EU-Konditionalität gegenüber Mazedonien und der Ukraine
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
EUROPA-UNIVERSITÄT VIADRINA KULTURWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT Master of European Studies WS 2011/12, 17.01.2012 EU-Konditionalität gegenüber Mazedonien und der Ukraine Eine vergleichende Analyse am Beispiel der Visapolitik und der Binnenmarktintegration MASTERARBEIT vorgelegt von: Annegret Schneider Erstgutachterin: Dr. Anne Faber Zweitgutachter: Dr. Nicolai von Ondarza
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .............................................................................................................................. 1 1.1 Fragestellung .................................................................................................................... 1 1.2 Methodik und Fallauswahl ............................................................................................... 3 1.3 Thesen .............................................................................................................................. 4 1.4 Aufbau der Arbeit............................................................................................................. 5 2. Theoretische Grundlagen und Forschungsstand .............................................................. 6 2.1 Begriffsdefinition: Konditionalität................................................................................... 6 2.2 EU-Konditionalität als Instrument der externen Europäisierung..................................... 8 2.3 Konzeptionalisierung von EU-Konditionalität: Das external-incentives-Modell.......... 10 2.4 Überblick über empirische Arbeiten zur EU-Konditionalität ........................................ 11 2.5 Zur Vergleichbarkeit von Beitritts- und Nachbarschaftskonditionalität ........................ 15 2.5.1 Das Konditionalitätsprinzip in ENP und Erweiterungspolitik ................................ 15 2.5.2 Wissenschaftliche Perzeption der Vergleichbarkeit................................................ 20 2.5.3 Begründung der Vergleichbarkeit von ENP- und Beitrittskonditionalität .............. 22 3. Die Beziehungen der EU zu Mazedonien und zur Ukraine............................................ 25 3.1 Entwicklung der europäisch-mazedonischen Beziehungen ........................................... 25 3.2 Entwicklung der europäisch-ukrainischen Beziehungen ............................................... 27 3.3 Zwischenfazit: Die Beziehungen der EU zu den beiden Staaten ................................... 29 4. Politikfeld I: Konditionalität in der Visapolitik .............................................................. 29 4.1 Anreizstruktur in der Visapolitik.................................................................................... 30 4.1.1 Visapolitische Angebote an Mazedonien................................................................ 31 4.1.2 Visapolitische Angebote an die Ukraine................................................................. 33 4.1.3 Ergebnisse des Vergleiches der visapolitischen Anreize ........................................ 35 4.2 Bedingungen der EU auf dem Gebiet der Visapolitik.................................................... 37 4.2.1 Die Konditionen auf dem Weg zu Visaerleichterungen.......................................... 37 4.2.2 Konditionen für den visumfreien Reiseverkehr ...................................................... 40 4.2.3 Bedingungen der EU in der Visapolitik: Ergebnisse des Vergleichs...................... 43 4.3 EU-Konditionalität in der Visapolitik: Bewertung der Konsistenz ............................... 44 4.4 Zwischenfazit: Konditionalität in der Visapolitik.......................................................... 48 ii
5. Politikfeld II: Konditionalität in der Binnenmarktpolitik ............................................. 50 5.1 Anreizstruktur in der Binnenmarktintegration ............................................................... 51 5.1.1 Angebote zur Integration Mazedoniens in den Binnenmarkt.................................. 51 5.1.2 Angebote zur Binnenmarktintegration der Ukraine ................................................ 54 5.1.3 Anreize zur Binnenmarktintegration: Vergleich der Ergebnisse ............................ 58 5.2 Bedingungen der EU für die Binnenmarktintegration ................................................... 59 5.3 EU-Konditionalität in der Binnenmarktintegration: Bewertung der Konsistenz ........... 62 5.4 Zwischenfazit: Konditionalität in der Binnenmarktintegration ..................................... 64 6. Schlussbetrachtung und Ausblick..................................................................................... 66 Quellen- und Literaturverzeichnis ....................................................................................... 72 Sekundärliteratur .................................................................................................................. 72 Primärquellen ....................................................................................................................... 83 Eigenständigkeitserklärung................................................................................................... 92 iii
Verzeichnis der Abkürzungen ABl. EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ABl. EU Amtsblatt der Europäischen Union ACAA Agreements on Conformity Assessment and Acceptance of Industrial Products, Abkommen über Konformitätsbewertung und Anerkennung gewerblicher Produkte CARDS Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilisation, Gemeinschaftshilfe für Wiederaufbau, Entwicklung und Stabilisierung CEE Central and Eastern Europe, Mittel- und Osteuropa CEFTA Central European Free Trade Agreement, Mitteleuropäisches Freihandelsabkommen ENP Europäische Nachbarschaftspolitik EU Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWR Europäischer Wirtschaftsraum EUV Vertrag über die Europäische Union GATT General Agreement on Tariffs and Trade, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen GUS Gemeinschaft Unabhängiger Staaten ICTY International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, Internationaler Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien IPA Instrument for Pre-Accession Assistance, Instrument für Heranführungshilfe ISPA Instrument for Structural Policies for Pre-Accession, Strukturpolitisches Instrument zur Vorbereitung auf den Beitritt IWF Internationaler Währungsfonds JHA Justice and home affairs, Justiz und Inneres KOM Europäische Kommission NATO North Atlantic Treaty Organisation, Organisation des Nordatlantikpakts ÖP Östliche Partnerschaft PHARE Poland and Hungary Assistance for the Reconstructing of the Economy, Polen und Ungarn: Hilfe zur Restrukturierung der Wirtschaft PKA Partnerschafts- und Kooperationsabkommen SAA Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen iv
