Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht

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Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
Engagement
in Sachsen
 Wofür sich Menschen einsetzen und
 welchen Rahmen es braucht
 Jana Priemer, Holger Krimmer, Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl,
 Rudolph Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt
Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
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Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
Engagement
in Sachsen
Wofür sich Menschen
einsetzen und welchen
Rahmen es braucht
Jana Priemer, Holger Krimmer, Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl, Rudolph Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt

                                                                                                           3
Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
Inhalt
       Einleitung
       Roland Löffler, Friedemann Brause                                           7

       Teil 1:
       Vereine in Sachsen: Herausforderungen und Chancen
       Ergebnisse aus dem ziviz-Survey 2017
       Jana Priemer, Holger Krimmer                                               15

       Einführung                                                                 17

       Organisationslandschaft in Sachsen                                         18
                 Viele Vereine in ländlichen Regionen                             19
                 Eine junge Vereinslandschaft		                                   20
                 Viele kleine Vereine                                             20
                 Besonders wenige Mitglieder in ländlichen Vereinen               21
                 Traditionelle Themen dominieren                                  22
                 Angebote für verschiedenste Personengruppen                      24
                 Allgemeines Rollenverständnis                                    25

       Engagement: das Fundament                                                  27
                 Stabile Engagiertenzahlen                                        28
                 Ehrenamtliche Funktionsträger sind schwer zu finden              29
                 Viel Arbeit auf wenigen Schultern                                29
                 Mitglieder und Engagierte bleiben unter sich                     30
                 Wer die Engagierten sind                                         30
                 Bürokratie hemmt Engagement                                      31

       Ohne finanzielle Mittel geht es nicht                                      32
                 Mitgliedsbeiträge als wichtigste Geldquelle                      34
                 Meist ist nur wenig Geld vorhanden                               34
                 Auf dem Land meist noch weniger Geld                             36
                 Sachleistungen und ähnliche Unterstützungen sind wichtig         36
                 Kooperation und Vernetzung sind ausbaufähig                      37

       Zusammenfassung: Vereine in Sachsen – anders als der Bundesdurchschnitt?   38

       Datenbasis                                                                 40
                 Grundgesamtheit: Was untersucht wurde                            40
                 Stichprobe: Wie viele Organisationen angeschrieben wurden        40

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Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
Teil 2:
Organisiertes Engagement in Sachsen
Eine explorative qualitative Studie
Holger Backhaus-Maul, Lina Hehl, Rudolf Speth, Tim Sydlik, Louis Wolfradt			            43

Fragestellung und Anlage der qualitativen Studie                                        44

Engagementvorstellungen in Sachsen                                                      46
          Kurzgefasst                                                                   46
          Begriffe und Begriffswelten                                                   48
		Ehrenamtliches Engagement im staatlichen Auftrag                                      49
		                 Ehrenamtliches Engagement in der kommunalen Daseinsvorsorge          50
		                 Ehrenamtliches Engagement „aus der Gesellschaft heraus“              50

Entwicklungen in Organisationen ehrenamtlichen Engagements                              54
          Kurzgefasst                                                                   54
          Aufgaben und Probleme                                                         54

Politisch-administrative Rahmenbedingungen des organisierten ehrenamtlichen
Engagements in Sachsen                                                                  58
          Kurzgefasst                                                                   58
          Engagementförderung auf kommunaler Ebene                                      60
                   Leipzig – Stadt der Bürger/innen mit unausgeschöpftem Potenzial
		als „Bürgerstadt“                                                                     60
		                 Bautzen – polarisierte Gesellschaft auf der Suche nach sich selbst   64
		                 Landpartie nach Reichenbach im Vogtland                              70
		                 Handlungsoptionen in der kommunalen Engagementförderung              72
          Engagementförderung der sächsischen Staatsregierung                           75
                   Förderprogramme                                                      75
		Handlungsfeldspezifische Förderungen                                                  77
		                 Politisch-ideelle Förderung: Anerkennung und Würdigung               80
          Probleme und Entwicklungsmöglichkeiten                                        81
          Auskömmliche Fördermittel?                                                    81

Ohne Strategie? Zusammenfassung und Schlussfolgerungen                                  84

Literatur und Onlinequellen                                                             89

                                                                                             5
Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
Viele Jugendliche setzen sich für mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz ein. Bild: Benjamin Jenak

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Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
Einleitung
Diese Studie betritt Neuland. Die Sächsische                                       liegen der sächsischen Zivilgesellschaft.1 Sie
Landeszentrale für politische Bildung (SLpB)                                       will damit zur Debatte über die Stärkung und
präsentiert mit dieser Publikation erstmals ei-                                    Fortentwicklung der Engagementpolitik im
ne Übersicht über Gestalt, Organisationsgrade                                      Freistaat und zur Stärkung des gesellschaft-
und -formen sowie gesellschaftspolitische An-                                      lichen Zusammenhalts beitragen.

Begriffsdefinitionen
                                                                                   die nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet
Nach dem Selbstverständnis der Landeszentrale                                      sind, die öffentlich beziehungsweise im öffentli-
leistet politische Bildung einen Beitrag zur Stär-                                 chen Raum stattfinden, die in der Regel gemein-
kung und Stabilisierung der sächsischen Zivilge-                                   schaftlich oder kooperativ ausgeübt werden,
sellschaft, zumal wenn man Demokratie als eine                                     den Charakter der Gemeinwohlorientierung und
Gesellschaftsform versteht, die zivilgesellschaft-                                 Freiwilligkeit besitzen. Wie die sächsischen En-
liche Partizipation braucht. Zu wissen, wie es um                                  gagementexpertinnen und -experten sich selbst
die sächsische Zivilgesellschaft bestellt ist, gehört                              wahrnehmen, erläutert das zweite Kapitel dieser
deshalb zu den ureigensten Interessen unseres                                      Publikation.
Hauses. Dabei sei klargestellt: Politische Bildung,
vor allem wenn sie von einer öffentlichen Einrich-                                 Die in Deutschland und auch in Sachsen über-
tung wie der Landeszentrale betrieben wird, tritt                                  aus vielfältige Zivilgesellschaft wird auf den
nicht als Akteur in den Vordergrund. Die Landes-                                   folgenden Seiten als „ein offener, positiv konno-
zentrale versteht sich als Plattform des Dialogs,                                  tierter Begriff mit verschiedenen Schattierungen
Impulsgeberin für Debatten, Vermittlerin von                                       […]“2 verstanden. Aus der angelsächsischen
Informationen, Analysen, Forschung in die Praxis                                   Tradition kommend, bezeichnet „civil society“
hinein, als Unterstützerin für Engagement. Sie be-                                 „die Gesamtheit der öffentlichen Assoziationen,
reitet das Feld, damit die (Zivil-) Gesellschaft auf                               Vereinigungen und Zusammenkünfte“3, die auf
soliden wissenschaftlichen Grundlagen kontro-                                      dem freiwilligen Engagement der Bürger und
vers über neue politische Optionen und Strategien                                  Bürgerinnen beruhen. Zugleich wahrt die Zivilge-
diskutieren kann. Diesen Weg ist die Landeszent-                                   sellschaft die Unabhängigkeit von Staat und Wirt-
rale in den letzten Jahren gegangen - und diesen                                   schaft, aber auch von der Familie, gehört also
Weg wird sie auch in Zukunft fortsetzen.                                           zwingend zur Sphäre des Öffentlichen und nicht
                                                                                   des Privaten. Nicht alle Forschende definieren
Wenn es um Ehrenamt, freiwilliges oder bürger-                                     Zivilgesellschaft jenseits dieser eher formalen
schaftliches Engagement geht, so werden diese                                      Beschreibung auch normativ. In Anlehnung an
Begriffe als landläufig sinnverwandt verstanden                                    den Berliner Soziologen Frank Adloff ist Zivilge-
und begrifflich nicht immer genau unterschie-                                      sellschaft „auf die Einhaltung der Menschenrech-
den. Allerdings hat sich in Fachkreisen eine                                       te angewiesen, also auf einen staatlichen Schutz
Definition durchgesetzt, der wir auch hier folgen,                                 der Meinungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit.
die von der Enquete-Kommission des Deutschen                                       In der Regel zählen außerdem bestimmte zivile
Bundestags „Zukunft des Bürgerschaftlichen                                         Verhaltensstandards wie Toleranz, Verständi-
Engagements“ von 2002 entwickelt wurde. Enga-                                      gung, Gewaltfreiheit, aber auch Gemeinsinn zur
gement und Ehrenamt beschreiben Tätigkeiten,                                       Zivilgesellschaft.“4

1 Für eine intensivere Auseinandersetzung mit Begriffsfragen sei verwiesen auf: Ansgar Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft, politische Hintergründe und
demokratietheoretische Folgerungen, 2001; Frank Adloff, Zivilgesellschaft, Theorie und politische Praxis, 2005; Ludgera Vogt, Das Kapital der Bürger, Theorie
und Praxis zivilgesellschaftlichen Engagements, 2010; Rupert Graf von Strachwitz, Achtung vor dem Bürger: Ein Plädoyer für die Stärkung der Zivilgesellschaft,
2014; Hubertus Buchstein, Bürgergesellschaft und Bürgerkompetenzen, Politische Bildung 33 (2000), S. 8 ff.
2 Christiane Metzner, Freiwilligenmanagement als Instrument zur Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements in Nonprofit-Organisationen, 2014, S. 81, im
Internet abrufbar unter https://publishup.uni-potsdam.de/frontdoor/index/index/docId/6983 (10.3.2016).
3   Adloff, Zivilgesellschaft, S. 8.
4   Adloff, Zivilgesellschaft, S. 8.

