Einführung in das Öffentliche Recht in Übersichten - Prof. Dr. Andreas Haratsch Stand: 07/2021
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Gliederung I. Grundlagen II. Staatsorganisationsrecht III. Bezüge zum Völker- und Europarecht IV. Grundrechte V. Verwaltungsrecht
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Rechtssystem und Rechtsgebiete Recht Privatrecht Öffentliches Recht Bürgerliches Handels- und Staatsrecht Verwaltungsrecht Prozessrecht Strafrecht Recht Wirtschaftsrecht BGB HGB, GmbHG, AktG GG, BWahlG, allg. VerwR bes. VerwR ZPO, StPO, VwGO StGB, AbgG OWiG gewerblicher Rechtsschutz: PatG UrhG GebrMG
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Abgrenzung öffentliches Recht – Privatrecht Subordinationstheorie: Ein Rechtsverhältnis ist immer dann öffentlich-rechtlich, wenn ein Über- und Unterordnungsverhältnis gege- ben ist, während das Privatrecht durch ein Gleichordnungsverhältnis gekennzeichnet ist. Interessentheorie: Eine Norm ist öffentlich-rechtlich, wenn sie überwiegend im öffentlichen Interesse erlassen wurde, und pri- vatrechtlich, wenn sie dem Individualinteresse dient. modifizierte Subjektstheorie (auch modifizierte Sonderrechtstheorie): Öffentliches Recht ist immer dann gegeben, wenn eine Gesetzesnorm ausschließlich einen Träger hoheitli- cher Gewalt gerade in seiner Eigenschaft als Träger von Hoheitsgewalt berechtigt oder verpflichtet. veraltet: Subjektstheorie: Öffentliches Recht ist immer dann gegeben, wenn an einem Rechtsverhältnis ein Träger von Hoheitsgewalt beteiligt ist.
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch § 282 ZPO (1) Jede Partei hat in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel, insbeson- dere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden, so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens be- dachten Prozessführung entspricht. = Verhandlungsgrundsatz (Beibringungsgrundsatz) § 86 VwGO (1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuzie- hen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. = Amtsermittlungsgrundsatz
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Struktur des Öffentlichen Rechts Öffentliches Recht Staatsrecht Verwaltungsrecht Verfassungsrecht Staatsrecht außerhalb der materielles Verwaltungsrecht Verwaltungsprozessrecht Verfassung (VwGO, FGO, SGG) allgemeines Verwaltungsrecht besonderes Verwaltungsrecht - Grundgesetz - Wahlrecht (BWahlG) - Verwaltungsverfahrensrecht - Polizei- und Ordnungsrecht (GG) - Abgeordnetenrecht (VwVfG) - Baurecht - Landesverfas- (AbgG) - Verwaltungszustellungsrecht - Raumordnungs- und sungen - Parteienrecht (PartG) (VwZG) Landesplanungsrecht - Verfassungsprozess- - Verwaltungsvollstreckungsrecht - Kommunalrecht (VwVG) - Umweltrecht recht (BVerfGG) - Öffentliches Sachenrecht - Wirtschaftsverwaltungsrecht usw. - Recht der öffentlich-rechtlichen - Sozialrecht Ersatzleistungen - Steuerrecht (Staatshaftungsrecht) usw.
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Die Bundesrepublik Deutschland als Staat völkerrechtliche Definition: „Drei-Elemente-Lehre“ (Georg Jellinek) 1. Staatsgebiet: abgegrenzter Teil der Erdoberfläche 2. Staatsvolk: Summe der Staatsangehörigen 3. Staatsgewalt: Ausübung effektiver Herrschaftsmacht im Inneren Georg Jellinek (1851-1911) Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg „The Principality of Sealand“ Quelle: Wikipedia
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch VG Köln, Urt. v. 3.5.1978, DVBl. 1978, S. 510 ff. “Damit ein Staat i.S. des Völkerrechts bejaht werden kann, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: Es muß ein Staatsgebiet vorhanden sein, das Staatsgebiet muß ein Staatsvolk haben, und das Staatsvolk muß einer Staatsgewalt unterliegen. (…) Bei dem sog. „Fürstentum Sealand‟ fehlt es bereits an dem ersten Merkmal, da es kein Staatsgebiet i.S. des Völkerrechts besitzt. Die ehemalige Flakstellung befindet sich nicht auf einem abgetrennten Teil der Erdober- fläche, sondern die Insel ruht auf Betonpfeilern. Im Schrifttum wird als Staatsgebiet jedoch ganz überwiegend nur ein Teil der Erdoberfläche angesehen. (...) Neben dem Staatsgebiet fehlt es dem sog. „Fürstentum Sealand‟ weiterhin noch an einem Staatsvolk i.S. des Völkerrechts (…). Ein Staat als Zusammenschluß vieler hat (…) Gemeinschaftsleben zu fördern. Mit die- ser Forderung ist nicht nur ein loser Zusammenschluß zwecks Förderung gemeinsamer Hobbys und Interessen gemeint, sondern eine im wesentlichen ständige Form des Zusammenlebens i.S. einer Schicksalsgemein- schaft. (…) Die sog. „Staatsangehörigen‟ haben die „Staatsangehörigkeit‟ nicht erworben, um miteinander zu leben und damit alle Bereiche des Lebens gemeinsam zu bewältigen, sondern sie gehen nach wie vor außer- halb des sog. „Fürstentums Sealand‟ ihren eigenen Interessen nach. Der gemeinsame Zweck ihres Zusam- menschlusses beschränkt sich nur auf einen kleinen Teilbereich ihres Lebens, nämlich ihre wirtschafts- und steuerpolitischen Interessen. Diese Gemeinsamkeit ihrer Interessen kann jedoch nicht als ausreichend ange- sehen werden, sie als Staatsvolk i.S. des Völkerrechts anzuerkennen.“
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Das Grundgesetz als Verfassung Definition: Eine Verfassung ist die rechtliche Grundordnung eines Staates. 1. Eine Verfassung ist staatsbezogen („eines Staates“). 2. Eine Verfassung ist ein Gesetz („rechtliche“). 3. Eine Verfassung regelt nur das Grundlegende („Grundordnung“). Charakteristika des Verfassungsrechts: 1. Höchstrangige innerstaatliche Rechtsquelle, die allen anderen Gesetzen vorgeht (vgl. Art. 1 Abs. 3, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). 2. Verfassunggebung durch das Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt (vgl. Präambel, Art. 146 GG). 3. Verfassungsänderungen durch qualifiziertes Gesetzgebungsverfahren (vgl. Art. 79 Abs. 1 und 2 GG). 4. „Ewigkeitsgarantie“ für bestimmte Verfassungsinhalte (vgl. Art. 79 Abs. 3 GG)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Staatliche Normenhierarchie Rechtsnormen: generell-abstrakte Regelungen mit Anspruch auf Verbindlichkeit, die durch den Staat zwangsweise durchgesetzt werden können Grundgesetz formelle Bundesgesetze materielle Bundesgesetze (Rechtsverordnungen u. Satzungen des Bundes) Art. 31 GG Landesverfassungen formelle Landesgesetze materielle Landesgesetze (Rechtsverordnungen u. Satzungen der Länder und Kommunen)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Allgemeine Kollisionsregeln Zwischen Normen verschiedener Rangstufe gilt: Lex superior derogat legi inferiori. Zwischen Normen gleicher Rangstufe gilt: Lex posterior derogat legi priori. Lex specialis derogat legi generali.