SAP Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess SEECP South-East European Cooperation Process, Kooperationsrat für Südosteuropa SFRJ Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien UdSSR Union der sozialistischen Sowjetrepubliken VIS Visa-Informationssystem WTO World Trade Organization, Welthandelsorganisation v
1. Einleitung Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) folgt in der inhaltlichen Ausgestaltung in weiten Teilen der Logik der Beitrittspolitik – mit einem entscheidenden Unterschied: Den Partnerländern wird keine Beitrittsperspektive eröffnet. Dennoch versucht die EU, gezielte Anreize mit der Forderung zu verknüpfen, Normen und Werte der EU zu übernehmen. Diese Strategie der Konditionalität hat sich im Falle der Erweiterungspolitik als sehr erfolgreich erwiesen, im Rahmen der ENP führt sie nicht zu den erhofften Ergebnissen und gilt bisweilen sogar als gescheitert. Dies wird in erster Linie durch die fehlende Beitrittsperspektive erklärt, wodurch eine Annäherung an die EU für die ENP-Staaten zu wenig attraktiv sei. In dieser Arbeit wird die Anwendung des Konditionalitätsprinzips gegenüber einem ENP-Staat und einem Beitrittskandidaten untersucht. Ziel ist es, durch den systematischen Vergleich der Anreize, der Bedingungen und der Umsetzung Unterschiede in der Konditionalitätsstrategie aufzudecken, die über die Frage der Beitrittsperspektive hinausgehen. Diese Fallstudie kann keine allgemeingültigen Aussagen über die Konditionalitätsstrategie in der ENP und in der Erweiterungspolitik machen. Sie kann und soll jedoch einen Beitrag leisten, EU- Konditionalität aus einer vergleichenden Perspektive neu zu bewerten und aus dieser Bewertung Handlungsempfehlungen abzuleiten. 1.1 Fragestellung Den ENP-Staaten bietet die EU anstatt der Vollmitgliedschaft langfristig die Integration in den Binnenmarkt und die Teilnahme an diversen Politiken der EU, wobei ihnen die politische Mitbestimmung und -gestaltung verwehrt bleiben. Der Forderungskatalog zur Erreichung dieses Maximalziels ist aber ähnlich umfassend wie die Kopenhagener Kriterien für einen Beitritt. Die dementsprechend hohen Kosten scheinen den Nutzen aus der Partnerschaft nicht aufzuwiegen. Misst man den Erfolg der ENP an der Erweiterungspolitik, sind die Ergebnisse dürftig. Die ‚europäischen Werte’ Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit werden, wenn überhaupt, nur halbherzig oder sehr langsam umgesetzt. Der EU ist es kaum gelungen, auf regionale Konflikte (z.B. im Nahostkonflikt, im Südkaukasus oder Transnistrien) stabilisierend oder gar klärend einzuwirken. Auch die Übernahme von Normen aus dem acquis communautaire erfolgt zögerlich, mit sektorspezifischen Unterschieden. Dennoch gibt es erkennbare Fortschritte, vor allem in den europäischen Staaten der ENP (mit Ausnahme von Belarus). So verhandelt beispielsweise die Ukraine, der ‚best performer‘ der ENP, gegenwärtig über ein vertieftes Freihandels- und Assoziierungsabkommen, 1
Visumfreiheit wurde in Aussicht gestellt. Doch obwohl die Ukraine nachdrücklich auf eine Beitrittsperspektive drängt und laut EU-Vertrag auch ein Antragsrecht hat, wird ihr diese Option nicht offiziell eingeräumt. Demgegenüber gilt die Erweiterungspolitik beinahe uneingeschränkt als Erfolgsgeschichte. Die strikte Konditionalität, also die Verknüpfung von Anreizen und Forderungen, hat die Entwicklung der Kandidatenländer beflügelt. Auf diese Weise haben die postsozialistischen Staaten Mittelosteuropas eine eindrucksvolle Transformationsleistung vollbracht. Für die südosteuropäischen Staaten, die unter die Kategorie „Westbalkan“1 gefasst werden, muss diese Dynamik jedoch mit Einschränkung betrachtet werden. Am Beispiel der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (im Folgenden Mazedonien) zeigt sich, dass der Anreiz des Beitritts an Glaubwürdigkeit verloren hat. Bereits seit 2005 genießt das Land offiziellen Kandidatenstatus, ohne dass formelle Beitrittsverhandlungen begonnen wurden, geschweige denn ein ‚Fahrplan’ für den Weg zum Beitritt entwickelt wurde. Dennoch wurden die Beziehungen zur EU vertieft, zuletzt durch die Befreiung der Visumpflicht am 19.12.2009. Ein Vergleich von Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik ist schon deshalb aussichtsreich, weil kurz- und mittelfristig ganz ähnliche Anreize in Aussicht gestellt werden, z.B. die zunehmende Integration in den Binnenmarkt, Visaerleichterungen oder die Teilnahme an EU-Programmen. Anhand dieser gleichen „Integrationsschritte“ in bestimmten Politikbereichen lässt sich untersuchen, wie sich ENP und Erweiterungspolitik in ihrer strategischen Umsetzung unterscheiden. Auf diese Weise können Faktoren aufgezeigt werden, die den Erfolg der Konditionalität befördern oder hemmen. Im Zuge der vorliegenden Arbeit soll aufgezeigt werden, wie die Nachbarschaftskonditionalität im Vergleich zur Beitrittskonditionalität tatsächlich angewandt wird. Folglich wird als abhängige Variable die Umsetzung des Konditionalitätsprinzips definiert. Es wird erwartet, dass die Frage der Beitrittsperspektive nicht der einzige bedeutende Unterschied ist. Die Frage zielt nicht allein auf die strategische Konzipierung von ENP und Erweiterungspolitik. Sie bleibt auch nicht auf die outcomes, die Ergebnisse der beiden Politiken begrenzt. Vielmehr geht es darum, die Konditionalitätsstrategie der EU als Prozess zu begreifen, diesen Prozess detailliert zu analysieren und ihn für die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik zu vergleichen. Es soll der Nachweis geführt werden, dass sich 1 „Westbalkan“ ist eine Sammelbezeichnung für Albanien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Kroatien, Kosovo und Montenegro. Der Kunstbegriff wurde von der EU geprägt (Europäischer Rat 1997) und hat sich mittlerweile auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung durchgesetzt. 2
