Epidemiologisches Bulletin 5 2022 - RKI
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AKTUELLE DATEN UND INFORMATIONEN ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH 5 Epidemiologisches 2022 Bulletin 3. Februar 2022 COVID-19: soziale Ungleichheit und sozialräumliche Betrachtung des Infektionsgeschehens
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 2 Inhalt Soziale Ungleichheit und COVID-19 in Deutschland – Wo stehen wir in der vierten Pandemiewelle? 3 Für eine Vielzahl von Erkrankungen und Todesursachen ist zwischen der sozioökonomischen und gesund- heitlichen Lage ein enger Zusammenhang nachgewiesen. Auch die Ausbreitungsmuster von SARS-CoV-2 über verschiedene soziale Gruppen werden seit Pandemiebeginn international und in Studien des RKI bundesweit untersucht. Im Beitrag werden die zentralen Ergebnisse zum aktuellen Stand zusammengefasst und um Daten aus der dritten und vierten Pandemiewelle ergänzt. Aus den dargestellten Befunden ergeben sich Hin- weise auf Möglichkeiten, die Lücken im Infektionsschutz zu schließen. Die COVID-19-Pandemie in Steglitz-Zehlendorf – sozialräumliche Betrachtung des Infektionsgeschehens 11 Die laborbestätigten SARS-CoV-2-Falldaten des Berliner Bezirks Steglitz-Zehlendorf im Zeitraum 01.03.2020 bis 30.09.2021 wurden mit dem Ziel ausgewertet, genauere Erkenntnisse über den zeitlichen Verlauf und die kleinräumige Verteilung des Infektionsgeschehens zu gewinnen. Es wurde außerdem geprüft, ob Zusam- menhänge zwischen dem Infektionsgeschehen und der Verteilung soziodemografischer Merkmale über die verschiedenen Sozialräume erkennbar sind. Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten: 4. Woche 2022 23 Monatsstatistik nichtnamentlicher Meldungen ausgewählter Infektionen: November 2021 26 Einschätzung der aktuellen Situation zur RSV-Aktivität 27 Impressum Herausgeber Allgemeine Hinweise/Nachdruck Robert Koch-Institut Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung: Nordufer 20, 13353 Berlin www.rki.de/epidbull Telefon: 030 18754 – 0 E-Mail: EpiBull@rki.de Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Redaktion Dr. med. Jamela Seedat Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Dr. med. Maren Winkler, Heide Monning (Vertretung) Namensnennung 4.0 International Lizenz. Redaktionsassistenz Nadja Harendt Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung) ISSN 2569-5266 Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 3 Soziale Ungleichheit und COVID-19 in Deutschland Wo stehen wir in der vierten Pandemiewelle? falls Hinweise darauf, dass diese nicht alle Bevölke- Kernaussagen rungsgruppen gleich häufig und gleich schwer be- ▶▶ Das Infektions- und Sterbegeschehen verla- treffen, insbesondere in Pandemiezeiten. So haben gerte sich ab der zweiten Pandemiewelle zu- Analysen der Influenza-Pandemien 1918 und 2009 nehmend in sozioökonomisch benachteiligte gezeigt, dass sozioökonomisch benachteiligte Bevöl- Regionen. Auch in der vierten Pandemie kerungsgruppen besonders stark von der Influenza welle zeigt sich ein besonders starker Anstieg beziehungsweise von tödlichen Krankheitsverläu- von COVID-19-Fällen in sozioökonomisch fen betroffen waren.6–8 Diese sozialepidemiologi- stark benachteiligten Regionen. schen Muster können in verschiedenen Phasen ei- ▶▶ Bundesweite Studiendaten auf Einzelfall ner Pandemie allerdings unterschiedlich zum Aus- ebene zeigen, dass Menschen mit niedriger druck kommen. Bildung ein doppelt so hohes Infektionsrisi- ko haben wie Menschen mit hoher Bildung. Für das Severe Acute Respiratory Syndrome Corona ▶▶ Personen aus sozioökonomisch benachtei- virus Type 2 (SARS-CoV-2) und die dadurch ausge- ligten Gruppen und deprivierten Regionen löste Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) sind die werden weniger getestet, sodass Infektionen Ausbreitungsmuster über verschiedene soziale häufiger unerkannt bleiben. Gruppen seit Pandemiebeginn international unter- ▶▶ Potenziale zur Steigerung der Impfbeteili- sucht worden. Die ersten Befunde aus den Anfangs- gung unter Erwachsenen liegen insbesonde- monaten der COVID-19-Pandemie zu Beginn des re bei den unter 60-Jährigen mit niedriger Jahres 2020 stammen vor allem aus den USA und und mittlerer Bildung. Großbritannien.9,10 Sie weisen auf höhere Risiken ▶▶ Um dem erhöhten Infektions- und Sterbe für eine SARS-CoV-2-Infektion und schwere bis risiko sozioökonomisch benachteiligter Be- tödliche COVID-19-Verläufe in sozioökonomisch völkerungsgruppen in der Pandemie entge- benachteiligten Bevölkerungsgruppen hin. Das genzuwirken, bedarf es niedrigschwelliger Robert Koch-Institut (RKI) hat diese frühen sozial und lebensweltnaher Infektionsschutz-, Test- epidemiologischen Befunde aus der Pandemie in und Impfangebote, die aufsuchende Ansätze Übersichtsarbeiten zusammengefasst9,11 und parallel beinhalten. dazu verschiedene Studien und Datenanalysen be- gonnen, um soziale Unterschiede im Pandemiege- schehen bundesweit zu untersuchen sowie über Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen den Verlauf der Pandemie zu monitoren.12,13 Zentra- Status haben durchschnittlich deutlich höhere le Ergebnisse zum aktuellen Stand werden im Fol- Krankheits- und Sterberisiken als Personen mit ei- genden zusammengefasst und um aktuelle Daten nem mittleren und hohen sozioökonomischen Sta- aus der dritten und vierten Pandemiewelle ergänzt. tus. Dieser enge Zusammenhang zwischen der so- zioökonomischen und gesundheitlichen Lage ist für eine Vielzahl von Erkrankungen und Todesursa- Soziale Unterschiede im Inzidenz- und chen nachgewiesen, insbesondere für nichtüber- Sterbegeschehen tragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf- und chro- Das anfängliche Ausbruchsgeschehen in Deutsch- nische Atemwegserkrankungen, aber auch für be- land zu Beginn der ersten Pandemiewelle (März stimmte Infektionskrankheiten.1–5 Zudem gibt es und April 2020) war zunächst durch höhere Infek- bei akuten viralen Atemwegserkrankungen eben- tionszahlen in wohlhabenderen Regionen gekenn-