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Aufbau des Grundgesetzes Umfang: Präambel und Art. 1 bis Art. 146 GG Formale Gliederung: 14 Abschnitte Präambel (Vorspruch) I. Die Grundrechte (Art. 1-19) VII. Die Gesetzgebung des Bundes (Art. 70-82) II. Der Bund und die Länder (Art. 20-37) VIII. Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung (Art. 83-91) III. Der Bundestag (Art. 38-49) VIIIa. Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit (Art. 91a-91e) IV. Der Bundesrat (Art. 50-53) IX. Die Rechtsprechung (Art. 92-104) IVa. Gemeinsamer Ausschuss (Art. 53a) X. Das Finanzwesen (Art. 104a-115) V. Der Bundespräsident (Art. 54-61) Xa. Verteidigungsfall (Art. 115a-115l) VI. Die Bundesregierung (Art. 62-69) XI. Übergangs- und Schlussbestimmungen (Art. 116-146)
Prof. Dr. Andreas Haratsch 2. Teil: Staatsorganisationsrecht Einführung in das Öffentliche Recht in Übersichten
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Strukturentscheidungen des Grundgesetzes – Art. 20 GG enthält grundlegende Verfassungsprinzipien, die die Struktur des Staates prägen. – Über Art. 28 Abs. 1 GG (Homogenitätsklausel) gelten diese Strukturentscheidungen auch für die Länder. – besonderer Schutz durch – Art. 20 Abs. 4 GG: Widerstandsrecht gegen „Staatsstreich von oben“ – Art. 79 Abs. 3 GG: Unantastbarkeit bei Verfassungsänderungen I. Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG) – Grundsatz effektiven Rechtsschutzes bei Rechtsverlet- – Volkssouveränität zungen durch die öffentliche Gewalt – demokratische Legitimation staatlichen Handelns durch – Bestimmtheitsgrundsatz, Grundsatz der Rechtssicher- Wahlen und Abstimmungen heit, Grundsatz des Vertrauensschutzes – Wahlrechtsgrundsätze – Rückwirkungsverbot – Herrschaft auf Zeit – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Mehrparteiensystem, Chancengleichheit der Parteien IV. Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) – Mehrheitsprinzip – Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzmini- – Recht auf Opposition mums II. Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) – soziale Freiheitsbindungen zugunsten Schwächerer (vgl. – Gliederung des Bundes in Länder (Mindestanzahl str.) Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG: „Eigentum verpflichtet.“) – Staatlichkeit der Länder V. Republikanisches Prinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) – Verfassungshoheit der Länder – Staatswesen, das auf Bürgergleichheit und -freiheit be- – Grundbestand an Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und ruht (Absage an Despotie, Tyrannei und Monarchie; Re- Rechtsprechungskompetenzen der Länder publik = Freistaat) – eigene Einnahmequellen der Länder – Gemeinwohlorientierung des Staates – Grundsatz der Bundestreue – Gemeinwohlverwirklichung ist institutionell Personen an- III. Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG) vertraut, die in einem öffentlichen Amtsverhältnis stehen – Grundsatz der Gewaltenteilung und dem Volk verantwortlich sind (Amtsprinzip) – Vorrang der Verfassung VI. Prinzip der Staatlichkeit (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG) – Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang und Vorbehalt – Schutz der Staatseigenschaft Deutschlands des Gesetzes)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Grundsatz der Gewaltenteilung Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) 1. Funktionen- trennung Legislative Exekutive Judikative (gesetzgebende Gewalt) (vollziehende Gewalt) (rechtsprechende Gewalt) 2. sachliche u. personelle Gesetzgebungs- Vollziehungsorgane Rechtsprechungs- Trennung der organe (Regierungen und organe Staatsorgane (Parlamente) Verwaltungen) (Gerichte) Parlamente Regierung/Verwaltung Gerichte 3. Verschränkung von Funktionen u. zuständigen Organen 4. System der gegenseitigen Kontrolle und Hemmung
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Fall: Einführung der Todesstrafe Eine Gruppe von 60 Abgeordneten des Bundestages aus verschiedenen Fraktionen beabsichtigt, eine Gesetzesini- tiative einzubringen, um einige Neuerungen im Bereich der Bestrafung bestimmter Straftaten einzuführen. Nach den spektakulären Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washing- ton wollen die Abgeordneten im Rahmen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und, um einer verbreiteten Stimmung in der Bevölkerung Rechnung zu tragen, einen neuen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufnehmen. Danach soll, wer als Mittäter an der Planung und Vorbereitung oder als Anstifter oder Gehilfe an der Entführung eines zivilen Verkehrsflugzeugs mitwirkt, das als Werkzeug eines terroristischen Anschlags missbraucht wird, mit dem To- de bestraft werden. Die Abgeordneten rechnen sich für das Gesetzesvorhaben allenfalls eine Mehrheit im Bundestag und Bundesrat von jeweils der Hälfte der Stimmen aus. 1. Die Abgeordneten wollen von Ihnen wissen, ob eine entsprechende Änderung des Strafgesetzbuches mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. 2. Ist das Vorhaben gegebenenfalls im Wege einer Verfassungsänderung zu verwirklichen? Die Abgeordneten schlagen dazu folgende Ergänzung bzw. Änderung des Grundgesetzes vor: Art. 102 GG erhält folgende Fassung: (1) Die Todesstrafe ist grundsätzlich abgeschafft. (2) Ausschließlich bei einer Verurteilung wegen Entführung eines Flugzeugs der zivilen Luftfahrt, das zu einem terroristischen Anschlag mit Todesfolge missbraucht wird, kann die Todesstrafe verhängt werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Gutachtenstil I. Obersatz II. Definition III. Subsumtion IV. Ergebnis Gegenbegriff zum „Gutachtenstil“ ist der „Urteilsstil“. Im Urteilsstil steht das Ergebnis der Prüfung nicht am Ende, sondern am Beginn der Ausführungen.