Beitritts- und Nachbarschaftskonditionalität in zentralen Merkmalen unterscheiden, die nicht genuin mit der Frage der Beitrittsperspektive in Zusammenhang stehen. Natürlich ist eine umfassende Analyse, die generalisierende Aussagen zulässt, kaum umzusetzen. Stattdessen beschränkt sich diese Arbeit auf eine vergleichende Fallstudie. Als Untersuchungsgegenstand werden ein europäisches ENP-Land und ein Beitrittskandidat ausgewählt: die Ukraine und Mazedonien. Die Fragestellung muss zum Zwecke der Untersuchung spezifiziert werden: Wie wendet die EU das Konditionalitätsprinzip gegenüber Mazedonien (als Beitrittskandidat) und gegenüber der Ukraine (als ENP-Staat) an? Um aussagekräftige und vergleichbare Ergebnisse zu erzielen, ist eine weitere Einschränkung nötig. Deshalb werden, um die EU-Konditionalität fassbar zu machen, zwei konkrete Politikbereiche ausgewählt. 1.2 Methodik und Fallauswahl Die Wahl fällt auf zwei Politikfelder, die zugleich die wichtigsten mittelfristigen Anreize der EU sowohl gegenüber den Beitrittskandidaten als auch gegenüber den ENP-Staaten sind: die Integration in den Binnenmarkt und die Visapolitik (Solonenko 2010: 7). Der Binnenmarkt gilt als wichtigstes und am stärksten vergemeinschaftetes Politikfeld, ein Großteil des acquis communautaire und damit auch der Beitrittsverhandlungen bezieht sich auf den gemeinsamen Markt. Die Visapolitik ist interessant, weil sie einerseits als Teil der Innenpolitik inhärent wertegeleitet ist. Andererseits verfolgt die EU mit der Verknüpfung von Visa-, Migrations- und Grenzschutzfragen sehr starke Eigeninteressen (Knelangen 2007a, b). Das könnte dazu führen, dass die EU zugunsten eigener Ziele von einer konsistenten Konditionalitätspolitik abweicht. Die Zusammenarbeit in beiden Politikfeldern soll exemplarisch an zwei Staaten untersucht werden. Diese geringe Fallzahl ermöglicht es, das Konditionalitätsprinzip in Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik sehr eingehend für beide Politikfelder zu untersuchen. Eine large-n-Studie mit einer größeren Fallzahl erlaubt zwar in der Regel weiterreichende Schlussfolgerungen und eine größere Generalisierung der Ergebnisse. Allerdings könnten lediglich weniger komplexe, vereinfachte Einflussfaktoren einbezogen werden. Die Untersuchung komplexer Prozesse wäre nur mit sehr großem Aufwand möglich. Im Rahmen einer Einzelfallstudie wiederum müsste auf die vergleichende Komponente verzichtet werden. Einzig die detaillierte, vergleichende Untersuchung der beiden Fälle lässt es zu, den prozesshaften Charakter der Konditionalitätsstrategie zu berücksichtigen. (Rohlfing 2009: 149). 3
Es ist nicht Ziel der Arbeit, kausale Zusammenhänge über Erfolg oder Scheitern des Konditionalitätsprinzips aufzuzeigen. Das wäre im Rahmen einer small-n-Analyse mit zwei Fällen kaum möglich. Vielmehr sollen durch den empirischen Vergleich Unterschiede herausgearbeitet werden, wovon Impulse für die weitere Forschung zu erwarten sind. Für diese Zielstellung sind vergleichende Fallstudiendesigns besonders geeignet (Blatter et al. 2007: 126f.). Nach dem Prinzip des most-similiar-systems-design wurde je ein Zielland der Erweiterungspolitik und der Nachbarschaftspolitik ausgewählt, die sich abgesehen von den zu untersuchenden Variablen möglichst ähnlich sind. Als Beitrittskandidat fiel die Wahl auf Mazedonien. Als Beispiel für die ENP-Länder wird die Ukraine näher betrachtet. Die beiden postsozialistischen Staaten erklärten im Zuge des Zerfalls der UdSSR und Jugoslawiens ihre Unabhängigkeit und schafften einen weitgehend friedlichen Regimewechsel (im Gegensatz zu anderen Staaten des Westbalkans oder etwa des Kaukasus). Wie der damalige Erweiterungskommissar Olli Rehn feststellt, ist Mazedonien „the only functioning multi- ethnic state in the Balkans“ (Rehn 2006: 68). Auch die Staatlichkeit der Ukraine seit der Unabhängigkeit kann als weitgehend solide betrachtet werden. Beide Länder gelten heute als die stabilsten und am weitesten entwickelten Staaten ihrer Gruppe. Sichtbar wird dies etwa, wenn man die Platzierung der beiden Staaten im Bertelsmann Transformation Index vergleicht. Bezogen auf den politischen Index erreichen beide Länder seit 2003 die höchsten Werte ihrer Gruppe (Bertelsmann-Stiftung 2003, 2006, 2008, 2010). Außerdem sind eine enge Zusammenarbeit mit der EU und sogar der Beitritt zur Union erklärte außenpolitische Ziele der Regierungen beider Staaten. Da beide eindeutig europäische Staaten sind, besteht auch für die Ukraine zumindest die hypothetische Möglichkeit einer künftigen EU- Mitgliedschaft. Damit unterscheiden sich die Ukraine und die übrigen Staaten der Östlichen Partnerschaft (ÖP) elementar von den nordafrikanischen Staaten, die ebenfalls unter dem Dach der ENP gefasst sind. Warum Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik in Bezug auf die Konditionalitätsstrategie überhaupt vergleichbar sind, soll in einem gesonderten Kapitel (2.5) ausführlicher diskutiert werden. 1.3 Thesen Um die leitende Fragestellung, wie die EU das Konditionalitätsprinzip gegenüber Mazedonien als Beitrittskandidat und gegenüber der Ukraine als ENP-Staat anwendet, zu beantworten, werden drei Thesen aufgestellt und getestet. Die theoretische Basis bietet das external-incentives-Modell (Schimmelfennig/Sedelmeier 2004, Schimmelfennig/Schwellnus 4
2006). Es besagt, dass Konditionalität umso erfolgreicher ist, je größer und glaubwürdiger die Anreize sind, je konsistenter die Konditionalität angewandt wird und je bestimmter die Bedingungen formuliert sind. Zwar soll in der folgenden Fallanalyse nicht der jeweilige Erfolg der Konditionalität bewertet werden. Dennoch eignet sich das Modell, um Kriterien zu definieren, anhand derer ein Vergleich vorgenommen werden kann. Dem external-incentives-Modell entsprechend werden drei unabhängige Variablen in Betracht gezogen: Die Realisierung der Konditionalitätsstrategie soll verglichen werden nach (1) der Größe und der Glaubwürdigkeit des Anreizes, (2) der Bestimmtheit der formulierten Bedingungen und (3) der konsistenten oder nicht konsistenten Anwendung des Konditionalitätsprinzips. Erstens wird davon ausgegangen, dass der Ukraine im Vergleich zu Mazedonien geringere und weniger glaubwürdige Anreize in Aussicht gestellt werden. Die Bedingungen, um diese Anreize zu erhalten, sind zweitens weniger bestimmt formuliert. An dritter Stelle steht die Annahme, dass das Konditionalitätsprinzip gegenüber der Ukraine weniger konsistent angewandt wird. Mit anderen Worten: Die Beitrittskonditionalität gegenüber Mazedonien verknüpft eindeutigere Forderungen mit größeren und glaubwürdigeren Anreizen, die konsistenter angewandt werden als in den Beziehungen zur Ukraine im Rahmen der ENP. Anhand dieser drei Thesen wird die Konditionalität in Visa- und Binnenmarktpolitik gegenüber der Ukraine und Mazedonien verglichen. Sie sind möglichst konkret gefasst, damit sie im Rahmen der Untersuchung abschließend behandelt werden können. Damit erfüllen sie die Funktion, ein theorie- und thesengeleitetes Vorgehen sicherzustellen. Sie sind darüber hinaus aber auch das Mittel, den Nachweis für eine übergeordnete These zu führen. Diese übergeordnete These greift die Frage nach dem Vergleich von Beitritts- und Nachbarschaftskonditionalität im Allgemeinen auf. Durch die vergleichende Fallstudie soll gezeigt werden, dass sich die Konditionalität in der Nachbarschaftspolitik von der Beitrittskonditionalität unterscheidet und dass diese Verschiedenheit nicht allein in der Frage der Beitrittsperspektive liegt. 1.4 Aufbau der Arbeit Zur Beantwortung der Forschungsfrage soll folgendermaßen vorgegangen werden: Nachdem die Fragestellung hinreichend eingegrenzt und die Thesen erläutert wurden, wird im folgenden Kapitel (2.) der Stand der Forschung erarbeitet. Der recht umfassenden Literatur über die Beitrittskonditionalität werden jene Arbeiten zur Konditionalität in der ENP gegenübergestellt. Dabei wird die Forschungslücke deutlich: der direkte Vergleich des 5
