Afrikas demografische Vorreiter - Wie sinkende Kinderzahlen Entwicklung beschleunigen - Berlin-Institut für ...
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Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Afrikas demografische Vorreiter Wie sinkende Kinderzahlen Entwicklung beschleunigen swachstum in Afrika südlich der Sahara +++ regionale Vorreiter zeigen wirksame Maßnahmen +++ Tunesien bleibt Vorbild bei Frauenrechten +++ demog dungschancen für Mädchen steigen +++ ohne Jobs keine Dividende +++ Werbung für Kondome in Botsuana erfolgreich +++ Wandel der Altersstruktur er
Über das Berlin-Institut Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung d emografischer und entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten. In seinen Studien, Diskussions- und Hintergrundpapieren bereitet das Berlin-Institut wissenschaftliche Informationen für den politischen Entscheidungsprozess auf. Weitere Informationen, wie auch die Möglichkeit, den kostenlosen regelmäßigen Newsletter „Demos“ zu abonnieren, finden Sie unter www.berlin-institut.org. Unterstützen Sie die unabhängige Arbeit des Berlin-Instituts Das Berlin-Institut erhält keinerlei öffentliche institutionelle Unterstützung. Projekt förderungen, Forschungsaufträge, Spenden und Zustiftungen ermöglichen die erfolgrei- che Arbeit des Instituts. Das Berlin-Institut ist als gemeinnützig anerkannt. Spenden und Zustiftungen sind steuerlich absetzbar. Im Förderkreis des Berlin-Instituts kommen interessierte und engagierte Privat personen, Unternehmen und Stiftungen zusammen, die bereit sind, das Berlin-Institut ideell und finanziell zu unterstützen. Informationen zum Förderkreis finden Sie unter http://www.berlin-institut.org/foerderkreis-des-berlin-instituts.html Bankverbindung: Bankhaus Hallbaum IBAN DE50 2506 0180 0020 2864 07 BIC/SWIFT HALLDE2H
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Afrikas demografische Vorreiter Wie sinkende Kinderzahlen Entwicklung beschleunigen
Impressum Originalausgabe Juni 2019 © Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugs weise Verwertung bleibt vorbehalten. Herausgegeben von Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Schillerstraße 59 10627 Berlin Telefon: (030) 22 32 48 45 Telefax: (030) 22 32 48 46 E-Mail: info@berlin-institut.org www.berlin-institut.org Das Berlin-Institut finden Sie auch bei Facebook und Twitter (@berlin_institut). Design und Layout: Jörg Scholz (www.traktorimnetz.de) Druck: Laserline Berlin Einige thematische Landkarten wurden auf Grundlage des Programms EasyMap der Lutum+Tappert DV-Beratung GmbH, Bonn, erstellt. ISBN: 978-3-946332-46-6 Die Autoren: Alisa Kaps, 1991, Masterstudium in Wirtschafts- und Sozialgeografie an der Universität Salzburg. Ressortleiterin Internationale Demografie am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Ann-Kathrin Schewe, 1992, Masterstudium Internationale Entwick- lung und BWL an der Sciences Po Paris und der Stockholm School of Economics. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Dr. Reiner Klingholz, 1953, Promotion im Fachbereich Chemie an der Universität Hamburg, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Das Berlin-Institut dankt dem Auswärtigen Amt für die Finanzierung des Projekts. Für den Inhalt der Studie trägt das Berlin-Institut die alleinige Verantwortung.
INHALT VORWORT...........................................................................................................................4 DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE...............................................................................................5 1. WARUM AFRIKAS BEVÖLKERUNG SO STARK WÄCHST – UND WIE SICH DAS BEEINFLUSSEN LÄSST.....................................................................6 2. AFRIKAS VORREITER IN SACHEN BEVÖLKERUNGSWANDEL.........................................16 2.1 ÄTHIOPIEN.........................................................................................................................................17 2.2 KENIA................................................................................................................................................. 20 2.3 BOTSUANA.........................................................................................................................................22 2.4 GHANA...............................................................................................................................................25 2.5 SENEGAL............................................................................................................................................27 2.6 MAROKKO.........................................................................................................................................30 2.7 TUNESIEN..........................................................................................................................................32 3. AUS ERFAHRUNGEN LERNEN UND NEUE MÖGLICHKEITEN NUTZEN.............................35 3.1 GESUNDHEIT.................................................................................................................................... 36 3.2 BILDUNG ...........................................................................................................................................41 3.3 EINKOMMEN UND JOBS..................................................................................................................44 3.4 WILLE ZUM WANDEL...................................................................................................................... 45 4. WAS TUN?.....................................................................................................................47 QUELLEN.......................................................................................................................... 50
