ERGONOMIE-BENEFITS - Fraunhofer IPA
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F R A U N H O F E R - I N S T I T U T F Ü R P R O D U K T I O N S T E C H N I K U N D A U T O M AT I S I E R U N G I PA KRITERIEN ZUR BEWERTUNG ERGONOMISCHER MAßNAHMEN IN DER K O S T E N - N U T Z E N - A N A LY S E ERGONOMIE-BENEFITS
ERGONOMIE-BENEFITS Kriterien zur Bewertung ergonomischer Maßnahmen in der Kosten-Nutzen-Analyse Urban Daub Alexander Ackermann Verena Kopp Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA - Stuttgart Projektpartner: Ergoswiss AG Oktober 2019 https://doi.org/10.24406/ipa-n-559153 1
INHALTSVERZEICHNIS 1 Einleitung.............................................................................................................. 5 2 Betriebswirtschaftliche Auswirkungen arbeitsergonomischer Maßnahmen... 6 2.1 Vorteile ergonomischer Maßnahmen ................................................................6 2.2 Risiken fehlender ergonomischer Maßnahmen...................................................8 3 Ergonomische Potenziale höhenverstellbarer Arbeitstische........................... 10 3.1 Direkte betriebswirtschaftliche Potenziale........................................................10 3.2 Indirekte betriebswirtschaftliche Potenziale......................................................10 4 Zusammenfassung.............................................................................................. 16 5 Limitationen........................................................................................................ 18 7 Literaturverzeichnis............................................................................................ 20 Impressum.............................................................................................................. 24 3
1 EINLEITUNG Muskuloskelettale Erkrankungen sind in Deutschland, Diese Übersichtsarbeit wurde als Erweiterung des Ratgebers Österreich und in der Schweiz die häufigste Ursache für krank- „Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung: Prinzipien aus Trai- heitsbedingte Arbeitsunfähigkeitstage [1,2,3 zit. 4]. nings-, Sport- und Arbeitswissenschaft zur Entlastung des Be- Insbesondere ältere Menschen sind hiervon betroffen [5]. wegungsapparates“ von der Ergoswiss AG beauftragt. Im Zuge des demographischen Wandels und der damit ein- Das Ziel dieser Arbeit ist es, veröffentlichte Studienergebnisse hergehenden älter werdenden Belegschaft, sollte die nach- zusammenzustellen, welche die Vorteile und den Nutzen haltige betriebliche Arbeitsplatzgestaltung zunehmend („Benefits“) von ergonomischen Gestaltungsmaßnahmen präventive, ergonomische Gestaltungsmaßnahmen untersucht haben. berücksichtigen. Neben der grundsätzlichen Betrachtung von ergonomischen Gestaltungsmaßnahmen zur Entlastung des Bewegung- Auch wenn die grundsätzlichen, positiven Effekte von ergono- sapparats, wird in dieser Übersichtsarbeit der Fokus auf mischen Gestaltungsmaßnahmen selten angezweifelt werden, höhenverstellbare Arbeitstische gesetzt. sind betriebliche Entscheider in der Regel am besten von einer ergonomischen Gestaltungsmaßnahme zu überzeugen, wenn der betriebliche Nutzen für sie aufgezeigt werden kann. Wie aus zahlreichen veröffentlichten Studien hervorgeht, kann dieser Nutzen jedoch sehr vielseitige Ausprägungen haben. Die unterschiedlichen Intentionen von Unternehmen und Mitarbeitern orientieren sich dabei stets an den Zielen: • Gesunderhaltung • Prestige • Betriebswirtschaftliches Interesse Diese Ziele stehen sich dabei selten entgegen. Eine Vielzahl von Studien belegt, dass gesunde und zufriedene Mitarbeiter auch effektiver sind. 5
