Einsichten und Perspektiven - Bayerisches Staatsministerium ...

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Einsichten und Perspektiven - Bayerisches Staatsministerium ...
Bayerische
        Landeszentrale                           4 | 11
        für politische
        Bildungsarbeit

 Einsichten
 und Perspektiven
  Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte

Bürgerengagement oder politischer Aktivismus?
Wie steht es mit der Integration?
Das Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen
NS-Gedenkstätten in Frankreich
Bayerisch-israelische Absichtserklärung
zur Bildungskooperation
Neue Publikationen
Jahresausblick 2012
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Einsichten und Perspektiven

Autoren dieses Heftes                                                                                 Impressum

Dr. Christian Babka von Gostomski, Afra Gieloff, Martin Kohls, Dr. Harald Lederer und                 Einsichten
Stefan Rühl sind Mitarbeiter der Gruppe 22 „Grundsatzfragen der Migration, Migrationsfor-             und Perspektiven
schung, Ausländerzentralregister, Statistik“ im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in
Nürnberg.                                                                                             Verantwortlich:
Eva Feldmann-Wojtachnia ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Jugend und           Monika Franz,
Europa am Centrum für angewandte Politikforschung der Ludwig-Maximilians-Universität                  Praterinsel 2,
München.                                                                                              80538 München
Dr. Manuela Glaab ist Akademische Oberrätin am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissen-
schaft der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiterin der Forschungsgruppe Deutsch-          Redaktion:
land am Centrum für angewandte Politikforschung.                                                      Monika Franz,
Stephan Hildensperger und Christoph Huber sind Mitarbeiter der Landeszentrale für politische          Dr. Christof Hangkofer,
Bildungsarbeit.                                                                                       Christoph Huber,
Dr. Guido Hitze ist Historiker mit den Schwerpunkten Landes- und Parteiengeschichte (Nord-            Werner Karg
rhein-Westfalen, Schlesien, politischer Katholizismus, CDU) und Referatsleiter („Gedenkstätten
und Erinnerungskultur“) in der Landeszentrale für politische Bildung des Landes Nordrhein-
Westfalen.                                                                                            Gestaltung:
Werner Karg leitet das Veranstaltungsreferat in der Landeszentrale für politische                     griesbeckdesign
Bildungsarbeit.                                                                                       www.griesbeckdesign.de

Veranstaltungshinweis                                                                                 Druck:
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Die Weiße Rose im Gedächtnis Münchens                                                                 Medienservice GmbH,
Wandel und Kontinuitäten                                                                              Gutenbergstraße 1,
                                                                                                      96050 Bamberg
Montag, 12. Dezember 2011, 19.00 Uhr
Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, 4. Stock, Saal                                                Titelbild: Globalisierungs-
                                                                                                      kritische Aktivisten beim
Vortrag:            Dr. Andreas Heusler, Historiker am Stadtarchiv München                            G8-Treffen in Heiligendamm
Podiumsgäste:       Dr. Ludwig Spaenle, Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus          im Juni 2007
                    Prof. Dr. Margit Szöllosi-Janze, Lehrstuhl für Neueste Geschichte und             Quelle: ullstein bild
                    Zeitgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
                                                                                                      Die Landeszentrale konnte die Ur-
                    Markus Schmorell, Familienangehöriger von Alexander Schmorell
                                                                                                      heberrechte nicht bei allen Bildern
                    Dr. Hans-Jochen Vogel, Altoberbürgermeister                                       dieser Ausgabe ermitteln. Sie ist aber
Moderation:         Amelie Fried, Publizistin                                                         bereit, glaubhaft gemachte Ansprüche
                                                                                                      nachträglich zu honorieren.
Die Erinnerung an die Weiße Rose ist in München seit der ersten Gedenkfeier am 4. November
1945 nicht verloschen, wenngleich im historischen Stadtgedächtnis unterschiedlich präsent. Bereits
1946 widmete die Ludwig-Maximilians-Universität den Opfern des studentischen Widerstands eine
Gedenktafel, später folgten weitere Denkmäler in der Stadt sowie die Benennung von Straßen,
Plätzen oder Schulen nach einzelnen Personen der Weißen Rose. Die Veranstaltung will mit Einfüh-
rungsvortrag und Podiumsdiskussion eine prüfende Bestandsaufnahme vergangener und aktueller
Formen dieses Erinnerns wagen. Sie will überdies beispielhaft aufzeigen, dass Erinnerungskultur
kein statisches Phänomen ist, sondern einer permanenten Veränderung unterliegt. Jede Generation
hat ihre Art und Weise, wie sie Vergangenes vergegenwärtigt, bewertet und Schlüsse für das jewei-
lige Hier und Jetzt zieht. Erinnerungskultur ist somit immer auch eine Aussage über die Gegenwart
des Gemeinwesens.
Veranstalter: Weiße Rose Stiftung e.V. und Stiftung Literaturhaus.
Mit freundlicher Unterstützung der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit.
Eintritt: Euro 9,-/7,-

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Einsichten und Perspektiven

                                           Inhalt

                                           Eva Feldmann-Wojtachnia und Manuela Glaab
                                     232   Bürgerengagement oder politischer Aktivismus?
                                           Zum Wandel der politischen Partizipation in Deutsch-
                                           land

                                           Christian Babka von Gostomski, Afra Gieloff,
                                           Martin Kohls, Harald Lederer, Stefan Rühl
                                     246   Wie steht es mit der Integration?
                                           Personen mit Migrationshintergrund in Bayern

                                           Guido Hitze
                                     260   „Es ist furchtbar, aber es geht!“
                                           Das Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen:
                                           Bemerkungen zu Geschichte, politischer Kultur
                                           und Identität

                                           Christoph Huber
                                     276   Mauern und Namen
                                           NS-Gedenkstätten in Frankreich

                                           Stephan Hildensperger
                                     284   zeit.raum@bayern
                                           Der Heimat ein Gesicht geben

                                           Werner Karg
                                     288   Bayerisch-israelische Absichtserklärung
                                           zur Bildungskooperation

                                     292   Neue Publikationen der Landeszentrale

                                     294   Jahresausblick 2012

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Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

Bürgerengagement oder
politischer Aktivismus?
Zum Wandel der politischen Partizipation in Deutschland

Von Eva Feldmann-Wojtachnia und Manuela Glaab

Proteste beim Abriss des Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs im August 2010   Quelle: Alle Fotos im Artikel von ullstein

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Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

Demnächst könnte „Stuttgart 21“ im Duden als Fachbegriff nachzuschlagen sein: als
selbstregulierte, direkte politische Artikulationsform unterschiedlichster Bevölke-
rungsgruppen. Geeint werden die Teilnehmer an den Protestaktionen durch das Ziel,
ihre Unzufriedenheit mit der Intransparenz und mangelnden Glaubwürdigkeit der
Entscheidungsprozesse zum Verkehrs- und Städtebauprojekt auszudrücken und diese
möglichst zu korrigieren. Handelt es sich bei einer solchen Mobilisierung auf der
Straße um eine neue Qualität des politischen Aktivismus, welche die Frage nach einer
Erneuerung der repräsentativen Demokratie durch direkte Partizipationsformen auf
den Plan ruft? Oder verstärkt diese Form des konfrontativen Protests die Kluft
zwischen Bürgern und Politik, zwingt letztere aber zu handeln?