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 4 zeichnet, was mit Reiseaktivitäten von Personen aus denz in den sozioökonomisch stark benachteiligten sozioökonomisch bessergestellten Gruppen wie Ge- Regionen über alle Altersgruppen hinweg festzu- schäfts- oder Skireisende in Zusammenhang ge- stellen.15 Auch während der dritten Welle im Früh- bracht wird.12 Danach verlagerte sich das Infektions- jahr 2021 setzte sich das Muster höherer Inzidenzen geschehen zunehmend in sozioökonomisch be- in sozioökonomisch benachteiligten Regionen fort nachteiligte (deprivierte)I Regionen Deutschlands. (Abb. 1). Ergänzende Auswertungen mit diesem re- Diese Verlagerung war während der ersten Pande- gionalisierten Analyseansatz weisen darauf hin, miewelle bereits innerhalb Süddeutschlands zu be- dass Personen aus sozioökonomisch benachteilig- obachten, also in dem Teil Deutschlands, der in die- ten Bevölkerungsgruppen ihre Mobilität berufsbe- ser Phase der Pandemie insgesamt am stärksten dingt weniger einschränken konnten, da sie weni- vom Infektionsgeschehen betroffen war.12 Während ger Möglichkeiten zur Arbeit im Home-Office hat- der zweiten Pandemiewelle im Herbst und Winter ten, was zu dieser regionalen Dynamik beigetragen 2020/21 wurden zunächst erneut etwas höhere In- haben kann.16 Erste Analysen dieser Art für die ak- fektionszahlen in sozioökonomisch bessergestellten tuelle vierte Welle im Herbst 2021 zeigen, dass sich Regionen verzeichnet. Ab Dezember war dann auch trotz der Impfkampagne eine ähnliche Dynamik an- deutschlandweit eine zunehmende Verlagerung des deutet wie ein Jahr zuvor während der zweiten Wel- Infektionsgeschehens hin zu einer höheren Inzi- le (Abb. 1). So stieg die Inzidenz während der vierten Welle in hoch deprivierten Regionen Deutschlands durchschnittlich besonders stark an und lag dort ab I Regionale soziale Benachteiligung (Deprivation) wurde in den Analysen mit dem German Index of Socioeconomic Meldewoche 46 erneut am höchsten. Deprivation (GISD) auf Ebene der 401 Landkreise und kreisfreien Städte erfasst. Der GISD misst das Ausmaß Soziale Unterschiede im COVID-19-Geschehen sozioökonomischer Deprivation der Kreisbevölkerungen und ist ein mehrdimensionaler Index aus regionalen kommen besonders deutlich bei schweren Krank- Bildungs-, Beschäftigungs- und Einkommensindikatoren.14 heitsverläufen und Todesfällen zum Ausdruck – ein Inzidenz pro 100.000 (altersstandardisiert) Meldewoche 2020/21 Abb. 1 | Altersstandardisierte wöchentliche Inzidenz der an das RKI übermittelten COVID-19-Fälle in Deutschland nach regionaler sozioökonomischer Benachteiligung (Deprivation) und Meldewoche in 2020/21. Datenbasis: Meldedaten gemäß Infektions- schutzgesetz (Stand: 06.01.2021, 0:00 Uhr)
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 5 Kumulative Todesfälle pro 100.000 (altersstandardisiert) Sterbewoche 2020/21 Abb. 2 | Kumulative Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 (altersstandardisiert) in Deutschland nach regionaler sozioökonomischer Benachteiligung (Deprivation) und Kalenderwoche des Sterbedatums in 2020/21. Datenbasis: Meldedaten gemäß Infektionsschutzgesetz (Stand: 06.01.2021, 0:00 Uhr) Muster, das international berichtet und unter ande- vierte Welle deutet sich bislang keine Änderung die- rem im Zusammenhang mit der stärkeren Verbrei- ses Musters an. tung von Vorerkrankungen sowie einem erschwer- ten Zugang zu Gesundheitsversorgung in sozioöko- Die oben beschriebenen regionalisierten Analysen nomisch benachteiligten Gruppen gesehen wird.17–20 der COVID-19-Meldedaten haben den Vorteil, dass Auch in Deutschland sind beträchtliche soziale Un- damit soziale Unterschiede im Infektions- und Ster- terschiede in der Häufigkeit von Todesfällen im Zu- begeschehen auf sozialräumlicher Ebene engma- sammenhang mit COVID-19 zu beobachten. Insbe- schig über den Pandemieverlauf verfolgt werden sondere während der zweiten Pandemiewelle stieg können, sie erlauben aber keinen direkten Rück- die COVID-19-assoziierte Sterblichkeit in sozioöko- schluss auf Infektionsrisiken von Einzelpersonen. nomisch benachteiligten Regionen stark an. Da- Aus diesem Grund sowie zur Abschätzung der Un- durch übersteigt die Zahl der COVID-19-Todesfälle tererfassung im Meldesystem führt das RKI ge- in sozioökonomisch hoch deprivierten, also sozial meinsam mit dem Sozio-oekonomischen Panel benachteiligten Regionen seit etwa Mitte der zwei- (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsfor- ten Welle jene in wenig deprivierten, also wohlha- schung die deutschlandweite Antikörper-Studie benden Regionen (Abb. 2). Eine weiterführende „CORONA-MONITORING bundesweit“ (RKI-SOEP- Analyse zeigt, dass die COVID-19-assoziierte Sterb- Studie) durch, in der sowohl zurückliegende als lichkeit in den hoch deprivierten Regionen während auch aktuelle Infektionen auf Einzelfallbasis in ei- der zweiten Pandemiewelle bis zu 1,5-mal so hoch ner Stichprobe der erwachsenen Allgemeinbevölke- lag wie in den wohlhabenden Regionen, wobei Ein- rung ermittelt werden.13 Durch die Probennahmen flüsse weiterer Faktoren wie die regionale Alters- und Laboranalysen können in dieser Studie auch struktur, Siedlungsstruktur und Bevölkerungsdich- bislang unerkannte Infektionen erfasst werden. Die te bereits statistisch herausgerechnet sind.21 Wie in Ergebnisse der ersten Erhebung der RKI-SOEP- Abbildung 2 zu erkennen ist, haben sich die regio- Studie im Oktober 2020 bis Februar 2021 zeigen, nalen sozialen Unterschiede in der COVID-19-asso- dass Personen mit niedrigem Bildungsstatus ein ziierten Sterblichkeit über die dritte Welle ab Melde- etwa doppelt so hohes Risiko hatten, sich während woche 9/2021 weiter ausgeweitet. Für die aktuelle der ersten beiden Pandemiewellen mit SARS-CoV-2
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 6 Abb. 3 | Adjustiertes Odds Ratio (OR) mit 95 %-Konfidenzintervall für eine SARS-CoV-2-Infektion nach Bildungsstatus (adjustiert für Alter, Geschlecht, Haushaltsgröße, Migrationshintergrund, Urbanität, Wohnregion und Datum der Studienteilnahme). Datenbasis: RKI-SOEP-Studie22 zu infizieren, im Vergleich zu jenen mit hohem Bil- nen mit geringer Deprivation. Ein Abgleich der in dungsstatus (Abb. 3).22 der Studie festgestellten Infektionshäufigkeiten mit den an das RKI übermittelten Meldedaten weist da- rauf hin, dass die Untererfassung von Fällen im Soziale Unterschiede im Testen, Meldewesen in hoch deprivierten Regionen deutlich Erkennen von Infektionen und Impfen höher liegt als in weniger deprivierten Regionen.23 Weitere Ergebnisse der ersten Erhebung der RKI- Dementsprechend deutet sich auch ein höherer An- SOEP-Studie zeigen, dass auch die Häufigkeit von teil unerkannter Infektionsfälle in hoch deprivierten PCR-Testungen auf eine SARS-CoV-2-Infektion mit Regionen an (Tab. 1). Differenziert nach Bildungs- der sozioökonomischen Lage variiert. So fand sich gruppen zeigte sich in der RKI-SOEP-Studie, dass die höchste Testprävalenz in der oberen Bildungs- für Personen mit hohem Bildungsstatus nach statis- gruppe und die niedrigste Testprävalenz in der un- tischer Kontrolle anderer soziodemografischer Vari- teren Bildungsgruppe.23 Auch auf regionaler Ebene ablen das Risiko einer unerkannten SARS-CoV-2- war diese soziale Differenzierung festzustellen. Infektion im Vergleich zu Personen mit mittlerem Demnach lag die Testprävalenz in hoch deprivierten und niedrigem Bildungsstatus halbiert ist.22 Ange- Regionen durchschnittlich niedriger als in Regio- sichts dieser Befunde muss angenommen werden, Jemals getestet Untererfassung Anteil (PCR-Labortest) im Meldewesen unerkannter Fälle % (95 %-KI) Faktor (95 %-KI) % (95 %-KI) Hohe Deprivation 18 (16–21) 4,3 (1,8–8,7) 77 (46–89) Mittlere Deprivation 22 (21–24) 1,6 (0,9–2,7) 38 (–12–63) Geringe Deprivation 29 (27–32) 1,7 (1,0–2,6) 40 (–1–62) Tab. 1 | Testprävalenz, Untererfassung im Meldewesen und unerkannte Fälle bis November 2020 in Deutschland nach regionaler sozioökonomischer Benachteiligung (Deprivation). Datenbasis: RKI-SOEP-Studie und Meldedaten gemäß Infektionsschutzgesetz23 KI = Konfidenzintervall