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch „klassische“ Auslegungsmethoden I. grammatische Auslegung: Auslegung nach dem Wortlaut der Norm (Wortsinn im allgemeinen Sprachge- brauch) II. systematische Auslegung: Auslegung nach der Systematik der mit einer Norm im Zusammenhang stehen- den Regelungen III. teleologische Auslegung: Ermittlung des objektiven Sinns und Zwecks einer Norm (griechisch: telos = Ziel) IV. historische Auslegung: Ermittlung des historischen subjektiven Willens des Gesetzgebers beim Erlass der Norm
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Fall: Einführung der Todesstrafe – Lösungsskizze 1. Frage: Änderung des StGB (formelles Bundesgesetz) nicht zulässig, da Art. 102 GG Todesstrafe verbietet 2. Frage: Verfassungsmäßigkeit einer Änderung des Grundgesetzes A. formelle Verfassungsmäßigkeit des grundgesetz- B. materielle Verfassungsmäßigkeit des grundgesetz- ändernden Gesetzes ändernden Gesetzes I. Zuständigkeit Prüfungsmaßstab ist Art. 79 Abs. 3 GG, d.h., folgende In- halte des Grundgesetzes dürfen nicht angetastet werden: 1. Verbandskompetenz: Bund (vgl. Art. 79 Abs. 2 GG) I. Gliederung des Bundes in Länder 2. Organkompetenz: Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates (Art. 79 Abs. 2 GG) II. grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Ge- setzgebung II. Verfahren: Art. 76 ff. GG III. in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegte Grundsätze 1. Gesetzesinitiative: Art. 76 Abs. 1 GG (beachte: nicht Art. 1 bis Art. 20 GG) 2. Gesetzesbeschluss des Bundestages: Art. 77 hier: Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG 1. Art. 1 Abs. 1 GG: Würde des Menschen 3. Beteiligung des Bundesrates: Art. 77 Abs. 2 u. 2a i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG 2. Art. 1 Abs. 2 GG: Menschenrechtsbekenntnis 4. Ausfertigung und Verkündung: Art. 82 Abs. 1 GG IV. Zwischenergebnis: Verfassungsänderung ist materiell verfassungswidrig III. Form: Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG) C. Ergebnis: Verfassungsänderung nicht zulässig, wegen Ver- stoßes gegen Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Änderung des Grundgesetzes A. Formelle Verfassungsmäßigkeit eines grundgesetzän- III. die in Art. 1 GG niedergelegten Grundsätze dernden Gesetzes 1. Art. 1 Abs. 1 GG: Würde des Menschen I. Zuständigkeit a) Unantastbarkeit des Grundrechts des Art. 1 Abs. 1 GG 1. Verbandskompetenz: Bund (vgl. Art. 79 Abs. 2 GG) b) Unantastbarkeit des Menschenwürdekerns der Grund- 2. Organkompetenz: Bundestag mit Zustimmung des Bundes rechte rates (Art. 79 Abs. 2 GG) Einen Menschenwürdekern enthalten insbesondere die Grundrechte, die einen besonders engen Bezug zur II. Verfahren: Art. 76 ff. GG mit der Besonderheit von Art. 79 Persönlichkeit des einzelnen aufweisen. Für die Be- Abs. 2 GG stimmung des Menschenwürdegehalts der einzelnen III. Form: Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes (Art. 79 Grundrechte ist entscheidend, ob sie Teil der Garantie gewisser Mindestanforderungen in Bezug auf die Abs. 1 Satz 1 GG) menschliche Existenz sowie die unmittelbaren Da- seinsbedingungen sind. B. Materielle Verfassungsmäßigkeit eines grundgesetzän- dernden Gesetzes 2. Art. 1 Abs. 2 GG: Menschenrechtsbekenntnis Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG a) Grundsätzliche Anerkennung von vorstaatlichen Men- schenrechten, die nicht staatlich gewährt werden, son- Folgende Inhalte des Grundgesetzes dürfen nicht angetastet wer- dern vom Staat zu gewährleisten sind. den: b) Menschenrechtlicher Mindestschutz, der die Rechte I. Gliederung des Bundes in Länder umfasst, die für die Existenz des Menschen unentbehr- II. grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzge- lich sind (enge Verknüpfung mit der Menschenwürde, bung Wortlaut: „darum“). 3. Art. 1 Abs. 3 GG: Bindung der staatlichen Gewalt an die Grundrechte in ihrer jeweiligen Ausgestaltung
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch IV. die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze – Gewaltenteilung 1. Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland: Schutz der – Vorrang der Verfassung Staatseigenschaft – Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes) 2. Republikanisches Prinzip: auf Bürgergleichheit und - freiheit beruhendes Staatswesen (Absage an Despotie, Ty- b) teilw.v.: Rechtsstaatsprinzip insgesamt rannei und Monarchie); Gemeinwohlorientierung des Staa- – Gewaltenteilung tes; Gemeinwohlverwirklichung durch Personen, denen ein – Vorrang der Verfassung öffentliches Amt anvertraut ist und die dem Volk verant- wortlich sind – Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes) 3. Demokratieprinzip: Volkssouveränität, demokratische Le- – Grundsatz effektiven Rechtsschutzes bei Rechts- gitimation staatlichen Handelns, Wahlen, Wahlrechts- verletzungen durch die öffentliche Gewalt grundsätze, Herrschaft auf Zeit, Mehrparteiensystem, Op- position, Chancengleichheit der Parteien, Mehrheitsprinzip – Bestimmtheitsgrundsatz – Rechtssicherheit, Vertrauensschutz, Rückwir- 4. Sozialstaatsprinzip: Gewährleistung eines menschen- kungsverbot würdigen Existenzminimums – grundsätzliche Gewährleistung von persönlichen 5. Bundesstaatsprinzip (str., ob neben „Gliederung des Grundrechten Bundes in Länder“ gewährleistet) – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 6. Rechtsstaatsprinzip 7. Widerstandsrecht (Art. 20 Abs. 4 GG) nicht von Art. 79 a) teilw.v.: nur die in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ausdrück- Abs. 3 GG erfasst, da erst nachträglich 1968 in das lich genannten Elemente des Rechtsstaats- Grundgesetz eingefügt prinzips V. Unantastbarkeit des Art. 79 Abs. 3 GG selbst
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland Bundesverfassungsgericht Landesparlamente wählen 1/2 ernennt wählt 1/2 wählt 1/2 Bundesversammlung wählt Bundespräsident stellt 1/2 ernennt Bundestag Bundesrat schlägt vor stellen Mitglieder Bundesregierung wählt Bundeskanzler Landesregierungen schlägt vor Bundesminister