WENN WENIGER MEHR BEDEUTET Die Frage, wie viele Kinder die Menschen be- Während die weit entwickelten Staaten des ländern aufsteigen. Dieser Weg zeichnet sich kommen, wie groß ihre Familien sind und wie Nordens einigen Nachholbedarf in Sachen jetzt auch in den ersten afrikanischen Län- stark sich letztlich eine ganze Bevölkerung Produktionsweisen und Konsumgewohnhei- dern ab. Es lohnt sich die politischen, sozia- vermehrt, berührt sensible Themen. Kein ten haben, beginnen sich die Staaten in Afri- len und wirtschaftlichen Rahmenbedingun- Individuum und kein Land schätzen es, wenn ka vermehrt mit der Frage des eigenen Be- gen dieser Entwicklung genauer zu betrach- sich Kräfte von außen bei derartigen Überle- völkerungswachstums zu beschäftigen. Die ten, denn aus diesen Länderbeispielen lässt gungen und Entscheidungen einmischen. Das Region galt lange als dünn besiedelt, weshalb sich viel lernen und sie können Vorbilder für Recht auf reproduktive Selbstbestimmung mehr Menschen als Vorteil zu sehen waren, andere Länder des Kontinents sein. gehört für die Vereinten Nationen zu den denn sie bedeuten mehr Produktivkräfte, universellen Grundrechten und zu den Zielen mehr Konsumenten und dadurch wirtschaft- Über die Frage, wie sich hohes Bevölkerungs- einer menschenrechtsbasierten Politik. liches Wachstum. Aber mittlerweile ist klar, wachstum demokratisch und menschen dass eine Entwicklung vieler Länder durch würdig reduzieren lässt, sollte offen, klar Trotzdem ist die Frage, ob und wie stark eine den Zuwachs an Bewohnern immer weiter und pragmatisch gesprochen werden, vor Bevölkerung wächst, nicht nur ein privates, erschwert wird. Wo es schwieriger wird, die allem dann, wenn dies zu einer Verbesserung sondern auch ein gesellschaftliches Thema. Versorgung der Menschen mit dem Nötigsten der Lebensbedingungen in den betroffenen Hohe Kinderzahlen und ein starkes Bevöl- zu garantieren, wächst die Gefahr von sozia- Staaten führen kann. Zugegeben, das Thema kerungswachstum werden dann zu einem len Konflikten. ist heikel. Es ist in vielen Gesprächsrunden nationalen Problem, wenn die Zahl der Men- der „Elefant im Raum“, also das Problem, das schen deutlich schneller zunimmt als die Zahl jeder kennt, aber keiner beim Namen nennt. der Arbeitsplätze und die Möglichkeit für alle Sinkende Kinderzahlen sind die Dies ist nicht im Sinne einer nachhaltigen die notwendige Infrastruktur in Form von Ge- Voraussetzung für und die Folge von Entwicklung. sundheitsdiensten, Schulen oder Wohnraum Entwicklung zu schaffen. Ohnehin kann anhaltendes Be- Die vorliegende Studie beschreibt, in welcher völkerungswachstum auf einem begrenzten Die Erfahrungen aus anderen Ländern, die Form einige Regierungen Afrikas mit diesen Planeten genauso wenig funktionieren wie sich aus der Armut herausgearbeitet haben, Fragen umgehen, welche Instrumente sie eine Lebensweise, welche die Grundlagen der etwa in Asien oder Lateinamerika, zeigen, nutzen, um direkt oder indirekt das Bevölke- menschlichen Existenz gefährdet. Genau des- dass sich mit sinkenden Kinderzahlen die rungswachstum in ihren Ländern zu beein- halb heißt es schon 1992 in der Erklärung der Chance auf einen Entwicklungsschub ergibt, flussen, und welche Erfolge sie dabei haben. UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung der den vielen jungen Menschen neue Pers- Nachahmung erwünscht. in Rio de Janeiro in Grundsatz 8, die Staaten pektiven eröffnet und eine Dynamik in Gang sollten „nicht nachhaltige Produktionsweisen setzen kann, die breiten Teilen der Bevöl- und Konsumgewohnheiten abbauen und kerung zu einem höheren Lebensstandard Berlin, im Juni 2019 beseitigen und eine geeignete Bevölkerungs- verhilft. Länder, denen dies gelingt, fahren politik fördern“. eine „demografische Dividende“ ein. Aber Reiner Klingholz möglich wird dies nur, wenn sich zuvor das Direktor Bevölkerungswachstum durch rückläufige Berlin-Institut für Bevölkerung Geburtenziffern verlangsamt. und Entwicklung Viele Länder Asiens, die einst wenig Hoff- nungen auf eine positive Entwicklung hatten, konnten von der demografischen Dividende profitieren und zu Schwellen- und Industrie 4 Afrikas demografische Vorreiter
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Nirgendwo sonst auf der Welt wächst die Be- sich gerade dorthin bewegen. Im Osten des tischen Lehren, die Entscheider vor Ort und völkerung so rasch wie in Afrika. Bis zur Mitte Kontinents trifft das auf Kenia und Äthiopien deren Unterstützer aus den Beispielen für des Jahrhunderts dürften auf dem Kontinent zu, im Süden auf Botsuana, im Westen auf erfolgreiche Politiken und Maßnahmen zie- 2,5 Milliarden Menschen leben – fast doppelt Ghana und Senegal sowie im Norden auf hen können. so viele wie heute. Der schnelle Zuwachs Tunesien und Marokko. Die Auswahl der nä- an Einwohnern birgt für die afrikanischen her betrachteten Staaten erfolgte anhand der Die internationale Staatengemeinschaft sollte Staaten enorme Herausforderungen. Denn Entwicklung wichtiger sozioökonomischer Pa- die afrikanischen Länder gezielter dabei das Mehr an Menschen muss künftig nicht rameter, die nachweislich direkt oder indirekt unterstützen, Maßnahmen in den Kernent- nur mit Nahrungsmitteln, Gesundheits- und zu sinkenden Kinderzahlen beitragen. Dazu wicklungsbereichen Gesundheit, Bildung Bildungsdienstleistungen versorgt werden, gehören vor allem die Kindersterblichkeit, und Arbeitsplätze voranzubringen, um damit sondern auch die Möglichkeit haben, einen der Bildungsstand – insbesondere bei Frau- die Wirtschaft zu befördern und die Gebur- Arbeitsplatz zu finden und ein auskömmliches en – sowie die Einkommen, gemessen an den tenziffern sinken zu lassen. Weil das Bevöl- Einkommen zu erzielen – Aufgaben, die viele Armutsraten. Daneben haben wir Indikatoren kerungswachstum die Fragen von Stabilität, Staaten Afrikas schon heute überfordern. zur Gleichberechtigung und Urbanisierung he- Regierbarkeit, Krisenprävention, irregulärer Grund für das hohe Bevölkerungswachstum rangezogen, sowie gesellschaftliche Normen Migration sowie gerechter und nachhaltiger sind vor allem die anhaltend hohen Kinder- und das politische Engagement der Regie Entwicklung tangiert, ist es auch ein Thema zahlen, die noch dazu einen Wandel der rungen für Familienplanung berücksichtigt. für die deutsche Außenpolitik. Daher sollte Altersstruktur verhindern, aus der sich ein die Bundesregierung unter anderem Entwicklungsschub ergeben könnte wie ihn Die Länderkapitel zeigen, dass es bereits posi- etwa asiatische Staaten erlebt haben. Die tive Beispiele für eine erfolgreiche Demogra- die Thematik des Bevölkerungswachstums Altersstruktur des „demografischen Bonus“ fiepolitik in Afrika gibt und das in Staaten mit stärker ins Zentrum der außen- und ent- liegt für die meisten Länder Afrikas in weiter ganz unterschiedlichen geschichtlichen und wicklungspolitischen Beziehungen mit dem Ferne. Um Entwicklungsfortschritte zu ma- kulturellen Hintergründen. Jene Länder, die in afrikanischen Kontinent rücken und sach chen und den Bonus in eine „demografische ihrer demografischen Entwicklung weniger liche Diskussionen darüber auf internatio- Dividende“ umzuwandeln, müsste sich der weit fortgeschritten sind, haben deshalb nalem Parkett salonfähig