EQUAL PAY DAY 18. März 2017 - #EPD2017 www.equalpayday.de

 
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                                                               18. März 2017
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         Equal Pay Day | Journal | 2017
                                                                           1
EQUAL PAY DAY 18. März 2017 - #EPD2017 www.equalpayday.de
INHALT

 3 Editorial                                                   		 These 6
		 von Uta Zech, Präsidentin BPW Germany e.V.                     Wissen ist Macht. Transparente Gehälter schaffen
                                                               		Augenhöhe
 4 Grußwort                                                    20 Warum Unternehmen heute transparent sein müssen
		 von Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, 		      		 von Johannes Prüller
		 Senioren, Frauen und Jugend                                 21 Why Do I Make Less Than My Male Co‑Stars?
                                                               		 von Jennifer Lawrence
 5 Der unbereinigte und bereinigte Gender Pay Gap und was
		 dahinter steckt                                             		 These 7
		 von Prof. Dr. Carsten Wippermann                            		 Unternehmenskulturen nachhaltig verändern
                                                               22 Die gläserne Decke. Mitten hindurch oder daran vorbei?
    6 Der Equal Pay Day                                        		 von Ana-Cristina Grohnert
                                                               23 Unternehmenskulturen verändern – Wertschätzung zeigen
 7 10 Jahre Equal Pay Day in Deutschland                       		 von Prof. Dr. Martina Schraudner
		 von Henrike von Platen
                                                               		 These 8
 8 Die Lohnlücke im Schauspiel                                 		 Flexible Arbeitszeitmodell stärken
		 von Julia Beerhold                                          24 Equal Pay in Konzern und großem Mittelstand –
                                                               		 Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen
 9 Einführung                                                  		 von Torsten Bittlingmaier
		 Es wird Zeit endlich durchzustarten – und zwar gemeinsam
		 von Waltraud Kratzenberg-Franke                             		 These 9
                                                               		 Die Chancen der Digitalisierung nutzen und den
		 These 1                                                     		 Risiken begegnen
		 Gleichstellung beginnt in unser aller Köpfen                26 Die Zukunft der Arbeitswelt ist weiblich
10 Stereotype und Rollenbilder verändern:                      		 Interview mit Prof. Dr. Christiane Funken
		 Für Jungs, die Bundeskanzlerin und Mädchen, die             27 Equal Pay in der Arbeitswelt 4.0 – Chancen und Risiken
		 Konzernchef werden wollen                                   		 der Digitalisierung
		 von Nils Pickert                                            		 von Eva M. Welskop-Deffaa

		 These 2                                                     		 These 10
		 Equal Pay braucht Partnerschaftlichkeit                     		 Der Blick über den Tellerrand lohnt sich –
12 Equal Pay partnerschaftlich denken                          		 wie wir von anderen Ländern lernen können
		 von Markus Theunert                                         28 Lohntransparenz trägt zur Beseitigung des Gender Pay Gap bei
                                                               		 von Nicolas Werner
		 These 3                                                     29 Der Blick zu den Nachbarn: Wie sieht Gleichstellung
		 Der Wert der Arbeit ist geschlechtsneutral                  		 in Schweden aus?
14 Rückt den schiefen Turm von Pisa gerade!                    		 Interview mit Åsa Regnér
		 von Martin Wehrle
                                                               30 Die Zeit heilt nicht alle Wunden
		 These 4                                                     		 von Edeltraud Walla
		 Gleichstellung ist auch eine Frage der (Arbeits-)Zeit
16 Partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und              31 Ausblick
		 Familientätigkeiten                                         		 Visionen müssen groß sein – sonst ändert sich nichts
		 von Prof. Jutta Allmendinger                                		 von Waltraud Kratzenberg-Franke

		 These 5                                                     32 Aktionstipps
		 Betreuungsangebote als Schlüssel zu mehr Frauen
		 im Arbeitsmarkt
18 Kitaausbau: Der Wiedereinstieg von Frauen wird planbar
		 von Tim Seidel

                                                               IMPRESSUM
                                                               V.i.S.d.P.: Uta Zech, Präsidentin Business and Professional Women – Germany e.V.
                                                               Geschäftsstelle BPW Germany e.V. · Schloßstraße 25 · 12163 Berlin
                                                               Redaktion: Ines Auer, Katinka Brose, Waltraud Kratzenberg-Franke
                                                               Fotos: Autorinnen, Ansgar Bolle, BMFSFJ
                                                               Gestaltung: Zech Dombrowsky Design · www.zech-dombrowsky.de
                                                               Druck: Möller Druck und Verlag Gmbh · Auflage: 24.000 · Februar 2017

2                                                                                                                       Equal Pay Day | Journal | 2017
EQUAL PAY DAY 18. März 2017 - #EPD2017 www.equalpayday.de
Editorial

                 Liebe Leserin, lieber Leser,
                 wir haben zehn Jahre lang demonstriert, analysiert,
                 Zahlenberge aufgetürmt, Beweise geliefert, Ursachen
                 benannt. Wir haben an die Vernunft appelliert. In den
                 neun Jahren ist der Gender Pay Gap in Deutschland
                 gerade mal von 23 Prozent auf 21 Prozent gesunken.
                 Ich diskutiere nicht mehr darüber, ob es eine berei-
                 nigte oder unbereinigte Lohnlücke ist, ob Frauen               Die Veranstaltungen zum Equal Pay Day werden
                 rechnen können oder nicht. Wer behauptet, die Lohn-       dieses Jahr Fachtagungen und ein großer Kongress
                 lücke sei hausgemachtes Frauengedöns, verkennt die        sein, bei denen alle Teilnehmenden gemeinsam nach
                 Folgen für die Wirtschaft und den sozialen Frieden in     Lösungen forschen. Partnerschaftlichkeit bei der Auf-
                 unserer Gesellschaft.                                     teilung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit, was
                     Wir wissen, was sich ändern muss: Frauen fehlen       ist dafür notwendig? Welche Arbeitsmodelle außer
                 in bestimmten Berufen, Branchen und auf den höhe-         unserer Präsenzkultur gibt es und wie und wo funkti-
                 ren Stufen der Karriereleiter. Das hat unmittelbare       onieren sie? Transparenz beim Gehalt – was bedeutet
                 Auswirkungen auf die statistisch messbare Entgelt-        das für alle Beteiligten? Neue Rollenbilder – wo
                 lücke. Frauen unterbrechen oder reduzieren ihre Er-       werden die Grundlagen dafür gelegt? Wir brauchen
                 werbstätigkeit häufiger und länger familienbedingt als    konkrete Vorschläge. Wir müssen Zukunft denken,
                 Männer. Der Wiedereinstieg gestaltet sich schwierig.      statt am Status quo festzuhalten. Lösungen zu finden
                 Die Folgen sind lange nachwirkende Einbußen bei der       bedeutet, sich von Althergebrachtem zu trennen, sich
                 Lohn- und Einkommensentwicklung im Lebenslauf.            davon zu befreien, um Neues zu beginnen. Und eine
                 Bei individuellen und kollektiven Lohnverhandlun-         Klärung für eine Aufgabe finden, für die es bis jetzt
                 gen haben Frauen das Nachsehen. Immer noch erhal-         keine befriedigende Antwort gibt. Beides erfordert
                 ten Männer und Frauen für gleiche und gleichwertige       Kreativität und Mut und Energie.
                 Arbeit nicht den gleichen Lohn. Deutlich wird das an           Um es vorwegzunehmen: Die Lösung zu Equal
                 der prekären Bezahlung der traditionell hauptsächlich     Pay ist ganz einfach: Fairplay ist fair pay. Wenn ich
                 von Frauen ausgeübten Berufe.                             sage: „Heute bin ich fair bezahlt worden“ und: „Heute
                     Bis jetzt ging es bei den Equal Pay Day Foren         habe ich fair bezahlt“, haben wir es geschafft.
                 darum, die Ursachen für die Lohnlücke aufzudecken              Wie wir dahin kommen, diesen Weg wollen wir
                 und zu beleuchten.                                        beim zehnten Equal Pay Day konkretisieren. Chan-
                     2017 gestaltet sich der Equal Pay Day anders als      cengleichheit für Männer und Frauen: Mit diesem
                 die neun Jahre davor. Dieses Jahr wollen wir Nägel        gemeinsamen Ziel vor Augen, wird es uns gelingen.
                 mit Köpfen machen und Lösungsvorschläge für das           Nehmen wir das Motto der Equal Pay Kampagne
                 Desaster finden. Und zwar umsetzbare, damit sich          ernst: Endlich partnerschaftlich durchstarten!
                 endlich wirklich etwas ändert. Es geht um struktu-
                 relle Veränderungen, die stattfinden müssen, und um
                 sehr persönliche, individuelle Einstellungen, die es zu
                 überdenken gilt.                                          Uta Zech
                     Einige strukturelle Veränderungen hat die Politik     Präsidentin Business and Professional Women (BPW)
                 schon eingeleitet. Genderquote und Pflegeberufege-        Germany e.V.
                 setz haben wichtige Signale gesetzt. Die Einführung
                 einer Familienarbeitszeit, das Entgelttransparenzge-
                 setz und das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit
                 sind weitere wichtige Schritte, die den Gender Pay
                 Gap verringern können. Dass solche Maßnahmen
                 notwendig sind, zeigt besonders deutlich die Ein-
                 führung der Genderquote. Appelle an die Vernunft
                 genügen nicht. Wo keine Sanktionen sind, bewegt
                 sich nichts.

