EQUAL PAY DAY 18. März 2017 - #EPD2017 www.equalpayday.de
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– 2017 18. März 2017 – 2016 EQUAL PAY DAY – 2015 – 2014 – 2013 – 2012 – 2011 – 2010 – 2009 #EPD2017 www.equalpayday.de – 2008 Equal Pay Day | Journal | 2017 1
INHALT 3 Editorial These 6 von Uta Zech, Präsidentin BPW Germany e.V. Wissen ist Macht. Transparente Gehälter schaffen Augenhöhe 4 Grußwort 20 Warum Unternehmen heute transparent sein müssen von Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, von Johannes Prüller Senioren, Frauen und Jugend 21 Why Do I Make Less Than My Male Co‑Stars? von Jennifer Lawrence 5 Der unbereinigte und bereinigte Gender Pay Gap und was dahinter steckt These 7 von Prof. Dr. Carsten Wippermann Unternehmenskulturen nachhaltig verändern 22 Die gläserne Decke. Mitten hindurch oder daran vorbei? 6 Der Equal Pay Day von Ana-Cristina Grohnert 23 Unternehmenskulturen verändern – Wertschätzung zeigen 7 10 Jahre Equal Pay Day in Deutschland von Prof. Dr. Martina Schraudner von Henrike von Platen These 8 8 Die Lohnlücke im Schauspiel Flexible Arbeitszeitmodell stärken von Julia Beerhold 24 Equal Pay in Konzern und großem Mittelstand – Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen 9 Einführung von Torsten Bittlingmaier Es wird Zeit endlich durchzustarten – und zwar gemeinsam von Waltraud Kratzenberg-Franke These 9 Die Chancen der Digitalisierung nutzen und den These 1 Risiken begegnen Gleichstellung beginnt in unser aller Köpfen 26 Die Zukunft der Arbeitswelt ist weiblich 10 Stereotype und Rollenbilder verändern: Interview mit Prof. Dr. Christiane Funken Für Jungs, die Bundeskanzlerin und Mädchen, die 27 Equal Pay in der Arbeitswelt 4.0 – Chancen und Risiken Konzernchef werden wollen der Digitalisierung von Nils Pickert von Eva M. Welskop-Deffaa These 2 These 10 Equal Pay braucht Partnerschaftlichkeit Der Blick über den Tellerrand lohnt sich – 12 Equal Pay partnerschaftlich denken wie wir von anderen Ländern lernen können von Markus Theunert 28 Lohntransparenz trägt zur Beseitigung des Gender Pay Gap bei von Nicolas Werner These 3 29 Der Blick zu den Nachbarn: Wie sieht Gleichstellung Der Wert der Arbeit ist geschlechtsneutral in Schweden aus? 14 Rückt den schiefen Turm von Pisa gerade! Interview mit Åsa Regnér von Martin Wehrle 30 Die Zeit heilt nicht alle Wunden These 4 von Edeltraud Walla Gleichstellung ist auch eine Frage der (Arbeits-)Zeit 16 Partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und 31 Ausblick Familientätigkeiten Visionen müssen groß sein – sonst ändert sich nichts von Prof. Jutta Allmendinger von Waltraud Kratzenberg-Franke These 5 32 Aktionstipps Betreuungsangebote als Schlüssel zu mehr Frauen im Arbeitsmarkt 18 Kitaausbau: Der Wiedereinstieg von Frauen wird planbar von Tim Seidel IMPRESSUM V.i.S.d.P.: Uta Zech, Präsidentin Business and Professional Women – Germany e.V. Geschäftsstelle BPW Germany e.V. · Schloßstraße 25 · 12163 Berlin Redaktion: Ines Auer, Katinka Brose, Waltraud Kratzenberg-Franke Fotos: Autorinnen, Ansgar Bolle, BMFSFJ Gestaltung: Zech Dombrowsky Design · www.zech-dombrowsky.de Druck: Möller Druck und Verlag Gmbh · Auflage: 24.000 · Februar 2017 2 Equal Pay Day | Journal | 2017