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 7 dass die sozialen Unterschiede in der Inzidenz, die penspezifische Potenziale zur Steigerung der Impf- in der oben dargestellten regionalisierten Analyse beteiligung. der Meldedaten beobachtet wurden, in ihrem Aus- maß noch unterschätzt sind. Maßnahmen Soziale Unterschiede in der Bereitschaft, sich gegen Aus den dargestellten Befunden ergeben sich Hin- COVID-19 impfen zu lassen, wurden in Deutsch- weise auf Möglichkeiten, die Lücken im Infektions- land in verschiedenen Befragungsstudien unter- schutz zu schließen, was gerade auch angesichts der sucht. In unterschiedlichen Phasen der Pandemie fünften Welle unabdingbar für eine effektive Pande- wurde jeweils eine geringere Impfbereitschaft bei miekontrolle ist. Personen mit niedrigerem sozioökonomischem Status gefunden.24 – 26 Das RKI führt seit Anfang 1) Um dem erhöhten Infektionsrisiko in sozioöko- 2021 regelmäßig das „COVID-19 Impfquoten-Moni- nomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen toring in Deutschland“ (COVIMO) als bundesweite entgegenzuwirken, bedarf es zielgerichteter telefonische Befragungsstudie unter Erwachsenen Präventions- und Infektionsschutzmaßnah- ab 18 Jahren durch. Bisher findet die Befragung mit men, die auf die Lebens- und Arbeitsbedingun- Ausnahme der neunten Erhebung ausschließlich in gen der Menschen abgestimmt sind. Das bein- deutscher Sprache statt. In der aktuellsten abge- haltet die dauerhafte, niedrigschwellige und schlossenen Erhebungswelle vom 15. September bis kostenlose Verfügbarkeit von Mund-Nasen- 18. Oktober 2021 zeigten sich vor allem bei den unter Schutz und Hygieneartikeln an leicht zugäng 60-Jährigen deutliche soziale Unterschiede in der lichen Orten, wie Apotheken, öffentlicher Nah- Impfbeteiligung. In dieser Altersgruppe lag der An- verkehr, Supermarkteingang, Arbeitsstelle oder teil derer, die mindestens einmal gegen COVID-19 Hausarzt. Zudem bedarf es, sollte kein Home- geimpft waren, sowohl in der niedrigen als auch in Office möglich sein, eines effektiven Hygiene- der mittleren Bildungsgruppe deutlich niedriger als und Testkonzepts, besonders in prekären Ar- in der hohen Bildungsgruppe (Abb. 4). Auch wenn beitsbereichen. die Impfquoten in dieser Befragung aus verschiede- 2) Auch ist ein verbesserter und zielgruppenorien- nen methodischen Gründen insgesamt überschätzt tierter Informationszugang für alle Bevölke- werden, liefern die gefundenen Bildungsunter- rungsgruppen essenziell. Ergänzend zu beste- schiede wichtige Hinweise auf bevölkerungsgrup- henden Angeboten bedeutet dies die Erweite- % (95 %-KI) Abb. 4 | Impfbeteiligung (mindestens einmal gegen COVID-19 Geimpfte) nach Bildungsstatus und Altersgruppe. Datenbasis: COVIMO 8. Befragung (15.09.–18.10.2021) KI = Konfidenzintervall
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 8 rung von aufsuchender Arbeit in sozioökono- mehrsprachige Mediatorinnen und Mediato- misch benachteiligten Regionen und Quartieren ren, die die Regionen kennen und lokal vernetzt durch erfahrene Mediatorinnen und Mediato- sind, durchgeführt werden. Sie können über ren, Schlüsselpersonen und Peers in der Le- das Angebot informieren und bei Bedenken benswelt der Menschen. Der Einsatz von mehr- ggf. direkt mit Informationen zur Verfügung sprachigem Personal ist hier empfehlenswert, stehen. Die Einbeziehung von Vertrauens- und um auch Menschen zu erreichen, die nicht oder Schlüsselpersonen aus den jeweiligen Commu- wenig Deutsch sprechen. nities ist hier wichtig, um die Akzeptanz von 3) Um der erhöhten Untererfassung von Infektio- Impfungen zu erhöhen. nen in sozioökonomisch benachteiligten Grup- 5) Um Maßnahmen und Interventionen zielge- pen und Regionen zu begegnen, bedarf es eines richteter planen zu können, ist ein besseres zielgerichteten niedrigschwelligen Testange- Verständnis der Lebenswelten, Motivationen, bots in deprivierten Wohngegenden und Ar- Vorbehalte und Risikowahrnehmung sozioöko- beitsbereichen mit erhöhtem Infektionsrisiko. nomisch benachteiligter Bevölkerungsgruppen Ebenso sollte die möglichst kostenlose Verfüg- notwendig. Hierfür bedarf es explorativer qua- barkeit von Schnelltests sichergestellt sein, so- litativer Studien, die unter Beteiligung der ent- dass diese arbeitsort- und wohnortnah leicht sprechenden Bevölkerungsgruppen durchge- zugänglich sind (z. B. über Schulen, Arbeitsstät- führt werden. te, Supermarkt, Apotheke, Drogerie). 6) Um gesundheitliche Ungleichheiten langfristig 4) Um die Impfbeteiligung unter sozial Benach- und über diese Pandemie hinaus zu reduzie- teiligten zu erhöhen, sind niedrigschwellige, ren, bedarf es neben medizinischer Prävention flexible und wohnortnahe Impfangebote in den und Früherkennung vor allem verhältnisprä- jeweiligen Regionen und Wohngegenden be- ventiver Maßnahmen und politikbereichsüber- sonders vielversprechend, wie z. B. der Einsatz greifender Anstrengungen zur Verbesserung von Impfbussen. Diese Angebote sollten proak- der Lebens- und Arbeitsbedingungen in sozio tiv mit aufsuchenden Angeboten begleitet wer- ökonomisch benachteiligten Gruppen. den. Analog zu Punkt 2 sollten diese durch Literatur des Bundes, gemeinsam getragen von RKI und 1 Mackenbach JP (2019) Health Inequalities: Persis- Destatis. Robert Koch-Institut, Berlin tence and change in European Welfare States. 4 Lampert T, Hoebel J, Kroll LE (2019) Social diffe Oxford University Press, Oxford rences in mortality and life expectancy in Germany: 2 Marmot M, Allen J, Goldblatt P, Boyce T, McNeish current situation and trends. Journal of Health D, Grady M, Geddes I (2010) Fair society, healthy Monitoring 4(1):3-14 lives. The Marmot Review. Strategic review of 5 Álvarez JL, Kunst AE, Leinsalu M, Bopp M, Strand health inequalities in England post-2010. University BH, Menvielle G, Lundberg O, Martikainen P, College London, London Deboosere P, Kalediene R, Artnik B, Mackenbach 3 Lampert T, Hoebel J, Kuntz B, Müters S, Kroll LE JP, Richardus JH (2011) Educational inequalities in (2017) Gesundheitliche Ungleichheit in verschiede- tuberculosis mortality in sixteen European popula- nen Lebensphasen. Gesundheitsberichterstattung tions. Int J Tuberc Lung Dis 15(11):1461-i
