Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
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Engagement in Sachsen Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht Jana Priemer, Holger Krimmer, Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl, Rudolph Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt
Engagement in Sachsen Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht Jana Priemer, Holger Krimmer, Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl, Rudolph Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt 3
Inhalt Einleitung Roland Löffler, Friedemann Brause 7 Teil 1: Vereine in Sachsen: Herausforderungen und Chancen Ergebnisse aus dem ziviz-Survey 2017 Jana Priemer, Holger Krimmer 15 Einführung 17 Organisationslandschaft in Sachsen 18 Viele Vereine in ländlichen Regionen 19 Eine junge Vereinslandschaft 20 Viele kleine Vereine 20 Besonders wenige Mitglieder in ländlichen Vereinen 21 Traditionelle Themen dominieren 22 Angebote für verschiedenste Personengruppen 24 Allgemeines Rollenverständnis 25 Engagement: das Fundament 27 Stabile Engagiertenzahlen 28 Ehrenamtliche Funktionsträger sind schwer zu finden 29 Viel Arbeit auf wenigen Schultern 29 Mitglieder und Engagierte bleiben unter sich 30 Wer die Engagierten sind 30 Bürokratie hemmt Engagement 31 Ohne finanzielle Mittel geht es nicht 32 Mitgliedsbeiträge als wichtigste Geldquelle 34 Meist ist nur wenig Geld vorhanden 34 Auf dem Land meist noch weniger Geld 36 Sachleistungen und ähnliche Unterstützungen sind wichtig 36 Kooperation und Vernetzung sind ausbaufähig 37 Zusammenfassung: Vereine in Sachsen – anders als der Bundesdurchschnitt? 38 Datenbasis 40 Grundgesamtheit: Was untersucht wurde 40 Stichprobe: Wie viele Organisationen angeschrieben wurden 40 4
Teil 2: Organisiertes Engagement in Sachsen Eine explorative qualitative Studie Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl, Rudolf Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt 43 Fragestellung und Anlage der qualitativen Studie 44 Engagementvorstellungen in Sachsen 46 Kurzgefasst 46 Begriffe und Begriffswelten 48 Ehrenamtliches Engagement im staatlichen Auftrag 49 Ehrenamtliches Engagement in der kommunalen Daseinsvorsorge 50 Ehrenamtliches Engagement „aus der Gesellschaft heraus“ 50 Entwicklungen in Organisationen ehrenamtlichen Engagements 54 Kurzgefasst 54 Aufgaben und Probleme 54 Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen Engagements in Sachsen 58 Kurzgefasst 58 Engagementförderung auf kommunaler Ebene 60 Leipzig – Stadt der Bürger/innen mit unausgeschöpftem Potenzial als „Bürgerstadt“ 60 Bautzen – polarisierte Gesellschaft auf der Suche nach sich selbst 64 Landpartie nach Reichenbach im Vogtland 70 Handlungsoptionen in der kommunalen Engagementförderung 72 Engagementförderung der sächsischen Staatsregierung 75 Förderprogramme 75 Handlungsfeldspezifische Förderungen 77 Politisch-ideelle Förderung: Anerkennung und Würdigung 80 Probleme und Entwicklungsmöglichkeiten 81 Auskömmliche Fördermittel? 81 Ohne Strategie? Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 84 Literatur und Onlinequellen 89 5
Einleitung Diese Studie betritt Neuland. Die Sächsische liegen der sächsischen Zivilgesellschaft.1 Sie Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) will damit zur Debatte über die Stärkung und präsentiert mit dieser Publikation erstmals ei- Fortentwicklung der Engagementpolitik im ne Übersicht über Gestalt, Organisationsgrade Freistaat und zur Stärkung des gesellschaft- und -formen sowie gesellschaftspolitische An- lichen Zusammenhalts beitragen. Begriffsdefinitionen die nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet Nach dem Selbstverständnis der Landeszentrale sind, die öffentlich beziehungsweise im öffentli- leistet politische Bildung einen Beitrag zur Stär- chen Raum stattfinden, die in der Regel gemein- kung und Stabilisierung der sächsischen Zivilge- schaftlich oder kooperativ ausgeübt werden, sellschaft, zumal wenn man Demokratie als eine den Charakter der Gemeinwohlorientierung und Gesellschaftsform versteht, die zivilgesellschaft- Freiwilligkeit besitzen. Wie die sächsischen En- liche Partizipation braucht. Zu wissen, wie es um gagementexpertinnen und -experten sich selbst die sächsische Zivilgesellschaft bestellt ist, gehört wahrnehmen, erläutert das zweite Kapitel dieser deshalb zu den ureigensten Interessen unseres Publikation. Hauses. Dabei sei klargestellt: Politische Bildung, vor allem wenn sie von einer öffentlichen Einrich- Die in Deutschland und auch in Sachsen über- tung wie der Landeszentrale betrieben wird, tritt aus vielfältige Zivilgesellschaft wird auf den nicht als Akteur in den Vordergrund. Die Landes- folgenden Seiten als „ein offener, positiv konno- zentrale versteht sich als Plattform des Dialogs, tierter Begriff mit verschiedenen Schattierungen Impulsgeberin für Debatten, Vermittlerin von […]“2 verstanden. Aus der angelsächsischen Informationen, Analysen, Forschung in die Praxis Tradition kommend, bezeichnet „civil society“ hinein, als Unterstützerin für Engagement. Sie be- „die Gesamtheit der öffentlichen Assoziationen, reitet das Feld, damit die (Zivil-) Gesellschaft auf Vereinigungen und Zusammenkünfte“3, die auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen kontro- dem freiwilligen Engagement der Bürger und vers über neue politische Optionen und Strategien Bürgerinnen beruhen. Zugleich wahrt die Zivilge- diskutieren kann. Diesen Weg ist die Landeszent- sellschaft die Unabhängigkeit von Staat und Wirt- rale in den letzten Jahren gegangen - und diesen schaft, aber auch von der Familie, gehört also Weg wird sie auch in Zukunft fortsetzen. zwingend zur Sphäre des Öffentlichen und nicht des Privaten. Nicht alle Forschende definieren Wenn es um Ehrenamt, freiwilliges oder bürger- Zivilgesellschaft jenseits dieser eher formalen schaftliches Engagement geht, so werden diese Beschreibung auch normativ. In Anlehnung an Begriffe als landläufig sinnverwandt verstanden den Berliner Soziologen Frank Adloff ist Zivilge- und begrifflich nicht immer genau unterschie- sellschaft „auf die Einhaltung der Menschenrech- den. Allerdings hat sich in Fachkreisen eine te angewiesen, also auf einen staatlichen Schutz Definition durchgesetzt, der wir auch hier folgen, der Meinungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit. die von der Enquete-Kommission des Deutschen In der Regel zählen außerdem bestimmte zivile Bundestags „Zukunft des Bürgerschaftlichen Verhaltensstandards wie Toleranz, Verständi- Engagements“ von 2002 entwickelt wurde. Enga- gung, Gewaltfreiheit, aber auch Gemeinsinn zur gement und Ehrenamt beschreiben Tätigkeiten, Zivilgesellschaft.“4 1 Für eine intensivere Auseinandersetzung mit Begriffsfragen sei verwiesen auf: Ansgar Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft, politische Hintergründe und demokratietheoretische Folgerungen, 2001; Frank Adloff, Zivilgesellschaft, Theorie und politische Praxis, 2005; Ludgera Vogt, Das Kapital der Bürger, Theorie und Praxis zivilgesellschaftlichen Engagements, 2010; Rupert Graf von Strachwitz, Achtung vor dem Bürger: Ein Plädoyer für die Stärkung der Zivilgesellschaft, 2014; Hubertus Buchstein, Bürgergesellschaft und Bürgerkompetenzen, Politische Bildung 33 (2000), S. 8 ff. 2 Christiane Metzner, Freiwilligenmanagement als Instrument zur Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements in Nonprofit-Organisationen, 2014, S. 81, im Internet abrufbar unter https://publishup.uni-potsdam.de/frontdoor/index/index/docId/6983 (10.3.2016). 3 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 8. 4 Adloff, Zivilgesellschaft, S. 8. 7
