DIE UKRAINE IN DEN AUGEN DEUTSCHLANDS - BILDER UND WAHRNEHMUNGEN EINES LANDES IM UMBRUCH - GIZ
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Die Ukraine in den Augen Deutschlands Bilder und Wahrnehmungen eines Landes im Umbruch
Projektleitung: Andreas von Schumann Leiter des Büros für politische Kommunikation, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, Kiew Roman Ivanov stellvertretender Leiter des Büros für politische Kommunikation, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, Kiew Projektteam und Interviewer: Katharina Binhack, Frankfurt Alyssa Damm, Berlin Dr. Oliver Gnad, Berlin Olena Gordienko, Kiew Mariia Henning, Kiew Roman Ivanov, Kiew Veranika Karzan, Kiew Maryna Kovtun, Kiew Olena Ovcharenko, Kiew Andreas von Schumann, Kiew Valentina Six, Berlin Illia Tolstov, Kiew Sigrid Vesper, Berlin Nataliia Vlasiuk, Kiew Methodische Begleitung: Dr. Mischa Skribot LUMIQUE Gesellschaft für strategische Managementservices mbH, Wien Bearbeitung: Dr. Oliver Gnad Bureau für Zeitgeschehen (BfZ) GmbH, Berlin
Vorwort 6 4. Ukraine als Objekt und Subjekt in den internationalen Beziehungen 74 Prolog: Zäsuren in der Wahrnehmung der Ukraine 10 Deutschland: Mittler oder wankelmütiger Opportunist? 76 Ukrainische und europäische Passivität 81 1. Ukrainebilder: Krim, Krieg, Krise, Korruption 20 Sonderverhältnis: Die ukrainisch-russischen Beziehungen 83 Euromaidan: Wandel der Wahrnehmungen 24 5. Zukunftsbilder – Zukunftsperspektiven 90 Zur Rolle deutscher Medien: Mehr Qualität, mehr Themen, bitte! 29 Erfolgsfaktoren kontinuierlichen Wandels 91 2. Identität(en) und kulturelle Vielfalt 32 Ökonomisch ein schlafender Riese 92 Junge Menschen – Potenzial für die Zukunft der Ukraine 96 Zweisprachigkeit 34 Gehen oder blieben? 98 Kulturlandschaften 37 Klassisches und Kulturleben der Gegenwart 38 Sondertexte (Textkästen) Religion und Religiosität 40 Offenheit und Individualität 43 Donbass-Ukrainer verdienen mehr Solidarität 27 Mangelnde Anerkennung beruflicher Bildung 69 3. Reformagenda und gesellschaftlicher Wandel 44 Ukrainische Parteien – personale Interessenallianzen 70 Zukunft der Ukraine als Lackmustest für die Teil I: Bedingungsfaktoren gesellschaftlichen Wandels 45 europäische Idee 71 Reformerfolge und Reformstau 45 Das Rückgrat der Ukraine ist ihre starke Zivilgesellschaft 72 Katerstimmung und zunehmender Gesellschaftlicher Austausch als Schlüssel Pessimismus in der Reformdebatte 50 zur Modernisierung 88 Macht und Einfluss der Oligarchen 53 Binnenflucht und Internally Displaced Persons (IDP) 101 Oligarchie und Pressefreiheit 55 Fehlendes Vertrauen der Bevölkerung in politische Eliten 56 Anhänge 102 Teil II: Sektorreformen – ein geteiltes Echo 58 Zur Methodik der Studie 103 Baustelle Justiz: Bislang bloß ein Polizei-Reförmchen 58 Datenerhebung in persönlichen Interviews 105 Energie – ein Schlüsselsektor 59 Auswertung der erhobenen Daten 106 Neues Umweltbewusstsein, ökologische Gesprächspartner 110 Altlasten und Umweltkriminalität 60 „Das staatliche Gesundheitswesen ist eine Katastrophe“ 61 Externe Sicherheit: Bündnisfähig oder auf sich allein gestellt? 63 Kampf der Korruption: Konsequentes Lippenbekenntnis 65 Qualitätsmängel und Käuflichkeit im Hochschulwesen 67
Vorwort W ahrnehmungen sind keine Wahrheiten. Sie sind vielmehr das Ergebnis subjektiver Interpretationen – der Vermengung von Erlebtem, Erinner tem, Gefühltem, Konstruiertem. Wahrnehmungen sind stark von der Zeit und dem Umfeld geprägt, in denen sie entstehen. Wenn im Rahmen dieser Studie zur Wahrnehmung der Ukraine in Deutschland etwa ein Gesprächspartner darauf hinweist, „wir reden viel über die Ukraine, aber nicht mit ihr“, dann kann man diesem Eindruck nachgehen und fragen, wie er wohl entstanden ist, ob er zutreffend ist oder irreführt. Doch Wahrheitsfin dung war nicht unser Anliegen. Vielmehr wollten wir herausdestillieren, welche Gemeinsamkeiten unterschiedliche Wahrnehmungen von unterschiedlichen Per sonen aufweisen, welche Konturen die Bilder von der Ukraine aufweisen, welches 7 Profil und welche Verzerrungen erkennbar werden. So können wir zwei durchgängige Grundlinien nachzeichnen. Die erste: Der Blick auf die Ukraine wird als zu eng, das Wissen als zu lückenhaft, die Auf merksamkeit als zu flüchtig und die Bewertungen werden als zu wenig fundiert empfunden. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Kooperationsbeziehungen zwischen der Ukraine und Deutschland erstaunt diese Perzeption. In den Erge bnissen findet man eine Reihe plausibler und weniger plausibler Gründe für diese bruchstückhafte Auseinandersetzung mit der Ukraine. Es wird deutlich, dass es sich hierbei nicht nur um ein „Darstellungsproblem“ der Ukraine handelt, son dern dass die verzerrte Wahrnehmung vor allem vom Betrachter erzeugt wird. Eine andere Grundlinie, die sich durch alle Gespräche zieht, ist der tiefe Wunsch, dass sich Deutschland und die Deutschen mehr und intensiver mit der Ukraine auseinandersetzen. Begründet wird diese Hoffnung mit mehreren Motiven: mit historischen Verantwortungen der Deutschen, der kulturellen Vielfalt der Ukraine, dem wirtschaftlichen Potenzial des Landes, der Notwendigkeit, Stabilität im Osten Europas zu schaffen, oder mit möglichen Impulsen für die Weiterentwicklung der EU. Doch das auffälligste Motiv war die Begeisterung über die Entdeckungen unserer Gesprächspartner in ihrer eigenen Annäherung an die Ukraine. Unabhängig vom konkreten Anlass, die Ukraine in den Mittelpunkt ihres Interesses zu stellen, hoben die meisten das „weiße Blatt“ zu Beginn hervor, das sich schnell zu einer „bunten Leinwand“ wandeln sollte.