                                                                                                                                                                 7
Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
Einleitung

             Politische Bildung, Zivilgesellschaft,
             Engagementpolitik
             Zivilgesellschaft basiert also auf einem sehr                                     was gesellschaftspolitische Foren und Dialoge,
             breiten Politikbegriff – und wird hier nicht allein                               Beteiligungsprozesse und Bürgerwerkstätten an-
             auf den Bereich der Demokratiearbeit, Demo-                                       geht. Ob sich deshalb auch die politische Debat-
             kratieförderung oder Extremismusprävention                                        tenkultur in Sachsen bereits verbessert hat oder
             beschränkt. In ähnlicher Weise unterliegt auch                                    die gesellschaftliche Polarisierung bereits über-
             die politische Bildung einer gewissen Defini-                                     wunden ist, darf im Moment bezweifelt werden.
             tionsbreite. Politische Bildung im Kontext der
             Erwachsenen- oder auch der Jugendbildung                                          Diese Publikation soll deshalb zur Diskussion
             kann als non-formale Bildung bezeichnet wer-                                      anregen, wie die sächsische Zivilgesellschaft sich
             den, ist sie doch ein zumeist freiwilliges Lernen                                 selbst versteht, wie sie ihr gemeinwohlorientier-
             außerhalb der gängigen Bildungs- und Ausbil-                                      tes Handeln weiterentwickeln will, welche Erwar-
             dungsgänge.5                                                                      tungen sie hat, um Öffentlichkeit mitzugestalten.
                                                                                               Gerade ein noch intensiveres Wechselspiel zwi-
             Während die Beschreibungen von Zivilgesell-                                       schen einem durch eine aktive Zivilgesellschaft
             schaft und Engagement auf gemeinwohlorien-                                        geprägten vorparlamentarischen Raum, der poli-
             tierte Vergemeinschaftung abzielen, geht es bei                                   tischen Bildung und der verfassten Politik dürfte
             der politischen Bildung stärker inhaltlich um                                     die politische Kultur in Sachsen bereichern, hof-
             die Vermittlung und Reflektion historischer und                                   fentlich versachlichen und beruhigen.7
             aktueller Entwicklungen, das Erklären demo-
             kratischer Entscheidungsfindungsprozesse und                                      Das alles spräche auch dafür, das Feld der En-
             zivilisierte Formen des Austragens politischer                                    gagementpolitik in Sachsen intensiver zu bear-
             Kontroversen zwischen mündigen Staatsbürge-                                       beiten. Dieses noch junge politische Arbeitsfeld,
             rinnen und Staatsbürgern in einer freiheitlichen                                  das sich bundesweit seit etwa 20 Jahren in Poli-
             Demokratie.                                                                       tik, Wissenschaft und organisiertem Engagement
                                                                                               entwickelt, zielt auf eine stabile Zivilgesellschaft
             Die offensichtliche Nähe zwischen der Förderung                                   ab. Engagementpolitik sieht in der strategischen
             einer Zivilgesellschaft und den Aufgaben der                                      und konzeptionellen Fortentwicklung der Zivil-
             politischen Bildung in Sachsen wird viel zu selten                                gesellschaft ihre wesentliche Aufgabe:8 Das ge-
             gesehen. Gerade wegen dieser besonderen Posi-                                     schieht in vielen Regionen durch die Gründung
             tion zwischen unterschiedlichen Sektoren der                                      von engagementstärkenden und -vermittelnden
             Gesellschaft kann es der Zivilgesellschaft gelin-                                 Institutionen, durch die Bereitstellung von staat-
             gen, zum integrierenden Faktor von Gesellschaft                                   lichen oder privaten Fördermitteln sowie die
             zu werden und diese partizipativ weiterzuentwi-                                   Ausgestaltung einer öffentlichen Anerkennungs-
             ckeln. Auch politische Bildung will entsprechend                                  kultur, einer stärkeren Vernetzung, die Fortbil-
             ihres Selbstverständnisses als gesellschaftlicher                                 dung der Engagierten. Eine Erwartung haben die
             Brückenbauer wirken. Mit diesem Ansatz können                                     Ehrenamtlichen zur Förderung des Engagements
             unterschiedliche Entwicklungen angestoßen                                         in Sachsen, so ein Ergebnis dieser Studie: Politik
             werden: beispielsweise in Richtung zu mehr di-                                    sollte zügig für den Abbau von Bürokratie im
             rekter Demokratie, zu mehr Debattenfähigkeit im                                   Gemeinnützigkeits- und Steuerrecht für Vereine,
             Vorfeld politischer Entscheidungen.6 Auf diesem                                   Stiftungen und andere vergleichbare Einrichtun-
             Gebiet ist in Sachsen, das aktuell wahrscheinlich                                 gen sorgen. Die vielfältigen Berichterstattungs-
             das „Debattenland Nummer eins in Deutschland“                                     und Dokumentationspflichten empfinden sehr
             ist, in den letzten Jahren sehr viel passiert, etwa                               viele Engagierte als hohe Belastung.

             5 Politische Bildung im zivilgesellschaftlichen Kontext kann auch dem Feld des informellen Lernens zugeordnet werden, wenn Lern- und Bildungserfahrungen
             eher als Begleiterscheinung der alltäglichen Arbeit in den jeweiligen Vereinen und Organisationen stattfinden.
             6 Vgl. Heinz Kleger, Rückkehr der Bürgergesellschaft?, Überlegungen zur Politischen Philosophie, in: Gerhardt (Hrsg.), Politisches Denken, Jahrbuch 1993,
             S.157 ff.
             7 Vgl. zu weiterführenden Gedanken und zur Datenlage etwa Klaus-Peter Hufer, Stand und aktuelle Perspektiven der politischen Erwachsenenbildung im
             Freistaat Sachsen. Expertise zum Sächsischen Landesforum Weiterbildung 2016 „Politische Bildung stärken!“ am 20. September 2016 in Chemnitz (DAStietz) im
             Auftrag des Landesbeirats für Erwachsenbildung beim Sächsischen Staatsministerium für Kultus, Chemnitz 2016.
             8 Mehr dazu in: Thomas Olk/Ansgar Klein/Birger Hartnuß (Hg.), Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe, Wiesbaden
             2010.

