alle Men- ernährungssystems wird jedoch gezeigt, dass die schen zu gewährleisten. Wir definieren Ernäh- WTO dieses Recht systematisch ausschließt, indem rungssouveränität als das Recht der Menschen, sie die Möglichkeiten für Arbeitnehmer- und Ver- ihre Maßnahmen und Strategien für die nachhal- brauchervertretungen vermindert, die Ernährungs- tige Produktion, die Verteilung und den Verbrauch politik mitzugestalten, um so die Macht und die In- von Nahrungsmitteln selbst zu bestimmen, die das teressen der Konzerne in den Bereichen Agro-Nah- Recht auf Ernährung für die gesamte Bevölkerung rungsmittel, Chemie und Biotechnologie zu för- gewährleisten, und zwar auf der Grundlage klei- dern. Darüber hinaus zwingt die WTO in allen Sta- ner und mittlerer Produktionseinheiten, die ihre dien der nationalen und internationalen Politik ein eigenen Kulturen und die Vielfalt der bäuerlichen, Modell der marktorientierten industriellen Landwirt- fischereitechnischen und eingeborenen Formen der 8 eine Gewerkschaftsstrategie
Die WTO und das Welternährungssystem landwirtschaftlichen Produktion, des Vertriebs und fahren, die auf Rechten beruhen und die, wenn sie der Verwaltung ländlicher Gebiete, bei denen denn aufgenommen würden, das Landwirtschafts- Frauen eine grundlegende Rolle spielen, respek- abkommen für die Unternehmensinteressen, die sei- tieren. ne Ausarbeitung bewirkt haben, nutzlos machen würden. Wenn wir diesen Begriff der Ernährungssouveräni- tät mit der Ernährungssicherheit kombinieren und Dies wirft die Frage auf, wie unsere Strategie die eine wichtige Gruppe von Rechten einbeziehen, bestehenden internationalen Verträge nutzen kann, die die Rechte arbeitender Menschen in ihrer Ei- die diese Rechte sichern sollen. Es gibt eine kon- genschaft als unselbständige Arbeitnehmer, Klein- krete Grundlage für das Argument, dass diese Ver- und Subsistenzfarmer und Verbraucher vereinen, träge – wie etwa die IAO-Übereinkommen, die kann die folgende Gruppe integrierter Rechte die grundlegende Gewerkschafts- und Arbeitnehmer- Grundlage für eine Gewerkschaftsstrategie bilden: rechte sowie die Rechte der Landwirtschaftsarbeit- nehmer gewährleisten (siehe Seite 7) – Vorrang ge- √ Das Recht auf ausreichende, gehaltvolle und si- genüber den WTO-Abkommen haben sollten. chere Nahrungsmittel Wichtiger ist in diesem Zusammenhang die zentra- le Rolle der nationalen Regierungen bei der Ge- √ Das Recht auf Ernährungssicherheit und Ernäh- währleistung dieser kollektiven Rechte, weil diese rungssouveränität Rechte weitgehend nur auf nationaler und sub-na- tionaler Ebene institutionell gewährleistet und √ Das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kol- durchgesetzt werden können. lektivverhandlungen Wir können die Strategie – und ihre Vorteile – wie √ Das Recht auf ein sicheres Arbeits- und Lebens- folgt zusammenfassen: umfeld • Mit Hilfe einer Strategie, die auf integrierten √ Das Recht auf Schutz des Lebensunterhalts Rechten beruht, können die Auswirkungen der glo- balen Handels- und Investitionssysteme sowie die Wenn wir von diesen grundlegenden integrierten erforderlichen Kollektivmaßnahmen bestimmt wer- Rechten ausgehen, können wir als nächstes ent- den. scheiden, ob Vereinbarungen wie das Landwirt- schaftsabkommen und die WTO im allgemeinen • Die Unterdrückung dieser Rechte deckt die poli- mit diesen Rechten vereinbar sind. Wir müssen die tischen und wirtschaftlichen Überlegungen auf, die Frage stellen, ob diese globalen Regeln für eine dem WTO-Landwirtschaftsabkommen und ähnli- "globale Landwirtschaft" irgendeines dieser Rechte chen Systemen zugrunde liegen. verweigern oder einschränken und ob sie neben diesen Rechten bestehen