Konditionalitätsprinzips in Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik. An dieser Stelle wird eingehend erörtert, warum ein solcher Vergleich möglich und sinnvoll ist. Hierfür wird die Stellung des Konditionalitätsprinzips in ENP und Erweiterungspolitik diskutiert. Außerdem wird die relevante Sekundärliteratur auf die Frage der Vergleichbarkeit hin überprüft. Bevor mit der empirischen Analyse der beiden Politikfelder wird eine kurze Beschreibung der Beziehungen vorangestellt, die die EU zu Mazedonien und zur Ukraine unterhält (3.).Die Kapitel 4 und 5 beinhalten den Kern der Arbeit. In den beiden ausgewählten Politikfeldern Visapolitik (4.) und Binnenmarkt (5.) werden die drei Thesen getestet. Die jeweilige Anreizstruktur, die Konditionen und die Konsistenz der Anwendung für Mazedonien und die Ukraine werden nacheinander untersucht und miteinander verglichen. Wichtigste Grundlage sind die allgemeinen Strategiepapiere der EU, die vereinbarten Aktionspläne (zwischen der EU auf der einen und Mazedonien bzw. der Ukraine auf der anderen Seite) und die monitoring-Berichte der Kommission. Ein Fazit (6.) fasst die auf diese Weise gewonnen Erkenntnisse zusammen, beantwortet die leitende Fragestellung und gibt einen knappen Ausblick. 2. Theoretische Grundlagen und Forschungsstand Es folgt nun ein Überblick über den Stand der Forschung. Dabei wird erarbeitet, welche theoretischen und empirischen Arbeiten zur Beitritts- bzw. Nachbarschaftskonditionalität bereits vorliegen. Besonders die theoretischen Ansätze werden aufgegriffen, um die später folgende empirische Analyse einzubetten. Am Anfang steht aber zunächst eine Einordnung des Begriffes „Konditionalität“. 2.1 Begriffsdefinition: Konditionalität Im allgemeinen Sprachgebrauch meint Konditionalität, dass eine versprochene oder tatsächliche Leistung verknüpft ist mit einer geforderten Gegenleistung. Bestimmte Konditionen müssen notwendigerweise erfüllt werden, um eine Belohnung zu erhalten. Im politischen Kontext stammt das Konditionalitätsprinzip ursprünglich aus der Entwicklungszusammenarbeit (und ist dem privaten Kreditwesen entlehnt). Sowohl nationale Regierungen als auch internationale Finanzinstitutionen knüpfen die Zahlung von Entwicklungsgeldern oder auch Schuldenerlasse an wirtschaftliche und zunehmend auch politische Bedingungen (vgl. Dreher 2009, Montinola 2010, Weltbank 2005). In diesem traditionellen Sinn kann folgende Definition angeführt werden: „Conditionality is the practice of giving financial assistance contingent on the implementation of specific policies“ (Dreher 6
2009: 233). Der Anreiz (finanzielle Zuwendungen) wird verknüpft mit Reformversprechen (meist im wirtschaftspolitischen Bereich) der Empfängerstaaten. Problematisch ist die zeitliche Abfolge, denn die Auszahlung der Gelder erfolgt als Vorleistung für vertraglich vereinbarte Reformpläne (Grabbe 1999: 4, Mosley 1987).2 Seit den 90er Jahren wenden auch internationale Organisationen wie die WTO oder die NATO das Konditionalitätsprinzip an, etwa wenn es um den Beitritt weiterer Staaten geht (Kelley 2004: 454). Auf die EU trifft diese Entwicklung in besonderem Maße zu. Entsprechend muss eine allgemeingültige Definition breiter gefasst sein. Eine solche bietet Checkel (2000: 1), wenn er Konditionalität als „the use of incentives to alter a state’s behavior or policies as a basic strategy through which international institutions promote compliance by national governments“ beschreibt. Die EU hat das Konditionalitätsprinzip zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Beziehungen zu Drittstaaten gemacht. Sie geht in Anwendungsbereich und Zielstellung der Konditionalität weit über die anderer internationaler Organisationen hinaus. Eine EU-spezifische Definition könnte lauten: „Die politische Konditionalität der EU besteht darin, dass sie den Zielstaaten Belohnungen anbietet, die sie im Gegenzug zur Erfüllung politischer Bedingungen gewährt“ (Schimmelfennig/Schwellnus 2006: 273). Konditionalität als Mittel der Außenpolitik hat sich damit gewandelt. Die Konditionalität der ersten Generation hatte vor allem zum Ziel, neoliberal geprägte wirtschaftliche Reformen in Entwicklungsländern anzuregen (Hughes et al. 2004: 15). Seit Beginn der 90er Jahre wurden die Absichten erweitert, mit der Konditionalitätspolitik der zweiten Generation sollten zunehmend ein Werteexport und demokratische Reformen erreicht werden. Es ging nicht mehr vorrangig um finanzielle Zuwendungen sondern um eine engere Zusammenarbeit, z.B. in internationalen Organisationen. Die EU hat das Konditionalitätsprinzip entscheidend ausgedehnt und zum Grundprinzip ihrer Erweiterungspolitik erklärt. Entsprechend wurde vor allem die europäische Dimension von Konditionalität von der politikwissenschaftlichen Forschung aufgegriffen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen im Folgenden herausgearbeitet werden. 2 Der Erfolg traditioneller Konditionalität wird allgemein als gering betrachtet. Deshalb setzen internationale Finanzinstitute seit den 90er Jahren zunehmend auf ergänzende Strategien, z.B. stärkere Eigenverantwortung der Empfängerstaaten (ownership, Weltbank 2005:8). 7