8
Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
Entwickelt sich Zivilgesellschaft – jenseits aller                                 meisten sächsischen Vereine sind im ländlichen
staatlichen Mittel und Maßnahmen – mit einem                                       Raum angesiedelt und übernehmen regionale
hohen Eigensinn weiter 9, braucht sie dafür Frei-                                  Verantwortung.
räume – sowohl in administrativer Hinsicht als
auch mit Blick auf die kreative Ausgestaltung ihrer                                Dass noch mehr Menschen aktiv werden, ist auch
Rolle in einem demokratischen Gemeinwesen.                                         das politische Ziel der seit Ende 2019 amtie-
                                                                                   renden Landesregierung aus CDU, Bündnis 90/
Die Engagementpolitik ist deshalb ein Politikfeld                                  Die Grünen und SPD. Die Koalition misst dem
mit Potenzial, auch wenn es in Sachsen bisher                                      freiwilligen Engagement einen hohen Wert bei:
eher nebenbei als explizit betrieben wird. Und                                     „Wir stärken eine Kultur des Ermöglichens und
doch: Die Förderung des freiwilligen Engage-                                       fördern Engagement und das Ehrenamt in Ge-
ments und der Zivilgesellschaft tritt zunehmend                                    sellschaft und Vereinen. […] Diejenigen, die sich
in den Fokus sächsischer Landes- und Kommu-                                        für unser Gemeinwohl einsetzen, genießen unser
nalpolitik. Schon seit 15 Jahren gibt es eine mo-                                  besonderes Vertrauen und unseren Schutz.“11
natliche Aufwandsentschädigung für Ehrenamt-                                       Mit zahlreichen Initiativen soll freiwilliges Enga-
liche („Wir für Sachsen“). Seit 2005 unterstützt                                   gement unterstützt werden, darunter der Aufbau
das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für                                        einer landesweiten Ehrenamtsagentur. Angekün-
Demokratie und Toleranz“ zivilgesellschaftliche                                    digt werden zudem neue Förderrichtlinien für
Organisationen u. a. bei der „Stärkung demo-                                       demokratische, soziale und kulturelle Orte sowie
kratischer Werte in einer aktiven Bürgergesell-                                    die unterschiedlichen Bürgerbeteiligungsvorha-
schaft“. Seit 2018 regelt der neue Paragraph 47a                                   ben, beispielsweise kommunale Bürgerbudgets.
der Sächsischen Städte- und Gemeindeordnung,                                       Bei Drucklegung dieser Publikation waren diese
dass Jugendliche an Entscheidungen in der                                          Vorhaben noch in der Entwicklung und konnten
Kommunalpolitik beteiligt werden sollen. Das                                       weder dargestellt noch wissenschaftlich analy-
von der Staatsregierung jüngst eingeführte kom-                                    siert werden.
munale Ehrenamtsbudget ermöglicht es jedem
Landkreis, jährlich 200.000 Euro zur Ehrenamts-                                    Ob sich durch die Fülle an Einzelmaßnahmen
förderung bereitzustellen. Allerdings geschieht                                    und zukünftigen Vorhaben eine aktive Zivilgesell-
dies bisher eher ad hoc, ortsspezifisch und ohne                                   schaft in Sachsen weiterentwickeln kann bzw.
landesweiten, konzeptionellen Überbau. Ob es                                       wie die interviewten sächsischen Engagementex-
nun allein an diesen finanziellen Unterstützungs-                                  pertinnen und -experten die zumeist unverbun-
leistungen oder sich verändernden gesellschaft-                                    denen, verschiedenen, kommunalen oder lan-
lichen Umständen liegt, dass sich Bürger und                                       despolitischen Förderinstrumente wahrnehmen,
Bürgerinnen engagieren: Erkennbar ist – etwa                                       schlägt sich im zweiten Teils dieser Publikation
im Freiwilligensurvey 2014 –, dass in Sachsen                                      nieder. Dabei wird sich zeigen, als wie wirksam
der Anteil der Engagierten in den vergangenen                                      sich die bisherigen Instrumente und Verfahren
zwanzig Jahren stetig angewachsen ist. Lag die                                     aus Sicht der Interviewten erwiesen haben,
Engagementquote 1999 noch bei 29,8 %, waren                                        welche Erwartungen sie an Unterstützungsleis-
es 2014 –mit einem erweiterten Engagement-                                         tungen aus Stadt und Land haben und welche
begriff – 38,3 %. Der Bundesdurchschnitt von                                       gemeinsame Strategie staatliche Programme aus
43,6 % rückt näher, ist aber noch eine Wegstrecke                                  ihrer Sicht zukünftig verfolgen sollten.
entfernt.10

Gerade der erste Teil der vorliegenden Publika-
tion zeigt deutlich, dass Engagement in Sachsen
oftmals etwas kleinteiliger ausgestaltet ist als
in anderen Bundesländern, dass es weniger
Organisationen mit hauptamtlichem Personal
gibt, die Finanzierung schwächer als im Bundes-
durchschnitt abgesichert ist und sich nochmals
zwischen Stadt und Land unterscheidet. Die

9    Vgl. etwa Holger Backhaus-Maul /Stefan Nährlich, Stefan/Rudolf Speth, Denkschrift Bürgergesellschaft, Berlin 2012.
10 Daten bei: https://www.engagiert-dabei.de/fileadmin/Downloads/Info-Material/Studien_Evaluationen_Positionen/2017-02-09_Freiwilligensurvey_2014_
Praes_Sachsen.pdf und https://www.dza.de/fileadmin/dza/pdf/fws/FWS_Laenderbericht_ges_2016.09.13.pdf
11    CDU Sachsen, Bündnis 90/Die Grünen, SPD Sachsen: Gemeinsam für Sachsen: Koalitionsvertrag 2019 bis 2024, Dresden2019, S. 3.

                                                                                                                                                     9
Engagement in Sachsen - Wofür sich Menschen einsetzen und welchen Rahmen es braucht
Einleitung

             Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
             Für das „Wohl und Wehe“ der Engagementland-                                        re politische Aussagen und Handlungen ihren
             schaft sind die gesellschaftlichen Rahmenbedin-                                    Gemeinnützigkeitsstatus in Frage stellen. In
             gungen von großer Bedeutung. Kein unerheb-                                         Sachsen gibt es seit den letzten Kommunalwah-
             licher Faktor ist der demografische Wandel, der                                    len an manchen Orten Spannungen, wenn allzu
             Sachsen schon jetzt und auch in Zukunft stark                                      kritische oder politisch möglicherweise etwas
             verändern wird. Das Berlin Institut für Bevöl-                                     einseitige Vereine kommunale Fördermittel un-
             kerung und Entwicklung rechnet bis 2035 mit                                        ter dem Stichwort der mangelnden „politischen
             einem Rückgang der Bevölkerung in Sachsen                                          Neutralität“ gestrichen bekommen. Abgesehen
             um etwa 9 %.12 Nur die Großstädte Leipzig und                                      von der Frage, ob von Vereinen in einer viel-
             Dresden werden wachsen, alle anderen Land-                                         fältigen, freiheitlichen Gesellschaft überhaupt
             kreise und die Stadt Chemnitz voraussichtlich                                      – anders als bei einer Landeszentrale – dezidiert
             schrumpfen. In vielen ländlichen Regionen ist                                      „Überparteilichkeit“ oder gar „Neutralität“ er-
             schon jetzt zu beobachten, was eine abnehmen-                                      wartet werden kann, zeigen diese Einzelfälle:
             de und alternde Bevölkerung bedeutet.                                              Gesellschaftliche Spannungen kommen auch
                                                                                                in sächsischen Vereinen und Organisationen an
             Vereine und zivilgesellschaftliche Organisatio-                                    und beschäftigen sie. Wie stark sich die bisher
             nen sorgen besonders auf dem Land für An-                                          insgesamt eher politisch zurückhaltende sächsi-
             gebote in Freizeit, Kultur, Gemeinwesenarbeit,                                     sche Zivilgesellschaft in gesellschaftliche Debat-
             Kirchen, Sport oder Bildung. Typische Probleme                                     ten einmischen will, werden die Diskussionen
             des Ehrenamts zeigen sich dort aber noch stär-                                     der kommenden Jahre zeigen. Veränderungen
             ker als in den Städten: Fehlender Nachwuchs                                        sind jedoch absehbar, weil sich in den letzten
             etwa für Leitungs- und Führungspositionen,                                         Jahren viele junge Initiativen gebildet haben:
             die kulturellen Grenzen in der Zusammenarbeit                                      von „Fridays for Future“ über Jugendclubs mit
             zwischen den Generationen, mangelnde Infra-                                        gesellschaftlichen Anliegen bis zu Gruppen,
             struktur oder digitale Ausstattung. Wie hoch                                       die sich für Geflüchtete einsetzen. Ihnen ist ge-
             Menschen die Lebensqualität und damit die                                          meinsam, dass sie selbstbewusst politische Mit-
             Attraktivität einer Region wahrnehmen, orien-                                      sprache einfordern. Sie werden die sächsische
             tiert sich zunächst an harten Faktoren wie Infra-                                  Zivilgesellschaft in den kommenden Jahren
             struktur, Daseinsvorsorge, Ausbildungsmöglich-                                     verändern.13
             keiten und Arbeitsplätzen. Nicht unterschätzt
             werden dürfen aber auch die sogenannten                                            Gänzlich diesen Fragen ausweichen werden
             weichen Faktoren: Ein aktives Vereinsleben, die                                    aber auch Feuerwehren und Katastrophen-
             Verwurzelung in gesellschaftlichen Gruppen                                         schutz, Kirchgemeinden, der organisierte
             oder Möglichkeiten der sozialen und politischen                                    Sport, Gewerkschaften und Genossenschaften,
             Beteiligung sind ebenfalls wichtige Standort-                                      Bildungsvereine und Sozialverbände nicht.
             und Bleibefaktoren. Gilt also: Je lebendiger die                                   Schon heute zeigen viele dieser Organisationen
             Zivilgesellschaft, desto mehr Zuzug oder zumin-                                    einen Bedarf an politischer Bildung und Be-
             dest weniger Abwanderung?                                                          ratung an. Blickt man auf die gesellschaftlichen
                                                                                                Entwicklungen insgesamt, so zeigt etwa der
             An das freiwillige Engagement wird in „poli-                                       Sachsen-Monitor 2018 eine nervöse und gespal-
             tischen Sonntagsreden“ oft der Anspruch                                            tene Mitte der Gesellschaft. 14 Diese besaß vor
             erhoben, wieder für mehr gesellschaftlichen                                        Ausbruch der Corona-Pandemie durchaus posi-
             Zusammenhalt zu sorgen. Diese Erwartungs-                                          tive Zukunftserwartungen im Hinblick auf die
             haltung muss angesichts der gesellschaftlichen                                     wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität der
             Polarisierung in Sachsen überprüft werden.                                         Demokratie. Dem standen aber auch große Zu-
             Landes- und auch bundesweit sind eine Reihe                                        kunftssorgen gegenüber: So befürchteten große
             von Organisationen verunsichert, inwieweit kla-                                    Teile der Bevölkerung, dass die Gegensätze