Einleitung Politische Bildung, Zivilgesellschaft, Engagementpolitik Zivilgesellschaft basiert also auf einem sehr was gesellschaftspolitische Foren und Dialoge, breiten Politikbegriff – und wird hier nicht allein Beteiligungsprozesse und Bürgerwerkstätten an- auf den Bereich der Demokratiearbeit, Demo- geht. Ob sich deshalb auch die politische Debat- kratieförderung oder Extremismusprävention tenkultur in Sachsen bereits verbessert hat oder beschränkt. In ähnlicher Weise unterliegt auch die gesellschaftliche Polarisierung bereits über- die politische Bildung einer gewissen Defini- wunden ist, darf im Moment bezweifelt werden. tionsbreite. Politische Bildung im Kontext der Erwachsenen- oder auch der Jugendbildung Diese Publikation soll deshalb zur Diskussion kann als non-formale Bildung bezeichnet wer- anregen, wie die sächsische Zivilgesellschaft sich den, ist sie doch ein zumeist freiwilliges Lernen selbst versteht, wie sie ihr gemeinwohlorientier- außerhalb der gängigen Bildungs- und Ausbil- tes Handeln weiterentwickeln will, welche Erwar- dungsgänge.5 tungen sie hat, um Öffentlichkeit mitzugestalten. Gerade ein noch intensiveres Wechselspiel zwi- Während die Beschreibungen von Zivilgesell- schen einem durch eine aktive Zivilgesellschaft schaft und Engagement auf gemeinwohlorien- geprägten vorparlamentarischen Raum, der poli- tierte Vergemeinschaftung abzielen, geht es bei tischen Bildung und der verfassten Politik dürfte der politischen Bildung stärker inhaltlich um die politische Kultur in Sachsen bereichern, hof- die Vermittlung und Reflektion historischer und fentlich versachlichen und beruhigen.7 aktueller Entwicklungen, das Erklären demo- kratischer Entscheidungsfindungsprozesse und Das alles spräche auch dafür, das Feld der En- zivilisierte Formen des Austragens politischer gagementpolitik in Sachsen intensiver zu bear- Kontroversen zwischen mündigen Staatsbürge- beiten. Dieses noch junge politische Arbeitsfeld, rinnen und Staatsbürgern in einer freiheitlichen das sich bundesweit seit etwa 20 Jahren in Poli- Demokratie. tik, Wissenschaft und organisiertem Engagement entwickelt, zielt auf eine stabile Zivilgesellschaft Die offensichtliche Nähe zwischen der Förderung ab. Engagementpolitik sieht in der strategischen einer Zivilgesellschaft und den Aufgaben der und konzeptionellen Fortentwicklung der Zivil- politischen Bildung in Sachsen wird viel zu selten gesellschaft ihre wesentliche Aufgabe:8 Das ge- gesehen. Gerade wegen dieser besonderen Posi- schieht in vielen Regionen durch die Gründung tion zwischen unterschiedlichen Sektoren der von engagementstärkenden und -vermittelnden Gesellschaft kann es der Zivilgesellschaft gelin- Institutionen, durch die Bereitstellung von staat- gen, zum integrierenden Faktor von Gesellschaft lichen oder privaten Fördermitteln sowie die zu werden und diese partizipativ weiterzuentwi- Ausgestaltung einer öffentlichen Anerkennungs- ckeln. Auch politische Bildung will entsprechend kultur, einer stärkeren Vernetzung, die Fortbil- ihres Selbstverständnisses als gesellschaftlicher dung der Engagierten. Eine Erwartung haben die Brückenbauer wirken. Mit diesem Ansatz können Ehrenamtlichen zur Förderung des Engagements unterschiedliche Entwicklungen angestoßen in Sachsen, so ein Ergebnis dieser Studie: Politik werden: beispielsweise in Richtung zu mehr di- sollte zügig für den Abbau von Bürokratie im rekter Demokratie, zu mehr Debattenfähigkeit im Gemeinnützigkeits- und Steuerrecht für Vereine, Vorfeld politischer Entscheidungen.6 Auf diesem Stiftungen und andere vergleichbare Einrichtun- Gebiet ist in Sachsen, das aktuell wahrscheinlich gen sorgen. Die vielfältigen Berichterstattungs- das „Debattenland Nummer eins in Deutschland“ und Dokumentationspflichten empfinden sehr ist, in den letzten Jahren sehr viel passiert, etwa viele Engagierte als hohe Belastung. 5 Politische Bildung im zivilgesellschaftlichen Kontext kann auch dem Feld des informellen Lernens zugeordnet werden, wenn Lern- und Bildungserfahrungen eher als Begleiterscheinung der alltäglichen Arbeit in den jeweiligen Vereinen und Organisationen stattfinden. 6 Vgl. Heinz Kleger, Rückkehr der Bürgergesellschaft?, Überlegungen zur Politischen Philosophie, in: Gerhardt (Hrsg.), Politisches Denken, Jahrbuch 1993, S.157 ff. 7 Vgl. zu weiterführenden Gedanken und zur Datenlage etwa Klaus-Peter Hufer, Stand und aktuelle Perspektiven der politischen Erwachsenenbildung im Freistaat Sachsen. Expertise zum Sächsischen Landesforum Weiterbildung 2016 „Politische Bildung stärken!“ am 20. September 2016 in Chemnitz (DAStietz) im Auftrag des Landesbeirats für Erwachsenbildung beim Sächsischen Staatsministerium für Kultus, Chemnitz 2016. 8 Mehr dazu in: Thomas Olk/Ansgar Klein/Birger Hartnuß (Hg.), Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe, Wiesbaden 2010. 8