Vorwort Die Erhebung der Studie „Die Ukraine in den Augen Deutschlands“ wurde reichen Gesamtbildern zusammengefügt werden. Je nachdem, in welcher methodisch analog zu den GIZ-Wahrnehmungsstudien „Deutschland in den (beliebigen) Reihenfolge man die Kapitel liest, ergeben sich unterschiedlich Augen der Welt“ durchgeführt1. Unser Erkenntnisinteresse ist, wie die Ukraine nuancierte Narrative der Ukraine. Die Hand des Autors wird so in den Hin in Deutschland im Kontext ihrer internationalen Beziehungen und inneren Ent tergrund treten; stattdessen kann das Rohmaterial dank der zahlreichen Zitate wicklungen wahrgenommen wird, wo ihre spezifischen Stärken und Schwächen vom Leser selbst angeordnet und interpretiert werden. gesehen werden und welche Erwartungen sich vor diesem Hintergrund an die Zukunft des Landes knüpfen. Erwähnt werden sollte schließlich auch, dass es sich bei der vorliegenden Studie um einen dezidiert deutschen Blick auf die Ukraine handelt – was angesichts Hierzu wurden im Herbst 2017 persönliche Einzelinterviews mit 44 aus der Auswahl unserer Gesprächspartner auch nicht verwundert. Wir haben diese gewählten Ukraine-Kennern aus Deutschland geführt. Neben einer Auflistung hoch selektive Herangehensweise aus zweierlei Gründen gewählt: zum einen, weil der 44 Gesprächspartner findet sich im Anhang eine detaillierte Erläuterung zur Deutschland ein Schlüsselpartner der Ukraine auf ihrem Weg in eine selbstbe methodischen Gestaltung der Studie. stimmte europäische Zukunft ist. Zum anderen, weil die Deutsche Gesellschaft 8 9 für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als ein Unternehmen der Bundes Der Text wählt drei unterschiedliche Perspektiven, um den Leser an die Ukraine regierung gefordert ist, ihre Arbeit stets den veränderten Rahmenbedingungen heranzuführen: Im einführenden Prolog wird bewusst der Standpunkt eines anzupassen, damit sie wirksam ist und Akzeptanz findet. historisch-politischen Analysten westlicher Prägung eingenommen, weil diese Wahrnehmung und Interpretation dem Leser wohl am vertrautesten sind. Und so ist diese Wahrnehmungsstudie nicht nur ein Beitrag zur Debatte zur Hier werden wichtige Wegmarken ukrainischer Geschichte im 20. Jahrhundert künftigen Einbettung der Ukraine in eine sich neu herausbildende europäische nachgezeichnet. Sie sollen helfen, die subjektiven Wahrnehmungen unserer politische Ordnung. Sie soll ferner darlegen, wie sich das Ukraine-Bild seit den Gesprächspartner in den historischen und zeitgenössischen Kontext zu stellen. Ereignissen auf dem Kiewer Maidan 2013/2014 fortentwickelt hat und wie das Leben der Menschen in der Ukraine aus einer kritischen Außenperspektive Der Hauptteil widmet sich dann ganz den Aussagen und Eindrücken unserer wahrgenommen wird. Interviewpartner. Ihre Wahrnehmungen wurden in einem mehrstufigen Ver fahren zu Kernaussagen verdichtet – ein Vorgehen, das in der qualitativen Sozial Andreas von Schumann, Kiew forschung als „Intersubjektivität“ bezeichnet wird. Durch diese Methode entsteht eine Sammlung kumulierter und gewichteter subjektiver Wahrnehmungen, die sich Stück für Stück zu einem kollektiven Gesamtbild fügen – ohne jedoch den Anspruch zu erheben, Objektivität oder gar Wahrheit zu sein. Struktur, Ordnung und Dramaturgie des Textes wurden bewusst so gewählt, dass das daraus entstehende Gesamtbild allein vor den Augen des Lesers entsteht und möglichst als fragmentiertes Mosaik erhalten bleibt. Jedes Kapitel steht für sich allein und kann doch mit anderen Kapiteln zu ganz unterschiedlichen, facetten 1 Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (Hg.), Deutschland in den Augen der Welt. Zentrale Ergebnisse der GIZ-Erhebung „Außensicht Deutschland – Rückschlüsse für die Internationale Zusammenar- beit“, Bonn/Eschborn 2012 (Download: https://www.giz.de/de/downloads/de-deutschland-in-den-augen-der- welt-2012.pdf); Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (Hg.), Deutschland in den Augen der Welt. Zentrale Ergebnisse der zweiten GIZ-Erhebung 2015, Bonn/Eschborn 2015 (Download: https://www.giz. de/de/downloads/giz2015-de-deutschland-in-den-augen-der-welt_2015.pdf). Die dritte GIZ-Deutschlandstudie erscheint im ersten Quartal 2018.
Prolog: Als ich 1990 zum ersten Mal in den Westen, genauer: in die Zäsuren in der USA reiste, hatte ich ziemlich große Schwierigkeiten, meinen Gesprächspartnern zu erklären, aus welchem Land ich kam. Klar, ich hielt mich für einen Ukrainer und hatte sogar einen entspre Wahrnehmung der chenden Eintrag in meinem sowjetischen Pass. Immerhin existierte so etwas wie eine „Ukrainische Sowjetische Sozialistische Republik“ - mit eigener Regierung, eigenem Parlament, und sie war Ukraine sogar offiziell Mitglied in der UNO, wofür 1945 Stalin voraus blickend gesorgt hatte. So antwortete ich auf die Frage „Where are 11 you from?“ unbeirrt und völlig arglos: „From Ukraine.“ Auf meine Gesprächspartner machte dies überhaupt keinen Ein druck. „Sorry?“, fragten die Höflicheren. „What?“, versuchten die anderen ihre gesammelten TV-Kenntnisse abzurufen. „Bahrain?“ „Nein“, korrigierte ich geduldig. „Ukraine.“ „What’s that?“ „Eine der Republiken der Sowjetunion.“ „Oh, Russia!“, nickten die Amerikaner begeistert, als hätten sie das große Los gezogen. „Nein“, ich versuchte, so viel Geduld wie möglich aufzubringen. „Russland ist auch eine der Republiken der Sowjetunion.“ Auf diese Eröffnung reagierten sie konsterniert. Russland eine der Republiken Russlands? Irgendjemand war hier verrückt. Klar, wer. Am Ende meiner Reise begegnete ich einem Mann, den meine Erklärung nicht im Geringsten aus der Fassung brachte. „Which Ukraine“, reagierte er vollkommen sachlich. „Russian one or Polish one?“ Nun war ich an der Reihe und konnte nur verlegen murmeln: „Soviet one. So far”.1 1 Aus: Mykola Rjabtschuk, Die reale und die imaginierte Ukraine. Essay, Frankfurt: edition suhrkamp, 2013, S. 11-12.
