EU-Strategien zur Geschlechter- und Lohngleichstellung und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise
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AUFSÄTZE wsi mitteilungen 1/2015 EU-Strategien zur Geschlechter- und Lohngleichstellung und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise Seit mehreren Jahrzehnten haben die Europäische Kommission und Institutionen auf europäischer Ebene eine Führungsrolle bei der Förderung von Maßnahmen zur Gleich- stellung der Geschlechter in der Europäischen Union (EU) übernommen. Obwohl hierbei der Gender Pay Gap1 das relevante Maß für die Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt wäre, wurde das geschlechtsspezifische Lohngefälle vielfach nur nachrangig oder gar nicht thematisiert. Und selbst in „progressiveren Phasen“ der EU-Gleichstellungs- politik dominierte das Interesse an Maßnahmen zur Steigerung der (Frauen-)Erwerbsbetei- ligung. Der Ausbruch der Wirtschaftskrise ist eine weitere Erklärung dafür, dass wir es der- zeit mit einer fragilen Gleichstellungspolitik zu tun haben und es an belastbaren Strategien zur Entgeltgleichheit im Rahmen der europäischen politischen Architektur fehlt.2 MARK SMITH, PAOL A VILL A re Entwicklung der EBS führte jedoch zu einem zunehmen- 1. Einleitung den Verlust der Sichtbarkeit von Gleichstellungsaspekten, der schließlich im endgültigen Verschwinden des Gender- Die Koordinierung der Beschäftigungspolitik auf EU-Ebe- Mainstreaming in der Neuformulierung der EBS-Strategie ne existiert seit 1997, als die Europäische Beschäftigungs- im Jahr 2010 gipfelte. Die im Kontext der Wirtschaftskrise strategie (EBS) gestartet wurde. Seitdem beeinflusst sie das vorgenommenen politischen Richtungsänderungen sowie politische Denken und veranlasst Regierungen zur Imple- das schwindende Engagement der europäischen Instituti- mentierung arbeitsmarktpolitischer Reformen. Vor dem onen führten schließlich zu weiteren negativen Folgen für Diese Datei und ihr Inhalt sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Verwertung (gewerbliche Vervielfältigung, Aufnahme in elektronische Datenbanken, Veröffent- Hintergrund demografischer Herausforderungen ist es das die Gleichstellung (Villa/Smith 2013). Diese Veränderun- ultimative Ziel der EBS, ein möglichst hohes Beschäfti- gen spiegeln sowohl die Umstrukturierung des Rahmens gungsniveau zu erreichen. Da jedoch eine Steigerung der der EBS als auch neue länderübergreifende Governance- Erwerbsbeteiligung nicht ohne eine höhere Frauenerwerbs- Strukturen zur Bewältigung der finanziellen und wirtschaft- quote zu erzielen ist, müssen zur weiteren Förderung der lichen Aspekte der Krise wider, nicht zuletzt hinsichtlich Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt geschlechts- der Bedingungen für Finanzhilfeprogramme in bestimmten spezifische Ungleichheiten beseitigt werden. Diese Aus- Staaten. Die Risiken für ungleiche Bezahlung haben sich gangsüberlegung hat die Europäische Beschäftigungsstra- somit erhöht, während gleichzeitig der Stellenwert der Ent- lichung online oder offline) sind nicht gestattet. tegie (EBS) zeitweilig bestimmt und somit (bestimmte) geltgleichheit bei der Politikgestaltung ausgehöhlt wurde. Gleichstellungsaspekte integriert. Im Gegensatz dazu fan- Dieser Beitrag bietet eine kritische Analyse des EU- den geschlechtsspezifische Ungleichheiten mit schwächeren Engagements für die Gleichstellung der Geschlechter Bezügen zu den Beschäftigungszielen weniger Beachtung. Und tatsächlich sind auch die vorhandenen Lohnungleich- © WSI Mitteilungen 2015 heiten zwischen Frauen und Männern eine Art „blinder 1 in der deutschen Debatte hat sich zunehmend der Begriff Fleck“: direkt auf das geschlechtsspezifische Lohngefälle „gender Pay gap“ durchgesetzt; synonym wird auch „ge- gerichtete Maßnahmen wurden nur selten diskutiert, ge- schlechtsspezifisches lohngefälle“ oder „geschlechtsspe- fördert oder verabschiedet. zifische entgeltlücke“ verwendet. Gleichwohl war das Engagement für die Gleichstellung 2 Übersetzung aus dem englischen: sebastian streb. der Geschlechter im Erwerbsleben in den frühen Phasen Die Autoren danken Christina Klenner und den anonymen der Europäischen Beschäftigungsstrategie hoch. Die weite- gutachtern für ihre hilfreichen Kommentare. https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 13 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
AUFSÄTZE im Rahmen der EBS und untersucht den Einfluss europä- und Peer Review, Monitoring und den Austausch von be- ischer Entscheidungen auf die Gleichstellungspolitiken der währten Verfahren („best practices“) (siehe auch Maier in Mitgliedstaaten, wobei der Fokus auf der Entgelt(un)gleich- diesem Heft). Dementsprechend geben die Beschäftigungs- heit zwischen Frauen und Männern liegt. Abschnitt 2 gibt leitlinien und die länderspezifischen Empfehlungen einen einen Überblick über die EBS sowie die Rolle der Gleich- Hinweis auf die Ausrichtung des EBS-Projekts und die zu stellungspolitik und die Bedeutung der Entgeltgleichheit. dieser Zeit geltenden Prioritäten. In Abschnitt 3 untersuchen wir die sich verändernde Rol- Die implizite Annahme des EBS-Rahmens besteht dar- le der Gleichstellung der Geschlechter während der gesam- in, dass niedrige Beschäftigungsquoten mit den Charakte- ten Entwicklung der EBS – mit einem besonderen Augen- ristika der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Zusam- merk auf den Aspekt ungleicher Bezahlung – anhand menhang stehen. Daher fußen die politischen Rezepte auf offizieller Dokumente. Abschnitt 4 zeigt gleichfalls anhand einem angebotsorientierten Ansatz, der regulatorischen von EU-Dokumenten und Policy Reviews die politischen und aktivierenden Maßnahmen zur Förderung des Eintritts Richtungsänderungen im Hinblick auf Löhne während der in das Berufsleben eine Schlüsselrolle zuweist, und der spe- Krisenphase 2008-2012 auf. Abschnitt 5 betrachtet ab- ziell auf Frauen zielt. Der angebotsorientierte Ansatz be- schließend die geringen Fortschritte bei der Verringerung deutet, dass sich die Politikempfehlungen in erster Linie mit des Gender Pay Gap und benennt Herausforderungen für der Beseitigung von Hindernissen für Frauenerwerbstätig- die Zukunft. keit befassen (durch flexible Arbeits[zeit]gestaltung, Teilzeit, Kinderbetreuungsangebote), jedoch zu Geschlechterun- gleichheiten wie dem geschlechtsspezifischen Lohngefälle oder der Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt schweigen. Trotz der Defizite dieses Ansatzes wurde er aus 2. Die Europäische Beschäftigungs- Gender-Perspektive begrüßt, da die Notwendigkeit aner- strategie, Geschlechtergleichstellung