Energie und Rohstoffe aus Abwasser - CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien Online-Veranstaltung Donnerstag, 27. Mai 2021 Prof. Dr.-Ing. habil ...
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6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien Energie und Rohstoffe aus Abwasser Online-Veranstaltung Donnerstag, 27. Mai 2021 Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Wiese Email: juergen.wiese@h2.de Mobil: 0151-62461999 URL: h2.de/abwassergruppe
Gliederung 1. Einleitung 2. Energiegewinnung 3. Düngeproduktion 4. Sonstige Wertstoffe 5. Zusammenfassung und Ausblick J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 2
Kläranlage Frankfurt am Main (140.000 EW) „[…] legt den Gedanken nahe, zur Abscheidung solche Stoffe zu verwenden, welche nicht nur für die Klärung, sondern auch für die Düngung wirksam sind; das Klärbecken somit gleichzeitig […] in eine Düngerfabrik zu verwandeln.[…]“ Zitate von Lepsius [1890] „[…] ein Niederschlag von Magnesium Ammoniumphosphat gebildet […] H3PO4 + MgCl + 3 NH4OH → NH4MgPO4 + 2 NH4Cl + 3 H2O“ Bild: Mechanische Kläranlage der Stadt Frankfurt am Main (Baujahr: 1887) (Bildquelle: Hessisches Landesamt für Denkmalpflege) J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 4
Kläranlage Elbing (1909, 62.000 EW) Hinweis: Das bei der thermo-chemischen Schlammbehandlung produzierte Synthese- gas wurde vor Ort in Strom umgewandelt. Da das Energie- potential aber erheblich höher war, war die Ein- speisung von Synthese- gas in das Gasnetz von Elbing geplant; wegen des 1. Weltkriegs wurde dies aber nicht mehr umgesetzt. Bild: Zwei Gasmotoren zur Stromerzeugung (je 74 kW) auf der Kläranlage Elbing (Bildquelle: Salomon [1911]) J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 5
Recyclingansätze auf englischen (Industrie)-Kläranlagen „[…] Immerhin sind die zahlreichen Fälle in England durch die Rückgewinnung von Abfallstoffen wenn auch keine unmittelbaren Gewinne erzielt, so doch die Fabrikkläranlagen ganz oder teilweise wieder wettgemacht worden. […]“ Zitat aus Schmidtmann und Günther [1909] Beispiele: ▪ Fettrückgewinnung (z. B. durch Destillationsverfahren) ▪ Rückgewinnung von Papier- und Zellstofffasern ▪ Verbundstandort: Kläranlage liefert ammoniakhaltiges Abwasser aus der Schlammbehandlung zur Stadtgas-Reinigung → Gasanstalt liefert schwefelhaltige Eisenverbindungen an Chemiefabrik → Chemie- fabrik produziert Schwefelsäure und liefert Fällmittel an Kläranlage ▪ Kläranlagen werden mit Recyclingstoffen errichtet J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 6
Warum wurden diese Innovationen nicht weiterverfolgt? ▪ Der I. Weltkrieg hat zu Rückschritten geführt. → Trotz der Corona-Krise haben wir heute viel bessere Rahmenbedingungen! ▪ Fossile Energie war zu billig. → Das ist heute nicht mehr der Fall. ▪ Mit dem Haber-Bosch-Verfahren (1908) wurde der Mangel an Stickstoffdünger beseitigt. → Heute sehen wir die Ammoniak- synthese aufgrund des hohen Energieverbrauchs kritischer. ▪ Viele Ressourcen waren reichlich vorhanden. → Heute ist das Ende mancher Ressourcen absehbar (z. B. Phosphor)! ▪ Viele Verfahren waren ihrer Zeit voraus und die technischen Probleme konnten nicht gelöst werden. → Wir haben in vielen Bereichen erhebliche Fortschritte gemacht. J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 7