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 9 6 Rutter PD, Mytton OT, Mak M, Donaldson LJ (2012) 14 Kroll LE, Schumann M, Hoebel J, Lampert T (2017) Socio-economic disparities in mortality due to Regionale Unterschiede in der Gesundheit: pandemic influenza in England. Int J Public Health Entwicklung eines sozioökonomischen Depriva 57(4):745-750 tionsindex für Deutschland. Journal of Health Monitoring 2(2):103-120 7 Quinn SC, Kumar S (2014) Health inequalities and infectious disease epidemics: a challenge for global 15 Hoebel J, Michalski N, Wachtler B, Diercke M, health security. Biosecur Bioterror 12(5):263-273 Neuhauser H, Wieler LH, Hövener C (2021) Socio 8 Mamelund S-E, Shelley-Egan C, Rogeberg O (2021) economic differences in the risk of infection during The association between socioeconomic status and the second SARS-CoV-2 wave in Germany. Dtsch pandemic influenza: Systematic review and meta- Arztebl Int 118:269–270 analysis. PloS One 16(9):e0244346-e0244346 16 Dragano N, Hoebel J, Wachtler B, Diercke M, 9 Wachtler B, Hoebel J (2020) Soziale Ungleichheit Lunau T, Wahrendorf M (2021) Soziale Ungleichheit und COVID-19: Sozialepidemiologische Perspek in der regionalen Ausbreitung von SARS-CoV-2. tiven auf die Pandemie. Gesundheitswesen Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – 82(08/09):670-675 Gesundheitsschutz 64(9):1116-1124 10 Wahrendorf M, A K, von dem Knesebeck O, 17 Drefahl S, Wallace M, Mussino E, Aradhya S, Kolk Vonneilich N, Bolte G, Lehmann F, Schmidt MJ, M, Brandén M, Malmberg B, Andersson G (2020) Butler J, Schmidt F, Böhm C, Lunau T, Dragano N A population-based cohort study of socio-demogra- (2020) Verschärfen COVID-19 Pandemie und phic risk factors for COVID-19 deaths in Sweden. Infektionsschutz-maßnahmen die gesundheitlichen Nat Commun 11(1):5097 Ungleichheiten? Hintergrundpapier des 18 Bambra C, Riordan R, Ford J, Matthews F (2020) Kompetenznetzes Public Health zu COVID-19. The COVID-19 pandemic and health inequalities. https://www.public-health-covid19.de/images/ J Epidemiol Community Health 74(11):964-968 2020/Ergebnisse/Hintergrundpapier_SozUngl_ COVID19_final.pdf (Stand: 09.12.2021) 19 Wahrendorf M, Rupprecht CJ, Dortmann O, Scheider M, Dragano N (2021) Erhöhtes Risiko 11 Wachtler B, Michalski N, Nowossadeck E, Diercke eines COVID-19-bedingten Krankenhausaufent M, Wahrendorf M, Santos-Hövener C, Lampert T, haltes für Arbeitslose: Eine Analyse von Kranken- Hoebel J (2020) Socioeconomic inequalities and kassendaten von 1,28 Mio. Versicherten in Deutsch- COVID-19: a review of the current international land. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsfor- literature. Journal of Health Monitoring 5(S7):3-17 schung, Gesundheitsschutz 64(3):314–321 12 Wachtler B, Michalski N, Nowossadeck E, Diercke 20 Marmot M, Allen J, Goldblatt P, Herd E, Morrison J M, Wahrendorf M, Santos-Hövener C, Lampert T, (2020) Build Back Fairer: The COVID-19 Marmot Hoebel J (2020) Socioeconomic inequalities in the Review – The Pandemic, Socioeconomic and He- risk of SARS-CoV-2 infection – First results from an alth Inequalities in England. Institute of Health analysis of surveillance data from Germany. Journal Equity, London of Health Monitoring 5(S7):18-29 21 Hoebel J, Michalski N, Diercke M, Hamouda O, 13 Hoebel J, Busch M, Grabka MM, Zinn S, Allen J, Wahrendorf M, Dragano N, Nowossadeck E (2021) Gößwald A, Wernitz J, Goebel J, Steinhauer H, Emerging socio-economic disparities in COVID-19- Siegers R, Schröder C, Kuttig T, Butschalowsky H, related deaths during the second pandemic wave Schlaud M, Schaffrath Rosario A, Brix J, Rysina A, in Germany. International Journal of Infectious Glemser A, Neuhauser H, Stahlberg S, Kneuer A, Diseases 113:344-346 Hey I, Schaarschmidt J, Fiebig J, Buttmann- Schweiger N, Wilking H, Michel J, Nitsche A, 22 Hoebel J, Grabka MM, Schröder C, Haller S, Wieler L, Schaade L, Ziese T, Liebig S, Lampert T Neuhauser H, Wachtler B, Schaade L, Liebig S, (2021) Seroepidemiologische Studie zur bundes- Hövener C, Zinn S (2021) Socioeconomic position weiten Verbreitung von SARS-CoV-2 in Deutsch- and SARS-CoV-2 infections: seroepidemiological land: Studienprotokoll von CORONA-MONITO- findings from a German nationwide dynamic RING bundesweit (RKI-SOEP-Studie). Journal of cohort. J Epidemiol Community Health. Health Monitoring 6(S1):2-17 DOI: 10.1136/jech-2021-21765
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 10 23 Neuhauser H, Rosario AS, Butschalowsky H, Haller Vorgeschlagene Zitierweise S, Hoebel J, Michel J, Nitsche A, Poethko-Müller C, Hoebel J, Haller S, Bartig S, Michalski N, Marquis A, Prütz F, Schlaud M, Steinhauer HW, Wilking H, Diercke M, Schmid-Küpke N, Wichmann O, Sarma N, Wieler LH, Schaade L, Liebig S, Gößwald A, Grabka Schaade L, Hövener C: Soziale Ungleichheit und MM, Zinn S, Ziese T (2021) Germany’s low SARS- COVID-19 in Deutschland – Wo stehen wir in der CoV-2 seroprevalence confirms effective contain- vierten Pandemiewelle? ment in 2020: Results of the nationwide RKI-SOEP Epid Bull 2022;5:3-10 | DOI 10.25646/9555 study. medRxiv. DOI: https://doi. org/10.1101/2021.11.22.21266711 Interessenkonflikt 24 Hettich N, Krakau L, Rückert K, Brähler E, Zahn D, Die Autorinnen und Autoren erklären, dass keine Yilmaz S, Münzel T, Gianicolo E, Schmidtmann I, Interessenkonflikte vorliegen. Schulz A, Wild PS, Lackner KJ, Schuster AK, Beutel ME (2021) Willingness to be vaccinated against SARS-CoV-2 in the German population during the Förderhinweis second wave of the pandemic. Dtsch Arztebl Int Die dargestellten Datenanalysen wurden teils mit 118:720 – 721 Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit (Referenznummer: ZMVI1-2520COR402) und der 25 Haug S, Schnell R, Weber K (2021) Impfbereitschaft Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einem COVID-19-Vakzin und Einflussfaktoren. (Projektnummer: 458531028) gefördert. Ergebnisse einer telefonischen Bevölkerungsbefra- gung. Gesundheitswesen 83(10):789-796 26 Huebener M, Wagner GG (2021) Unterschiede in Covid-19-Impfquoten und in den Gründen einer Nichtimpfung nach Geschlecht, Alter, Bildung und Einkommen. DIW Discussion Papers 1968 Autorinnen und Autoren a) Dr. Jens Hoebel | d) Dr. Sebastian Haller | a) Susanne Bartig | a) Dr. Niels Michalski | b) Dr. Adine Marquis | b) Michaela Diercke | c) Nora Schmid-Küpke | c) PD Dr. Ole Wichmann | e) Navina Sarma | f) Prof. Dr. Lars Schaade | a) Dr. Claudia Hövener a) Robert Koch-Institut, Abt. 2 Epidemiologie und Ge- sundheitsmonitoring, FG 28 Soziale Determinanten der Gesundheit b) Robert Koch-Institut, Abt. 3 Infektionsepidemiologie, FG 32 Surveillance c) Robert Koch-Institut, Abt. 3 Infektionsepidemiologie, FG 33 Impfprävention d) Robert Koch-Institut, Abt. 3 Infektionsepidemiologie, FG 37 Nosokomiale Infektionen, Surveillance von Antibiotikaresistenz und -verbrauch, Ausbrüche e) Robert Koch-Institut, Abt. 3 Infektionsepidemiologie, FG 38 Infektionsepidemiologisches Krisenmanage- ment, Ausbruchsuntersuchungen und Trainings programme f ) Robert Koch-Institut, Institutsleitung, ZBS Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene Korrespondenz: j.hoebel@rki.de