können. Eine Strategie, • Diese Rechte werden nicht nur als Gruppe von die sich auf integrierte Rechte stützt, würde dazu Prinzipien, sondern auch als Ziele einer gewerk- dienen, das Bewußtsein für wesentliche Aspekte schaftlichen Reaktion behandelt. des heutigen Welternährungssystems und die Aus- wirkungen der Unternehmensglobalisierung zu • Diese Rechte sind keine passiven Grundsätze, schärfen. Sie zwingt uns dazu, die Widersprüche sondern Instrumente für die arbeitenden Menschen, zwischen den Forderungen und den Realitäten des mit deren Hilfe sie sich wehren und die heutige Ar- Welternährungssystems zu durchdenken und die mut, Verletzlichkeit und Unsicherheit überwinden Strategie und Taktik für die Erreichung unserer Zie- können. le genau auszuarbeiten. • Diese Rechte sind notwendig, um die demokra- Es ist nicht das vorrangige Ziel dieser Strategie zu tische Kontrolle zu verstärken und kollektive Fähig- entscheiden, ob die Aufnahme dieser Rechte in keiten zu entwickeln. das Landwirtschaftsabkommen angestrebt werden sollte oder nicht, oder sich in eine unergiebige Dis- • Eine auf Rechten beruhende Strategie ist not- kussion über `Reform oder Abschaffung´ einzulas- wendig, um Ungleichheiten und Unausgewogen- sen. Vielmehr soll mit ihr aufgezeigt werden, wie heiten zwischen und innerhalb von Ländern zu kor- unvereinbar diese Rechte mit dem Landwirtschafts- rigieren. abkommen und dem umfassenderen globalen Han- dels- und Investitionssystem sind. Das Schwerge- • Gleichzeitig hilft uns eine auf Rechten beruhen- wicht unserer Strategie ist nicht die Durchleuchtung de Strategie, die systembedingten und globalen der technischen Einzelheiten des Abkommens oder Verletzungen der Arbeitnehmerrechte in den Vor- die Einführung anderer Formulierungen, sondern dergrund zu stellen und damit eine Beschränkung vielmehr das aggressive Bemühen um die Aufnah- auf einzelne Landesanalysen und den simplen me einer Gruppe von Prioritäten, Zielen und Ver- "Nord-Süd"-Gegensatz zu vermeiden. eine Gewerkschaftsstrategie 9
Die WTO und das Welternährungssystem Schließlich zeigt uns eine auf Rechten beruhende sche Verletzung der Arbeitnehmerrechte und das Strategie, mit welcher Dringlichkeit wir handeln wachsende Gefühl der Verwundbarkeit, das arbei- müssen. Hunger und Unterernährung, die zerstöre- tende Menschen in ihren Fabriken, auf ihren Plan- rischen Folgen des derzeitigen Welternährungs- tagen und Farmen und in ihren Gemeinden verspü- systems für die Gesundheit der Menschen und die ren, gestatten uns nicht den Luxus einer abwarten- Umwelt, die schweren gesundheitlichen Schädigun- den Haltung. Und die anderen werden nicht inne- gen und die Todesfälle unter den Arbeitnehmern in halten, während wir uns um Unterstützung bemü- der Agro-Nahrungsmittelindustrie, die systemati- hen und an unserer Strategie feilen. 10 eine Gewerkschaftsstrategie
Die WTO und das Welternährungssystem 3. Die WTO-Abkommen und die globale Ungleichheit In der Einführung haben wir gezeigt, wie die drin- gierungen ein, die zur Bewältigung der Probleme gendsten Probleme, denen wir uns gegenüberse- des Nahrungsmittelmangels, des Hungers und der hen – Massenhunger und Unterernährung, Armut Armut in ländlichen Gebieten erforderlichen Rege- und schlechte Arbeitsbedingungen – von der WTO lungen einzuführen, indem sie nur eine sehr be- völlig ignoriert werden. Dabei geht es nicht ein- grenzte Gruppe marktfreundlicher Grundsatzmaß- fach um Prioritäten oder die Tatsache, dass in der nahmen zulassen, mit denen Regierungen auf die- WTO-Agenda wichtige Arbeitnehmerfragen völlig se Probleme reagieren können. Die Folge ist, dass ausgeklammert bleiben. Es geht vielmehr darum, die