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Bundestag Wahl: durch das Volk in allgemeiner, unmittelbarer, freier, glei- Aufgaben: – Gesetzesinitiative (Art. 76 Abs. 1 GG) cher und geheimer Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG) – Gesetzgebung (Art. 77 Abs. 1 GG) – Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63 GG, Art. 67 Legislaturperiode: 4 Jahre (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG) Abs. 1 Satz 1 GG) Zusammensetzung: 598 Abgeordnete (§ 1 Abs. 1 Satz 1 – Kontrolle von Regierung und Verwaltung (z.B. BWahlG) + Überhang- und Ausgleichsman- Art. 43 GG, Art. 44 GG) date (§ 6 BWahlG) – Wahl der Hälfte der Richterinnen und Richter des Untergliederung: – Fraktionen (mindestens 5% der Abgeord- Bundesverfassungsgerichts (Art. 94 Abs. 1 Satz 2 neten des Bundestags, die derselben Par- GG) tei angehören oder solchen Parteien an- – Bundestag bildet die Hälfte der Bundesversamm- gehören, die aufgrund gleichgerichteter lung (Art. 54 Abs. 3 GG) politischer Ziele in keinem Land miteinan- – Feststellung des Haushaltsplans (Art. 110 Abs. 2 der im Wettbewerb stehen; § 10 Abs. 1 GG) GOBT) – Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen des – Gruppen (weniger als 5% der Abgeordne- Bundes (Art. 59 Abs. 2 GG) ten des Bundestags, die derselben Partei angehören; § 10 Abs. 4 GOBT) – Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundes- wehr – fraktionslose Abgeordnete – Feststellung des Verteidigungsfalles (Art. 115a Präsidium: 1 Präsident (Art. 52 Abs. 1 GG) und mindestens 1 Abs. 1 Satz 1 GG) Vizepräsident pro Fraktion (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GOBT)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Bundesrat Zusammensetzung: 69 Mitglieder der Regierungen der Länder Aufgaben: – Mitwirkung bei der Gesetzgebung des Bundes (Art. 51 Abs. 1, 2 u. 3 GG); Mitglieder- und (Art. 50 GG, Art. 77 GG) Stimmenzahl ist abhängig von der Einwoh- – Mitwirkung bei der Verwaltung des Bundes (Art. 50 nerzahl des Landes (Art. 51 Abs. 2 GG) GG), wenn Verwaltungsvorschriften nur mit Zu- Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, stimmung des Bundesrates erlassen werden kön- Nordrhein-Westfalen je 6 Stimmen nen (z.B. Art. 84 Abs. 2 GG, Art. 85 Abs. 2 GG) Hessen 5 Stimmen – Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 50 GG, Art. 23 Abs. 1a, 2, 4, 5, 6 GG) Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, – Wahl der Hälfte der Richterinnen und Richter des Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen je 4 Stimmen Bundesverfassungsgerichts (Art. 94 Abs. 1 Satz 2 Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, GG) Saarland je 3 Stimmen – Feststellung des Haushaltsplans (Art. 110 Abs. 2 GG) – Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen des Präsidium: 1 Präsident (Art. 52 Abs. 1 GG) und 3 Vizepräsi- Bundes (Art. 59 Abs. 2 GG) denten auf jeweils ein Jahr gewählt – Kontroll- und Abwehrrechte im inneren Notfall Abstimmung: jedes Land kann seine Stimmen nur einheitlich (Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG, Art. 87a Abs. 4 Satz 2 abgeben (Art. 51 Abs. 3 Satz 2 GG) GG, Art. 91 Abs. 2 Satz 2 GG) Beschlussfassung grundsätzlich mit Mehrheit der – Feststellung des Verteidigungsfalles (Art. 115a Stimmen (Art. 52 Abs. 3 Satz 1); Ausnahme z.B. Abs. 1 Satz 1 GG) Zweidrittelmehrheit (vgl. Art. 79 Abs. 2 GG)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Bundespräsident Wahl: durch die Bundesversammlung auf fünf Jahre (Art. 54 Aufgaben: – Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutsch- Abs. 1 GG) land – völkerrechtliche Vertretung Deutschlands Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern (Art. 59 Abs. 1 GG) des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitglie- – Vorschlagsrecht bei Wahl des Bundeskanzlers dern, die von den Volksvertretungen der Länder, d. h. den (Art. 63 Abs. 1 GG) Landtagen, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden (Art. 58 Abs. 3 GG). – Ernennung des Bundeskanzlers (Art. 63 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 und 3 GG, Art. 67 Abs. 1 Satz 2 GG) und der Bundesminister (Art. 64 Abs. 1 GG) Amtszeit: 5 Jahre, einmalige Wiederwahl möglich (Art. 54 – Entlassung des Bundeskanzlers und der Bun- Abs. 2 GG) desminister (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 64 Abs. 1 GG) – Ernennung der Bundesrichter, der Bundesbe- amten, Offiziere und Unteroffiziere (Art. 60 Abs. 1 GG) – Begnadigungsrecht auf Bundesebene (Art. 60 Abs. 2 GG) – Ausfertigung der Bundesgesetze (Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG) – Auflösung des Bundestages (Art. 63 Abs. 4 Satz 3 GG, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Bundesregierung Zusammensetzung: Bundeskanzler und Bundesminister (Art. 62 – Gegenzeichnung von Anordnungen und GG). Verfügungen des Bundespräsidenten (Art. 58 Satz 1, 1. Alt. GG) Bundeskanzler: der Bundesminister: – selbstständige Leitung des Ressorts Wahl und Ernennung: – Wahl durch den Bundestag (Art. 63 GG, (Ressortprinzip; Art. 65 Satz 2 GG) Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG) – Gegenzeichnung von Anordnungen und – Ernennung durch den Bundespräsiden- Verfügungen des Bundespräsidenten ten (Art. 63 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 (Art. 58 Satz 1, 2. Alt. GG) und 3 GG, Art. 67 Abs. 1 Satz 2 GG) – Erlass von Rechtsverordnungen (Art. 80 Ende der Amtszeit: – Zusammentritt eines neuen Bundestages Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. GG) (Art. 69 Abs. 2 GG) der Bundesregierung: – Entscheidung über Meinungsverschie- – Abwahl durch konstruktives Misstrauens- denheiten zwischen Bundesministern votum (Art. 67 GG) (Art. 65 Satz 3 GG) – freiwilliger Rücktritt – Gesetzesinitiative (Art. 76 Abs. 1 GG, Bundesminister: Art. 110 Abs. 3 GG) Ernennung: – Ernennung durch den Bundespräsiden- – Zustimmung zu finanzwirksamen Geset- ten aus Vorschlag des Bundeskanzlers zen (Art. 113 GG) (Art. 64 Abs. 1 GG) – Erlass von Rechtsverordnungen (Art. 80 Ende der Amtszeit: – Zusammentritt eines neuen Bundestages Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. GG) (Art. 69 Abs. 2 GG) – Anrufung des Vermittlungsausschusses – freiwilliger Rücktritt (Art. 77 Abs. 2 Satz 4 GG) – Entlassung auf Vorschlag des Bundes- – Aufsicht über Vollzug des Bundesgeset- kanzlers (Art. 64 Abs. 1 GG) ze durch die Länder (Art. 84 Abs. 3 GG, – mit Ende der Amtszeit des Bundeskanz- Art. 85 Abs. 4 GG) lers (Art. 69 Abs. 2 GG) – Erlass von Verwaltungsvorschriften (Art. 84 Abs. 2 GG, Art. 85 Abs. 2 Satz 1 Aufgaben und Kompetenzen GG, Art. 86 GG) des Bundeskanzlers: – Richtlinienkompetenz (Art. 65 Satz 1 – Anwendung des Bundeszwangs (Art. 37 GG) GG) – Organisationsgewalt (Kabinettsbildungs- recht, Leitung der Sitzungen; Art. 65 Satz 4 GG)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Bundesverfassungsgericht Sitz: Karlsruhe (§ 1 Abs. 2 BVerfGG) Organisation: Präsident und Vizepräsident: Zusammensetzung: 16 Richter in zwei Senaten zu je 8 Richtern 1 Präsident und 1 Vizepräsident, die jeweils ihrem (§ 2 Abs. 1 u. 2 BVerfGG) Senat vorsitzen 3 Richter jedes Senats müssen zuvor min- Bundestag und Bundesrat wählen im Wechsel den destens drei Jahre lang als Richter einem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und der obersten Gerichtshöfe des Bundes an- den Vizepräsidenten. Der Vizepräsident ist aus gehört haben (§ 2 Abs. 3 BVerfGG) dem Senat zu wählen, dem der Präsident nicht angehört (§ 9 Abs. 1 BVerfGG). Wahl: Die Richter jedes Senats werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit Spruchkörper: Kammern zu je 3 Richtern, Senat oder Plenum gewählt (§ 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 u. § 7 BVerfGG). Entscheidung, vorbehaltlich ausdrücklich abwei- chender Regelung, mit Mehrheit der Stimmen Amtszeit: 12 Jahre, keine Wiederwahl möglich (§ 4 Abs. 2 u. 3. BVerfGG) Aufgaben: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in al- len ihm durch das Grundgesetz oder ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen (vgl. § 13 BVerfGG).