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 11 Die COVID-19-Pandemie in Steglitz-Zehlendorf – sozialräumliche Betrachtung des Infektionsgeschehens Zusammenfassung 1. Einleitung Die Severe Acute Respiratory Syndrome Corona Seit bald zwei Jahren beherrscht die COVID-19- virus 2-(SARS-CoV-2-)Falldaten des Berliner Bezirks Pandemie das öffentliche Leben und prägt den Ar- Steglitz-Zehlendorf von Beginn der Coronavirus beitsalltag im Gesundheitswesen. Aus dem bisheri- Disease 2019-(COVID-19-)Pandemie im März 2020 gen Verlauf der Pandemie ließen sich einige Lehren bis einschließlich September 2021 (n = 13.815) wur- ziehen, insbesondere, was den Schutz vulnerabler den ausgewertet mit dem Ziel, genauere Erkennt- Gruppen in Gemeinschaftseinrichtungen anbe- nisse über den zeitlichen Verlauf und die kleinräu- langt.1 – 5 Das Wissen über die Verbreitung von SARS- mige Verteilung des Infektionsgeschehens zu ge- CoV-2 in der Bevölkerung und die Infektionswege winnen. Kleinräumige Daten zu soziodemogra und Einflussgrößen, die dieser Verbreitung zugrun- fischen Merkmalen wurden im Hinblick auf Zu- de liegen, ist jedoch immer noch nicht ausreichend. sammenhänge der Intensität des SARS-CoV-2- Häufig lässt sich eine genaue Infektionsquelle nicht Infektionsgeschehens mit der Bevölkerungszusam- feststellen, da ein relevanter Anteil der Infektionen mensetzung analysiert. Waren vor allem während symptomlos/-arm verläuft und auch bei symptoma- der zweiten Infektionswelle von September 2020 tischer Infektion bereits einige Tage vor dem Symp- bis Februar 2021 ältere Menschen überproportional tombeginn Ansteckungsfähigkeit besteht. In den am Infektionsgeschehen beteiligt, sind während der meisten Fällen sind daher Infektionsketten nicht dritten (März bis Juni 2021) und zu Beginn der vier- nachvollziehbar. ten Infektionswelle (Juli bis September 2021) zuneh- mend hauptsächlich jüngere Altersgruppen betrof- Auch das Wissen über Infektionsrisiken verschiede- fen. Kleinräumige Inzidenzen sind durch teils grö- ner Bevölkerungsgruppen ist immer noch lücken- ßere Ausbrüche in Einrichtungen für pflegebedürf- haft. Einige wichtige Informationen sind in den tige Menschen sowie in anderen Gemeinschafts- Meldedaten zum SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen unterkünften verzerrt, da das Infektionsrisiko in enthalten. So lassen sich beispielsweise vulnerable diesen Einrichtungen besonders hoch ist und diese Gruppen anhand von Angaben zu Alter, Geschlecht nicht gleichmäßig über die Sozialräume verteilt und Hospitalisierung der Personen mit laborbestä- sind. SARS-CoV-2 verbreitete sich während der bis- tigter Infektion identifizieren. Andere Angaben hin- herigen vier Infektionswellen unterschiedlich über gegen liegen nur für den Teil der laborbestätigten die Sozialräume des Bezirks. Ab der zweiten Infek- Infektionsfälle vor, bei denen das Gesundheitsamt tionswelle zeichnet sich ein stärkeres Betroffensein erfolgreich eigene Ermittlungen durchführen und von Sozialräumen ab, in denen mehr sozial benach- diese dokumentieren konnte. Dazu gehören Infor- teiligte Menschen oder Menschen mit Migrations- mationen zum Impfstatus, zur möglichen Infek hintergrund leben. Die kleinräumige Auswertung tionsquelle, zu Krankheitssymptomen und zur Be- der Infektionszahlen kann Hinweise geben, in wel- treuung in einer Einrichtung gemäß den §§ 23, 33 chen Sozialräumen des Bezirks verstärkte Anstren- oder 36 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Wie- gungen für eine Eindämmung der Pandemie erfor- der andere relevante Merkmale, die mit dem indivi- derlich sind. Die Zusammenhänge zwischen Inzi- duellen Infektionsrisiko im Zusammenhang stehen denzen und soziodemografischen Bevölkerungs- könnten, wie z. B. soziale Lage, Wohnverhältnisse merkmalen auf räumlicher Ebene weisen darauf und Migrationsstatus, werden gar nicht oder zu- hin, dass hierbei Bevölkerungsgruppen mit redu- mindest nicht in auswertbarer Form erfasst. zierten Teilhabechancen besondere Beachtung gel- ten sollte.
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 12 Das Fehlen solcher aussagefähigen Daten in Gleichstellung Berlin zum gleichen Thema orien- Deutschland erschwert die Ableitung von Schluss- tiert.11 Für diese Analysen werden Merkmale ausge- folgerungen und evidenzbasierte Entscheidungen wählt, die in anderen Veröffentlichungen in Zusam- über Maßnahmen zur Eindämmung des Infektions- menhang mit der sozialräumlichen Verteilung des geschehens.6 Exemplarisch werden für den Berliner Infektionsgeschehens gebracht werden3,11 – 13 und für Bezirk Steglitz-Zehlendorf die Zusammenhänge die aktuelle Daten auf der Ebene der Planungsräume zwischen der lokalen Intensität des SARS-CoV-2- von Steglitz-Zehlendorf verfügbar sind. Infektionsgeschehens und soziodemografischen Merkmalen der Sozialräume exploriert. Es wird un- tersucht, ob diese Erkenntnisse einen Beitrag dazu 2. Methodik leisten können, Public-Health-Maßnahmen wie zielgruppenbezogene Information, situationsange- Datenquellen und Datenaufbereitung passte Teststrategien oder niedrigschwellige Impf Die laborbestätigten SARS-CoV-2-Fälle vom angebote passgenauer umzusetzen. 01.03.2020 – 30.09.2021 im Bezirk Steglitz-Zehlen- dorf wurden als benutzerdefinierter Fall-Export aus Steglitz-Zehlendorf ist ein grüner Bezirk im Süd- der Datenbank SORMAS für die Auswertung ver- westen Berlins mit rund 300.000 Einwohnerinnen fügbar gemacht (Datenstand: 06.10.2021) und auf und Einwohnern. Er weist die günstigste Sozial- die Fälle eingeschränkt, die über die Meldesoftware struktur aller Berliner Bezirke auf,7,8 ist aber zu- SurvNet an das Landesamt für Gesundheit und gleich mit einem Durchschnittsalter von 46,3 Jah- Soziales gemeldet wurden, weil sie die Falldefinition ren und einem Anteil von mehr als einem Viertel des Robert Koch-Instituts (RKI) erfüllen (n = 13.815). älterer Menschen ab 65 Jahren der Bezirk mit der Die Geschlechterangabe wurde den Meldedaten ent- ältesten Bevölkerung in Berlin. Vor allem der Wes- nommen, ersatzweise der Labormeldung. Das Alter ten des Bezirks ist geprägt von Villenvierteln mit so- wurde als Differenz aus Meldedatum und Geburts- zial besser gestellter Bevölkerung, während im datum (Meldedaten, ersatzweise Labormeldung Nordosten und Osten des Bezirks dichter bebaute oder Selbstauskunft) in ganzen Jahren berechnet. Stadtviertel mit sozialer Durchmischung überwie- Angaben zu Sterbefällen „an oder mit“ COVID-19 gen. Soziale Belastungen kumulieren in der im Sü- wurden den Meldedaten entnommen, die anhand den des Bezirks gelegenen Thermometersiedlung, der Leichenschauscheine des entsprechenden Zeit- wo der Anteil von Menschen mit Bezug staatlicher raums vervollständigt wurden. Die Fälle wurden für Transferleistungen mit 17,3 % mit Abstand am sozialräumliche Auswertungen anhand ihrer Melde- höchsten ist. Hier wohnen auch deutlich über- bzw. Aufenthaltsadresse