Equal Pay Day | Journal | 2017
                                                                                                                                   3
EQUAL PAY DAY 18. März 2017 - #EPD2017 www.equalpayday.de
Grußwort der
Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend,
Manuela Schwesig
anlässlich des Equal Pay Day 2017

             Sehr geehrte Damen und Herren,

             fast zehn Jahre schon gibt es den Equal
             Pay Day in Deutschland. So lange
             kämpft „Business and Professional Wo-
             men“ zusammen mit Gewerkschaften,
             Frauenverbänden und zahlreichen Ak-
             tionsgruppen engagiert und hartnäckig      den Ausbau der Kindertagesbetreuung
             für die Schließung der Lohnlücke zwi-      und ihre Qualität vorangetrieben, die
             schen Frauen und Männern. Dabei hat        Familienpflegezeit verbessert und das
             nicht zuletzt die Rote-Taschen-Kampa-      ElterngeldPlus eingeführt. Mit dem Fa-
             gne den Handlungsbedarf eindrücklich       miliengeld mit Familienarbeitszeit liegt
             veranschaulicht. Die Taschen der Frau-     ein weiterführender Vorschlag für die
             en sind rot, weil Frauen im Vergleich zu   partnerschaftliche Vereinbarkeit von
             Männern in Sachen Lohn und Gehalt          Familie und Beruf vor. Direkt in der Ar-
             immer noch rote Zahlen schreiben.          beitswelt wirken der gesetzliche Min-
                 Zehn Jahre Equal Pay Day sind          destlohn, von dem besonders Frauen
             zehn Jahre zu viel; denn jeder Equal       im Niedriglohnbereich profitieren, und
             Pay Day zeigt aufs Neue, dass es keine     das Gesetz für die gleichberechtigte
             Lohngerechtigkeit in Deutschland gibt.     Teilhabe von Frauen und Männern an
             Aber der Equal Pay Day 2017 steht          Führungspositionen in der Privatwirt-
             unter einem neuen Vorzeichen: Das          schaft und im öffentlichen Dienst. Alle
             Bundeskabinett hat mit dem Gesetz          diese Maßnahmen leisten ihre Beiträge
             zur Förderung der Transparenz von          dafür, dass gleiche Chancen für Frauen
             Entgeltstrukturen einen Durchbruch         und Männer – und damit auch gleicher
             für Lohngerechtigkeit beschlossen.         Lohn für gleiche und gleichwertige
             Mit dem Gesetz wird ein individuel-        Arbeit – endlich in der Arbeitswelt
             ler Auskunftsanspruch eingeführt,          durchgesetzt werden.
             eine Berichtspflicht zu Maßnahmen              Die erfolgreichen Equal Pay Day
             zur Herstellung von Entgeltgleich-         Kampagnen haben maßgeblich dazu
             heit und Verfahren zur Überprüfung         beigetragen, dass das Thema Lohnge-
             von betrieblichen Entgeltstrukturen.       rechtigkeit in die breite Öffentlichkeit
             Dies fördert eine diskriminierungs-        und auf die politische Agenda gekom-
             freie Bewertung von Fähigkeiten und        men ist. Dafür möchte ich an dieser
             Kompetenzen, individuelle Gehaltsver-      Stelle meinen Respekt und meinen
             handlungen auf Augenhöhe sowie eine        Dank aussprechen. Wir setzen uns ge-
             offene, wertschätzende Unternehmens-       meinsam weiter dafür ein, dass sich der
             kultur.                                    gleiche Wert der Arbeit von Frauen und
                 Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt   Männern auch auf den Gehaltszetteln
             zu mehr Lohngerechtigkeit. Es schließt     zeigt. Damit wir möglichst bald den
             die Lohnlücke aber nicht auf einen         Equal Pay Day als Neujahrsempfang
             Schlag. Die verschiedenen Ursachen         feiern können!
             für die Lohnlücke von 21 Prozent
             müssen von unterschiedlichen Seiten        Mit freundlichen Grüßen
             her angegangen werden. Familien-
             politik spielt eine wichtige Rolle: In
             dieser Legislaturperiode haben wir
                                                        Manuela Schwesig
                                                        Bundesministerin für Familie,
                                                        Senioren, Frauen und Jugend

4                                                                                                  Equal Pay Day | Journal | 2017
EQUAL PAY DAY 18. März 2017 - #EPD2017 www.equalpayday.de
Der unbereinigte und bereinigte Gender Pay Gap
und was dahinter steckt
von Prof. Dr. Carsten Wippermann

                 Der falsche Liebreiz richtiger              ein Gender Pay Gap nahe Null erreicht.      Frauen, der nicht durch Unterschiede in
                 Mathematik                                  Seit den 1990er Jahren aber hat in West-    diesen Merkmalen erklärt wird. Es gibt
                     Die Maßzahl Gender Pay Gap be-          deutschland das Schließen der Lohnlücke     Wirtschaftsforschungsinstitute, die noch
                 schreibt den prozentualen Abstand im        an Geschwindigkeit verloren. Würde man      weitere Merkmale heranziehen und auf
                 durchschnittlichen Bruttostundenver-        die Entwicklung nur der letzten 25 Jahre    einen bereinigten Gender Pay Gap von 2
                 dienst zwischen Frauen und Männern          zugrunde legen, wäre Equal Pay erst in      Prozent kommen mit der Interpretation,
                 bezogen auf den Bruttostundenverdienst      192 Jahren zu erwarten. In Ostdeutsch-      dass die diskriminierende Entgeltgleich-
                 von Männern. Der Gender Pay Gap be-         land ist in den letzten zehn Jahren sogar   heit nur sehr gering sei. Dazu ist zu sagen:
                 misst somit den Verdienst-Rückstand von     eine Vergrößerung der Entgeltungleich-      Man könnte noch weiter bereinigen und
                 Frauen. Dieser betrug im Jahr 2015 im       heit festzustellen: Von 2006 bis 2015 ist   auf nahe Null kommen. Das wäre wun-
                 Durchschnitt 21 Prozent: Frauen hatten      der Gender Pay Gap von 6 Prozent auf 8      derbar, denn dann wären noch mehr Fak-
                 einen durchschnittlichen Bruttostunden-     Prozent gestiegen.                          toren bekannt, die Entgeltungleichheit
                 lohn von 16,20 Euro, Männer von 20,59                                                   strukturell verursachen und auf Dauer
                 Euro (Differenz von 4,39 Euro). Im Jahr     Bereinigt oder unbereinigt –                stellen. Es ist eine naive Falschinterpre-
                 2014 betrug der durchschnittliche Brut-     weder noch                                  tation, der bereinigte Gender Pay Gap
                 tostundenlohn von Frauen 15,83 Euro,             Das Statistische Bundesamt berech-     würde die unmittelbare Geschlechter-
                 von Männern 20,20 Euro – eine Diffe-        net den Gender Pay Gap und bezeichnet       diskriminierung ausdrücken – mit der
                 renz von 4,37 Euro. Im Vergleich dazu       diesen als unbereinigte Lohnlücke, weil     latent suggerierten Botschaft, mittelba-
                 ist die Differenz im Bruttostundenlohn      hier alle Löhne eingehen. In einem auf-     re strukturelle Diskriminierung wäre in
                 von 2014 bis 2015 sogar gestiegen. Al-      wendigen statistischen Verfahren berech-    Ordnung, nur weil sie statistisch erklärt
                 lein durch das leicht höhere Zahlenni-      net das Amt (alle vier Jahre) den soge-     wäre. Mittelbare Diskriminierung ist
                 veau zeigt die Prozentbetrachtung eine      nannten bereinigten Gender Pay Gap, der     nicht weniger problematisch als unmit-
                 Verringerung an, obwohl der tatsäch-        den Verdienstabstand von Männern und        telbare – im Gegenteil. Denn ungleiche
                 liche Abstand in absoluten Euro über-       Frauen mit vergleichbaren Qualifikatio-     Zugangs- und Realisierungschancen
                 haupt nicht kleiner geworden ist, sondern   nen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien      von Erwerbseinkommen für Frauen und
                 gleich groß blieb. Die Schimäre richtiger   misst. Und dieser beträgt nach letzten      Männer sind hartnäckiger, widerständi-
                 Mathematik.                                 Berechnungen 2015 nur 7 Prozent. Zwei       ger, dauerhafter – und haben sofortige
                     Würde man bei der Berechnung für        Drittel des Gender Pay Gap ließen sich      und langfristige Konsequenzen für die
                 2015 nicht den Bruttostundenlohn von        somit durch strukturell unterschiedliche    Entgeltungleichheit. Daher ist gerade hier
                 Männern, sondern von Frauen zur Basis       Rahmenbedingungen sowie mittelbare          die Politik – namentlich der Gesetzge-
                 nehmen und somit den Verdienst-Vor-         Diskriminierung erklären, nur ein Drit-     ber – gefordert, diese institutionalisierten
                 sprung von Männern ausweisen, so            tel sei demnach unerklärt und ließe sich    Rahmenbedingungen zu verändern und
                 betrug dieser 27,1 Prozent: Dieselben       nur auf unmittelbare Diskriminierung        Anreize anders zu setzen. Aber auch an-
                 Zahlen, eine andere Perspektive – Bele-     zurückführen. lst also die allgemeine       dere Player wie die Gewerkschaften, die
                 ge, dass hier keine kleine Lücke, sondern   Aufregung über den Gender Pay Gap           IHKs und Arbeitsagenturen sind gefor-
                 eine breite Schlucht im Verdienstabstand    übertrieben, weil man korrekterweise        dert, dürfen sich hier nicht wegducken
                 besteht.                                    nur Verdienste von Frauen und Männern       und sich ihrer Verantwortung entziehen.
                     In Westdeutschland betrug 2015 der      mit gleichen Voraussetzungen verglei-       Denn sie sitzen an wichtigen Hebeln, die
                 Verdienstrückstand von Frauen 23 Pro-       chen sollte? Das Statistische Bundesamt     bereits identifiziert sind.
                 zent. Mit Blick auf die langfristige Ent-   verwendet bei der Regressionsanalyse            Ratsam ist, sich von den Bezeichnun-
                 wicklung ergeben sich bemerkenswerte        15 Merkmale: Ausbildung, Berufser-          gen bereinigte Lohnlücke und unberei-
                 Zukunftsaussichten für das Ziel Equal       fahrung, Dienstalter, Leistungsgruppe,      nigte Lohnlücke zu verabschieden. Es
                 Pay. In der früheren Bundesrepublik im      Berufsgruppe, Art des Arbeitsvertrags       sind zwar sachlich korrekte Begriffe in
                 Jahr 1970 war der Bruttodurchschnitts-      (befristet, unbefristet), Beschäftigungs-   der statistischen Methodologie. Doch
                 lohn von Frauen 31 Prozent geringer als     umfang, Altersteilzeit, Tarifbindung, Zu-   in Bezug auf die Lebenswirklichkeit von
                 von Männern, bis 1980 sank dieser auf 28    lagen (Schicht-, Wochenend-, Feiertags-,    Frauen und Männern sowie in Bezug auf
                 Prozent, 1990 auf 26 Prozent und 2010       Nachtarbeit), Gebietsstand, Ballungs-       monetäre und soziale Effekte fördern sie
                 auf 24 Prozent. Schreibt man die Ent-       raum, Unternehmensgröße, Einfluss der       missverständliche Vorstellungen. Die be-
                 wicklung von 1970 bis 2016 weiter fort,     öffentlichen Hand auf Unternehmens-         reinigte Lohnlücke ist nicht die korrekte
                 dann wäre – ohne politische Korrekturen     führung, Wirtschaftsgruppe. Übrig blei-     Lohnlücke; die unbereinigte Lohnlücke
                 zur Beschleunigung – in etwa 129 Jahren     ben 7 Prozent Verdienstrückstand von        ist nicht die ungenaue und vorläufige,