machen; Rückgang der Fertilitätsraten1 in Afrika drin- einen entscheidenden Vorteil: Sie können auf gend beschleunigen. das verfügbare Wissen über die wesentlichen sich bei Internationalen Organisationen Einflussfaktoren für sinkende Kinderzahlen wie der Weltbank und dem IWF dafür ein- zurückgreifen und daraus bevölkerungspoliti- setzen, dass Missverständnisse rund um Von regionalen Vorreitern lernen sche Maßnahmen ableiten. Eine Sammlung an die demografische Dividende aus dem Weg Praxisbeispielen gibt einen Überblick, wo und geräumt werden, vor allem jenes, wonach Von „Afrikas demografischer Entwicklung“ zu mit welchen Maßnahmen dies bereits gelingt. sich diese ohne sinkende Kinderzahlen sprechen ist angesichts der enormen Vielfalt realisieren lässt; auf dem Kontinent allerdings schwierig. Denn in der EU sowie auf internationalen Foren sowohl beim Niveau der Geburtenziffern, als Was zu tun ist eine ehrliche und faktenbasierte Diskussion auch bei den Fortschritten einzelner Länder über die Potenziale und Risiken der demo- im demografischen Übergang gibt es eine Die Verantwortung dafür, dass die Weichen grafischen Entwicklung in Afrika anregen große Spannbreite. Das wirft die Frage auf, für einen sozioökonomischen Aufstieg gestellt und Politikmaßnahmen entsprechend warum es diese Unterschiede gibt und welche werden, liegt vor allem in den Händen der ausrichten; Einflussfaktoren vor Ort dafür verantwortlich afrikanischen Regierungen und Gesellschaf- sind. ten. Sie können die demografische Zukunft den Austausch über Lehren und erfolg ihrer Länder teilweise steuern. Diese Studie reiche Interventionen zwischen afrika Die vorliegende Studie wirft einen genaueren soll zu einer informierten und sachlichen nischen Staaten fördern, die unterschied- Blick auf sieben regionale Vorreiter – also auf Diskussion über die Chancen und Heraus- lich weit im demografischen Übergang Länder, die entweder schon eine vergleichs- forderungen des Bevölkerungswachstums vorangeschritten sind und deshalb vonein- weise niedrige Fertilitätsrate aufweisen oder in Afrika beitragen. Dazu gehören die prak- ander lernen können. Berlin-Institut 5
1 WARUM AFRIKAS BEVÖLKERUNG SO STARK WÄCHST – UND WIE SICH DAS BEEINFLUSSEN LÄSST Seit 1950 hat sich Afrikas Bevölkerung mehr Mehr Menschen, endliche Ressourcen Mangelnde Bildung und fehlende Einkom als verfünffacht. Ein Ende des Wachstums mensmöglichkeiten hemmen die wirtschaft ist, anders als im Rest der Welt, noch nicht in Dieser Zusammenhang lässt sich in Afrika liche Entwicklung und erschweren dadurch Sicht. Bis zur Mitte des Jahrhunderts dürfte allerdings nicht beobachten, vielmehr ver den Weg aus der Armutsfalle. Da das vor die Zahl der Afrikaner von heute 1,3 auf 2,5 schärft das hohe Bevölkerungswachstum handene Wirtschaftswachstum auf immer Milliarden Menschen ansteigen, sich also fast viele jener Probleme, denen sich der Konti mehr Köpfe verteilt werden muss, sind die verdoppeln. Damit dürfte über die Hälfte des nent ohnehin gegenüber sieht. Schon heute Wohlstandsgewinne mäßig oder bleiben weltweiten Bevölkerungszuwachses in den ist die Mehrzahl der Staaten – insbesondere gänzlich aus. Die Folge: 40 Prozent der kommenden 30 Jahren auf Afrika entfallen. jene südlich der Sahara – kaum in der Lage, Menschen in den Ländern südlich der Sahara Während heute weniger als ein Fünftel der die erforderliche Gesundheits- und Bildungs müssen täglich mit weniger als umgerechnet Weltbevölkerung auf dem Kontinent lebt, infrastruktur für die Menschen bereitzustel zwei US-Dollar auskommen und leben damit dürfte es bis 2050 schon mehr als ein Viertel len, geschweige denn genügend Jobs, die unterhalb der von der Weltbank definierten sein.1 ein auskömmliches Leben ermöglichen. Das Armutsgrenze.8 Geringe Lebensperspektiven dürfte sich in absehbarer Zeit kaum ändern: aber bedeuten überall in den Entwicklungs Das Bevölkerungswachstum Afrikas war lange Noch immer können über 37 Millionen Grund ländern hohe Kinderzahlen und anhaltendes Zeit kein Thema von großer Bedeutung, denn schulkinder in Afrika nicht zur Schule gehen Bevölkerungswachstum. Der Problemkreis die Region galt als dünn besiedelt. 1950 und mit jedem Jahr wird die Gruppe der lauf beschleunigt sich damit aus sich selbst lebten dort rund 230 Millionen Menschen, Kinder, die eingeschult werden sollten, um heraus. gerade mal 8 auf einem Quadratkilometer.2 rund 5 Millionen größer.4, 5 Selbst wenn sie ihr Da sowohl die Zahl günstiger Arbeitskräfte Recht auf Bildung einlösen können und eine Weil lebenswichtige Ressourcen wie Wasser als auch die Größe der lokalen Absatz Schule erfolgreich abschließen, wartet auf oder Ackerland nicht mit der Einwohnerzahl märkte begrenzt war, schienen ausländische sie die nächste kritische Situation: Aktuell mitwachsen, häufen sich Spannungen und Investitionen nach dem Ende der Kolonialzeit wird die Gruppe der jungen Erwerbsfähigen Verteilungskonflikte. Der Klimawandel dürfte aus unternehmerischer Sicht wenig lohnend. zwischen 15 und 35 Jahren jährlich um dies künftig weiter befeuern und immer mehr Asien, wo schon 1970 mit 2,1 Milliarden Men zehn bis zwölf Millionen Menschen größer. Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu schen deutlich über die Hälfte der Weltbevöl Allerdings werden auf dem gesamten afri verlassen. Ebenso dürften mangelnde Zu kerung lebte, bot andere Renditechancen und kanischen Kontinent pro Jahr nur etwa drei kunftsperspektiven Afrikas Jugend häufiger war wesentlich interessanter.3 Millionen formale Arbeitsplätze geschaffen.6, 7 dazu bewegen, sich anderenorts auf die Su che nach besseren Lebensmöglichkeiten zu Zudem ist ein starkes Bevölkerungswachstum machen. Ihr Weg führt sie in die ausufernden per se kein Problem. Solange sich das Mehr an Megastädte, in andere afrikanische Länder Menschen versorgen lässt, mit den notwendi und in vergleichsweise geringem Ausmaß bis gen Dienstleistungen und vor allem mit Ar nach Europa. beitsplätzen, trägt es zum Wirtschaftswachs tum und zur Wohlstandsmehrung bei. Dann bedeuten mehr Menschen mehr Produzenten, mehr Konsumenten und mehr Innovatoren. 6 Afrikas demografische Vorreiter