einem der 41 Planungsräu- durchschnittlich viele Menschen mit Migrations- me des Bezirks Steglitz-Zehlendorf (Stand 2020) zu- hintergrund, deren Informations- und Teilhabe- geordnet.14 chancen durch Sprachbarrieren eingeschränkt sein können.9,10 Als SARS-CoV-2-Fälle innerhalb von Einrichtungen gemäß § 36 IfSG (Pflegeheime, Gemeinschaftsun- Die vorliegende Auswertung verfolgt zwei Ziele: terkünfte und ähnliche Wohnstätten) wurden alle Erstens wird durch sozialräumliche Zuordnung der Fälle identifiziert, deren Meldeadresse bzw. ständi- im Gesundheitsamt des Berliner Bezirks Steglitz- ger Aufenthalt mit der Adresse einer entsprechen- Zehlendorf vorliegenden Daten der laborbestätig- den Einrichtung im Bezirk gemäß der durch das ten SARS-CoV-2-Infektionsfälle eine kleinräumige Gesundheitsamt geführten Einrichtungsliste über- Deskription des Infektionsgeschehens ermöglicht. einstimmt. Die zeitliche Abgrenzung der vier Infek- Zweitens wird geprüft, ob auf sozialräumlicher Ebe- tionswellen erfolgte entsprechend dem täglichen ne Zusammenhänge erkennbar sind zwischen dem Corona-Lagebericht für Berlin.15 Demnach wurden Infektionsgeschehen und der Verteilung soziodemo- alle SARS-CoV-2-Infektionen mit Meldedatum von grafischer Merkmale über die Sozialräume, wobei März bis August 2020 der ersten Infektionswelle sich das methodische Vorgehen an einer Publikation zugeordnet, von September 2020 bis Februar 2021 der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und der zweiten Infektionswelle, die Fälle von März bis
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 13 Juni 2021 der dritten Infektionswelle, und Fälle seit wurden mit der Statistiksoftware GNU PSPP 1.2.0 Juli 2021 wurden zur vierten Infektionswelle ge- berechnet. zählt. Fälle mit fehlenden oder unvollständigen Angaben Als Bevölkerungsdaten wurden Daten des Einwoh- in einzelnen Merkmalen gingen in die Berechnung nerregisters Berlin für den Bezirk Steglitz-Zehlen- der Gesamtinzidenzen ein und wurden fallweise dorf mit Datenstand 31.12.2020 zugrunde gelegt, die nur von den Analysen ausgeschlossen, für die diese nach Geschlecht und Migrationshintergrund diffe- Merkmale erforderlich waren (Geschlecht: n = 12, renziert sind.16,I Sozialräumliche Daten und Infor- Alter: n = 5, Adresse: n = 362 entsprechend 2,6 % mationen wurden aus dem Geoportal Berlin bezo- aller Fälle). Zur Wahrung der statistischen Geheim- gen.17 Die Einwohnerdichte wurde als Anzahl der haltung werden keine Daten dargestellt, die auf Fall- Einwohnerinnen und Einwohner je Quadratkilome- zahlen n < 3 beruhen. Wo dies in den Originaldaten ter im Planungsraum berechnet. Datenquelle für der Fall war, erfolgte durch Zusammenlegung der den Anteil der Bevölkerung mit TransferbezugII ist Zellen eine Vergröberung der Kategorien. das Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2019, der Datenstand ist der 31.12.2018.9 In linearen Regressionsmodellen auf der Ebene der 41 Planungsräume von Steglitz-Zehlendorf wurden Statistische Methoden die SARS-CoV-2-Inzidenzen außerhalb von Einrich- Die Zusammenführung der Datenbestände aus den tungen gemäß § 36 IfSG als abhängige Variable ver- verschiedenen Datenquellen, die Berechnung der wendet und als unabhängige Variablen die Sozial- SARS-CoV-2-Inzidenzen und die deskriptiven Aus- raummerkmale Einwohnerdichte, Anteil der Ein- wertungen erfolgten mit Microsoft Excel 2016. Kar- wohnerinnen und Einwohner mit Transferbezug ten wurden mit QGIS 3.4 erstellt. Regressionen und Anteil der Einwohnerinnen und Einwohner mit Migrationshintergrund. Aufgrund von Korrela- tionen der Sozialraummerkmale untereinanderIII I Definition Migrationshintergrund in dieser Datenquelle: im Ausland geboren oder mit nichtdeutscher Staatsan- wurden zunächst bivariate Regressionen berechnet. gehörigkeit oder mit Einbürgerungskennzeichen, Minderjährige im gleichen Haushalt auch bei Einbürge- rungskennzeichen eines Elternteils. III Einwohnerdichte und Anteil mit Transferbezug: r = 0,40 II Nicht arbeitslose Empfängerinnen und Empfänger (p < 0,01), Einwohnerdichte und Anteil mit Migrations- staatlicher, existenzsichernder Leistungen nach SGB II – hintergrund: r = 0,27 (nicht signifikant), Anteil mit „Hartz-IV“ – und SGB XII – z. B. laufende Hilfe zum Transferbezug und Anteil mit Migrationshintergrund: Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter. r = 0,55 (p < 0,01). Fallzahl Fallzahl pro 100.000 Einwohner Anzahl verstorben Todesfälle pro 100.000 Einwohner gesamt ohne Einr. gesamt ohne Einr. gesamt ohne Einr. gesamt ohne Einr. gem. § 36 IfSG gem. § 36 IfSG gem. § 36 IfSG gem. § 36 IfSG Geschlecht männlich 6.403 5.787 4.370,9 3.950,4 208 132 142,0 90,1 weiblich 7.400 6.416 4.558,0 3.951,9 227 81 139,8 49,9 keine Angabe 12 10 0 0 Altersgruppe 0 – 17 Jahre 1.894 1.792 3.931,4 3.719,7 0 0 0,0 0,0 18 – 59 Jahre 8.338 7.963 5.170,9 4.938,4 5 5 3,1 3,1 60+ Jahre 3.578 2.454 3.598,8 2.468,3 430 208 432,5 209,2 keine Angabe 5 4 0 0 gesamt 13.815 12.213 4.473,1 3.954,4 435 213 140,8 69,0 Tab. 1 | SARS-CoV-2-Fälle in Steglitz-Zehlendorf März 2020 bis September 2021, Stand: 06.10.2021, Untersuchung Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin, Gesundheitsamt
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 14 In einem zweiten Schritt wurde eine multivariate sowie die Todesfälle insgesamt und außerhalb von lineare Regression durchgeführt, in die der Anteil Einrichtungen gemäß § 36 IfSG nach Geschlecht der Bevölkerung mit Transferbezug und der Anteil und Altersgruppen gibt Tabelle 1. der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ge- meinsam eingehen, um diese Einflussgrößen wech- Steglitz-Zehlendorf liegt damit unter der bundes- selseitig zu kontrollieren. Um Verzerrungen durch weiten kumulativen Inzidenz im gleichen Zeitraum die unterschiedliche Alters- und Geschlechtervertei- und im Vergleich der Berliner Bezirke ebenfalls un- lung in den Planungsräumen auszuschließen, wur- ter dem Durchschnitt.15,18 Lässt man die wenigen do- den die Regressionsanalysen wiederholt, wobei für kumentierten Reinfektionen (n = 22) außer Betracht, Alter (Anteil der Bevölkerung im Alter von 18 – 59 ergibt sich damit für den Bezirk Steglitz-Zehlendorf Jahren als die Altersgruppe mit insgesamt substan- ein Bevölkerungsanteil von rund 4,5 % mit labor ziell erhöhter SARS-CoV-2-Inzidenz) und Geschlecht bestätigter SARS-CoV-2-Infektion seit Beginn der (Anteil weiblicher Bevölkerung im Planungsraum) Pandemie. adjustiert wurde. Zeitlicher Verlauf des Infektionsgeschehens Das SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen verläuft in 3. Ergebnisse Steglitz-Zehlendorf – wie auch in Deutschland ins- Die erste laborbestätigte SARS-CoV-2-Infektion in gesamt – in bislang vier Infektionswellen. Nach ei- Steglitz-Zehlendorf wurde am 08.03.2020 gemel- nem steilen Anstieg der Fallzahlen in der Anfangs- det. Seither waren es