Equal Pay Day | Journal | 2017
                                                                                                                                                    5
EQUAL PAY DAY 18. März 2017 - #EPD2017 www.equalpayday.de
die erst noch einer Korrektur bedarf.         Daher ist – neben dem Gender Pay Gap                    Wir beobachten seit Jahren ökonomisch
Realitätsnah wären Bezeichnungen wie          (als Stundenlohn-Differenz) – eine                      fatale Konsequenzen in zwei Hinsichten:
ceteris-paribus Lohnlücke (für die berei-     wichtige ergänzende Maßzahl die reale                   (1) Obwohl Frauen nahezu gleiche oder
nigte) sowie die reale Lohnlücke (für die     Einkommensdifferenz zwischen Frauen                     gleichwertige Qualifikation wie Männer
unbereinigte).                                und Männern. Der geschlechtsspezi-                      haben, diese Investitionen also bereits
                                              fische Gesamteinkommensrückstand                        getätigt sind, werden diese Ressourcen
Pro Stunde und insgesamt:                     von Frauen gegenüber Männern beträgt                    volkswirtschaftlich nur partiell genutzt,
gerecht und existenzsichernd                  in Deutschland 45,3 Prozent (EU-weit                    verwertet, ausgeschöpft. (2) Lebenswelt-
     Der Gender Pay Gap beschreibt die        41,1 Prozent). Das hat unmittelbare und                 lich: Für Frauen und Männer (vor allem
Entgeltlücke bezogen auf den durch-           mittelbare, kurz- und langfristige Kon-                 in Partnerschaft und mit Familie) ist
schnittlichen Bruttostundenlohn. Dieser       sequenzen für die Risikoabsicherung                     es eine Frage von sozial-ökonomischer
ist bei Frauen in Vollzeit ebenso wie bei     im Lebensverlauf, für die finanzielle                   Gerechtigkeit und klugem Management,
Frauen in Teilzeit jeweils geringer als bei   Unabhängigkeit, die Existenzsicherung                   wenn Frauen wie Männer nicht nur da-
Männern in Teilzeit (und deutlich gerin-      der Familie, die eigene Alterssicherung                 für qualifiziert sind, existenzsicherndes
ger als bei Männern in Vollzeit). Daher       – und für Machtverhältnisse in der Part-                Einkommen für sich selbst, ihre Familie
die Forderung nach Entgeltgleichheit bei      nerschaft bei Aushandlungsprozessen.                    und ihr Leben im Alter zu erwirtschaften
gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Doch          Es wäre wünschenswert, wenn dieser                 – sondern diese Chancen gleich groß sind
ungleiche Stundenlöhne sind nur ein Teil      von der EU berechnete geschlechtsspe-                   und praktisch realisiert werden. Equal
der Ursachen für Einkommensungleich-          zifische Gesamteinkommensunterschied                    Pay hat zwei Aspekte: gleichen Brut-
heit. Beispiele:                              auch für Deutschland jährlich, ergän-                   tostundenlohn für gleiche und gleich-
     (1) Frauen arbeiten deutlich häufiger    zend zum Gender Pay Gap, berechnet                      wertige Arbeit und gleiches Gesamtein-
in Teilzeit als Männer. (2) In Minijobs       und veröffentlicht würde – differenziert                kommen zur Existenzsicherung.
sind überwiegend Frauen beschäftigt. Mi-      nach Altersstufen, Branchen und Regio-
nijobs haben Klebeeffekte, führen nicht       nen. Denn selbst wenn es in hoffentlich                 siehe auch: Wippermann, C. (2015), Transparenz für
                                                                                                      mehr Entgeltgleichheit, Hrsg. vom Bundesministerium
in eine reguläre sozialversicherungs-         naher Zeit gelingt, den (realen) Gender                 für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
pflichtige Erwerbstätigkeit und werden        Pay Gap auf null zu reduzieren, ist es im-
oft zur Dauererwerbsform von Frauen.          mer noch möglich und auch realistisch,
(3) Frauen haben geringere Erwerbs-           dass Frauen aufgrund häufigerer und
quoten und Erwerbsjahre als Männer            längerer Erwerbsunterbrechung, höhe-
(zum Beispiel bei Erwerbsunterbrechung        rer Teilzeit oder Minijobs ein geringeres                                 Prof. Carsten Wippermann
oder -reduzierung für Familienarbeit).        Erwerbseinkommen haben als Männer.                                        ist Professor für Soziologie an
                                                                                                                        der Katholischen Stiftungs-
                                              Europäische Kommission (2014), Report on Gender                           fachhochschule München und
                                              Equality 2014. Daten zum Gesamteinkommensrückstand zu                     geschäftsführender Gesell-
                                              finden auf S. 15.
                                                                                                                        schafter des von ihm gegründe-
                                                                                                                        ten DELTA Instituts

                              Der Equal Pay Day                                    Der nächste Equal Pay Day findet
                                                                                   demnach am 18. März 2017 statt. Er
                              Der Equal Pay Day veranschaulicht an                 markiert symbolisch den Tag, bis zu
                              einem Datum die Lohnlücke zwischen                   dem Frauen umsonst arbeiten, während
                              Männern und Frauen, die laut Statisti-               Männer schon seit dem 1. Januar eines
                              schem Bundesamt in Deutschland                       Jahres bezahlt werden.
                              21 Prozent (2015) beträgt.                           Der Equal Pay Day 2017 steht unter
                              Rechnet man den prozentualen Unter-                  dem Motto: endlich partnerschaftlich
                              schied im durchschnittlichen Brut-                   durchstarten. Nach neun Jahren, in
                              tostundenverdienst, den sogenannten                  denen die Kampagne die Ursachen der
                              Gender Pay Gap, in Tage um, erhält                   Lohnungleichheit intensiv thematisiert
                              man das Datum des Equal Pay Day:                     hat, steht nun die Umsetzung der Lohn-
                              21 Prozent von 365 Tagen = 77 Tage.                  gerechtigkeit im Mittelpunkt. Zum 10.
                                                                                   Equal Pay Day wird gefragt, wie jede
                                                                                   und jeder einzelne dazu beitragen kann,
                                                                                   die Lohnlücke zu schließen.