Entwickelt sich Zivilgesellschaft – jenseits aller meisten sächsischen Vereine sind im ländlichen staatlichen Mittel und Maßnahmen – mit einem Raum angesiedelt und übernehmen regionale hohen Eigensinn weiter 9, braucht sie dafür Frei- Verantwortung. räume – sowohl in administrativer Hinsicht als auch mit Blick auf die kreative Ausgestaltung ihrer Dass noch mehr Menschen aktiv werden, ist auch Rolle in einem demokratischen Gemeinwesen. das politische Ziel der seit Ende 2019 amtie- renden Landesregierung aus CDU, Bündnis 90/ Die Engagementpolitik ist deshalb ein Politikfeld Die Grünen und SPD. Die Koalition misst dem mit Potenzial, auch wenn es in Sachsen bisher freiwilligen Engagement einen hohen Wert bei: eher nebenbei als explizit betrieben wird. Und „Wir stärken eine Kultur des Ermöglichens und doch: Die Förderung des freiwilligen Engage- fördern Engagement und das Ehrenamt in Ge- ments und der Zivilgesellschaft tritt zunehmend sellschaft und Vereinen. […] Diejenigen, die sich in den Fokus sächsischer Landes- und Kommu- für unser Gemeinwohl einsetzen, genießen unser nalpolitik. Schon seit 15 Jahren gibt es eine mo- besonderes Vertrauen und unseren Schutz.“11 natliche Aufwandsentschädigung für Ehrenamt- Mit zahlreichen Initiativen soll freiwilliges Enga- liche („Wir für Sachsen“). Seit 2005 unterstützt gement unterstützt werden, darunter der Aufbau das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für einer landesweiten Ehrenamtsagentur. Angekün- Demokratie und Toleranz“ zivilgesellschaftliche digt werden zudem neue Förderrichtlinien für Organisationen u. a. bei der „Stärkung demo- demokratische, soziale und kulturelle Orte sowie kratischer Werte in einer aktiven Bürgergesell- die unterschiedlichen Bürgerbeteiligungsvorha- schaft“. Seit 2018 regelt der neue Paragraph 47a ben, beispielsweise kommunale Bürgerbudgets. der Sächsischen Städte- und Gemeindeordnung, Bei Drucklegung dieser Publikation waren diese dass Jugendliche an Entscheidungen in der Vorhaben noch in der Entwicklung und konnten Kommunalpolitik beteiligt werden sollen. Das weder dargestellt noch wissenschaftlich analy- von der Staatsregierung jüngst eingeführte kom- siert werden. munale Ehrenamtsbudget ermöglicht es jedem Landkreis, jährlich 200.000 Euro zur Ehrenamts- Ob sich durch die Fülle an Einzelmaßnahmen förderung bereitzustellen. Allerdings geschieht und zukünftigen Vorhaben eine aktive Zivilgesell- dies bisher eher ad hoc, ortsspezifisch und ohne schaft in Sachsen weiterentwickeln kann bzw. landesweiten, konzeptionellen Überbau. Ob es wie die interviewten sächsischen Engagementex- nun allein an diesen finanziellen Unterstützungs- pertinnen und -experten die zumeist unverbun- leistungen oder sich verändernden gesellschaft- denen, verschiedenen, kommunalen oder lan- lichen Umständen liegt, dass sich Bürger und despolitischen Förderinstrumente wahrnehmen, Bürgerinnen engagieren: Erkennbar ist – etwa schlägt sich im zweiten Teils dieser Publikation im Freiwilligensurvey 2014 –, dass in Sachsen nieder. Dabei wird sich zeigen, als wie wirksam der Anteil der Engagierten in den vergangenen sich die bisherigen Instrumente und Verfahren zwanzig Jahren stetig angewachsen ist. Lag die aus Sicht der Interviewten erwiesen haben, Engagementquote 1999 noch bei 29,8 %, waren welche Erwartungen sie an Unterstützungsleis- es 2014 –mit einem erweiterten Engagement- tungen aus Stadt und Land haben und welche begriff – 38,3 %. Der Bundesdurchschnitt von gemeinsame Strategie staatliche Programme aus 43,6 % rückt näher, ist aber noch eine Wegstrecke ihrer Sicht zukünftig verfolgen sollten. entfernt.10 Gerade der erste Teil der vorliegenden Publika- tion zeigt deutlich, dass Engagement in Sachsen oftmals etwas kleinteiliger ausgestaltet ist als in anderen Bundesländern, dass es weniger Organisationen mit hauptamtlichem Personal gibt, die Finanzierung schwächer als im Bundes- durchschnitt abgesichert ist und sich nochmals zwischen Stadt und Land unterscheidet. Die 9 Vgl. etwa Holger Backhaus-Maul /Stefan Nährlich, Stefan/Rudolf Speth, Denkschrift Bürgergesellschaft, Berlin 2012. 10 Daten bei: https://www.engagiert-dabei.de/fileadmin/Downloads/Info-Material/Studien_Evaluationen_Positionen/2017-02-09_Freiwilligensurvey_2014_ Praes_Sachsen.pdf und https://www.dza.de/fileadmin/dza/pdf/fws/FWS_Laenderbericht_ges_2016.09.13.pdf 11 CDU Sachsen, Bündnis 90/Die Grünen, SPD Sachsen: Gemeinsam für Sachsen: Koalitionsvertrag 2019 bis 2024, Dresden2019, S. 3. 9
Einleitung Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Für das „Wohl und Wehe“ der Engagementland- re politische Aussagen und Handlungen ihren schaft sind die gesellschaftlichen Rahmenbedin- Gemeinnützigkeitsstatus in Frage stellen. In gungen von großer Bedeutung. Kein unerheb- Sachsen gibt es seit den letzten Kommunalwah- licher Faktor ist der demografische Wandel, der len an manchen Orten Spannungen, wenn allzu Sachsen schon jetzt und auch in Zukunft stark kritische oder politisch möglicherweise etwas verändern wird. Das Berlin Institut für Bevöl- einseitige Vereine kommunale Fördermittel un- kerung und Entwicklung rechnet bis 2035 mit ter dem Stichwort der mangelnden „politischen einem Rückgang der Bevölkerung in Sachsen Neutralität“ gestrichen bekommen. Abgesehen um etwa 9 %.12 Nur die Großstädte Leipzig und von der Frage, ob von Vereinen in einer viel- Dresden werden wachsen, alle anderen Land- fältigen, freiheitlichen Gesellschaft überhaupt kreise und die Stadt Chemnitz voraussichtlich – anders als bei einer Landeszentrale – dezidiert schrumpfen. In vielen ländlichen Regionen ist „Überparteilichkeit“ oder gar „Neutralität“ er- schon jetzt zu beobachten, was eine abnehmen- wartet werden kann, zeigen diese Einzelfälle: de und alternde Bevölkerung bedeutet. Gesellschaftliche Spannungen kommen auch in sächsischen Vereinen und Organisationen an Vereine und zivilgesellschaftliche Organisatio- und beschäftigen sie. Wie stark sich die bisher nen sorgen besonders auf dem Land für An- insgesamt eher politisch zurückhaltende sächsi- gebote in Freizeit, Kultur, Gemeinwesenarbeit, sche Zivilgesellschaft in gesellschaftliche Debat- Kirchen, Sport oder Bildung. Typische Probleme ten einmischen will, werden die Diskussionen des Ehrenamts zeigen sich dort aber noch stär- der kommenden Jahre zeigen. Veränderungen ker als in den Städten: Fehlender Nachwuchs sind jedoch absehbar, weil sich in den letzten etwa für Leitungs- und Führungspositionen, Jahren viele junge Initiativen gebildet haben: die kulturellen Grenzen in der Zusammenarbeit von „Fridays for Future“ über Jugendclubs mit zwischen den Generationen, mangelnde Infra- gesellschaftlichen Anliegen bis zu Gruppen, struktur oder digitale Ausstattung. Wie hoch die sich für Geflüchtete einsetzen. Ihnen ist ge- Menschen die Lebensqualität und damit die meinsam, dass sie selbstbewusst politische Mit- Attraktivität einer Region wahrnehmen, orien- sprache einfordern. Sie werden die sächsische tiert sich zunächst an harten Faktoren wie Infra- Zivilgesellschaft in den kommenden Jahren struktur, Daseinsvorsorge, Ausbildungsmöglich- verändern.13 keiten und Arbeitsplätzen. Nicht unterschätzt werden dürfen aber auch die sogenannten Gänzlich diesen Fragen ausweichen werden weichen Faktoren: Ein aktives Vereinsleben, die aber auch Feuerwehren und Katastrophen- Verwurzelung in gesellschaftlichen Gruppen schutz, Kirchgemeinden, der organisierte oder Möglichkeiten der sozialen und politischen Sport, Gewerkschaften und Genossenschaften, Beteiligung sind ebenfalls wichtige Standort- Bildungsvereine und Sozialverbände nicht. und Bleibefaktoren. Gilt also: Je lebendiger die Schon heute zeigen viele dieser Organisationen Zivilgesellschaft, desto mehr Zuzug oder zumin- einen Bedarf an politischer Bildung und Be- dest weniger Abwanderung? ratung an. Blickt man auf die gesellschaftlichen Entwicklungen insgesamt, so zeigt etwa der An das freiwillige Engagement wird in „poli- Sachsen-Monitor 2018 eine nervöse und gespal- tischen Sonntagsreden“ oft der Anspruch tene Mitte der Gesellschaft. 