2B ETRIEBSWIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN ARBEITSERGONOMISCHER MAßNAHMEN Die zwei am häufigsten verwendeten Berechnungsmodelle um 2.1 VORTEILE ERGONOMISCHER den wirtschaftlichen Nutzen von ergonomischen Maßnahmen MAßNAHMEN zu beurteilen sind das Kosten-Nutzen-Verhältnis und die Amortisierungszeit (vgl. [6]). Finanzielle / betriebswirtschaftliche Effekte Die Herausforderung dieser Berechnungen liegt dabei in der Das positive Kosten-Nutzen-Verhältnis für Maßnahmen der Ermittlung der individuellen Werte eines Unternehmens. betrieblichen Gesundheitsförderung gilt in der wissenschaft- In diesem Kapitel werden direkte Vorteile ergonomischer lichen Literatur als unstrittig [7]. Maßnahmen und indirekte Kosten durch fehlende Die Ergebnisse einer Vielzahl von Studien belegen die positiven Gesundheitsmaßnahmen aufgeführt. Hieraus lässt sich der betriebswirtschaftlichen Effekte, die sich zusammen mit Wert, bzw. der Nutzen ermitteln, den eine gesundheitsförder- gesundheitlichen Verbesserungen ergeben haben. liche Maßnahme hat. Diese ökonomischen Effekte ergeben sich durch eine Steigerung der Produktivität und der Reduzierung von Kosten-Nutzen-Verhältnis Begleitkosten, die aufgrund von Erkrankungen der Mitarbeiter Mit dieser Methode werden die Kosten für die Umsetzung entstehen. Unabhängige US-amerikanische Studien gehen der ergonomischen Lösung ins Verhältnis zu dem Nutzen bei ihren Berechnungen von einem Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Maßnahme gestellt. von 1 : 2,3 bis 1 : 5,9 aus. Das bedeutet, dass für jeden aufgewendeten Dollar 2,3 - 5,9 Dollar durch reduzierte Krankheitskosten eingespart werden [7]. Amortisierungszeit Mit dieser Methode wird die Zeit ermittelt, die zur Amorti- sierung der getätigten Investitionen benötigt wird. Hierfür müssen ebenfalls die Kosten und der Nutzen der ergonomischen Maßnahme kalkuliert werden. Diese Methoden können sowohl retrospektiv (zurückblickend) als auch prospektiv (Blick in die Zukunft) genutzt werden. Eine prospektive Berechnung wird jedoch dadurch erschwert, dass der zu erwartende positive Effekt (also der Nutzen) Abbildung 1 Investitionen zur Senkung der Krankentage machen geschätzt werden muss. sich bezahlt. Bei diesen Berechnungen des Kosten-Nutzen-Verhältnisses gilt allerdings zu berücksichtigen, dass die Werte vorwiegend US-amerikanischen Studien entstammen. Dort bestehen teilweise andere rechtliche Bestimmungen und Anstellungsver- hältnisse. Aus diesem Grund sind die Werte dieser Effekte 6
nicht direkt auf europäische Länder übertragbar. Anmerkung zum Lesen der Tabelle am Beispiel Produktivität: In einem umfassenden Review wurden die Ergebnisse aus 250 61 der 250 Studien haben die Produktivität untersucht. Im Fallstudien zusammengefasst, in denen der Nutzen von Durchschnitt gab es eine Steigerung von 25%. Der Wert, Investitionen in ergonomische Maßnahmen untersucht wurde der Studie, deren Ergebnis in der Mitte lag, war 20% (= Me- [8]. Vergleichbare Parameter wurden extrahiert und darge- dian). Bei 95% der Studien wurde eine Produktivitätsverbes- stellt. Auch wenn die Autoren darauf hinweisen, serung von 20-30% erreicht (errechneter Konfidenzinter- dass die Ergebnisse mit Vorsicht zu betrachten sind, vall). Insgesamt variierte der Ergebnisbereich der Studien zeigen sie eine einheitliche Tendenz auf (vgl. Tabelle 1). zwischen sehr geringen negativen