bestehenden Probleme Armut, Mangel und Ver- dass die sozialen, politischen und wirtschaftlichen drängung weiter verschärft, das Recht auf Ernäh- Maßnahmen, die notwendig sind, um Hunger und rungssicherheit und Ernährungssouveränität dage- Unterernährung zu vermindern, die Arbeitsbedin- gen gefährdet wird. gungen in der Landwirtschaft zu verbessern und die Interessen und den Lebensunterhalt der Land- Die WTO erlaubt auch künftig bestimmte Arten von wirtschaftsarbeitnehmer und der Kleinbauern zu Subventionen, vor allem Exportsubventionen durch schützen, in Wirklichkeit eine Gruppe von Rechten Exportkredite und Direktzahlungen an Bauern. Sol- darstellen, die ihrerseits Sozialvorschriften und So- che Subventionen sind in den großen Industrielän- zialschutz erfordern – und zwar genau die Sozial- dern üblich, Entwicklungsländer dagegen wenden vorschriften und den Sozialschutz, die die WTO meistens weniger kostspielige Maßnahmen an, wie als `Schranken´ betrachtet. Das Landwirtschaftsab- zum Beispiel Zölle. Die WTO-Regeln fordern die kommen beispielsweise behandelt nationale und Abschaffung der Zölle, erlauben jedoch Exportsub- subnationale Maßnahmen zum Schutz der Lebens- ventionen wie das Exportkreditsystem der US-ame- haltung von Kleinbauern sowie Subventionen der rikanischen Regierung sowie direkte Einkommens- lokalen Nahrungsmittelproduktion als Schranken, transfers. Die anhaltende Zahlung von Exportsub- die beseitigt werden müssen. "Ernährungssicher- ventionen sowie andere Formen der inländischen heit" darf nur durch Käufe auf dem globalen Unterstützung großer Agrarunternehmen in den Markt, nicht jedoch durch die Förderung der inlän- USA und der EU ermöglichen jedoch die Über- dischen Nahrungsmittelproduktionskapazitäten an- schwemmung der Entwicklungsländer mit billigen gestrebt werden. Das Abkommen über Sanitäre Agrarprodukten. und Phytosanitäre Standards (SPS) behandelt Maß- nahmen zur Nahrungsmittelhygiene und -sicher- Die Regierungen der USA und der EU-Länder ha- heit, mit denen die Einfuhr mit Krankheitsträgern ben aggressiv verhindert, dass die Frage des Ex- verunreinigter Nahrungsmittel verhindert oder die port-Dumping in die WTO-Agenda für Doha aufge- Gesundheit der Menschen durch strenge Verfahren nommen wurde, und auch auf der Agenda für Me- der Nahrungsmittelinspektion geschützt werden xiko im kommenden Jahr ist diese Frage nicht zu soll, als "Schranken", die im Namen des Freihan- finden, ungeachtet der Tatsache, dass Exportdum- dels beseitigt werden müssen. ping eines der wesentlichen Probleme ist, die die Existenz von Kleinbauern und Landwirtschaftsar- Die Regeln und Auflagen der WTO gelten aber beitnehmern in ärmeren Ländern bedrohen. nicht nur der Beseitigung von Schranken. Sie be- stimmen darüber hinaus die Funktion ernährungs- Als Reaktion auf die durch das Exportdumping ver- politischer Maßnahmen und den Zweck der Land- ursachten Probleme hat die Zweite Weltkonferenz wirtschaft. Das WTO-Landwirtschaftsabkommen der IUL-Branchegruppe der Landwirtschaftsarbeit- fördert ein Handels- und Investitionssystem für die nehmer (Kapstadt, Südafrika, 5.-6. Oktober 1998) Bereiche Nahrungsmittel und Landwirtschaft, das eine Entschließung angenommen, in der eine Been- sich auf die exportorientierte industrielle Massen- digung der Exportsubventionen in den USA und produktion stützt. Bei dieser Art der Landwirtschaft der EU gefordert wird. haben die Unternehmensgewinne Vorrang gegen- über den Bedürfnissen der Menschen, und der Zwang, den Weltmarkt zu beliefern, ist wichtiger als die interne Nahrungsmittelproduktion. 3.1 Die "Entwicklungsbox" Das WTO-Landwirtschaftsabkommen und ähnliche Ein grundlegender Vorwurf gegen das Landwirt- WTO-Abkommen schränken die Fähigkeit der Re- schaftsabkommen lautet, dass es die globale Un- eine Gewerkschaftsstrategie 11