2.2 EU-Konditionalität als Instrument der externen Europäisierung Eine theoretische Einordnung findet die EU-Konditionalität als Form der externen governance bzw. als Strategie der externen Europäisierung. Europäisierung wird als Begriff in der Integrationsforschung inflationär verwendet, bleibt aber oft unscharf in seiner Kontur. Den Gegenstand der Europäisierungsforschung bildeten zunächst Prozesse innerhalb der EU, nämlich die Auswirkungen der europäischen Integration auf politics, policies und polity der Mitgliedstaaten (Fedorová 2011: 20)3. Veränderungen in den Mitgliedstaaten werden mithilfe zweier konkurrierender Ansätze erklärt. Dem rationalen Institutionalismus entsprechend findet ein Wandel nationaler Politik statt, weil die EU durch neu geschaffene Regeln einen Anpassungsdruck auf die Mitgliedstaaten ausübt. Der Druck ist umso größer, je „weniger kompatibel die nationale Politik mit den europäischen Vorgaben ist, je größer also der ‚misfit’“ ist (Auel 2005: 304). Alternativ dazu beziehen sich Theorien des soziologischen (oder konstruktivistischen) Institutionalismus auf horizontale Mechanismen. Hier basiert „die Politikformulierung nicht auf der hierarchischen Rechtsetzung der EU, sondern auf ‚soft framing mechanisms’ […], d.h. auf Diskursen und Prozessen der Diffusion von Ideen, auf Lern- und Sozialisationsprozessen“ (Auel 2005: 307). Die Erforschung von Europäisierungsprozessen blieb jedoch nicht auf die EU-interne Politik beschränkt. Seit Beginn der 90er Jahre hat sich die EU zunehmend als außenpolitische Akteurin, vor allem auf dem europäischen Kontinent, etabliert. Um den Einfluss der EU auf andere Staaten, namentlich auf die Beitrittskandidaten Mittel- und Osteuropas, wissenschaftlich fassen zu können, wurde das Konzept der Europäisierung aufgegriffen und um eine externe Komponente erweitert (Sedelmeier 2006: 4). Externe Europäisierung beschreibt dabei einen „increasingly demanding, externally driven, and coercive process of domestic and regional change brought about by the EU“ (Anastasakis 2005: 77). Auch um Wege der externen Europäisierung zu erklären, werden Ansätze des rationalen jenen des soziologischen Institutionalismus gegenüber gestellt (Sedelmeier 2006: 10). Um ihre Ziele in Drittstaaten durchzusetzen, nutzt die EU einerseits ihre hegemoniale Stellung und übt Druck auf diese Staaten aus.4 Sie setzt das Mittel der Konditionalität ein, um die Partnerstaaten zur Übernahme von Werten und Normen zu bewegen. Aus Sicht der 3 Für einen Überblick über Definitionen, theoretische Ansätze und Perspektiven vgl. Auel 2005, Radaelli 2000, Börzel/Risse 2000, Olsen 2002. 4 Die EU als internationale Akteurin verzichtet zwar in ihrem Selbstverständnis als normative Macht auf offene Zwangsmaßnahmen, z.B. militärischer Art. Vor allem in ihrem näheren Einflussbereich, nämlich gegenüber Beitrittskandidaten und Nachbarstaaten, verfolgt sie verstärkt eine machtbasierte, hegemoniale Politik (Hyde- Price 2008: 31, Haukkala 2007, zum Konzept der normative power vgl. Manners 2008). 8
Drittstaaten werden im Sinne des rationalen Paradigmas die Kosten gegen die Nutzen abgewogen. Diesen Weg des Regeltransfers beschreibt das external-incentives-Modell (Schimmelfennig/Sedelmeier 2004, genauere Ausführungen folgen im nächsten Kapitel). Andererseits finden normengeleitete Sozialisierungsprozesse statt, die mit Ansätzen des soziologischen Institutionalismus zu erklären sind. Infolge von sozialen Lernprozessen (social learning) übernehmen Drittstaaten die Werte und Normen der EU aus Überzeugung, nicht aus strategischem Kalkül. Eine Zwischenform zwischen dem external-incentives-Modell und dem des social learning bildet der Mechanismus des lesson-drawing. Demnach greifen Drittstaaten auch dann EU-Regeln auf, wenn ohnehin ein Regelungsbedarf besteht und die EU für diesen Fall ein geeignetes Lösungskonzept bereithält (ebd.). Der lesson-drawing- Ansatz beschreibt also gewissermaßen einen rationalen Lernprozess. Social learning und lesson drawing sind für die EU nur schwer oder gar nicht zu steuern und hängen stark von internen Faktoren des jeweiligen Landes ab. Es können allenfalls günstige Bedingungen wie geeignete Kommunikations- und Kooperationsstrukturen geschaffen werden. Empirisch sind diese Formen der Einflussnahme auf Drittstaaten schwer zu fassen. Sozialisierungsprozesse sind langfristig angelegt, die Auswirkungen sind nach einem relativ kurzen Zeitraum schwer nachweisbar. Im Gegensatz zum social learning nimmt die EU bei der Anwendung von Konditionalität (wie im Rahmen des external-incentives- Modells beschrieben) eine aktive, gestaltende Rolle ein. Die asymmetrischen Verhandlungsbeziehungen und die zum größten Teil top-down-orientierten Interaktionen werden außerdem gut widergespiegelt. Die vorliegende Arbeit nimmt das politische Konzept der EU gegenüber Beitritts- und Nachbarstaaten in den Blick. In der Erweiterungspolitik ist das Instrument der Konditionalität vorherrschend, es hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Die Nachbarschaftspolitik greift diese Strategie erneut auf. Social learning und lesson-drawing mögen für beide Politiken ebenfalls relevant sein. Sie werden aber in der folgenden Untersuchung nicht weiter berücksichtigt, da sie nicht im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen, das sich explizit auf die Anwendung der EU-Konditionalität konzentriert. Im Folgenden wird deshalb lediglich auf das external-incentives-Modell eingehend Bezug genommen und so der Untersuchungsrahmen abgesteckt. 9
2.3 Konzeptionalisierung von EU-Konditionalität: Das external- incentives-Modell Das external-incentives-Modell (Schimmelfennig/Sedelmeier 2004, Schimmelfennig/ Schwellnus 2006, Sasse 2008: 300) leistet einen wichtigen Beitrag zur Konzeptualisierung der Beitrittskonditionalität. Als ein Instrument der Erweiterungspolitik soll Konditionalität den Regeltransfer in das nationale politische System der Beitrittsaspiranten bewirken. Der Export von Werten und Normen ist demnach umso erfolgreicher, a. je größere Anreize in Aussicht gestellt werden und je glaubwürdiger diese erscheinen, b. je konsistenter das Konditionalitätsprinzip angewandt wird, c. je bestimmter die Bedingungen formuliert werden und letztendlich d. je niedriger die Kosten der Regelübernahme erscheinen und je weniger Veto-Spieler vorhanden sind. Was die Anreizstruktur (a.) betrifft, ist die Frage der Beitrittsoption entscheidend. Wenn diese grundsätzlich gegeben ist, muss bewertet werden, mit welcher Glaubwürdigkeit und mit welcher zeitlichen Perspektive der Beitritt eingeräumt wird. Außerdem kann es für die Beitrittskandidaten Anreize geben, die eher ein Nebeneffekt als gezielte Maßnahme der EU sind. Dazu zählen vor allem ökonomische Faktoren wie höhere ausländische Direktinvestitionen oder günstigere Kreditkonditionen im Zuge des Beitrittsverfahrens (Bronk 2002). Konditionalität wird dann konsistent angewandt (b.), wenn nach Erfüllung der Bedingungen, und nur dann, umgehend und zuverlässig die versprochenen Anreize gewährt werden. Zu unterscheiden ist positive und negative Konditionalität. Erstere wirkt über die Gewährung oder Verweigerung von versprochenen Vorteilen. Bei letzterer kommen Sanktionen zum Einsatz, wenn die Bedingungen nicht erfüllt werden. Bei EU-Konditionalität handelt es sich vorrangig um positive Konditionalität: „It uses ‚carrots’ rather than ‚sticks’ – rewards rather than punishment or assistance“ (Schimmelfennig 2009: 12). Außerdem ist es maßgeblich, ob die Anreize ex ante im Gegenzug für versprochene Reformen gewährt werden (wie in der Entwicklungszusammenarbeit üblich) oder ob die Zielländer in Vorleistung gehen müssen, um ex post die versprochenen Anreize zu erhalten. Letztere Strategie wird von der EU favorisiert. In Bezug auf die Bedingungen (c.) unterscheiden Schimmelfennig und Sedelmeier (2004) zwischen demokratischer und acquis-Konditionalität. Erstere zielt auf die allgemeinen Werte der EU ab, wie sie in den Verträgen aufgeführt werden: 10