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen I. Grundsatz: Gesetzgebungskompetenz der Länder, Art. 30, Art. 70 Abs. 1, 1. Hs. GG „Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, …“ II. Ausnahme: GG weist dem Bund Gesetzgebungskompetenz zu, Art. 70 Abs. 1, 2. Hs. GG „…, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.“ 1. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes b) Konkurrierende Bedarfskompetenz des Bundes (Art. 71, 73 GG) (Art. 72 Abs. 2 GG) – Ausschließlich der Bund zuständig, es sei denn, ein Bundes- Auf den genannten Gebieten hat Bund Gesetzgebungs- gesetz ermächtigt die Länder zur Gesetzgebung (Art. 71 GG). kompetenz, sofern die Herstellung gleichwertiger Lebens- verhältnisse oder die Wahrung der Rechts- und Wirt- – Art. 73 GG zählt (nicht abschließend) Gegenstände der aus- schaftseinheit eine bundesgesetzliche Regelung erforder- schließlichen Gesetzgebung des Bundes auf. lich macht (Erforderlichkeitsprüfung). 2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes c) Abweichungskompetenz der Länder (Art. 72 Abs. 3 (Art. 72, 74 GG) GG) – Länder zuständig, sofern nicht Bund von seiner Gesetzge- Hat der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzge- bungskompetenz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). bungskompetenz Gebrauch gemacht, können Länder – Art. 74 GG zählt (nicht abschließend) Gegenstände der kon- ausnahmsweise auf den in Art. 72 Abs. 3 GG genannten kurrierenden Gesetzgebung des Bundes auf. Gebieten abweichende Regelungen treffen, die den bun- desgesetzlichen Regelungen vorgehen. a) Konkurrierende Kernkompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1 GG) Für einige der aufgezählten Gebiete werden sog. „abwei- chungsfeste Kerne“ („ohne …“) bestimmt. Abweichende Bund hat Gesetzgebungskompetenz, ohne dass Erforder- Landesgesetze sind dort ausgeschlossen. lichkeitsprüfung gemäß Art. 72 Abs. 2 GG erfolgen muss.
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Verfahren der Bundesgesetzgebung 1. Phase: Einleitungsverfahren und Beschlussfassung durch den Bundestag, Art. 76, Art. 77 I GG durch die aus der Mitte des durch den Bundesregierung Bundestages Bundesrat Gesetzesvorlage Gesetzesvorlage Gesetzesvorlage Bundesrat Bundesregierung Stellungnahme Stellungnahme (Art. 76 II 1, 2 GG) (Art. 76 III 1, 2 GG) Bundesregierung Gegenäußerung Bundestag - Gesetzesbeschluss (Art. 77 I 1 GG) - Zuleitung an Bundesrat (Art. 77 I 2 GG)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch 2. Phase: Mitwirkung des Bundesrates (Einspruchsgesetz) Art. 77, Art. 78 GG Bundesrat Anrufung (Art. 77 II 1 GG) keine Anrufung des Vermittlungsausschusses Vermittlungsausschuss Änderungsvorschlag (Art. 77 II 5 GG) kein Änderungsvorschlag Bundestag erneuter Beschluss Bundesrat Einspruch (Art. 77 III 1 GG) kein Einspruch Bundestag keine Zurückweisung Zurückweisung des des Einspruchs Einspruchs (Art. 77 IV GG) Gesetz Gesetz zustande Gesetz zustande Gesetz zustande gescheitert gekommen gekommen gekommen
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch 2. Phase: Mitwirkung des Bundesrates (Zustimmungsgesetz) Art. 77, Art. 78 GG Bundesrat Zustimmung (Art. 77 II 1 GG) Anrufung keine Zustimmung Anrufung Bundesregierung oder Vermittlungsausschuss (Art. 77 II 4 GG) Bundestag Änderungsvorschlag kein Änderungs- keine Anrufung des (Art. 77 II 5 GG) vorschlag Vermittlungsausschusses Bundestag erneuter Beschluss Bundesrat Zustimmung keine Zustimmung Gesetz zustande Gesetz zustande Gesetz Gesetz gekommen gekommen gescheitert gescheitert
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Mitwirkung des Bundesrates Art. 50 GG:„Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung … des Bundes … mit.“ I. Regelfall: Im Regelfall handelt es sich um Einspruchsgesetze gemäß Art. 77 Abs. 3 und 4 GG. II. Ausnahme: Ausnahmsweise handelt es sich um Zustimmungsgesetze gemäß Art. 77 Abs. 2a GG, sofern das Grundgesetz dies ausdrücklich bestimmt. Beispiele: Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 29 Abs. 7 Satz 1, 2 GG, Art. 73 Abs. 2 GG, Art. 74 Abs. 2 GG, Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG, Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 87c GG, Art. 87d Abs. 2 GG, Art. 104a Abs. 4, Abs. 5 Satz 2, Art. 105 Abs. 3 GG, Art. 106 Abs. 3 Satz 3 GG beachte: Nach der Rechtsprechung des BVerfG gilt, dass eine einzige zustimmungsbedürftige Bestimmung in ei- nem Gesetz dieses Gesetz insgesamt zustimmungsbedürftig macht (sog. Einheitsthese).