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, wir haben zehn Jahre lang demonstriert, analysiert, Zahlenberge aufgetürmt, Beweise geliefert, Ursachen benannt. Wir haben an die Vernunft appelliert. In den neun Jahren ist der Gender Pay Gap in Deutschland gerade mal von 23 Prozent auf 21 Prozent gesunken. Ich diskutiere nicht mehr darüber, ob es eine berei- nigte oder unbereinigte Lohnlücke ist, ob Frauen Die Veranstaltungen zum Equal Pay Day werden rechnen können oder nicht. Wer behauptet, die Lohn- dieses Jahr Fachtagungen und ein großer Kongress lücke sei hausgemachtes Frauengedöns, verkennt die sein, bei denen alle Teilnehmenden gemeinsam nach Folgen für die Wirtschaft und den sozialen Frieden in Lösungen forschen. Partnerschaftlichkeit bei der Auf- unserer Gesellschaft. teilung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit, was Wir wissen, was sich ändern muss: Frauen fehlen ist dafür notwendig? Welche Arbeitsmodelle außer in bestimmten Berufen, Branchen und auf den höhe- unserer Präsenzkultur gibt es und wie und wo funkti- ren Stufen der Karriereleiter. Das hat unmittelbare onieren sie? Transparenz beim Gehalt – was bedeutet Auswirkungen auf die statistisch messbare Entgelt- das für alle Beteiligten? Neue Rollenbilder – wo lücke. Frauen unterbrechen oder reduzieren ihre Er- werden die Grundlagen dafür gelegt? Wir brauchen werbstätigkeit häufiger und länger familienbedingt als konkrete Vorschläge. Wir müssen Zukunft denken, Männer. Der Wiedereinstieg gestaltet sich schwierig. statt am Status quo festzuhalten. Lösungen zu finden Die Folgen sind lange nachwirkende Einbußen bei der bedeutet, sich von Althergebrachtem zu trennen, sich Lohn- und Einkommensentwicklung im Lebenslauf. davon zu befreien, um Neues zu beginnen. Und eine Bei individuellen und kollektiven Lohnverhandlun- Klärung für eine Aufgabe finden, für die es bis jetzt gen haben Frauen das Nachsehen. Immer noch erhal- keine befriedigende Antwort gibt. Beides erfordert ten Männer und Frauen für gleiche und gleichwertige Kreativität und Mut und Energie. Arbeit nicht den gleichen Lohn. Deutlich wird das an Um es vorwegzunehmen: Die Lösung zu Equal der prekären Bezahlung der traditionell hauptsächlich Pay ist ganz einfach: Fairplay ist fair pay. Wenn ich von Frauen ausgeübten Berufe. sage: „Heute bin ich fair bezahlt worden“ und: „Heute Bis jetzt ging es bei den Equal Pay Day Foren habe ich fair bezahlt“, haben wir es geschafft. darum, die Ursachen für die Lohnlücke aufzudecken Wie wir dahin kommen, diesen Weg wollen wir und zu beleuchten. beim zehnten Equal Pay Day konkretisieren. Chan- 2017 gestaltet sich der Equal Pay Day anders als cengleichheit für Männer und Frauen: Mit diesem die neun Jahre davor. Dieses Jahr wollen wir Nägel gemeinsamen Ziel vor Augen, wird es uns gelingen. mit Köpfen machen und Lösungsvorschläge für das Nehmen wir das Motto der Equal Pay Kampagne Desaster finden. Und zwar umsetzbare, damit sich ernst: Endlich partnerschaftlich durchstarten! endlich wirklich etwas ändert. Es geht um struktu- relle Veränderungen, die stattfinden müssen, und um sehr persönliche, individuelle Einstellungen, die es zu überdenken gilt. Uta Zech Einige strukturelle Veränderungen hat die Politik Präsidentin Business and Professional Women (BPW) schon eingeleitet. Genderquote und Pflegeberufege- Germany e.V. setz haben wichtige Signale gesetzt. Die Einführung einer Familienarbeitszeit, das Entgelttransparenzge- setz und das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit sind weitere wichtige Schritte, die den Gender Pay Gap verringern können. Dass solche Maßnahmen notwendig sind, zeigt besonders deutlich die Ein- führung der Genderquote. Appelle an die Vernunft genügen nicht. Wo keine Sanktionen sind, bewegt sich nichts. Equal Pay Day | Journal | 2017 3