„[…] Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören“ (Art 2 I EUV). Die acquis- oder technische Konditionalität meint die für einen Beitritt zur EU nötige Übernahme des gemeinsamen Besitzstands, also aller Rechtsnormen, die in den Verträgen, Verordnungen, Richtlinien und anderen Rechtsakten der EU niedergelegt sind. Grabbe (1999) stellt fest, dass weder die demokratischen noch die acquis-Bedingungen eindeutig und determiniert sind. Stattdessen sind sie offen für Interpretationen und geben der EU die Möglichkeit, die ‚Spielregeln’ zu verändern. Diese können in verschiedenen Beitrittsrunden und gegenüber unterschiedlichen Beitrittskandidaten durchaus variieren. Aus den Kriterien (a.-c.) ergibt sich schließlich eine Kosten-Nutzen-Kalkulation (d.). Ein Beitrittskandidat wird die Konditionen der EU nur dann erfüllen, wenn er die Kosten geringer einschätzt als den Nutzen. Dieser Aspekt ist weniger EU-zentrisch, sondern greift die Innenperspektive des Ziellandes auf. Der rational-bargaining-Ansatz des external-incentives-Modells ist insofern interessant, da er mehrere, voneinander unterscheidbare Kriterien definiert, nach denen die Konditionalität einer Politik (bzw. ihr Erfolg) analysiert werden kann. Anhand dieser Kriterien ist sowohl ein Vergleich der EU-Außenbeziehungen zu verschiedenen Drittstaaten als auch ein zeitlicher Vergleich möglich. Außerdem bleibt das Modell nicht auf die Erweiterungspolitik beschränkt, sondern ist auch auf die ENP-Konditionalität anwendbar. 2.4 Überblick über empirische Arbeiten zur EU-Konditionalität Empirische Arbeiten, die sich auf die Beitrittskonditionalität konzentrieren, sind breit gefächert. Sie können danach unterschieden werden, ob sie die Auswirkungen der Konditionalität betrachten (impact), oder die Anwendung des Konditionalitätsprinzips selbst (application) als Untersuchungsgegenstand wählen. Im ersten Fall fungiert die Konditionalität als unabhängige Variable (neben anderen), deren Ausprägung den Erfolg des Politiktransfers erklärt. Dabei wird der Regeltransfer in ausgewählten Politikfeldern thematisiert, zum Beispiel in der Innen- und Justizpolitik. In der Visapolitik (Trauner 2007) ist erkennbar, wie Konditionalität auf verschiedenen Ebenen der Politikgestaltung (macro-level vs. project-level conditionality) differieren kann (vgl. auch Feijen 2007). Sehr vereinzelt wird der Erfolg des Regeltransfers in verschiedenen Politikfeldern verglichen. Genannt sei hier eine Studie über die Slowakei, die die Europäisierung der Gesundheits- Regional- und Agrarpolitik vergleicht (Fedorová 2011). Am weitesten verbreitet sind Betrachtungen über Konditionalität als Mittel 11
der Demokratisierung in den Kandidatenländern (für Ostmitteleuropa: Schimmelfennig/Schwellnus 2006, Hughes et al. 2004, Vachudová 2001; für Rumänien und Bulgarien: Spendzharova 2003; für Rumänien: Pridham 2006; für die baltischen Staaten: Gelazis 2000). Hervorzuheben ist die vergleichende Arbeit von Kneuer (2007), die die Demokratisierungsstrategien gegenüber Spanien und der Slowakei gegenüberstellt. Diese ergebnisbezogenen Arbeiten nehmen sehr stark die Perspektive der Beitrittskandidaten ein. Die Politik der EU, also die Beitrittskonditionen in Verbindung mit entsprechenden Anreizen, ist nur der erste Schritt der Untersuchungen. Im Fokus steht die Frage, welche Forderungen der EU tatsächlich in nationalen Politiken formuliert und implementiert werden. Ob der erwünschte Politiktransfer gelingt, gibt nicht zwingend Auskunft darüber, wie das Konditionalitätsprinzip angewandt wird. Insofern finden sich in diesen Arbeiten widersprüchliche Annahmen über die konsistente (z.B. Vachudová 2001: 32 noch wo?) oder inkonsistente Anwendung (z.B. Glencorse/Lockhart 2010: 8) der EU- Konditionalität. Vereinzelt steht die Beschaffenheit bzw. die Anwendung der Konditionalität als abhängige Variable im Zentrum des Interesses. Smith (2003) zeichnet die Entwicklungsgeschichte der EU-Konditionalität nach. Konditionalität ist dabei kein statisches Faktum, sondern ein von übergeordneten Zielen und politischem Willen abhängiges Instrument. Haughton (2007) definiert drei Phasen, in denen die transformative power der EU durch die Konditionalitätspolitik jeweils unterschiedlich stark wirkt. Ihm zufolge ist ihre Wirkung nach der Phase der Heranführung, aber noch vor dem Beginn von Beitrittsverhandlungen am deutlichsten sichtbar. In dieser zweiten und demnach bedeutendsten Phase wird entschieden, ob Verhandlungen aufzunehmen sind oder nicht. Steunenberg und Dimitrova (2007: 6) verweisen in diesem Zusammenhang auf das Gefangenendilemma: Für den Beitrittskandidaten lohnen sich Reformanstrengungen vor allem, so lange es kein festes Beitrittsdatum gibt. Nach diesem Fixpunkt verliert die Konditionalität rapide an Wirkung (ebd.: 9). Dementsprechend lohnt es sich für die EU, den Weg zum Beitritt möglichst lang offen zu halten, wodurch jedoch die Glaubwürdigkeit der Beitrittsperspektive eingeschränkt wird. Neben diesen taktischen Überlegungen, die den Willen der Beitrittsaspiranten betreffen, können interne Faktoren (z.B. Mangel an Souveränität oder demokratischer Qualität) die Kapazität der Beitrittskandidaten einschränken, EU-Regeln umzusetzen (Noutcheva 2006a, b). Die Anwendung der EU-Konditionalität in der Erweiterungspolitik erfolgte oft nicht konsistent. Es zeigt sich, dass die EU nicht als bürokratische Akteurin auftritt, wenn es um die 12