bis einschließlich September periode der Pandemie im März 2020 fielen die Inzi- 2021 insgesamt 13.815 Fälle, das entspricht einer ku- denzen auf ein niedriges Plateau, das über die Som- mulativen Inzidenz von 4.473 Fällen je 100.000 Ein- mermonate 2020 weitgehend unverändert blieb wohner. Von allen Fällen betrafen 1.602 (11,6 %) Per- (erste Infektionswelle März bis August 2020). Ab sonen, die in Einrichtungen gemäß § 36 IfSG unter- September 2020 stiegen die Infektionszahlen stark gebracht waren (vor allem Pflegeheime und Ge- an und erreichten im November und Dezember meinschaftsunterkünfte), in denen es teils größere 2020 das bis dahin höchste Niveau. Erst im Laufe Ausbrüche gab. Einen Überblick über die Fallzahlen des Januar 2021 sanken die Inzidenzen wieder bis Altersverteilung der Altersverteilung der SARS‐CoV‐2‐Fälle SARS‐CoV‐2‐Fälle in den in den Infektionswellen im Infektionswellen imVergleich Vergleich zum zum Bevölkerungsanteil Bevölkerungsanteil Altersverteilung der SARS-CoV-2-Fälle in den Infektionswellen im Vergleich zum Bevölkerungsanteil 0% 0% 10% 10% 20% 20% 30% 30% 40% 40% 50% 60% 60% 50% 70% 80% 70% 90% 80% 100%90% 100% 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % Bevölkerungs‐ Bevölkerungs‐ Bevölkerungsanteile AnteileAnteile 1.1. Welle 1. Welle Welle 03/2020‐08/2020 03/2020‐08/2020 03/2020 – 08/2020 2.2. Welle 2. Welle Welle 09/2020‐02/2021 09/2020‐02/2021 09/2020 – 02/2021 3.3. Welle 3. Welle Welle 03/2021‐06/2021 03/2021‐06/2021 03/2021 – 06/2021 4. Welle 4. 4.Welle Welle seit seit 07/2021 seit 07/2021 07/2021 –0‐5 00‐5 5 6‐11 66‐11 – 11 12‐17 12‐17 12 – 17 18‐2418 18‐24 – 24 25‐29 25 – 29 30‐34 25‐29 30‐34 30 – 34 35 35‐39 35‐39 – 39 40‐44 40‐44 40 – 44 45‐49 45‐49 45 – 49 50‐5450 50‐54 – 54 55‐59 55 – 59 60‐64 55‐59 60‐64 60 – 64 65 65‐69 65‐69 – 69 70‐74 70‐74 70 – 74 75‐79 75‐79 75 – 79 80‐8480 80‐84 – 84 85‐89 85 – 89 90+ 85‐89 90+ 90+ Abb. 1 | Anteile der SARS-CoV-2-Fälle in den Altersgruppen nach Infektionswelle im Vergleich zum Bevölkerungsanteil in Steglitz-Zehlendorf, Stand: 06.10.2021, Untersuchung Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin, Gesundheitsamt
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 15 Legenden Abb. 2 Legen Legenden Abb. 2 Legen 1. Infektionswelle (03/2020 – 08/2020) 2. Infektionswelle (09/2020 – 02/2021) Inzidenz Welle 1 Inzidenz Welle 2 Inzidenz Welle 3 Inzidenz Welle 4 Einw Inzidenz Welle 1 Inzidenz Welle 2 Inzidenz Welle 3 Inzidenz Welle 4 Einw 8181 – 121 ‐ 121 1.330 ‐ 2.102 523 ‐ 701 179 ‐ 326 1.330 81 ‐ 121 – 2.102 1.330 ‐ 2.102 523 ‐ 701 179 ‐ 326 122 – 187 122 ‐ 187 2.103 ‐ 2.555 702 ‐ 890 327 ‐ 442 2.103 122 ‐ 187 – 2.555 2.103 ‐ 2.555 702 ‐ 890 327 ‐ 442 188 188 – 214 ‐ 214 2.556 ‐ 2.689 891 ‐ 1.096 443 ‐ 504 2.556 188 ‐ 214 – 2.689 2.556 ‐ 2.689 891 ‐ 1.096 443 ‐ 504 215 215 – 318 ‐ 318 2.690 ‐ 3.075 1.097 ‐ 1.304 505 ‐ 534 2.690 215 ‐ 318 – 3.075 2.690 ‐ 3.075 1.097 ‐ 1.304 505 ‐ 534 319 – 523 319 ‐ 523 3.076 ‐ 4.120 1.305 ‐ 2.184 535 ‐ 725 3.076 319 ‐ 523 – 4.120 3.076 ‐ 4.120 1.305 ‐ 2.184 535 ‐ 725 3. Infektionswelle (03/2021 – 06/2021) Legenden Abb. 2 Legen 4. Infektionswelle (seit 07/2021) Legenden Abb. 2 Legen Inzidenz Welle 1 Inzidenz Welle 2 Inzidenz Welle 3 Inzidenz Welle 4 Einw Inzidenz Welle 1 Inzidenz Welle 2 Inzidenz Welle 3 Inzidenz Welle 4 Einw 523 – 701 81 ‐ 121 1.330 ‐ 2.102 523 ‐ 701 179 ‐ 326 179 – 326 81 ‐ 121 1.330 ‐ 2.102 523 ‐ 701 179 ‐ 326 702 – 890 122 ‐ 187 2.103 ‐ 2.555 702 ‐ 890 327 ‐ 442 327 – 442 122 ‐ 187 2.103 ‐ 2.555 702 ‐ 890 327 ‐ 442 188891 ‐ 214 – 1.096 2.556 ‐ 2.689 891 ‐ 1.096 443 ‐ 504 443 188 – 504 ‐ 214 2.556 ‐ 2.689 891 ‐ 1.096 443 ‐ 504 1.097 215 ‐ 318 – 1.304 2.690 ‐ 3.075 1.097 ‐ 1.304 505 ‐ 534 505 215 – 534 ‐ 318 2.690 ‐ 3.075 1.097 ‐ 1.304 505 ‐ 534 1.305 319 ‐ 523 – 2.184 3.076 ‐ 4.120 1.305 ‐ 2.184 535 ‐ 725 535 319 – 725 ‐ 523 3.076 ‐ 4.120 1.305 ‐ 2.184 535 ‐ 725 Abb. 2 | SARS-CoV-2-Inzidenzen in den Planungsräumen von Steglitz-Zehlendorf während der vier Infektionswellen, Stand: 06.10.2021, Untersuchung Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin, Gesundheitsamt Mitte/Ende Februar (zweite Infektionswelle). Die Hochaltrige ab 80 Jahren sind häufiger infiziert als dritte Infektionswelle von März bis Juni 2021, in der es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Kinder und Infektionen mit der ansteckenderen Virusvariante Jugendliche sind dagegen während der ersten bei- Alpha (B.1.1.7) überwiegen, fiel kleiner aus als die den Infektionswellen deutlich unterproportional ver- zweite Infektionswelle. Seit Juli 2021 ist das Infek treten. tionsgeschehen fast ausschließlich von der wieder- um ansteckenderen Virusvariante B.1.617 (mit der Während der dritten und noch deutlicher während Untervariante Delta) geprägt (vierte Infektionswel- der vierten Infektionswelle verschiebt sich das In- le). Bei zeitlich weitestgehend parallelem Verlauf fektionsgeschehen hin zu den jüngeren Altersgrup- bleibt die Inzidenzkurve von Steglitz-Zehlendorf im pen und die älteren Altersgruppen sind deutlich un- Zeitverlauf zunehmend unter dem Niveau für Berlin. terproportional beteiligt (s. Abb. 1). Die höchste Inzi- denz während der dritten Infektionswelle errechnet Während der ersten Infektionswelle sind die mittle- sich für die Altersgruppe 18 – 24 Jahre, am Anfang ren Altersgruppen von 18 – 59 Jahren deutlich stär- der vierten Infektionswelle für die Altersgruppe ker betroffen als es ihrem Bevölkerungsanteil ent- 12 – 17 Jahre. spricht (s. Abb. 1). Die zweite Infektionswelle ist da- gegen gekennzeichnet von zunehmendem Betrof- Sozialräumliche Verteilung des SARS-CoV-2- fensein der älteren Altersgruppen und Ausbrüchen Infektionsgeschehens in Einrichtungen, in denen Menschen wohnen (z. B. Nicht nur im Zeitverlauf, sondern auch auf der so- Pflegeheime, Gemeinschaftsunterkünfte) oder be- zialräumlichen Ebene ist das SARS-CoV-2-Infek treut werden (z. B. Kitas, Schulen). Insbesondere tionsgeschehen heterogen. Zwar bilden sich auf al-