Wenn weniger Kinder sterben, werden Von hohen zu niedrigen Sterbe- und Geburtenraten auch weniger geboren Wo auch immer Kinder bessere Überlebenschancen haben, entscheiden sich Eltern ein bis zwei G enerationen später für weniger Nachwuchs. Dieser Zusammenhang zwischen sinkender Kindersterblichkeit und rück- Ob sich die Lebensbedingungen der Men- läufigen Kinderzahlen lässt sich in allen Ländern weltweit im Zuge ihrer demografischen Transformation schen in Afrika künftig verbessern, ist eng da- beobachten. ran geknüpft wie rasch die dortigen Staaten den demografischen Übergang vollziehen. Todesfälle je 1.000 Kinder Dieses Modell kann als einzige ökonomische Lebendgeburten je Frau Theorie den Entwicklungsweg aller Nationen 350 7 von einer vorindustriellen Lebensweise hin zu einer modernen Gesellschaft beschreiben. 300 6 Der Übergang beginnt in einer Phase, in der die Menschen viele Kinder haben, aber 250 5 aufgrund begrenzter Lebensbedingungen auch viele Personen jeden Alters sterben. 200 4 Solange sich Geburten- und Sterbeziffern 150 3 einigermaßen die Waage halten, wächst die Bevölkerung nicht oder kaum. Erst wenn sich 100 2 die Versorgung mit Nahrungsmitteln verbes- sert und erste Errungenschaften von Hygiene 50 1 und Medizin die Lebensbedingungen verbes- Südkorea Brasilien Bangladesch sern, sinkt in Phase 2 die Sterblichkeit – ins- 0 0 besondere von Kindern und Müttern – und 1950– 1955 1955– 1960 1960– 1965 1965– 1970 1970– 197 5 1975– 1980 1980– 1985 1985– 1990 1990– 1995 1995– 2000 2000– 2005 2005– 2010 2010– 201 5 1950– 1955 1955– 1960 1960– 1965 1965– 1970 1970– 197 5 1975– 1980 1980– 1985 1985– 1990 1990– 1995 1995– 2000 2000– 2005 2005– 2010 2010– 201 5 1950– 1955 1955– 1960 1960– 1965 1965– 1970 1970– 197 5 1975– 1980 1980– 1985 1985– 1990 1990– 1995 1995– 2000 2000– 2005 2005– 2010 2010– 201 5 die mittlere Lebenserwartung steigt. Weil die Geburtenziffern zunächst auf dem alten, hohen Niveau bleiben oder nur geringfügig zurückgehen, wächst die Bevölkerung unter diesen Bedingungen stark. Entwicklung von Kindersterblichkeit (Todesfälle bei unter Fünfjährigen je 1.000 Lebendgeburten) und Geburtenziffer (durchschnittliche Kinderzahl je Frau), 1950 bis 2015 Nach den Mortalitätsraten sinken der Theorie (Datengrundlage: UNDESA10) nach zeitversetzt auch die Fertilitätsraten (Phase 3) – und zwar immer in dieser Reihen- folge. Dies jedenfalls war in allen Ländern, Während die Sterblichkeit sinkt, schreitet Langsamer Fertilitätsrückgang die in ihrer demografischen Entwicklung den in der Regel jene sozioökonomische Ent- afrikanischen Ländern voraus sind, der Fall. wicklung, die dazu geführt hat, dass mehr Mit Ausnahme der vergleichsweise weit Denn der Rückgang der Kindersterblichkeit Menschen überleben, weiter voran: Die entwickelten Staaten im Norden und Süden ist eine notwendige (aber keine hinreichende) Gesundheitsversorgung verbessert sich Afrikas befinden sich die meisten Länder Voraussetzung dafür, dass sich die Menschen weiter, Schulen und Universitäten bieten des afrikanischen Kontinents noch in für weniger Nachwuchs entscheiden. Weil sie neue Bildungsmöglichkeiten, es entstehen Phase 2 oder am Anfang von Phase 3 des eine Weile brauchen, um zu realisieren, dass formale Arbeitsplätze und Frauen erlangen demografischen Transformationsprozesses. mehr Kinder überleben, als sie eigentlich mehr Rechte. Diese Prozesse eröffnen den Nahrungsmittelimporte, Notfallhilfen und erwartet haben, dauert es etwa ein bis zwei Menschen neue Perspektiven und eine indivi- eine verbesserte gesundheitliche Versorgung Generationen, bis sie beginnen die Größe duellere Lebensplanung. Überall, wo dies ge- haben zwar die Kindersterblichkeit deutlich ihrer Familien zu planen und mit geeigneten schah, sind die Geburtenziffern zurückgegan- reduziert – auch in wenig entwickelten Län- Mitteln und Möglichkeiten zu begrenzen.9 10 gen. Entsprechend verlangsamt sich in dieser dern wie Tschad, der Zentralafrikanischen dritten Phase des demografischen Übergangs Republik und Sierra Leone.11 Die anschlie- das Bevölkerungswachstum. Es klingt aus ßend notwendigen sozioökonomischen in Phase 4, wenn die Geburtenrate auf das Fortschritte schreiten in Afrika bislang aber Niveau der Sterberate gesunken ist. Soweit kaum voran. Vielerorts fehlen den Menschen die Theorie beziehungsweise die Erfahrung aus den weiter entwickelten Staaten. Berlin-Institut 7
die Perspektiven für ein selbstbestimmtes Noch immer hohe Nachwuchszahlen Leben, weshalb die dortigen Staaten nur sehr langsam in und durch die dritte Phase des Nirgendwo sonst auf der Welt liegen die durchschnitt- lichen Kinderzahlen höher als in Afrika. In über 25 demografischen Übergangs kommen. Die Prozent der afrikanischen Staaten bekommen Frauen Kinderzahlen verharren dementsprechend im Schnitt mehr als fünf Kinder. In Niger, sind es auf einem hohen Niveau: Zwar sind auch sogar mehr als sieben Kinder pro Frau. Die hohen in Afrika die Geburtenziffern in den letzten Nachwuchszahlen bescheren dem Kontinent ein beiden Jahrzehnten gesunken, doch mit rasantes Bevölkerungswachstum. Bis 2050 dürften durchschnittlich 4,4 Kindern bringen Afrika- mit Nigeria, Äthiopien und der Demokratischen Republik Kongo drei afrikanische Länder in die „Top nerinnen heute im Schnitt noch fast doppelt Ten“ der bevölkerungsreichsten Staaten weltweit so viel Nachwuchs zur Welt, wie Frauen in aufgestiegen sein.17 anderen Teilen der Welt.12 Insgesamt sinken die Geburtenziffern in Afrika bislang deutlich langsamer als zuvor Große regionale Unterschiede in anderen Weltregionen.13 Während in Asien die Geburtenziffer zwischen 1965 und 1985 Der Blick auf die afrikanischen Durchschnitts- Durchschnittliche von 5,7 auf 3,5 Kinder pro Frau gesunken werte verschleiert jedoch die große Spann- Kinderzahl je Frau, 2018 ist – ein Rückgang um 40 Prozent –, sank breite, die es in Sachen demografischer unter 1,5 sie in Afrika nicht nur 20 bis 30 Jahre spä- Entwicklung auf dem Kontinent gibt. An 1,5 bis unter 2 ter sondern auch nur um gerade einmal 17 einem Ende des Spektrums stehen hoch ent- 2 bis unter 3 Prozent.14 Selbst die Vereinten Nationen wickelte Inselstaaten wie Mauritius und die 3 bis unter 4 waren von dieser schleppenden Entwick- Seychellen, sowie weiter entwickelte Länder 4 bis unter 5 lung immer wieder überrascht und mussten im Norden und Süden wie Südafrika oder 5 bis unter 6 dementsprechend ihre Vorausberechnungen Tunesien. Hier liegen die Geburtenziffern bei 6 und mehr zum Bevölkerungswachstum in Afrika in der unter 3 Kindern pro Frau – in Mauritius sogar jüngeren Vergangenheit mehrfach nach oben bei 1,4 Kindern – und sie dürften nach den (Datengrundlage: PRB 16) korrigieren.15 16 17 Der Weg durch den demografischen USA Übergang Bevölkerung China Im Zuge ihrer sozioökonomischen Entwicklung Tunesien Deutschland durchlaufen alle Länder der Welt den demografischen Übergang – wenn auch zeitversetzt und mit unter- Ghana schiedlichen Geschwindigkeiten. Durch die Verbes- serung der Lebensbedingungen sinkt dabei zunächst Äthiopien die Sterbe- und zeitversetzt die Geburtenrate. In Senegal der Zwischenzeit wächst die Bevölkerung stark. In Phase 4 pendeln sich schließlich Geburten- und Sterberate auf einem niedrigeren Niveau ein und das Bevölkerungswachstum kommt zum Erliegen. Niger Abgesehen von einigen süd- und nordafrikanischen Staaten stehen die Länder auf dem afrikanischen Sterberate Kontinent überwiegend noch am Anfang dieser Ent- wicklung: Da die Kindersterblichkeit bereits deutlich gesunken ist, die Fertilitätsraten aber auf einem Geburtenrate hohen Niveau verharren, erlebt Afrika ein rasantes Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4 Phase 5 Bevölkerungswachstum. Schematische Darstellung der Entwicklung von Geburten- und Sterberate sowie der Gesamtbevölkerung in Abwesenheit von Migration (eigene Darstellung) 8 Afrikas demografische Vorreiter