Veränderungen von 0,2% und sehr großen Verbesserungen von 80%. Parameter zur Bestimmung der Anzahl 95% Ergebnis- Durchschnitt Median Effektivität Studien Konfidenzintervall bereich Produktivität 61 25% ↑ 20% ↑ 20 - 30% -0,2 - 80% ↑ Inzidenz* (Anzahl der Neu- 53 65% ↓ 67% ↓ 57 - 73% 9 - 100% ↓ erkrankungen pro Jahr) Anzahl Arbeits-Ausfalltage* 78 75% ↓ 80% ↓ 70 - 80% 3 - 100% ↓ Anzahl eingeschränkter Arbeitstage 30 53% ↓ 58% ↓ 42 - 64% 5 - 100% ↓ Anzahl der arbeitsbedingten 90 59% ↓ 56% ↓ 54 - 64% 8 - 100% ↓ Erkrankungen des Bewegungsapparates Personalkosten 6 43% ↓ 32% ↓ 17 - 69% 10 - 85% ↓ Ausschuss/ Fehler 8 67% ↓ 75% ↓ 59 - 85% 8 - 100% ↓ Krankheitsbedingte Fehltage 11 58% ↓ 60% ↓ 43 - 63% 14 - 98% ↓ Dauer bis zur Amortisierung der 0,03 - 4,4 36 0,7 Jahre 0,4 Jahre 0,4 - 1 Jarh Investition** Jahre Kosten-Nutzen-Verhältnis 5 1:18,7 1:6 1:7,6 - 1:45 1:2,5 - 1 * Aufgrund arbeitsbedingter Erkrankungen des Bewegungsapparates ** Bei den Berechnungen flossen Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer nach US-amerikanischem Recht ein. Tabelle 1 Zusammenfassende Ergebnistabelle aus 250 Fallstudien (angepasst nach [2]) 7
2 B E T R I E B S W I R T S C H A F T L I C H E A U S W I R K U N G E N A R B E I T S E R G O N O M I S C H E R MAßNAHMEN Typische Vorteile, die in dem Review benannt wurden, sind die 2.2 RISIKEN FEHLENDER ERGONO- Reduktion von arbeitsbedingten Erkrankungen des Bewegungs- MISCHER MAßNAHMEN apparates oder deren Inzidenzrate. Auch die Reduktion der krankheitsbedingten Arbeitsfehltage oder der eingeschränkten In Risikoanalysen für krankheitsbedingte Fehltage, werden alle Arbeitstage, also Arbeitstage, an denen die Mitarbeiter nicht voll Kosten eingerechnet, die durch den Ausfall eines Mitarbeiters arbeitsfähig waren. Diese eingeschränkten Arbeitstage können direkt ersichtlich sind. Je nachdem wie ausführlich diese unter anderem auch negative Auswirkungen auf die Anzahl Berechnungsmodelle angelegt sind, existiert darüber hinaus fehlerhafter Produkte in der Produktion haben jedoch noch eine Vielzahl weiterer finanzieller Risikofaktoren. (steigende Ausschussrate). Diese indirekten Kosten können dabei einen weitaus größeren Anteil haben. In Kosten-Nutzen-Analysen werden sie möglicher- ÆÆAuch wenn keine exakten Berechnungsmodelle weise deshalb auch nicht berücksichtigt, weil sie besonders verfügbar sind, ist der positive Kosten-Nutzen-Effekt spekulativ sind. Dennoch handelt es sich um keine korrekte von Investitionen in gesundheitsförderliche Maßnahmen Abwägung von Kosten und Nutzen, wenn diese Kriterien in der wie Ergonomie, sehr umfangreich in der Literatur belegt. Kalkulation unberücksichtigt unterschlagen werden. Denn wie bei einem Eisberg (vgl. Abbildung 2) befindet sich der größere Anteil der Kosten unter der Oberfläche [9]. Nachfolgend werden einige dieser in der Literatur genannten indirekten Risikofaktoren aufgelistet und erläutert: Abbildung 2 Bei Kosten-Nutzen-Analysen bleibt häufig der größere Anteil der indirekten Kosten vernachlässigt. 8