Politischer Aktivismus ist mitnichten ein neues Phänomen        sierte Beteiligungsformen, die zwischen Aktionen im Netz
und kennt die vielfältigsten Ausdrucksformen. Seit der          und an realen Orten switchen. Auch sind die Grenzen zwi-
Begriff in den zwanziger Jahren geprägt wurde, haben sich       schen Generationen oder sozialen Gruppen ganz offenkun-
zahlreiche Varianten von Aktionsformen, beispielweise De-       dig durchlässiger geworden.
monstrationen, Boykottaktionen, Mahnwachen oder Un-                      Aber es gibt auch Initiativen seitens der Politik, die
terschriftensammlungen, entwickelt. Gegenwärtig scheint         eine Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenhalts
der politische Aktivismus jedoch eine neue Qualität zu          und die aktive Mitwirkung an der Politik zum Ziel haben.
gewinnen. Es lässt sich beobachten, wie die Politik in Zeiten   So rief Bundespräsident Christian Wulff mit der Schaffung
der globalen Finanzkrise auf eine Vermittlungskrise zusteu-     des BürgerForum 2011 (www.bund.buergerforum2011.de)
ert, die angesichts der niederschwelligen Vernetzungsmög-       die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, in Eigenregie in loka-
lichkeiten von alarmierten Bürgerinnen und Bürgern eine         len BürgerForen zu diskutieren, wie der gesellschaftliche
Tiefendimension mit unüberschaubaren, schwer steuerba-          Zusammenhalt in Deutschland verbessert werden kann.
ren Konsequenzen erlangt. Neu an der aktuellen Protest-         Ziel dieser online-basierten Konsultationsofferte ist es,
bewegung sind jedoch nicht die Aktionsformen an sich,           Menschen mit ihren eigenen Themen am politischen Wil-
sondern ihre Intensität und das Tempo, die durch die Inter-     lensbildungsprozess zu beteiligen und für politisches Enga-
netvernetzung erreicht werden. Deutlich sichtbarer und          gement zu motivieren. Noch ist es jedoch zu früh einzu-
direkter sind auch die politischen Konsequenzen, die sogar      schätzen, was aus einer solchen Konsultation längerfristig
so weit reichen können, dass sie wie im „Fall Guttenberg“       resultiert. Wenngleich im Ergebnis ein bundesweites Bür-
einen Spitzenpolitiker zum Rückzug zwingen oder eine            gerprogramm mit konkreten Vorschlägen für Politik und
Kehrtwende in der Energiepolitik mit herbeiführen. Die          Gesellschaft entwickelt wurde, so stellt sich die Frage, ob
sogenannten „Wutbürger“ (Wort des Jahres 2010) und              und welche politischen Konsequenzen letztlich gezogen
„Occupy“-Aktivisten bevorzugen flexible, nicht formali-         werden.

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Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

„Flashmob“-Aktion zum 60-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes im Mai 2009 in Berlin

Politische Partizipation und Demokratie                               maximiert werden soll. Enthalten sich relevante Teile der
                                                                      Bevölkerung, so wird dies als Zeichen mangelnder System-
Für das Funktionieren der Demokratie ist politische                   unterstützung und einer möglichen Gefährdung der Sys-
Partizipation, verstanden als Handlungen, „die Bürger                 temstabilität gewertet. Neue, unkonventionelle Formen des
freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen                   politischen Aktivismus wie „Flashmob“ oder „YES MAN“
auf den verschiedensten Ebenen des politischen Systems                könnten hier als kreativer Inputgeber für politische Ent-
zu beeinflussen“,1 unverzichtbar. Dies äußert sich in                 scheidungsprozesse betrachtet werden.3 In der Perspektive
unterschiedlichsten Formen aktiver Bürgerbeteiligung.                 output-orientierter Demokratietheorien kommt es dagegen
Je nach demokratietheoretischer Perspektive bestehen                  auf die Systemperformanz an. Die Bürgerbeteiligung erfolgt
hinsichtlich des notwendigen Beteiligungsniveaus wie                  vorwiegend durch die Teilnahme an Wahlen, um demokra-
auch der adäquaten Partizipationsformen jedoch unter-                 tische Herrschaft zu legitimieren und zu kontrollieren.
schiedliche Auffassungen.2                                            Aber auch die Nichtteilnahme an Wahlen erscheint solange
                                                                      unproblematisch, soweit hierdurch Zufriedenheit mit dem
Partizipatorische Demokratietheorien betonen die Input-               Output, also den Leistungen des politischen Systems, zum
Dimension, also die politische Beteiligung der Bürgerinnen            Ausdruck gebracht wird.
und Bürger, die sich nicht auf die Teilnahme an Wahlen und                     Offensichtlich ist den Protestierenden eine solche
Abstimmungen beschränken, sondern in allen Bereichen                  Grundzustimmung nicht mehr möglich.

1 Max Kaase: Vergleichende Partizipationsforschung, in: Dirk Bergschlosser, Ferdinand Müller-Rommel (Hg.): Vergleichende Politikwissen-
  schaft. Ein einführendes Handbuch, Opladen 1997, S. 160.
2 Vgl. Manfred G. Schmidt: Demokratietheorien. Eine Einführung, Wiesbaden 2010.
3 Vgl. Felix Ludwig, Jana Trumann, Tim Zosel: Flashmob und Co. Politische Partizipation und Bildung oder nur Aktion?, in: kursiv. Praxis
  politische Bildung „Politische Partizipation“ (2011), H. 4, S. 25.

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Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