Prognosen der Vereinten Nationen bis 2020 weiter sinken.18 In ihrer demografischen Ent- wicklung sind diese Staaten also vergleichs- weise weit vorangeschritten und erfahren dementsprechend nur noch ein geringes Bevölkerungswachstum. Einige Länder – insbesondere in Ostafrika – erleben aktuell einen raschen Rückgang ihrer Fertilitätsraten. In Ruanda etwa sind die Kinderzahlen seit 1990 von 6,5 auf etwa 4 gesunken, in Äthiopien im gleichen Zeitraum sogar von über 7 Kindern pro Frau auf einen ähnlichen Wert. Deutlich weniger bis gar keine Fortschritte lassen sich dagegen in den meisten west- und zentralafrikanischen Staaten beobachten, wo die Geburtenziffern im Schnitt noch immer bei 5,2 respektive 5,5 Kindern pro Frau liegen.19 In einigen Ländern – darunter Angola, Mali und Tschad – sind die Veränderungen bei der Geburtenziffer bislang so gering, dass Experten anzweifeln, dass der sozioökonomische und demogra- fische Wandel hier tatsächlich schon einge- setzt hat.20 21 Spät und langsam Kinder je Frau 7 Beim Fertilitätsrückgang hinkt Afrika anderen Welt- regionen bislang deutlich hinterher. Während Staaten Lateinamerika und Karibik Afrika 6 in Lateinamerika und Asien zwischen 1960 und 1980 einen rasanten Rückgang der Kinderzahlen erlebten, Asien begannen diese in Afrika erst 20 bis 30 Jahre später 5 und mit einer deutlich niedrigeren Geschwindigkeit Ozeanien zu sinken. Mit über vier Kindern pro Frau liegt die 4 durchschnittliche Geburtenziffer in Afrika heute auf dem Niveau, das asiatische und lateinamerikanische Nordamerika 3 Staaten bereits in den 1970er Jahren aufwiesen. Europa 2 1 0 1950 – 1955– 1960– 1965– 1970– 1975– 1980– 1985– 1990– 1995– 2000– 2005– 2010– 2015– 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Durchschnittliche Kinderzahl je Frau in unterschiedlichen Weltregionen, 1950 bis 2015 (Datengrundlage: UNDESA21) Berlin-Institut 9
Kein demografischer Bonus in Sicht tet, allerdings noch in weiter Ferne. Denn der westafrikanische Länder wie Mali, Tschad demografische Bonus eröffnet sich laut den und Angola können nicht vor 2060 auf einen Der langsame Rückgang der Kinderzahlen Vereinten Nationen erst, wenn der Anteil der Bonus hoffen.27 bedeutet nicht nur ein anhaltend hohes Be- zu versorgenden jungen Menschen unter 15 völkerungswachstum und eine Verschärfung Jahren an der Gesamtbevölkerung unter 30 Selbst dieser bedrohlich langsam klingende der Versorgungslage. Die hohen Geburten- Prozent sinkt und der Anteil der über 64-Jäh- Wandel der Altersstruktur setzt voraus, ziffern verhindern auch einen Wandel der rigen noch keine 15 Prozent erreicht hat.25 dass die Fertilitätsraten in diesen Ländern Altersstruktur, der einen wirtschaftlichen Anders definiert: Erst wenn auf jede abhän- künftig so stark sinken wie zuvor in anderen Aufschwung mit sich bringen könnte, wie gige Person mindestens 1,7 Erwerbsfähige im Weltregionen. Angesichts der bisher eher ihn asiatischen Tigerstaaten wie Südkorea, Alter zwischen 15 und 64 kommen, erreichen langsamen Abnahme der Geburtenziffern ist Thailand oder Singapur erlebt haben. Denn Staaten eine günstige Ausgangssituation, die sogar diese Entwicklung fraglich. Ob und wie bei sinkenden Kinderzahlen werden die nach- einen wirtschaftlichen Aufschwung leich- rasch Afrika seinen Entwicklungsrückstand wachsenden Geburtenjahrgänge kleiner und ter macht.26 Laut den Vorausschätzungen verkürzen und seinen Menschen Perspek- der Schwerpunkt der Bevölkerung verschiebt der Vereinten Nationen dürfte das in den tiven bieten kann, hängt also wesentlich sich zu den jungen Erwerbsfähigen. Dadurch meisten afrikanischen Ländern südlich der davon ab, wie schnell der demografische stehen der Wirtschaft überproportional viele Sahara und nördlich der Ländergrenzen von Übergang voranschreitet. Sinkende Kinder- Menschen zur Verfügung, die arbeiten und Namibia, Südafrika und Botsuana frühestens zahlen je Frau sind dafür eine zwingende produktiv sein können. Gleichzeitig nimmt ab dem Jahr 2035 der Fall sein. Zentral- und Notwendigkeit.28 die Zahl der Kinder und Jugendlichen ab, die von der arbeitenden Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Schulen und Gesundheits Unterschiedlich lange bis zum Bonus leistungen versorgt werden müssen. Ein demografischer Bonus eröffnet sich dann, wenn mehr Menschen im Erwerbsalter stehen als junge und alte Diese günstige Altersstruktur wird als de- Menschen zu versorgen sind. Dank eines rasanten Fertilitätsrückgangs in den 1960er und -70er Jahren konnte Mauritius bereits in den 1980er Jahren von einer ökonomisch günstigen Altersstruktur profitieren. Während mografischer Bonus bezeichnet, der sich der Inselstaat diesen bereits in eine Dividende – also einen demografiebedingten Entwicklungsschub – um- bei guten politischen und wirtschaftlichen münzen konnte, liegt der demografische Bonus für andere afrikanische Länder noch in weiter Ferne. So kann Rahmenbedingungen in einen wirtschaft- Niger – das Land mit dem derzeit höchsten Bevölkerungswachstum weltweit – frühestens um 2080 auf einen lichen Aufschwung ummünzen lässt, die Bonus hoffen. sogenannte demografische Dividende. Damit dies gelingt, muss der Nachwuchs möglichst 2,5 gut qualifiziert sein und die notwendigen demografischer Mauritius Arbeitsplätze vorfinden. Ökonomen sind sich Bonus einig, dass der wirtschaftliche Aufstieg der 2,0 asiatischen Tigerstaaten zu großen Teilen Marokko auf die Nutzung des demografischen Bonus zurückzuführen ist.22 1,5 Äthiopien Senegal Weiter entwickelte Länder im nördlichen und Nigeria südlichen Afrika, sowie manche afrikanische 1,0 Inselstaaten haben diese günstige Alters- Niger struktur bereits erreicht. Sie verfügen über eine große Zahl junger, zunehmend gut quali- 0,5 fizierter Erwerbsfähiger. Was dort bisher fehlt sind die entsprechenden Jobs.23, 24 Für die Mehrzahl der afrikanischen Staaten ist eine 0 Altersstruktur, die eine Chance auf einen de- 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 2065 2070 2075 2080 2085 2090 2095 2100 mografiebedingten Entwicklungsschub bie- Verhältnis der Erwerbsbevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 Jahren zur abhängigen Bevölkerung (Menschen im Alter von 0 bis 14 und über 64 Jahren), 1950 bis 2100 (Datengrundlage: UNDESA28) 10 Afrikas demografische Vorreiter