14 Diese besaß vor erhoben, wieder für mehr gesellschaftlichen Ausbruch der Corona-Pandemie durchaus posi- Zusammenhalt zu sorgen. Diese Erwartungs- tive Zukunftserwartungen im Hinblick auf die haltung muss angesichts der gesellschaftlichen wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität der Polarisierung in Sachsen überprüft werden. Demokratie. Dem standen aber auch große Zu- Landes- und auch bundesweit sind eine Reihe kunftssorgen gegenüber: So befürchteten große von Organisationen verunsichert, inwieweit kla- Teile der Bevölkerung, dass die Gegensätze 12 Vgl. Reiner Klingholz u.a., Die demografische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig Deutschlands Regionen sind, Berlin 2019, 57ff. abrufbar unter: https:// www.berlin-institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/PDF/Demografische_Lage_online.pdf 13 Vgl. Albert, Mathias u. a (2019): Jugend 2019 – 18. Shell Jugendstudie: Eine Generation meldet sich zu Wort, Beltz, S.20f. 14 Die Daten des Sachsen-Monitors 2018 sowie der beiden Vorjahre finden sich unter https://www.staatsregierung.sachsen.de/sachsen-monitor-2018-5616. html 10
zwischen Arm und Reich zunähmen und der ge- gemeinsame Ziele, das tatkräftige Anpacken, ein sellschaftliche Zusammenhalt schwände, dass Mehr an gesellschaftlicher Kooperation zwischen die Rente nicht zum Leben ausreichte und die Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesell- deutsche Kultur durch Zuwanderung verloren schaft. Zukunftsfragen, die nur aus der Mitte der ginge. Hohe diskriminierende und rassistische Gesellschaft heraus bearbeitet und gelöst wer- Einstellungen arbeitete der Sachsen-Monitor den können, gibt es in Sachsen genug. ebenfalls 2018 heraus, wobei fremdenfeind- liche Einstellungen in Sachsen häufiger als im Bundesgebiet ausgeprägt sind, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit oder Antiziganismus da- gegen unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Die öffentliche Debatte über diese Umfrageer- gebnisse ist deshalb nicht nur mit Ursachenfor- schung beschäftigt gewesen, sondern dreht sich auch um die Frage, welchen Beitrag Ehrenamt und Engagement, die sächsische Zivilgesell- schaft und die politische Bildung zur Verände- rung des gesellschaftlichen Klimas leisten kön- nen. Es gehört aber auch zu den ernüchternden Erkenntnissen des Sachsen-Monitors 2018, dass sich in ihnen nur ein begrenzter Willen der Bür- gerinnen und Bürger zur politischen Verantwor- tungsübernahme niederschlägt, viele dagegen nach dem Staat rufen, ihm aber zugleich miss- trauen. Diesen Ambivalenzen gilt es auch auf der Grundlage dieser Studie weiter nachzuge- hen, schließlich gehört politisches Engagement in Parteien, Verbänden und Kommunen – neben der gesamten Breite der Vereinslandschaft – zu den tragenden Säulen unseres Gemeinwesens. Zugleich verweisen die besagten Befunde aber auch auf das Potenzial und die Bedeutung des freiwilligen Engagements im vorparlamentari- schen, gemeinnützigen Raum: Wer sich für eine Sache einsetzt, übernimmt bereits gesellschaft- liche Verantwortung. Wenn sich dieses Enga- gement verbreitern und vervielfältigen ließe, entstünden viele Gelegenheiten für Bürgerinnen und Bürger, Selbstwirksamkeitserfahrungen zu machen, also um zu erleben: Meine Ideen lassen sich gemeinsam mit anderen umsetzen und tra- gen Früchte. Das sind entscheidende Schritte zu einer gesellschaftlichen Veränderung. Verantwor- tung wird eingeübt, der Blick von Problemen auf Lösungen gerichtet, eine „Brücke zu den Nächs- ten“ wird geschlagen – ganz gleich, ob sie bereits über Generationen hierzulande leben oder sich gerade erst niedergelassen haben. Eine dynamische Gesellschaft wie die des Frei- staates braucht immer zugleich Stabilität, soziale Absicherung und Öffnung. Gegen Nervosität hel- fen nicht nur Zuhören und Dialoge, sondern auch 11
Einleitung Forscherteams, Fragestellung, Ergebnisse Diese Publikation besteht aus zwei Teilstudien, Die zweite – qualitative – Studie wurde von die wissenschaftlich unterschiedlich – nämlich: einem Forschungsteam der Martin-Luther-Uni- quantitativ und qualitativ – vorgehen. Zur Er- versität Halle-Wittenberg unter Leitung von Dr. arbeitung konnte die SLpB zwei renommierte Holger Backhaus-Maul und PD Dr. Rudolf Speth Forschungseinrichtungen gewinnen, denen wir gemeinsam mit Lina Hehl, Tim Sydlik und Louis an dieser Stelle herzlich für die sehr gute und Wolfradt erstellt. In der qualitativen Studie intensive Zusammenarbeit danken: Zum einen wurden insbesondere Experteninterviews mit „Zivilgesellschaft in Zahlen“, ein „Think & Do ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern Tank“ im Stifterverband für die Deutsche Wis- des organisierten Engagements sowie auch von senschaft, Berlin, für den Jana Priemer sowie Verwaltung und Politik auf Kommunalebene ge- Dr. Holger Krimmer die zivilgesellschaftlichen führt.15 Ausgewählt wurde hierzu das großstäd- Organisationsstrukturen in Sachsen durchleuch- tische Leipzig und das ländlich-städtische Baut- teten. Dabei stehen die rund 30.000 Vereine im zen. Ergänzend wurde in der Stadt Reichenbach Vordergrund. Die Ergebnisse zeigen, wie bereits im Vogtland eine Bestandserhebung des organi- angedeutet, eine durchaus gut organisierte Ver- sierten Engagements durchgeführt, so dass alle einslandschaft, die dem Vergleich mit anderen drei Landesteile Sachsens Berücksichtigung fin- Bundesländern standhält. Auffällig ist allerdings, den. Um einen landesweiten Überblick über die dass Sachsens Vereine kleiner sind als im Bun- Entwicklung des organisierten Engagements in desdurchschnitt, stärker in ländlichen und klein- Sachsen zu erhalten, wurden zudem auf Landes- städtischen Gegenden angesiedelt sind, weniger ebene Expertinnen und Experten aus organisier- hauptamtliches Personal und weniger Finanzen tem Engagement und auch Ministerien zu ihren haben. Wie in allen ostdeutschen Bundesländern Vorstellungen, Erfahrungen und Erkenntnissen wurden die allermeisten Vereine erst nach der mit organisiertem Engagement sowie den von Wende gegründet. Besonders die 1990er Jahre Politik und Verwaltung gesetzten Rahmenbedin- erlebten einen regelrechten Gründungsboom; gungen in Sachsen befragt. Ergänzend wurden es entstanden dort etwa 40 % der heute noch mit ausgewählten Experten und Expertinnen aktiven Vereine. Die sächsischen Vereine sind Gespräche zu spezifischen Themen der qualita- zumeist in den Bereichen Kultur, Sport, Bildung, tiven