Die Energiewende ist bisher eine reine Stromwende Bild: Entwicklung Erneuerbarer Energien in Deutschland (Stand 02/2021) (Bildquelle: Umweltbundesamt) J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 9
Abwasserwärmenutzung ▪ Die Wärme, die im Abwasser enthalten ist, kann mittels Wärme- tauschern und Wärmepumpen genutzt werden. ▪ Hamann [2015] beziffert das Wärmepotenzial aus Abwasserwärme auf fast 30 TWh/a; dies entspricht ca. 5 % des Wärmebedarfs im bundesdeutschen Wohnungsbereich. ▪ Auch bei gewerblich-industriellen Abwässern gibt es große Potentiale. J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 10
Beispiel: Speicherstraße (Frankfurt am Main) Hinweis: Die Strom- erzeugung des 74-Einheiten-Wohnhauses erfolgt über ein Solar- zellendach mit Batterie- speicherung, das Wärmekonzept basiert auf der Abwasser- wärmenutzung (95 kWth) (Datenquelle: ABG Frankfurt Holding [2018]). Bild: Aktiv-Stadthaus Speicherstraße (Bildquelle: ABG Frankfurt Holding [2018]) J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 11
Co-Vergärung auf Kläranlagen ▪ Die Co-Vergärung von energiereichen Bioabfällen auf anaerob stabilisierenden Kläranlagen kann ein wesentlicher Schritt zur EnergiePlus-Kläranlage sein. ▪ Beispiel: Die Stromproduktion aus Rohschlamm beträgt nur etwa 50 kWh/Mg FM; die Stromproduktion aus Speiseresten hingegen etwa 180 kWh/Mg FM. ▪ Aber: Einige Projekte wurden mangelhaft umgesetzt, sodass die Co-Vergärung in Deutschland in Verruf geraten ist. ▪ Abhilfe: Das neue DWA-Merkblatt M 380 „Co-Vergärung“ [2020] gibt wichtige rechtliche, technische und organisatorische Hinweise. J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 12
Erdgasproduktion aus biogenen Gasen ▪ Bisher nutzen wir Klärgase meist zur Strom- und Wärmeproduktion in Kraft- Wärme-Kopplungsanlagen. → Energetisch ist dies nicht optimal. ▪ Einsatzmöglichkeiten für Bio-Erdgas: • Kraftstoff • Energiespeicherung Bild: Druckwechseladsorption zur BioErdgas- Produktion auf einer Bioabfallanlage • Energieerzeugung • Rohstoff für Hinweis: BioErdgas-Anlagen gibt es mittler- weile u.a. auf den Kläranlagen in Bottrop Chemieindustrie und Hamburg. J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 13
Abschnitt 3 Düngeproduktion
Beispiel: Berliner Wasserbetriebe (GreenTec Award 2015) Bild: Berliner Pflanze – ein Dünger, der durch MAP-Fällung auf dem Klärwerk Waßmannsdorf gewonnen wird (5 % Stickstoff, 23 % Phosphat (P2O5) und 12 % Magnesiumoxid) (Bildquelle: Wiese) J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 15
Beispiel: Phosphatrückgewinnung Struvitfällung (MAP): Hinweis: Es gibt ca. 80 Verfahren Mg2+ + NH4+ + PO43- + 6 H2O weltweit. Die „einfachen“ Ansätze → MgNH4PO4 · 6 H2O genügen oft nicht den Vorgaben der Klärschlammverordnung, da 2 die Rückgewinnungsquote auf kommunalen Kläranlagen meist (knapp) unter 50 % liegt. 1 Bild: MAP-Reaktor (1) zur Gewinnung von MAP aus Zentratwasser 3 mittels einer Magnesiumhydroxid- lösung auf der Kläranlage Brisbane (2 = MgO-Lagerbehälter, 3 = Anmischbehälter für Mg(OH)2- Lösung) (Bildquelle: Wiese) J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 16
Beispiel: Düngeproduktion auf einer Molkereikläranlage Kalium anorganische Chlorid (Dünger) Abwässer Puffer- Puffer- Energie Kationen- Puffer- Elektro- behälter 5 behälter 4 austauscher behälter 1.1 dialyse Gasreini- (Konzentrat) (Flotat) gung, BHKW Biogas Anionen- Puffer- Puffer- Anaerob- Flotation reaktor austauscher behälter 1.2 wahlweise behälter 2 Elektrodialyse oder Puffer- behälter 2 Käserei Trockenwerk Umkehr- Puffer- MAP MAP-Fällung osmose behälter 1.3 organische (Dünger) Abwässer Puffer- SBR- behälter 3 Kläranlage (Schlamm) sauberes Abwasser Bild: Konzept einer modernen Molkerei-Kläranlage (modifiziert nach Wenzel [2014]) J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 17