Was zu sinkenden Kinderzahlen führt Wo Kinder früh sterben Wie aber lässt sich dieser Prozess beschleu- Je nachdem wo auf dem afrikanischen Kontinent ein Kind geboren wird, stehen seine Chancen seinen fünften Geburtstag zu erleben unterschiedlich gut: Die besten Aussichten haben Neugeborene in den hochentwickelten nigen, und zwar ohne Zwangsmaßnahmen, Inselstaaten Seychellen und Mauritius, gefolgt von den nordafrikanischen Ländern. Wenig rosig sind die Aus- wie sie etwa aus China bekannt sind? Welche sichten dagegen in Tschad und der Zentralafrikanischen Republik: Hier stirbt etwa jedes achte Kind vor seinem Einflussflussfaktoren zu sinkenden Kin- fünften Lebensjahr.32 derzahlen führen, ist wissenschaftlich gut belegt. Ebenso sind verschiedene Interven- tionen bekannt, die den sozioökonomischen Tunesien Fortschritt beschleunigen und – direkt oder Marokko indirekt – zu sinkenden Geburtenziffern füh- ren. Dabei sind folgende sozioökonomische Algerien Libyen Parameter zentrale Stellschrauben: Ägypten Westsahara Kap Verde Mauretanien Mali Niger Senegal Sudan Eritrea Tschad Dschibuti Gambia Burkina Gesundheit Faso Guinea Benin Ghana Nigeria Zentral- Äthiopien Solange Eltern im Ungewissen sind, wie viele Togo afrikanische Südsudan Guinea- ihrer Kinder überleben und das Erwachse- Bissau Republik Kamerun nenalter erreichen, bekommen sie in der Sierra Leone Äquatorial Elfenbein Guinea Somalia Regel viel Nachwuchs. Denn Kinder stellen in Liberia küste Uganda Kenia São Tomé Kongo traditionellen Gesellschaften eine zusätzliche Gabun Demokratische Ruanda und Príncipe Arbeitskraft und ein Versprechen auf Ver- Republik Burundi Kongo sorgung im Alter dar. Wenn die Kinderzahlen Kindersterblichkeit (Todesfälle je Tansania sinken sollen, muss deshalb vor allem die Seychellen 1.000 Lebendgeburten), 2015-2020 Überlebenswahrscheinlichkeit des Nach- unter 30 wuchses verbessert werden. Das Sterberisiko 30 bis unter 50 Angola Malawi von Säuglingen und Kleinkindern liegt in Sambia 50 bis unter 70 Afrika – trotz großer Fortschritte – im welt- 70 bis unter 90 Mosambik weiten Vergleich noch immer am höchsten. 90 bis unter 110 Simbabwe Namibia Madagaskar Im Schnitt stirbt eines von 14 Kindern vor Botsuana 110 und mehr seinem fünften Geburtstag.29 Meist sind da- Mauritius keine Daten bei Atemwegserkrankungen, Durchfall oder Eswatini Malaria die Ursachen, also Erkrankungen, die (Datengrundlage: UNDESA 31) sich durch einfache Maßnahmen verhindern Südafrika lassen. Lesotho Auch die Gesundheit der Mütter ist wichtig. Eine medizinische Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Geburt ist Burkina Faso sogar nur jede vierte.30 Um die allerdings längst noch nicht überall in Afrika Gesundheit von Kindern und Müttern weiter selbstverständlich: In einigen afrikanischen zu verbessern, ist der Ausbau der Gesund- Ländern wird nur etwa die Hälfte der Ge- heitsinfrastruktur sowie eine gute Ausbildung burten medizinisch betreut, in Tschad und des medizinischen Personals zentral.31 32 Berlin-Institut 11
Bildung Bevölkerung (20 bis 64 Jahre) mit mindestens Sekundarbildung, in Prozent, 2015 Bildung ist nach Meinung vieler Experten das unter 15 beste „Verhütungsmittel“, denn sie wirkt über 15 bis unter 20 unterschiedliche Kanäle auf die Lebensver- 20 bis unter 30 hältnisse der Menschen und damit auch auf 30 bis unter 40 die Kinderzahlen ein. Gebildete Menschen 40 bis unter 50 leben in der Regel gesünder und haben es 50 und mehr leichter, ein auskömmliches Einkommen zu keine Daten erzielen. Im Alter sind sie deshalb weniger auf ihre Kinder als Versorger angewiesen.33 (Datengrundlage: Wittgenstein Centre39) Wenn Eltern selbst eine Schule besucht ha- ben legen sie zudem mehr Wert darauf, dass Wo Sekundarschulbildung ihre Kinder ebenfalls eine gute Ausbildung ein Privileg bleibt erhalten. Auch weil damit höhere Kosten ver- bunden sind, entscheiden sich Eltern häufiger In vielen Ländern Afrikas ist eine gute Schulausbildung keine für weniger Nachwuchs.34 Selbstverständlichkeit. Zwar werden heute etwa 80 Prozent der Kinder eingeschult, allerdings verlassen viele die Schule vorzeitig wieder und nur wenige besuchen eine weiterführende Für sinkende Geburtenziffern spielt vor allem Schule. In 26 von 54 Staaten besitzt weniger als ein Viertel die Bildung von Frauen eine wichtige Rolle – der Bevölkerung eine Sekundarbildung. Gerade diese hat aber und das aus mehreren Gründen: Erstens steigt nachweislich einen großen Einfluss auf den Rückgang der mit dem Bildungsstand der Mütter die Über- Geburtenziffern. lebenswahrscheinlichkeit von Kleinkindern, da gebildete Frauen besser über Hygiene, gesunde Ernährung und Impfungen infor- Einkommensmöglichkeiten und Wenn mehr Menschen ein sicheres Einkom- miert sind.35 Zweitens heiraten Frauen später wachsender Wohlstand men erzielen und produktiv arbeiten, bringt und werden später Mütter, je länger sie eine das nicht nur bessere Lebensbedingungen Schule besuchen. Durch Bildung ergeben sich Die Kinderzahlen sinken immer dort, wo für jeden Einzelnen mit sich, sondern auch für sie drittens individuellere Lebensperspek- sich die Lebensbedingungen der Menschen mehr Handlungsoptionen für den Staat. Eine tiven, die über die Rolle als Mutter hinausge- verbessern. Neben einer besseren Ge- wachsende Volkswirtschaft spült Geld in die hen.36 All das trägt dazu bei, dass sich Frauen sundheitsversorgung und einem höheren Staatskassen, das in den Ausbau der Ge- mit Sekundarbildung in Afrika im Schnitt Bildungsniveau sind dafür auch die Einkom- sundheits- und Bildungsinfrastruktur und in etwa zwei Kinder weniger wünschen und die- mensmöglichkeiten entscheidend. Denn erst, den Aufbau eines Rentensystems investiert sen Wunsch auch besser umsetzen können.37 wenn Menschen nicht mehr von der Hand in werden kann. Soziale Sicherungssysteme Mit dem Bildungsstand der Frauen sinkt des- den Mund leben müssen und der Subsistenz können dann die Rolle der Kinder für die halb in der Regel auch die