Ethische Herausforderungen im Spital - was kann die Ethik hier beitragen? - Prof. Dr. Stella Reiter-Theil, Dipl.-Psych., Leitung, Abt. Klinische ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Ethische Herausforderungen im Spital – was kann die Ethik hier beitragen? Prof. Dr. Stella Reiter-Theil, Dipl.-Psych., Leitung, Abt. Klinische Ethik, Ethik-Beirat Email: Stella.Reiter-Theil@usb.ch
Gliederung • Ethik im Spital: unser Programm • Anfänge der Klinischen Ethik – Anekdotisches • Ethikkonsultation: Themen, Formen und Begleitforschung • Wo stehen wir heute? Meilensteine – international • Zwischen Realismus und Optimismus
Ethik im Spital: unser Programm Im heutigen Symposium folgen vielfältige • Stimmen aus der Patientenversorgung im USB und darüber hinaus zu ethischen Herausforderungen am Lebensanfang, am Lebensende, zu gesellschaftlichen Aspekten und Schnittstellen mit anderen Institutionen zum Erfahrungsaustausch über „ethische Unterstützung“
Ethik im Spital: unser Programm 1 Struktur: • Ethik-Beirat, 10 Mitglieder; Reglement: Geschäftsführung („mit ausgewiesener Qualifikation in Klinischer Ethik“; Personalunion mit Ethik-Beirat UPK) • Abteilung Klinische Ethik für USB & UPK Team mit Leitung (100%), wiss. Assistenzen (75%), weitere wiss. Mitarbeitende / Hospitation (160%)
Ethik im Spital: unser Programm 2 Der Ethik-Beirat (EB) • berät Gruppen und Einzelpersonen im Universitätsspital Basel (USB) in ethischen Fragen, – fördert und unterstützt im Rahmen der Ressourcenzuteilung die Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals des USB in Klinischer Ethik, – fördert und unterstützt im Rahmen der Ressourcenzuteilung die Forschung in Klinischer Ethik im USB, – nimmt im Auftrag der Spitalleitung oder auf Eigeninitiative Stellung zu allgemeinen ethischen Problemen und Fragestellungen. Dies kann auch das Erarbeiten von Reglementen, Stellungnahmen und Leitfäden einschliessen. Der EB ist beratend tätig. Er hat keine schlichtende oder ombudsähnliche Funktion. Der EB hat grundsätzlich weder ein Weisungs- noch ein Entscheidungsrecht, kann aber im Auftrag der Spitalleitung bestimmte Kontrollfunktionen ausüben.
Unbürokratische Anfrage, schnelle Reaktion • Anfragende erhalten während der Werktage i.d.R. am selben Tag Antwort und Beratungsangebot – ggf. schon innerhalb weniger Stunden. • Die Beratung erfolgt durch (hauptamtliche) Fachpersonen der Klinischen Ethik, – unterstützt durch Mitglieder des USB-Ethik-Beirats, aus Rechtsdienst, Seelsorge, Pflege und Behandlung
Anfänge der Klinischen Ethik Schritte nach vorn (1983: US President‘s Commission > HECs.) • 1997: dt. christl. Kh.verbände > Gründung von HEK • … Pionierphase • … Modellprojekte • 2006: BÄK „ermuntert“ zur Einrichtung solcher Angebote. • AEM richtet AG Klinische Ethikberatung ein.