Studie geführt. Die Experteninterviews mit Freizeit aktiv – internationales Engagement ist Führungs- und Leitungskräften erstrecken sich dagegen in Sachsen unterrepräsentiert. Auch über alle engagementrelevante Handlungsfelder fehlen im Freistaat finanzstarke Stiftungen, die von Katastrophenschutz, Rettungswesen und jenseits der öffentlichen Hand Engagement Feuerwehr über Sport und Soziales sowie Migra- fördern könnten. Dass sich das kirchliche Enga- tion und Flucht bis hin zu Kultur und Heimat. Zur gement in der ZiviZ-Untersuchung nicht stark Vor- und Nachbereitung der Experteninterviews niederschlägt, hat im Zusammenhang mit dieser wurden einschlägige empirische Studien und Do- Studie weniger mit der Säkularisierung zu tun kumente, wie etwa Selbstdarstellungen, Berichte als mit forschungsmethodischen Gründen. ZiviZ und Förderprogramme zur Situation und den hat Vereinsregister untersucht, in denen weder Bedingungen des organisierten Engagements in die Landeskirchen oder Bistümer, noch die Sachsen ausgewertet. jüdischen oder freikirchlichen Gemeinden vor- kommen, weil sie den rechtlichen Status einer Dadurch entsteht ein lebendiges Bild der Er- Körperschaft des Öffentlichen Rechts haben. fahrungen und Erwartungen der organisierten Lediglich kirchlich-religiöse Vereine, Stiftungen, Zivilgesellschaft in Sachsen. Die Engagierten be- Genossenschaften wurden in die Berechnung klagen etwa ein Anwachsen der bürokratischen aufgenommen. Ähnliches gilt auch für bestimm- Anforderungen, nicht jedoch fehlende Förder- te Gruppierungen des Umweltschutzes und der gelder. Auch wenn der Blick auf das Thema Fi- Freiwilligen Feuerwehren. So fallen beispielswei- nanzen sich durchaus bei Vereinen im ländlichen se auch diejenigen Ortsgruppen aus der Statistik, und im städtischen Bereich unterscheidet, sollte die nicht als Verein organisiert sind. Sachsens Engagementpolitik in Zukunft nicht allein auf die Ausweitung von Fördermitteln 15 Hinweis zur Schreibweise: Diese Studie richtet sich an alle engagierten Menschen in Sachsen. Wir haben uns darum entschieden, im Text sowohl gender- neutrale als auch weibliche und männliche Bezeichnungen zu nutzen. 12
und Ehrenamtsbudgets ausgerichtet sein. Nach dafür werben, bürgerschaftliches Engagement den Ergebnissen unserer Befragungen scheint im Freistaat weiter zu verstärken und zu verbrei- das Bedürfnis nach nicht-finanziellen Unter- tern. Die vorliegende Publikation wird nicht alle stützungsmaßnahmen wichtiger zu sein, etwa relevanten Fragen rund um das Thema „Engage- die Beratung von Organisationen. Ob dazu der ment in Sachen“ beantworten, sondern einige verstärkte Aufbau dezentraler Anlaufstellen wie sehr konkrete Einblicke geben. Weitere Studien Freiwilligenagenturen oder Beratungsstellen not- müssten folgen, um das Gesamtbild, aber auch wendig ist, wäre nun zu diskutieren. Die Forscher regionale oder fachliche Fragen genauer zu be- und Forscherinnen konnten zudem zeigen, dass antworten. der Zivilgesellschaft in Sachsen eine landesweite Vernetzung und ein von vielen geteiltes Selbst- Wir wollen mit dieser Publikation einen Impuls verständnis als partizipativ-politische Zivilgesell- dafür geben, dass in den kommenden Monaten schaft fehlen. in allen Landesteilen über die Fortentwicklung der sächsischen Zivilgesellschaft und der säch- Nicht zuletzt machen die Studien deutlich, dass sischen Engagementpolitik diskutiert wird. Wir es in Sachsen sowohl auf der Landesebene als werden diesen Prozess mit einer Reihe von Ver- auch auf der kommunalen Ebene angebracht anstaltungen begleiten und selbst noch inten- erschiene, bisherige konzeptionelle Überlegun- siver als bisher unseren Beitrag zur Vernetzung gen nochmals systematisch und umfassend zu engagierter Bürgerinnen und Bürger im Freistaat betrachten und weiterzuentwickeln. Aktuell be- Sachsen leisten. sitzt fast jedes Staatsministerium seine eigenen Förderrichtlinien und unterstützt ressortbezogen Eine gute Lektüre und intensive Debatte die Organisationen und Individuen, die Berüh- wünschen rungspunkte zum Auftrag des jeweiligen Hauses haben. Das ist sachpolitisch nachvollziehbar. Roland Löffler und Friedemann Brause Eine kohärentere sächsische Gesamtstrategie Sächsische Landeszentrale für die kommenden Jahre ist allerdings gegen- für politische Bildung wärtig nicht erkennbar. Vor ähnlichen Heraus- forderungen stehen die Kommunen – und auch die Organisationen der Zivilgesellschaft. Eine konzeptionelle Gesamtbetrachtung wäre im Zu- sammenspiel von ehrenamtlich Tätigen aus gro- ßen und kleinen Organisationen, Verwaltungen und Politik unter Begleitung von Wissenschaft zu entwickeln. Ein weiteres Arbeitsgebiet wäre der Ausbau der so genannten Engagementinfrastruktur, deren Kern vielerorts etwa Bürgerstiftungen, Freiwil- ligenzentren, Mehrgenerationenhäuser sowie Engagementbörsen digitaler und analoger Art bilden. Diese Einrichtungen gibt es in manchen Kommunen, aber noch nicht flächendeckend in Sachsen. Hier könnte der Freistaat noch eine Wegstrecke gehen, um Knotenpunkte des Enga- gements gezielter aufzubauen. Beide Studien zusammen ergeben eine kom- pakte Vermessung des engagementpolitischen Feldes, die empirische Befunde und neue theo- retisch-konzeptionelle Einsichten miteinander verbindet. Die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung will mit dieser Publikation einen Impuls für die Debatte zur Fortentwicklung der sächsischen Engagementpolitik leisten - und 13
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Vereine in Sachsen: Herausforderungen und Chancen Ergebnisse aus dem ZiviZ-Survey 2017 von Jana Priemer und Holger Krimmer, ZiviZ gGmbh im Stifterverband 15
Organisationslandschaft in Sachsen Ergebnisse kurz notiert • Ende 2019 waren in den sächsischen Vereins- • Das könnten sich die meisten Organisationen registern 30.794 Vereine registriert. Von diesen auch nicht leisten, denn die finanziellen Res- haben 30.099 auch ihren Sitz in Sachsen. Verei- sourcen sind in der Regel knapp. 62 % der Orga- ne machen neben Stiftungen und gemeinnützi- nisationen haben höchstens 10.000 Euro jähr- gen Kapitalgesellschaften den größten Anteil an lich zur Verfügung, einige sogar weit weniger. den Organisationen der Zivilgesellschaft aus. • Die meisten Organisationen konnten ihre En- • Jeder zweite sächsische Verein hat seinen Sitz gagiertenzahlen bislang stabil halten. Doch in einer kleinen Gemeinde (24 %) oder einer immerhin 18 % berichten, dass sie heute nicht Kleinstadt (26 %). Nur 29 % der Vereine sind in mehr so viele Engagierte haben wie noch im einer der sächsischen Großstädte aktiv. Jahr 2012. Insgesamt müssen die Organisa- tionen große Anstrengungen unternehmen, • Kultur (19 %), Sport (18 %), Freizeit (17 %) und um genügend Engagierte zu mobilisieren, vor Bildung (16 %) machen mit 70 % zusammen allem für dauerhafte Engagements. den überwiegenden Teil der Vereine aus. Damit ist vor allem der Freizeitbereich in Sachsen • „Gleich und gleich gesellt sich gern.