Absentismus Chronifizierung von Krankheiten Krankheitsbedingte Abwesenheiten führen zu erhöhten Muskuloskelettale Beschwerden durch dauerhaft ungünstige Kosten, da sowohl das Gehalt der erkrankten Mitarbeiter Körperhaltungen können sich über die Zeit manifestieren und weitergezahlt werden muss, als auch die Aushilfen oder chronisch werden [15]. Solche langsam entstehenden Überstunden, um die Arbeit abfangen zu können [9]. Krankheiten ziehen in der Regel einen langwierigeren Muskuloskelettale Beschwerden gelten als häufigste Heilungsprozess mit sich, als Krankheiten mit kurzem Krankheitsart für Ausfalltage (AU-Tage) in Deutschland, Entstehungsprozess. Beispielsweise wird die Anzahl der Österreich und in der Schweiz [1,2,3 zit. 4]. Krankheitstage bei Berufskrankheiten, die nicht unfall- Insbesondere Rückenschmerzen, die unter anderem durch verursacht sind, um 1,6 bis 2,2 Mal höher eingeschätzt [16]. ungünstige Körperhaltungen am Arbeitsplatz hervorgerufen Infolge können weitere Kosten für Umschulungen oder werden können, stellen eine der häufigsten körperlichen Rehabilitationsmaßnahmen entstehen [9]. Beschwerden in der Bevölkerung dar [10, 11]. Mitarbeiterfluktuation Präsentismus Schlechte Arbeitsbedingungen führen zu einer erhöhten Mitarbeiter, die trotz Krankheit zur Arbeit kommen, sind Fluktuation. Das Einstellungsprozedere für neue Mitarbeiter ist bezogen auf Produktivität und Qualität weniger leistungsfähig. sowohl zeit- als auch kostenaufwendig. Zudem müssen neue Die finanziellen Verluste durch Präsentismus werden deutlich Mitarbeiter zunächst eingearbeitet werden und können somit höher eingeschätzt, als die Verluste durch Abwesenheitszeiten nicht direkt die Produktivität erfahrener Mitarbeiter ersetzen [12, 13]. Die verschlechterte Leistungsfähigkeit und Zufrieden- [9, 17]. heit kranker Mitarbeiter kann sich zudem auf die Kollegen auswirken und deren Arbeitsmotivation negativ beeinflussen [9]. ÆÆKosten-Nutzen-Kalkulationen, die nur die direkten Kosten berücksichtigen, sind unvollständig und Produktionseinbußen betrachten nur die „Spitze des Eisbergs“. Je nach Organisation eines Unternehmens kann eine gesteigerte krankheitsbedingte Abwesenheitsrate zu Produktionsausfällen führen. Erklärt wird dies durch weniger Personal oder fehlende Erfahrung neuer Arbeitskräfte, welche die krankheitsbedingt abwesenden Arbeiter ersetzen müssen. Dadurch sinkt die Produktionsrate, während die Fehlerrate steigt [9]. Zudem können unergonomische Arbeitsplätze früher zu Ermüdung und Konzentrationsverlust führen, was Folgen für die Produktqualität haben kann. Weitere Kosten können durch Retourkosten oder sogar den Imageverlust des Unternehmens entstehen [14]. 9
3E RGONOMISCHE POTENZIALE HÖHENVER- STELLBARER ARBEITSTISCHE In der Literatur finden sich Kennzahlen zur Bewertung der Arbeitsunfähigkeitstage reduzieren Effektivität ergonomischer Maßnahmen. Darin werden höhen- Als Risikofaktoren muskuloskelettaler Erkrankungen gelten verstellbare Arbeitstische auf ca. 40% eingestuft und stehen übermäßige Wiederholungen, unangenehme und ungünstige zwischen Hebehilfen, welche die Beanspruchung durch Körperhaltungen sowie schweres Heben [27]. Höhen- schwere Lasten komplett abnehmen (ca. 70%) und Job verstellbare Arbeitstische können eingesetzt werden, Rotationen (ca. 15%) [8, 18]. um ungünstige Körperhaltungen zu vermeiden. Im nachfolgenden Abschnitt werden die wichtigsten Somit konnten in Beispielen aus Produktion und Büro- Potenziale höhenverstellbarer Arbeitstische aufgelistet und mit arbeitsplätzen mit Hilfe höhenverstellbarer Arbeitstische, Kennzahlen und Ergebnissen aus der Literatur untermauert. die Anzahl der Krankheitsmeldungen aufgrund muskuloskelettaler Beschwerden um 42 - 50% reduziert werden [25, 26]. 3.1 DIREKTE BETRIEBSWIRT- Studienergebnisse deuten sogar darauf hin, dass die Einführung von Sitz-Steh-Arbeitsplätzen bei Bürokräften mit SCHAFTLICHE POTENZIALE chronischen Rückenschmerzen zu einer signifikanten Produktivität / Produktqualität steigern Schmerzreduktion führen können [27]. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass die Produktivität oder die Qualität der Arbeit durch die Einführung von Sitz-Steh- ÆÆWie zahlreiche Studien darlegen, bestätigt sich immer Arbeitsplätzen gesteigert werden kann [19–21]. Neben dem wieder das Zitat von H.W. Hendricks “Good Ergonomics Arbeitsumfeld Büroarbeitsplatz gibt es ebenfalls eine Vielzahl is Good Economics” [28] von Fallbeispielen aus der Produktion in denen die Einführung eines höhenverstellbaren Arbeitstisches zu dem gleichen 3.2 INDIREKTE BETRIEBSWIRT- positiven Effekt geführt hat [8, 21]. Negative Auswirkungen auf SCHAFTLICHE POTENZIALE die Produktivität der Arbeitskräfte zeigten sich durch die Einfüh- rung eines Sitz-Steh-Arbeitsplatzes nicht [22–24]. Die positiven Auswirkungen einer ergonomischen Optimierung durch höhenverstellbare Arbeitstische sind vielfältig, beeinflus- sen sich teilweise gegenseitig und betreffen sowohl den Arbeitnehmer als auch den Arbeitgeber. Neben der Anpassung an die individuelle Körperhöhe des Menschen, ermöglichen viele höhenverstellbare Tische auch das wechselnde Arbeiten im Sitzen und im Stehen (Sitz-Steh-Arbeitsplatz). Abbildung 3 Ergonomie kann die Produktivität und die Produktqualität verbessern 10
Sitzzeiten reduzieren Die Einführung von Sitz-Steh-Arbeitsplätzen kann Sitzzeiten Viele aktuelle Studien zeigen, dass die tägliche Sitzdauer reduzieren und fördert Variationen der Haltung [32, 33]. einen Einfluss auf die Gesundheit hat. Darunter fallen Abbildung 4 zeigt Krankheitsbilder, die durch lange Sitzzei- muskuloskelettale Beschwerden, Herzkreislauferkrankungen ten begünstigt werden können. oder ein erhöhtes Risiko an Typ-2-Diabetes oder Krebs zu erkranken [29, 30]. Diesen Erkenntnissen hat man auch den Slogan „Sitzen ist das neue Rauchen“ zu verdanken, der mittlerweile als Buchtitel [31], für Gesundheitsratgeber oder als Werbeslogan für Gesundheitsprogramme von Krankenkassen genutzt wird. Abbildung 4 Lange Sitzzeiten können diverse Krankheitsbilder begünstigen (vgl. [31]) 11
3 ERGONOMISCHE POTENZIALE HÖHENVERSTELLBARER ARBEITSTISCHE Haltungsschäden vermeiden Kalorienverbrauch steigern Höhenverstellbare Arbeitstische sind in der Lage sich sowohl In Anbetracht des aktuellen Interesses an Fitness und im Sitzen als auch im Stehen an die individuelle Körperhöhe Gesundheit, wie sich aus Prognosen zur Verbreitung von des Arbeiters anpassen zu lassen, sodass ungünstige Körper- Fitness-Tracker oder Apps vermuten lässt [46, 47], mag es haltungen vermieden werden. Eine hierdurch eingenommene insbesondere für Mitarbeiter an Büroarbeitsplätzen interessant aufrechte Körperhaltung ist durch Ökonomie, sein, dass der Kalorienverbrauch beim Steharbeitsplatz höher Energieverbrauch und Effizienz gekennzeichnet [34]. ist als beim Sitzen [48–50]. Mehrere Studien konnten Obwohl es nach aktuellen Erkenntnissen nicht die eine aufzeigen, dass der Kalorienverbrauch im Vergleich zu einem optimale Sitzposition gibt [35], wird eine eingesunkene Sitzarbeitsplatz um 5-8 % gesteigert wird [48, 49]. Haltung mit einer erhöhten Flexion der Lendenwirbelsäule als Risikofaktor für Rückenschmerzen angesehen [36]. Durch einen Sitz-Steh-Arbeitsplatz können sowohl ungünstige, wie auch statische Haltungsmuster verringert werden [23, 33]. Abbildung 5 Höhenverstellbare Arbeitstische ermöglichen ein flexibles Arbeiten, angepasst an die individuelle Körperhöhe 12