kannt wurde, die Integration von Frauen in bezahlte Arbeit sowie die Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben und Entgeltungleichheit zu fördern (Rubery et al. 1999). Als die EBS erstmals aufgelegt wurde, waren die Erwar- Das goldene Zeitalter der europäischen Wirtschaft nach tungen hoch, hiermit Ungleichheiten zwischen den Ge- Ende des Zweiten Weltkriegs, das durch hohes Wirtschafts- schlechtern deutlich abbauen zu können. Tatsächlich hat wachstum und niedrige Arbeitslosigkeit geprägt war, wur- die EU in vielen Ländern die Entscheidungen nationaler de durch die Ölschocks der 1970er Jahre unterbrochen. politischer Entscheidungsträger beeinflusst und zur Verab- Nach einem Jahrzehnt, in dem sich die Politik insbesonde- schiedung und Umsetzung geschlechtersensibler politischer re auf hohe Arbeitslosenzahlen konzentrierte, markierte Maßnahmen beigetragen (Rubery et al. 2003). Jedoch mach- das Delors-Weißbuch aus dem Jahr 1993 einen Wendepunkt te sich später angesichts der ausgeblendeten Themen – ins- in der Debatte, indem es den Fokus auf geringe Beschäfti- besondere wegen der mangelnden Beachtung der Entgelt- gungsquoten richtete und versuchte, Arbeitsmarktpolitik ungleichheit – sowie aufgrund sukzessiver politischer mit anderen makroökonomischen keynesianischen Maß- Richtungsänderungen auf EU-Ebene, die zur fortschreiten- nahmen zu verknüpfen. Dieser Wandel rückte die niedrigen den Marginalisierung der Geschlechtergleichstellung führ- Frauenerwerbsquoten und bestimmte geschlechterbezoge- ten, auch zunehmend Ernüchterung breit (Villa 2013). ne Ungleichheiten klar und deutlich in den Fokus. Unsere Fokussierung auf politische Maßnahmen, die Die Gleichstellung der Geschlechter erfuhr durch diesen die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern an- Prozess einen beträchtlichen Schub, da die Integration von gehen, erlaubt es uns, die sich verschiebenden Schwerpunk- Frauen in den Arbeitsmarkt und die Förderung von Chan- te der Gleichstellungspolitik innerhalb der Europäischen cengleichheit als zentral erachtet wurden. Darüber hinaus Beschäftigungsstrategie in den Blick zu nehmen. Die un- waren die politischen Rahmenbedingungen günstig, ange- gleiche Bezahlung von Frauen und Männern ist eines der sichts einer kritischen Masse sozialdemokratischer Regie- greifbarsten Ergebnisse von Geschlechterungleichheiten rungen sowie bestimmter zentraler Stakeholder auf europä- und eine der am schwersten zu schließenden Lücken: Der ischer Ebene, die sich nach der vierten Weltfrauenkonferenz Gender Pay Gap bleibt ein anhaltendes Merkmal der Ge- in Peking 1995 rund um das Thema der Gleichstellung von schlechterungleichheit in der EU. Als ein statistischer Indi- Frauen und Männern zusammengeschlossen hatten (Villa kator zur Messung von Entgeltungleichheit zwischen Män- 2013; Stratigaki 2004). nern und Frauen spielt er eine entscheidende Rolle bei der Die EBS setzt sich aus unverbindlichen Beschäftigungs- Analyse von Geschlechterungleichheiten und liefert empi- leitlinien, Berichten der Mitgliedstaaten zu erzielten Fort- rische Belege für das Ausmaß von geschlechtsspezifischen schritten sowie länderspezifischen Empfehlungen zusam- Ungleichgewichten und Ungleichheiten auf dem Arbeits- men. Die Form der Steuerung, die sogenannte offene markt. Die direkte und indirekte Diskriminierung, der Man- Methode der Koordinierung, setzt auf Soft-Law-Mechanis- gel an beruflichen Aufstiegschancen, die horizontale und men, wie beispielsweise Politikempfehlungen, Benchmarking vertikale Segregation, die Konzentration von Frauen in 14 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
wsi mitteilungen 1/2015 schlecht bezahlten Jobs, die Unterbewertung und unvoll- nige entscheidende Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt ständige Ausschöpfung der Fähigkeiten von Frauen, ge- und darüber hinaus. Indem er die Differenz beim Stunden- schlechtsbezogene Ungleichgewichte in der Bildung, die lohn in den Blick nimmt, liefert er zwar eine standardisier- ungleiche Verteilung von häuslichen Aufgaben sowie Ste- te Kennzahl für einen Vergleich, erfasst jedoch keine mittel- reotype – all diese Faktoren sind mitbestimmend für Ent- und langfristigen Auswirkungen in der Erwerbsbiografie. geltungleichheiten. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle wird am Brutto- Im jüngsten Bericht der Europäischen Kommission zur stundenlohn für alle Voll- und Teilzeitbeschäftigte gemessen, Gleichheit zwischen Männern und Frauen heißt es: „Des- für alle Branchen errechnet und erlaubt einen Länderver- pite consistent efforts over decades, women are paid on gleich unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Anteils average 16 % less than men per hour of work. […] If current von in Teilzeit arbeitenden Frauen. Um aber die aus unter- convergence speeds continue, it will take more than 70 years schiedlicher Arbeitszeit und verschiedenen Karrieremustern to close the gender pay gap” (COM 2014, S. 18). Wie im resultierende Lohnungleichheit zu ermitteln, ist es darüber Bericht der belgischen Ratspräsidentschaft gut dokumen- hinaus notwendig, die Differenz auf Basis monatlicher (oder tiert ist (Council of the EU 2010), ist ungleiche Bezahlung jährlicher oder lebenslanger) Einkommen zu berechnen. In ein Merkmal, das die Situation von Frauen in sämtlichen der Tat ist ein großer Teil der geschlechtsspezifischen Diffe- Mitgliedstaaten unabhängig von unterschiedlichen wohl- renz beim monatlichen Einkommen auf die doppelte Benach- fahrtsstaatlichen Arrangements und Arbeitsmarktsystemen teiligung von Frauen zurückzuführen: die des niedrigeren charakterisiert. Nichtsdestotrotz gab es außer einer Verrin- durchschnittlichen Stundenlohns und ebenso jene, dass Frau- gerung der Entgeltungleichheit in den 1970er Jahren infol- en öfter in Teilzeit arbeiten (Council of the EU 2010, S. 25ff.). ge der europäischen Richtlinien zu „Equal Pay“ – also zur Häufigere Karriereunterbrechungen sind eine weitere zu be- gleichen Bezahlung von gleicher und gleichwertiger Arbeit rücksichtigende Benachteiligung, die zu größeren Einkom- – sehr wenig Bewegung beim Gender Pay Gap. Dieses Phä- menslücken im Laufe des Erwerbslebens von Frauen führt nomen ist insbesondere bemerkenswert, wenn man es mit und mit dem Risiko von unzureichenden Renten im Alter dem signifikanten Anstieg der Frauenerwerbsquote sowie einhergeht.3 Das geschlechtsspezifische Lohngefälle ist eine von Beschäftigungsmöglichkeiten und Ausbildungsniveaus bedeutende Determinante der ökonomischen Unabhängig- vergleicht und den Umstand berücksichtigt, dass Mädchen keit von Frauen, doch bei der