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EQUAL PAY DAY 18. März 2017 - #EPD2017 www.equalpayday.de
Rückblick: 10 Jahre Equal Pay Day in Deutschland
von Henrike von Platen

                Z         ehn Jahre Equal Pay Day in Deutschland. Ist
                          das ein Tag der Freude oder Tag des Zorns?
                          Einerseits macht es wütend, dass sich schon
                 so lange Frauen gegen ungerechte Bezahlung enga-
                 gieren – und trotzdem gibt es noch eine Lohnlücke
                                                                           Kinder weniger Geld bezahlen als für die Verwaltung
                                                                           unserer Sparbücher? Wollen wir wirklich ausgerech-
                                                                           net die Menschen in Altersarmut schicken, die sich in
                                                                           jungen Jahren um die Pflege unserer Eltern kümmern?
                                                                           FairPlay heißt FairPay!
                 von 21 Prozent. Für jede Arbeitsstunde bekommt eine           Wir müssen über Geld reden. Wie seltsam, dass
                 Frau ein Fünftel weniger als ein Mann. Das ist unfair.    wir im Deutschland des 21. Jahrhunderts über so viel
                 Gleichberechtigung steht im Grundgesetz. Aber die         offen reden, aber immer noch ein großes Tabu haben:
                 Ungleichbehandlung in den Lohnbüchern. Das ist            das Gehalt. Dabei hat schon die Berufswahl langfris-
                 empörend. Solange der Equal Pay Day und Neujahr           tige finanzielle Folgen. Ob jemand in der Altenpflege
                 nicht auf denselben Tag fallen, liegen dazwischen         oder in der Autowerkstatt arbeitet, hat Auswirkun-
                 lauter Tage des Zorns. 2017 werden es 77 Tage des         gen bis ins Rentenalter hinein. Da geht es nicht um
                 Zorns sein!                                               einzelne, sondern um hunderte Euros – jeden Monat!
                      Andererseits ist der Equal Pay Day auch ein Tag      Warum wird darüber nicht geredet? Wieso ausgerech-
                 der Freude. Freude darüber, dass es seit zehn Jahren      net hier die Preise nicht verglichen? Welches Tabu
                 gelingt, Menschen dafür zu mobilisieren, dass sie sich    verbietet uns größtmögliche Transparenz? Nur im
                 gegen die Ungerechtigkeit auflehnen. Freude und           Preisvergleich entsteht ein fairer Wettbewerb. Wie
                 Stolz auf den Verband BPW, der diese Ungerechtigkeit      wäre es, wenn unter einem Arbeitsvertrag der Warn-
                 in die Medien und die Öffentlichkeit getragen hat.        hinweis stünde: „Vorsicht! Die Unterschrift unter
                 Der Erfolg ist messbar: Inzwischen ist die Lohnlücke,     diesen Vertrag gefährdet Ihre Rente!“
                 der Gender Pay Gap, im Bewusstsein vieler Menschen            Wer weiß, was und wieviel Geld er oder sie für
                 angekommen. Wir streiten nicht mehr darüber, dass         welche Leistung bekommt, kann nicht nur von
                 es eine Lohnlücke gibt. Wir streiten nur noch darüber,    Anfang an die Berufsentscheidungen entsprechend
                 wie groß diese Lücke ist. Und neuerdings streiten wir     vernünftig und weitsichtig fällen, sondern auch später
                 fast nur noch darüber, mit welchen Maßnahmen diese        mit seinen Kolleginnen und Kollegen angst- und
                 – egal wie große – Lohnlücke zu schließen ist. Anders     neidfrei in der Gewissheit arbeiten, dass die Ar-
                 gesagt: Was tun wir, damit die Ungerechtigkeit erst       beit aller fair bewertet und bezahlt wird. Gerechte
                 gar nicht auftritt?                                       Bezahlung ist kein Genderthema. Erst recht kein
                      Und es ist allerhand passiert, seit Lena Madesin     Frauenproblem. Wir brauchen Transparenz für eine
                 Phillips 1919 den ersten Business and Professional        faire Wirtschaft und Gesellschaft. Lohngerechtigkeit
                 Women Club in den USA gründete. Auch damals               geht uns alle an. Deswegen sollten wir uns alle zwei
                 schon forderte sie „equal pay for equal work“. 1927 be-   Vorsätze ins Merkheft schreiben: „Heute bezahle ich
                 kam ein Buchhalter 45 Dollar in der Woche, während        fair. Und heute werde ich fair bezahlt.“ Wenn wir das
                 eine Buchhalterin nur 30 Dollar bekam. Ein Lohnun-        beherzigen, dann steht bald in jedem Kalender: Equal
                 terschied von dreißig Prozent! In neun Jahrzehnten        Pay Day – Neujahr 2020!
                 haben wir uns neun Prozentpunkte vorwärts bewegt.
                 Nicht wirklich rasant.
                      Damit etwas mehr Tempo in die Sache kommt,
                 haben wir in den letzten zehn Jahren verschiedene                      Henrike von Platen ist Unter-
                 Aspekte der Entgeltungleichheit ins Rampenlicht                        nehmensberaterin und Initia-
                 gerückt: Ein Zentner Zement ist genauso schwer wie                     torin des FairPay-Bündnisses.
                 ein 50 Kilo schweres Kind. Trotzdem wird körperli-                     Die Finanzexpertin gründete
                 che Arbeit unterschiedlich bewertet. Wieso? Weshalb                    einen Fraueninvestmentclub, ist
                 ist Familien-Arbeit so selbstverständlich unbezahlt?                   Hochschulrätin an der Hoch-
                 Und warum wird die für unsere Zukunft so wichtige                      schule München und engagiert
                 Erziehungs- und Bildungsarbeit nicht entsprechend                      sich im Arbeitskreis deutscher
                 gut bezahlt?                                                           Aufsichtsrat e.V. sowie bei
                      Das sind Fragen nach Gerechtigkeit. Nur gleiche                   FidAR, der Initiative für Frauen
                 Chancen und gleiche Möglichkeiten, aber vor allem                      in die Aufsichtsräte. Von 2010
                 gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige                       bis 2016 war sie Präsidentin
                 Arbeit sind gerecht und fair. Wollen wir wirklich in                   des Business and Professional
                 einer Welt leben, in der wir für die Erziehung unserer                 Women (BPW) Germany e.V.

Equal Pay Day | Journal | 2017
                                                                                                                                    7
EQUAL PAY DAY 18. März 2017 - #EPD2017 www.equalpayday.de
Whether you are a woman on a tea
                                                                                                    plantation in Kenya, or a stock-
                                                                                                    broker on Wall Street, or a Hollywood
                                                                                                    actress, no one is being paid equally.
                                                                                                    Emma Watson, Schauspielerin und UN Women
                                                                                                    Goodwill Ambassador
Die Lohnlücke im Schauspiel
von Julia Beerhold

              A       uch Schauspielerinnen haben ein
                      geringeres Einkommen als ihre
                      männlichen Kollegen. Dies be-
             legen unter anderem die Zahlen der Ge-
             sellschaft zur Verwertung von Leistungs-
                                                                     Frauen spielen häufiger als Männer Rol-
                                                                     len, die auch in der Realität ein geringes
                                                                     Einkommen haben: Sekretärinnen, Putz-
                                                                     frauen, Prostituierte, Hausfrauen. Oder
                                                                     ihre Rolle hat gar keinen klar defi nier-
                                                                                                                            schaft zurückspiegeln, hat weitreichende
                                                                                                                            Folgen für uns alle.