Anfänge der Klinischen Ethik • Geschichte Enzyclopedia of Bioethics, 1995ff: Clinical Ethics / Consultation / Ethics Committees American Society of Bioethics and Humanities (ASBH), 1998, 2011 … Approaches: authoritarian pure consensus ethics facilitation
Anfänge der Klinischen Ethik 1. Beratung in/mit dem ganzen Komitee? 2. Beratung mit qualifiz. Einzelberater/in? Beratung mit kleinem Ethik-Team! • Integriert die Vorzüge von 1. und 2. Perspektivenvielfalt (1), Fachkompetenz, Beweglichkeit (2) • Reduziert die Nachteile: Tribunalisierung / Ängste, Schwerfälligkeit (1), Abhängigkeit, Einseitigkeit (2)
Anfänge der Klinischen Ethik Anekdotisches Zuschreibungen von aussen, denkwürdige, merkwürdige betrübte, dankbare …
Anekdotisches 1 Zitate Gelegenheit „Wir brauchen Ethiker, aber nur • Ein Leitender Arzt der für Fortbildung (wir sind selbst Intensivmedizin (Kongress sehr gut im Entscheiden).“ Innere Medizin) „Zuerst muss festgestellt • Ein zur Diskussion von EK werden, was legal ist, dann eingeladener Jurist (bei einem erübrigt sich die ganze Ethik …!“ Kolloquium)
Anekdotisches 2 Zitate Gelegenheit „Ich beneide jene, die solche • Eine junge Ärztin (in einem Hilfe erhalten; wir fühlen uns peripheren medizinischen hier ganz verloren.“ Zentrum) „... ohne EK* hätten wir nicht so • Die Familie einer postoperativ am Entscheidungsprozess für komatösen, betagten Patientin “Tante M.” mitwirken können.“ nach der EK * angefragt durch Mediziner in der Familie
Ethikkonsultation (EK), Ethikberatung bedeutet nicht: Sondern: 1. Anweisungen 1. Ergebnisoffene Beratung 2. Mehrheitsentscheidung 2. Echte Konsensbildung 3. Vereinfachung 3. Komplexität 4. Beliebigkeit 4. Explizite Werte & Normen 5. Einengung 5. Spielraum & Rahmen 6. Allein lassen 6. Unterstützung
Selbstverständnis Adressaten und Klientel • Behandelnde, aber nicht nur Ärztinnen und Ärzte auch Pflegende, therapeutische Berufe, Sozialdienst u.a. • sowie Patienten und Angehörige! Paradigmatische Themen und Beispiele • Herausforderungen, aber nicht nur Entscheidungen am Lebensende auch am Lebensanfang u.v.a.m und: Kontroversen, z.B. über den mutmasslichen Willen, die Stellvertretung
Themen der EK in Basel „The big five“ Analyse von n = 100 EK in Basel (USB + UPK) In mehr als 80% aller EK geht es um mind. 1 von 5 Themen: Ethische Fragen bezüglich … 1. Zwangsmassnahmen, (28%) 2. Behandlungsplanung (24%) 3. Evaluation der bisherigen Therapie (17%) 4. Lebensende 16%) 5. Lebensanfang (12%) Reiter-Theil, Schürmann (2016; 2018)
Themen der Ethikkonsultation TOP 3 USB – somatische Medizin (allein): Ethische Themen bezogen auf Lebensende (28%) Lebensanfang (22%) Zwangsmassnahmen (20%) TOP 3 UPK – Psychiatrie (allein): Ethische Themen bezogen auf Zwangsmassnahmen (34%) Versorgungsmanagement (20%) Evaluation d. Behandl.plans (20%)
Reiter-Theil, Schürmann (2016) Bioethica Forum 9(2): 12-22 Titel/Anlass/Autor TT.MM.JJJJ 19
Themen der EK im Lichte von Studien Es gibt kaum Studien an grösseren Fall-Stichproben der Ethikkonsultation (heterogen bzgl. Kategorisierung, Methodik der Auswertung, Befragung, Art der EK) USA: • Patient competence / capacity (82%); staff disagreement on care plan (76%); end of life issues (60%). Swetz et al (2008) • Level of (end-of-life) care (46%) / curative vs palliative (37%) / withhold or withdraw from life-sustaining therapy (18%); communication between patient / surrogate and team (22%); informed consent (17%). Tapper et al (2010) • Decision-making (93.6%); goals of care / treatment (81%); end of life (73%). Wasson et al (2015) Kanada (Fragebogen-Studie): • End of life (79%), patient autonomy (63%), conflicts between parties (38%). DuVal et al (2004)