Diskomfort vermeiden Eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung kann Muskelver- Eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, die einen Haltungs- spannungen im Nacken-, Schulter- und Rückenbereich redu- wechsel fördert (z.B. Sitz-Steh-Arbeitsplätze), senkt den zieren. In verschiedenen Studien konnte dies, sowohl bei Büro- muskulären Diskomfort. In mehreren Studien konnte dies arbeitsplätzen [42, 43], in der Schule [44] als auch in der sowohl für Büro-, als auch industrielle Arbeitsplätze gezeigt Produktion [45] nachgewiesen werden. werden [24, 26, 37–39]. Somit kann ein möglichst geringer muskulärer Diskomfort als relevanter Einflussfaktor für das Ermüdung vorbeugen subjektive Wohlbefinden der Mitarbeiter gewertet werden. Müdigkeit geht mit einer Senkung der Aufmerksamkeit und Sorgfältigkeit einher und stellt somit einen Risikofaktor für Fehler oder Unfälle dar [51, 52]. Aus Labor- und Feldstudien geht hervor, dass der Einsatz von höhenverstellbaren Tischen, mit deren Hilfe sowohl im Stehen als auch im Sitzen gearbeitet werden kann, dem Gefühl von Müdigkeit am Büroarbeitsplatz entgegenwirkt [20, 53]. Abbildung 6 Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung senkt den mus- kulären Diskomfort und fördert das subjektive Wohlbefinden Muskel(ver)spannungen reduzieren Eine ungünstige Arbeitstischhöhe kann sich negativ auf den Muskel-Skelett-Apparat auswirken. So wird zum Beispiel bei einem zu tief eingestellten Arbeitsplatz eine Vorneigung von Oberkörper und Nacken provoziert, wodurch sich die Abbildung 7 Im Gegensatz zu einem reinen Sitzarbeitsplatz fördert Muskelanspannung in diesen Bereichen erhöht [40]. Werden ein Sitz-Steharbeitstisch die Aktivität und wirkt dem Gefühl von Mü- solche Haltungen über einen längeren Zeitraum gehalten, digkeit entgegen kann es im Rücken-, Schulter- und Nackenbereich zu Verspan- nungen und Muskelverhärtungen kommen. Dies kann langfristig zu schwerwiegenden Muskel- Erkrankungen oder Spannungs-Kopfschmerzen führen [41]. 13
3 ERGONOMISCHE POTENZIALE HÖHENVERSTELLBARER ARBEITSTISCHE Mitarbeiterzufriedenheit steigern Die Zufriedenheit der Arbeitnehmer ist von großer Bedeutung, da sie die Motivation und die Leistung beeinflussen kann [54]. Dieser Effekt wurde in Zusammenhang mit der Einführung von höhenverstellbaren Arbeitstischen im Büro [55] und in der Produktion [56] nachgewiesen. In einem sehr deutlichen Beispiel aus der Produktion wurde durch eine ergonomische Optimierung des Arbeitsplatzes eine Steigerung der Zufriedenheit von 41% erreicht [56]. Attraktivität des Unternehmens hervorheben In einem zunehmenden Wettbewerb um qualifizierte Fachar- beitskräfte – dem sogenannten „War for Talent“ – ist die Attraktivität eines Unternehmens ein entscheidender Faktor zur Neugewinnung und Bindung von Mitarbeitern [57]. Nach der Meinung von Experten [58, 59] und Unternehmen [57], trägt eine professionelle betriebliche Gesundheits- förderung, wie zum Beispiel eine ergonomische Arbeitsplatz- gestaltung, dazu bei, die Attraktivität des Unternehmens zu Abbildung 8 Im Wettbewerb um qualifizierte Facharbeitskräfte steigern. kann die betriebliche Gesundheitsförderung ein entscheidender Faktor sein. 14