“ Dies gilt besonders stark vertreten. in den meisten Vereinen in Deutschland, in den Vereinen Sachsens jedoch besonders. Mit- • Viele Menschen können von den Angeboten glieder und Engagierte haben hier in der Regel profitieren, auch jene, die nicht Mitglied in den eine ähnliche kulturelle Herkunft. Organisationen sind. Die Angebote richten sich in vielen Fällen an die breite Gesellschaft, auch • Auch in Sachsen fühlen sich viele Organisatio- an bedürftige Menschen. nen durch bürokratische Vorschriften in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Die Mehrheit der • Die meisten Vereine sind kleine bis mittelgroße Vereine in Sachsen (77 %) fordert deshalb we- Organisationen. In Sachsen sind Vereine noch niger Bürokratie. kleiner als im Bundesdurchschnitt. Mehr als drei Viertel (79 %) der Vereine haben höchstens 100, weitere 12 % bis zu 300 Mitglieder. Große Vereine mit mehr als 300 Mitgliedern sind mit 8 % vergleichsweise selten. • Bürgerschaftliches Engagement ist die Basis der Organisationen, ohne die sie ihre Aktivi- täten nicht aufrechterhalten könnten. 85 % der Organisationen arbeiten ausschließlich mit freiwillig Engagierten und werden nicht zusätz- lich von bezahlten Beschäftigten unterstützt. 16
Einführung bestellt ist und wie sich diese in den vergange- In diesem quantitativen Analyseteil werden zunächst die allgemeinen Strukturen der nen Jahren entwickelt hat. organisierten Zivilgesellschaft in Sachsen deskriptiv dargestellt (Abschnitt 1). Insbe- Mit den vorliegenden Daten wird eine zent- sondere Gemeinsamkeiten und Unterschiede rale Herausforderung für Vereine und andere gegenüber dem Bundestrend sollen identifi- gemeinnützige Organisationen deutlich: die ziert werden. Die Datenbasis dafür ist der Zi- Ressourcenmobilisierung. Gerade die Mobili- viZ-Survey 2017 (siehe Abschnitt Datenbasis). sierung von Engagierten stellt einige – jedoch längst nicht alle Organisationen – vor beson- Da es ohne freiwilliges Engagement auch kei- dere Problemsituationen. Doch auch die Mit- ne organisierte Zivilgesellschaft gäbe, wird gliedergewinnung, die wiederum die Voraus- besonders auf die Daten zur Entwicklung des setzung für regelmäßige Einnahmen darstellt, Engagements in den Organisationen abgeho- ist für einige Vereine – insbesondere im länd- ben (Abschnitt 2). Neben dem Engagement lichen Raum – zunehmend ein Problem. spielen für die Handlungsfähigkeit der Orga- nisationen natürlich auch finanzielle Ressour- cen eine entscheidende Rolle. Daher wird im Abschnitt 3 darauf eingegangen, wie es um die finanzielle Situation in den Organisationen Verein ist nicht gleich Verein Unter den 608.000 eingetragenen Vereinen in Deutsch- die Vereine hinsichtlich ihrer Tätigkeitsinhalte und ihrer land herrscht eine enorm große Vielfalt. Das trifft Arbeitsweise mitunter sehr unterscheiden. So weisen ebenso auf Stiftungen und andere Rechtsformen zu. Die beispielsweise manche Vereine mehr Ähnlichkeiten mit Rechtsformen stellen in der Regel nur den juristischen Stiftungen auf. Wenn im Folgenden Entwicklungen und Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens kann die Ausgestal- Trends skizziert werden, heißt das keinesfalls, dass diese tung sehr unterschiedlich sein. Das führt dazu, dass sich immer gleichermaßen auf alle Vereine zutreffen müssen. 17
Organisationslandschaft in Sachsen Organisations- landschaft in Sachsen Organisationen: Vereine, Stiftungen und mehr Da die organisierte Zivilgesellschaft in Übung am Bärwalder See der Wasserwacht. Bild: Sven Rogge / DRK Sachsen Sachsen vor allem durch Vereine geprägt ist, wird im Folgenden von Ver- einen oder der Vereins- Ende 2019 waren in den sächsischen Vereins- (gemeinnützige GmbHs) gibt es derzeit keine landschaft gesprochen. registern1 30.794 Vereine registriert. Von die- Informationen. Gemeint sind dabei sen haben 30.099 auch ihren Sitz in Sachsen. jedoch immer auch die Neben den Vereinen zählen die 569 rechtsfä- Im Bundesdurchschnitt machen eingetragene übrigen Rechtsformen, higen Stiftungen des bürgerlichen Rechts2 zur Vereine neben Stiftungen, Genossenschaften und insbesondere Stiftungen, organisierten Zivilgesellschaft in Sachsen. gemeinnützigen GmbHs etwa 95 % aus – also die zwar rein zahlenmä- den allergrößten Teil der organisierten Zivilge- ßig nur einen kleinen Teil Auch ein Teil der 760 eingetragenen Genossen- sellschaft. In einem ähnlichen Verhältnis dürften ausmachen, aber eine schaften3 kann zur organisierten Zivilgesell- sich die Vereine zu den übrigen Organisationen erhebliche gesellschaft- schaft gezählt werden. Es gibt derzeit jedoch auch in Sachsen bewegen. liche Relevanz haben. keine Informationen darüber, wie viele davon der organisierten Zivilgesellschaft zugerechnet werden können. Auch zur Zahl der gemeinnüt- zigen Gesellschaften mit beschränkter Haftung 1 In Sachsen führen die Amtsgerichte in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Königstein Vereinsregister. Die dort gelisteten Vereine können im Gemeinsamen Registerportal der Länder unter www.registerportal.de abgerufen werden. Die Zahl 30.794 bezieht sich auf den Stand Ende November 2019. 2 Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen, unter: https://www.stiftungen.org/de/stiftungen/zahlen-und-daten/stiftungen-regional/stiftungen-in-sachsen. html, Zugriff am: 5. März 2020. 3 Quelle: Gemeinsames Registerportal der Länder unter www.registerportal.de, Zugriff am 3. März 2020. 18
Da Sachsen ländlicher geprägt ist als andere Bundesländer, gibt es hier auch mehr Das Juniorteam des Landessportbundes beim Erlebniswochenende im Elbsandsteingebirge. Bild: Landessportbund Sachsen Vereine im ländlichen Raum. Viele Vereine in ländlichen Regionen Die meisten Vereine gibt es in der Regel dort, wo Räumliche Verteilung der Vereine die meisten Menschen leben. Analog der Bevöl- kerungsentwicklung gibt es heute die meisten 34 31 Vereine in Großstädten. Bundesweit hat bereits 29 jeder dritte Verein (34 %) seinen Sitz in einer 26 25 25 24 23 Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern. In 21 22 20 20 kleinen Gemeinden mit weniger als 5.000 Ein- wohnern ist heute nur noch jeder fünfte Verein (20 %) zu finden. Die übrigen Vereine verteilen sich auf kleinere und mittlere Städte (vgl. Abbil- dung 1). Sachsen Ostdeutschland Bundesweit Da Sachsen ländlicher geprägt ist als andere Bundesländer, gibt es hier auch mehr Vereine Kleine Gemeinde Mittelstadt im ländlichen Raum. Immerhin etwa jeder zweite sächsische Verein hat seinen Sitz in einer Kleinstadt Großstadt kleinen Gemeinde (24 %) oder einer Kleinstadt ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 101. Abb. 1: In Sachsen ist Kleine Gemeinde: bis 4.999 Einwohner; Kleinstadt: 5.000 bis 19.999 (26 %). Nur 29 % der Vereine sind in einer der Einwohner; Mittelstadt: 20.000 bis 99.999 Einwohner; Großstadt 100.000 jeder zweite Verein in sächsischen Großstädte aktiv. Damit ist die Ver- oder mehr Einwohner. einer kleinen Gemeinde einslandschaft in Sachsen zwar ländlicher als oder einer Kleinstadt im Bundesdurchschnitt, aber städtischer als angesiedelt. im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundes- ländern. 19