Die aktuell zu beobachtenden, vielfältigen Erschei-                    Wirkkraft der Social Media oft auch eine globale Dimen-
nungsformen des politischen Aktivismus bringen zwei-                   sion.
felsohne eine weitreichende Unzufriedenheit mit der
etablierten Politik zum Ausdruck. Sie zeigen aber auch,                Allerdings ist kritisch zu hinterfragen, ob politischer
dass beachtliche Teile der Bevölkerung bereit sind, sich               Aktivismus bei der Lösung der artikulierten Probleme
aktiv und teilweise unter hohem persönlichem Einsatz                   tatsächlich helfen kann. Denn unabhängig von der
an der politischen Willensbildung zu beteiligen.                       Klassifizierung von verfassten und nicht-verfassten
                                                                       Partizipationsformen und ihrer Bewertung im Hinblick
Ein deutlich anderes Bild ergibt sich im Bereich der kon-              auf Funktion, Reichweite und Legalität stellt sich hier
ventionell verfassten politischen Partizipation, die in den            die Frage nach der normativen Grundlegung des
institutionalisierten Bahnen der repräsentativen Demo-                 Politikbegriffs. Partizipation im Sinne von politischer
kratie verläuft, rechtlich geregelt ist und dementsprechend            Teilhabe und demokratischen Mitwirkung in möglichst
eine hohe Legitimitätsgeltung besitzt. So ist die Beteiligung          vielen unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft ist
an Wahlen in der Gesamttendenz auf allen Ebenen rückläu-               dabei als Schlüsselbegriff zu verstehen, wenngleich
fig. Bei der Bundestagswahl 2009 wurde mit 72,2 Prozent                Politik sicherlich allein über das Partizipationsprinzip
Wahlbeteiligung das niedrigste Niveau seit Bestehen der                nicht neu definiert werden kann. Als Protestverhalten
Bundesrepublik erreicht. Noch deutlich geringer fällt die              entziehen sich die neuen Formen des politischen Akti-
Wahlbeteiligung auf der Europa-, Landes- und kommuna-                  vismus dieser Auseinandersetzung, wenn sie nicht auf
len Ebene aus. Und auch die Parteien, denen eine tragende              Interessenausgleich und Diskurs ausgelegt sind, son-
Funktion in der politischen Meinungs- und Willensbildung               dern als Aktionismus in erster Linie auf Einzelaktionen
zukommt, beklagen seit langem einen Mitgliederschwund.                 und deren öffentliche Sichtbarkeit abzielen bzw. die
Besonders betroffen hiervon sind die Volksparteien CDU                 Identifikation mit der eigenen Gruppe zum Ziel haben
und SPD, die jeweils nur noch um die 500.000 Mitglieder                und die Politik letztlich als Adressat fehlt.
zählen.
          Die Forderung nach „mehr Demokratie“ deutet                  Normalisierung des Unkonventionellen
darauf hin, dass es bei den Protesten vor Ort – dafür steht
„Stuttgart 21“ nur als ein Beispiel – nicht allein um den kom-         Politischer Aktivismus und Protestbewegungen in
munalen Konflikt geht, sondern „um eine scharfe Ausei-                 Deutschland sind keine Momentaufnahmen, sondern ein-
nandersetzung um nicht mehr akzeptierte Formen und                     zuordnen in eine längerfristige Entwicklung. Rückblickend
Verfahren bisheriger Bürgerbeteiligung“.4 Nicht die Ab-                auf die Geschichte der politischen Kultur in Deutschland
schaffung der repräsentativen, parlamentarischen Demo-                 gab es bereits einige Hochzeiten des außerparlamentari-
kratie an sich steht zur Debatte, jedoch ein deutlich recht-           schen Bürgerprotestes. Hierzu zählen zweifelsohne die
zeitiger Einbezug der Bürgerinnen und Bürger im Prozess                „Montagsdemonstrationen“ in der DDR, die die politische
der politischen Entscheidungsfindung mit ernsthaften                   Wende mit dem Fall der Mauer 1989 einläuteten. In der
Konsequenzen seitens der Politik.                                      Bundesrepublik ist die Achtundsechziger-Bewegung her-
          Insbesondere junge Menschen wollen ihre Stimme               vorzuheben, mit Studentenrevolten, Aktionen des zivilen
nicht mehr (oder nicht nur) am Wahltag oder innerhalb der              Ungehorsams und Ostermärschen, außerdem Massende-
bestehenden Strukturen abgeben. Direktere Beteiligungs-                monstrationen und kilometerlange Menschen- und Lich-
formen, auf der Straße oder im Netz, ohne aufwändigen                  terketten gegen den NATO-Doppelbeschluss und gegen
zeitintensiven Vorlauf oder längerfristige, bindende Mit-              das Wettrüsten. Schon in den siebziger Jahren war von einer
gliedschaften und ein handlungsbezogener Erlebnischarak-               „partizipatorischen Revolution“ (Max Kaase) die Rede.
ter stehen hier im Vordergrund. Kennzeichnend für den                  Damit wurden unverfasste Beteiligungsformen, die sich
neuen politischen Aktivismus ist zudem eine eher punktu-               außerhalb institutionalisierter Bahnen, in spontanen oder
elle, situative Beteiligung ressourcenstarker, gut vernetzter          geplanten Mobilisierungsprozessen vollziehen, auf eine
Bevölkerungsteile, die nicht mehr eindeutig nur einer Gene-            griffige Formel gebracht. Sie nehmen seither neben den ver-
ration oder sozialen Herkunft zugeordnet werden können.                fassten, elektoralen und parteibezogenen Aktivitäten einen
Das teils lokal begrenzte Engagement erhält durch die                  nicht mehr wegzudenkenden Platz im politischen Gesche-

4 Rita Süssmuth: Mangelt es an Offenheit und Bürgerbeteiligung?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 61 [„Demokratie und Beteiligung“]
  (2011), H. 44-45, S. 4.

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Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

Montagsdemonstration mit ca. 120.000 Teilnehmern im Oktober 1989 in Leipzig

hen ein. Momentan erleben wir daher zwar einen enormen                  viel stärker von institutionenorientierten, „konventio-
Aufschwung an politisch lebhaftem Aktivismus, im Kern                   nellen“ Gelegenheitsaktivitäten bestimmt, als es die
jedoch kein neues Phänomen der Bürgerbeteiligung. Diese                 Medienberichterstattung über spektakuläre Protest-
in Anlehnung an die Political-Action-Studie5 auch als „un-              aktionen vermitteln mag. Hinzu kommt, dass Parteien
konventionell“ bezeichnete Partizipation umfasst sowohl                 und andere Großorganisationen vielfach selbst als
legale als auch nicht-legale Varianten. Das Spektrum reicht             Initiatoren von Protestkampagnen auftreten.
von der Teilnahme an Unterschriftensammlungen über ge-
nehmigte Demonstrationen bis hin zu Boykotts, Straßen-                  Die „Normalisierung des Unkonventionellen“ (Dieter
blockaden oder Gebäudebesetzungen.                                      Fuchs) manifestiert sich in der gestiegenen Akzeptanz un-
                                                                        verfasster Beteiligungsformen. Sowohl die Bereitschaft, bei
Inzwischen gilt die begriffliche Unterscheidung zwi-                    den zumeist themenbezogenen und zeitlich begrenzten Ak-
schen konventionellen und unkonventionellen Beteili-                    tionsformen mitzumachen, als auch die tatsächliche Betei-
gungsformen als überholt, weil sie kaum mehr den                        ligung hieran sind längerfristig gestiegen. Hatte sich Mitte
vorherrschenden Partizipationsmustern entspricht.                       der siebziger Jahre erst ein Drittel der Bundesbürger über-
Zum einen finden die legalen Varianten dieser Betei-                    haupt einmal an einer solchen Aktion beteiligt, so avancier-
ligungsformen breite Akzeptanz in der Bevölkerung                       ten diese im Verlauf der achtziger Jahre zu einer Aus-
und beschränken sich längst nicht mehr auf postmate-                    drucksform der Mehrheit.6 Hervorzuheben ist jedoch, dass
rialistische Protestmilieus. Zum anderen wird die Praxis                Aktionen des zivilen Ungehorsams – wozu beispielsweise

5 Samuel Barnes/Max Kaase u.a.: Political Action. Mass Participation in Five Western Democracies, Beverly Hills (CA) 1979.
6 Vgl. Bernhard Weßels: Politisierung entlang neuer Konfliktlinien?, in: Ansgar Klein, Rainer Schmalz-Bruns (Hg.): Politische Beteiligung
  und Bürgerengagement in Deutschland. Möglichkeiten und Grenzen, Bonn 1997, S. 205–230.

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Proteste an der Freien Universität Berlin gegen die Notstandsgesetze im Mai 1968

wilde Streiks, Sit-ins und Verkehrsblockaden zu rechnen               Ablesbar ist dies vor allem daran, dass Bürger mit hoher for-
sind – von der großen Mehrheit der Bürger als nicht legitim           maler Schulbildung unkonventioneller Partizipation beson-
betrachtet werden. Dementsprechend spielen sie auch nur               ders aufgeschlossen gegenüber stehen.8
eine untergeordnete Rolle in deren Aktionsspektrum.
         Von einer Umkehr dieses Trends kann auch in den              Eine wichtige Determinante stellt außerdem das Alter
darauffolgenden Jahrzehnten nicht die Rede sein.7 Immer               dar. Demnach ist die aktive Beteiligung, vor allem aber
mehr Bürger bevorzugen offenbar ein punktuelles, zeitlich             eine positive Einstellung gegenüber unkonventionellen
begrenztes politisches Engagement. Dies korrespondiert                Partizipationsformen in der jungen Generation beson-
mit einem gewandelten Politikverständnis, das als eher situ-          ders stark ausgeprägt. Partizipation ist dabei untrenn-
ativ, kontextabhängig, erlebnis- und betroffenheitsorien-             bar mit der Identitätsbildung von Jugendlichen verbun-
tiert zu beschreiben ist. Zudem ist die potentielle Beteili-          den und bewegt sich zunächst im gesellschaftlichen,
gungsbereitschaft im Allgemeinen höher einzuschätzen als              vorpolitischen Raum. Sich für die eigene Umwelt zu
die tatsächliche Beteiligung an politischen Aktionen. Dazu            interessieren und sich mit den Interessen anderer über
bietet die Forschung mehrere, sich ergänzende Erklärungs-             den privaten Nutzen hinaus kritisch auseinanderzuset-
ansätze an: Die Mobilisierung wird von der individuellen              zen, sind soziale Grundbedürfnisse und elementare
sozioökonomischen Ressourcenausstattung beeinflusst.                  Identitätserfahrungen, die bereits Kinder machen.9