Geburtenziffer. Am falle entkommen können, beginnen sie ihr Altersversorgung übernehmen. Ökonomen größten ist dieser Effekt, wenn sie nach der eigenes Leben zu planen und anders über haben untersucht, welchen Einfluss staatliche Grundschule auch eine weiterführende Schu- die Familiengröße nachzudenken.40 Um ein Sicherungssysteme wie die Rente auf die Ge- le besucht haben: So bekommen Frauen mit Absinken der Fertilitätsraten in Afrika zu burtenziffern in Europa und den Vereinigten Sekundarschulbildung in Kenia und Äthiopien erreichen, ist es deshalb dringend notwendig Staaten hatte: Die Erhöhung der staatlichen weniger als halb so viel Nachwuchs, wie jene, formale und produktivere Arbeitsplätze in Sozialleistungen um zehn Prozent des Brutto die nie eine Schule besucht haben.38 39 der Industrie und im Dienstleistungssektor zu inlandsprodukts ging dort mit einer Reduzie- schaffen. Bislang arbeitet über die Hälfte – in rung der Fertilitätsraten zwischen 0,7 und den wenig entwickelten Ländern sogar rund 1,6 Kindern je Frau einher.42 43 70 Prozent – der afrikanischen Bevölkerung in der kleinbäuerlich geprägten Landwirt- schaft, die meist wenig produktiv ist und für die junge Generation keine attraktiven Zukunftsaussichten bietet.41 12 Afrikas demografische Vorreiter
Anteil der Bevölkerung unter der Armuts Gesellschaftliche Normen grenze (1,90 US-Dollar/Tag) in Prozent, und Traditionen 2007 bis 2017, jeweils letztes verfügbares Jahr Die meisten afrikanischen Gesellschaften sind unter 10 sehr traditionell geprägt, insbesondere auf 10 bis unter 25 dem Land, wo im Schnitt über die Hälfte der 25 bis unter 40 afrikanischen Bevölkerung lebt.48 Hier nehmen 40 bis unter 55 die (Groß-)Familie und die Dorfgemeinschaft 55 bis unter 70 als soziales Sicherungsnetz einen wichtigen 70 und mehr Stellenwert ein – nicht zuletzt, weil es an keine Daten staatlichen Sicherungsprogrammen mangelt. Jung zu heiraten und möglichst früh Kinder zu (Datengrundlage: Weltbank43) bekommen ist hier vor allem für Mädchen aus armen Familien oft eine notwendige soziale Wo die Menschen am ärmsten sind Absicherung. Ihre zentrale Lebensaufgabe wird dabei meist auf Mutterschaft und die In vielen afrikanischen Staaten muss ein großer Teil der Bevöl- Geburt eines männlichen Erben reduziert.49 kerung mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. In der Demokratischen Republik Kongo und Madagaskar trifft das auf acht von zehn Menschen zu. Wo Armut die Entwicklungs- Zudem sind Afrikas Gesellschaften – bei aller chancen hemmt und es keine staatlichen Sicherungssysteme Diversität – nahezu überall sehr religiös. gibt, bekommen Eltern meist viel Nachwuchs, in der Hoffnung Kinderreichtum wird hier oft als erstrebens- im Alter abgesichert zu sein. wert gesehen. Selbst bei der jungen Gene- ration verbleiben die Wunschkinderzahlen auf einem vergleichsweise hohen Niveau. So Gleichberechtigung der Geschlechter Welchen Status Frauen in der Gesellschaft wünschen sich Afrikanerinnen im Schnitt rund einnehmen, ob sie einen gleichberechtigten zwei Kinder mehr als Frauen in anderen Ent- Fast überall in Afrika wünschen sich Frauen Zugang zu Bildung und dem Arbeitsmarkt wicklungsländern, bei den Männern sind es weniger Kinder als Männer. Am größten sind haben und als Führungspersonen eine Vor- sogar fast drei Kinder mehr. Selbst Frauen mit die Unterschiede in den Ländern der Sahel- bildfunktion für die heranwachsende Gene- Sekundarschulbildung wünschen sich in Afrika region. Hier wünschen sich Frauen zwischen ration junger Mädchen einnehmen, bestimmt im Schnitt ein Kind mehr als anderswo.50 51 ein und zwei Kinder weniger als Männer, in deshalb mit darüber, wie rasch sich ein Ferti- Tschad sind es sogar drei.44 Dass die Kinder litätsrückgang vollzieht.47 zahlen gerade dort so hoch sind, liegt – neben den geringen Bildungswerten – auch daran, dass Frauen wenig Mitspracherecht in Wo Frauen besonders benachteiligt sind der Familie besitzen.45 Nahezu überall in Afrika wünschen sich Frauen we- Wo es Frauen an Gleichberechtigung man- niger Nachwuchs als ihre Partner, doch die Entschei- gelt, bekommen sie tendenziell mehr Nach- dung über die Zahl der Kinder liegt häufig in den Händen der Männer. In Sachen Gleichberechtigung wuchs. Können sie sich dagegen gegenüber gibt es große Unterschiede auf dem Kontinent, wie Gender Inequality ihren Männern und der Familie durchsetzen ein Blick auf den Gender Inequality Index der Ver- Index, 2017 – etwa, weil sie besser gebildet sind und zum einten Nationen zeigt. Dieser bewertet die Diskri- unter 0,40 Familieneinkommen beitragen – sinken er- minierung von Frauen in den Bereichen Gesundheit, 0,40 bis unter 0,50 fahrungsgemäß auch die Kinderzahlen.46 Bildung, Erwerbsbeteiligung und politische Mit 0,50 bis unter 0,55 sprache. Dabei stellt „0“ absolute Gleichberechti- gung und „1“ die höchste Ungleichheit zwischen den 0,55 bis unter 0,60 Geschlechtern dar. 0,60 bis unter 0,65 0,65 und mehr keine Daten (Datengrundlage: UNDP47) Berlin-Institut 13
Wo der Kinderwunsch hoch ist All das trägt dazu bei, dass sich Frauen wie Familienplanung Männer in den Städten deutlich weniger Kin- Vielerorts in Afrika wird Kinderreichtum nicht als der wünschen. Die höheren Lebenskosten in Die oben beschriebenen Faktoren beeinflus- Belastung und Kostenfaktor gesehen, sondern viel der Stadt machen diesen Wunsch allerdings sen, wie viele Kinder sich Frauen und Männer mehr als ein Segen. Vor allem afrikanische Männer wünschen sich viele Kinder, im Schnitt fast doppelt so häufig auch zu einer Notwendigkeit. Denn in wünschen und wirken damit indirekt auf viele wie Männer in anderen Entwicklungsländern. der Stadt, wo Wohnraum und Nahrungsmittel die Geburtenziffern. Ob die Menschen den teurer sind, bedeutet jedes zusätzliche Kind möglichen Wunsch, ihre Familiengröße zu vor allem mehr Kosten, während Kinder auf begrenzen, auch in die Tat umsetzen können, dem Land als Arbeitskräfte oft einen öko- hängt aber schlussendlich von ihrem Wissen nomischen Mehrwert darstellen. Die Gebur- über und dem Zugang zu Verhütungsme- tenziffern liegen deshalb in Städten deutlich thoden ab. Nur wenn Menschen über den niedriger ist als in ländlichen Regionen. In Umgang und den Nutzen von Kontrazeptiva Äthiopien, Angola und Sambia bekommen aufgeklärt sind und auch freien Zugriff darauf Frauen, die in der Stadt leben, fast drei Kin- haben, können sie darüber entscheiden, wie der weniger als jene auf dem Land.54 55 viele Kinder sie möchten und in welchem Abstand diese zur Welt kommen sollen. Durchschnitt- liche Wunschkinder zahl unter