Themen – Anlässe von Ethikkonsultation 1. Unsicherheit eth. Beurteilung 2. Ethischer Konflikt zwischen Verpflichtungen 3. Dissens im Team 4. Haltung oder Kooperation von Pat. / Angehörigen (Reiter-Theil 2000; 2005)
Wahrnehmung einer (nicht trivialen) ethischen Unsicherheit
Wahrnehmung eines Konflikts zwischen (gleichrangigen) Verpflichtungen
Wahrnehmung von anhaltender bzw. gravierender Uneinigkeit im Team über grundlegende Werte, Normen oder Ziele in der Patientenversorgung
Wahrnehmung von mangelnder (fehlender) Fähigkeit / Bereitschaft von Beteiligten (Pat. / Angehörigen) zur Einsicht oder Kooperation
Formen ethischer Unterstützung Reiter-Theil (2008) Ther Umschau, 65: 359-365
Vielfalt an Formen ethischer Unterstützung • Ansprechpersonen im Team aufbauen • Screening bzgl. ethischer Fragen, z.B. via Board / Visite • Interne ethische Fallbesprechung (ggf. regelmässig) • Ethikkonsultation (auch retrospektiv; ggf. als Serie) • Ethik-Weiterbildungsangebote, div. Veranstaltungen • Ethische Beratung mit Patienten / Angehörigen • Themenspezifische Arbeitsgruppen / Projekte, z.B. Ethik- Leitfäden für wiederkehrende Fragen oder Probleme • Interinstitutionelle Kooperation: gemeinsame Fallberatung, Fortbildung 27
METAP Implementierung von Stufen 1-3 (von 4) Tools download >>> www.klinischeethik-metap.ch
• Eine wichtige Möglichkeit, Rechenschaft abzulegen und Qualität zu entwickeln, ist die Begleitforschung zur Ethikberatung …
Was sollte man untersuchen?
Medizinische Master These Laura Winkler (2018-19) Parallelprojekt zur Psychiatrie: Anndea Jäger (in Vorbereitung)
Medizinische Doktorarbeit Mirella Muggli (2018-19)
Was sollte man untersuchen? Studie aus Calgary, CA: • Systematische Literaturübersicht mit Meta-Analyse zu Evaluationsstudien über EK (Au et al 2018, Crit Care Med) “Zufriedenheit der Nutzer, deren Erfahrungen, die Konfliktlösung oder Fähigkeit, eine klinische Entscheidung zu treffen (…), wurden als primäre Outcomes gewählt.” Ressourcen-Verbrauch (z.B. Verweildauer in Spital/ICU, Dauer mechanischer Beatmung, künstlicher Ernährung / Flüssigkeitszufuhr sowie Kosten) wurden nur als sekundäre Outcomes angesehen, da diese KEINE primären Zielgrössen der EK sind.
Drei Outcome Kriterien (EK in USB / UPK) • Haben die Teilnehmenden • 97.8 % am Ende der EK einen Konsens erzielt? • Wurden die Ergebnisse der • 90.7 % EK in die Praxis umgesetzt? • Fanden die Anfragenden / • 94.4 % / 98.8 % Teilnehmenden die EK / das Protokoll hilfreich? Reiter-Theil, Schürmann (2016) Bioethica Forum 9(2): 12-22
Drei Outcome Kriterien (EK in USB / UPK)
Spektrum des Aufwands / EK Maximum: Minimum: 1. Die grösste Versammlung 1. Die kleinste Versammlung von Teilnehmenden von Teilnehmenden – N = 25 (+ externe) – N = 2 (USB) 2. Die höchste Komplexität 2. Die geringste Komplexität (Zahl der beteiligten (Zahl der beteiligten Institutionen) Institutionen) – N = 5-7 (+ externe) – N = 2 (mit Ethik) 3. Die aufwändigste 3. Die einfachste Vernehmlassung zum Vernehmlassung zum Protokoll Protokoll – N ≥ 10 Emails / N ≥ 20 – N = 1 Email / N = 1 Kommentar Kommentare („OK“)
Wo stehen wir heute?