Grußwort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig anlässlich des Equal Pay Day 2017 Sehr geehrte Damen und Herren, fast zehn Jahre schon gibt es den Equal Pay Day in Deutschland. So lange kämpft „Business and Professional Wo- men“ zusammen mit Gewerkschaften, Frauenverbänden und zahlreichen Ak- tionsgruppen engagiert und hartnäckig den Ausbau der Kindertagesbetreuung für die Schließung der Lohnlücke zwi- und ihre Qualität vorangetrieben, die schen Frauen und Männern. Dabei hat Familienpflegezeit verbessert und das nicht zuletzt die Rote-Taschen-Kampa- ElterngeldPlus eingeführt. Mit dem Fa- gne den Handlungsbedarf eindrücklich miliengeld mit Familienarbeitszeit liegt veranschaulicht. Die Taschen der Frau- ein weiterführender Vorschlag für die en sind rot, weil Frauen im Vergleich zu partnerschaftliche Vereinbarkeit von Männern in Sachen Lohn und Gehalt Familie und Beruf vor. Direkt in der Ar- immer noch rote Zahlen schreiben. beitswelt wirken der gesetzliche Min- Zehn Jahre Equal Pay Day sind destlohn, von dem besonders Frauen zehn Jahre zu viel; denn jeder Equal im Niedriglohnbereich profitieren, und Pay Day zeigt aufs Neue, dass es keine das Gesetz für die gleichberechtigte Lohngerechtigkeit in Deutschland gibt. Teilhabe von Frauen und Männern an Aber der Equal Pay Day 2017 steht Führungspositionen in der Privatwirt- unter einem neuen Vorzeichen: Das schaft und im öffentlichen Dienst. Alle Bundeskabinett hat mit dem Gesetz diese Maßnahmen leisten ihre Beiträge zur Förderung der Transparenz von dafür, dass gleiche Chancen für Frauen Entgeltstrukturen einen Durchbruch und Männer – und damit auch gleicher für Lohngerechtigkeit beschlossen. Lohn für gleiche und gleichwertige Mit dem Gesetz wird ein individuel- Arbeit – endlich in der Arbeitswelt ler Auskunftsanspruch eingeführt, durchgesetzt werden. eine Berichtspflicht zu Maßnahmen Die erfolgreichen Equal Pay Day zur Herstellung von Entgeltgleich- Kampagnen haben maßgeblich dazu heit und Verfahren zur Überprüfung beigetragen, dass das Thema Lohnge- von betrieblichen Entgeltstrukturen. rechtigkeit in die breite Öffentlichkeit Dies fördert eine diskriminierungs- und auf die politische Agenda gekom- freie Bewertung von Fähigkeiten und men ist. Dafür möchte ich an dieser Kompetenzen, individuelle Gehaltsver- Stelle meinen Respekt und meinen handlungen auf Augenhöhe sowie eine Dank aussprechen. Wir setzen uns ge- offene, wertschätzende Unternehmens- meinsam weiter dafür ein, dass sich der kultur. gleiche Wert der Arbeit von Frauen und Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt Männern auch auf den Gehaltszetteln zu mehr Lohngerechtigkeit. Es schließt zeigt. Damit wir möglichst bald den die Lohnlücke aber nicht auf einen Equal Pay Day als Neujahrsempfang Schlag. Die verschiedenen Ursachen feiern können! für die Lohnlücke von 21 Prozent müssen von unterschiedlichen Seiten Mit freundlichen Grüßen her angegangen werden. Familien- politik spielt eine wichtige Rolle: In dieser Legislaturperiode haben wir Manuela Schwesig Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 4 Equal Pay Day | Journal | 2017