Zäsuren in der Wahrnehmung der Ukraine ter russischer Sowjetherrschaft. Der deutsche und eigenständiger UN-Gründungsmit Genozidforscher Gunnar Heinsohn bezeichnete gliedschaft); die Bevölkerung musste wieder den Hungertod der ukrainischen Bevölkerung massenhafte Repressionen („Kollaborateure“), einmal als „die schnellste gegen eine einzelne Deportationen (Intelligenzija) und Umsied Volksgruppe gerichtete Massentötung des 20. lungsmaßnahmen (nationalistisch gesinnte Jahrhunderts und womöglich der Geschichte“1. Westukrainer, ethnische Minderheiten) Ob Stalin und Molotow damit gezielt die erdulden. Mit dem Tod Stalins im Frühjahr Unabhängigkeitsbestrebungen der Ukraine 1953 und der Machtübernahme Nikita Chru torpedieren wollten oder ob das Massensterben schtschows fanden die russischen Repressalien eine Verkettung rücksichtslos durchgeführter gegen die Ukraine ein Ende; der im Donez Kollektivierungsmaßnahmen, Ernteent becken aufgewachsene Chruschtschow war es nahmen und Schlechtwetterperioden ist, bleibt auch, der die 300 Jahre zu Russland gehörende umstritten. Tatsache ist, dass die ukrainische Halbinsel Krim im Mai 1954 kurzerhand der Mit dem landestypisch frotzelnden Humor Aus diesem Schattendasein scheint die Ukraine Bevölkerung am Vorabend des deutschen Ukraine zuschlug2. 12 13 beschreibt der Kiewer Schriftsteller und Jour immer nur dann herauszutreten, wenn sie zum Überfalls auf die Sowjetunion eine Gesellschaft nalist Mykola Rjabtschuk das ewige Dilemma Spielball geopolitischer Ambitionen angren am Rande des sozialen und wirtschaftlichen Im Kalten Krieg war die Ukraine nicht nur seines Landes: Es hinterlässt keinen mentalen zender Mächte wird; und es ist bezeichnend, Zusammenbruchs war. die Kornkammer der Sowjetunion, sondern Abdruck, ist beinahe ohne eigene Wahrneh dass die Ukraine viel eher in den Erzählungen auch ihre Waffenschmiede und vorgerückter mung und steht – so weit heute lebende Gene dieser angrenzenden Mächte zur Geltung Hitlers Ostfeldzug, der vor allem die Erobe Standort der strategischen Streitkräfte der rationen zurückblicken können – im Schatten kommt als aus ihrer eigenen Geschichtsschrei rung von Siedlungsgebieten in der Ukraine UdSSR. Hier hatte das sowjetische Militär das seines großen östlichen Nachbarn, Russland. bung heraus: So war die moderne Staatswer und die Unterjochung des Landes als Roh Gros ihrer nuklearen Mittelstreckenwaffen Schon ihr Landesname weist der Ukraine eine dung 1917 nur durch den Niedergang und stoff-Kolonie zum Ziel hatte, führte nicht nur stationiert, hatte im militärischen Sperrgebiet Randlage an der Peripherie großer Reiche zu; die militärische Niederlage des zaristischen zur weitgehenden Zerstörung ukrainischer Sewastopol auf der Krim große Verbände ihrer das altostslawische Wort ukraina bedeutet Russlands möglich geworden (unterstützt Städte und Infrastruktur, sondern auch zur atomar ausgerüsteten Flotte liegen und überall „Grenzgebiet“ (nämlich zu den turkstämmi durch Deutschland). Diese Unabhängigkeit fast vollständigen Auslöschung der jüdischen im Land kampfbereite Divisionen mit Blick gen Reiternomaden entlang des sogenannten endete bereits 1922 – nach der faktischen Bevölkerung. In ihren Lagern tötete die SS gen Westen stationiert. „Wilden Feldes“, den Steppengebieten der Eroberung und Besetzung durch Trotzkis Rote rund 1,4 Millionen Gefangene; die Massener heutigen Süd- und Ostukraine). Armee – mit der vollständigen Eingliederung schießung Kiewer Juden in der Schlucht von Dass die Ukraine im Verbund der UdSSR eine der West- und Ostukraine in den Verband der Babyn Jar im September 1941 gehört zu jenen exponierte Rolle als Garnison und industri Es scheint, als gäbe es nur zwei Zuschreibun Sozialistischen Sowjetrepubliken. Schreckensbildern, die das kollektive Gedächt elles Rückgrat spielte, war nur wenigen im gen, wenn die Ukraine als völkerrechtlich-his nis der deutschen Nachkriegsgenerationen Westen bewusst. Ins öffentliche Bewusstsein torischer Gegenstand wahrgenommen wird: Während das westeuropäische Geschichtsbe geprägt haben. rückte die Ukraine erst im April 1986, als entweder als machtpolitische Projektions wusstsein mit Blick auf die Ukraine erst wieder im nordukrainischen Tschernobyl nahe der fläche regionaler Großmächte (Habsburger, mit dem Überfall des Deutschen Reiches auf Die Rückeroberung der Ukraine durch die Stadt Prypjat Block 4 des Kernkraftwerks Polen, Deutsche, Russen, Osmanen) oder als die Sowjetunion im Sommer 1941 einsetzt, Rote Armee im Oktober 1944 führte nicht havarierte. Es war der erste Nuklearunfall, der historisch-kulturell zerrissenes Land zwischen ist in der ukrainischen Memoria bis heute nur zur faktischen Gleichschaltung des auf der siebenstufigen internationalen Bewer Ost und West. Und so kommt es, dass das ein ganz anderes Ereignis prägend: der als Landes (trotz formalem Autonomie-Status tungsskala als GAU – größter anzunehmender zweitgrößte Land Europas in der öffentlichen „Holodomor“ bezeichnete millionenfache Wahrnehmung bestenfalls eine untergeordnete Hungertod der ukrainischen Landbevölkerung 1 Gunnar Heinsohn, Lexikon der Völkermorde, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1998; Timothy Snyder, Bloodlands: Europa zwischen Hitler Rolle spielt und zivilisationsgeschichtlich kei Anfang der 1930er Jahre, verursacht durch die und Stalin, München: Beck 2011. nen merklichen Fußabdruck hinterlässt. Zwangskollektivierung der Landwirtschaft un 2 Gwendolyn Sasse, The Crimea Question. Identity, Transition and Conflict, Harvard University Press 2007.
Zäsuren in der Wahrnehmung der Ukraine Unfall — eingestuft wurde. Dieser Unfall wird von Russland realisieren wollten, willigten sie titelte: „Autoritarismus mit menschlichem das am 5. Dezember 1994 am Rande der heute als ein Schlüsselereignis im Niedergang in eine kooptierende Zusammenarbeit mit Antlitz“5 . KSZE-Konferenz in der ungarischen Haupt der Sowjetunion eingestuft, verdeutliche er der Nomenklatura ein, die – wie bisher – mit stadt zwischen Russland, den USA und dem doch, wie marode die Infrastruktur im Lande Hilfe staatlicher Organe und informeller Die westliche Wahrnehmung der Ukraine Vereinigten Königreich unterzeichnet wurde. war, wie leichtfertig die sowjetischen Behörden Netzwerke die Macht im Staate ausübte. Umso im Übergang von Leonid I. (Krawtschuk) zu Mit Verweis auf die Schlussakte von Helsinki mit dem Vorfall umgingen und wie wenig das mehr, als dass nach dem Verbot der Kommu Leonid II. (Kutschma) – so es in dieser Phase verständigten sich die Unterhändler in drei Regime in der Lage war, die Folgen in den nistischen Partei im Jahre 1991 ein Macht überhaupt Aufmerksamkeit für das Land getrennten Erklärungen, als Gegenleistung Griff zu bekommen. So wurde die Katastrophe vakuum entstand, das rasch von personalen zwischen Ost und West gab – war die eines für einen Atomwaffenverzicht Kasachstans, von Tschernobyl zum Sinnbild eines Systems, Verbänden – Seilschaften – gefüllt wurde. wohlwollenden Autoritarismus. Ohnehin Weißrusslands und der Ukraine die Sou das nun in einen beschleunigten Prozess des galt das Augenmerk des Westens den Staaten veränität und die bestehenden Grenzen dieser Niedergangs eintrat. Mit diesem Pakt bremsten die Kräfte des Mitteleuropas, die sich gerade erst aus der Länder zu achten. Das Budapester Memoran Neuanfangs nach Ansicht Rjabtschuks „viele Umklammerung der Sowjetunion befreit dum hat völkerrechtlich keinen bindenden Nach dem gescheiterten Moskauer August Jahre lang die Entwicklung eines echten hatten. Im Dezember 1997 beschloss der Charakter, ist vielmehr eine Absichtserklärung putsch 1991 erklärte sich die Ukraine am Mehrparteiensystems. Sie haben es zu verant Europäische Rat in Luxemburg die Aufnahme – eine Tatsache, die für die Frage der Sou 14 15 24. August als erster großer sowjetischer