Die WTO und das Welternährungssystem IUL-Entschließung über die Auswirkung subventionierter Landwirtschaftsexporte auf die Entwicklungsländer Die USA und die Europäische Union (EU) verfolgen eine Politik der subventionierten Landwirtschaftsexporte in bestimmte Zielländer, deren Ziel es ist, die Preise künstlich nied- rig zu halten. Diese Politik hat in Süd-, Ost- und Westafrika und in anderen Regionen der Welt die Zerstörung ganzer Farmen, Plantagen und der ländlichen Entwicklung zur Folge. Somit leisten die subventionierten Exporte der EU und der USA in vielen Regionen der Welt einen Beitrag zum wachsenden Hunger und zur Zerstörung des Potentials für eine Stär- kung der lokalen und regionalen Landwirtschaftsproduktion. Aus diesem Grund ruft die 2. Weltkonferenz der IUL-Branchegruppe der Landwirtschafts- arbeiter dazu auf, dass: Die Regierungen und Vertreter der USA und der EU • dem Export subventionierter Landwirtschaftsgüter in die weniger entwickelten Regionen der Welt ein Ende setzen; • gemeinsam mit den ländlichen Produzenten und den Gewerkschaften der Landwirtschafts- arbeiter die Auswirkungen subventionierter Exporte auf die lokale Landwirtschaftsproduktion überwachen und die Ergebnisse dieser Überwachung öffentlich machen; Die Gewerkschaftsbewegung, die demokratische Zivilgesellschaft und alle fortschrittlichen Personen aktiv werden, damit dieser zerstörerischen Politik ein Ende gesetzt werden kann. gleichheit verschärft – die Ungleichheit zwischen Entwicklungsbox umfasst auch einen früheren Vor- entwickelten Ländern und Entwicklungsländern und schlag zu einer gesonderten "Ernährungsbox", die in den einzelnen Ländern die Ungleichheit zwi- "Maßnahmen, die Länder treffen dürfen, um die in- schen großen Agrarunternehmen und Kleinbauern. ländische Ernährungssicherheit zu gewährleisten", Während die Entwicklungsländer gezwungen wer- von den Regeln des Landwirtschaftsabkommens den, Einfuhrzölle zu senken und nicht-tarifäre Ein- ausnehmen würde. Eine solche Ausnahmeregelung fuhrbeschränkungen, die während der GATT-Ver- würde das Gegenteil einer auf Nahrungsmittelim- handlungen nicht in gleichwertige Zölle umgewan- porten beruhenden Ernährungssicherheit sein. delt wurden, aufzuheben, behalten die großen In- dustrieländer wie die USA, die EU-Länder und Ja- Auf der WTO-Ministertagung in Doha bildeten Re- pan selbst nach den Tarifsenkungen immer noch gierungsvertreter aus der Dominikanischen Repu- wesentlich höhere Zölle bei. blik, El Salvadoar, Haiti, Honduras, Kenia, Kuba, Nicaragua, Nigeria, Pakistan, Peru, Senegal, Sim- Aus diesem Grund haben die Regierungen mehre- babwe, Sri Lanka und Uganda die "Gruppe der rer Entwicklungsländer die Aufnahme einer "Ent- Freunde der Entwicklungsbox" als eine Verhand- wicklungsbox" in das Landwirtschaftsabkommen lungsgruppe im Rahmen der Gespräche über das gefordert. Der Vorschlag einer solchen Entwick- Landwirtschaftsabkommen. In der von den Freun- lungsbox stellt einen beschränkten Versuch auf in- den der Entwicklungsbox am 10. November 2001 ternationaler politischer Ebene dar, die Unausge- in Doha veröffentlichten Presseerklärung wurden wogenheiten der WTO-Regeln dadurch zu korri- die Ungleichheiten des gegenwärtigen Systems gieren, dass Regierungen in Entwicklungsländern aufgezeigt: flexibler vorgehen können, um "Bauern mit niedri- gem Einkommen und unzulänglichen Ressourcen" Die WTO soll Gerechtigkeit im Handel gewährlei- gegen billigere Einfuhren zu schützen und die in- sten, doch das gegenwärtige System des Handels ländische Erzeugung