             12 Vgl. Reiner Klingholz u.a., Die demografische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig Deutschlands Regionen sind, Berlin 2019, 57ff. abrufbar unter: https://
                 www.berlin-institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/PDF/Demografische_Lage_online.pdf
             13 Vgl. Albert, Mathias u. a (2019): Jugend 2019 – 18. Shell Jugendstudie: Eine Generation meldet sich zu Wort, Beltz, S.20f.
             14 Die Daten des Sachsen-Monitors 2018 sowie der beiden Vorjahre finden sich unter https://www.staatsregierung.sachsen.de/sachsen-monitor-2018-5616.
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zwischen Arm und Reich zunähmen und der ge-          gemeinsame Ziele, das tatkräftige Anpacken, ein
sellschaftliche Zusammenhalt schwände, dass          Mehr an gesellschaftlicher Kooperation zwischen
die Rente nicht zum Leben ausreichte und die         Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesell-
deutsche Kultur durch Zuwanderung verloren           schaft. Zukunftsfragen, die nur aus der Mitte der
ginge. Hohe diskriminierende und rassistische        Gesellschaft heraus bearbeitet und gelöst wer-
Einstellungen arbeitete der Sachsen-Monitor          den können, gibt es in Sachsen genug.
ebenfalls 2018 heraus, wobei fremdenfeind-
liche Einstellungen in Sachsen häufiger als im
Bundesgebiet ausgeprägt sind, Antisemitismus,
Muslimfeindlichkeit oder Antiziganismus da-
gegen unter dem Bundesdurchschnitt liegen.

Die öffentliche Debatte über diese Umfrageer-
gebnisse ist deshalb nicht nur mit Ursachenfor-
schung beschäftigt gewesen, sondern dreht sich
auch um die Frage, welchen Beitrag Ehrenamt
und Engagement, die sächsische Zivilgesell-
schaft und die politische Bildung zur Verände-
rung des gesellschaftlichen Klimas leisten kön-
nen. Es gehört aber auch zu den ernüchternden
Erkenntnissen des Sachsen-Monitors 2018, dass
sich in ihnen nur ein begrenzter Willen der Bür-
gerinnen und Bürger zur politischen Verantwor-
tungsübernahme niederschlägt, viele dagegen
nach dem Staat rufen, ihm aber zugleich miss-
trauen. Diesen Ambivalenzen gilt es auch auf
der Grundlage dieser Studie weiter nachzuge-
hen, schließlich gehört politisches Engagement
in Parteien, Verbänden und Kommunen – neben
der gesamten Breite der Vereinslandschaft – zu
den tragenden Säulen unseres Gemeinwesens.

Zugleich verweisen die besagten Befunde aber
auch auf das Potenzial und die Bedeutung des
freiwilligen Engagements im vorparlamentari-
schen, gemeinnützigen Raum: Wer sich für eine
Sache einsetzt, übernimmt bereits gesellschaft-
liche Verantwortung. Wenn sich dieses Enga-
gement verbreitern und vervielfältigen ließe,
entstünden viele Gelegenheiten für Bürgerinnen
und Bürger, Selbstwirksamkeitserfahrungen zu
machen, also um zu erleben: Meine Ideen lassen
sich gemeinsam mit anderen umsetzen und tra-
gen Früchte. Das sind entscheidende Schritte zu
einer gesellschaftlichen Veränderung. Verantwor-
tung wird eingeübt, der Blick von Problemen auf
Lösungen gerichtet, eine „Brücke zu den Nächs-
ten“ wird geschlagen – ganz gleich, ob sie bereits
über Generationen hierzulande leben oder sich
gerade erst niedergelassen haben.

Eine dynamische Gesellschaft wie die des Frei-
staates braucht immer zugleich Stabilität, soziale
Absicherung und Öffnung. Gegen Nervosität hel-
fen nicht nur Zuhören und Dialoge, sondern auch

                                                                                                          11
Einleitung

             Forscherteams, Fragestellung, Ergebnisse
             Diese Publikation besteht aus zwei Teilstudien,                                Die zweite – qualitative – Studie wurde von
             die wissenschaftlich unterschiedlich – nämlich:                                einem Forschungsteam der Martin-Luther-Uni-
             quantitativ und qualitativ – vorgehen. Zur Er-                                 versität Halle-Wittenberg unter Leitung von Dr.
             arbeitung konnte die SLpB zwei renommierte                                     Holger Backhaus-Maul und PD Dr. Rudolf Speth
             Forschungseinrichtungen gewinnen, denen wir                                    gemeinsam mit Lina Hehl, Tim Sydlik und Louis
             an dieser Stelle herzlich für die sehr gute und                                Wolfradt erstellt. In der qualitativen Studie
             intensive Zusammenarbeit danken: Zum einen                                     wurden insbesondere Experteninterviews mit
             „Zivilgesellschaft in Zahlen“, ein „Think & Do                                 ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern
             Tank“ im Stifterverband für die Deutsche Wis-                                  des organisierten Engagements sowie auch von
             senschaft, Berlin, für den Jana Priemer sowie                                  Verwaltung und Politik auf Kommunalebene ge-
             Dr. Holger Krimmer die zivilgesellschaftlichen                                 führt.15 Ausgewählt wurde hierzu das großstäd-
             Organisationsstrukturen in Sachsen durchleuch-                                 tische Leipzig und das ländlich-städtische Baut-
             teten. Dabei stehen die rund 30.000 Vereine im                                 zen. Ergänzend wurde in der Stadt Reichenbach
             Vordergrund. Die Ergebnisse zeigen, wie bereits                                im Vogtland eine Bestandserhebung des organi-
             angedeutet, eine durchaus gut organisierte Ver-                                sierten Engagements durchgeführt, so dass alle
             einslandschaft, die dem Vergleich mit anderen                                  drei Landesteile Sachsens Berücksichtigung fin-
             Bundesländern standhält. Auffällig ist allerdings,                             den. Um einen landesweiten Überblick über die
             dass Sachsens Vereine kleiner sind als im Bun-                                 Entwicklung des organisierten Engagements in
             desdurchschnitt, stärker in ländlichen und klein-                              Sachsen zu erhalten, wurden zudem auf Landes-
             städtischen Gegenden angesiedelt sind, weniger                                 ebene Expertinnen und Experten aus organisier-
             hauptamtliches Personal und weniger Finanzen                                   tem Engagement und auch Ministerien zu ihren
             haben. Wie in allen ostdeutschen Bundesländern                                 Vorstellungen, Erfahrungen und Erkenntnissen
             wurden die allermeisten Vereine erst nach der                                  mit organisiertem Engagement sowie den von
             Wende gegründet. Besonders die 1990er Jahre                                    Politik und Verwaltung gesetzten Rahmenbedin-
             erlebten einen regelrechten Gründungsboom;                                     gungen in Sachsen befragt. Ergänzend wurden
             es entstanden dort etwa 40 % der heute noch                                    mit ausgewählten Experten und Expertinnen
             aktiven Vereine. Die sächsischen Vereine sind                                  Gespräche zu spezifischen Themen der qualita-
             zumeist in den Bereichen Kultur, Sport, Bildung,                               tiven Studie geführt. Die Experteninterviews mit
             Freizeit aktiv – internationales Engagement ist                                Führungs- und Leitungskräften erstrecken sich
             dagegen in Sachsen unterrepräsentiert. Auch                                    über alle engagementrelevante Handlungsfelder
             fehlen im Freistaat finanzstarke Stiftungen, die                               von Katastrophenschutz, Rettungswesen und
             jenseits der öffentlichen Hand Engagement                                      Feuerwehr über Sport und Soziales sowie Migra-
             fördern könnten. Dass sich das kirchliche Enga-                                tion und Flucht bis hin zu Kultur und Heimat. Zur
             gement in der ZiviZ-Untersuchung nicht stark                                   Vor- und Nachbereitung der Experteninterviews
             niederschlägt, hat im Zusammenhang mit dieser                                  wurden einschlägige empirische Studien und Do-
             Studie weniger mit der Säkularisierung zu tun                                  kumente, wie etwa Selbstdarstellungen, Berichte
             als mit forschungsmethodischen Gründen. ZiviZ                                  und Förderprogramme zur Situation und den
             hat Vereinsregister untersucht, in denen weder                                 Bedingungen des organisierten Engagements in
             die Landeskirchen oder Bistümer, noch die                                      Sachsen ausgewertet.
             jüdischen oder freikirchlichen Gemeinden vor-
             kommen, weil sie den rechtlichen Status einer                                  Dadurch entsteht ein lebendiges Bild der Er-
             Körperschaft des Öffentlichen Rechts haben.                                    fahrungen und Erwartungen der organisierten
             Lediglich kirchlich-religiöse Vereine, Stiftungen,                             Zivilgesellschaft in Sachsen. Die Engagierten be-
             Genossenschaften wurden in die Berechnung                                      klagen etwa ein Anwachsen der bürokratischen
             aufgenommen. Ähnliches gilt auch für bestimm-                                  Anforderungen, nicht jedoch fehlende Förder-
             te Gruppierungen des Umweltschutzes und der                                    gelder. Auch wenn der Blick auf das Thema Fi-
             Freiwilligen Feuerwehren. So fallen beispielswei-                              nanzen sich durchaus bei Vereinen im ländlichen
             se auch diejenigen Ortsgruppen aus der Statistik,                              und im städtischen Bereich unterscheidet, sollte
             die nicht als Verein organisiert sind.                                         Sachsens Engagementpolitik in Zukunft nicht
                                                                                            allein auf die Ausweitung von Fördermitteln
             15 Hinweis zur Schreibweise: Diese Studie richtet sich an alle engagierten Menschen in Sachsen. Wir haben uns darum entschieden, im Text sowohl gender-
                 neutrale als auch weibliche und männliche Bezeichnungen zu nutzen.