Der unbereinigte und bereinigte Gender Pay Gap und was dahinter steckt von Prof. Dr. Carsten Wippermann Der falsche Liebreiz richtiger ein Gender Pay Gap nahe Null erreicht. Frauen, der nicht durch Unterschiede in Mathematik Seit den 1990er Jahren aber hat in West- diesen Merkmalen erklärt wird. Es gibt Die Maßzahl Gender Pay Gap be- deutschland das Schließen der Lohnlücke Wirtschaftsforschungsinstitute, die noch schreibt den prozentualen Abstand im an Geschwindigkeit verloren. Würde man weitere Merkmale heranziehen und auf durchschnittlichen Bruttostundenver- die Entwicklung nur der letzten 25 Jahre einen bereinigten Gender Pay Gap von 2 dienst zwischen Frauen und Männern zugrunde legen, wäre Equal Pay erst in Prozent kommen mit der Interpretation, bezogen auf den Bruttostundenverdienst 192 Jahren zu erwarten. In Ostdeutsch- dass die diskriminierende Entgeltgleich- von Männern. Der Gender Pay Gap be- land ist in den letzten zehn Jahren sogar heit nur sehr gering sei. Dazu ist zu sagen: misst somit den Verdienst-Rückstand von eine Vergrößerung der Entgeltungleich- Man könnte noch weiter bereinigen und Frauen. Dieser betrug im Jahr 2015 im heit festzustellen: Von 2006 bis 2015 ist auf nahe Null kommen. Das wäre wun- Durchschnitt 21 Prozent: Frauen hatten der Gender Pay Gap von 6 Prozent auf 8 derbar, denn dann wären noch mehr Fak- einen durchschnittlichen Bruttostunden- Prozent gestiegen. toren bekannt, die Entgeltungleichheit lohn von 16,20 Euro, Männer von 20,59 strukturell verursachen und auf Dauer Euro (Differenz von 4,39 Euro). Im Jahr Bereinigt oder unbereinigt – stellen. Es ist eine naive Falschinterpre- 2014 betrug der durchschnittliche Brut- weder noch tation, der bereinigte Gender Pay Gap tostundenlohn von Frauen 15,83 Euro, Das Statistische Bundesamt berech- würde die unmittelbare Geschlechter- von Männern 20,20 Euro – eine Diffe- net den Gender Pay Gap und bezeichnet diskriminierung ausdrücken – mit der renz von 4,37 Euro. Im Vergleich dazu diesen als unbereinigte Lohnlücke, weil latent suggerierten Botschaft, mittelba- ist die Differenz im Bruttostundenlohn hier alle Löhne eingehen. In einem auf- re strukturelle Diskriminierung wäre in von 2014 bis 2015 sogar gestiegen. Al- wendigen statistischen Verfahren berech- Ordnung, nur weil sie statistisch erklärt lein durch das leicht höhere Zahlenni- net das Amt (alle vier Jahre) den soge- wäre. Mittelbare Diskriminierung ist veau zeigt die Prozentbetrachtung eine nannten bereinigten Gender Pay Gap, der nicht weniger problematisch als unmit- Verringerung an, obwohl der tatsäch- den Verdienstabstand von Männern und telbare – im Gegenteil. Denn ungleiche liche Abstand in absoluten Euro über- Frauen mit vergleichbaren Qualifikatio- Zugangs- und Realisierungschancen haupt nicht kleiner geworden ist, sondern nen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien von Erwerbseinkommen für Frauen und gleich groß blieb. Die Schimäre richtiger misst. Und dieser beträgt nach letzten Männer sind hartnäckiger, widerständi- Mathematik. Berechnungen 2015 nur 7 Prozent. Zwei