Organisationslandschaft in Sachsen Gründungsjahre der Vereine (in %) 16 39 21 40 19 48 Bundesweit 21 Ostdeutschland Sachsen 14 14 27 25 15 bis 1989 1990 bis 1999 2000 bis 2009 2010 bis 2017 ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 249. Eine junge Vereinslandschaft Die Vereine in Sachsen sind geprägt von der be- In den alten Bundesländern hingegen existieren sonderen historischen Entwicklung der neuen auch heute noch vergleichsweise viele Vereine, Abb. 2: Die meisten Bundesländer. 19 % der heute bestehenden deren Historie zum Teil weit in die Vorkriegszeit der heute in Sachsen Vereine Sachsens existierten in ihren Strukturen zurückgeht. Nach Ende des zweiten Weltkriegs bestehenden Vereine zwar bereits vor 1989, alle anderen wurden erst 1945 wurden dann sukzessive immer mehr Ver- wurden in den Jahren nach 1989 gegründet. Besonders viele Vereine eine gegründet. Heute machen die bis 1989 ge- nach der Wiedervereini- wurden in den ersten Jahren nach der Wieder- gründeten Vereine in den alten Bundesländern gung gegründet. vereinigung gegründet. 40 % der heute beste- immerhin noch knapp die Hälfte (48 %) aus, auch henden sächsischen Vereine entstanden in den wenn diese Traditionsvereine immer stärker unter Jahren zwischen 1990 und 1999. Druck stehen (vgl. Priemer et al. 2019). Viele kleine Vereine Bei den meisten Vereinen handelt es sich – be- Mitgliederzahlen 2017 (in %) zogen auf die Mitgliederzahlen und die Zahlen Abb. 3: Mehr als drei der freiwillig Engagierten – um kleine oder mittel- 8 8 15 Viertel aller Vereine in große Organisationen. Insgesamt sind Sachsens 14 12 Sachsen haben höchs- Vereine noch kleiner als im Bundesdurchschnitt tens 100 Mitglieder. 24 (auch im Vergleich zu den Vereinen in Ostdeutsch- Mitgliederzahlen 2017 land). Mehr als drei Viertel (79 %) der Vereine in (in %) Sachsen haben höchstens 100, weitere 12 % bis 78 79 zu 300 Mitglieder. Große Vereine mit mehr als 300 61 Mitgliedern sind – ähnlich wie im Bundesdurch- schnitt – mit 8 % vergleichsweise selten. Die Zahl der Mitglieder ist in den meisten Vereinen (24 %) seit 2012 mindestens stabil, oder sogar stei- Bundesweit Ostdeutschland Sachsen gend (35 %). Bei etwa jedem fünften Verein (24 %) in Sachsen sind die Mitgliederzahlen jedoch auch bis 100 Mitglieder 101 bis 300 Mitglieder rückläufig. Damit entwickeln sich die Mitglieder- zahlen in Sachsen kaum anders als in anderen mehr als 300 Mitglieder Bundesländern. Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine, gewichtet, N =6.461, davon fehlend: 557. 20
Zahl der Mitglieder (in %) 2 2 15 7 14 11 14 19 Abb. 4: In kleinen Gemein- 91 den und in Kleinstädten sind Vereine mit mehr als 100 Mit- 87 gliedern selten. 72 67 Großstadt Mittelstadt Kleinstadt Kleine Gemeinde bis 100 Mitglieder 101 bis 300 Mitglieder mehr als 300 Mitglieder ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine in Sachsen, gewichtet, N = 195, davon fehlend: 21. Besonders wenige Mitglieder in ländlichen Vereinen Vor allem in kleinen Gemeinden und Klein- städten haben die Vereine selten mehr als 100 Mitglieder. Nur jeder zehnte Verein (9 %) in den kleinen Gemeinden Sachsens hat mehr als 100 Mitglieder. Große Vereine mit mehr als 300 Mit- gliedern sind hier mit 2 % ebenso die Ausnahme wie in den Kleinstädten. Interessanterweise gibt es bezüglich der Ent- wicklung der Mitgliederzahlen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Stadtgrößen. Sprich: Generell entwickeln sich Mitgliederzahlen in Groß- städten kaum anders als in kleinen Gemeinden. Die Bergwacht Sachsen bei einer Übung im Elbsandsteingebirge. Bild: Sven Rogge / DRK Sachsen 21
Organisationslandschaft in Sachsen Traditionelle Themen dominieren Die Organisationen sind in Sachsen etwas anders Der Aktivitätsradius der meisten Vereine be- auf die Handlungsfelder verteilt, als in anderen schränkt sich auch in Sachsen – wie überall in Teilen Deutschlands. Üblicherweise sind Sport- Deutschland – im Wesentlichen auf die Kommu- vereine die größte Gruppe. In Sachsen fallen mit ne (49 %) oder die Region (40 %). In Sachsen gibt 19 % die meisten Organisationen auf den Kultur- es nur sehr wenige Vereine, die überwiegend bereich. Kultur, Sport (18 %), Freizeit (17 %) und international agieren. Bildung (16 %) machen mit 70 % zusammen den überwiegenden Teil der Vereine in Sachsen aus. 2 2 0 2 2 3 3 19 Abb. 5: In Sachsen 3 dominieren Kultur-, Sport- und 3 Freizeitvereine sowie Bildungsvereine. 3 Verteilung der Engagementfelder 5 der Vereine 18 (in %) 16 17 Kultur/Medien 19 % Sonstiges 5 % Kirchen/religiöse Vereinigungen 3 % Internationale Solidarität 2 % Sport 18 % Bevölkerungs-/ Bürger-/Verbraucherinteressen 3 % Wirtschafts-/Berufsverbände 2 % Katastrophenschutz 3 % Gemeinschaftliche Freizeit/Geselligkeit 17 % Soziale Dienste 3 % Umwelt-/Naturschutz 2 % Versorgungsaufgaben 0 % Bildung/Erziehung 16 % Gesundheitswesen 3 % Wissenschaft /Forschung 2 % Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Sachsen, gewichtet, N = 195, davon fehlend: 8. 22
Was sich hinter den einzelnen Engagementfeldern verbirgt Im Folgenden sind für die einzelnen En- Bildung und Erziehung. Kitas, Horte, Kirchen und religiöse Vereinigungen. gagementfelder Beispiele aufgeführt, Erwachsenenbildung, außerschulische Moscheevereine, Kulturvereine mit reli- um eine Vorstellung davon zu vermit- Bildung giösem Bezug, Fördervereine religiöser teln, welche Arten von Vereinen sich Einrichtungen dahinter verbergen können. Die auf- Soziale Dienste. Ambulante und statio- geführten Beispiele können immer nur näre soziale Hilfen, Beratungs- und Für- Wissenschaft und Forschung. For- einen kleinen Ausschnitt darstellen. sorgedienste, Heime, Tafeln schungseinrichtungen, Wissenschafts- Denn auch innerhalb der jeweiligen förderung Engagementfelder herrscht mitunter Bevölkerungs- und Katastrophen- eine große Vielfalt an Aufgaben und schutz. Freiwillige Feuerwehr, Katastro- Bürger- und Verbraucherinteressen. Tätigkeiten. phenhilfe, Bergrettung, Wasserrettung Rechtsberatung, Quartiersmanagement, Stadtteilarbeit, Freiwilligenagenturen Kultur und Medien. Chöre, Theater, Gesundheitswesen. Gesundheitsbe- Konzertveranstalter, Archive, Museen, ratung, therapeutische