12
und Ehrenamtsbudgets ausgerichtet sein. Nach           dafür werben, bürgerschaftliches Engagement
den Ergebnissen unserer Befragungen scheint            im Freistaat weiter zu verstärken und zu verbrei-
das Bedürfnis nach nicht-finanziellen Unter-           tern. Die vorliegende Publikation wird nicht alle
stützungsmaßnahmen wichtiger zu sein, etwa             relevanten Fragen rund um das Thema „Engage-
die Beratung von Organisationen. Ob dazu der           ment in Sachen“ beantworten, sondern einige
verstärkte Aufbau dezentraler Anlaufstellen wie        sehr konkrete Einblicke geben. Weitere Studien
Freiwilligenagenturen oder Beratungsstellen not-       müssten folgen, um das Gesamtbild, aber auch
wendig ist, wäre nun zu diskutieren. Die Forscher      regionale oder fachliche Fragen genauer zu be-
und Forscherinnen konnten zudem zeigen, dass           antworten.
der Zivilgesellschaft in Sachsen eine landesweite
Vernetzung und ein von vielen geteiltes Selbst-        Wir wollen mit dieser Publikation einen Impuls
verständnis als partizipativ-politische Zivilgesell-   dafür geben, dass in den kommenden Monaten
schaft fehlen.                                         in allen Landesteilen über die Fortentwicklung
                                                       der sächsischen Zivilgesellschaft und der säch-
Nicht zuletzt machen die Studien deutlich, dass        sischen Engagementpolitik diskutiert wird. Wir
es in Sachsen sowohl auf der Landesebene als           werden diesen Prozess mit einer Reihe von Ver-
auch auf der kommunalen Ebene angebracht               anstaltungen begleiten und selbst noch inten-
erschiene, bisherige konzeptionelle Überlegun-         siver als bisher unseren Beitrag zur Vernetzung
gen nochmals systematisch und umfassend zu             engagierter Bürgerinnen und Bürger im Freistaat
betrachten und weiterzuentwickeln. Aktuell be-         Sachsen leisten.
sitzt fast jedes Staatsministerium seine eigenen
Förderrichtlinien und unterstützt ressortbezogen       Eine gute Lektüre und intensive Debatte
die Organisationen und Individuen, die Berüh-          wünschen
rungspunkte zum Auftrag des jeweiligen Hauses
haben. Das ist sachpolitisch nachvollziehbar.          Roland Löffler und Friedemann Brause
Eine kohärentere sächsische Gesamtstrategie            Sächsische Landeszentrale
für die kommenden Jahre ist allerdings gegen-          für politische Bildung
wärtig nicht erkennbar. Vor ähnlichen Heraus-
forderungen stehen die Kommunen – und auch
die Organisationen der Zivilgesellschaft. Eine
konzeptionelle Gesamtbetrachtung wäre im Zu-
sammenspiel von ehrenamtlich Tätigen aus gro-
ßen und kleinen Organisationen, Verwaltungen
und Politik unter Begleitung von Wissenschaft zu
entwickeln.

Ein weiteres Arbeitsgebiet wäre der Ausbau der
so genannten Engagementinfrastruktur, deren
Kern vielerorts etwa Bürgerstiftungen, Freiwil-
ligenzentren, Mehrgenerationenhäuser sowie
Engagementbörsen digitaler und analoger Art
bilden. Diese Einrichtungen gibt es in manchen
Kommunen, aber noch nicht flächendeckend
in Sachsen. Hier könnte der Freistaat noch eine
Wegstrecke gehen, um Knotenpunkte des Enga-
gements gezielter aufzubauen.

Beide Studien zusammen ergeben eine kom-
pakte Vermessung des engagementpolitischen
Feldes, die empirische Befunde und neue theo-
retisch-konzeptionelle Einsichten miteinander
verbindet. Die Sächsische Landeszentrale für
politische Bildung will mit dieser Publikation
einen Impuls für die Debatte zur Fortentwicklung
der sächsischen Engagementpolitik leisten - und

                                                                                                           13
14
Vereine in
Sachsen:
Herausforderungen
und Chancen
Ergebnisse aus dem ZiviZ-Survey 2017
von Jana Priemer und Holger Krimmer, ZiviZ gGmbh im Stifterverband

                                                                     15
Organisationslandschaft in Sachsen

                                     Ergebnisse kurz notiert

                                     • Ende 2019 waren in den sächsischen Vereins-         • Das könnten sich die meisten Organisationen
                                       registern 30.794 Vereine registriert. Von diesen      auch nicht leisten, denn die finanziellen Res-
                                       haben 30.099 auch ihren Sitz in Sachsen. Verei-       sourcen sind in der Regel knapp. 62 % der Orga-
                                       ne machen neben Stiftungen und gemeinnützi-           nisationen haben höchstens 10.000 Euro jähr-
                                       gen Kapitalgesellschaften den größten Anteil an       lich zur Verfügung, einige sogar weit weniger.
                                       den Organisationen der Zivilgesellschaft aus.
                                                                                           • Die meisten Organisationen konnten ihre En-
                                     • Jeder zweite sächsische Verein hat seinen Sitz        gagiertenzahlen bislang stabil halten. Doch
                                       in einer kleinen Gemeinde (24 %) oder einer           immerhin 18 % berichten, dass sie heute nicht
                                       Kleinstadt (26 %). Nur 29 % der Vereine sind in       mehr so viele Engagierte haben wie noch im
                                       einer der sächsischen Großstädte aktiv.               Jahr 2012. Insgesamt müssen die Organisa-
                                                                                             tionen große Anstrengungen unternehmen,
                                     • Kultur (19 %), Sport (18 %), Freizeit (17 %) und      um genügend Engagierte zu mobilisieren, vor
                                       Bildung (16 %) machen mit 70 % zusammen               allem für dauerhafte Engagements.
                                       den überwiegenden Teil der Vereine aus. Damit
                                       ist vor allem der Freizeitbereich in Sachsen        • „Gleich und gleich gesellt sich gern.“ Dies gilt
                                       besonders stark vertreten.                            in den meisten Vereinen in Deutschland, in
                                                                                             den Vereinen Sachsens jedoch besonders. Mit-
                                     • Viele Menschen können von den Angeboten               glieder und Engagierte haben hier in der Regel
                                       profitieren, auch jene, die nicht Mitglied in den     eine ähnliche kulturelle Herkunft.
                                       Organisationen sind. Die Angebote richten sich
                                       in vielen Fällen an die breite Gesellschaft, auch   • Auch in Sachsen fühlen sich viele Organisatio-
                                       an bedürftige Menschen.                               nen durch bürokratische Vorschriften in ihren
                                                                                             Aktivitäten eingeschränkt. Die Mehrheit der
                                     • Die meisten Vereine sind kleine bis mittelgroße       Vereine in Sachsen (77 %) fordert deshalb we-
                                       Organisationen. In Sachsen sind Vereine noch          niger Bürokratie.
                                       kleiner als im Bundesdurchschnitt. Mehr als
                                       drei Viertel (79 %) der Vereine haben höchstens
                                       100, weitere 12 % bis zu 300 Mitglieder. Große
                                       Vereine mit mehr als 300 Mitgliedern sind mit
                                       8 % vergleichsweise selten.