ger, dauerhafter – und haben sofortige Würde man bei der Berechnung für Drittel des Gender Pay Gap ließen sich und langfristige Konsequenzen für die 2015 nicht den Bruttostundenlohn von somit durch strukturell unterschiedliche Entgeltungleichheit. Daher ist gerade hier Männern, sondern von Frauen zur Basis Rahmenbedingungen sowie mittelbare die Politik – namentlich der Gesetzge- nehmen und somit den Verdienst-Vor- Diskriminierung erklären, nur ein Drit- ber – gefordert, diese institutionalisierten sprung von Männern ausweisen, so tel sei demnach unerklärt und ließe sich Rahmenbedingungen zu verändern und betrug dieser 27,1 Prozent: Dieselben nur auf unmittelbare Diskriminierung Anreize anders zu setzen. Aber auch an- Zahlen, eine andere Perspektive – Bele- zurückführen. lst also die allgemeine dere Player wie die Gewerkschaften, die ge, dass hier keine kleine Lücke, sondern Aufregung über den Gender Pay Gap IHKs und Arbeitsagenturen sind gefor- eine breite Schlucht im Verdienstabstand übertrieben, weil man korrekterweise dert, dürfen sich hier nicht wegducken besteht. nur Verdienste von Frauen und Männern und sich ihrer Verantwortung entziehen. In Westdeutschland betrug 2015 der mit gleichen Voraussetzungen verglei- Denn sie sitzen an wichtigen Hebeln, die Verdienstrückstand von Frauen 23 Pro- chen sollte? Das Statistische Bundesamt bereits identifiziert sind. zent. Mit Blick auf die langfristige Ent- verwendet bei der Regressionsanalyse Ratsam ist, sich von den Bezeichnun- wicklung ergeben sich bemerkenswerte 15 Merkmale: Ausbildung, Berufser- gen bereinigte Lohnlücke und unberei- Zukunftsaussichten für das Ziel Equal fahrung, Dienstalter, Leistungsgruppe, nigte Lohnlücke zu verabschieden. Es Pay. In der früheren Bundesrepublik im Berufsgruppe, Art des Arbeitsvertrags sind zwar sachlich korrekte Begriffe in Jahr 1970 war der Bruttodurchschnitts- (befristet, unbefristet), Beschäftigungs- der statistischen Methodologie. Doch lohn von Frauen 31 Prozent geringer als umfang, Altersteilzeit, Tarifbindung, Zu- in Bezug auf die Lebenswirklichkeit von von Männern, bis 1980 sank dieser auf 28 lagen (Schicht-, Wochenend-, Feiertags-, Frauen und Männern sowie in Bezug auf Prozent, 1990 auf 26 Prozent und 2010 Nachtarbeit), Gebietsstand, Ballungs- monetäre und soziale Effekte fördern sie auf 24 Prozent. Schreibt man die Ent- raum, Unternehmensgröße, Einfluss der missverständliche Vorstellungen. Die be- wicklung von 1970 bis 2016 weiter fort, öffentlichen Hand auf Unternehmens- reinigte Lohnlücke ist nicht die korrekte dann wäre – ohne politische Korrekturen führung, Wirtschaftsgruppe. Übrig blei- Lohnlücke; die unbereinigte Lohnlücke zur Beschleunigung – in etwa 129 Jahren ben 7 Prozent Verdienstrückstand von ist nicht die ungenaue und vorläufige, Equal Pay Day | Journal | 2017 5