Männern, Wo Menschen in der Stadt leben Wenn es um die Aufklärung und die Bereit 2000 bis 2017, stellung von Verhütungsmitteln geht, hinken jeweils letztes In den Städten liegen die Kinderzahlen überall in viele afrikanische Länder allerdings hinter Afrika niedriger als auf dem Land, denn dort ist verfügbares Jahr der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, Bildung, her: In Tschad, der Zentralafrikanischen unter 3,5 Arbeitsplätzen und nicht zuletzt Verhütungsmetho- Republik und Mauretanien kennt etwa jede 3,5 bis unter 4,5 den deutlich einfacher. Allerdings lebt in über 30 dritte Frau keine einzige moderne Verhü- Staaten Afrikas mehr als die Hälfte der Menschen auf tungsmethode.56 Sorgen über mögliche 4,5 bis unter 5,5 dem Land. Um einen raschen Fertilitätsrückgang zu Nebenwirkungen sind noch immer verbreitet, 5,5 bis unter 6,5 erreichen, gilt es vor allem dort die Basisversorgung auch bei jungen Menschen.57 Die Nutzungs- 6,5 bis unter 7,5 zu verbessern. rate moderner Verhütungsmittel ist im Ver- 7,5 und mehr gleich zu anderen Weltregionen demenspre- keine Daten chend niedrig: In Süd- und Ostafrika nutzt im (Datengrundlage: DHS51) Schnitt nur jede fünfte Frau zwischen 15 und 49 Jahren eine moderne Verhütungsmethode, in West- und Zentralafrika nur jede zehnte.58 Urbanisierung Das liegt auch am mangelnden Zugang zu Verhütungsmitteln: Laut einer Studie des Afrikas Städte wachsen im Schnitt jährlich US-amerikanischen Guttmacher-Instituts hat um etwa 3,5 Prozent.52 Was stadtplanerisch etwa die Hälfte der Frauen in Afrika, die eine eine Herausforderung bedeutet, kann für den Schwangerschaft vermeiden wollen, keinen Anteil der urbanen demografischen Wandel eine Chance darstel- Bevölkerung an der Zugang zu modernen Verhütungsmethoden.59 60 61 len. Denn in den Städten haben Menschen Gesamtbevölkerung, leichter Zugang zu Gesundheitsdiensten, zu in Prozent, 2018 Bildung, zu Arbeitsplätzen und nicht zuletzt unter 25 auch zu Mitteln zur Familienplanung. Da 25 bis unter 35 Frauen in den Städten häufiger einer Beschäf- 35 bis unter 45 tigung nachgehen und sich neue Rollen- und 45 bis unter 60 Familienbilder schneller durchsetzen, ist es 60 bis unter 70 hier auch um die Gleichberechtigung meist 70 und mehr besser gestellt als in ländlichen Regionen.53 keine Daten (Datengrundlage: UNDESA55) 14 Afrikas demografische Vorreiter
Wo die Familiengröße planbar ist Formal haben heute über 80 Prozent der Wo Regierungen sich für afrikanischen Staaten eine Bevölkerungspo- Familienplanung engagieren Längst nicht jede Frau, die gerne weniger Nachwuchs litik mit dem Ziel, die Kinderzahlen je Frau zu zur Welt bringen würde, kann diesen Wunsch auch Wie sehr sich Regierungen für Familienplanungspro- reduzieren und das Bevölkerungswachstum umsetzen, denn vielerorts ist der Zugang zu Verhü- gramme engagieren, lässt sich nicht an einer einzel- tungsmethoden schwierig. Während in Kenia, Marok- zu bremsen.62 Doch bei der Umsetzung ha- nen Zahl festmachen. Der Family Planning Program ko und einigen anderen Ländern über die Hälfte der pert es vielerorts. Bevölkerungswachstum Effort Index bewertet deshalb anhand von 30 Indi- Frauen moderne Kontrazeptiva nutzen, tut dies im und Familienplanungsprogramme standen katoren die Stärke nationaler Programme, die rück- Südsudan oder in Eritrea nicht einmal jede Zehnte – bislang selten im Mittelpunkt des politischen läufige Kinderzahlen erreichen wollen: Wie ist der meist, weil diese schlichtweg nicht verfügbar sind.61 Denkens in Afrika, meist hatten andere The- politische Rahmen des Programms, wie verläuft seine men Vorrang. Auch auf internationaler Ebene Umsetzung? Wird der Zugang zu und die Nutzung von wird das Thema seit Jahrzehnten mit Samt- Verhütungsmethoden dadurch tatsächlich verbessert und funktioniert deren Bereitstellung? In dem Index handschuhen angefasst. Zu groß sind die schneiden die afrikanischen Länder unterschiedlich Vorbehalte, sich von außen in sensible The- gut ab: Während Ruanda, Tunesien oder Marokko men wie Sexualität und Reproduktion einzu- sich mit asiatischen Staaten messen können, die auf mischen. Hinzu kommt, dass die Sichtweisen diesem Feld bereits große Fortschritte erzielt haben, afrikanischer Politiker häufig von kulturellen sind andere Länder Afrikas weit abgeschlagen. Normen geprägt sind, die viele Kinder als erstrebenswertes Lebensziel auffassen. Eine Anteil verheirate- große und wachsende Bevölkerung sehen ter Frauen im Alter viele Machthaber als wirtschaftlichen und zwischen 15 und 49 geopolitischen Vorteil, eine Auffassung, die Jahren, die moderne früher in fast allen Ländern der Welt verbrei- Mittel zur Familien- planung nutzen, tet war.63 in Prozent, 2018 unter 15 Derartige Einschätzungen führen dazu, dass 15 bis unter 20 die Theorie der demografischen Dividende, Family Planning auf die Afrika dringend angewiesen wäre Program Effort 20 bis unter 25 und deren großen Nutzen die Weltbank Index, 2014 25 bis unter 35 2015 in einer Studie dargestellt hat, von den unter 40 35 bis unter 55 Verantwortlichen auf dem Kontinent häufig 40 bis unter 45 55 und mehr fehlerhaft interpretiert wird.64 Denn vieler- 45 bis unter 50 keine Daten orts herrscht die Vorstellung, eine große, 50 bis unter 55 (Datengrundlage: PRB60) junge Bevölkerung alleine sei der Garant 55 bis unter 60 für einen wirtschaftlichen Aufschwung.65 60 und mehr Dass ein Rückgang der Kinderzahlen und keine Daten Der politische Wille zur Veränderung kleiner werdende Nachwuchsjahrgänge die Grundvoraussetzung für einen demografie- (Datengrundlage: Avenir Health66) Wann und wie schnell die Kinderzahlen in bedingten Wirtschaftsaufschwung sind, wird einem Land zurückgehen, hängt auch davon dabei gerne außen vor gelassen. ab, wie sich die jeweiligen Regierungen dafür einsetzen. Dazu gehören einerseits indirekte Damit sich die Sichtweise auf die Bevölke- Maßnahmen, wie Bemühungen das Gesund- rungsdynamik verändert, bedarf es daher heits- und Bildungssystem auszubauen und einer nüchternen Analyse, einer Anerkennung Arbeitsplätze zu schaffen. Aber auch direkt wissenschaftlich belegbarer Zusammenhänge wirkende Projekte, in denen die Regierungen sowie einem Umdenken auf den politischen offen für Aufklärung und Familienplanung Ebenen in den afrikanischen Staaten und werben, sowie nationale Programme, die das in der internationalen Zusammenarbeit mit Verständnis und das Bewusstsein der Be- diesen Ländern.66 völkerung für die Vorteile kleinerer Familien stärken sollen, sind zentral. Berlin-Institut 15
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