Abschnitt 4 Sonstige Wertstoffe
Beispiel: Mikroalgenproduktion ▪ Mikroalgen haben einige Vorteile: • CO2-Bindekapazität • Hohe Biomasseerträge ▪ Die Fa. AgrarEnergie Hauneck-Bodes be- treibt eine NawaRo-Biogasanlage (250 kWel). Bilder: Biogasanlage (oben) ▪ Als Wärmenutzung und CO2-Senke mit Algenbecken (unten) dient eine Algenzuchtanlage (2.000 m2) (Bildquellen: Wiese / der Fa. Algenland, einer Ausgründung Algenland) der Universität Gießen. ▪ Mikroalgen benötigen zum Wachstum: • Licht → Sonne • CO2 und Wärme → Biogas oder Klärgas • Wasser und Nährstoffe → aus Abwasser? J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 19
Beispiel: Mikroalgenproduktion aus Abwasser ▪ Tatsächlich arbeiten Firmen an der Entwicklung derartiger Ansätze für Abwasser. ▪ So hat die Fa. LimnoSun GmbH einen Pilot-Röhrenreaktor ent- wickelt, in dem die Mikroalgen Biogasanlage (oben) mit „Scenedesmus“ und „Ulothrix“ Algenbecken (unten) gezüchtet werden. (Bildquellen: Autor / Algenland) ▪ Ziel ist neben der Rückhaltung von Nährstoffen aus dem Bild: Pilot-Röhrenanlage der Fa. LimnoSun Abwasser auch die Produktion (Bildquelle: Wunder et al. [2015]) von Biomasse für die Vergärung. J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 20
Beispiel: Biokunststoffproduktion aus Abwasser ▪ Durch die Kombination eines anaeroben Hydrolyse-/Essigsäurereaktors mit einem aeroben Reaktor kann man Polyhydroxyalkanoate (PHA) erzeugen; d.h. thermoplastischen Polyester. ▪ Hierfür eignen sich z. B. industrielle Abwässer, die ein Überangebot von Kohlenstoffverbindungen und einen Mangel an Nährstoffen aufweisen: • Brauereiabwässer (Mato et al. [2008]) • Papier- und Zellstofffabrikabwässer (Pozo et al. [2011]) • Zuckerrohrmelasse (Bengstsson et al. [2008]) Bild: PHA-Einlagerungen im Zytoplasma von E-Coli-Bakt- erien (Bildquelle: http://polymerinnovationblog.com) J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 21
… und viele weitere Möglichkeiten! J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 22
Abschnitt 5 Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassung ▪ Schon seit über 100 Jahren ist bekannt, dass Abwasser und die Reststoffe aus der Abwasserbehandlung potentielle Energie- und Rohstoffquellen sind. → Dieses Potential wurde aber aus den verschiedensten Gründen bisher kaum genutzt. ▪ Die Bedingungen für die Erschließung dieser Potentiale sind heute so günstig wie nie zuvor, sodass wir eine zweite Chance bekommen! ▪ Aber: Trotz aller Fortschritte sollten wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und • nicht zu viel auf einmal wollen. • die Komplexität nicht unterschätzen (Negativbeispiel: Co-Vergärung). • uns vor Over-Engineering hüten. • über Synergieeffekte nachdenken (z.B. Verbundstandorte). • die Betroffenen – v.a. die Kläranlagenbetreiber – nicht vergessen. J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 24