von "ernährungssichernden mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen legitimiert in Kulturen" zu unterstützen. Zu diesen ernährungs- der Praxis die Ungerechtigkeiten, indem es bei- sichernden Kulturen gehören Grundnahrungsmittel spielsweise das Preisdumping bei landwirtschaftli- oder Kulturen, die die Haupteinkommensquelle für chen Erzeugnissen aus dem Norden erlaubt. Seit Familien mit niedrigem Einkommen und arme Fami- der Uruguay-Runde sind die inländischen Subven- lien bilden. Die Entwicklungsbox würde bedeuten, tionen in den OECD-Ländern um 50 Prozent auf dass bestimmte ernährungssichernde Kulturen von heute über 370 Milliarden US-Dollar gestiegen, den Zollsenkungsbestimmungen des Landwirt- was einem Betrag von 1 Milliarde US-Dollar am schaftsabkommens ausgenommen werden. Die Tag entspricht, etwa gleich viel wie das tägliche 12 eine Gewerkschaftsstrategie
Die WTO und das Welternährungssystem Einkommen der ärmsten 1 Milliarde Menschen in merziellen Massenlandwirtschaft braucht die Un- der Welt. Subventionen machen 45 Prozent des gleichheiten, die die Entwicklungsbox zu beheben Wertes der gesamten Produktion aus. Kleinbauern versucht. Marktchancen für exportorientierte Agrar- in Entwicklungsländern können in diesem unge- unternehmen gibt es nur aufgrund dieser Ungleich- rechten Umfeld einfach nicht konkurrieren. heiten und der Vernichtung lokaler Kapazitäten zur Sicherung einer Nahrungsmittelautarkie. Der Vor- In vielen Entwicklungsländern sind bis zu 60-90 schlag der Freunde der Gruppe der Entwicklungs- Prozent unserer Bevölkerung Kleinbauern. Die box weist eine natürliche Schwäche auf, weil näm- landwirtschaftliche Produktion ist als Hauptquelle lich die Ausgangsbasis des Landwirtschaftsabkom- der Beschäftigung und der Ernährungssicherheit mens nicht darin besteht, einen fairen und gerech- von entscheidender Bedeutung. Weil es keine ga- ten Handel zu fördern, sondern vielmehr darin, rantierten alternativen Beschäftigungsquellen für diese Ungleichheiten und die Einfuhrabhängigkeit eine so große Zahl von Menschen gibt, sind um- der Entwicklungsländer, die den am schnellsten fangreiche Nahrungsmitteleinfuhren für viele unse- wachsenden Markt für die Agrarunternehmen der rer Länder gleichbedeutend mit dem Import von Ar- EU und der USA bilden, zu verstärken. beitslosigkeit und Ernährungsunsicherheit. Ein weiteres Problem aller Vorschläge zu Ausnah- Ungeachtet dieser Besorgnisse widersetzten sich men, wie sie auch die Entwicklungsbox vorsieht, ist die USA, die EU-Ländern und die Cairns-Gruppe die durch die Friedensklausel im Landwirtschaftsab- hartnäckig dem Vorschlag einer Entwicklungsbox kommen festgesetzte Frist. Die Ausnahmeregelung und anderen Forderungen nach einer "speziellen für bestimmte, in einer `Box´ vorgesehene Subven- und differenzierten Behandlung" für Entwicklungs- tionen wird auslaufen, wenn die Uruguay-Runde länder. In der abschließenden Ministererklärung endet und von der Doha-Entwicklungsrunde abge- von Doha wurde abgelehnt, die Forderungen nach löst wird, die auf der nächsten WTO-Ministerta- einer Entwicklungsbox anzuerkennen. gung in Mexiko 2003 eingeleitet werden soll. Aber auch wenn es den Entwicklungsländern gelin- Auf einer Sondertagung über das Landwirtschafts- gen sollte, in das Landwirtschaftsabkommen Aus- abkommen vom 4.