                                     • Bürgerschaftliches Engagement ist die Basis
                                       der Organisationen, ohne die sie ihre Aktivi-
                                       täten nicht aufrechterhalten könnten. 85 % der
                                       Organisationen arbeiten ausschließlich mit
                                       freiwillig Engagierten und werden nicht zusätz-
                                       lich von bezahlten Beschäftigten unterstützt.

16
Einführung                                                  bestellt ist und wie sich diese in den vergange-
In diesem quantitativen Analyseteil werden
zunächst die allgemeinen Strukturen der                     nen Jahren entwickelt hat.
organisierten Zivilgesellschaft in Sachsen
deskriptiv dargestellt (Abschnitt 1). Insbe-                Mit den vorliegenden Daten wird eine zent-
sondere Gemeinsamkeiten und Unterschiede                    rale Herausforderung für Vereine und andere
gegenüber dem Bundestrend sollen identifi-                  gemeinnützige Organisationen deutlich: die
ziert werden. Die Datenbasis dafür ist der Zi-              Ressourcenmobilisierung. Gerade die Mobili-
viZ-Survey 2017 (siehe Abschnitt Datenbasis).               sierung von Engagierten stellt einige – jedoch
                                                            längst nicht alle Organisationen – vor beson-
Da es ohne freiwilliges Engagement auch kei-                dere Problemsituationen. Doch auch die Mit-
ne organisierte Zivilgesellschaft gäbe, wird                gliedergewinnung, die wiederum die Voraus-
besonders auf die Daten zur Entwicklung des                 setzung für regelmäßige Einnahmen darstellt,
Engagements in den Organisationen abgeho-                   ist für einige Vereine – insbesondere im länd-
ben (Abschnitt 2). Neben dem Engagement                     lichen Raum – zunehmend ein Problem.
spielen für die Handlungsfähigkeit der Orga-
nisationen natürlich auch finanzielle Ressour-
cen eine entscheidende Rolle. Daher wird im
Abschnitt 3 darauf eingegangen, wie es um die
finanzielle Situation in den Organisationen

Verein ist nicht gleich Verein
Unter den 608.000 eingetragenen Vereinen in Deutsch-        die Vereine hinsichtlich ihrer Tätigkeitsinhalte und ihrer
land herrscht eine enorm große Vielfalt. Das trifft         Arbeitsweise mitunter sehr unterscheiden. So weisen
ebenso auf Stiftungen und andere Rechtsformen zu. Die       beispielsweise manche Vereine mehr Ähnlichkeiten mit
Rechtsformen stellen in der Regel nur den juristischen      Stiftungen auf. Wenn im Folgenden Entwicklungen und
Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens kann die Ausgestal-        Trends skizziert werden, heißt das keinesfalls, dass diese
tung sehr unterschiedlich sein. Das führt dazu, dass sich   immer gleichermaßen auf alle Vereine zutreffen müssen.

                                                                                                                         17
Organisationslandschaft in Sachsen

       Organisations-
       landschaft
       in Sachsen

       Organisationen:
       Vereine, Stiftungen
       und mehr
       Da die organisierte
       Zivilgesellschaft in                                                                                   Übung am Bärwalder See der Wasserwacht. Bild: Sven Rogge / DRK Sachsen
       Sachsen vor allem durch
       Vereine geprägt ist, wird
       im Folgenden von Ver-
       einen oder der Vereins-       Ende 2019 waren in den sächsischen Vereins-                                      (gemeinnützige GmbHs) gibt es derzeit keine
       landschaft gesprochen.        registern1 30.794 Vereine registriert. Von die-                                  Informationen.
       Gemeint sind dabei            sen haben 30.099 auch ihren Sitz in Sachsen.
       jedoch immer auch die         Neben den Vereinen zählen die 569 rechtsfä-                                      Im Bundesdurchschnitt machen eingetragene
       übrigen Rechtsformen,         higen Stiftungen des bürgerlichen Rechts2 zur                                    Vereine neben Stiftungen, Genossenschaften und
       insbesondere Stiftungen,      organisierten Zivilgesellschaft in Sachsen.                                      gemeinnützigen GmbHs etwa 95 % aus – also
       die zwar rein zahlenmä-                                                                                        den allergrößten Teil der organisierten Zivilge-
       ßig nur einen kleinen Teil    Auch ein Teil der 760 eingetragenen Genossen-                                    sellschaft. In einem ähnlichen Verhältnis dürften
       ausmachen, aber eine          schaften3 kann zur organisierten Zivilgesell-                                    sich die Vereine zu den übrigen Organisationen
       erhebliche gesellschaft-      schaft gezählt werden. Es gibt derzeit jedoch                                    auch in Sachsen bewegen.
       liche Relevanz haben.         keine Informationen darüber, wie viele davon
                                     der organisierten Zivilgesellschaft zugerechnet
                                     werden können. Auch zur Zahl der gemeinnüt-
                                     zigen Gesellschaften mit beschränkter Haftung

                                     1 In Sachsen führen die Amtsgerichte in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Königstein Vereinsregister. Die dort gelisteten Vereine können im Gemeinsamen
                                     Registerportal der Länder unter www.registerportal.de abgerufen werden. Die Zahl 30.794 bezieht sich auf den Stand Ende November 2019.
                                     2 Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen, unter: https://www.stiftungen.org/de/stiftungen/zahlen-und-daten/stiftungen-regional/stiftungen-in-sachsen.
                                     html, Zugriff am: 5. März 2020.
                                     3   Quelle: Gemeinsames Registerportal der Länder unter www.registerportal.de, Zugriff am 3. März 2020.

18
Da Sachsen ländlicher
                                                                                                                                                              geprägt ist als andere
                                                                                                                                                              Bundesländer, gibt
                                                                                                                                                              es hier auch mehr
Das Juniorteam des Landessportbundes beim Erlebniswochenende im Elbsandsteingebirge. Bild: Landessportbund Sachsen
                                                                                                                                                              Vereine im ländlichen
                                                                                                                                                              Raum.

Viele Vereine in
ländlichen Regionen
Die meisten Vereine gibt es in der Regel dort, wo                     Räumliche Verteilung der Vereine
die meisten Menschen leben. Analog der Bevöl-
kerungsentwicklung gibt es heute die meisten                                                                                                             34
                                                                                                       31
Vereine in Großstädten. Bundesweit hat bereits                                          29
jeder dritte Verein (34 %) seinen Sitz in einer                              26                              25                                     25
                                                                        24                                         23
Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern. In                                                                           21                     22
                                                                                  20                                                   20
kleinen Gemeinden mit weniger als 5.000 Ein-
wohnern ist heute nur noch jeder fünfte Verein
(20 %) zu finden. Die übrigen Vereine verteilen
sich auf kleinere und mittlere Städte (vgl. Abbil-
dung 1).
                                                                             Sachsen                  Ostdeutschland                     Bundesweit
Da Sachsen ländlicher geprägt ist als andere
Bundesländer, gibt es hier auch mehr Vereine                                 Kleine Gemeinde                      Mittelstadt
im ländlichen Raum. Immerhin etwa jeder
zweite sächsische Verein hat seinen Sitz in einer                            Kleinstadt                           Großstadt
kleinen Gemeinde (24 %) oder einer Kleinstadt                         ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 101.                       Abb. 1: In Sachsen ist
                                                                      Kleine Gemeinde: bis 4.999 Einwohner; Kleinstadt: 5.000 bis 19.999
(26 %). Nur 29 % der Vereine sind in einer der                        Einwohner; Mittelstadt: 20.000 bis 99.999 Einwohner; Großstadt 100.000
                                                                                                                                                         jeder zweite Verein in
sächsischen Großstädte aktiv. Damit ist die Ver-                      oder mehr Einwohner.                                                               einer kleinen Gemeinde
einslandschaft in Sachsen zwar ländlicher als                                                                                                            oder einer Kleinstadt
im Bundesdurchschnitt, aber städtischer als                                                                                                              angesiedelt.
im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundes-
ländern.

                                                                                                                                                                                       19
Organisationslandschaft in Sachsen

       Gründungsjahre der Vereine (in %)

                                           16

                                                                                                           39
                                                                              21                                                                            40
                                                                                                                                      19

                   48             Bundesweit           21                          Ostdeutschland                                             Sachsen

                                                                             14                                                       14

                                                                                                                                                    27
                                                                                                25
                                             15

                                                                  bis 1989                       1990 bis 1999                        2000 bis 2009                      2010 bis 2017
                                                            ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 249.