Gefördert durch Ausblick: PIRAT-Systems Förderkennzeichen 02WCL1469A-J Weitestgehende Chinesische Partner (Auswahl): Nährstoff- Tongji Universität, Shanghai Stickstoff Phosphor China Agricultural University, Beijing elimination China Everbright Water, Shenzhen Deutsche Partner: Energie- Co-Vergärung TU Kaiserslautern Umstellung Energie- bilanz auf Schlamm- von HS Magdeburg-Stendal verbrauch verbessern faulung senken Bioabfällen HS Emden-Leer DGFZ e.V., Dresden Hochschule Emden-Leer Universität Hohenheim LUG Engineering GmbH Ressourcen- Bio-Erdgas- MAP- UMTEC Silo- und gewinnung Produktion Dünger Schüttgutengineering GmbH BHU Umwelt GmbH Thorsis Technologies GmbH SF-Soepenberg GmbH J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 25
Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis (1) ABG Frankfurt Holding [2018]: Seit über 15 Jahren erfolgreich mit Passivhäusern im großen Maßstab, Foliensatz, Herbstforum Altbau 2018 am 21.11.2018 in Stuttgart, URL: https://www.zukunftaltbau.de/fileadmin/user_upload/Veranstaltungen/Herbsforum_Altbau_2018/Vortraege _zum_Download/10_JUNKER_ABS_Seit_ueber_15_Jahren_erfolgreich_mit_Passivhaeusern_im_grosse _Massstab_final-compressed.pdf (zuletzt abgerufen am 21.04.2020) Bengtsson et al. [2008]: Bengtsson S., Pisco A.R., Werker A., Reis M. A. M. und Lemos P. C., Polyhydroxyalkanoates production from molasses by glycogen accumulating organisms, Poster Presentation, Proceedings of 4th IWA Specialised Conference on Sequencing Batch Reactor Technology, S. 5-8, 7-10 April 2008, S. Michele a Ripa, Rom, Italien Gäth S. [2011]: Das Projekt „Biogasanlage Hauneck-Bodes mit angegliederter Algenzuchtanlage“, Präsentation, Januar 2011 Lepsius B. [1890]: Chemische Untersuchungen über die Reinigung der Sielwasser in Frankfurter Klärbecken sowie über die Zusammensetzung des Klärbeckenschlamms, im Jahresbericht des Physikalischen Vereins zu Frankfurt am Main für das Rechnungs-jahr 1888-1889, S. 61-85, C. Naumann‘s Druckerei, Frankfurt am Main Mato et al. [2008]: PHA production using brewery wastewater, Platform Presentation, Proceedings of 4th IWA Specialised Conference on Sequencing Batch Reactor Technology, S. 59-66, Rom, Italien Pozo et al. [2011]: Polyhydroxyalkanoates biosynthesis from kraft mill wastewaters: biomass origin and C:N relationship influence, S. 449-455, Vol. 63, No. 3, 2011, ISSN 0273-1223, Water Science and Technology, IWA Publishing, London, UK J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 27
Literaturverzeichnis (2) Putz [2009]: Mikroalgen als Energieträger der Zukunft, Biotechnologische Energieumwandlung – Gegenwärtige Situation, Chancen und zukünftiger Forschungsbedarf, Bley T. (Hrsg.), S. 87 – 95, ISBN: 978-3-642-01114-6, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg, Deutschland Wunder K., Sierig S. und Holm N.C. [2015]: Kombination mit Zukunft: Massenalgenkultur und Abwasser- reinigung, S. 26 bis 29, Modernisierungsreport 2015/2016 der Zeitschrift wasserwirtschaft/ abwassertechnik (wwt/awt), huss Medien GmbH, Berlin, Deutschland Salomon H. [1911]: Die städtische Abwasserbeseitigung in Deutschland, Ergänzungsband, Gustav Fischer Verlag, Jena, Deutschland Schmidtmann A. und Günther C. (Hrsg.) [1909]: Mitteilungen aus der Königlichen Prüfanstalt für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu Berlin, Heft 11, Verlag von August Hirschwald, Berlin, Deutschland Wenzel [2016]: Nachhaltige Phosphorelimination am Beispiel der IAR Hünfeld, Münchner Abwassertage 2006, Tagungsband, Hach GmbH, Düsseldorf, Deutschland J. Wiese 6. CIO-Arbeitskreis Wassertechnologien, 27. Mai 2021 28
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