die erst noch einer Korrektur bedarf. Daher ist – neben dem Gender Pay Gap Wir beobachten seit Jahren ökonomisch Realitätsnah wären Bezeichnungen wie (als Stundenlohn-Differenz) – eine fatale Konsequenzen in zwei Hinsichten: ceteris-paribus Lohnlücke (für die berei- wichtige ergänzende Maßzahl die reale (1) Obwohl Frauen nahezu gleiche oder nigte) sowie die reale Lohnlücke (für die Einkommensdifferenz zwischen Frauen gleichwertige Qualifikation wie Männer unbereinigte). und Männern. Der geschlechtsspezi- haben, diese Investitionen also bereits fische Gesamteinkommensrückstand getätigt sind, werden diese Ressourcen Pro Stunde und insgesamt: von Frauen gegenüber Männern beträgt volkswirtschaftlich nur partiell genutzt, gerecht und existenzsichernd in Deutschland 45,3 Prozent (EU-weit verwertet, ausgeschöpft. (2) Lebenswelt- Der Gender Pay Gap beschreibt die 41,1 Prozent). Das hat unmittelbare und lich: Für Frauen und Männer (vor allem Entgeltlücke bezogen auf den durch- mittelbare, kurz- und langfristige Kon- in Partnerschaft und mit Familie) ist schnittlichen Bruttostundenlohn. Dieser sequenzen für die Risikoabsicherung es eine Frage von sozial-ökonomischer ist bei Frauen in Vollzeit ebenso wie bei im Lebensverlauf, für die finanzielle Gerechtigkeit und klugem Management, Frauen in Teilzeit jeweils geringer als bei Unabhängigkeit, die Existenzsicherung wenn Frauen wie Männer nicht nur da- Männern in Teilzeit (und deutlich gerin- der Familie, die eigene Alterssicherung für qualifiziert sind, existenzsicherndes ger als bei Männern in Vollzeit). Daher – und für Machtverhältnisse in der Part- Einkommen für sich selbst, ihre Familie die Forderung nach Entgeltgleichheit bei nerschaft bei Aushandlungsprozessen. und ihr Leben im Alter zu erwirtschaften gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Doch Es wäre wünschenswert, wenn dieser – sondern diese Chancen gleich groß sind ungleiche Stundenlöhne sind nur ein Teil von der EU berechnete geschlechtsspe- und praktisch realisiert werden. Equal der Ursachen für Einkommensungleich- zifische Gesamteinkommensunterschied Pay hat zwei Aspekte: gleichen Brut- heit. Beispiele: auch für Deutschland jährlich, ergän- tostundenlohn für gleiche und gleich- (1) Frauen arbeiten deutlich häufiger zend zum Gender Pay Gap, berechnet wertige Arbeit und gleiches Gesamtein- in Teilzeit als Männer. (2) In Minijobs und veröffentlicht würde – differenziert kommen zur Existenzsicherung. sind überwiegend Frauen beschäftigt. Mi- nach Altersstufen, Branchen und Regio- nijobs haben Klebeeffekte, führen nicht nen. Denn selbst wenn es in hoffentlich siehe auch: Wippermann, C. (2015), Transparenz für mehr Entgeltgleichheit, Hrsg. vom Bundesministerium in eine reguläre sozialversicherungs- naher Zeit gelingt, den (realen) Gender für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. pflichtige Erwerbstätigkeit und werden Pay Gap auf null zu reduzieren, ist es im- oft zur Dauererwerbsform von Frauen. mer noch möglich und auch realistisch, (3) Frauen haben geringere Erwerbs- dass Frauen aufgrund häufigerer und quoten und Erwerbsjahre als Männer längerer Erwerbsunterbrechung, höhe- (zum Beispiel bei Erwerbsunterbrechung rer Teilzeit oder Minijobs ein geringeres Prof. Carsten Wippermann oder -reduzierung für Familienarbeit). Erwerbseinkommen haben als Männer. ist Professor für Soziologie an der Katholischen Stiftungs- Europäische Kommission (2014), Report on Gender fachhochschule München und Equality 2014. Daten zum Gesamteinkommensrückstand zu geschäftsführender Gesell- finden auf S. 15. schafter des von ihm gegründe- ten DELTA Instituts Der Equal Pay Day Der nächste Equal Pay Day findet demnach am 18. März 2017 statt. Er Der Equal Pay Day veranschaulicht an markiert symbolisch den Tag, bis zu einem Datum die Lohnlücke zwischen dem Frauen umsonst arbeiten, während Männern und Frauen, die laut Statisti- Männer schon seit dem 1. Januar eines schem Bundesamt in Deutschland Jahres bezahlt werden. 