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 16 len räumlichen Ebenen die vier Infektionswellen Legenden Abb. 2 Legen Einwohnerdichte (Einw. je km²) Inzidenz Welle 1 Inzidenz Welle 2 Inzidenz Welle 3 Inzidenz Welle 4 Einw deutlich ab, jedoch liegt die höchste Gesamtinzi- 81 ‐ 121 1.330 ‐ 2.102 523 ‐ 701 179 ‐ 326 429 – 2.891 122 ‐ 187 2.103 ‐ 2.555 702 ‐ 890 327 ‐ 442 2.892 – 4.944 denz mit 6.223 Fällen je 100.000 Einwohner im Pla- 188 ‐ 214 2.556 ‐ 2.689 891 ‐ 1.096 443 ‐ 504 4.945 – 5.424 nungsraum Bismarckstraße um den Faktor 2,6 215 ‐ 318 2.690 ‐ 3.075 1.097 ‐ 1.304 505 ‐ 534 5.425 – 10.877 319 ‐ 523 3.076 ‐ 4.120 1.305 ‐ 2.184 535 ‐ 725 10.878 – 20.746 über der niedrigsten (2.368 Fälle je 100.000 Ein- wohner) im Planungsraum Fischtal. Unterscheiden sich die Inzidenzen auf Planungsraumebene wäh- rend der ersten Infektionswelle noch um den Faktor 6,4, so ist es während der zweiten Welle mit der ins- gesamt höchsten Infektionszahl (61,4 % aller bis einschließlich September 2021 gemeldeten Fälle) der Faktor 3, während der dritten und vierten Infek- tionswelle der Faktor 4. Vor allem zwischen der ers- Legenden Abb. 2 Bevölkerungsanteil mit Transferbezug Legen Inzidenz Welle 1 Inzidenz Welle 2 Inzidenz Welle 3 Inzidenz Welle 4 Einw ten und den nachfolgenden Infektionswellen beste- 81 ‐ 121 1.330 ‐ 2.102 523 ‐ 701 179 ‐ 326 1,3 % – 2,8 % 122 ‐ 187 2.103 ‐ 2.555 702 ‐ 890 327 ‐ 442 2,9 % – 4,6 % hen große Unterschiede im sozialräumlichen Be- 188 ‐ 214 2.556 ‐ 2.689 891 ‐ 1.096 443 ‐ 504 4,7 % – 7,0 % troffensein (s. Abb. 2). 215 ‐ 318 2.690 ‐ 3.075 1.097 ‐ 1.304 505 ‐ 534 7,1 % – 8,26 % 319 ‐ 523 3.076 ‐ 4.120 1.305 ‐ 2.184 535 ‐ 725 8,27 % – 17,3 % Insbesondere während der zweiten Infektionswelle gibt es im Bezirk teils auch größere Ausbrüche in Einrichtungen. Zwar sind Menschen, die in einer Einrichtung gemäß § 36 IfSG untergebracht sind, in der Regel dort auch wohnhaft gemeldet und gehen somit bei der Berechnung der SARS-CoV-2-Inziden- zen in die Wohnbevölkerung ein, jedoch ist das In- Legenden Abb. 2 Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund Legen fektionsrisiko in einer Einrichtung mit einem Aus- Inzidenz Welle 1 Inzidenz Welle 2 Inzidenz Welle 3 Inzidenz Welle 4 Einw bruch ungleich größer als in der Bevölkerung au- 81 ‐ 121 1.330 ‐ 2.102 523 ‐ 701 179 ‐ 326 16,9 % – 24,1 % 122 ‐ 187 2.103 ‐ 2.555 702 ‐ 890 327 ‐ 442 24,2 % – 27,9 % ßerhalb von Einrichtungen. Da nicht alle Sozial- 188 ‐ 214 2.556 ‐ 2.689 891 ‐ 1.096 443 ‐ 504 28,0 % – 30,9 % 31,0 % – 34,9 % räume im Bezirk über eine vergleichbare Anzahl 215 ‐ 318 2.690 ‐ 3.075 1.097 ‐ 1.304 505 ‐ 534 319 ‐ 523 3.076 ‐ 4.120 1.305 ‐ 2.184 535 ‐ 725 35,0 % – 50,4 % von Einrichtungen und Plätzen in diesen Einrich- tungen verfügen, werden die Inzidenzen hierdurch verzerrt. Die Effekte von Ausbrüchen in Einrichtungen ins- besondere während der zweiten Welle lassen sich deutlich auf der Ebene der 41 Planungsräume von Abb. 3 | Verteilung soziodemografischer Merkmale in den Steglitz-Zehlendorf ablesen. Für einzelne Planungs- Planungsräumen von Steglitz-Zehlendorf, Stand: räume ändern sich die Inzidenzen deutlich, wenn 06.10.2021, Untersuchung Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf man Fälle in Einrichtungen gemäß § 36 IfSG her- von Berlin, Gesundheitsamt ausrechnet. Besonders deutlich zeigt sich dies im Planungsraum Zehlendorf Eiche (Rangplatz 19 ins- gesamt vs. 41 bezüglich der Inzidenz außerhalb von hen könnten, verteilen sich ebenfalls ungleich über Einrichtungen). Die höchste Inzidenz bezogen auf die Planungsräume des Bezirks (s. Abb. 3). die Fälle außerhalb von Einrichtungen weist der Pla- nungsraum Thermometersiedlung auf. Die SARS-CoV-2-Inzidenzen in den Planungsräu- men stehen in einem signifikant positiven Zusam- Zusammenhang des SARS-CoV-2-Infektions menhang mit allen drei betrachteten Einfluss geschehens mit sozialräumlichen Merkmalen größen Einwohnerdichte, Bevölkerungsanteil mit Soziodemografische Merkmale, die mit dem SARS- Transferbezug und Bevölkerungsanteil mit Migra CoV-2-Infektionsgeschehen in Zusammenhang ste- tionshintergrund (s. Tab. 2, Analysen 1 – 3). Durch
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2022 3. Februar 2022 17 die Sozialraummerkmale wird jeweils zwischen ei- Abbildung 4 stellt exemplarisch das Ergebnis der nem Drittel und der knappen Hälfte der Varianz in Regressionsanalysen des Anteils von Personen mit den SARS-CoV-2-Inzidenzen erklärt (R² zwischen Bezug staatlicher existenzsichernder Transferleis- 0,34 und 0,47). Kontrolliert man in den Analysen tungen auf die SARS-CoV-2-Inzidenz im Sozial- für Alter und Geschlecht, so bleiben die Zusam- raum insgesamt und während der vier Infektions- menhänge der SARS-CoV-2-Inzidenzen mit Trans- wellen grafisch dar. Jeder Punkt steht für einen der ferbezug und Anteil der Bevölkerung mit Migra 41 Planungsräume. tionshintergrund im Sozialraum bestehen. Der Zu- sammenhang mit der Einwohnerdichte wird jedoch Während der ersten Infektionswelle mit der insge- aufgehoben. In der multivariaten Regression mit samt geringsten Fallzahl bestehen keine signifikan- Transferbezug und Migrationshintergrund als un- ten Zusammenhänge zwischen sozialräumlicher abhängigen Variablen ist der Zusammenhang der SARS-CoV-2-Inzidenz und den betrachteten Ein- SARS-CoV-2-Inzidenz mit dem Anteil der Men- flussgrößen auf Sozialraumebene (Daten nicht dar- schen mit Transferbezug im Planungsraum stärker gestellt). Nur bei Kontrolle von Alters- und Ge- als mit dem Anteil mit Migrationshintergrund, der schlechterverteilung ergibt sich ein statistisch signi- sich nach Kontrolle von Alter und Geschlecht als fikanter Zusammenhang, wonach ein höherer An- nicht mehr statistisch signifikant erweist (s. Tab. 2, teil von Personen mit Transferbezug mit einer Analyse 4). geringeren SARS-CoV-2-Inzidenz im Sozialraum abhängige Variable: abhängige Variable: SARS-CoV-2-Inzidenz, Analyse Einflussgröße SARS-CoV-2-Inzidenz adjustiert für Alter und Geschlecht R² Beta (98 %-KI) Signifikanz R² Beta (98 %-KI) Signifikanz 1 Einwohnerdichte 0,35 0,10 (0,05 – 0,14) < 0,001 0,43 0,07 (0,00 – 0,13) n. s. 2 Transferbezug 0,47 158 (104 – 212) < 0,001 0,58 119 (64 – 175) < 0,001 3 Migrationshintergrund 0,34 68 (37 – 98) < 0,001 0,45 48 (8 – 89) 0,021 Transferbezug 120 (59 – 182) < 0,001 106 (45 – 167) 0,001 4 0,53 0,59 Migrationshintergrund 35 (3 – 66) 0,030 21 (–18 – 60) n. s. Tab. 2 | Zusammenhänge zwischen sozialräumlichen Merkmalen und der SARS-CoV-2-Inzidenz außerhalb von Einrichtungen in den Planungsräumen von Steglitz-Zehlendorf (Ergebnisse linearer Regressionen), Stand: 06.10.2021, Untersuchung Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin, Gesundheitsamt KI = Konfidenzintervall SARS-CoV-2-Inzidenz außerhalb von Einrichtungen SARS-CoV-2-Inzidenz außerhalb von Einrichtungen nach Anteil Transferbeziehender nach Infektionswelle und Anteil Transferbeziehender 6.000 6.000 4.000 4.000 Inzidenz außerhalb von Einrichtungen Welle 1 1. Welle Welle 2 2. Welle Welle 3 3. Welle Welle 4 4. Welle 3.500 3.500 5.000 5.000 R² = 0,47 3.000 3.000 R² = 0,45 4.000 4.000 2.500 2.500 3.000 3.000 2.000 2.000 1.500 1.500 2.000 2.000 R² = 0,47 1.000 1.000 1.000 1.000 R² = 0,12 500 500 R² = 0,07 0 00 00 55 10 10 15 15 20 20 0 55 10 10 15 20 Anteil Bevölkerung mit Transferbezug [%] Anteil Bevölkerung mit Transferbezug [%] Anteil Bevölkerung mit Transferbezug [%] Anteil Bevölkerung mit Transferbezug [%] Abb. 4 | Zusammenhang des Anteils Transferbeziehender im Sozialraum mit der SARS-CoV-2-Inzidenz außerhalb von Einrichtungen in Steglitz-Zehlendorf (Ergebnisse linearer Regressionen), Stand: 06.10.2021, Untersuchung Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin, Gesundheitsamt
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