7 Vgl. ausführlicher Manuela Glaab: Politische Partizipation versus Enthaltung, in: Manuela Glaab/Werner Weidenfeld/Michael Weigl (Hg.):
  Deutsche Kontraste 1990-2010. Politik – Wirtschaft – Gesellschaft – Kultur, Frankfurt am Main 2010, S. 101-137.
8 Vgl. Andreas Hadjar, Rolf Becker: Bildungsexpansion und politisches Engagement – Unkonventionelle politische Partizipation im
  Zeitverlauf, in: Ingo Bode/Albert Evers/Ansgar Klein (Hg.), Bürgergesellschaft als Projekt. Eine Bestandsaufnahme zu Entwicklung und
  Förderung zivilgesellschaftlicher Potenziale in Deutschland, Wiesbaden 2009, S. 101–124.
9 Ausführlicher siehe: Eva Feldmann-Wojtachnia: Identität und Partizipation. Bedingungen für die politische Jugendbildung im Europa der
  Bürger und Bürgerinnen, C·A·P Analyse (2007), Nr. 6, S. 6-10.

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Globalisierungskritische Aktivisten beim G8-Treffen in Heiligendamm im Juni 2007

Weniger eindeutig ist der Zusammenhang zwischen ver-                   spielsweise im Zuge der Reformpolitik der rot-grünen Bun-
schiedenen Sozialisationsfaktoren sowie Motiven politi-                desregierung zu Protesten von Erwerbslosen und weiteren
scher Unzufriedenheit und der Protestneigung. Die Einbin-              Bevölkerungsteilen, die sich von Arbeitslosigkeit bedroht
dung in soziale Netzwerke spielt vor allem bezüglich des               sahen. Vor allem in den Jahren 1998 sowie 2003/04 wurde
parteibezogenen Engagements eine Rolle, fördert aber auch              ein hoher Aktivitätsgrad ermittelt; schwerpunktmäßig in
die unkonventionelle Partizipation. Im Bereich der nicht-              Ostdeutschland, aber auch bundesweit kam es zu Protesten.
institutionalisierten Partizipation, die sehr stark an konkre-         Mit den wiederum so genannten „Montagsdemonstratio-
te Anlässe gebunden ist, ist somit von einer hohen Varianz             nen“ gegen den Sozialabbau durch die Hartz-IV-Gesetz-
der Erklärungsfaktoren auszugehen.10                                   gebung im Sommer 2004, bei denen über eine Million Men-
         Darüber hinaus ist zu betonen, dass die Datenlage             schen auf die Straße gingen, erreichte die Mobilisierung
im Bereich der unkonventionell-unverfassten Aktivitäten                ihren Höhepunkt. Die Protestkonjunktur wurde außerdem
insgesamt betrachtet eine recht diskontinuierliche Ent-                durch globalisierungskritische Bewegungen belebt, die im
wicklung abbildet. Dies hat zum einen methodische Ursa-                vergangenen Jahrzehnt wachsenden Zulauf auch in
chen (variierende Frageinstrumente und Indikatoren sowie               Deutschland erhielten. Die „alten“ postmaterialistischen
Datenlücken), verweist zum anderen aber auch auf die star-             Bewegungskerne der siebziger und achtziger Jahre werden
ke Kontextabhängigkeit dieser Partizipationsformen. Eine               dabei zusehends abgelöst durch Nichtregierungsorgani-
Längsschnittanalyse von Protestereignisdaten ergibt daher              sationen (NGOs), die ein globalisierungskritisches, inter-
stark schwankende Protestkonjunkturen.11 So kam es bei-                national vernetztes Bewegungsumfeld auf den Plan rufen
10 Vgl. Oscar W. Gabriel: Politische Partizipation, in: Jan W. van Deth (Hg.): Deutschland in Europa. Ergebnisse des European Social Survey
   2002–2003, Wiesbaden 2011, H. 4, S. 317–338.
11 Umfassend dazu Dieter Rucht (Hg.): Protest in der Bundesrepublik Deutschland. Strukturen und Entwicklungen, Frankfurt am Main 2001.

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Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

können.12 Im Zentrum der Protestaktivitäten steht die               ben im fließenden Übergang von virtuellen Netzen und
Kritik an Kapitalismus und Neoliberalismus. Große öffent-           der Realität „vor Ort“, dabei geht es meist um weit
liche Aufmerksamkeit erregten auch die gegen IWF, Welt-             mehr als um Spaßaktionismus. Ziel ist es, die eigene, oft
bank und WTO sowie gegen internationale Gipfeltreffen               gesellschaftskritische oder konträre Position gesell-
gerichteten Demonstrationen. Die Mobilisierungsbasis der            schaftlich sichtbar zu machen, aber auch
globalisierungskritischen Bewegungen in Deutschland                 Aufmerksamkeit für neue Themen zu generieren.
wurde hier durch die Einbeziehung benachbarter, vor allem
friedens- und sozialpolitischer Themenfelder noch erwei-            Man wird dem Begriff der Jugendpartizipation nicht ge-
tert.                                                               recht, verkürzt man ihn nur auf eine rein politische Sicht-
                                                                    weise; ein umfassendes Verständnis schließt immer auch
Politischer Aktivismus in der jungen                                Bildungs- und Sozialisationsprozesse ein. Entwicklungs-
Generation                                                          psychologisch betrachtet sind Jugendliche etwa ab 14 Jah-
                                                                    ren zu strukturellem Denken und dem Abstrahieren der
Junge Menschen stehen heute mehr als je zuvor unter einem           subjektiven Lebenswelt in sozialen und politischen Zusam-
enormen Mobilitäts- und Flexibilitätsdruck, besonders               menhängen in der Lage. Etwa zeitgleich setzt eine – wie
dann, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen möchten.             auch immer geartete – politische Identitätsentwicklung ein.
Daher wägen sie sehr kritisch ab, wofür und mit welcher             Jugendliche prägen hier erste eigene Einstellungen und
Intensität sie ihre persönlichen Ressourcen einsetzen. Be-          Verhaltensweisen aus, die sie relativ stabil über die Jugend-
vorzugt werden Gelegenheitsstrukturen und Handlungs-                phase hinweg beibehalten.14 Dies allein bringt allerdings
kontexte zur Beteiligung, die sie nicht längerfristig binden        nicht unmittelbar eine nachhaltige, strukturelle Jugendbe-
und einengen. Die 13. Shell-Jugendstudie (Jugend 2010) be-          teiligung hervor, hierzu sind neben einer gezielten gesell-
zeichnet die junge Generation als großteils „pragmatisch            schaftspolitischen Bildungsstrategie zur Förderung und
und illusionslos“, aber nicht automatisch als passiv und teil-      Verankerung der nötigen Kompetenzen auch gute Gelegen-
nahmslos gegenüber ihrem politischen und gesellschaftli-            heiten und Erfahrungsräume wie letztlich auch verbindliche
chen Umfeld. Im Gegenteil: Wie soziologische Unter-                 Rahmensetzungen in Politik und Gesellschaft gefragt. Oft-
suchungen zeigen, hat sich das politische Interesse, so wie         mals fehlen hier die (jugendgerechten) Zugänge oder es ste-
die Mitgliedschaft in Organisationen, Vereinen und Verbän-          hen zu große bürokratische Hürden im Weg.
den, inzwischen sogar verstärkt.13                                           Als ein attraktiver, interaktiver Ort der Beteiligung
                                                                    erscheint daher vielen Jugendlichen gerade das Internet, wo
Doch die Attraktivität politischer Partizipationsmög-               eigener Input sowie die eigene Meinung unkompliziert und
lichkeiten wird von jungen Menschen unterschiedlich                 direkt eingebracht werden können. Regelmäßig untersu-
bewertet, wenn auch die Abkehr von konventionellen                  chen die KIM- und JIM-Studie15 das Medienverhalten von
parteigebundenen Formen und Wahlen nicht vorschnell                 Kindern und Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutsch-
als allgemeine Politikverdrossenheit gewertet werden                land. Demzufolge haben nahezu 100 Prozent der 12- bis 19-
sollten. Denn dem steht die zunehmende Bereitschaft                 Jährigen Internetzugang, zumeist über ihre Eltern, jedoch
zur aktiven Mitwirkung in Initiativen oder Vereinen                 verfügt die Hälfte der älteren Jugendlichen bereits über
gegenüber. Nicht ein Desinteresse an Politik als solcher,           einen persönlichen Anschluss im eigenen Zimmer. Die JIM-
sondern ihre zunehmende Kritik an den herkömmli-                    Studie weist zudem einen Zusammenhang zwischen der
chen Beteiligungsformaten ist entscheidend. Dies führt              Häufigkeit und Dauer der Internetnutzung und dem Bil-
zu einem Zulauf zu interaktiven und innovativen                     dungsgrad der Jugendlichen nach. Zwar nutzen Jugendliche
Aktionsformen, die in ihrer überschaubaren Kurzfris-                mit höherem Bildungsgrad das Internet öfter, aber kürzer
tigkeit und lokalen Anbindung niederschwellig und                   als Jugendliche mit niedrigerem Bildungsgrad. Mädchen
dadurch enorm attraktiv sind – besonders für die junge              nutzen das Internet ebenfalls etwas weniger als Jungen. Am
Generation. Den öffentlichen Raum neu zu „erobern“ –                beliebtesten bei Jugendlichen sind die verschiedenen Kom-
wie Piraten im übertragenen und wörtlichen Sinne –                  munikations- und Austauschmöglichkeiten unter Gleich-
oder im „Flashmob“ „Gemeinschaft auf Zeit“ zu erle-                 altrigen und somit Suchmaschinen und Provider im Netz,