worten“, so Rjabtschuk, „dass das von der von Beitrittsgesprächen mit zehn mittel- und veränität und Integrität der Ukraine im Zuge Kernstaat für unabhängig und löste sich – dem postkommunistischen Nomenklatura in osteuropäischen Staaten, darunter auch die der Krim-Annexion und des Krieges in der Beispiel der baltischen Staaten, Armeniens und der Ukraine realisierte oligarchische Projekt drei postsowjetischen baltischen Staaten. Ostukraine eine weitreichende Bedeutung Georgiens folgend – aus dem sozialistischen formal den Namen und die Merkmale eines bekommen sollte. Staatenverbund heraus. Mykola Rjabtschuk demokratischen, nationalstaatlichen Projektes Ein solcher Annäherungskurs stand weder interpretiert diese Loslösung als eine „doppelte erhielt.4“ für die Ukraine noch für Weißrussland zur Mitte der 1990er Jahre, nach Abschluss des Emanzipation“ – nämlich „der Bürgerge Debatte: Als postsowjetische Kernstaaten Budapester Memorandums, verschwand die sellschaft vom Staat und der Nation vom Anders als in den baltischen Staaten, wo die mit engen historischen, gesellschaftlichen, Ukraine faktisch für ein Jahrzehnt aus der Imperium“3. Zivilgesellschaften nach dem Zusammenbruch wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen Wahrnehmung der westlichen Öffentlichkeit. der Sowjetunion die Kontrolle über den zu Russland war ein Ausgreifen westlicher In Allenfalls die Erinnerung an das Reaktor Nach dem Unabhängigkeitsreferendum am 1. Staatsapparat übernahmen und das autoritär stitutionen in den Cordon sanitaire Russlands unglück von Tschernobyl, das sich im April Dezember 1991 wurde der ehemalige ZK- zentralistische System in ein pluralistisches, vollkommen undenkbar. Ganz abgesehen 1996 zum zehnten Mal jährte, und die Frage Sekretär Leonid Krawtschuk mit überwälti liberal-demokratisches verwandelten, verharrte von der Tatsache, dass sowohl Weißrussland der Erneuerung des schützenden Betonmantels gender Mehrheit zum ersten Präsidenten der die Ukraine weitgehend in ihren alten Macht wie auch die Ukraine im Dezember 1991 die („Sarkophag“) um den havarierten Atom unabhängigen Ukraine gewählt – und damit strukturen. Auch wenn es den alten Eliten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) meiler produzierten im Westen noch Schlag eine Elitenkontinuität gewährleistet, die nicht nicht gelang, die Kräfte einer emanzipierten mitbegründet hatten, deren Ziel es war, einen zeilen. Ohnehin galt alle Aufmerksamkeit der nur zu einer „unvollendeten Revolution“ Bürgergesellschaft vollends ihrem autoritären gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheits Zukunft Russlands, das in den 1990er Jahren führte (Taras Kuzio), sondern – wie sich Herrschaftsanspruch zu unterwerfen, so war raum in Nachfolge der Sowjetunion zu etablie in eine schwere wirtschaftliche und soziale herausstellen sollte – auch den Grundstein für die Zivilgesellschaft dennoch nicht in der ren. Ohnehin stand für den Westen nicht Krise rutschte und unter der schwachen und ein durch und durch korruptes politisches Sys Lage, den baltischen Pfad einzuschlagen. Was die Demokratisierung oder wirtschaftliche erratischen Führung Boris Jelzins alle Mühe tem legen sollte. Denn Postkommunisten und blieb, war ein „erzwungener Pluralismus“ Modernisierung der Ukraine im Vordergrund, hatte, den russischen Staat in Einheit zu be Nationalisten gingen eine unheilige Allianz (Lucan Way) und eine hybride Demokratie sondern ihre atomare Abrüstung. wahren (u. a. erster Tschetschenienkrieg). ein: Weil die nach nationaler Unabhängigkeit mit zunehmend autoritären Zügen. Oder wie strebenden Kräfte nun endlich die Loslösung die Zeitschrift East European Reporter einmal Das gelang schließlich mit dem Abschluss Dieses Mauerblümchen-Dasein der Ukraine des sogenannten Budapester Memorandums, änderte sich erst, als im Herbst 2004 der Prä 3 Mykola Rjabtschuk, Die reale und die imaginierte Ukraine, Frankfurt am Main: Suhrkamp (edition suhrkamp 2418) 2006, S. 88. 4 Mykola Rjabtschuk, Die reale und die imaginierte Ukraine, Frankfurt am Main: Suhrkamp (edition suhrkamp 2418) 2006, S. 93 f. 5 Mykola Rjabtschuk, Authoritarianism with a Human Face, in: East European Reporter, Vol.5 (November/December 1992), S. 52-56.
Zäsuren in der Wahrnehmung der Ukraine sidentschaftswahlkampf um die Nachfolge endlich zu öffnen und zu erneuern. Eine Hoff Leonid Kutschmas begann. Der Wahlkampf nung, die bald zerstob, weil Juschtschenko und war überschattet von einem – niemals Timoschenko ihr politisches Kapital rasch im aufgeklärten – Vergiftungsversuch des libe fortwährenden Prestigewettstreit aufbrauchten. ralen Präsidentschaftskandidaten Wiktor Schon bei den Parlamentswahlen 2006 schlug Juschtschenko. Ein Plot wie in einem Holly das Pendel wieder zugunsten von Januko wood-Streifen mit vermeintlich klar verteilten, wytschs „Partei der Regionen“ aus und Janu archetypischen Rollen: das machtgierige kowytsch wurde überraschend Ministerprä Russland als kalt kalkulierender Hegemon, sident. Doch bereits ein Jahr später musste er die freiheitsliebende Ukraine als Opfer. Über das Amt nach vorgezogenen Parlamentswahlen Nacht füllte das Geschehen in Kiew die wieder an Julija Timoschenko abtreten, die Frontseiten der großen Tageszeitungen und des schließlich bis Anfang 2010 – nun in scharfer Boulevards. Abgrenzung zu Präsident Juschtschenko – die Amtsgeschäfte der ukrainischen Regierung 16 17 Juschtschenko hatte sich im Wahlkampf nicht führte. nur für einen konsequenten Antikorrup tionskurs stark gemacht; auch machte er aus Retrospektiv erscheint es, als sei die ukraini seiner antirussischen bzw. proeuropäischen sche politische Elite in den Jahren 2004 bis Gesinnung keinen Hehl. Obwohl Juschtschen 2014 beinahe ausschließlich mit internen Po ko aufgrund seiner Vergiftung vier Wochen sitionierungskämpfen befasst gewesen. Aber es »Das Ukraine-Bild in Deutschland ist sehr vor der Wahl seinen Wahlkampf beenden ging um mehr: Zum ersten Mal wurde inner schwankend – zwischen Begeisterung (nach den musste, gelang ihm nach dem ersten Wahlgang halb der politischen Institutionen des Landes der Einzug in die Stichwahl gegen Wiktor ein offener Machtkampf zur Ausrichtung der Maidan-Revolutionen) und Ernüchterung (auf Janukowytsch, den amtierenden Ministerprä Ukraine zwischen Ost und West ausgetragen. sidenten und Protegé Moskaus. Zwar gewann Während Wiktor Juschtschenko einen klaren grund der politischen Stagnation und Reform Janukowytsch die Stichwahl am 21. Novem Westkurs verfolgte, den Beitritt der Ukraine ber 2004 zunächst knapp. Als sich jedoch sowohl zur EU wie zur NATO befürwortete verschleppung).« (534)1 der Vorwurf des Wahlbetrugs erhärtete und und sich deutlich gegen Moskau positionierte sich die öffentlichen Proteste zur „Orangen (etwa während der Georgienkrise 2008, was Revolution“ ausweiteten, verfügte der Oberste nach Ansicht zahlreicher Beobachter zu wie Gerichtshof der Ukraine eine Wiederholung derholten „kalten Sanktionen“ Moskaus durch des zweiten Wahlganges. Aus diesem Urnen Kappen der Gaslieferungen führte), wollte gang ging Wiktor Juschtschenko am 26. Ministerpräsident Wiktor Janukowytsch das Dezember 2004 mit knapp 52 Prozent der Land nicht vollends von Moskau wegführen: abgegebenen Stimmen als Sieger hervor. Zwar sprach er sich für eine Annäherung an die Europäische Union aus, aber eine Mit Wiktor Juschtschenko und der kämp NATO-Mitgliedschaft stand für ihn außer ferisch-charismatischen Julija Timoschenko, Frage. die im Januar 2005 ukrainische Minister präsidentin wurde, schien sich die Ukraine Angesichts der enttäuschenden Bilanz der Re 1 Die Ziffern am Ende der hervorgehobenen Zitate beziehen sich auf die Kodierung der einzelnen Kern nach einem Jahrzehnt des Autoritarismus nun formkräfte führten die Präsidentschaftswahlen aussagen innerhalb der Datenmaterials der Studie.