Betrachtung der Unabhängig- in der Schule besser sind als Jungen und den Großteil der- keit von Frauen müssen wir die geschlechtsspezifischen Dif- er ausmachen, die eine Hochschulausbildung abschließen. ferenzen von monatlichen, jährlichen und lebenslangen Der Gender Pay Gap, wie er als „unbereinigter“ Indika- Einkommen berücksichtigen, da diese die kumulierten Nach- tor gemessen wird, bezieht sich auf den durchschnittlichen teile einer Karriere in einem vom Gender-Bias geprägten Unterschied beim Bruttostundenverdienst zwischen Frauen Arbeitsmarkt widerspiegeln. und Männern. Die unbereinigte Lücke erfasst viele der gen- Angesichts ihrer Bedeutung ist es möglicherweise über- derspezifischen Prozesse auf dem Arbeitsmarkt sowie jen- raschend, dass die Entgelt(un)gleichheit innerhalb der EBS seits der Erwerbssphäre, die zu Ungleichheiten zwischen weitgehend nebensächlich war. Ganz so, als ob sie nicht als Männern und Frauen führen (Whitehouse 2003; Smith ein entscheidendes Hindernis für den Zugang von Frauen 2012). Das alternative „bereinigte“ geschlechtsspezifische zu Arbeit und zur Verbreiterung der Beschäftigungsbasis Lohngefälle misst die Differenz, nachdem eine Reihe wei- angesehen wurde. Kurz gesagt, hat der verfolgte angebots- terer möglicher beobachtbarer Erklärungsfaktoren (wie z. B. orientierte Ansatz zu Politikempfehlungen geführt, die sich Alter, Ausbildung, Beruf, Dauer der Betriebszugehörigkeit) wesentlich mehr um die Beseitigung von Hindernissen für berücksichtigt wurden. Der Fokus auf dieses (kleinere) be- Frauen beim Zugang in den Arbeitsmarkt (d. h. Erleichte- reinigte geschlechtsspezifische Lohngefälle verdeutlicht, wie rung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie) als um die Diskriminierung weiter fortbesteht, wenn bestimmte Cha- Beseitigung von Hindernissen zur Gleichstellung von Frau- rakteristika berücksichtigt werden. Es ist wichtig zu beach- en auf dem Arbeitsmarkt drehen (d. h. Schließung des ten, dass diese Charakteristika ebenfalls durch die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern auf dem Arbeits- markt beeinflusst werden. Tatsächlich sind unterschiedliche Investitionen in die Ausbildung von Frauen und Männern, 3 eine jüngere schätzung zeigt, dass der geschlechtsspezifi- die individuelle Wahl von Berufen und Arbeitszeit (inklu- sche unterschied bei Renten beträchtlich ist: 39 % für die sive Teilzeit und Überstunden) sowie Karrieremuster auf eu-27, das heißt mehr als das doppelte des „unbereinig- dem Arbeitsmarkt selbst durch geschlechtsspezifische Pro- ten“ geschlechtsspezifischen lohngefälles (16 %). 17 der 27 länder weisen geschlechtsspezifische Rentenunter- zesse geprägt, die die Arbeitsmarktpartizipation, die Bewer- schiede auf, die bei 30 % oder höher liegen (enege tung von „Fähigkeiten“ durch Arbeitgeber sowie Einstel- 2013a). Zwischen den beiden werten existiert jedoch kein lungs- und Beförderungsprozesse beeinflussen. einfacher Zusammenhang: in manchen Fällen können Renten vorher existierende ungleichheit vermindern, Dennoch übersieht auch der unbereinigte Gender Pay während sie in anderen Fällen die ungleichheit vergrö- Gap, obwohl er die Auswirkungen zahlreicher ungleich- ßern, teilweise als nicht-intendierte nebenwirkung des heitsrelevanter geschlechtsspezifischer Prozesse erfasst, ei- Rentensystems. https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 15 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
AUFSÄTZE ÜBERSICHT 1 Wandel des Stellenwerts der Geschlechter- und Lohnungleichheit in der Europäischen Beschäftigungsstrategie Phase Entwicklung der Struktur der EBS und Länderspezifische Empfehlungen, Gemeinsame Beschäftigungsbe- Sichtbarkeit von Chancengleichheit und in denen die Lohnungleichheit richte (Anzahl der Wörter, die der Geschlechtergleichstellung zwischen Frauen und Männern Diskussion des geschlechtsspezifi- erwähnt wird schen Lohngefälles gewidmet wird) Phase 1 4 säulen At (2001; 2002) 325 wörter (1999) 1998 – 2002 18 – 22 Beschäftigungsleitlinien De (2001; 2002) 588 wörter (2000) (15 mitgliedstaaten) 1 säule (von 4) zu Chancengleichheit ee (2001; 2002) 874 wörter (2001) 3 leitlinien zu gender-themen Fi (2002) 969 wörter (2002) 1 horizontale leitlinie zu ie (2001; 2002) gender-mainstreaming wurde 1999 lu (2002) hinzugefügt uK (2000; 2001; 2002) Insgesamt: 6 mitgliedstaaten (von 15) 13 länderspezifische empfehlungen Phase 2 3 übergeordnete Ziele: At (2003; 2004) keine erwähnung (2003) 2003 – 2005 De (2003; 2004) 826 wörter (2004) (25 mitgliedstaaten im Jahr – Vollbeschäftigung Fi (2003) 2004) ie (2003; 2004) – Arbeitsplatzqualität und lu (2003; 2004) Arbeitsproduktivität nl (2003; 2004) Pt (2003; 2004) – sozialer Zusammenhalt und ein uK (2003; 2004) integrativer Arbeitsmarkt 10 Beschäftigungsleitlinien Insgesamt: 8 mitgliedstaaten (von 25) 1 leitlinie zu Chancengleichheit, einschließlich 15 länderspezifische des systematischen gender-mainstreamings empfehlungen neuer Politiken Phase 3 Die Beschäftigungsleitlinien und At (2009) 134 wörter (2005) 2005 – 2009 die Grundzüge der Wirtschaftspolitik CY (2007; 2008) 44 wörter (2006) (27 mitgliedstaaten im Jahr werden zusammen in einem einzelnen jährli- CZ (2007; 2008) 50 wörter (2007) 2007) chen set von „integrierten leit- sK (2007; 2008) 58 wörter (2008) linien” aufgeführt: 66 wörter (2009) 24 integrierte leitlinien, davon Insgesamt: 8 zu Beschäftigung 4 mitgliedstaaten (von 25 – 27) Keine leitlinie zu Chancengleichheit, aber 7 länderspezifische empfehlungen “equal opportunities, discrimination and gen- der mainstreaming” erwähnt in der Präambel (eC 2005, s. 29) Phase 4 10 integrierte leitlinien, davon At (2012) 50 wörter (2010) 2010 – 2020 4 zu Beschäftigung CY (2011) keine erwähnung (2011) (28 mitgliedstaaten im Jahr CZ (2011) 40 wörter (2013) 2013) keine leitlinien zu Chancengleichheit, aber insgesamt: “visible gender equality perspective” erwähnt 3 mitgliedstaaten (von 27) in der Präambel (eC 2010f) 3 länderspezifische empfehlungen Anmerkung: Analyse der länderspezifischen empfehlungen durch die Autoren. Quelle: Zusammenstellung der Autoren basierend auf smith/Villa (2012, s. 5). geschlechtsspezifischen Lohngefälles und Förderung wirt- schaftlicher Unabhängigkeit). Dieses schwache Engagement 3. Die Entwicklung der EBS und und der Mangel an wirksamen Maßnahmen zur Beseitigung Maßnahmen zur Verringerung der des Lohngefälles wurden mit den nachfolgenden Neufas- Lohnungleichheit sungen der EBS noch offensichtlicher. Die EBS wurde bereits mehrfach reformuliert. Die ur- sprüngliche Fassung stützte sich auf das Zusammentreffen gleichgesinnter politischer Entscheidungsträger zu einer Zeit, in der der wirtschaftliche, demografische und politi- sche Kontext günstig für ein frisches und innovatives be- 16 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