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4 ZUSAMMENFASSUNG In der Literatur finden sich zahlreiche Belege für die Je ganzheitlicher man die Risiken fehlender gesundheits- vielseitigen Benefits, die durch ergonomische Maßnahmen fördernder Maßnahmen berücksichtigt, desto schneller entstehen können. Häufig fällt es jedoch schwer diese machen sich Investitionen in diesem Bereich bezahlt. Kriterien in Kosten-Nutzen-Analysen einfließen zu lassen. Die Benefits einer betrieblichen Gesundheitsförderung und eines ergonomischen Arbeitsplatzes lassen sich zusammen- Auch wenn durch die Recherche keine vorgefertigten fassend auch in Vorteile von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Berechnungsmodelle zur Verfügung gestellt werden können, untergliedern (vgl.Tabelle 2). zeigt die Studienlage nicht unerwartet, dass gesunde Mitarbeiter zufriedener und effektiver sind. Im Sinne der Gesundheitsförderung der Mitarbeiter und zur Erleichterung der Argumentation ergonomischer Investitionen, soll diese Übersichtsarbeit dabei unterstützen, relevante Krite- rien für den Betrieb zu identifizieren, mit dem der Nutzen ergonomischer Investitionen aufgezeigt werden kann. Arbeitgeber Arbeitnehmer Sicherung der Leistungsfähigkeit aller Mitarbeiter Reduzierung der Arztbesuche Erhöhung der Motivation durch Stärkung der Identifikation Verbesserung der gesundheitlichen Bedingungen im mit dem Unternehmen Unternehmen Kostensenkung durch weniger Krankheits- und Verringerung von Belastungen Produktionsausfälle Steigerung der Produktivität und Qualität Verbesserung der Lebensqualität Imageaufwertung des Unternehmens Erhaltung / Zunahme der eigenen Leistungsfähigkeit Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und Verbesserung des Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Betriebsklimas Resilientere Mitarbeiter auch bei Mitgestaltung des Arbeitsplatzes und des Arbeitsablaufs auftragsschwankungsbedingten Mehrbelastungen Flexible Arbeitsplätze für unterschiedlich große Mitarbeiter Kalorienverbrauch Tabelle 2 Benefits betrieblicher Gesundheitsförderung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer 16
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5 LIMITATIONEN Auch wenn sich in der Literatur ein unstrittig positiver Effekt des Kosten-Nutzen-Verhältnisses darstellt, ist die verallgemeinernde Aussage aufgrund mangelnder Vergleich- barkeit vieler unterschiedlicher Studien und ihrer Designs limitiert. Zudem werden in Studien aus den USA auch immer Schadensersatzkosten in die Kosten-Nutzen-Berechnung miteinbezogen. Diese sind aufgrund unterschiedlicher Rechtssysteme nicht direkt auf europäische Länder übertragbar. Nicht immer wird in den Studien zwischen rein die Ergonomie betreffenden und weiteren Gesundheitsprogrammen getrennt. So kann nicht immer zwischen den Effekten von Maßnahmen differenziert werden, die rein auf die Entlastung des Bewe- gungsapparates abzielen und Maßnahmen, wie beispielsweise zur Prävention von Diabetes oder Krebserkrankungen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass ein Verzerrungseffekt in der Datenlage bestehen kann, infolge einer bevorzugten Veröffentlichung von Studien mit positiven bzw. signifikanten Ergebnissen („publication bias“). Das bedeutet, es werden tendenziell mehr Studien publiziert, die einen positiven Effekt einer Maßnahme nachweisen als Studien, die keinen Effekt nachweisen. 18
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IMPRESSUM Kontaktadresse: Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA Abt. Biomechatronische Systeme Nobelstr. 12 70569 Stuttgart www.ipa.fraunhofer.de Urban Daub Telefon: +49 711 970 – 3645 urban.daub@ipa.fraunhofer.de Autoren: Urban Daub, Alexander Ackermann, Verena Kopp Oktober 2019 DOI: 10.24406/ipa-n-559153 Lizenziert unter CC-BY-NC 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/deed.de Studie erstellt im Auftrag von Ergoswiss AG 24
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