Zäsuren in der Wahrnehmung der Ukraine im Februar 2010 zu einer Wiederherstellung versuchte Putin an russischen Interessen in Ziele in der Ostukraine nicht erreicht; aber es mit Ukraine-Kennern in Deutschland statt. der alten Kräfteverhältnisse: Der Sieg Wiktor der Ukraine zu retten, was noch zu retten kann sich sicher sein, dass der Westen Kiew Ihr Blick auf das osteuropäische Land reflek Janukowytschs in der Stichwahl gegen Julija war. Nach Absetzung der legitimen Krim-Re militärisch nicht zur Seite stehen wird, sollte es tiert nicht nur sein jahrzehntelanges Ringen Timoschenko rückte die Ukraine wieder ein gierung und ersten gewaltsamen Ausschrei zu einer Verschärfung des Konflikts im Don um Neuausrichtung, Modernisierung und Stück weit gen Osten. Und sie wurde wieder tungen in der Krim-Hauptstadt Simferopol bass kommen. So droht jede weitere Eskalation Selbstbestimmung angesichts tiefer kulturel autoritärer. Um von seinen eigenen korrup besetzten russische Armeeangehörige hand dieses niederschwelligen Konflikts zu einem ler und sozialer Spannungen. Die Analysen ten Machenschaften abzulenken, wandte sich streichartig ukrainische Militärstützpunkte ausgewachsenen Stellvertreterkrieg zwischen und Meinungen unserer Interviewpartner Janukowytsch zunächst gegen seine einstige sowie wichtige Infrastrukturknotenpunkte auf Russland und dem Westen zu werden. sind zugleich eine Momentaufnahme zum politische Widersacherin und ließ Julija der Halbinsel. Hastig ließ Putin die Mario Zustand Europas und „des Westens“. Von Timoschenko wegen Korruptionsverdachts nettenregierung in Simferopol für den 16. Gleichzeitig wächst sowohl im Land als auch beiden – einer aktiven Zivilgesellschaft wie den Prozess machen. Weil das Verfahren und März 2014 ein Referendum einberufen, um in der internationalen Gemeinschaft die einer interessierten europäischen Öffentlich die Haft weder menschenrechtlichen noch die Bevölkerung der (autonomen) Krim über Befürchtung, dass der Reformwille nachlässt keit – wird abhängen, in welche Richtung sich rechtsstaatlichen Grundsätzen genügten, einen Anschluss der Halbinsel an die Russische und die hohen Erwartungen der Bevölkerung die Ukraine entwickeln wird. Auch Deutsch setzte Brüssel zeitweise die Verhandlung des Föderation abstimmen zu lassen. Nur zwei an die strukturellen Veränderungen des Landes land – wie die Europäische Union insgesamt – 18 19 EU-Assoziierungsabkommens mit Kiew aus. Tage nach dem Referendum wurde im Kreml zunehmend enttäuscht werden. wird von dieser Richtungsentscheidung nicht Währenddessen verfolgte Janukowytsch eine ein entsprechender Vertrag zum Beitritt der unberührt bleiben. immer widersprüchlichere Schaukelpolitik Krim sowie der Stadt Sewastopol zur Rus Vor diesem – durchaus ernüchternden – zwischen Moskau und Brüssel, die seinen sischen Föderation geschlossen und schließlich Hintergrund fanden zwischen September innen- wie außenpolitischen Handlungsspiel am 21. März 2014 vom russischen Födera und November 2017 insgesamt 44 Gespräche raum immer weiter einschränkte. tionsrat ratifiziert. Unmittelbar danach begann die verdeckte Intervention russischer Milizen Als Moskau Kiew aufgrund seines EU-Kurses in der Ostukraine mit dem Ziel, den Ostteil mit Wirtschaftssanktionen unter Druck setzte des Landes aus dem ukrainischen Staatsver und damit den Beitritt der Ukraine zur Eura bund herauszulösen. sischen Zollunion erzwingen wollte, suspen dierte die ukrainische Regierung unter Minis Allen Beteiligten war klar, dass dies das Ende terpräsident Mykola Asarow am 21. November der europäischen Sicherheitsordnung bedeu 2013 kurzerhand die Unterzeichnung des tete, wie sie 1990 in der Charta von Paris nie EU-Assoziierungsabkommens. Es war dies der dergelegt worden war. Unklar jedoch war, wo Beginn der Massenproteste auf dem Kiewer diese eskalierende Gewalt enden würde. Derart Maidan. Nach wochenlanger Belagerung des dynamisch hatte sich europäische Geschichte Kiewer Maidans gingen am 18./19. Februar zuletzt im Oktober und November 1989 ent 2014 Sondereinheiten des ukrainischen Innen wickelt, als es nach monatelangen Protesten in ministeriums gewaltsam gegen die Protestie Ostdeutschland zum Fall der Berliner Mauer renden vor. Im Kugelhagel der Berkut-Einhei und dem Sturz des SED-Regimes gekommen ten fanden 80 Menschen den Tod. war. Danach überschlugen sich die Ereignisse: Heute, vier Jahre nach dem Euromaidan, ist Während Wiktor Janukowytsch nach dem die Ukraine im geopolitischen Niemandsland Massaker auf dem Maidan über seinen zwischen Ost und West angekommen. Moskau Heimat-Oblast Donezk nach Moskau floh, hat zwar seine militärischen und politischen
1. Ukrainebilder: Krim, Krieg, Krise, Korruption 21 I n Deutschland ist das Interesse an der Ukraine äußerst volatil, das Ukraine-Bild durchsetzt von Stereotypen und pauschalen Zuschreibungen. Während die öffentliche Aufmerksamkeit zwischen Desinteresse in Zeiten der vermeintlichen Ereignislosigkeit bis hin zu solidarischer Anteilnahme in Zeiten der Krise schwankt, verortet sich das stereo type Bild der Ukraine entlang der vier „K“: Krim, Krieg, Krise, Korruption. Tenor ist: „Deutschland nimmt die Ukraine vor allem als Land der Krise und des Krieges wahr. Andere Meldungen schaffen es kaum in die deutschen Medien. Vielleicht noch Korruption und Reformstau. Aber über das bereits Erreichte und die neuen Gestaltungsräume für die junge Generation erfährt man nichts.“ Ohnehin sei „das Wissen über die Ukraine „Die Diskussion in Deutschland ist viel zu stark in Deutschland von vielen Missverständ eine Problematisierungsdebatte. Wenn man es nissen geprägt“, erklärt ein junger Osteuro umdreht und das enorme Potenzial der Ukraine, pa-Experte. Das reicht von den russischen die in der überwiegenden Mehrheit proeuropäisch ist, in den Mittelpunkt stellt, dann reden wir von Herrschaftsansprüchen über die Krim bis hin einem Land im Aufbruch, das die EU enorm zu den düsteren Kolportagen über faschistische stärken könnte.“ (856) Einflüsse im Land.“