Bilanzierung aus US-Sicht (alle USA)
Bilanzierung aus US-Sicht Primäres Ziel Qualität der Patientenversorgung verbessern Beobachtete Fortschritte: Forschung, Aus- und Fortbildung, Ethikkomitees und Ethikkonsultation
Bilanzierung aus US-Sicht Verbleibende Herausforderungen: Integration der Klinischen Ethik in die Kultur der Qualitätssicherung: „Ethiker sollten Patienten sehen und die Botschaften weiterleiten.“ Aus- und Fortbildung Organisationsethik; zeigen, dass Klinische Ethik die Patientenversorgung verbessert „Ethische Institution“ (Ethik-Kultur) Und: Klinische Ethik ist noch (immer) v.a. ein Phänomen der (westlichen) hochindustrialisierten Länder. „Global bioethics“ stärken.
Meilensteine • 2012: Die SAMW empfiehlt medizinischen Institutionen die Etablierung von Strukturen ethischer Unterstützung. „Die Verantwortlichen unterstützen sie (die Ethikstrukturen) und stellen ihnen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung.“ www.samw.ch Stellen(prozente) Mitarbeitende Arbeitszeit Räume Aufmerksamkeit etc.
Meilensteine • Alle Universitätsspitäler der Schweiz haben klinische Ethik institutionalisiert, professionell und finanziell ausgestattet – in Basel seit 2012.
Preis für Klinische Ethik 2019 www.clinical-ethics.org
Meilensteine setzen, z.B. mittels ICCEC >>> www.clinical-ethics.org Themen 1. 2003 Summit Cleveland, Ohio, USA 2. 2005 Research / time for assessment and evaluation Basel, Switzerland 3. 2007 Ethics matters Toronto, Canada 4. 2008 Knowledge & skills. European perspectives Rijeka, Croatia 5. 2009 Ethics consultation in a diversified world Taipei, Taiwan 6. 2010 The art of clinical ethics Portland, Oregon, USA 7. 2011 Moving ethics Amsterdam, NL 8. 2012 Clinical bioethics in diversity São Paulo, Brazil 9. 2013 Bridging clinical medicine and ethics München, Germany 10. 2014 The voice of the patients Paris, France 11. 2015 Improving quality and professionalism of clinical ethics New York City, USA 12. 2016 Caring for the ethically complicated patient Washington D.C., USA 13. 2017 Clinical ethics and change in health care Singapore 14. 2018 Clinical Ethics in Translation Oxford, United Kingdom 15. 2019 It‘s the Organization! Vienna, Austria
International Conference Clinical Ethics & Consultation
Zwischen Realismus und Optimismus Herausforderungen: Grenzsituationen durch mehr Patienten, Angehörige – die in prekären Lebenssituationen leben und – Probleme haben zu kooperieren. Deutliche Konfliktfelder wie – Klinik zwischen Übertherapie und Unterversorgung – Selbstbestimmung versus Zwangsmassnahmen – Stellvertretung (durch Angehörige) Mehr Komplexität + – neue Herausforderungen, z.B. durch medizinische Innovation
Zwischen Realismus und Optimismus Entwicklung von Klinischer Ethik in Breite und Tiefe Ethische Basiskompetenz als selbstverständliche Komponente in allen Heilberufen Spezialkompetenz in geeigneten medizinischen (akademischen) Zentren zur Pflege von Forschung, Aus- und Fortbildung, Evaluation Zugang für alle Betroffenen Brückenschlag zwischen Klinik und Ethik, Praxis und Theorie
Mein Dank An die Behandlungsteams – USB; ebenso UPK; UKBB – Basel An unsere Administration/en – Ethik-freundliche Institution/en An mein Ethik-Team – Assistierende; Trainees / Praktikanten/innen – Junior Forscher/innen (Master-Studierende Medizin); PhD/MD-Studierende; Postdoc Forscher/innen; – Gastwissenschaftler/innen An den Ethik-Beirat
Sie können auch lesen