wsi mitteilungen 1/2015 schäftigungspolitisches Konzept mit einem echten Interes- 3.2 Die EBS und das geschlechtsspezifische se für die Gleichstellung der Geschlechter war. Diese Lohngefälle Gleichstellungspolitik befördernden Umstände waren je- doch nicht in Stein gemeißelt: Veränderungen des Kontexts Obwohl Entgeltunterschiede für Ungleichheiten zwischen und bei wichtigen Stakeholdern haben zu Neufassungen Frauen und Männern zentral sind, hatten sie in der for- geführt, in denen der Stellenwert der Gleichstellung jeweils malen Struktur der EBS einen eher randständigen Cha- zu- oder abnahm (Rubery 2013; Lewis 2006; Devetzi 2008; rakter. Dennoch enthielt die EBS in ihren frühen Phasen Pfister 2008; Smith/Villa 2010; Villa 2013). Es lassen sich direkte Verweise auf das geschlechtsspezifische Lohnge- vier verschiedene Phasen unterscheiden, die durch subs- fälle als ein Problem, das angegangen werden musste. In tanzielle Veränderungen in der Formulierung der EBS cha- Phase 1 (1999 – 2002) war vorgesehen, dass die Mitglied- rakterisiert sind (nach Säulen und Leitlinien). Übersicht 1 staaten „[…] geeignete Maßnahmen auf den Weg bringen, fasst diese Veränderungen zusammen: Die Spalten 1 und 2 um den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche bzw. zeigen den sich wandelnden Stellenwert der Geschlechter- gleichwertige Arbeit durchzusetzen und die Einkommens- gleichstellung innerhalb der offiziellen Fassung der EBS. Die unterschiede zwischen Frauen und Männern zu verringern“. Spalten 2 und 3 geben einige Hinweise auf die zunehmende In einem Zusatz von 2001 heißt es: „[…] Maßnahmen Marginalisierung der Politik der Entgeltgleichheit. Sie zei- zur Korrektur des geschlechtsspezifischen Lohngefälles sind gen die Aufmerksamkeit, die diesem Thema in den länder- sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor vonnö- spezifischen Empfehlungen und den jährlichen Gemeinsa- ten; die Auswirkungen einschlägiger politischer Maßnah- men Beschäftigungsberichten4 gewidmet wird.5 men sollten ermittelt und untersucht werden“. Insbesondere der EU-Gipfel von Stockholm im Frühjahr 3.1 Phasen der EBS 2001 bedeutete einen wichtigen Impuls für diesen frühen Fokus auf den Gender Pay Gap. So hieß es im Gemeinsamen In der ersten Phase zwischen 1997 und 2002 war Chancen- Beschäftigungsbericht 2001: gleichheit eine von vier Säulen mit drei Leitlinien zu Gen- „Die Schließung der geschlechtsspezifischen Lücke ist der-Fragen. Dass Chancengleichheit in der Überschrift eine Investitionen in einen produktiven Faktor. Das betrifft stand, begleitet von spezifischen geschlechtsbezogenen Zie- nicht nur eine wesentliche Ursache der Ungleichheit von len, sorgte für eine hohe Sichtbarkeit von Gender-Themen Männern und Frauen, sondern verbessert auch die Moti- (Rubery 2002; Fagan et al. 2006; Smith/Villa 2010). vation von Arbeitnehmerinnen, wodurch die Arbeitspro- Die zweite Phase von 2003 bis 2005 war von einer Straf- duktivität gesteigert werden kann, und trägt zur Aufhebung fung der EBS und der Aufnahme von zehn neuen Mitglied- der Geschlechtertrennung auf dem Arbeitsmarkt und zur staaten geprägt: Die Säulenstruktur wurde abgeschafft und Veränderung traditioneller Rollen bei“ (KOM 2001, S. 97). durch drei neue übergeordnete Ziele (Übersicht 1) und le- Diese frühe Akzentuierung verstärkte das in den Be- diglich zehn Leitlinien ersetzt, wobei die Geschlechter- schäftigungsleitlinien von 2003 genannte Ziel „[…] bis 2010 gleichstellung von einem übergeordneten Ziel in eine der das geschlechtsspezifische Lohngefälle in jedem Mitglied- Leitlinien umgewandelt wurde (Rubery et al. 2003; Devetzi staat mit Blick auf seine völlige Beseitigung beträchtlich zu 2008, S. 5). reduzieren; erreicht werden soll dies durch einen mehrdi- In Phase 3 zwischen 2005 und 2009 wurden zuvor ge- mensionalen Ansatz, in dessen Rahmen die Ursachen der trennte Berichterstattungsmechanismen zu Wirtschafts- geschlechtsbezogenen Lohnunterschiede angegangen wer- und Beschäftigungspolitik zu Nationalen Reformprogram- den, einschließlich der sektoralen und der beruflichen Se- men (NRP) zusammengefasst. Diese größere Neufassung gregation, der allgemeinen und der beruflichen Bildung, führte dazu, dass der Gender-Aspekt als gesonderte Leitli- der Arbeitsplatzbewertungs- und Lohnsysteme, der Sensi- nie wegfiel – ein erheblicher Schlag für den Status der Ge- bilisierung und der Transparenz.“ schlechtergleichstellung (Pfister 2008). Dieses spezifische Ziel war das Resultat einer gesonder- Die vierte Phase war durch das Ende des Lissabon-Pro- ten Leitlinie zur Gleichstellung der Geschlechter (die 2005 zesses im Jahr 2010 und die beginnende Formulierung einer entfiel). Diese Leitlinie bot auch einen Rahmen, innerhalb neuen Strategie gekennzeichnet. Die neue Europa-2020- dessen die Länder im jährlichen Gemeinsamen Beschäfti- Strategie drängte die Gleichstellung der Geschlechter weiter gungsbericht und in den länderspezifischen Empfehlungen an den Rand. Keine der zehn integrierten Leitlinien bezog hinsichtlich der im EBS-Prozess eingegangen Ver- sich speziell auf Chancengleichheit und lediglich vier be- zogen sich auf Beschäftigung. Darüber hinaus wurde das Gender-Mainstreaming fallengelassen (Smith/Villa 2012). 4 Der jährliche gemeinsame Beschäftigungsbericht ist ein Zudem fiel diese Neuformulierung mitten in die Krise und weiteres Dokument, in dem der Rat und die Kommission damit in eine Phase, in der sich politische Entscheidungs- schwerpunkte, Best Practices und Problembereiche be- nennen. träger primär auf den unmittelbaren Einfluss der Strate- gie auf männliche Beschäftigung konzentrierten (Bettio/ 5 Die vorgenommene Analyse bezieht sich auf die englisch- Verashchagina 2013; Villa/Smith 2013). sprachigen Dokumente. https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 17 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