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch 3. Phase: Ausfertigung und Verkündung (Art. 82 GG) Bundespräsident Ausfertigung des Gesetzes Verkündung im Bundesgesetzblatt Funktion: – Beurkundung der wörtlichen Übereinstimmung mit dem Gesetzesbeschluss – Herstellung der Urschrift des Gesetzes – Feststellung des verfassungsmäßigen Zustandekommens des Gesetzes – Verkündungsbefehl Umfang des Prüfungsrechts des Bundespräsidenten: A. formelles Prüfungsrecht Unstreitig besitzt der Bundespräsident ein formelles Prüfungsrecht. Streitig ist allenfalls dessen Umfang: a) h. M.: Bundespräsident prüft alle Fragen der formellen Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes. b) teilw.v.: Bundespräsident prüft nur das Zustandekommen i.S.v. Art. 78 GG (nicht Gesetzgebungskompetenz) B. materielles Prüfungsrecht Umstritten ist, ob der Bundespräsident auch die materielle Verfassungsmäßigkeit eines auszufertigenden Gesetzes überprüfen darf. a) teilw.v.: Der Bundespräsident besitzt ein materielles Prüfungsrecht. b) teilw.v.: Der Bundespräsident besitzt kein materielles Prüfungsrecht. c) h.M.: Der Bundespräsident besitzt ein materielles Prüfungsrecht, darf aber nur bei offenkundigen Verfassungsstößen die Ausfertigung verweigern. C. politisches Prüfungsrecht Der Bundespräsident besitzt kein politisches Prüfungsrecht. Die Nichtausfertigung ihm politisch missliebiger Gesetze wäre ein unzu- lässiger Eingriff in die Legislativgewalt des Parlaments (Grundsatz der Gewaltenteilung).
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Die vollziehende Gewalt vollziehende Gewalt (Exekutive) Regierung Verwaltung (Gubernative) (Administrative) – staatsleitende und – Staatstätigkeit, die nicht richtungsweisende Gesetzgebung, Recht- Regierungstätigkeit sprechung oder Regierungstätigkeit ist
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Verteilung der Verwaltungskompetenzen I. Grundsatz: Landeseigene Verwaltung: Art. 30, Art. 83, Art. 84 GG II. Ausnahmen: 1. Bundesauftragverwaltung: Art. 85 GG 2. Bundeseigene Verwaltung: Art. 86 GG Landesverwaltung Bundesverwaltung Mittelbare Bundeseigene Bundeseigene Bundesverwaltung durch Landeseigene Bundesauftrags- Verwaltung Verwaltung bundesunmittelbare Verwaltung verwaltung mit eigenem durch selbstständige Körperschaften, Anstal- Verwaltungsunterbau Bundesoberbehörden ten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Körperschaften des öffentlichen Rechts: mitgliedschaftlich organisierte juristische Personen des öffentlichen Rechts, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen Anstalten des öffentlichen Rechts: rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Verwaltungseinrichtungen des öf- fentlichen Rechts, die der Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben dienen und deren Benutzung durch Anstaltsordnung oder Satzung gere- gelt ist Stiftungen des öffentlichen Rechts: rechtsfähige öffentliche Einrichtungen, die mit einem Vermögen einen bestimmten festgelegten öffentlichen Zweck verfolgen
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder Landeseigene Verwaltung Bundesauftragsverwaltung _____________________________________________________________________________________________ Sachgebiete Art. 83 GG Art. 87b II, Art. 87c, Art. 87d, Art. 89, Art. 90 III, Generalklausel Art. 104a III, Art. 108 III, Art. 120a, Art. 143e III GG _____________________________________________________________________________________________ Behördenorganisation, Art. 84 I GG Art. 85 I GG Verwaltungsverfahrendurch Bundesgesetz möglich, durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz Abweichungsrecht der Länder möglich _____________________________________________________________________________________________ Verwaltungsvorschriften Art. 84 II GG Art. 85 II GG Bundesregierung mit Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates Zustimmung des Bundesrates _____________________________________________________________________________________________ Einfluss des Bundes Art. 84 III 1 GG Art. 85 IV 1 GG Rechtsaufsicht Rechts- und Fachaufsicht _____________________________________________________________________________________________ Aufsichtsmaßnahmen Art. 84 III 2 GG Art. 85 IV 2 GG des Bundes Entsendung von Beauftragten Entsendung von Beauftragten Art. 84 IV 1 GG Art. 85 III GG Mängelrüge der Bundesregierung; Weisungsrecht Feststellung einer Rechts- verletzung durch Bundesrat Art. 84 V GG Einzelweisungen
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Ausführung der Bundesgesetze durch den Bund bundeseigene Verwaltung mit bundeseigene Verwaltung durch mittelbare Bundesverwaltung durch bundes- eigenem Verwaltungsunterbau selbstständige unmittelbare Körperschaften, Anstalten und Bundesoberbehörden Stiftungen des öffentlichen Rechts (Art. 86 Satz 1, 1. Alt. GG) (Art. 86 Satz 1, 1. Alt. GG (Art. 86 Satz 1, 2. Alt. GG) Sachgebiete Art. 87 I 1, III 2, Art. 87b I, Art. 87b Art. 87 III 1, 1. Alt., Art. 87b II 2 GG Art. 87 II, III, 2. Alt., Art. 87f III GG II 1, Art. 89 II GG Beispiele Bundeswasserstraßen: – Bundeskartellamt Körperschaften: 1. oberste Bundesbehörde: – Statistisches Bundesamt – Bundesagentur für Arbeit Bundesverkehrsministerium – Deutsche Rentenversicherung Bund – Deutsches Patent- und Marken- – Unfallversicherung Bund und Bahn 2. Bundesoberbehörden: amt – Berufsgenossenschaften Bundesanstalt für Wasserbau – Bundesamt für Migration und Bundesanstalt für Gewässer- Anstalten: Flüchtlinge (BAMF) kunde – Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- – Bundesinstitut für Arzneimittel aufsicht (BaFin) 3. Mittelbehörde: und Medizinprodukte – Kreditanstalt für Wiederaufbau (KFW) Generaldirektion Wasser- – Bundesinstitut für Infektionskrank- – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und straßen und Schifffahrt heiten und nicht übertragbare Arbeitsmedizin (BAuA) 4. Unterbehörden: Krankheiten (Robert-Koch- Stiftungen: Wasser- und Schifffahrtsämter Institut) – Conterganstiftung für behinderte Wasserstraßen-Neubauämter – Bundesinstitut für Impfstoffe und Menschen biomedizinische Arzneimittel – Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Paul-Ehrlich-Institut) – Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung § 26 PatG [Deutsches Patent- und Markenamt] (1) Das Deutsche Patent- und Markenamt ist eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Es hat seinen Sitz in München.