                                      Eine junge Vereinslandschaft
                                      Die Vereine in Sachsen sind geprägt von der be-                             In den alten Bundesländern hingegen existieren
                                      sonderen historischen Entwicklung der neuen                                 auch heute noch vergleichsweise viele Vereine,
       Abb. 2: Die meisten            Bundesländer. 19 % der heute bestehenden                                    deren Historie zum Teil weit in die Vorkriegszeit
       der heute in Sachsen           Vereine Sachsens existierten in ihren Strukturen                            zurückgeht. Nach Ende des zweiten Weltkriegs
       bestehenden Vereine            zwar bereits vor 1989, alle anderen wurden erst                             1945 wurden dann sukzessive immer mehr Ver-
       wurden in den Jahren           nach 1989 gegründet. Besonders viele Vereine                                eine gegründet. Heute machen die bis 1989 ge-
       nach der Wiedervereini-        wurden in den ersten Jahren nach der Wieder-                                gründeten Vereine in den alten Bundesländern
       gung gegründet.
                                      vereinigung gegründet. 40 % der heute beste-                                immerhin noch knapp die Hälfte (48 %) aus, auch
                                      henden sächsischen Vereine entstanden in den                                wenn diese Traditionsvereine immer stärker unter
                                      Jahren zwischen 1990 und 1999.                                              Druck stehen (vgl. Priemer et al. 2019).

                                      Viele kleine Vereine
                                      Bei den meisten Vereinen handelt es sich – be-                              Mitgliederzahlen 2017 (in %)
                                      zogen auf die Mitgliederzahlen und die Zahlen
       Abb. 3: Mehr als drei          der freiwillig Engagierten – um kleine oder mittel-                                                             8                         8
                                                                                                                             15
       Viertel aller Vereine in       große Organisationen. Insgesamt sind Sachsens                                                                  14                         12
       Sachsen haben höchs-           Vereine noch kleiner als im Bundesdurchschnitt
       tens 100 Mitglieder.                                                                                                  24
                                      (auch im Vergleich zu den Vereinen in Ostdeutsch-
       Mitgliederzahlen 2017          land). Mehr als drei Viertel (79 %) der Vereine in
       (in %)                         Sachsen haben höchstens 100, weitere 12 % bis                                                                  78                         79
                                      zu 300 Mitglieder. Große Vereine mit mehr als 300
                                                                                                                             61
                                      Mitgliedern sind – ähnlich wie im Bundesdurch-
                                      schnitt – mit 8 % vergleichsweise selten.

                                      Die Zahl der Mitglieder ist in den meisten Vereinen
                                      (24 %) seit 2012 mindestens stabil, oder sogar stei-                          Bundesweit              Ostdeutschland                 Sachsen
                                      gend (35 %). Bei etwa jedem fünften Verein (24 %)
                                      in Sachsen sind die Mitgliederzahlen jedoch auch                                     bis 100 Mitglieder                  101 bis 300 Mitglieder
                                      rückläufig. Damit entwickeln sich die Mitglieder-
                                      zahlen in Sachsen kaum anders als in anderen                                         mehr als 300 Mitglieder
                                      Bundesländern.
                                                                                                                  Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine, gewichtet, N =6.461, davon fehlend: 557.

20
Zahl der Mitglieder (in %)

                                                             2                      2
        15                                                                          7
                                  14                        11

                                  14
        19

                                                                                               Abb. 4: In kleinen Gemein-
                                                                                    91         den und in Kleinstädten sind
                                                                                               Vereine mit mehr als 100 Mit-
                                                            87                                 gliedern selten.
                                  72
        67

   Großstadt                Mittelstadt               Kleinstadt           Kleine Gemeinde

     bis 100 Mitglieder                     101 bis 300 Mitglieder

     mehr als 300 Mitglieder

ZiviZ-Survey 2017, nur Vereine in Sachsen, gewichtet, N = 195, davon fehlend: 21.

Besonders wenige
Mitglieder in
ländlichen Vereinen
Vor allem in kleinen Gemeinden und Klein-
städten haben die Vereine selten mehr als 100
Mitglieder. Nur jeder zehnte Verein (9 %) in den
kleinen Gemeinden Sachsens hat mehr als 100
Mitglieder. Große Vereine mit mehr als 300 Mit-
gliedern sind hier mit 2 % ebenso die Ausnahme
wie in den Kleinstädten.

Interessanterweise gibt es bezüglich der Ent-
wicklung der Mitgliederzahlen keine signifikanten
Unterschiede zwischen den Stadtgrößen. Sprich:
Generell entwickeln sich Mitgliederzahlen in Groß-
städten kaum anders als in kleinen Gemeinden.

Die Bergwacht Sachsen bei einer Übung im Elbsandsteingebirge. Bild: Sven Rogge / DRK Sachsen

                                                                                                                               21
Organisationslandschaft in Sachsen

                                                 Traditionelle Themen dominieren
                                                 Die Organisationen sind in Sachsen etwas anders                     Der Aktivitätsradius der meisten Vereine be-
                                                 auf die Handlungsfelder verteilt, als in anderen                    schränkt sich auch in Sachsen – wie überall in
                                                 Teilen Deutschlands. Üblicherweise sind Sport-                      Deutschland – im Wesentlichen auf die Kommu-
                                                 vereine die größte Gruppe. In Sachsen fallen mit                    ne (49 %) oder die Region (40 %). In Sachsen gibt
                                                 19 % die meisten Organisationen auf den Kultur-                     es nur sehr wenige Vereine, die überwiegend
                                                 bereich. Kultur, Sport (18 %), Freizeit (17 %) und                  international agieren.
                                                 Bildung (16 %) machen mit 70 % zusammen den
                                                 überwiegenden Teil der Vereine in Sachsen aus.

                                                                                                            2    2 0
                                                                                                      2
                                                                                               2
                                                                                           3

                                                                                       3                                                         19

       Abb. 5: In Sachsen                                                  3
       dominieren Kultur-,
       Sport- und
                                                                      3
       Freizeitvereine sowie
       Bildungsvereine.

                                                                  3
                                                                                                    Verteilung der
                                                                                                   Engagementfelder
                                                                 5
                                                                                                      der Vereine                                              18
                                                                                                         (in %)

                                                                                 16

                                                                                                                              17

             Kultur/Medien 19 %                            Sonstiges 5 %                           Kirchen/religiöse Vereinigungen 3 %    Internationale Solidarität 2 %

             Sport 18 %                                    Bevölkerungs-/                          Bürger-/Verbraucherinteressen 3 %      Wirtschafts-/Berufsverbände 2 %
                                                           Katastrophenschutz 3 %
                                                                                                                                          Gemeinschaftliche
             Freizeit/Geselligkeit 17 %                    Soziale Dienste 3 %                     Umwelt-/Naturschutz 2 %
                                                                                                                                          Versorgungsaufgaben 0 %
             Bildung/Erziehung 16 %                        Gesundheitswesen 3 %                    Wissenschaft /Forschung 2 %

       Quelle: ZiviZ-Survey 2017, nur Sachsen, gewichtet, N = 195, davon fehlend: 8.

22
Was sich hinter den einzelnen Engagementfeldern verbirgt

Im Folgenden sind für die einzelnen En-      Bildung und Erziehung. Kitas, Horte,        Kirchen und religiöse Vereinigungen.
gagementfelder Beispiele aufgeführt,         Erwachsenenbildung, außerschulische         Moscheevereine, Kulturvereine mit reli-
um eine Vorstellung davon zu vermit-         Bildung                                     giösem Bezug, Fördervereine religiöser
teln, welche Arten von Vereinen sich                                                     Einrichtungen
dahinter verbergen können. Die auf-          Soziale Dienste. Ambulante und statio-
geführten Beispiele können immer nur         näre soziale Hilfen, Beratungs- und Für-    Wissenschaft und Forschung. For-
einen kleinen Ausschnitt darstellen.         sorgedienste, Heime, Tafeln                 schungseinrichtungen, Wissenschafts-
Denn auch innerhalb der jeweiligen                                                       förderung
Engagementfelder herrscht mitunter           Bevölkerungs- und Katastrophen-
eine große Vielfalt an Aufgaben und          schutz. Freiwillige Feuerwehr, Katastro-    Bürger- und Verbraucherinteressen.
Tätigkeiten.                                 phenhilfe, Bergrettung, Wasserrettung       Rechtsberatung, Quartiersmanagement,
                                                                                         Stadtteilarbeit, Freiwilligenagenturen
Kultur und Medien. Chöre, Theater,           Gesundheitswesen. Gesundheitsbe-
Konzertveranstalter, Archive, Museen,        ratung, therapeutische Einrichtungen,       Wirtschaftsverbände und Berufsorga-
historische Gebäude, Internet, Kultur-       Krankenhäuser, Rehabilitationskliniken      nisationen. Wirtschafts- und Berufsver-
vereine                                                                                  einigungen, Fachgesellschaften
                                             Umwelt- und Naturschutz. Klima-
Sport. Sportvereine, Schachclubs, Wan-       schutz, Nachhaltigkeit sowie Tier- und      Gemeinschaftliche Versorgungsauf-
dervereine, Angelvereine, Schützenver-       Artenschutz                                 gaben. Energie- und Wasserversorgung,
eine                                                                                     Transport und Verkehr, Wohnraum
                                             Internationale Solidarität. Entwick-
Freizeit und Geselligkeit. Kleingärten,      lungszusammenarbeit, Fair Trade, Völ-
Campingplätze, Zuchtvereine, Karnevals-      kerverständigung, Agenda 2030
vereine, Fanclubs