                                                                                                                            Wahrnehmungsverzerrung
                                                                                                                            „Aber das stimmt doch alles gar nicht,
             schutzrechten (GVL), die auf Bitte des                  ten Beruf. Männer spielen öfter Anwälte,               es gibt doch so viele Kommissarinnen!“
             BFFS im Jahr 2016 eine Übersicht über                   Richter, Ärzte, Politiker oder stellen Fi-             Diesen Satz höre ich oft , wenn ich über
             das Gesamt-Einkommen der Schauspie-                     guren mit unbestimmtem akademischen                    das Thema spreche. Und tatsächlich ist
             lenden getrennt nach Geschlecht zur Ver-                Hintergrund dar.                                       die „Kommissarinnen-Schwemme“ ein
             fügung gestellt hat. Die hier generierten               Ein konkretes Beispiel: In einer Szene                 tolles Beispiel – für unsere verzerrte
             Zahlen beziffern den Einkommensun-                      kommen zwei Männer und drei Frauen                     Wahrnehmung.
             terschied zwischen Männern und Frauen                   vor. Die beiden Männer spielen „Akade-                 Am Anfang gab es fast nur männliche
             vor der Kamera für die einzelnen Sparten                miker“ und die drei Frauen „Prostituier-               Kommissare beim Tatort. Über die Jah-
             wie Hörfunk, Film und Fernsehen.                        te“. Die Gage der Männer war 500 Pro-                  re wuchs der Frauenanteil kontinuierlich
             Die Einkommenslücke scheint zwar in                     zent höher kalkuliert als die der Frauen.              und liegt heute bei ca. 40 Prozent (29
             den letzten Jahren etwas zu sinken, aber                Auf Nachfrage die Begründung: „Ja, das                 männliche, 20 weibliche). Damit sind
             im Schnitt verdienten Schauspielerinnen                 sind ja Akademiker!“ So weit, so absurd.               immerhin noch rund 60 Prozent der Er-
             zum Beispiel im Bereich Fernsehen in den                                                                       mitt ler Männer.
             Jahren 2000 bis 2009 noch immer 22,7                    Frauen kommen weniger vor                              Man braucht also nur die Seite der ARD1
             Prozent weniger als ihre männlichen                     Ein weiterer Grund für die Lohnlücke                   aufzurufen und zu zählen, und schwups,
             Kollegen.                                               ist: Frauen kommen in Erzählungen noch                 sieht man: optische Täuschung!
             Damit entspricht die Lohnlücke in un-                   immer weniger vor. Kurz gesagt: Auf eine               Wir sind so daran gewöhnt, dass Frau-
             serem Beruf auf fast unheimliche Weise                  weibliche Rolle kommen im Schnitt zwei                 en in Film und Fernsehen weniger vor-
             dem bundesweiten Durchschnitt von                       männliche.                                             kommen, dass wir eine „Schwemme“
             zurzeit 21 Prozent. Punktlandung!                       Wir können also gar nicht gleich viel ar-              wahrnehmen, wenn der Frauenanteil
             Was sind die Gründe?                                    beiten wie unsere männlichen Kollegen,                 nur leicht über die magische Schwelle
                                                                     weil es schlicht an Rollenangeboten fehlt.             von 30 Prozent steigt. Wir nehmen das
             Vermischung von Fiktion und                             Dies wird potenziert durch Faktoren wie                bereits als Überzahl wahr, selbst wenn die
             Realität: weibliche Rollen sind                         Alter, BMI (immer noch Symbol für „At-                 weiblichen Rollen zahlenmäßig immer
             „weniger wert“                                          traktivität“), ethnisches Erscheinungs-                noch weniger sind.
             Die Lohnlücke in unserer Branche hängt                  bild etc., so dass die Mehrzahl der Frauen,
             vermutlich nicht nur mit der – im Einzel-               die wir auf dem Bildschirm sehen, immer                Wünsche, Forderungen, Ausblick
             fall schwer zu beweisenden – niedrigeren                noch jung, weiß und schlank ist.                       So wie der Gesetzentwurf für mehr
             Gagenhöhe für Frauen zusammen. Zwar                     Auch die so genannten Präsenzmessun-                   Lohngerechtigkeit auf Transparenz bei
             gibt es immer wieder Hinweise darauf,                   gen, mit denen der BFFS in diesem Jahr                 den Gehaltsstrukturen aufbaut, glaubt
             dass weibliche Rollen niedriger kalku-                  begonnen hat, belegen, dass selbst im Jahr             auch der BFFS, dass Transparenz positive
             liert werden, aber dies zu beweisen ist                 2016 in den öffentlich-rechtlichen fi kti-             Veränderungen bewirkt. Daher fordern
             schwierig.                                              onalen Erstausstrahlungen noch immer                   wir ein Monitoring durch Sender und
             Der BFFS beobachtet jedenfalls seit                     deutlich weniger Frauen als Männer zu                  Förderanstalten. Diese sollen in ihren
             langem eine kuriose Vermischung von                     sehen sind. Dies ist nicht nur ein Problem             Jahresberichten offen legen, wie die
             Fiktion und Realität: Abgesehen von ei-                 für Schauspielerinnen, die dadurch we-                 prozentuale Verteilung der Rollen sowie
             nigen wenigen, sehr gut bezahlten weib-                 niger Arbeit (und in Folge weniger Ein-                die Gesamtvergütung von Männern und
             lichen Stars spielen Frauen oft in den                  kommen, geringere Sozialleistungen und                 Frauen aussehen.
             niedrigeren Einkommensklassen. Dies                     am Schluss eine noch niedrigere Rente)                 Dies wäre ein erster Schritt , um die Lohn-
             hängt – nicht nur, aber eben auch – mit                 erzielen.                                              lücke im Bereich Schauspiel zu verrin-
             dem Umstand zusammen, dass selbst im                    Es ist auch ein gesellschaft liches Problem.           gern. Und ganz sicher hätte ein solches
             Fiktionalen die Rolle, die jemand spielt,               Denn das, was wir auf dem Bildschirm                   Monitoring auch einen positiven Effekt
             „weniger wert“ zu sein scheint.                         sehen, spiegelt nicht nur unsere Realität              auf die Frauenbilder im Einzelnen.
                                                                     wider, sondern prägt sie gleichzeitig. Das             Es kann nicht im Sinne des öffentlich-
                                                                     Geschlechterbild, das wir in die Gesell-               rechtlichen Kultur- und Bildungsauf-
             1
                 htt p://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/kommissare/tatort-fi lter-aktuelle-kommissare-100.html

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Es wird Zeit endlich durchzustarten –
                                             und zwar gemeinsam
                                             Kongress 10 Jahre Equal Pay Day
                                             von Waltraud Kratzenberg-Franke

trags sein, ein komplettes Geschlecht aus-
zublenden bzw. verzerrt darzustellen. Die
Frauenbilder in Film- und Fernsehen sind
vielleicht nicht mehr so schlimm wie in
den fünfziger Jahren, aber das, was uns
                                             Z        um 10. Mal rufen wir dieses
                                                      Jahr den Equal Pay Day in
                                                      Deutschland aus. Endlich
                                             partnerschaftlich durchstarten, ist das
                                             diesjährige Motto, denn die Erfahrung
                                                                                         son überhaupt etwas ändern und wenn
                                                                                         ja, wie? Am 18. März 2017 findet der
                                                                                         Equal Pay Kongress in Berlin statt. Hier
                                                                                         wollen wir ins Gespräch kommen. Der
                                                                                         Kongress als melting pot für Themen,
dort gespiegelt wird, ist immer noch weit    der letzten zehn Jahre hat gezeigt, dass    Sichtweisen, Fragen und vor allem
von unserer Realität entfernt. Die sieht     nur gemeinsam die Lohnlücke nachhal-        Antworten und Lösungswege.
nämlich so aus: Frauen sind die Hälfte       tig geschlossen werden kann.                     Das Motto endlich partnerschaft-
der Bevölkerung, und wir existieren in           Auf dem Papier ist Gleichstellung       lich durchstarten bietet den Freiraum,
allen Altersklassen und Erscheinungs-        schon lange angekommen, in der              viele Themen, die mit der Lohnlücke
bildern. Und wir sind es wert, auch so       Realität leider noch nicht. Was sind die    verbunden sind, anzusprechen. Wir
„erzählt zu werden“. Und wir sind es wert,   Stolpersteine auf dem Weg zu Lohn-          haben Themenkomplexe benannt
das Gleiche zu verdienen.                    gerechtigkeit? Die Konsequenzen der         und passend dazu Thesen formuliert.
                                             Lohnlücke bekommen nicht nur Frau-          10 Thesen zu 10 Themen, die ganz
                                             en zu spüren – alle tragen die Benach-      bewusst weit gefasst sind, um Raum für
                                             teiligungen. Genauso verhält es sich        Diskussionen, eigene Erfahrungen und
                                             mit ihrem Nutzen: gerechte Bezahlung        Anknüpfungspunkte zu bieten. Disku-
                                             bedeutet eben auch Vorteile für alle.       tieren Sie mit uns, wenn wir sagen:
Julia Beerhold wurde in
                                             Nehmen wir endlich die Vorteile für         • Gleichstellung findet in unser
Düsseldorf geboren mit dem
                                             alle in den Blick, das Motto der diesjäh-      aller Köpfen statt
Ziel, so schnell wie möglich
                                             rigen Kampagne gibt den Startschuss:        • Ohne Partnerschaftlichkeit –
etwas anderes zu sehen. Nach
                                             Partnerschaftlich für Lohngerechtig-           kein Equal Pay
Aufenthalten in Malaysia,
                                             keit – denn nur so kommt spürbar Be-        • Der Wert der Arbeit ist geschlechts-
USA, Frankreich und Chile
                                             wegung in ein Thema, das all die Jahre         neutral
lebte sie etliche Jahre in Mad-
                                             durch Unbeweglichkeit glänzt.               • Gleichstellung ist auch eine Frage
rid und absolvierte dort ihr
                                                 Das Erkennen der Ursachen zur              der (Arbeits-)Zeit
Schauspielstudium. Seitdem
                                             Lohnlücke ist durch die Schwerpunkt-        • Betreuungsangebote dienen als
ist sie nicht weniger reiselus-
                                             wahl der letzten Kampagnenjahre gut            Schlüssel zu mehr Frauen im
tig, aber immerhin sesshaft
                                             auf den Weg gebracht worden. Wir               Arbeitsmarkt
in Köln. Heute arbeitet Julia
                                             haben sie aufgespürt und benannt,           • Wissen ist Macht. Transparente
Beerhold als Schauspielerin
                                             die vielschichtigen Gründe, die zur            Gehälter schaffen Augenhöhe
für Film und Fernsehen, dreht
                                             Lohnungleichheit zwischen Frauen und        • Unternehmenskulturen müssen
Dokumentarfilme und arbeitet
                                             Männern führen. Und haben erkannt,             nachhaltig verändert werden
als Schauspielcoach im In- und
                                             dass beim Thema Gender Pay Gap              • Flexible Arbeitsmodelle stärken
Ausland. Seit Februar 2009 ist
                                             alles mit allem zusammenhängt. Jetzt        • Die Chancen der Digitalisierung
sie im Vorstand des Bundesver-
                                             geht es darum, Handlungsspielräume             nutzen und den Risiken begegnen
band Schauspiel e.V. (BFFS).
                                             zu entdecken, Ideen zu entwerfen            • Der Blick über den Tellerrand lohnt
                                             und Lösungen zu finden, um endlich             sich – wie wir von anderen Ländern
                                             die Lohnlücke zu überwinden, denn              lernen können
                                             Entgeltgleichheit ist kein Selbstläufer.         Mit unserem Journal können Sie
                                             Auch wenn Ursachen bekannt sind,            sich auf den Kongress einstimmen. Zu
                                             Aufklärung allein reicht nicht aus.         jedem Thema finden Sie hier passende
                                                 Das neue Motto der Kampag-              Artikel. Die Autoren und Autorin-
                                             ne ist eine Aufforderung an alle, an        nen dieses Journals widmen sich aus
                                             Frauen und Männer, an Berufsstarter         unterschiedlichster Perspektive jeweils
                                             wie Berufstätige, an Auszubildende,         einem Themenkomplex und bieten
                                             Selbstständige und Unternehmen, sich        Einblick in die vielfältigen Facetten der
                                             zu beteiligen.                              Lohnlücke.
                                                 Wir möchten zum Handeln sensi-
                                             bilisieren. Was können wir, jede und
                                             jeder einzelne, tun, um die Lohnlücke       Waltraud Kratzenberg-Franke
                                             zu schließen? Kann ich als Einzelper-       ist seit 2016 Projektleiterin des
                                                                                         Forum Equal Pay Day.