12 Vgl. Dieter Rucht, Roland Roth: Globalisierungskritische Netzwerke, Kampagnen und Bewegungen, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.):
   Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch. Frankfurt am Main/New York 2008, S. 493-512.
13 Vgl. Wolfgang Gaiser, Martina Gille, Johann de Rijke: Zur Lage der Jugend. Lebenssituation und Engagement in Gewerkschaften und
   Jugendverbänden, in: kursiv. Praxis politische Bildung (2011), H. 4, S. 8-18.
14 Vgl. Monika Buhl: Politische Identitätsbildung im Jugendalter, in: kursiv. Praxis politische Bildung (2006), H. 1, S.20.
15 Siehe: http://www.mpfs.de (Stand: 28. 11. 2011).

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Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

Startseite von „schülerVZ“

wobei Google deutlich an der Spitze liegt. Hoch beliebt sind     schaft sind die vielfältigen „neuen“ elektronischen Partizi-
Social-Web-Angebote oder Seiten mit user generated con-          pationsformen (unter den Stichworten „E-Partizipation“,
tent, wo eigene Inhalte eingearbeitet werden können. Hier        „digitale Demokratie“, „fluid oder real-time democracy“)
erwähnen die Jugendlichen „YouTube“, „schülerVZ“ und             überwiegend als technische Adaptionen herkömmlicher
„Wikipedia“. Daher hätte unter Umständen ein Jugendkon-          Formen der Bürgerbeteiligung zu betrachten. Das Spek-
sultationsportal eine gute Akzeptanzchance; zumal bei etwa       trum reicht von einfachen Informationstools bis hin zu
der Hälfte der Jugendlichen ein Interesse an aktueller Bun-      anspruchsvollen, auf Deliberation zielende Anwendungen
des- und Lokalpolitik verzeichnet werden kann und es             wie Online-Konsultationen. Diese unter dem Begriff der
Jugendliche durchaus für wichtig halten, über neue Ent-          „E-Demokratie“ subsumierten Formen der E-Partizipation
wicklungen schnell Bescheid zu wissen.                           lassen sich in einen staatlichen sowie einen nicht-staatlichen,
                                                                 zivilgesellschaftlichen Bereich systematisieren, wenngleich
E-Partizipation und Netzaktivismus                               diese in der Nutzungspraxis häufig miteinander verknüpft
                                                                 sind.16
Mit der rasanten Entwicklung der digitalen Medien stellt                   So hat sich die Bundesregierung dazu verpflichtet,
sich immer drängender die Frage, inwieweit das Internet als      für die derzeitige Legislaturperiode (2009–2012) eine E-
ein zentraler Ort für Partizipation und Bürgerbeteiligung        Government Strategie 2.0 vorzulegen, um die E-Partizipa-
betrachtet werden muss. Die Mobilisierungserfolge von            tion in Deutschland zu fördern.17 Diese setzt sich zum Ziel,
Netzaktivisten haben eindrucksvoll vor Augen geführt,            moderne Kommunikationswege für alle öffentlichen Ein-
dass durch die neuen Informations- und Kommunikations-           richtungen zu etablieren, um damit das Interesse an gesell-
technologien (IuK) ganz neue Dimensionen politischer             schaftspolitischen Themen und eine direkte Teilhabe der
Beteiligung eröffnet werden. Aus Sicht der Politikwissen-        Bürgerinnen und Bürger an der Politik zu fördern. Unter
16 Vgl. Glaab (wie Anm. 7).
17 Aktueller Diskussionstand des BMI-Strategiepapiers siehe: http://www.CIO.bund.de/cln_164/DE/E-Government/Nat_%20E-
   Government/nat_eGovernment_node.html (Stand: 28. 11. 2011).

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Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