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Die rechtsprechende Gewalt I. Grundsatz: Die rechtsprechende Gewalt ist Sache der Länder, Art. 30, Art. 92, 2. Hs. GG. „Die rechtsprechende Gewalt … wird … durch die Gerichte der Länder ausgeübt.“ II. Ausnahme: GG sieht Bundesgerichte vor, Art. 92, 2. Hs. GG. „… durch das Bundesverfassungsgericht, die in diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte …“ 1. Bundesverfassungsgericht, Art. 93, 94 GG 2. oberste Gerichtshöfe des Bundes, Art. 95 Abs. 1 GG – Bundesgerichtshof: oberster Gerichtshof für die ordentliche Gerichtsbarkeit in Zivil- und in Strafsachen – Bundesverwaltungsgericht: oberster Gerichtshof für die Verwaltungsgerichtsbarkeit – Bundesfinanzhof: oberster Gerichtshof für die Finanzgerichtsbarkeit – Bundesarbeitsgericht: oberster Gerichtshof für die Arbeitsgerichtsbarkeit – Bundessozialgericht: oberster Gerichtshof für die Sozialgerichtsbarkeit 3. sonstige Bundesgerichte, Art. 96 GG – Gericht für die Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes (Art. 96 Abs. 1 GG): Bundespatentgericht – Wehrstrafgerichte (Art. 96 Abs. 2 GG): Fehlanzeige – Bundesdisziplinar- und -beschwerdegerichte (Art. 96 Abs. 4 GG): Truppendienstgerichte für Disziplinarverfahren gegen Soldaten und für Verfahren über Beschwerden von Soldaten
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Die Judikative: Aufbau der Gerichtsbarkeit Bundesverfassungsgericht Bundesgerichte (Karlsruhe) Bundesarbeitsgericht Bundesgerichtshof Bundessozialgericht Bundesverwaltungs- Bundesfinanzhof (Erfurt) (Karlsruhe) (Kassel) gericht (Leipzig) (München) Bundespatent- gericht (München) Landesarbeits- Oberlandes- Landessozial- Oberverwaltungsge- Finanz- Landesgerichte gerichte gerichte gerichte richte/Verwaltungs- gerichte gerichtshöfe Landgerichte Arbeitsgerichte Amtsgerichte Sozialgerichte Verwaltungsgerichte Straf- Zivil- Patent-, Ge- Arbeitsrecht brauchsmuster- Sozialrecht Verwaltungsrecht Steuerrecht recht recht und Markenrecht
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a, Konkrete Normenkontrolle (Art. 100 I GG, § 13 Nr. 11, §§ 80 ff. §§ 90 ff. BVerfGG) BVerfGG) Beschwerdeführer: jeder, der Träger von Grundrechten sein kann Vorlageberechtigung: jedes staatliche Gericht Gegenstand: Verletzung eines Grundrechts oder grundrechts- Gegenstand: Verfassungswidrigkeit eines formellen nachkonsti- gleichen Rechts tutionellen Gesetzes Organstreitverfahren (Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4b GG, § 13 BVerfGG) Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG) Antragsteller: Verfassungsorgane, Teile von Verfassungsor- ganen, „sonstige Beteiligte“ Präsidentenanklage (Art. 61 GG, § 13 Nr. 4, §§ 49 ff. BVerfGG) Antragsgegner: Verfassungsorgane, Teile von Verfassungsor- ganen, „sonstige Beteiligte“ Parteiverbotsverfahren (Art. 21 II GG, § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Gegenstand: Streit um Rechte und Pflichten der Beteiligten BVerfGG) aus einem verfassungsrechtlichen Rechtsver- hältnis Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG, § 13 Nr. 1, §§ 36 ff. BVerfGG) Bund-Länder-Streit (Art. 93 I Nr. 3 GG, § 13 Nr. 7, §§ 68 ff. BVerfGG) Kompetenzfreigabeverfahren (Art. 93 II GG, § 13 Nr. 6b, § 97 Antragsteller: Bundesregierung oder Landesregierung BVerfGG) Antragsgegner: Bundesregierung oder Landesregierung Gegenstand: Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Richteranklage (Art. 98 II GG, § 13 Nr. 9, §§ 58 ff. BVerfGG Pflichten des Bundes und eines Landes Abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 I Nr. 2, 2a GG, § 13 Nr. 6, Normenverifikationsverfahren (Art. 100 II GG, § 13 Nr. 12, 6a, §§ 76 ff. BVerfGG) §§ 83 f. BVerfGG) Antragsteller: Bundesregierung, Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestags (Nr. 2) Divergenzvorlage (Art. 100 III GG, § 13 Nr. 13, § 85 BVerfGG bzw. ein Landtag (Nr. 2a) Gegenstand: Vereinbarkeit von Bundes- oder Landesrecht mit Normenqualifikationsverfahren (Art. 126 GG, § 13 Nr. 14, dem GG, Vereinbarkeit von Landesrecht mit §§ 86 ff. BVerfGG) sonstigem Bundesrecht (Nr. 2 GG) Vereinbarkeit von Bundesgesetzen mit Art. 72 II sonstige durch Bundesgesetz zugewiesene Fälle (Art. 93 III GG (Nr. 2a) GG): z.B. Verzögerungsbeschwerde (§§ 97a ff. BVerfGG)
Prof. Dr. Andreas Haratsch 3. Teil: Bezüge zum Völker- und Europarecht Einführung in das Öffentliche Recht in Übersichten
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags Vertragsverhandlungen und Unterzeichnung des Vertragstextes Verwaltungsabkommen Staatsverträge (Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG) (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 oder Art. 23 Abs. 1 GG) Vertragsschluss durch Bundesregierung Bundestag und Bundesrat: Zustimmungsgesetz Bundespräsident Ausfertigung des Gesetzes Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde (Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG) (Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG) Verkündung im BGBl Teil II (Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG) Austausch oder Hinterlegung der Ratifikationsurkunden innerstaatliche Verbindlichkeit völkerrechtliche Verbindlichkeit
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Deutschland in der Europäischen Union 1. Verpflichtung Deutschlands auf die europäische Integration (Präambel, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) 2. „europäische Struktursicherungsklausel“: Europäische Union muss bestimmte Strukturen aufwei- sen: demokratisch, rechtsstaatlich, sozial, föderativ, Subsidiaritätsgrundsatz beachtend, grund- rechtsbasiert (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) 3. Begründung der Europäischen Union und Übertragung von Hoheitsrechten durch Bundesgesetz (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) 4. Gesetze zu Vertragsänderungen, die einer Grundgesetzänderung gleichkommen, müssen mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG) 5. „nationale Struktursicherungsklausel“: Kerngehalte der nationalen Verfassungsidentität sind unan- tastbar: Achtung der Menschenwürde, Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip, Bundesstaatsprin- zip, Sozialstaatsprinzip, Republikprinzip, Staatlichkeit Deutschlands (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG) beachte: Art. 23 Abs. 1 GG gilt analog für Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen, die in einem Ergänzungs- oder sonstigen Näheverhältnis zum Integrationsprogramm der Euro- päischen Union stehen. Beispiel: Gesetz zu dem Übereinkommen v. 19.3.2013 über ein Einheitliches Patentgericht; BVerfGE 153, 74 (143 f.)