Equal Pay Day | Journal | 2017
                                                                                                                                 9
THESE 1
                                            Gleichstellung beginnt in unser aller Köpfen

Stereotype und Rollenbilder verändern:
Für Jungs, die Bundeskanzlerin und Mädchen,
die Konzernchef werden wollen
von Nils Pickert

              W        o fängt das eigentlich an und wa-
                       rum fragt mich nie einer? Diese
                       beiden Fragen habe ich immer
              im Gepäck, wenn ich für den Verein
              Pinkstinks unterwegs bin, um beispiels-
                                                            ben der Schwangeren auf das Geschlecht
                                                            des Kindes geschlossen wird. Oder in
                                                            der werdende Mütter von einer Droge-
                                                            riemarktkette dazu aufgefordert werden,
                                                            sich doch dringend mal Gedanken über
                                                                                                             Beide Fragen stehen exemplarisch für
                                                                                                         das gesamtgesellschaftlich auf persönli-
                                                                                                         cher und struktureller Ebene verankerte
                                                                                                         Problem des Sexismus. Also der Diskri-
                                                                                                         minierung aufgrund von Geschlecht.
              weise Vorträge zu halten. Die erste ist be-   ihr Aussehen unter der Entbindung zu         Wo Werbung und Produktwelten in
              ruflicher Natur, die zweite eher privater.    machen und darüber, wie es sich durch        hohem Maß Geschlechternormierung
              Wobei sich das umso mehr vermischt, je        Schmink- und Pflegeprodukte verbes-          erzeugen, mit denen eine Identifikation
              länger ich mich damit beschäftige. Denn       sern ließe. Das heißt nichts anderes, als    weniger optional als vielmehr unum-
              in beiden geht es um Sexismus und dar-        dass man hinter derlei Stereotype nicht      gänglich erscheint, leisten wir genau
              um, an welchem Punkt der Bemühungen           einfach zurücktreten kann, um von die-       dieser Diskriminierung Vorschub. Und
              um Gleichberechtigung und Geschlech-          sem Punkt aus Gleichberechtigung zu          wo Care-Tätigkeiten als genuin weiblich
              tergerechtigkeit wir uns tatsächlich be-      realisieren. Sexismus erledigt sich nicht    identifiziert werden, sind Männer und
              finden. Die erste Frage versuche ich für      von selbst. Er muss entlarvt, entlernt und   Frauen nur in dem Maße frei, wie sie
              ein Publikum zu veranschaulichen. Wo          mit vielfältigen, klischeefreien Alterna-    einer Bedrohung durch Stereotype da-
              fängt sie an, diese strikte Geschlech-        tiven ersetzt werden. Weil selbst Klei-      durch begegnen, dass sie sie wohlweislich
              tertrennung in rosa-hellblaue Welten,         nigkeiten des Alltags von der Annahme        erfüllen. Sie haben die Freiheit, auf sehr
              in denen sich Mädchen und Jungen so           durchdrungen sind, Frauen und Männer         engem Raum genau die geschlechtsge-
              stereotyp wie möglich verhalten müs-          seien qua Geschlecht unumstößlich zu         bundenen Schritte zu tun, die von ihnen
              sen, um dem stetig steigenden Druck           einer Vielzahl von Gedanken, Gefühlen        erwartet werden.
              von Selbst- und Fremdvergewisserung           und Tätigkeiten verpflichtet.                    Jenseits einer gut sichtbaren Perfor-
              der eigenen Identität standhalten zu kön-          Was mich zur zweiten Frage bringt:      mance dieser geschlechtsspezifischen
              nen. Bei T-Shirts, die nur für Mädchen        Warum fragt mich nie jemand, wie ich         Zuschreibung sind sie jedoch unfrei.
              produziert werden und auf denen „In           die Betreuung meiner Kinder organisie-       Einige Hindernisse, die in diesem Zu-
              Mathe bin ich Deko“ steht? Bei Kinder-        re? Wieso bin ich nicht Rechenschaft da-     sammenhang einer tatsächlichen Gleich-
              fahrrädern, die nur deshalb doppelt an        für schuldig, wenn ich nach Feierabend       berechtigung im Weg stehen, konnten im
              uns verkauft werden können, weil wir das      nicht umgehend nach Hause gehe oder          Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte
              noch völlig funktionstüchtige rosa Rad        eine mehrtägige Dienstreise unterneh-        beseitigt werden. Andere wurden im
              der älteren Tochter dem Sohn aufgrund         me?                                          gleichen Zeitraum so stark zementiert,
              der Farbe nicht weitervererben kön-                Wann immer ich fern der Heimat          dass es beinahe unmöglich erscheint, sie
              nen? Bei Fernsehwerbung für einen der         erwähne, dass ich Vater von vier Kin-        schließlich aufzubrechen. Wieder andere
              größten Hersteller von Babynahrung, in        dern bin und meine jüngstes kein halbes      waren entweder noch nie sichtbar oder
              dem aus dem kleinen Jungen selbstver-         Jahr alt ist, wird stillschweigend davon     wurden durch maximale verbale Aufge-
              ständlich ein technisch-mathematisch          ausgegangen, dass meine Partnerin sich       schlossenheit bei gleichzeitiger Verhal-
              begabter Mann wird, während das kleine        darum zu kümmern und mich als unqua-         tensstarre wieder verunsichtbart. Gerade
              Mädchen naturgemäß zu einer Ballerina         lifiziertes Laienpersonal mit derartigen     in den genannten Feldern existieren Be-
              heranwächst? Oder nicht doch schon bei        Problemen nicht zu behelligen hat. Sie       reiche, die unter dem Deckmantel eines
              Schnullern, die für ihn mit der Aufschrift    hingegen muss sich für ihre mangelhaft       behaupteten emanzipatorischen Fort-
              Bad Boy und für sie mit dem Schriftzug        belegte und zur Schau getragene Mutter-      schritts so lange als unproblematisch
              Drama Queen versehen sind? Weil man           schaft rechtfertigen, wenn sie nach der      eingestuft werden, bis man an die ent-
              irgendwo einen Anfang setzen muss, be-        Geburt ihres Kindes den frühestmögli-        sprechenden Sollbruchstellen gelangt,
              ginne ich meistens dort. Allerdings nicht     chen Zeitpunkt zum Wiedereinstieg in         wo sie auf einmal unüberwindbar schei-
              ohne auf den Prolog und damit auf die         ihren Beruf wählt, Überstunden schiebt       nen: Karriere- und Familienplanung,
              Vorgeschichte zu diesen Schnullern ein-       oder am anderen Ende des Landes an ei-       Kinderbetreuung, Haushaltsführung,
              zugehen. Der Vorgeschichte, in der von        ner Konferenz teilnimmt.                     Altersvorsorge, Einkommen – um nur
              der Bauchform und den Nahrungsvorlie-                                                      einige zu nennen.