AUFSÄTZE pflichtungen zur Verantwortung gezogen werden konnten. Weise wurde auch die Frage von Entgeltungleichheiten zu- Konkrete Maßnahmen der Kommission und der Mitglied- nehmend in parallele politische Maßnahmen des europäi- staaten zur Schließung der geschlechtsspezifischen Lohn- schen Projekts abgeschoben und an den Rand gedrängt. Am lücke waren kaum ersichtlich, obwohl Entgeltgleichheit meisten sichtbar war das geschlechtsspezifische Lohngefäl- ein vorgegebenes Ziel war. Die integrierten Leitlinien le konkret als Kernbestandteil der Road Map für die Gleich- 2005 – 2008 beinhalteten lediglich eine knappe Erwähnung stellung von Frauen und Männern 2006, gefolgt von der von Maßnahmen zur Verringerung der Entgeltunterschie- Mitteilung zur Bekämpfung des geschlechtsspezifischen de. Die Frage der Entgeltungleichheit verschwindet schließ- Lohngefälles 2007 (KOM 2007), einer Überprüfung der lich fast vollständig aus den integrierten Leitlinien für Eu- Rechtsvorschriften sowie der Entscheidung zur engen Zu- ropa 2020, zusammen mit der Beseitigung sämtlicher sammenarbeit mit Eurostat zur Verbesserung des Monito- Leitlinien zur Chancengleichheit. Diese Entwicklung zeigt, ring (EC 2007) und schließlich dem Start des europäischen dass Geschlechtergleichstellung sukzessive ihren zentralen Equal Pay Day.6 All diesen Initiativen fehlt jedoch die Wirk- Stellenwert in der EBS eingebüßt hat. Das Thema wurde samkeit von Maßnahmen im Rahmen der EBS oder die zunehmend in andere, parallel zur EBS vorhandene Initia- legislative Stärke neuer Richtlinien. tiven abgeschoben, wie in Abschnitt 3.3 noch gezeigt wird. Einer der wesentlichen Fortschritte des Fahrplans für Übersicht 1 (Spalten 3 und 4) zeigt, wie sich die Sicht- die Gleichstellung von Frauen und Männern 2006 führte barkeit des geschlechtsspezifischen Lohngefälles in den seit zur Veröffentlichung europaweit harmonisierter Statistiken 1999 veröffentlichten Gemeinsamen Beschäftigungsberich- zum Entgelt. Die Daten zum geschlechtsspezifischen Lohn- ten und den länderspezifischen Empfehlungen gewandelt gefälle basieren auf der von Eurostat alle vier Jahre durch- hat. Insgesamt scheint Entgeltungleichheit kein entschei- geführten Verdienststrukturerhebung (VSE) und ermögli- dendes Thema in diesen offiziellen Dokumenten zu sein: In chen ein effektives Monitoring des Lohnunterschieds manchen Jahren enthält der Gemeinsame Beschäftigungs- zwischen den Ländern auf vergleichender Basis.7 Das Inte- bericht keinen einzigen Verweis auf den Gender Pay Gap, resse, den Gender Pay Gap im Blick zu behalten, drückt gleichzeitig hat der Großteil der Mitgliedstaaten nie eine spe- sich in Maßnahmen aus, die von Ratspräsidentschaften zifische Empfehlung zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle bestimmter Länder unterstützt wurden. Im Jahr 2010 führ- erhalten. Allerdings wird in jedem der jährlich von der ten die Bemühungen der belgischen Präsidentschaft zu Kommission veröffentlichten Berichte zur Gleichstellung von Schlussfolgerungen des Rates, in denen die Verpflichtung Frauen und Männern benannt, dass der Gender Pay Gap zur Bekämpfung der Ursachen von Lohnunterschieden so- fortbesteht. wie die Einführung eines neuen umfassenden Berichts über Die Aufmerksamkeit, die der Lohnungleichheit in den das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der EU bekräftigt Gemeinsamen Beschäftigungsberichten zukommt – gemes- wurden (Council of the EU 2010). In der Strategie für die sen anhand der Anzahl der Wörter, die der Diskussion des Gleichstellung von Frauen und Männern 2010 – 2015 wur- geschlechtsspezifischen Lohngefälles gewidmet wird –, folgt den Lohnungleichheiten als bedeutendes Hindernis für die einem Abwärtstrend. War das Ausmaß der Auseinander- setzung mit dem Thema in den ersten beiden Phasen noch hoch, so wurde es in den Phasen drei und vier sehr gering. 6 Der equal Pay Day ist ein internationaler Aktionstag, der Derselbe Trend einer nachlassenden Aufmerksamkeit für für die notwendigkeit, geschlechtsspezifische lohnun- vorhandene Lohnunterschiede zeigt sich in den länderspe- gleichheiten abzubauen, Bewusstsein schaffen soll. er zifischen Empfehlungen. Auf einen abnehmenden Prob- wird in den verschiedenen ländern zu unterschiedlichen Daten begangen. lemdruck derart, dass sich der Gender Pay Gap in den ent- sprechenden Ländern auch verringert hätte, kann diese 7 Obwohl die verbesserte methodik für das monitoring des geminderte Aufmerksamkeit allemal nicht zurückgeführt geschlechtsspezifischen lohngefälles im Vergleich zu den zuvor nicht-harmonisierten Quellen einen großen Fort- werden. schritt darstellt, ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Daten hinsichtlich einer umfassenden erfassung vie- 3.3 Die Entwicklung paralleler Initiativen ler Bereiche, in denen Frauen arbeiten, unvollständig sind. insbesondere erfasst die Verdienststrukturerhebung nicht den öffentlichen sektor und Betriebe mit weniger als zehn Der schwindende Stellenwert der Geschlechtergleichstel- Beschäftigten. Zudem findet die erhebung nur alle vier lung in den EBS-Dokumenten ging einher mit einer ver- Jahre statt (2006, 2010 und 2014) und wird mit nationalen stärkten Betonung paralleler Initiativen, wie bspw. der Road schätzungen für die dazwischen liegenden Jahre kombi- niert (eurostat 2009). trotz der mehrjährigen Arbeit von Map und dem Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter eurostat und Kommission gibt es immer noch etliche län- 2006, der Frauencharta 2010, der Strategie für die Gleich- der, für die keine bzw. unvollständige oder nicht harmoni- stellung von Frauen und Männern 2010 – 2015 (vgl. hierzu sierte Daten vorliegen. Darüber hinaus sind einige der auch Maier in diesem Heft), dem neuen Pakt für die Gleich- schwankungen im geschlechtsspezifischen lohngefälle eher eine Folge von methodologie und Datensammlung stellung der Geschlechter 2011 – 2020 sowie speziellen Kam- als von tatsächlichen Veränderungen bei lohnunterschie- pagnen zu Lohnunterschieden und Vereinbarkeit von Ar- den (dies scheint bei litauen und slowenien der Fall zu beits- und Privatleben (Villa 2013, S. 148). Auf ähnliche sein). 18 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
wsi mitteilungen 1/2015 wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen anerkannt. Ähnlich identifiziert der Pakt für die Gleichstellung der 4. Die Wirtschaftskrise und ihre Geschlechter aus dem Jahr 2011 die Schließung der Lohn- Auswirkungen auf Maßnahmen lücke zwischen Frauen und Männern als einen der Aktions- gegen den Gender Pay Gap bereiche. Die Ratsvereinbarung vom Dezember 2010 beinhaltete eine Reihe von Entwicklungen hinsichtlich des Monitoring Die Krise kam für die Gleichstellungspolitik und für Maß- des geschlechtsspezifischen Lohngefälles. Die Kommission nahmen gegen das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu wurde dazu aufgefordert, das geschlechtsspezifische Lohn- einem ungünstigen Zeitpunkt. Der ursprüngliche Optimis- gefälle regelmäßig zu messen und zu überwachen, eine Rei- mus zur Entwicklung eines neuen Sozialmodells, das auf he von Indikatoren festzulegen sowie ergänzende Indika- hohen weiblichen und männlichen Beschäftigungsanteilen toren für tiefer gehende