anderem soll mit dieser Initiative, die vom Bundesinnenmi-              dien belegen, dass es trotz einiger Nutzungsbarrieren eine
nisterium (BMI) ausgeht, auch die Internetnutzung durch                 immer größere Reichweite erlangt. Aktuellen Internet-
bislang unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen gefördert               Strukturdaten der Forschungsgruppe Wahlen aus 2011 zu-
werden.                                                                 folge nutzen etwa drei Viertel der Bevölkerung in Deutsch-
          Hierzu wurde 2008 die Internetplattform „e-kon-               land das Internet. In Westdeutschland sind 75 Prozent on-
sultation.de“ im Auftrag des BMI als neues Konsultations-               line, in Ostdeutschland hingegen nur 69 Prozent. Eine Kluft
instrument eingerichtet, auch mit dem Ziel, dieses Verfahren            besteht weiterhin zwischen der Internetnutzung durch
für andere politische Ressorts verfügbar zu machen. Of-                 Männer (80 Prozent) und Frauen (67 Prozent). Vor allem
fensichtlich bevorzugen jedoch die Bürgerinnen und Bürger               aber stellt die formale Bildung einen wichtigen Faktor der
andere, selbstgesteuerte Foren im Netz und ziehen hier kei-             Internetaffinität dar. Während nahezu alle Deutschen mit
ne Rückschleife zu Angeboten der offiziellen Politik. Auch              Hochschulreife (94 Prozent) und auch 85 Prozent mit
versucht das Bundesjugendministerium mit weiteren Ak-                   Mittlerer Reife das Internet nutzen, tun dies nur 57 Prozent
teuren der Jugendpolitik und der Jugendarbeit, im Rahmen                derjenigen mit Hauptschulabschluss und Lehre. In der
der Umsetzung der EU-Jugendstrategie (2010–2018)18 in                   Gruppe derjenigen mit Hauptschulabschluss ohne Lehre
Deutschland und mittels des „Strukturierten Dialogs“ neue,              liegt die Nutzung sogar nur bei 34 Prozent.20
zum Teil online-gestützte Kommunikationsformen mit
jugendlichen Zielgruppen zu finden und flankierend über                 Anwendungen des Web 2.0 und Social Media wie Face-
das institutionalisierte, offene EU-Konsultationsverfahren              book oder Twitter entfalten eine zusätzliche Dynamik
Jugendpartizipation voranzubringen.                                     und haben das Potenzial, auch politikferne Teile der
          IuK-Technologien werden aber auch und vor allem               Bevölkerung zu erreichen. Neue Formen der Versamm-
unabhängig von staatlichen Initiativen genutzt. Von beson-              lungsöffentlichkeit entwickeln sich in diesen Foren, die
derem Interesse ist die Tatsache, dass zivilgesellschaftliche           jedoch von jüngeren, „well-informed citizens“ über-
Organisationen diese mit wachsendem Erfolg zur internen                 durchschnittlich genutzt werden. Einige Autoren spre-
Organisation sowie zur Mobilisierung und Koordination                   chen daher davon, dass vor allem eine Informationselite
von Protesten nutzen. Schlagworte wie „Cyberaktivismus“,                und weniger der „einfache Bürger“ gestärkt werden.21
„E-Aktivismus“ oder „Onlineaktivismus“ verweisen auf                    Auch eine jüngst veröffentlichte Studie des IfD Allens-
diesen Trend. Eine vom Bundesministerium des Innern in                  bach kommt zu der Feststellung, dass insbesondere die
Auftrag gegebene Studie entdeckt im Bereich von Aktivis-                Gruppe der politischen Netzaktivisten das Internet als
mus, Kampagnen und Lobbying auch die technisch fort-                    Chance für mehr demokratische Teilhabe begreift.22
schrittlichsten Angebote der E-Partizipation.19 Zu den
neueren, rein internetbasierten Aktionsformen zählen zum                Nach der Datenlage sind dazu etwa zehn Prozent der Bür-
Beispiel die Einrichtung von E-Petitionsplattformen, das                ger zu rechnen. Sie werden charakterisiert als eine selbstbe-
Lahmlegen von Websites durch gezielte Überlastung oder                  wusste Minderheit, die meist aus höheren Bildungs- und
das Fluten ausgesuchter Adressaten mit E-Mails. Das On-                 Einkommensschichten stammt, überwiegend männlich ist
lineportal „abgeordnetenwatch.de“ steht beispielhaft für                und vor allem in der jüngeren Generation der unter 30-
Formate, die auf mehr Transparenz im politischen Prozess                Jährigen zu finden ist. Die Protestneigung verbindet sich in
abzielen.                                                               dieser Gruppe mit der Überzeugung, politisch etwas bewir-
          Das Partizipationspotenzial des Internet resultiert           ken zu können. So meinen 60 Prozent, durch das Internet
aus der Tatsache, dass es die Interessenartikulation zu gerin-          würde der Druck auf die Politik steigen, „bei wichtigen
gen Kosten, ortsunabhängig, mit hoher Geschwindigkeit                   Entscheidungen stärker auf die Meinung der Bevölkerung
und prinzipiell unbegrenzter Reichweite ermöglicht. Stu-                Rücksicht zu nehmen“.23

18 Siehe: Entschließung des Rats vom 27. November 2009 über einen erneuerten Rahmen für die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa
   (2010–2018) (2009/C 311/01).
19 Vgl. Hilmar Westhom (u.a.): E-Partizipation – Elektronische Beteiligung von Bevölkerung und Wirtschaft am E-Government. Studie im
   Auftrag des Bundesministeriums des Innern, Ref. IT 1., Berlin 2008, S. 7.
20 Vgl. http://www.forschungsgruppe.de/Aktuelles/Internet-Strukturdaten/web_III_11.pdf. (Stand 23.11.2011).
21 So z.B. Matthew Scott Hindman: The Myth of Digital Democracy. Princeton, NJ u.a. 2009.
22 Vgl. Renate Köcher, Oliver Bruttel: Social Media, IT & Society (1. Infosys-Studie), Allensbach 2011. Dabei handelt es sich um eine reprä-
   sentative Studie, die das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) im Auftrag der IT-Beratung Infosys Limited durchgeführt hat. Diese
   stützt sich auf 1.906 im Mai 2011 durchgeführte Interviews (Bevölkerung ab 16 Jahre); abrufbar unter:
   http://www.infosys.com/german/newsroom/press-releases/documents/social-media-it-society2011.pdf; alle in diesem und den folgenden
   Abschnitten zitierten Daten sind dort zu entnehmen.
23 Vgl. Köcher, Bruttel (wie Anm. 20), hier S. 13.

Einsichten und Perspektiven 4 | 11                                                                                                       241
Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

Mark Zuckerberg (geb. 1984), Gründer von Facebook, im April 2010

Es gibt gute Gründe dafür anzunehmen, dass das Potenzial           ist. Aber auch die breite Bevölkerung erkennt zuneh-
der E-Partizipation noch nicht ausgeschöpft ist. Dafür             mend die Beteiligungschancen, die das Internet eröffnet.
spricht nicht nur die Tatsache, dass das Internet mit seinen       Die große Mehrheit der Befragten erhofft sich hier-
vielfältigen Anwendungen es ermöglicht, sich schnell und           durch mehr politische Transparenz und Informationen.
ohne größeren Aufwand zu engagieren. Dessen sind sich 56           So würden es 68 Prozent befürworten, wenn die Kom-
Prozent der Bevölkerung und 88 Prozent der Netzakti-               munalpolitik im Vorfeld von Großprojekten generell
visten bewusst. Tatsächlich handelt es sich bei den jungen         Internetforen einrichten würde, damit die Bürger die
Netzaktivisten um eine Bevölkerungsgruppe, die politisch           Möglichkeit der Stellungnahme erhalten. 63 Prozent
überdurchschnittlich aktiv ist. Während sich nur 17 Prozent        befürworten dasselbe Verfahren bei allgemeinen politi-
der Gesamtbevölkerung in den traditionelleren Formen der           schen Diskussionen und Gesetzesvorhaben.
konventionellen wie auch unkonventionellen politischen
Partizipation stark engagieren, sind es der Allensbach-Stu-        Die empirischen Forschungen zu diesen Fragen stehen erst
die zufolge in der Gruppe der Netzaktivisten 46 Prozent.           am Anfang, sodass dieser digitale Zugang als Push-Faktor
Sie planen Unterschriftenaktionen ebenso wie Demons-               (und im Falle der jungen Generation sicherlich zugleich
trationen, sie sind Mitglieder in Parteien und Aktive in           auch Pull-Faktor) sowie die zu erwartenden Effekte der E-
NGOs. Es zeichnen sich hier Konturen eines Milieus ab, zu          Partizipation noch schwer einschätzbar sind. Dennoch hat
dem die etablierten Parteien nur schwer Zugang finden – am         es den Anschein, dass in Deutschland etwas in Bewegung
ehesten gelingt dies noch den Grünen.                              gekommen ist. Spätestens seit dem Wahlerfolg der Piraten
                                                                   in Berlin haben alle Parteien erkannt, dass sie sich dem The-
Der Erfolg der Piratenpartei zeigt hingegen, welches               menfeld der E-Partizipation widmen müssen und es auch
Partizipationspotenzial in diesem Bereich vorhanden                nicht versäumen dürfen, die IuK-Technologien selbst kon-