10                                                                                                                       Equal Pay Day | Journal | 2017
Ungleiche Bezahlung für gleiche
                                                             Arbeit von Frauen und Männern -
                                                             das geht gar nicht. Das verletzt
                                                             elementare Menschenrechte und
                                                             verfestigt Machtstrukturen zwischen
                                                             den Geschlechtern, die unfair und
                                                             unproduktiv sind.
                                                             Prof. Dr. Klaus Hurrelmann
                                                             Prof. of Public Health and Education Hertie School
                                                             of Governance

    Viel zu oft ist es die Karriere des Man-
nes, der „es gerade gar nicht gut tun wür-
de, durch Vätermonate oder anderwei-
tige familiäre Verpfl ichtungen belastet
zu werden“. Und viel zu häufig obliegt es
der Frau, ihre Karriere hintanzustellen,
um die notwendigen Care-Arbeiten zu
verrichten. Mitt lerweile häufig in Dop-
pelbelastung zusätzlich zum Job. In ei-
nem Arbeitsmarkt, der sich zunehmend
prekärer und flexibler gestaltet, sind zwei
Einkommen zwar plötzlich nicht nur
möglich sondern auch notwendig, aber
Haushalt bleibt immer noch das, was sich
eben nicht von allein macht, sondern was       Nils Pickert ist freier Autor
sie allein macht.                              und Journalist sowie seit 2014
    Auf dem Weg zur Gleichberechti-            für Pinkstinks als Chefredak-
gung ist also noch ein ganzes Stück zu-        teur tätig. Als Vater von vier
rückzulegen. Und jedes Mal, wenn wir           Kindern, Teilzeitrockträger
es uns hinter Scheinmaßnahmen wie              und Vollzeitfeminist schreibt
einer freiwilligen Selbstverpfl ichtung        er vor allem über Kinder, Er-
zur Quotierung oder Geschlechterste-           ziehungsfragen und Gleichbe-
reotypen bequem machen, werden wir             rechtigung.
zurückgeworfen und müssen einiges an
Strecke noch einmal gehen. Um schlus-
sendlich auf verbindliche Regelungen
zu bestehen, die es uns erlauben, das öf-
fentliche und private Zusammenleben
geschlechtergerecht zu gestalten. Je un-
bequemer, mühsamer und frustrierender
uns das erscheint, umso sicherer können
wir uns sein, an der richtigen Stelle zu
graben und den wunden Punkt zu treffen.
Denn Sexismus ist stets die schnelle, die
einfache und naheliegende Möglichkeit.
Aufgrund des Geschlechts zu diskrimi-
nieren und diskriminiert zu werden,
zählt zu unseren Basiserfahrungen. Wo-
mit wir wieder beim Anfang wären:
    Wo fängt das eigentlich an und war-
um fragt mich nie einer?

Equal Pay Day | Journal | 2017
                                                                                                                  11
THESE 2
                                            Equal Pay braucht Partnerschaftlichkeit

Equal Pay partnerschaftlich denken
von Markus Theunert

           L      ohngleichheit ist mehr als ein Frauenprojekt: Auch
                  Männer profitieren von Lohngleichheit – und
                  auch Männer müssen ihren Beitrag leisten, um
            Lohngleichheit zu erreichen. Dabei geht es um mehr
            als ums Verzichten und Zurückstecken.
                                                                        Die Grenzen des Gerechtigkeitsappells
                                                                             In der Männerarbeit wird gern Antoine de Saint-Exu-
                                                                        péry mit seinem Satz zitiert: „Wenn Du ein Schiff bauen
                                                                        willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz
                                                                        zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit ein-
                 Das Ziel ist unbestritten, die Anstrengungen sind      zuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach
            enorm – und doch bleiben die Fortschritte überschaubar.     dem weiten, endlosen Meer“ (aus: Die Stadt in der Wüs-
            Die Realität zeigt: Lohngleichheit ist hoch komplex und     te). Sein Kerngedanke bestätigt sich in der praktischen
            kommt kaum voran, wenn wir das Projekt eindimensio-         Arbeit mit Männern immer wieder: Der stärkste Motor
            nal als Angleichung weiblicher Löhne an die männlichen      der Veränderung ist nicht das Pflicht- oder Gerechtig-
            denken. Der umgekehrte Ansatz ist aber auch nicht son-      keitsgefühl, sondern die Sehnsucht: Die Sehnsucht nach
            derlich erfolgsversprechend: Von Männern zu verlangen,      dem anderen Leben jenseits von Fremd- und Selbstaus-
            mit weniger Lohn zufrieden zu sein, damit sich Männer       beutung. Die Sehnsucht, liebens- und lebenswert zu sein
            und Frauen im statistischen Schnitt in der Mitte treffen,   jenseits von Status und Performance. Die Sehnsucht
            ist kaum ein Projekt, das mit substanzieller männlicher     nach Bezogenheit und Einbindung.
            Eigenmotivation rechnen darf. Dabei sind die Folgen              Daraus entwickelt progressive Männerarbeit und
            der Lohnungleichheit für Männer ebenso deutlich wie         -politik einen ergänzenden Ansatz zur Förderung von
            unerwünscht: Lohnungleichheit lässt zum Zeitpunkt           Lohngleichheit: Nicht die Angleichung der Löhne
            der Familiengründung auch heute noch und entgegen           steht in dieser Perspektive im Fokus der Anstrengun-
            aller Vorsätze die Traditionsfalle zuschnappen. Das rächt   gen, sondern die Angleichung der Erwerbsverläufe und
            sich spätestens bei späterer Trennung und Scheidung.        der Berufswahl sowie die Teilung aller bezahlter und
                 Aus Sicht einer progressiven Männerarbeit und          unbezahlter Arbeiten zwischen den Geschlechtern.
            –politik stellt sich also die Frage: Wie ist das Projekt    Lohngleichheit ist dann die abhängige Variable, die
            Lohngleichheit zu denken (und zu „verkaufen“), da-          sich sozusagen im Windschatten dieser Entwicklun-
            mit es auch von “ganz normalen Männern“ nicht nur           gen verändert.
            als gerecht, sondern als machbar und sogar attraktiv             Die linke Abbildung illustriert diesen Ansatz. Ihre
            empfunden wird?                                             politische Aussage: Wir müssen alle vier Hebelkräfte
                                                                        nutzen, um die faire Verteilung aller Belastungen und
                                                                        Ressourcen zu erreichen. Die Förderung von Frauen im/
                                                                        in den Arbeitsmarkt (Hebelkraft 1) ist dabei eine von
                                                                        vier Aufgaben, aber eben nicht die Einzige. Ebenso gilt
                                                                        es, die einseitige Erwerbsorientierung von Männern zu
                                                                        lösen (Hebelkraft 2) und ihre familiär-häusliche Betei-
                                                                        ligung zu unterstützen (Hebelkraft 3) wie auch Frauen
                                                                        darin zu unterstützen, die ihnen traditionell zugedachte
                                                                        Verantwortung für Heim und Familie abzugeben (He-
                                                                        belkraft 4).

                                                                                           Markus Theunert ist Gene-
                                                                                           ralsekretär des Dachverbands
                                                                                           Schweizer Männer- und Vä-
                                                                                           terorganisationen männer.ch
                                                                                           (www.maenner.ch) und Leiter
                                                                                           des nationalen Programms
                                                                                           MenCare Schweiz (www.
                                                                                           mencare.swiss).