Einlösung versprochener Anreize geht. Stattdessen ist die Anwendung des Konditionalitätsprinzips derart politisiert, dass es nicht selten zu Abweichungen kommt (Kochenov 2008, Veebel 2009, Zuokui 2010: 94, Anastasakis/Bechev 2003: 9, Smith 2003: 110f.). Herausragend in diesem Zusammenhang ist die vergleichende Fallstudie der EU- Beziehungen zu den Westbalkanstaaten von Luckau (2011). Sie untersucht, ob die fortschreitenden vertraglichen Beziehungen auf dem Weg zur Mitgliedschaft mit den Fortschritten des jeweiligen Beitrittsaspiranten korrelieren. Wird der Anreiz dann (und nur dann) gewährt, wenn die Konditionen der EU erfüllt wurden? Diese Frage muss aus ihrer Sicht verneint werden. Nicht nur die Konsistenz der Anwendung ist eine politische Entscheidung und damit kein Automatismus, sondern auch die Bedingungen selbst werden von der EU variabel interpretiert: „The criteria applied to CEE have changed as the EU’s very general Copenhagen conditions have been elaborated and interpreted in several stages, resulting [i]n an increasingly detailed policy agenda for applicants. Conditionality for membership is complicated by the EU’s role as both player and referee in the accession process“ (Grabbe 1999: 30). Die EU hat das Konditionalitätsprinzip nach der erfolgreichen Erprobung im Zuge der Erweiterungen 2004/07 auch in die Nachbarschaftspolitik übernommen. Die Konzeption wird deshalb im Lichte der Beitrittskonditionalität untersucht (Kelley 2006, Sasse 2008). Im Vergleich zur Erweiterungspolitik nimmt Konditionalität in der ENP weniger Raum ein. Sie wird auch in der Literatur als eines unter mehreren Elemente betrachtet. Denn ergänzend setzt die ENP stärker auf das horizontale Instrument der Sozialisierung: „As with enlargement, the EU is therefore trying to strike a balance between conditionality and soft diplomatic socialization“ (Kelley 2006: 35f.). Die Nachbarschaftskonditionalität ist weniger ein Mittel zur Durchsetzung von EU-Regeln, sondern vielmehr ein loser Rahmen für Sozialisierungsprozesse (Sasse 2008: 296), der den Partnerstaaten Orientierungshilfe auf dem Weg zu Reformen bietet. Sozialisierungsprozesse, vor allem in Form von Netzwerken, erhalten größere Bedeutung. Damit soll die fehlende Beitrittsperspektive kompensiert werden (Lavenex 2008, Lavenex et al. 2007). Folglich verschwimmt die klare Grenze zwischen den beiden Europäisierungsstrategien. Daneben finden sich vereinzelte Fallstudien über die Auswirkungen der ENP- Konditionalität. Für die Ukraine bestätigt sich die These, dass die ENP eher einen „external reference point“ für innenpolitische Reformen bildet, als dass man ihr zwingenden 13
Reformdruck zurechnen könnte (Wolczuk 2009: 188). Dass die ENP unter bestimmten Umständen dennoch gewisse Reformen in den ENP-Staaten bewirkt, weist eine vergleichende Fallstudie für die Felder Energiepolitik und innere Sicherheit nach (Weber 2011). Es finden sich aber nur wenige Arbeiten, die eine vergleichende empirische Analyse von ENP- und Beitrittskonditionalität versuchen. Diese beziehen sich in erster Linie auf die externe Demokratieförderung der EU (Kochenov 2008, ders. 2006, Schimmelfennig/Scholtz 2007, Smolnik 2008). Dabei kommt Kochenov (2008) zu dem Schluss, dass das Konditionalitätsprinzip außerhalb des acquis communautaire weder in der Beitritts- noch in der Nachbarschaftspolitik Erfolg hatte. Er beschreibt ein „non-transparent and truly byzantine labyrinth of conditionality“ (ebd.: 7, vgl. auch Kochenov 2006)). Zwischen den Mitgliedstaaten der EU sowie zwischen den EU-Institutionen (besonders zwischen Rat und Kommission) besteht Uneinigkeit darüber, welche konkreten Bedingungen und Ziele in den Kandidatenländern erreicht werden sollen. Noch deutlicher tritt dieses Problem in den Beziehungen zu den ENP-Staaten zu Tage. Für beide Ländergruppen gilt, dass „those candidate countries not reforming certain sectors at all were left alone, while others, trying to follow the recommendations from the Commission ended up being constantly criticised“ (Kochenov 2008: 7). Dieser Umstand schmälert die Bereitschaft der Zielländer, den schwammigen EU-Standards zu entsprechen. Ein Vergleich der EU-Demokratieförderung in Mazedonien und Georgien (Smolnik 2008) kommt zu einem gegensätzlichen Ergebnis. Demnach gelingt es der EU durchaus, Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Beitrittskandidaten zu fördern. Für den ENP- Staat Georgien gilt hingegen, dass „Anreize unterhalb der Beitrittsperspektive keinen nennenswerten Einfluss hatten und eine Übernahme von EU-Regeln nicht veranlassen konnten“ (ebd.: 82). Es zeigt sich also dreierlei: Erstens sind empirische Arbeiten über die Einsatz und Beschaffenheit von EU-Konditionalität vor allem in der Nachbarschaftspolitik dünn gesät. Die Anwendung des Konditionalitätsprinzips als politischer Prozess blieb als black box weitgehend außerhalb des Forschungsinteresses. Zweitens kommen die Autoren sowohl in den Betrachtungen über die Anwendung der Konditionalität als auch bei der Einschätzung ihres Erfolgs zu widersprüchlichen Ergebnissen. Ein Vergleich, wie das Konditionalitätsprinzip in verschiedenen (acquis-) Politikfeldern und unterschiedlichen Ländergruppen (Beitrittskandidaten vs. ENP-Staaten) implementiert wird, ist drittens kaum Gegenstand der Forschung. Genau diese Frage nach der Anwendung von Konditionalität 14
drängt sich jedoch auf. Warum und inwiefern ein solcher Vergleich von Beitritts- und Nachbarschaftskonditionalität möglich und sinnvoll ist, erörtert das folgende Kapitel. 2.5 Zur Vergleichbarkeit von Beitritts- und Nachbarschaftskonditio- nalität Die Vergleichbarkeit von Beitritts- und ENP-Konditionalität ist nicht ohne weiteres nahe liegend. Auf den ersten Blick erscheint eine vergleichende Betrachtung sogar unsinnig, da sich die beiden Politiken in ihrer Zielrichtung maßgeblich unterscheiden: Der konditionierte Transfer von Werten und Normen im Rahmen der Erweiterungspolitik ist notwendige Bedingung für die Aufnahme eines Staates in die EU. Der EU-Beitritt soll hingegen durch die ENP gerade umgangen werden. Der Zielpunkt ist eine möglichst enge Kooperation ohne Mitgliedschaft. Der graduelle Regeltransfer ist somit nur in gewissem Maße intendiert. Zunächst soll deshalb betrachtet werden, welchen Stellenwert die Konditionalität in Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik hat. Hier ist die Sichtweise der EU selbst entscheidend. Im Anschluss daran wird der politikwissenschaftliche Diskurs zu dieser Frage dargestellt. Abschließend werden die Argumente zusammengefasst und bewertet sowie die Relevanz der Arbeit begründet. 2.5.1 Das Konditionalitätsprinzip in ENP und Erweiterungspolitik Eine ausdifferenzierte Erweiterungspolitik wurde erst nach Fall des Eisernen Vorhangs auf den Weg gebracht. Zwei entscheidende Veränderungen machten eine strategische Herangehensweise an Erweiterungen nötig: Erstens gab es nach den friedlichen Revolutionen in Mittelosteuropa schlagartig eine große Anzahl beitrittswilliger Staaten. Diese hatten angesichts der dreifachen Transformation von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eine lange Wegstrecke bis zur Beitrittsfähigkeit zurückzulegen (Nugent 2004: 43). Zweitens führte der Maastricht-Vertrag zu einer qualitativen Vertiefung der Integration. In der Folgezeit haben, für die Beitrittsaspiranten von großer Bedeutung, Umfang und Komplexität des acquis stetig zugenommen (Maresceau 2003: 10f.). Die Entwicklung einer ausdifferenzierten Erweiterungspolitik trägt dem Bestreben Rechnung, die Eigendynamik der Erweiterung politisch kontrollierbar zu machen und gleichzeitig an möglichst objektiven Kriterien auszurichten (Kohler-Koch et al. 2004: 306). Seit 2006 können die Prinzipien der Erweiterungsstrategie unter dem Schlagwort der „drei K“ zusammengefasst werden (KOM 2005b: 13): Konsolidierung der Erweiterungspolitik, eine verbesserte Kommunikationsstrategie und das Prinzip der Konditionalität. 15