-6. Februar 2002 wurde der nahmeregelungen in Form einer `Entwicklungsbox´ Vorschlag einer Entwicklungsbox erneut abgelehnt. oder einer `Ernährungsbox´ aufzunehmen, kann Die US-Regierung erklärte, die Entwicklungsbox davon ausgegangen werden, dass die EU, die weise genau in die entgegengesetzte Richtung wie USA und die Cairns-Gruppe diese an die in der die Ministererklärung von Doha und jede Art spe- Friedensklausel festgesetzte Frist 2003 koppeln zieller und differenzierter Behandlung müsse der werden. Marktstrategie des Landwirtschaftsabkommens un- tergeordnet werden, die marktorientierte Investitio- Wir sollten zwar die im dem Vorschlag einer Ent- nen in die Landwirtschaftsproduktion und den wicklungsbox unterbreiteten Anliegen auf der marktorientierten Handel mit landwirtschaftlichen Grundlage des Rechts auf Ernährungssicherheit Erzeugnissen fördere. Die Regierung der Vereinig- und Ernährungssouveränität unterstützen, müssen ten Staaten hat tatsächlich recht, wenn sie behaup- aber gleichzeitig die Tatsache festhalten, dass der tet, flexiblere, nicht am Markt orientierte Maßnah- Vorschlag zu einer Entwicklungsbox nichts über men stünden im Widerspruch zur Strategie des den Schutz der Beschäftigung, der Arbeitsbedin- Landwirtschaftsabkommens. Nach diesem Abkom- gungen und der Existenz in der Nahrungsmittel- men haben die Unterzeichner kein Recht, Maßnah- produktion tätiger unselbständiger Landwirtschafts- men zu entwickeln, die die einheimische Ernäh- arbeitnehmer sagt. Tatsächlich haben die Regierun- rungssicherheit und die Existenz der Bauern mit gen, die sich zu dieser Verhandlungsgruppe zu- niedrigen Einkommen und der armen Bauern schüt- sammenschlossen, nichts unternommen, um die Ar- zen, d.h. Maßnahmen, die auf sozialen Anliegen beitnehmer- und Gewerkschaftsrechte der landwirt- und nicht auf der Marktlogik beruhen. Dieses Recht schaftlichen Arbeitnehmer zu gewährleisten, und haben sie mit der Unterzeichnung des Landwirt- vielmehr den Landwirtschaftsarbeitnehmern und schaftsabkommens aufgegeben. Kleinbauern das Recht auf Schutz ihrer Existenz verweigert. Die Strategie der "Entwicklungsländer" Die in der Entwicklungsbox vorgesehenen Ausnah- weist schwerwiegende Mängel auf. Sie stellt in kei- men können nicht in das Landwirtschaftsabkom- ner Weise die übliche Definition der innerstaatli- men einbezogen werden, weil sie im Widerspruch chen Entwicklung und die Teilung in entwickelte zu seinem eigentlichen Zweck stehen, der darin Länder, Entwicklungsländer und am wenigsten ent- besteht, Marktabhängigkeit zu erzeugen. Diese wickelte Länder in Frage. Dadurch werden Armut, Abhängigkeit schränkt die Fähigkeit der Regierun- Ungleichheit und Unterentwicklung in einzelnen gen ein, nicht am Markt orientierte Alternativen zu Ländern, auch in sogenannten `entwickelten´ Län- verfolgen, um einem Nahrungsmittelmangel zu be- dern verschleiert. Auch in entwickelten Ländern lei- gegnen und die Existenz der Bauern zu schützen. den Kleinbauern und Bauerngenossenschaften un- Die Expansion der auf Exporte ausgerichteten kom- ter zerstörerischem Wettbewerb, Verdrängung und eine Gewerkschaftsstrategie 13
Die WTO und das Welternährungssystem Verschuldung infolge der Expansion von Fabrik- nährungs- und landwirtschaftspolitischen Entschei- farmen und Agarkonzernen. In den USA haben dungen in aller Welt. beispielsweise die meisten Bauern nicht von den Exportsubventionen profitiert. Vielmehr hat die zu- Gegenwärtig beherrschen die zehn größten Agro- nehmende Konzentration und Zentralisierung der Chemiekonzerne rund 80 Prozent eines 32 Milliar- landwirtschaftlichen Produktion zu einer Auswei- den US-Dollar großen globalen Marktes, und tung der Fabrikfarmen und zu einem Rückgang der 80 Prozent des Weltgetreides werden von gerade Familienfarmen geführt. Mehr als 50 Prozent der zwei Unternehmen, Cargill und Archer Daniel Landwirtschaftsproduktion der USA werden von Midland, vermarktet. Rund 75 Prozent des Bana- nur 2 Prozent der Farmen erzeugt, während nenhandels werden von gerade fünf Konzernen 