Einrichtungen, Wirtschaftsverbände und Berufsorga- historische Gebäude, Internet, Kultur- Krankenhäuser, Rehabilitationskliniken nisationen. Wirtschafts- und Berufsver- vereine einigungen, Fachgesellschaften Umwelt- und Naturschutz. Klima- Sport. Sportvereine, Schachclubs, Wan- schutz, Nachhaltigkeit sowie Tier- und Gemeinschaftliche Versorgungsauf- dervereine, Angelvereine, Schützenver- Artenschutz gaben. Energie- und Wasserversorgung, eine Transport und Verkehr, Wohnraum Internationale Solidarität. Entwick- Freizeit und Geselligkeit. Kleingärten, lungszusammenarbeit, Fair Trade, Völ- Campingplätze, Zuchtvereine, Karnevals- kerverständigung, Agenda 2030 vereine, Fanclubs Lesehinweis zu Abb. 5: „Kleine Engagementfelder“ ganz groß Nur die Zahl der Organisationen wird besonders viele Engagierte binden. Es Kirchen bzw. religiöse Vereinigungen im erfasst handelt sich also hinsichtlich der Zahl ZiviZ-Survey nur 3 % der Organisationen Einige Engagementfelder wie etwa die der Organisationen um kleine Bereiche, aus. Das liegt daran, dass hier per Defi- Sozialen Dienste (3 %), der Bevölke- die jedoch außergewöhnlich viele freiwil- nition (vgl. Abschnitt Datenbasis) keine rungs- und Katastrophenschutz (3 %) lig Engagierte aufweisen. öffentlichen Körperschaften berück- sowie Kirchen oder religiöse Vereini- sichtigt werden. Kirchliche Einrichtungen gungen (3 %) erscheinen in Abbildung Organisationen haben nicht nur ein tauchen daher in den vorliegenden Daten 7 unverhältnismäßig klein, obwohl sie Handlungsfeld nur dann auf, wenn sie in der Rechtsform eine außerordentlich große Bedeutung Es ist ebenfalls wichtig zu wissen, dass eines eingetragenen Vereins, einer Stif- als Orte des bürgerschaftlichen Engage- ein Verein immer auch in mehreren tung oder einer anderen gemeinnützigen ments haben. Handlungsfeldern aktiv sein kann. Bei Organisation agieren. den hier vorliegenden Zahlen wurden In dieser Form der Darstellung sind allein die Haupttätigkeitsfelder abgefragt, also Ähnlich verhält es sich mitunter in ande- die Zahlen der Organisationen berück- jene Handlungsfelder, in denen sich die ren Bereichen, etwa dem Umwelt- und sichtigt, unabhängig davon, wie viele Vereine am stärksten verorten. Naturschutz. So werden die zahlreichen Mitglieder oder freiwillig Engagierte sie Ortsgruppen von Greenpeace, die alle binden. Zugleich wissen wir, dass Vereine Nur Organisationen mit Rechtsform ohne Rechtsform agieren, in der vorlie- und andere gemeinnützige Organisa- werden aufgelistet genden Statistik nicht berücksichtigt. tionen des Bevölkerungs- und Katastro- Auch über die Kirchen wird viel Enga- phenschutzes oder der Sozialen Dienste gement mobilisiert. Zugleich machen 23
Organisationslandschaft in Sachsen Angebote für verschiedenste Personengruppen Die meisten Organisationen adressieren mit Viele Vereine und andere Organisationen ma- ihren Aktivitäten viele verschiedene Menschen. chen Angebote für besondere Zielgruppen, etwa Mehr als drei Viertel (79 %) bieten ihre Angebote für sozial benachteiligte Menschen, an die sich in nicht nur ausschließlich für die eigenen Mitglie- Sachsen 31 % der Organisationen richten, oder der an, sondern auch externe Personen können auch für Menschen mit Behinderungen, an die an den Angeboten partizipieren, auch wenn sie sich 22 % richten. Trotz verbreiteter Hassgewalt nicht Mitglied der Organisation sind. sowie rechter Polarisierung und Mobilisierung gibt es in Sachsen im Vergleich zu anderen Regio- Vereine und andere Organisationen zeichnen nen Deutschlands anteilig nicht weniger Organi- sich vor allem dadurch aus, dass sie sich meist sationen, die Maßnahmen für Menschen mit Mi- nicht an eine bestimmte Altersgruppe richten. grationshintergrund (18 %) oder für Geflüchtete 86 % der Organisationen in Sachsen stehen allen (17 %) anbieten. Altersgruppen offen. Wenn sie sich auf eine be- stimmte Altersgruppe konzentrieren, dann zu- meist auf Kinder und Jugendliche. Zielgruppen* der Aktivitäten der Vereine (in %) 27 Sozial Benachteiligte 29 31 20 Menschen mit Behinderungen 22 22 Abb. 6: Jeder dritte Verein in Sachsen richtet sich gezielt an sozial Menschen mit 19 benachteiligte Migrationshintergrund 18 Menschen. 18 18 Flüchtlinge in Deutschland 16 17 Andere hilfe-, pflege- 14 bedürftige oder kranke 13 Menschen 13 Bundesweit Menschen in anderen 8 Ostdeutschland Ländern 6 7 Sachsen ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: max. 68, Mehrfachantworten. *Im ZiviZ-Survey wurde nur eine Auswahl an Personengruppen abgefragt. Darüber hinaus werden zahlreiche andere spezifische Personengruppen angespro- chen. Manche Vereine richten sich an Menschen mit bestimmten Erkrankungen, an spezielle Berufsgruppen, an Homosexuelle oder nur an Männer oder nur an Frauen, an Studierende, an Eltern – die Liste ließe sich unendlich fortschreiben. 24
Die meisten Organi- Bild: Landessportbund Sachsen sationen verstehen sich als „Gemeinschaft Gleichgesinnter“ und/ oder als Mitgliederor- Allgemeines Rollenverständnis ganisation. Bei den sächsischen Organisationen dominieren Verständnis zur eigenen Rolle ähnliche Rollenverständnisse wie im Bundes- gegenüber dem Staat (in %) durchschnitt. Die meisten Organisationen verste- 5 6 7 hen sich als „Gemeinschaft Gleichgesinnter“ (64 %) und/oder als Mitgliederorganisation (66 %). Es handelt sich also um Organisationen, 31 35 in denen Menschen zusammenkommen, die ge- 38 meinsamen Interessen nachgehen. Ein Drittel (31 %) versteht sich aber auch als För- derorganisation. Dazu gehören neben Förderstif- tungen vor allem Fördervereine (z.B. von Schulen oder Kultureinrichtungen), von denen es auch bundesweit immer mehr gibt. 64 Abb. 7: Mehr als jede 60 56 dritte Organisation in Bezüglich ihres Rollenverständnisses gegenüber Sachsen sieht den Staat dem Staat weichen die sächsischen Organisatio- in der Finanzierungsver- nen etwas vom Bundesdurchschnitt ab. Etwas antwortung. mehr als die Hälfte (52 %) sieht sich vor allem in einer eigenverantwortlichen Position und Bundesweit Ostdeutschland Sachsen stimmt der Aussage zu, dass die Arbeit durch die Organisation geleistet und auch selbst finanziert werden sollte. Es gibt aber auch andere Ansich- Unsere Arbeit soll durch uns geleistet und selbst finanziert werden ten: So sehen immerhin 38 % den Staat in der Finanzierungsverantwortung (Bundesweit sind Unsere Arbeit sollte vom Staat finanziert werden es 31 %). Weitere 7 % geben an, dass das, was sie als Organisation tun, eigentlich Sache des Unsere Arbeit sollte von staatlichen Stellen geleistet werden Staates wäre. Bundesweit sehen das nur 5 % der Organisationen so. ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 507. 25
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