                                                                        Luxemburger Erklärung zur 3. Internationalen Konferenz Männer und
                                                                        Gleichstellung: http://www.mega.public.lu/fr/actualites/2016/10/icmeo/
                                                                        end-declaration/Abschlusserklaerung.pdf

12                                                                                                                               Equal Pay Day | Journal | 2017
MenCare? MenCare!
    Jungen, Männer und Väter brauchen in dieser Situation gleichstellungspoliti-
sche Unterstützung. In der Schweiz haben wir ein nationales Programm MenCa-
re als Dachstrategie entwickelt, um eine Vielzahl von Projekten und Initiativen
zu bündeln. MenCare ist dabei als männerspezifi sche Teilstrategie zur Förderung
männlicher Sorgearbeit konzipiert. Das klingt unverdächtig, birgt aber letztlich
einige Sprengkraft . Denn „Caring Masculinities“ sind nicht denkbar ohne Kom-
petenz und Haltung des Bezogen- und Verantwortlichseins – und bedingen damit
eine fundamentale Neuausrichtung unseres Männerbilds. In der konkreten Umset-
zung werden beispielsweise Jungen gefördert, zukunft strächtige Berufe im Pflege-,
Pädagogik- oder Sozialbereich zu ergreifen oder es werden Unternehmen motiviert,
Mitarbeiter als werdende Väter wahrzunehmen und sie in ihren Vereinbarkeitsan-
liegen zu unterstützen.
    Welche Sicherheit gibt es, dass die Förderung männlicher Sorgearbeit auch
wirklich der Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern dient? Zwei Argumente
liegen auf der Hand:
    1. Je höher der Männeranteil in einem Beruf, umso besser ist seine Bezahlung.
Knacken wir die horizontale Geschlechtersegregation im Arbeitsmarkt, dann kna-
cken wir auch diesen Effekt.
    2. Die Lohnungleichheit entsteht nicht beim Berufseinstieg, sondern in der ers-
ten Hocherwerbsphase um die 30, also just zum Zeitpunkt der Familiengründung.
Verteilen wir das Erwerbsrisiko von Geburt und Familiengründung fair zwischen
den Geschlechtern, dann schließen wir auch die Schere in der Lohn- und Karrie-
reentwicklung.

                                                                         Lohngerechtigkeit ist auch eine
                                                                         Männerfrage. Nur wenn Männer und
                                                                         Frauen gleich viel verdienen,
                                                                         können Männer endlich auch die
                                                                         ihnen gesellschaftlich zugewiesene
                                                                         Haupternährerrolle aufgeben. Wir
                                                                         brauchen insgesamt eine neue Fürsor-
                                                                         gekultur und besonders eine bessere
                                                                         Bezahlung der Care-Berufe. Dafür
                                                                         müssen wir uns gemeinsam als Frauen
                                                                         und Männer stark machen.
                                                                         Martin Rosowski, Vorsitzender Bundesforum
                                                                         Männer – Interessenverband für Jungen, Männer
                                                                         & Väter e.V. und Geschäft sführer Evangelisches
                                                                         Zentrum Frauen und Männer gGmbH

Equal Pay Day | Journal | 2017
                                                                                                                           13
THESE 3
                                          Der Wert der Arbeit ist geschlechtsneutral

Rückt den schiefen Turm von Pisa gerade!
von Martin Wehrle

            G      ehalt darf keine Frage des Ge- der Chef ein Stück nach unten handeln

                   Gerechtigkeit.
                                                                                                         Diese Muster haben mit der Soziali-
                   schlechts sein, es ist eine Frage der kann. Außerdem gilt es als schlechte Idee, sation zu tun. Eltern neigen noch immer
                                                         eine Gehaltsforderung mit Konjunkti- dazu, Kinder nach Geschlecht zu erzie-
                 „Können Sie mir das erklären?“, frag- ven vorzutragen: „Es wäre schön, wenn hen: Ein Junge, der sich mit dem Fahr-
            te ich den Geschäftsführer des Autozulie- ich diese Erhöhung bekommen könnte rad in die Kurve legt, wird als mutig und
            ferers. Wir beugten uns zusammen über (…)“. Keine Forderung, sondern eine sportlich betrachtet. Bei einem Mädchen
            die Gehaltstabelle seines mittelständi- Bitte. Und die wird oft abgelehnt, da die aber ist die Neigung groß, dasselbe Ver-
            schen Unternehmens. Ich                                     Vorgesetzten zu Recht an- halten als „riskant“ zu werten und „Vor-
            sah das gleiche Bild wie so           Diese heimli- nehmen, dass frau danach sicht!“ zu rufen.
            oft: Die Spitzengehälter chen Spielregeln genau so engagiert wie
            flossen fast nur an Männer.                                 davor weiterarbeitet – im        Mädchen und Jungen unterscheiden
            Dagegen fielen die Frauen sind eine Erblast Gegensatz zu Männern, die sich auch in ihren jeweiligen Gruppen.
            durch Mini-Entgelte auf: der Wirtschafts- dann oft zu einem anderen Die Jungen tragen pausenlos Wettkämpfe
            Eine Abteilungsleiterin
            bekam 58.000 Euro, ihre
                                             wunder-Zeit, von Arbeitgeber           durchbrennen, aus, spielen Fußball, veranstalten Wett-
                                                                        um dort abzukassieren.       rennen, raufen sich. Gewonnen hat, wer
            männlichen Kollegen fast            Männern für                 Aber wie zeitgemäß am besten und am stärksten ist. Jungen
            das Doppelte. Und nahe- Männer gemacht sind diese Spielregeln? Soll blicken gern zu einem Anführer auf. Da-
            zu alle Gehälter von unter                                  belohnt werden, wer bei sei- gegen ziehen Mädchen kooperative Spiele
            25.000 Euro standen hin-                                    ner Forderung schwindelt? vor, Kaufmannsladen oder Seilhüpfen.
            ter Frauennamen – angeblich Hilfskräfte Belohnt, wer mit dem rhetorischen Ham- Unter ihnen ist es verpönt, sich über die
            fürs Sekretariat und Teilzeit-Mitarbeite- mer in die Verhandlung kommt? Belohnt, anderen zu stellen.
            rinnen.                                      wer jederzeit wechselbereit ist? Anders         Das Problem: Die Arbeitswelt ist ein
                 Der Geschäftsführer suchte nach gefragt: Dürfen Frauen für Ehrlichkeit, großer Schmelztiegel, in dem die beiden
            einer Erklärung: „Ich glaube, die Män- für Freundlichkeit und für Loyalität auf Parteien zusammentreffen. Die Jungs von
            ner verhandeln besser als die Frauen.“ dem Gehaltszettel abgestraft werden?              einst übertragen ihren Wettkampf-Mo-
            Damit hatte er einen Zipfel der Wahr-            Diese heimlichen Spielregeln sind dus auf die Gehaltsverhandlungen – und
            heit erwischt, aber zugleich seine eigene eine Erblast der Wirtschaftswunder-Zeit, erfüllen damit die Erwartung ihrer meist
            Verantwortung übersehen. Denn gutes von Männern für Männer gemacht; mo- männlichen Chefs.
            Management kann nur heißen: Die Fir- derne Firmen sollten sich davon lösen, um               Dagegen setzen die Mädchen von
            ma selbst ist für ihre Gehaltsstrukturen für gerechte Verhältnisse                                    einst beim Gehalt auf Ko-
            verantwortlich – und nicht die Beschäf- zu sorgen.                             In den meisten operation und Einsicht,
            tigten. Doch bis heute werden Gehälter           Zumal das Problem Betrieben fangen zum Beispiel sagen sie:
            nach dem Feuerwehr-Prinzip vergeben: oft nicht im Verhand- Frauen nach einer „Mein Chef muss doch se-
            Nur wer laut Alarm schlägt, wird mit ei- lungs-Auftritt der Frauen                                    hen, was ich alles leiste!“.
            ner Gehaltserhöhung bedacht. Wer aber liegt, sondern in dessen Kinderpause zum Sieht er auch – aber als alter
            versucht, allein durch seine Leistung zu Bewertung. Für Frauen                 alten Gehalt           Wettkämpfer rückt er die
            überzeugen (wie viele Frauen), wartet und Männer gelten noch                                          Erhöhung nicht freiwillig
            vergeblich. Die Gehälter werden nicht immer zweierlei Maß. Ver-
                                                                                             wieder an            raus.
            nach Leistung, sondern nach Verhand- kauft sich ein Mann in der                                           Darin liegt ein großes
            lungsgeschick vergeben; nicht proaktiv, Gehaltsverhandlung gut,                                       Problem: dass die heutige
            sondern reaktiv.                             gilt er als „starker Rhetoriker“ – tut es Arbeitswelt nicht auf Kooperation, son-
                 Aber tragen Frauen durch ihren zu- eine Frau, hat sie „Haare auf den Zäh- dern auf Konfrontation setzt. Das Kriegs-
            rückhaltenden Verhandlungsstil nicht nen“. Bleibt ein Mann hartnäckig bei sei- geheul an den Märkten, die Preis- und
            doch zur Misere bei? Das liegt an den ner Forderung, gilt er als „willens- und Fusionsschlachten, prägen die Firmen
            fragwürdigen Spielregeln: Wer zum Bei- durchsetzungsstark“ – tut es eine Frau, auch intern; Positionen und Gehälter
            spiel sein Monatsgehalt um 300 Euro stei- gilt sie als zickig. Und steigt ein Mann wollen erkämpft sein. Die Gerechtigkeit
            gern will, darf auf keinen Fall 300 Euro hoch in die Verhandlung ein, wird ihm muss draußen bleiben.
            fordern (wie es viele Frauen tun) – son- „Selbstbewusstsein“ attestiert – während            Als würden diese Gehalts-Nachteile
            dern sollte ein paar Hundert Euro Spiel- bei einer Frau schnell von „Selbstüber- nicht schon reichen, kommt für Frauen
            raum einbauen (wie viele Männer), damit schätzung“ die Rede ist.                         ein erheblicher hinzu: Sie tragen Kinder

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