242                                                                                               Einsichten und Perspektiven 4 | 11
Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

Wahlparty der Piratenpartei in Berlin-Kreuzberg am Abend der Senatswahl im September 2011

sequenter zu nutzen. Auch bei der Planung von Großpro-           Fazit
jekten könnten diese hilfreich sein, z.B. in Form von On-        Formen des politischen Aktivismus stehen derzeit im Fokus
line-Konsultationen oder zur Unterstützung von Bürgerfo-         der öffentlichen Aufmerksamkeit. Tatsächlich nutzen die
ren. Dabei gilt es zu beachten: E-Partizipation soll Bürger-     Bürgerinnen und Bürger die ihnen zur Verfügung stehen-
nähe herstellen, erreicht aber nicht zwangsläufig einen          den Partizipationsmöglichkeiten – seien es konventionell-
Querschnitt der Bevölkerung. Auch die Allensbach-Studie          verfasste oder auch unkonventionell-unverfasste Formen –
gelangt zu der Feststellung, dass es in hohem Maße von der       je nach Bedarf und Betroffenheit ganz selbstverständlich.
persönlichen Betroffenheit sowie dem generellen politi-          Allerdings hat die Erweiterung des Partizipationsreper-
schen Interesse und Engagement abhängig ist, inwieweit die       toires nicht zu einer generellen Zunahme des politischen
Bürger von den neuen Möglichkeiten der Information und           Engagements geführt. Vor allem im Bereich der elektoralen
Mitwirkung Gebrauch machen.24 Vorhandene Partizipati-            und parteibezogenen Beteiligung sind in den vergangenen
onslücken werden sich also durch E-Partizipation kaum            beiden Jahrzehnten rückläufige Tendenzen zu beobachten
von selbst schließen. Zudem sollten Legitimationsprobleme        gewesen. Nur ein kleiner Teil der politisch Interessierten
nicht übersehen werden, die aus den ungleichen Beteili-          entscheidet sich für längerfristige Beteiligungsformen, wie
gungschancen ressourcenstarker und -schwacher Bevölke-           beispielsweise für eine Parteimitgliedschaft. Aber auch bei
rungsteile – hier vor allem aufgrund der Nutzungsbarrieren       den mehr spontanen, unverfassten Partizipationsformen
im Bereich der IuK-Technologien – resultieren.                   weist der Trend nicht durchweg nach oben. Relevante Teile

24 Vgl. Köcher, Bruttel (wie Anm. 22), hier S. 14.

Einsichten und Perspektiven 4 | 11                                                                                      243
Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

der Bevölkerung haben sich von der Politik zurückgezogen              Der Begriff der „Partizipationseliten“25 mag eine Zuspit-
und sind kaum noch zum Wählen oder gar zum                            zung darstellen, macht aber deutlich, dass sich die besser
„Mitmachen“ zu motivieren. Andere engagieren sich direkt              gebildeten und beruflich besser gestellten Teile der Bevölke-
und mehr oder minder spontan, sind dann aber nicht bereit,            rung im traditionellen wie virtuellen Bereich überdurch-
die Konsequenzen vor Ort zu tragen, wie manche                        schnittlich engagieren – und damit auch bessere Chancen
Bürgerinitiative, die gegen den Aus- und Aufbau von                   haben, ihre Anliegen durchzusetzen. In Zeiten der Krise
Großanlagen für erneuerbare Energien protestiert.                     sollte es eher das Ziel aller sein, Lösungsperspektiven zu
                                                                      erarbeiten, um die Energie der „Wutbürger“ in konstruk-
Wozu führt also ein solcher politischer Aktivismus?                   tive Mitwirkung zu leiten und den Dialog zwischen Bürger
Dabei geht es um viel grundlegendere Fragen als nur                   und Politik neu zu denken und weiterzuentwickeln. Protest
um die neuesten Erscheinungsformen des Bürgerpro-                     allein können wir uns nicht leisten. ❚
testes. Zur Debatte gestellt werden muss die Frage, wie
das beobachtbare Engagement nachhaltig in der Gesell-                 Literatur:
schaft zu verankern und mit entsprechender politischer
Relevanz und Rahmensetzung zu versehen ist. Eine                      Samuel Barnes u.a.:
Schlüsselrolle kommt hier letztlich der politischen Bil-              Political Action. Mass Participation in Five Western
dung zu, wenn sie im Sinne einer nachhaltigen Stär-                   Democracies, Beverly Hills (CA) 1979.
kung von Partizipation und Förderung von Demokra-
tiekompetenz über eine reine Informationsfunktion                     Jutta Bergmann-Gries:
hinaus reicht. Auch in Zeiten eines basisdemokratischen               Wutbürger, Parteigänger, Nichtwähler. Was bedeuten sie
Aktivismus wäre es falsch, eine solche (notwendige)                   für die politische Bildung?, in: kursiv. Praxis politische
Rückschleife zum Diskurs über bürgergesellschaftliches                Bildung („Politische Partizipation“) 2011, H. 4, S. 27–36.
Engagement, Selbstregulierungsprozesse und Selbst-
verantwortung in der Demokratie zu überspringen.                      Feldmann-Wojtachnia, Eva et. al. (Hg.):
Allerdings muss sich die politische Bildungsarbeit zeit-              Youth participation in Finland and Germany. Status
gemäß auf ihre neue Aufgabe einrichten, will sie ein dif-             Analysis and data based recommendations. Helsinki/
ferenziertes, politisches und soziales Bewusstsein schaf-             München 2010.
fen und somit die politische Reflexion und konstruktive
Neubestimmung von Bürgerengagement anregen.                           Dieter Fuchs:
                                                                      The Normalization of the Unconventional. Forms of
Konkret heißt das auch, in dem Dialog mit den politischen             Political Action and New Social Movements, in: Gerd
Akteuren zu treten und gemeinsam längerfristige, attrakti-            Meyer, Franciszek Ryszka (Hg.): Political Participation
ve Partizipationsstrukturen besonders für Jugendliche aus-            and Democracy in Poland and West Germany, Warschau
zuhandeln. Die sich überstürzenden Nachrichten der                    2011, H. 4, S. 148–169.
Finanz- und Eurokrise erfordern eine tiefer gehende
Diskussion zur gesellschaftlichen Dimension politischer               Oscar W. Gabriel:
Entscheidungen in Deutschland und Europa. Politisches                 Politische Partizipation, in: Jan W. van Deth (Hg.):
Engagement entsteht nicht von selbst, sondern im                      Deutschland in Europa. Ergebnisse des European Social
Austausch und in der breiten Auseinandersetzung über                  Survey 2002/2003, Wiesbaden 2011, H. 4, S. 317–338.
Identität und Werte in Gesellschaft und Politik. Schließlich
kontrastiert eine in vielen Umfragen ermittelte hohe                  Manuela Glaab:
Partizipationsbereitschaft mit einem nur begrenzten tat-              Mehr Partizipation wagen? Der Wandel der politischen
sächlichen Engagement. Hier tun sich eine Partizipations-             Beteiligung und seine Konsequenzen für die deutschen
lücke und die Frage nach sozialer Beteiligungsgerechtigkeit           Parteien, in: dies. (Hg.): Impulse für eine neue Parteien-
auf, die auch durch Formen der E-Partizipation bisher nicht           demokratie. Analysen zu Krise und Reform, in: Schriften-
geschlossen und beantwortet werden kann.