73 Prozent der Farmen nur 9 Prozent der Produkti- beherrscht, drei Konzerne beherrschen 83 Prozent on liefern. Die skandalöse Situation der Landwirt- des Kakaohandels und drei andere Konzerne be- schaftarbeiter in den USA ist ausreichend bekannt herrschen 85 Prozent des Teehandels. Dies sind und braucht hier nicht mehr dargestellt zu werden. nur einige Beispiele, die deutlich machen, in wel- chem Umfang Konzerne das Welternährungs- Die "Entwicklungsländer"-Strategie unterstützt letz- system monopolisieren und beherrschen. ten Endes nur die Handelstechnokraten aus dem `Süden´ (und die von ihnen vertreten inländischen Nach Angaben der FAO ist das Handelsdefizit der kapitalistischen Interessen) als Befürworter einer Entwicklungsländer bei Getreide in den letzten "alternativen Sicht". Uns als Gewerkschaftern sollte 30 Jahren von 17 Millionen auf 104 Millionen Ton- es nicht darum gehen, dem Wohl lokaler Kapitali- nen gestiegen. Für die FAO ist dies eine `prekäre sten zu dienen. Vielmehr müssen wir uns darum be- Entwicklung´, da sowohl die entwickelten Länder mühen, Kapazitäten für eine demokratische Kon- als auch die Entwicklungsländer ihre Ernährungs- trolle zu entwickeln und Hindernisse für eine solche sicherheit traditionell durch eine Steigerung der in- Kontrolle zu beseitigen. ländischen Nahrungsmittelproduktion erreicht ha- ben. Diese veränderte Situation ist jedoch nicht nur das Ergebnis ungerechter Regeln, die durch befri- stete Maßnahmen, wie sie etwa in der Entwick- lungsbox vorgesehen sind, korrigiert werden müs- 3.2 Konsolidierung des Einflusses sen. Sie ist in Wirklichkeit das Ergebnis einer be- der Unternehmen wussten Strategie der TNKs im Agro-Nahrungsmit- telsektor, die darauf abzielt, die Märkte für ihre Er- Das wahre Problem, das der globalen Ungleichheit zeugnisse in den Entwicklungsländern zu erweitern zugrunde liegt, ist nicht ein `Nord-Süd´-Gegensatz, und dabei die Abhängigkeit der Entwicklungslän- sondern vielmehr die Macht der TNKs im Norden der von Nahrungsmitteleinfuhren zu steigern. Das und die politische Unterstützung, die sie von den aber bedingt, dass der lokale Wettbewerb ausge- politischen Eliten zuhause und im Ausland erhal- schaltet und die Kontrolle über diese wachsenden ten. Die WTO institutionalisiert diese Unterstützung Märkte gewonnen wird. Die Bodennutzung zu än- und gibt den TNKS noch mehr Einfluss auf die er- dern, um nicht-traditionelle Ausfuhrprodukte anzu- Cargill Cargill ist einer der beiden führenden Exporteure von Sojabohnen aus den USA, Argentinien und Brasilien, die gemeinsam das gesamte weltweite Angebot beherrschen. Cargill exportiert nach Schätzungen 40 Prozent der gesamten Maismenge, die die USA verlässt, wobei die USA wiederum etwa 30 Prozent des Weltmarktes beliefern. Cargill exportiert und importiert Mais in der ganzen Welt und kauft, versendet und mahlt Getreide in mehr Ländern, als die WTO Mitgliedern hat (rund 160). Diese Art von Marktbeherrschung ist ein Aspekt des globalen Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, den die geltenden Regeln völlig außer Acht lassen, der aber unbedingt stärkere Beachtung erfordert, um zu gewährleisten, dass Markt- verzerrungen korrigiert werden können. Aber es gibt nicht einmal einfache Maßnahmen, um diesen Markt transparent zu machen. Deshalb müssen die für den Handel geltenden Regeln den tatsächlichen Bedingungen entsprechen, zu denen die Märkte arbeiten, statt nur theoreti- sche Modelle leistungsfähiger Märkte zu entwickeln, die wenig Bezug zur Realität haben. Auszug aus "Food Security and the WTO". von Sophia Murphy, CIDSE-Positionspapier (September 2001) 14 eine Gewerkschaftsstrategie
Sie können auch lesen