Der Weg eines Landes zum Beitritt ist ein langer Prozess, der in fünf Abschnitte unterteilt werden kann (Lippert/Umbach 2005). Zunächst werden die bilateralen Beziehungen zu dem Beitrittsaspiranten etwa durch Handels- und Kooperationsabkommen formalisiert. Das Land erhält zudem Zugang zu Fördermitteln (z.B. PHARE). Der Abschluss von Assoziierungsabkommen markiert den Übergang in die zweite Phase, Voraussetzung ist die Verwirklichung der politischen und wirtschaftlichen Kopenhagen-Kriterien (Europäischer Rat 1993: 13). Mit der dritten Phase beginnt die offizielle Heranführungsstrategie. Sie zielt im Wesentlichen auf eine schrittweise Übernahme des acquis und insbesondere auf die „Anpassung der Verwaltungsstrukturen“, um Primär- und Sekundärrecht der EU auch tatsächlich umsetzen zu können (Europäischer Rat 1995, Smith 2003: 115). Am Beginn der offiziellen Beitrittsverhandlungen (Phase vier) steht das screening. Es wird systematisch überprüft, inwieweit der in Kapitel unterteilte acquis communautaire implementiert ist. Jährliche Berichte weisen auf Fortschritte und verbleibende Aufgaben hin. Um die Beitrittskandidaten bestmöglich zu fördern, werden Beitrittspartnerschaften geschlossen. In mehrjährigen Programmen sind kurz- und mittelfristige Ziele formuliert. Jedes Jahr veröffentlicht die Kommission Fortschrittsberichte, in denen sie die Ergebnisse bewertet, die Programme aktualisiert und Empfehlungen für die künftige Politikgestaltung gibt. Nach Abschluss der Verhandlungen und Unterzeichnung der Beitrittsverträge gibt es meist (und in zunehmendem Maße) einen zeitlichen Puffer, bis die Verträge in Kraft treten (Phase fünf). Daneben werden häufig Übergangsfristen für einzelne Bereiche des acquis (z.B. Arbeitnehmerfreizügigkeit) ausgehandelt. Beides soll gewährleisten, dass der gemeinsame Besitzstand möglichst vollständig umgesetzt ist, bevor das Land Vollmitglied der EU wird. Als Bedingung für die Vollmitgliedschaft wurde ein immer komplexerer Kriterienkatalog entwickelt. Hervorzuheben sind zunächst die Kopenhagener Kriterien, die Demokratie und Rechtstaatlichkeit, marktwirtschaftliche Prinzipien und die Übernahme des acquis einfordern. Dem wurde 2002 die Erweiterungsfähigkeit der EU selbst hinzugefügt (Lang/Schwarzer 2007). Speziell von den Westbalkanstaaten wird die uneingeschränkte Kooperation mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal (ICTY) und die Einhaltung der politischen 5 Sonderübereinkommen für einzelne Staaten verlangt. In Zusammenhang damit sind ernsthafte Möglichkeiten zur Rückkehr von Flüchtlingen zu schaffen. Außerdem wurde die 5 Dies betrifft den UN-Sicherheitsratsbeschluss für das Kosovo, die Dayton-Abkommen für Bosnien- Herzegowina, das Rahmenabkommen von Ohrid für Mazedonien und das Abkommen von Belgrad für Serbien und Montenegro (Altmann 2005: 22). 16
Vertiefung regionaler Kooperationen als Ziel für die Westbalkanstaaten stärker betont (Mazrreku 2009: 115).6 Die Mitgliedschaft in der EU ist jedoch nicht der einzige Anreiz, der den Beitrittsaspiranten geboten wird. Den Kandidatenländern sollen schon während des Beitrittsprozesses Angebote vertiefter Beziehungen zur EU gemacht werden. Wichtige Integrationsschritte sind hier etwa die Liberalisierung des Reiseverkehrs und zunehmende Integration in den Binnenmarkt. Außerdem ist der Beitrittsprozess begleitet durch weit reichende finanzielle Förderung durch das Instrument für Heranführungshilfe (IPA). All diese Leistungen werden ebenfalls an Bedingungen geknüpft. Das Konditionalitätsprinzip wird somit nicht bei der Verhandlung des Beitritts angewandt, sondern erstreckt sich auch auf Integrationsschritte während des Beitrittsprozesses. Die einzigen Voraussetzungen, die die EU-Verträge für eine Mitgliedschaft formulieren, sind die Achtung und Förderung der gemeinsamen Werte und die Eigenschaft als europäischer Staat (Art. 49 i.V.m. Art. 2 EUV). Damit besteht auch für die Ukraine eine zumindest hypothetische Beitrittsperspektive, die vonseiten der EU bisher auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Es ist aber höchst zweifelhaft, ob sich die EU dauerhaft dem Beitrittswillen einiger europäischer ENP-Staaten wird verwehren können (Lippert 2007: 69f.). Für den Moment gilt jedoch, dass sich die EU „mit neuen Zusagen zurückhaltend“ verhält (KOM 2006c: 3). Vorerst stehen die Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten daher unter dem Dach der ENP. Sie wurde als Reaktion auf die Osterweiterungen auf den Weg gebracht, um eine umfassende Strategie gegenüber den neuen Nachbarstaaten im Osten zu gestalten und dabei neue Trennlinien in Europas Osten zu vermeiden. Stattdessen wird die Verbreitung von Sicherheit, Stabilität und Wohlstand als Ziel definiert (KOM 2004b: 3, Piehl 2010: 335, Fröhlich 2008: 245ff.). Die Mittelmeeranrainer und die Staaten des südlichen Kaukasus wurden 2004 in die ENP einbezogen, so dass sie nunmehr 16 Staaten7 umfasst. Vor allem auf Initiative Polens und als Antwort auf die Gründung der Union für das Mittelmeer wurde mit der ÖP ein Konzept entwickelt, das innerhalb der ENP die Besonderheiten der östlichen Nachbarn stärker in den Blick nimmt (Vobruba 2007: 7ff., Piehl 2010, Böttger 2010). 6 Eingebettet ist dieser Regionalansatz in den multilateralen Stabilitätspakt für Südosteuropa und ab 2008 in dessen Nachfolgeorganisation, den Regionalen Kooperationsrat für Südosteuropa (SEECP). 7 Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Israel, Palästinensische Autonomiegebiete, Jordanien, Syrien, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldova, Ukraine, Belarus, wobei mit Belarus und mit Libyen unter der Herrschaft Gaddafis keine offiziellen Beziehungen bestehen bzw. bestanden. 17
Sie können auch lesen