25 Manuela Glaab: Mehr Partizipation wagen? Der Wandel der politischen Beteiligung und seine Konsequenzen für die deutschen Parteien, in:
   dies. (Hg.): Impulse für eine neue Parteiendemokratie. Analysen zu Krise und Reform, in: Schriftenreihe der Forschungsgruppe Deutsch-
   land, Bd. 15, München 2003, S. 126.

244                                                                                                      Einsichten und Perspektiven 4 | 11
Bürgerengagement oder politischer Aktivismus? Zum Wa ndel der politischen Pa rtizipation in Deutschland

reihe der Forschungsgruppe Deutschland, Bd. 15, Mün-           Dirk Jörke:
chen 2003, S. 117–140.                                         Bürgerbeteiligung in der Postdemokratie, in: Aus Politik
                                                               und Zeitgeschichte, Nr. 1–2, 2011, S. 13–18.
Manuela Glaab:
Politische Partizipation versus Enthaltung, in: Manuela        Dieter Rucht (Hg.):
Glaab/Werner Weidenfeld/Michael Weigl (Hg.): Deutsche          Protest in der Bundesrepublik Deutschland. Strukturen
Kontraste 1990–2010. Politik – Wirtschaft – Gesellschaft –     und Entwicklungen, Frankfurt am Main 2001
Kultur, Frankfurt am Main 2010,
S. 101–137.                                                    Dieter Rucht, Roland Roth:
                                                               Globalisierungskritische Netzwerke, Kampagnen und
Andreas Hadjar, Rolf Becker:                                   Bewegungen, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.): Die
Bildungsexpansion und politisches Engagement – Unkon-          sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Hand-
ventionelle politische Partizipation im Zeitverlauf, in:       buch. Frankfurt am Main/New York 2008, S. 493–512.
Ingo Bode/Adalbert Evers/Ansgar Klein (Hg.),
Bürgergesellschaft als Projekt. Eine Bestandsaufnahme zu       Manfred G. Schmidt:
Entwicklung und Förderung zivilgesellschaftlicher              Demokratietheorien. Eine Einführung, Wiesbaden 2010.
Potenziale in Deutschland, Wiesbaden 2009, S. 101–124.
                                                               Bernhard Weßels:
Matthew Scott Hindman:                                         Politisierung entlang neuer Konfliktlinien?, in: Ansgar
The Myth of Digital Democracy. Princeton, NJ u.a. 2009.        Klein, Rainer Schmalz-Bruns (Hg.): Politische Beteiligung
                                                               und Bürgerengagement in Deutschland. Möglichkeiten
Max Kaase:                                                     und Grenzen, Bonn 1997, S. 205–230.
Partizipatorische Revolution – Ende der Parteien?, in:
Joachim Raschke (Hg.), Bürger und Parteien. Ansichten          Hilmar Westholm u.a.:
und Analysen einer schwierigen Beziehung, Bonn 1982,           E-Partizipation – Elektronische Beteiligung von Bevölke-
S. 173–189.                                                    rung und Wirtschaft am E-Government. Studie im Auf-
                                                               trag des Bundesministeriums des Innern, Ref. IT 1. Berlin
Max Kaase:                                                     2008.
Vergleichende politische Partizipationsforschung, in: Dirk
Berg-Schlosser, Ferdinand Müller-Rommel (Hg.): Verglei-
chende Politikwissenschaft 1997, S. 159–174.

Renate Köcher, Oliver Bruttel:
Social Media, IT & Society (1. Infosys-Studie), Allensbach
2011.

Einsichten und Perspektiven 4 | 11                                                                                   245
W ie steht es mit der Integration?

Wie steht es
mit der Integration?
Personen mit Migrationshintergrund in Bayern1

Von Christian Babka von Gostomski, Afra Gieloff, Martin Kohls, Harald Lederer und Stefan Rühl

Karte 1 verdeutlicht den Anteil der Menschen mit Migra-                  ius-soli-Regelung2 verliert die Unterscheidung nach der
tionshintergrund auf Basis des Mikrozensus 2009 an der                   Nationalität jedoch zunehmend an Aussagekraft.
Bevölkerung der Länder, wobei die neuen Länder im Mi-
krozensus aus statistischen Gründen als eine Gebietseinheit              Der Integrationsstand der Migrantinnen und Migranten
ausgewiesen werden. In Hamburg (27,0%), Bremen                           und ihrer Nachkommen lässt sich so nur noch unzurei-
(26,3%), Baden-Württemberg (26,2%), Hessen (24,6%),                      chend abbilden. Zum einen werden durch die alleinige Ver-
Berlin (24,3%) und Nordrhein-Westfalen (24,0%) haben je-                 wendung der Staatsangehörigkeit eventuell mögliche In-
weils rund ein Viertel aller Einwohner einen Migrations-                 tegrationsprobleme unterschätzt, da Ausländer nur eine
hintergrund. Etwa im Bundesdurchschnitt liegen Bayern                    Teilgruppe der durch internationale Wanderungen gepräg-
(19,2%), Rheinland-Pfalz (18,5%) und das Saarland                        ten Bevölkerung darstellen. Zum anderen werden aber auch
(17,3%). Unterdurchschnittliche Anteile von unter 17%                    Integrationserfolge von Migrantinnen und Migranten un-
sind in Niedersachsen (16,6%), Schleswig-Holstein                        terschätzt, wenn erfolgreiche Personen mit Migrationshin-
(12,6%) und vor allem in den neuen Ländern (4,7%) zu                     tergrund in den Statistiken nicht der Gruppe der Ausländer,
verzeichnen.                                                             sondern der Gruppe der Deutschen zugeordnet werden.3
                                                                         Als Folge dieser Defizite der amtlichen Statistiken hat das
Die amtlichen Statistiken in Deutschland zu soziode-                     Statistische Bundesamt im Jahr 2005 mit einem entspre-
mographischen und sozialstrukturellen Themenberei-                       chenden Fragenprogramm das Konzept der „Bevölkerung
chen (z.B. Bevölkerungs-, Bildungs-, Arbeitsmarkt-                       mit Migrationshintergrund“ in den Mikrozensus einge-
statistik) unterschieden bis vor wenigen Jahren in aller                 führt.
Regel nur zwischen Deutschen und Ausländern.                                       Der Beitrag wendet sich im Folgenden zunächst
Aufgrund von Einbürgerungen, der Vielfalt des Migra-                     kurz dem Begriff der Integration zu. Anschließend folgen
tionsgeschehens und der seit dem Jahr 2000 geltenden                     Ausführungen zur Bevölkerung mit und ohne Migrations-

1 Der Artikel gibt die persönliche Ansicht der Autoren wieder.
2 ius soli meint das Prinzip, nach dem ein Staat seine Staatsbürgerschaft an alle Kinder verleiht, die auf seinem Staatsgebiet geboren werden.
  Mit der Staatsangehörigkeitsreform 2000 wurden mit dem sogenannten „Optionsmodell“ Elemente des ius soli für die zweite Einwanderer-
  generation eingeführt, bei dem bis zur Volljährigkeit eine doppelte Staatsbürgerschaft besteht und sich die Person dann in der Regel bis zum
  23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden muss.
3 Kurt Salentin, Frank Wilkening: Ausländer, Eingebürgerte und das Problem einer realistischen Zuwanderer-Integrationsbilanz, in: Kölner
  Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 55 (2003), H. 2, S. 278-298, hier S. 294.

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