Untersuchungen zu berücksichtigen. basierte, war der Ernüchterung gewichen. Und der Fokus Etwas verspätet wurde das geschlechtsspezifische Lohnge- auf die Gleichstellung der Geschlechter beschränkte sich fälle als einer der Gleichstellungsindikatoren für den ge- auf einen schmalen Korridor von Maßnahmen und Poli- meinsamen Bewertungsrahmen des Beschäftigungsaus- tikbereichen. Darüber hinaus musste die Kommission in- schusses, der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und mitten der Krise ihre neue Vision für das kommende Jahr- Integration und des Ausschusses für Sozialschutz im Rah- zehnt entwickeln – die Europa 2020-Strategie. men des Europa-2020-Monitoring vorgeschlagen. Trotz Während die politischen Entscheidungsträger versuchten, dieser Initiativen hielt die Betonung von Soft-Law-Ansätzen während der Krise mittelfristige Prioritäten zu definieren, zur Beseitigung von Lohnungleichheiten in der vierten Pha- geriet die Gleichstellung der Geschlechter bei der Entwick- se der EBS an, als die jüngste Wirtschaftskrise die EU-Öko- lung der Europa-2020-Strategie immer weiter ins Abseits. nomie traf. In der Zwischenzeit konzentrierte sich die Kom- Die ersten Konzeptionen der neuen Strategie zeugten von mission auf weiche Maßnahmen, darunter den europäischen einer fast vollständigen Ausblendung des Gleichstellungs- Equal Pay Day seit 2011, der auf einer zuvor durchgeführten themas. Nur dem Lobbying von Nichtregierungsorganisati- europaweiten Werbekampagne basierte. onen und bestimmten nationalen Regierungen war es zu Obwohl Rechtsvorschriften zur Lohngleichstellung be- verdanken, dass entsprechende Handlungsanforderungen reits seit über 30 Jahren existierten, war der Fortschritt bei nicht gänzlich in Vergessenheit gerieten (Villa/Smith 2010; der Verringerung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles Smith/Villa 2012). Nachdem das Europäische Parlament im gering, was die Kommission zu einer von ihr geleiteten Mai und September 2010 konkrete Maßnahmen gegen Ent- Überprüfung bestehender Gesetze veranlasste. Schlussfol- geltungleichheiten forderte, wurde die Europa-2020-Strate- gerung dieser Initiative war, dass eine verbesserte Anwen- gie zumindest dahin gehend ergänzt, dieses Problem zu dung der bestehenden Gesetze durch die Mitgliedstaaten benennen. Nichtsdestotrotz beinhaltete das endgültige Do- der Schaffung neuer Regelungen vorzuziehen sei (EC 2009). kument nur eine Verpflichtung zur „Anwendung des Grund- Während die EU ihr Engagement zur Bewältigung des ge- satzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei glei- schlechtsspezifischen Lohngefälles in den Fünf-Jahres-Stra- cher oder gleichwertiger Arbeit“.8 Dies war aber bereits tegien für die Gleichstellung von Frauen und Männern gemäß der Richtlinie von 1975 erforderlich, die sich auf (2001, 2005, 2010) bekundete, wurde zugleich offensichtlich, Bestimmungen des Vertrags von 1957 bezog und stellte in- dass ihr Engagement gering war, die strategischen Ziele sofern keinen Fortschritt dar (Villa/Smith 2011, S. 47f.). durch neue Richtlinien zu untermauern. Die in den letzten Jahren auf nationaler und EU-Ebene vorangetriebenen 4.1 Zur Entwicklung des Gender Pay Gap Maßnahmen vertrauten weiterhin auf Soft Law, freiwillige Ansätze und Maßnahmen der Sozialpartner (Villa/Smith Die harmonisierten Daten (vgl. Abschnitt 2) bestätigen die 2010). Diese nicht-legislativen Maßnahmen zur Lohn- relative Stabilität des geschlechtsspezifischen Lohngefälles ungleichheit beinhalten die Förderung von Transparenz, während dieses Zeitraums. Vor der Wirtschaftskrise die Sensibilisierung für das Thema, die Einbeziehung un- terschiedlicher Akteure sowie die Förderung von Maßnah- men auf verschiedenen Ebenen. 8 immerhin erkannte das europa 2020-Flaggschiff „europä- ische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ die Bedeutung von lohnungleichheiten für das größere Ar- mutsrisiko von Frauen an: „es braucht eine gleichstellungs- politik in Übereinstimmung mit der neuen strategie für die gleichstellung von Frauen und männern 2010 – 2015, um die einkommensschere zwischen den geschlechtern zu schlie- ßen, die sich in fast allen Altersgruppen auftut und bei der weiblichen Bevölkerung – sowohl der erwerbstätigen als auch der nicht erwerbstätigen – zu höheren Armutsraten führt“ (KOm 2010, s. 11). https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 19 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
AUFSÄTZE TABELLE 1 Das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der EU, 2002 – 2012 Angaben in Prozent 2002 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Fortsetzung der Vor-Krisen-Verringerung des geschlechtsspezifischen lohngefälles Dänemark : 17,6 17,7 17,1 16,8 15,9 16,3 14,9 Zypern 22,5 21,8 22,0 19,5 17,8 16,8 16,4 16,2 luxemburg : 10,7 10,2 9,7 9,2 8,7 8,7 8,6 niederlande 18,7 23,6 19,3 18,9 18,5 17,8 17,9 16,9 Österreich : 25,5 25,5 25,1 24,3 24,0 23,7 23,4 slowakei 27,7 25,8 23,6 20,9 21,9 19,6 20,5 21,5 Finnland : 21,3 20,2 20,5 20,8 20,3 19,6 19,4 uK 27,3 24,3 20,8 21,4 20,6 19,5 20,1 19,1 umkehrung der Vor-Krisen-Öffnung des geschlechtsspezifischen lohngefälles Belgien : 9,5 10,1 10,2 10,1 10,2 10,2 10,0 tschechische Republik 22,1 23,4 23,6 26,2 25,9 21,6 22,6 22,0 Deutschland : 22,7 22,8 22,8 22,6 22,3 22,2 22,4 Frankreich : 15,4 17,3 16,9 15,2 15,6 15,0 14,8 litauen 13,2 17,1 22,6 21,6 15,3 14,6 11,9 12,6 malta : 5,2 7,8 9,2 7,7 7,2 6,2 6,1 Polen 7,5 7,5 14,9 11,4 8,0 4,5 5,5 6,4 umkehrung der Vor-Krisen-schließung Bulgarien 18,9 12,4 12,1 12,3 13,3 13 13 14,7 estland : 29,8 30,9 27,6 26,6 27,7 27,3 30,0 irland 15,1 17,2 17,3 12,6 12,6 13,9 11,7 14,4 spanien 20,2 17,9 18,1 16,1 16,7 16,2 17,8 17,8 lettland : 15,1 13,6 11,8 13,1 15,5 13,6 13,8 slowenien 6,1 8 5 4,1 -0,9 0,9 2,3 2,5 Fortdauern oder Beschleunigung des geschlechtsspezifischen lohngefälles italien : 4,4 5,1 4,9 5,5 5,3 5,8 6,7 schweden : 16,5 17,8 16,9 15,7 15,4 15,8 15,9 ungarn 19,1 14,4 16,3 17,5 17,1 17,6 18,0 20,1 Portugal : 8,4 8,5 9,2 10,0 12,8 12,5 15,7 Rumänien 16,0 7,8 12,5 8,5 7,4 8,8 11,0 9,7 nicht klassifiziert griechenland 25,5 20,7 21,5 22,0 : 15,0 : : Kroatien : : : : : 15,5 17,6 18,0 eu 27 : 17,7 : 17,3 17,2 16,2 16,3 16,4 euro 17 : : : 16,8 16,9 16,5 16,5 16,7 Anmerkung: geschlechtsspezifisches lohngefälle in unbereinigter Form (methodologie der Verdienststrukturerhebung), http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_ explained/index.php/gender_pay_gap_statistics. Quelle: eurostat, Vse [Online-Code: earn_gr_gpgr2]. war für die EU-27 ein leichter Rückgang der unbereinigten bei den Löhnen von Männern als auf eine Erhöhung der Lohnlücke zu beobachten, auf den in den Jahren danach Löhne für Frauen zurückzuführen ist. Noch mehr Grund ein Anstieg folgte (Tabelle 1). In rund einem Drittel der zur Besorgnis geben die neun Länder, in denen sich die Länder ging der Trend in Richtung eines Abbaus der Lohn- Lohnschere – nach einer Phase eines verringerten Gender ungleichheit zwischen Frauen und Männern. In sechs wei- Pay Gaps – während der Krise neu öffnete bzw. in denen teren Ländern scheint die Krise zu einer Verkleinerung der sich die Kluft noch weiter vergrößerte. Der leichte Rückgang Lohnschere geführt zu haben, die jedoch mit hoher Wahr- des Entgeltunterschieds zwischen Frauen und Männern in scheinlichkeit eher auf einen krisenbedingten Abwärtsdruck einigen Ländern (Belgien, Finnland, Litauen, Slowakei) 20 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