Ukrainebilder: Krim, Krieg, Krise, Korruption „Die breite Bevölkerung in Deutschland geht „Deutschland nimmt die Ukraine vor allem als davon aus, dass in der Ukraine überall Ukrai Land der Krise und des Krieges wahr. Andere ner leben – außer im Osten und auf der Krim, Meldungen schaffen es kaum in die deutschen da leben Russen. Sehr viel differenzierter ist das Medien. Vielleicht noch Korruption und Re Bild in der breiten Öffentlichkeit nicht.“ (879) formstau. Aber über das bereits Erreichte und die neuen Gestaltungsräume für die junge Gene ration erfährt man nichts.“ (661) 22 23 Solche Zerrbilder gingen auf die russische „Viele Deutsche halten Tschaikowsky ja auch Einige Interviewpartner gewähren ei nationalistisch orientiertes Land, das ohne den Medien- und Propagandapolitik der Jahre für einen Polen“ – allesamt beredte Beispiele nen Einblick in ihre eigene, schrittweise Euromaidan niemals eine europäische Pers 2014/2015 zurück. Insofern habe Russland weit verbreiteter Unkenntnis und Ignoranz, Ukraine-Annäherung – an ein völkerrechtli pektive bekommen hätte.“ Und eine andere sein Ziel der Desinformation und illegitimen so die Ansicht zahlreicher Interviewpartner. ches Subjekt, das auch für sie seinerzeit kaum Gesprächspartnerin lässt uns an einem Er Einflussnahme durchaus erreicht, glaubt ein fassbar gewesen sei: „In der Schule habe ich in weckungserlebnis ganz anderer Art teilhaben: Berliner Medienschaffender. So gehe die breite Deutsche scheinen sich die Ukraine vor Verbindung mit der Ukraine zwar etwas von „Als ich zum ersten Mal in Lemberg war, hatte Bevölkerung in Deutschland etwa davon aus, allem über Russland zu erschließen. „Für Landwirtschaft und Kornkammer Europas ich den Eindruck, postsowjetische Menschen „dass in der Ukraine überall Ukrainer leben – die gewöhnlichen Deutschen ist die Ukraine gehört, aber als eigenständiges Land habe ich laufen durch Österreich.“ Stets ist es die eigene außer im Osten und auf der Krim, da leben ein unbekanntes Land, das oft als Teil der die Ukraine erst wahrgenommen, als ich schon Brille oder ein verzerrendes Prisma, das den Russen“. Sowjetunion, später Russlands gesehen berufstätig war.“ Blick der Menschen auf die Ukraine formt; wird. Die ukrainische Sprache und Kultur unbefangene, wertfreie Beobachtungen sind Überhaupt glänzten die Deutschen nach werden als lokale Variante der russischen Ähnlich formuliert es eine Politikerin mitt kaum anzutreffen. Ansicht der Befragten vor allem durch Kultur betrachtet.“ Die Vorstellung einer leren Alters: „Bis Mitte der 1990er Jahre Unwissen: „Wenn ich in meinem Umfeld zur von Russland unabhängigen Ukraine ist also habe ich die Ukraine nicht als eine eigene Überhaupt wabert über allem die dumpfe Ukraine angesprochen werde“, so eine der keineswegs ein Gemeinplatz. „Erst langsam Nation wahrgenommen. Die nationalen Notion einer ernüchternden, postsowjetischen Befragten, „dann werden dort oft sehr undif wächst in Deutschland ein Bewusstsein, dass Töne, die ich in Kiew hörte, fühlten sich eher Perspektivlosigkeit – der politischen und ferenzierte Wahrnehmungen deutlich. Oft die Ukraine nicht Russland ist.“ Wohl sei unangenehm an. Das hat sich dann aber bei wirtschaftlichen Stagnation wegen und auf wird ein sehr schablonenhaftes Bild gezeich den meisten Deutschen bewusst, „dass in der mir erheblich gewandelt. Später haben die grund der schleppenden Reformbemühungen net. Und nicht selten wird die Ukraine noch Ukraine so etwas wie eine Schlacht zwischen Orange Revolution und der Maidan emotional (Dezentralisierung, Antikorruption, Justiz-, immer als Teil Russlands oder der ehema Ost und West stattfindet“; gleichwohl viel ausgelöst.“ Und offenbar gebe es auch Polizei- und Gesundheitswesen etc.). Weithin ligen Sowjetunion gesehen.“ Und ein anderer wünschten sich manche hierzulande eine unterschiedliche Sichtweisen auf die Ukraine wird die Ansicht vertreten, dass „vor allem die beklagt: „Die Deutschen wissen sehr wenig neutrale Ukraine zwischen Russland und der zwischen Ost- und Westdeutschen: „Mir fällt korrupten und unzuverlässigen politischen über die Ukraine, ihre Geschichte und ihre EU. „Da fehlt es oft an Verständnis, dass die auf“, so ein Berliner Medienschaffender, der Entscheidungsträger das ukrainische Image Probleme. Dass dieses Land so groß ist und Ukraine unabhängig und für ihre Entwick mit einer Ukrainerin verheiratet ist, „dass oft im Ausland verderben“. Dieses Negativ-Image mehr Atomwaffen als Russland hatte, weiß lung selbst verantwortlich sein will, so wie ältere Menschen aus der Ex-DDR glühende habe Auswirkungen bis hin zu der Frage, ob hier kein Mensch. Die Ukraine ist für die jedes andere Land.“ Putinisten und Russlandversteher sind. Sie die Deutschen bereit wären, die Ukraine in Deutschen weit weg“, so einer der Befragten. betrachten die Ukraine als ein rechtsradikales, ihrem Unabhängigkeitsstreben notfalls mit
Ukrainebilder: Krim, Krieg, Krise, Korruption Rüstungsgütern zu unterstützen: „Wäre die Ukraine genauso transparent wie Estland, wäre „Für mich ist der Euromaidan neben dem es viel leichter, in Deutschland zu argumen Mauerfall das Größte, was ich politisch-his tieren, der Ukraine mit defensiven Waffen zu helfen.“ torisch miterleben durfte.“ (686) Letztlich erwarten sich die befragten Ukraine-Kenner mehr Solidarität und Aufmerksamkeit für ein Land, das in seiner Stabilität und Integrität bedroht ist: „Die Haltung (der Deutschen) zur Ukraine ist eher skeptisch und wenig wohlwollend. Man würde eigentlich etwas anderes gegenüber einem Land erwarten, das um seine Unabhängigkeit 24 25 und für demokratische Strukturen kämpft.“ Rolle. „In Deutschland hat der Euromaidan Erlebnis war, liest man nicht nur zwischen den Die Erwartungshaltung jener, die die Verhält die Wahrnehmung über die Ukraine stark Zeilen: „Was mich unglaublich geprägt hat, nisse in der Ukraine eng begleiten, ist also beeinflusst und auch geändert“, schildert ein sind die Ereignisse der Orangen Revolution „mehr Solidarität“. „Die erste Assoziation, junger Mann seine Eindrücke. „Mittlerweile und auch meine Anwesenheit auf dem Maidan die ich mit der Ukraine verbinde, ist Solida unterscheiden die Menschen zwischen der im Januar und Februar 2014. Ich war bei den rität – Solidarität, die sie von uns Europäern Ukraine als eigenständigem Land und Russ Barrikaden dabei.