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Anwendungsvorrang des Europäischen Unionsrechts Jeder Träger von Hoheitsgewalt in den Mitgliedstaaten ist im Rahmen seiner Zuständigkeit verpflichtet, das Europäi- sche Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und jede wie auch immer geartete entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, gleichgültig ob sie früher oder später als die Unionsrechtsnorm er- gangen ist. Herleitung: EuGH: – autonomer Charakter der Europäischen Unionsrechtsordnung – einheitliche Geltung und Anwendung sowie effektive Durchsetzung des Unionsrechts (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV, Art. 4 Abs. 3 EUV) BVerfG: – innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl (Vertragsgesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) erstreckt sich auch auf Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den innerstaatlichen Anwendungsvorrang herbeizufüh- ren Folgen: – unionsrechtskonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts (Unterfall: richtlinienkonforme Auslegung) – Nichtanwendung von dem Europäischen Unionsrecht widersprechendem innerstaatlichem Recht im Einzelfall – Verbot, dem Europäischen Unionsrecht widersprechende innerstaatliche Gesetze zu erlassen – Pflicht zur Aufhebung oder Anpassung unionsrechtswidriger innerstaatlicher Normen, sofern andernfalls ein unerträgliches Maß an Rechtsunsicherheit bestehen würde (Beispiel: Anpassung von Art. 12a Abs. 4 GG) – Aufhebung unionsrechtswidriger bestandskräftiger Verwaltungsakte (z.B. § 48 VwVfG) – Pflicht zur Durchbrechung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen, sofern keine andere Möglichkeit besteht, das Europäische Unionsrecht anderweitig durchzusetzen (z.B. im Wege der Staatshaftung)
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Ausnahmen vom Anwendungsvorrang Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung drei Schranken des Anwendungsvorrangs des Europäischen Unions- rechts entwickelt und sich die Wächterrolle über die Schranken vorbehalten. I. Identitätskontrolle BVerfGE 123, 267 (354) – Lissabon Die Identitätskontrolle ermöglicht die Prüfung, ob infolge des Handelns europäischer Organe die in Art. 79 Abs. 3 GG für unan- tastbar erklärten Grundsätze der Art. 1 und Art. 20 GG verletzt werden. Damit wird sichergestellt, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nur kraft und im Rahmen der fortbestehenden verfassungsrechtlichen Ermächtigung gilt. II. Ultra-Vires-Kontrolle BVerfGE 89, 155 (188) – Maastricht Würden etwa europäische Einrichtungen oder Organe den Unions-Vertrag in einer Weise handhaben oder fortbilden, die von dem Vertrag, wie er dem deutschen Zustimmungsgesetz zugrunde liegt, nicht mehr gedeckt wäre, so wären die daraus hervor- gehenden Rechtsakte im deutschen Hoheitsbereich nicht verbindlich. … Dementsprechend prüft das Bundesverfassungsgericht, ob Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und Organe sich in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten oder aus ihnen ausbrechen. BVerfGE 126, 286 – Honeywell Eine Ultra-vires-Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht kommt nur in Betracht, wenn ein Kompetenzverstoß der europäi- schen Organe hinreichend qualifiziert ist. Das setzt voraus, dass das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten der Mitgliedstaaten führt. III. Grundrechtskontrolle BVerfGE 73, 339 (387) – Solange II Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften einen wirk- samen Schutz der Grundrechte … generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechts- schutz im wesentlichen gleichzuachten ist, … wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht … nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen … .
Prof. Dr. Andreas Haratsch 4. Teil: Grundrechte Einführung in das Öffentliche Recht in Übersichten
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Grundrechtskatalog Art. 1 GG Menschenwürde Art. 7 GG Grundrechte im Bereich Schule Art. 2 GG allgemeine Handlungsfreiheit – Leben und körperli- Art. 8 GG Versammlungsfreiheit che Unversehrtheit – Freiheit der Person Art. 9 GG Vereinigungsfreiheit – Koalitionsfreiheit Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG allgemeines Persönlichkeitsrecht (Rechtsprechung): Art. 10 GG Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis – Recht am eigenen Wort und Bild Art. 11 GG Freizügigkeit – Recht auf informationelle Selbstbestimmung Art. 12 GG Berufsfreiheit – Verbot von Arbeitszwang und – Recht auf Vertraulichkeit und Integrität informati- Zwangsarbeit onstechnischer Systeme – Recht auf selbstbestimmtes Sterben Art. 13 GG Unverletzlichkeit der Wohnung Art. 3 GG allgemeiner Gleichheitssatz – Gleichberechtigung von Männern und Frauen – spezielle Diskriminie- Art. 14 GG Eigentum – Erbrecht - Enteignungsentschädi- rungsverbote gung Art. 4 GG Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit – Kriegs- Art. 15 GG Sozialisierung – Sozialisierungsentschädigung dienstverweigerung Art. 16 GG Staatsangehörigkeitsschutz – Auslieferungsver- Art. 5 GG Meinungsäußerungsfreiheit – Informationsfreiheit – bot Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit – Zensurverbot – Kunst- und Wissenschaftsfreiheit Art. 16a GG Asylrecht Art. 6 GG Rechte im Bereich Ehe, Familie, Eltern, Kinder, Mut- Art. 17 GG Petitionsrecht terschutz Art. 19 IV GG Rechtsweggarantie
FernUniversität in Hagen Prof. Dr. Andreas Haratsch Begriff und Funktionen der Grundrechte Definition: Grundrechte sind von der Verfassung garantierte, gerichtlich durchsetzbare subjektive Rechte des Einzelnen gegen- über dem Staat. Grundrechtsgleiche Rechte sind entsprechende Rechte, die im Grundgesetz außerhalb des Grundrechtsabschnitts geregelt sind: Art. 20 IV, Art. 33 I, II, III, V, Art. 38 I 2, II, Art. 101, Art. 103 GG. Funktionen: 1. subjektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte: a. Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen hoheitliche Übergriffe (sog. „status negativus“). b. Grundrechte können im Einzelfall Leistungsrechte des Einzelnen gegen den Staat enthalten (sog. „status positivus“). c. Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte können staatsbürgerliche Mitwirkungsrechte enthalten, z.B. Wahlrecht (sog. „status activus“). 2. objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte: Grundrechte errichten eine „objektive Wertordnung“; alle Bereiche des Rechts empfangen von ihnen Richtlinien und Impulse. a. mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht b. Schutzpflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen c. Einrichtungsgarantien: - Institutsgarantien schützen Einrichtungen des Privatrechts, wie etwa das Eigentum, die Ehe, das Erbrecht. - Institutionelle Garantien schützen Einrichtungen des öffentlichen Rechts, wie etwa das Selbstverwaltungs- recht der Universitäten, das Berufsbeamtentum. d. Organisations- und verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte, wonach sie Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung setzen
Sie können auch lesen