Lesehinweis zu Abb. 5: „Kleine Engagementfelder“ ganz groß

Nur die Zahl der Organisationen wird         besonders viele Engagierte binden. Es       Kirchen bzw. religiöse Vereinigungen im
erfasst                                      handelt sich also hinsichtlich der Zahl     ZiviZ-Survey nur 3 % der Organisationen
Einige Engagementfelder wie etwa die         der Organisationen um kleine Bereiche,      aus. Das liegt daran, dass hier per Defi-
Sozialen Dienste (3 %), der Bevölke-         die jedoch außergewöhnlich viele freiwil-   nition (vgl. Abschnitt Datenbasis) keine
rungs- und Katastrophenschutz (3 %)          lig Engagierte aufweisen.                   öffentlichen Körperschaften berück-
sowie Kirchen oder religiöse Vereini-                                                    sichtigt werden. Kirchliche Einrichtungen
gungen (3 %) erscheinen in Abbildung         Organisationen haben nicht nur ein          tauchen daher in den vorliegenden Daten
7 unverhältnismäßig klein, obwohl sie        Handlungsfeld                               nur dann auf, wenn sie in der Rechtsform
eine außerordentlich große Bedeutung         Es ist ebenfalls wichtig zu wissen, dass    eines eingetragenen Vereins, einer Stif-
als Orte des bürgerschaftlichen Engage-      ein Verein immer auch in mehreren           tung oder einer anderen gemeinnützigen
ments haben.                                 Handlungsfeldern aktiv sein kann. Bei       Organisation agieren.
                                             den hier vorliegenden Zahlen wurden
In dieser Form der Darstellung sind allein   die Haupttätigkeitsfelder abgefragt, also   Ähnlich verhält es sich mitunter in ande-
die Zahlen der Organisationen berück-        jene Handlungsfelder, in denen sich die     ren Bereichen, etwa dem Umwelt- und
sichtigt, unabhängig davon, wie viele        Vereine am stärksten verorten.              Naturschutz. So werden die zahlreichen
Mitglieder oder freiwillig Engagierte sie                                                Ortsgruppen von Greenpeace, die alle
binden. Zugleich wissen wir, dass Vereine    Nur Organisationen mit Rechtsform           ohne Rechtsform agieren, in der vorlie-
und andere gemeinnützige Organisa-           werden aufgelistet                          genden Statistik nicht berücksichtigt.
tionen des Bevölkerungs- und Katastro-       Auch über die Kirchen wird viel Enga-
phenschutzes oder der Sozialen Dienste       gement mobilisiert. Zugleich machen

                                                                                                                                     23
Organisationslandschaft in Sachsen

                                     Angebote für verschiedenste
                                     Personengruppen
                                     Die meisten Organisationen adressieren mit                                       Viele Vereine und andere Organisationen ma-
                                     ihren Aktivitäten viele verschiedene Menschen.                                   chen Angebote für besondere Zielgruppen, etwa
                                     Mehr als drei Viertel (79 %) bieten ihre Angebote                                für sozial benachteiligte Menschen, an die sich in
                                     nicht nur ausschließlich für die eigenen Mitglie-                                Sachsen 31 % der Organisationen richten, oder
                                     der an, sondern auch externe Personen können                                     auch für Menschen mit Behinderungen, an die
                                     an den Angeboten partizipieren, auch wenn sie                                    sich 22 % richten. Trotz verbreiteter Hassgewalt
                                     nicht Mitglied der Organisation sind.                                            sowie rechter Polarisierung und Mobilisierung
                                                                                                                      gibt es in Sachsen im Vergleich zu anderen Regio-
                                     Vereine und andere Organisationen zeichnen                                       nen Deutschlands anteilig nicht weniger Organi-
                                     sich vor allem dadurch aus, dass sie sich meist                                  sationen, die Maßnahmen für Menschen mit Mi-
                                     nicht an eine bestimmte Altersgruppe richten.                                    grationshintergrund (18 %) oder für Geflüchtete
                                     86 % der Organisationen in Sachsen stehen allen                                  (17 %) anbieten.
                                     Altersgruppen offen. Wenn sie sich auf eine be-
                                     stimmte Altersgruppe konzentrieren, dann zu-
                                     meist auf Kinder und Jugendliche.

                                     Zielgruppen* der Aktivitäten der Vereine (in %)

                                                                                                                                                                      27
                                     Sozial Benachteiligte                                                                                                                   29
                                                                                                                                                                                    31

                                                                                                                                                     20
                                     Menschen mit
                                     Behinderungen                                                                                                        22
                                                                                                                                                          22
       Abb. 6: Jeder dritte
       Verein in Sachsen richtet
       sich gezielt an sozial        Menschen mit                                                                                               19
       benachteiligte                Migrationshintergrund                                                                                 18
       Menschen.                                                                                                                           18

                                                                                                                                           18
                                     Flüchtlinge in Deutschland                                                                  16
                                                                                                                                      17

                                     Andere hilfe-, pflege-                                                                 14
                                     bedürftige oder kranke                                                            13
                                     Menschen
                                                                                                                       13
                                                                                                                                                               Bundesweit

                                     Menschen in anderen                                             8
                                                                                                                                                               Ostdeutschland
                                     Ländern                                                 6
                                                                                                 7                                                             Sachsen

                                     ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: max. 68, Mehrfachantworten.

                                     *Im ZiviZ-Survey wurde nur eine Auswahl an Personengruppen abgefragt. Darüber hinaus werden zahlreiche andere spezifische Personengruppen angespro-
                                     chen. Manche Vereine richten sich an Menschen mit bestimmten Erkrankungen, an spezielle Berufsgruppen, an Homosexuelle oder nur an Männer oder nur an
                                     Frauen, an Studierende, an Eltern – die Liste ließe sich unendlich fortschreiben.

24
Die meisten Organi-
  Bild: Landessportbund Sachsen
                                                                                                                               sationen verstehen
                                                                                                                               sich als „Gemeinschaft
                                                                                                                               Gleichgesinnter“ und/
                                                                                                                               oder als Mitgliederor-

Allgemeines Rollenverständnis                                                                                                  ganisation.

Bei den sächsischen Organisationen dominieren         Verständnis zur eigenen Rolle
ähnliche Rollenverständnisse wie im Bundes-           gegenüber dem Staat (in %)
durchschnitt. Die meisten Organisationen verste-
                                                                 5                         6                         7
hen sich als „Gemeinschaft Gleichgesinnter“
(64 %) und/oder als Mitgliederorganisation
(66 %). Es handelt sich also um Organisationen,
                                                                31                         35
in denen Menschen zusammenkommen, die ge-                                                                            38
meinsamen Interessen nachgehen.

Ein Drittel (31 %) versteht sich aber auch als För-
derorganisation. Dazu gehören neben Förderstif-
tungen vor allem Fördervereine (z.B. von Schulen
oder Kultureinrichtungen), von denen es auch
bundesweit immer mehr gibt.                                     64                                                         Abb. 7: Mehr als jede
                                                                                           60                        56
                                                                                                                           dritte Organisation in
Bezüglich ihres Rollenverständnisses gegenüber                                                                             Sachsen sieht den Staat
dem Staat weichen die sächsischen Organisatio-                                                                             in der Finanzierungsver-
nen etwas vom Bundesdurchschnitt ab. Etwas                                                                                 antwortung.
mehr als die Hälfte (52 %) sieht sich vor allem
in einer eigenverantwortlichen Position und               Bundesweit             Ostdeutschland                  Sachsen
stimmt der Aussage zu, dass die Arbeit durch die
Organisation geleistet und auch selbst finanziert
werden sollte. Es gibt aber auch andere Ansich-             Unsere Arbeit soll durch uns geleistet und selbst
                                                            finanziert werden
ten: So sehen immerhin 38 % den Staat in der
Finanzierungsverantwortung (Bundesweit sind                 Unsere Arbeit sollte vom Staat finanziert werden
es 31 %). Weitere 7 % geben an, dass das, was
sie als Organisation tun, eigentlich Sache des              Unsere Arbeit sollte von staatlichen Stellen
                                                            geleistet werden
Staates wäre. Bundesweit sehen das nur 5 % der
Organisationen so.                                    ZiviZ-Survey 2017, gewichtet, N = 6.750, davon fehlend: 507.

                                                                                                                                                        25
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