“ verdient. Denn die Ukraine ist ein spannendes land.“ Und ein anderer ergänzt: „Die Bezie Land mit großem Potenzial in so vielen Berei hung zur Ukraine hat sich infolge des Maidans Diese Ereignisse haben die Ukraine für chen.“ Leider sei die „Sympathie-Ressource“ verändert – es interessiert, was die Ukraine lange Zeit in den Mittelpunkt der medialen der Deutschen gegenüber der Ukraine nicht wohl für ein Land ist. Man hat angefangen, Berichterstattung gerückt. Und „durch die allzu groß; „wir haben mehr Verständnis für die Ukraine als eine selbstständige Einheit Bemühungen, im Gespräch zu bleiben, durch Russland und zu wenig positive Erfahrung mit wahrzunehmen.“ Reisen der Außenminister, Präsidenten, Poli ukrainischen Politikern.“ Ohnehin betrachte tiker und Bürgermeister rückte die Ukraine man die Ukraine in Brüssel derzeit eher als Aber die Kiewer Ereignisse des Winters stärker ins Bewusstsein“. Summa summarum: finanzielle und politische Belastung, „deren 2013/2014 haben nicht nur das Bild der „Das Medienbild der Ukraine ist deutlich EU-Mitgliedschaft zu anstrengend und zu Ukraine hierzulande verändert; sie haben auch vielfältiger und informierter geworden. Was kompliziert wäre“. die Menschen selbst geprägt. So erklärt eine aber die breite Bevölkerung betrifft, so ist Frau: „Das erste politische Ereignis, an das sich diese noch immer eklatant unterinformiert.“ Euromaidan: Wandel der Wahrneh meine Kinder erinnern werden, wird nicht Und der Berliner Gesprächspartner ergänzt – mungen die Bundestagswahl 2013 sein, sondern der durchaus ernüchtert: „Aber das trifft wohl für Euromaidan und Putin.“ Und ein Befragter die allermeisten Länder zu …“ Der Euromaidan hat zu einer veränderten und aus München ergänzt beinahe euphorisch: differenzierteren Wahrnehmung der Ukraine „Für mich ist der Euromaidan neben dem Doch obwohl die Deutschen nach Ansicht in Deutschland geführt – schließlich war das Mauerfall das Größte, was ich politisch-his vieler Befragter nun besser über die Ukraine EU-Assoziierungsabkommen der Auslöser torisch miterleben durfte.“ Ein anderer Mann informiert sind, sich ein differenzierteres Bild für den Konflikt und Deutschland spielte in „Meine Freunde haben viele Stereotype über die war seinerzeit während der Proteste auf dem machten und anerkannten, dass die EU und der Konfliktschlichtung eine maßgebliche Ukraine. Das hat sich nach 2014 gewandelt.“ (499) Maidan zugegen; wie eindrücklich dieses Deutschland nun eine größere Verantwortung
Ukrainebilder: Krim, Krieg, Krise, Korruption Donbass-Ukrainer verdienen mehr Solidarität Einige der Gespräche thematisierten auch die Ansicht, dass man den Konflikt im Donbass Lage der Menschen in der Ostukraine – jenem nicht militärisch lösen könne, sondern nur, Teil des Landes, der seit dem Frühjahr 2014 indem die Ukraine das attraktivere Modell von Separatisten regiert wird und dessen anbiete; letztlich stehe man mit Russland in Bevölkerung bis heute unter kriegerischen einem „Wettbewerb der Lebensstandards“. Das Auseinandersetzungen zu leiden hat. könne „ein sehr langer Weg werden“. Der Blick auf diese Region ist von Resi Tatsächlich aber interessiere Kiew die Lage gnation, aber auch einem hohen Maß an der Menschen in der Ostukraine nicht wirk 26 Solidarität für die notleidende Bevölkerung lich – was über kurz oder lang Folgen für 27 gekennzeichnet. Es sei schon zutreffend, so den inneren Zusammenhalt des Landes haben gegenüber der Ukraine haben, könnte diese ein älterer Gesprächspartner aus Berlin, dass werde: „Solange sich Kiew nicht um die Le Perspektive schon bald wieder verblassen. im Donbass ein „kriminelles Regime“ herrsche; bensqualität der Menschen in der Ostukraine Denn die Trägheit der politischen Reformen aber es sei wichtig, die Bevölkerung „nicht kümmert, ist es diesen Menschen doch in der Ukraine desillusioniere: „Als ich im zu kriminalisieren“. Nicht alle verstünden, egal, von welcher korrupten Elite sie regiert September 2015 erstmals in die Ukraine ge „dass im Osten die gleichen Menschen mit werden. Warum sollte der Osten des Landes fahren bin, hatte ich aufgrund der Maidan-Er den gleichen Interessen und Wünschen leben“. den Westbindungsambitionen Kiews folgen, eignisse eine sympathisierende Grundhaltung. Stattdessen würden „diese Leute auf die rus- wenn es ihm perspektivisch dadurch nicht Doch nach meinen Gesprächen war ich sische Seite verschoben“ und suggeriert, sie besser geht?“ ernüchtert – wegen der vielen Schwierigkeiten, seien keine wahren Ukrainer. Dasselbe gelte das Land zu verändern.“ Dabei sei doch das für die Menschen auf der Krim. Eine ähnliche Erfahrung hat auch ein Ham- EU-Assoziierungsabkommen eine Chance, die burger Wissenschaftler gemacht, als er im „Revolution der Würde“ zu einem Erfolg zu Häufig höre man, dass die Menschen in der Osten der Ukraine reiste: „Ich habe in Krama- machen und die Ukraine zu modernisieren, Ostukraine „Angst vor Kiew“ hätten und torsk und Slowjansk mit den Leuten gespro- umzugestalten. Repressalien fürchteten, sollte die Ukraine chen“, erzählt er. „Der Tenor war: ‚Es ist uns einmal wieder in Einheit zusammengeführt vollkommen egal, ob wir Russen oder Ukrai Die Folge: Das mediale Interesse – und werden. Aber „die aggressive Politik Kiews ner sind. Wir wollen unsere Ruhe haben.‘“ Man damit die Aufmerksamkeit der deutschen wird zu einer immer stärkeren Entzweiung wolle nur ein normales Leben führen. Öffent-lichkeit für die Ukraine – nimmt führen“. Das Gegenteil sei notwendig, um die Dass sich die Region nun zusehends von kontinuierlich ab. „Die Ukraine spielt in den Einheit des Landes zu bewahren: „Die Grenz- Kiew abwende, erkläre sich zum Teil auch Medien keine besondere Rolle mehr.“ Noch „In Deutschland wird die Ukraine oft mit Krieg territorien in der Ostukraine müssen bewusst aus der Wirtschaftspolitik Kiews der letzten könne sich die Ukraine als Opfer darstellen und Krise gleichgesetzt. Aufgrund der Nachrichten ökonomisch mehr gefördert werden als andere Jahrzehnte: „Aus dem Donbass wurde schon und so auf internationale Unterstützung fragen sie, wie man denn dorthin fliegen kann Gebiete. Sie sollten Schaufenster gegenüber immer viel herausgeholt, aber nicht viel hoffen. Aber das sei für die Zukunft zu wenig: und ob ich eine schusssichere Weste tragen muss, Russland und den Separatisten sein.“ hineingesteckt“, weiß eine Berliner Beobach- „Es braucht ein positives Image – und das kann man nur mit offener Kommunikation wenn ich dort bin. Vielen ist nicht klar, dass der Krieg nur in einem kleinen Teil des Landes Auch ein Berliner Wissenschaftler ist der terin. > erreichen.“ stattfindet.“ (872)