wsi mitteilungen 1/2015 während des wirtschaftlichen Abschwungs lässt sich eher cken in den Firmen, in denen dies Verfahren angewendet mit einem Abbau der Ungleichheiten bei zusätzlichen Lohn- wird, zu identifizieren und die Aufmerksamkeit darauf zu bestandteilen als mit einer Reduzierung der Unterschiede lenken. Eine vergleichbare Initiative zur Lohntransparenz im Entgelt selbst erklären. In Zeiten des Abschwungs resul- besteht in Spanien. Auch der bereits erwähnte Equal Pay tieren Lohnsenkungen eher aus Einschnitten bei den vari- Day (vgl. Fußnote 6) ist ein Versuch, um für das Problem ablen Lohnbestandteilen (bspw. zusätzliche Zahlungen in des Gender Pay Gap zu sensibilisieren. Solche Aktionen Form von Boni oder Zuschlägen für Überstunden), die ty- sind durchaus sichtbar, aber sie haben natürlich nicht die pischerweise wichtiger für das Entgelt von Männern sind Durchsetzungskraft (den „Biss“) wie eine Rechtsverordnung (ENEGE 2013b, S. 100ff.). Da sich diese zusätzlichen Lohn- gegen das Lohngefälle. bestandteile prozyklisch bewegen, ist diese nach unten Es gibt auch Beispiele, dass konkrete Maßnahmen gegen gerichtete Anpassung des geschlechtsspezifischen Lohnge- geschlechterspezifische Lohnungleichheiten versickern oder fälles voraussichtlich nur vorübergehend. Unglücklicher- unerwartete kontraproduktive Effekte haben: In Belgien trat weise existieren zusätzlich einige strukturelle Veränderun- auf Initiative der Tarifpartner 2008 ein Tarifvertrag in Kraft, gen, die die Bezahlung von Frauen nachhaltig nach unten der ein geschlechtsneutrales System der Arbeitsplatzbewer- drücken könnten: Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor tung vorgesehen hat. Jedoch gab es keine systematische und die daran anknüpfenden Vereinbarungen in der Pri- Bewertung zur Umsetzung des Abkommens und seiner Ef- vatwirtschaft (Rubery 2013). fekte. In Frankreich fiel die Ablauffrist des Lois Genison aus dem Jahr 2001, das sich mit dem Gender Pay Gap befasste, 4.2 Das Handeln der Mitgliedstaaten mitten in die Krise. Eine Novellierung des Gesetzes im Jahr 2010 verwässerte dann dessen ursprüngliche Bestimmun- Ein Überblick über die Politik während der Krise zeigt, dass gen deutlich und führte zu einer weiteren Schwächung der nur ein kleiner Teil von Ländern Maßnahmen entwickelt Initiative zum Abbau des Gender Pay Gap. und implementiert hat, die direkt auf das geschlechtsspezi- Löhne werden häufig durch Tarifverhandlungen auf Un- fische Lohngefälle gerichtet waren.9 Darüber hinaus folgten ternehmens- oder Branchenebene festgelegt. Wenn der Staat die Gleichstellungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten ten- Gleichstellungsmaßnahmen auf diesen Ebenen fördert und denziell den Vorgaben der Kommission und hatten entspre- die Akteure der Lohnpolitik adressiert, wie bspw. in Frank- chend der EU-Führung in dieser Phase eine verstärkte Fo- reich und Belgien (Smith 2012), besteht die Chance, auf kussierung auf „Soft Law“-Maßnahmen. Unser Überblick einen gendergerechten Prozess der Lohnfestsetzung Einfluss über das Handeln der Mitgliedstaaten während der Krise zu nehmen. In diesen beiden Ländern waren die Reaktionen verdeutlicht die Grenzen von Politiken, die für die primäre der Tarifpartner (angesichts einer heftigen Rezession) je- Ausrichtung der Wirtschaftspolitik weitgehend randständig doch höchst heterogen und die Effekte begrenzt. Darüber sind. Das einzige Beispiel eines umfassenden Ansatzes in hinaus war die öffentliche Reaktion der Tarifpartner vor den letzten Jahren bietet Finnland, wo es zwar einen aus- dem Hintergrund der Krise häufig die, dass jetzt nicht der geprägten politischen Willen und eine nachhaltige Finan- passende Zeitpunkt sei, um Lohnungleichheiten anzugehen. zierung, und doch nur begrenzte Hinweise auf Bewegung Das geschlechtsspezifische Lohngefälle kann auch durch beim geschlechtsspezifischen Lohngefälle gab. Aber auch politische Maßnahmen beeinflusst werden, die nicht direkt andernorts sind gute Absichten zu beobachten, die Kom- auf die Schließung der Lohnschere zwischen Frauen und plexität der Entgeltungleichheit anzugehen – auch wenn die Männern abzielen. Jedoch gilt auch hier: Das Risiko unbe- Erfolge bisher eher begrenzt sind. absichtigter negativer Auswirkungen ist in der Phase einer Darüber hinaus gibt es wenige Mitgliedstaaten, die poli- wirtschaftlichen Krise und eines raschen Politikwandels tische Maßnahmen mit direkten Auswirkungen auf das ge- extrem hoch. Derart unbeabsichtigte Nebenfolgen können schlechtsspezifische Lohngefälle entwickeln. Der begrenzte mithilfe eines durchweg gleichstellungsorientierten Politi- Wille zu neuen gesetzlichen Maßnahmen auf EU-Ebene kansatzes (Gender-Mainstreaming) minimiert werden, der übertrug sich auf die Politikansätze der Mitgliedstaaten. Die- geschlechtsspezifische Effekte bei der Entwicklung und Um- se basieren auf Formen der „leichteren“ Sensibilisierung für setzung von Maßnahmen von vornherein berücksichtigt. das Thema, freiwilligen Initiativen zur Lohntransparenz oder Eine der deutlichsten Folgen des geschlechtersegregier- neuen Studien. Diese Ansätze machen die Lohnunterschie- ten Arbeitsmarkts ist die Konzentration von Frauen in de zwischen Männern und Frauen bewusst und überwachen schlecht bezahlten Berufen. Aus diesem Grund helfen Maß- das Ausmaß der Lohnungleichheit, führen aber nicht not- nahmen zugunsten der unteren Einkommensgruppen in- wendigerweise zu konkreten Maßnahmen, um gegenzu- direkt Frauen mehr als Männern und können dazu beitra- steuern. Einen derartigen Ansatz bildet bspw. ein Gesetz in gen, das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu reduzieren. Österreich, das die Offenlegung der durchschnittlichen Die jüngsten Schritte zur Einführung eines gesetzli- Löhne und Gehälter auf Unternehmensebene verlangt. Auf ähnliche Weise hilft in Deutschland und Luxemburg die Einführung der LOGIB-Software zur Überwachung von Lohnunterschieden dabei, geschlechtsspezifische Lohnlü- 9 Vgl. enege-netzwerk: http://www.enege.eu/. https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 21 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
AUFSÄTZE chen Mindestlohns in Deutschland (ab 2015) werden ver- mutlich positive Auswirkungen auf die niedrigen Löhne von 5. Schlussfolgerungen Frauen haben. Gleiches gilt für die Erhöhung des Mindest- lohns in Ungarn. In Zypern fördert ein Programm zur Schlie- In den vergangenen 15 Jahren ging von der Europäischen ßung des Gender Pay Gap die Stärkung von Kontrollmaß- Beschäftigungsstrategie ein großer Einfluss der EU auf die nahmen, um die Einhaltung der Gleichstellungsgesetzgebung Gleichstellungspolitiken der Mitgliedstaaten aus. Allerdings zu überwachen. Ähnlich werden wohl in Irland geringver- nahm dieses Engagement der EU in der EBS, die mehrfach dienende Frauen von den Maßnahmen zur Durchsetzung reformuliert wurde, sichtbar ab. Mit Eintritt der Wirtschafts- des nationalen Mindestlohns profitieren. Allerdings ist die krise waren dann die Bedingungen zusätzlich erschwert, Durchsetzung von Mindestlöhnen andernorts aufgrund sta- um Fortschritte beim Abbau des geschlechtsspezifischen gnierenden Wirtschaftswachstums gefährdet bzw. Zuwächse Lohngefälles zu erzielen. Vor diesem „doppelten“ Hinter- beim Mindestlohn sind höchst unsicher. Einschnitte im öf- grund gelang es nicht, Entgeltgleichheit als Priorität bei fentlichen Dienst können zudem die Arbeit von Arbeitsauf- neuen politischen Maßnahmen auf EU-Ebene oder der Mit- sichtsbehörden, wie im Falle Griechenlands, gefährden. gliedstaaten zu verankern. Die aufgeweichten Politiken der Die Reform von Steuersystemen kann schlecht bezahlten EU für die Geschlechtergleichstellung in den Beschäfti- Frauen indirekt helfen, ändert jedoch wenig an den tiefer gungsleitlinien ermöglichten es insbesondere denjenigen liegenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten hinsicht- nationalen Regierungen, die Gleichstellungsfragen ohnehin lich der Art und Weise, wie Frauen und Männer für ihre weniger zugeneigt waren, die Geschlechterdimension bei Arbeit entlohnt werden. Während der Krise reformierte eine der Politikgestaltung zu ignorieren. Doch der Beginn der Reihe von Mitgliedstaaten ihre Steuersysteme – mit positi- Krise stellte auch diejenigen politischen Entscheidungsträ- ven Auswirkungen für die unteren Einkommensgruppen.10 ger, die sich der Gleichstellung der Geschlechter verpflich- Obwohl die Gleichstellung der Geschlechter nicht das Leit- tet fühlen, vor große Herausforderungen. Das Ziel der Ent- motiv vieler dieser Reformen war, sind die positiven Effek- geltgleichheit, das in der EBS zu keiner Zeit an vorderster te zu begrüßen, wenn der Nettolohn für Frauen steigt oder Stelle stand, war damit ein frühes Opfer der Krise. Verzerrungen beseitigt werden. Zwar adressiert dieser An- Selbst auf ihrem Höhepunkt fußte die EBS auf einem satz nicht die Prozesse, die dazu führen, dass Frauen in eher engen Verständnis davon, wie Geschlechtergleichstel- schlecht bezahlten Berufen oder am unteren Ende von Un- lung konzipiert ist und welche politischen Ziele als prioritär ternehmenshierarchien konzentriert sind. Jedoch kann er definiert werden (Rubery 2002; Stratigaki 2004; Lewis 2006; dazu beitragen, die Symptome dieser Prozesse – nämlich Villa 2013). Gleichstellungsansätze im Bereich der Beschäf- niedrige Nettolöhne – zu lindern. Andererseits können die tigungspolitik waren stets eng verbunden mit den domi- indirekten Auswirkungen von Steuersystemen die unteren nanten ökonomischen Zielen, Wachstum und Wettbewerbs- Einkommensgruppen auch benachteiligen. Dies ist insbe- fähigkeit zu erhöhen und die öffentlichen Finanzen zu sondere dort der Fall, wo haushaltsbasierte Systeme „Zweit- stabilisieren. Kurz gesagt, Geschlechtergleichstellung wur- verdienern“ hohe Grenzsteuersätze auferlegen, wie bspw. in de mit höheren Frauenerwerbsquoten „übersetzt“, was zur Deutschland. Verbesserung der wirtschaftlichen Leistung der EU-Länder Die indirekten Auswirkungen der Austeritätsmaßnah- und zur Aufrechterhaltung der Wohlfahrtssysteme benötigt men auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen im öffent- wurde. Hieraus resultierte, dass Aspekte wie der Gender Pay lichen Sektor werden wahrscheinlich negative indirekte Gap nur dann einbezogen wurden, wenn sie als größeres Effekte auf das geschlechtsspezifische Lohngefälle haben. Hindernis für die Erwerbsbeteiligung von Frauen angesehen Der öffentliche Sektor ist ein wichtiger Anbieter hochwer- wurden. Während also die Ziele der Geschlechtergleichstel- tiger Arbeitsplätze für Frauen und bietet darüber hinaus lung zunehmend an Sichtbarkeit einbüßten, wurde die vielfach Kinderbetreuungsmöglichkeiten, die es Frauen Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern aus den leichter machen, erwerbstätig zu sein (Rubery 2013). Eine EBS-Mechanismen, die etwas „Biss“ haben, entfernt, bspw. Reihe von Ländern hat die Löhne im öffentlichen Dienst aus den länderspezifischen Empfehlungen. eingefroren oder strenge Kürzungen durchgeführt – mit Das Bekenntnis der Europäischen Beschäftigungsstra- beträchtlichen Konsequenzen für die weiblichen Beschäf- tegie zur Förderung der Geschlechtergleichstellung hatte tigten. Es ist wahrscheinlich, dass diese Maßnahmen zu gleichwohl durchaus Einfluss auf Gleichstellungspolitiken einer neuerlichen Öffnung der Einkommensschere beitra- der Mitgliedstaaten (Rubery 2002; Rubery et al. 2003; Fagan gen werden (auch wenn diese Veränderungen nicht durch et al. 2006). Als die EBS dieses Engagement jedoch zurück- die Verdienststrukturerhebung erfasst werden können, da der öffentliche Sektor dort ausgeklammert ist). In der Tat bestätigt der Gemeinsame Beschäftigungsbericht aus dem Jahr 2013, dass die Löhne im öffentlichen Sektor unter an- 10 Beispielsweise führte schweden eine steuergutschrift für geringverdiener ein; in malta wurden steuerveränderun- derem in Spanien, Italien, den Niederlanden und Portugal gen verabschiedet, die auf die erhöhung der erwerbsbe- eingefroren und in Zypern, Griechenland, Ungarn, Irland teiligung von Frauen abzielen; die slowakei erhöhte den und Slowenien gekürzt worden sind. steuerfreien Anteil des einkommens. 22 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2015-1-13 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 02:41:16. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
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