Ukrainebilder: Krim, Krieg, Krise, Korruption Dahingegen kritisiert ein anderer Beobachter sion darüber, ob eine Teilung des Landes in Berliner Journalist, „dass die prorussischen traum in der Ostukraine eines Tages zu einem die andauernde Fokussierung auf die Lage in einen (russophilen) Ostteil und einen (euro- Landesteile künftig nicht mehr über die guten Ende führe – selbst wenn der Preis der Ostukraine und spricht von einer „Don- philen) Westteil nicht die beste Lösung sei. Zukunft des Landes mit abstimmen können“. dafür der Verlust der Krim sei: „Das Szenario bassisierung“ der Debatte über die Zukunft Nur wenige Beobachter glauben, dass die in zehn Jahren ist, dass Russland nicht mehr der Ukraine. Keine Frage: Die Abkommen von Denn tatsächlich drifte das Land inzwischen Teilung des Landes auch Vorteile mit sich in der Ostukraine und die Krim nicht mehr Minsk seien wichtig, „aber die Reformen sind weiter auseinander als zu irgendeinem bringen würde – wenn überhaupt, dann bloß autonom ist, sondern ein unabhängiger Staat“, noch wichtiger für die Zukunft des Landes. anderen Zeitpunkt seiner jüngeren Ge für den Westteil der Ukraine. so ein Berliner Journalist. Beides muss parallel laufen.“ Die Regierung schichte. Das Land sei „innerlich gespalten Eher überwiegt die Hoffnung, dass der Alp- in Kiew könne nicht länger den Krieg im in einen Teil, der in den Krieg hineingezogen Donbass als Entschuldigung für eine Ver- wurde, und den, der verschont wurde“. Der 28 schleppung der dringend benötigten Reformen im Frieden lebende Landesteil setze sich mit 29 heranziehen. dem Krieg nicht genügend auseinander, so eine Berliner Politikerin. „Wer den Krieg nicht All das macht aus Sicht der Interviewpartner kennt, versteht auch nicht die aktuelle Lage, deutlich, dass dem Land eine aktive Debatte in der sich das Land befindet.“ Angesichts Zur Rolle deutscher Medien: Mehr ten über die Ukraine kommen in Deutschland über die Zukunft des Donbass innerhalb einer dieser Lage sei die Herausbildung einer Qualität, mehr Themen, bitte! immer erst, wenn es eine Krise gibt.“ geeinten Ukraine fehle: „Ich fand es total nationalen Identität beinahe unmöglich. Als Petro Poroschenko 2014 Präsident wurde, Nach Ansicht zahlreicher Befragter spielen die Während des Euromaidans hätten deutsche erschreckend, dass es bei den meisten In- habe man noch von einer vereinten Ukraine deutschen Medien eine entscheidende Rolle Medien keine eigenen Korrespondenten in tellektuellen der Westukraine überhaupt kein bei der Erzeugung von Ukraine-Bildern in der Kiew gehabt; die Ukraine sei vor allem von Bewusstsein dafür gab, dass man mit der gesprochen, so ein junger Osteuropa-Experte deutschen Öffentlichkeit. den Korrespondentenbüros in Warschau oder Bevölkerung der Ostukraine die Kommunika- aus München. Aber seitdem sei die Spaltung tion suchen muss.“ des Landes rapide vorangeschritten. Seine Moskau abgedeckt worden. Das habe anfangs Wohl wissend, dass Medien ereignisgetrieben bisweilen auch das Bild geprägt, das von dem Vermutung: „Die mobilisierende Kraft des sind und auch heute noch immer der jour Konflikt gezeichnet worden sei. Auch heute, Stattdessen gebe es spätestens seit der Krieges scheint nicht stark genug zu sein, um nalistische Glaubenssatz „Allein schlechte vier Jahre nach den Maidan-Ereignissen, ar Orangen Revolution 2004 eine – vor allem im Trennendes zu überwinden.“ Nachrichten sind gute Nachrichten“ gelte, the beiteten nur zwei deutsche Journalisten in der Westen des Landes geführte – Debatte über matisierten viele Interviewpartner die Rolle der Ukraine. „Leider fällt es denen schwer, einen eine mögliche Abspaltung der Ostukraine: Andere Beobachter, wie ein ostdeutscher Medien als gesellschaftliche Meinungsmacher. Platz für ihre Artikel in den Printmedien zu „In der Intelligenzija gibt es durchaus Dis Wissenschaftler, glauben, dass der Krieg die kurse, die auf einen Verzicht des Donbass Teilung des Landes weiter vorangetrieben bekommen, da kein Interesse an dem Land beste Besonders pointiert artikulierte ein Berliner ht.“ Und weil das Gros der Berichterstattung hinauslaufen. Aber das ist aus Gründen der habe; „in den 1990er Jahren war die Ukraine Medienschaffender seine Wahrnehmungen: über die Ukraine auch weiterhin aus Moskau Solidarität und wegen des gezahlten Blutzolls ein geeinteres Land“. „Das Jahr 2015 war ein Gelegenheitsfenster für und Warschau abgewickelt werde, schließe sich völlig undenkbar. In der Bevölkerung würde Aus diesen Stimmen ist eine tiefgreifende mehr Aufmerksamkeit in Deutschland.“ Dies der Kreis: In der täglichen Berichterstattung das als Verrat am eigenen Volk wahrge- Verunsicherung ob der Aussicht auf eine habe sich aber bereits wieder geschlossen. De falle die Ukraine eben „hinten runter“. nommen.“ Doch offenbar beschreiben diese geeinte Ukraine herauszuhören – eine Verun- swegen sollte man sich aber nicht wünschen, Wahrnehmungen tieferliegende Phänomene: sicherung, die sich bei manchem in Zynismus Seit langem gibt es eine (inoffizielle) Diskus- entlädt: Kiew könne doch „froh sein“, so ein > „dass etwas Schlimmes in der Ukraine passiert, nur um mehr Aufmerksamkeit in Deutschland Stellten der Maidan, die Krim-Annexion und der darauffolgende Krieg in der Ostukraine zu bekommen“. Und ein anderer: „Nachrich die Höhepunkte der medialen Berichterstat
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