21 Prozent (2015) beträgt. Der Equal Pay Day 2017 steht unter Rechnet man den prozentualen Unter- dem Motto: endlich partnerschaftlich schied im durchschnittlichen Brut- durchstarten. Nach neun Jahren, in tostundenverdienst, den sogenannten denen die Kampagne die Ursachen der Gender Pay Gap, in Tage um, erhält Lohnungleichheit intensiv thematisiert man das Datum des Equal Pay Day: hat, steht nun die Umsetzung der Lohn- 21 Prozent von 365 Tagen = 77 Tage. gerechtigkeit im Mittelpunkt. Zum 10. Equal Pay Day wird gefragt, wie jede und jeder einzelne dazu beitragen kann, die Lohnlücke zu schließen. 6 Equal Pay Day | Journal | 2017
Rückblick: 10 Jahre Equal Pay Day in Deutschland von Henrike von Platen Z ehn Jahre Equal Pay Day in Deutschland. Ist das ein Tag der Freude oder Tag des Zorns? Einerseits macht es wütend, dass sich schon so lange Frauen gegen ungerechte Bezahlung enga- gieren – und trotzdem gibt es noch eine Lohnlücke Kinder weniger Geld bezahlen als für die Verwaltung unserer Sparbücher? Wollen wir wirklich ausgerech- net die Menschen in Altersarmut schicken, die sich in jungen Jahren um die Pflege unserer Eltern kümmern? FairPlay heißt FairPay! von 21 Prozent. Für jede Arbeitsstunde bekommt eine Wir müssen über Geld reden. Wie seltsam, dass Frau ein Fünftel weniger als ein Mann. Das ist unfair. wir im Deutschland des 21. Jahrhunderts über so viel Gleichberechtigung steht im Grundgesetz. Aber die offen reden, aber immer noch ein großes Tabu haben: Ungleichbehandlung in den Lohnbüchern. Das ist das Gehalt. Dabei hat schon die Berufswahl langfris- empörend. Solange der Equal Pay Day und Neujahr tige finanzielle Folgen. Ob jemand in der Altenpflege nicht auf denselben Tag fallen, liegen dazwischen oder in der Autowerkstatt arbeitet, hat Auswirkun- lauter Tage des Zorns. 2017 werden es 77 Tage des gen bis ins Rentenalter hinein. Da geht es nicht um Zorns sein! einzelne, sondern um hunderte Euros – jeden Monat! Andererseits ist der Equal Pay Day auch ein Tag Warum wird darüber nicht geredet? Wieso ausgerech- der Freude. Freude darüber, dass es seit zehn Jahren net hier die Preise nicht verglichen? Welches Tabu gelingt, Menschen dafür zu mobilisieren, dass sie sich verbietet uns größtmögliche Transparenz? Nur im gegen die Ungerechtigkeit auflehnen. Freude und Preisvergleich entsteht ein fairer Wettbewerb. Wie Stolz auf den Verband BPW, der diese Ungerechtigkeit wäre es, wenn unter einem Arbeitsvertrag der Warn- in die Medien und die Öffentlichkeit getragen hat. hinweis stünde: „Vorsicht! Die Unterschrift unter Der Erfolg ist messbar: Inzwischen ist die Lohnlücke, diesen Vertrag gefährdet Ihre Rente!“ der Gender Pay Gap, im Bewusstsein vieler Menschen Wer weiß, was und wieviel Geld er oder sie für angekommen. Wir streiten nicht mehr darüber, dass welche Leistung bekommt, kann nicht nur von es eine Lohnlücke gibt. Wir streiten nur noch darüber, Anfang an die Berufsentscheidungen entsprechend wie groß diese Lücke ist. Und neuerdings streiten wir vernünftig und weitsichtig fällen, sondern auch später fast nur noch darüber, mit welchen Maßnahmen diese mit seinen Kolleginnen und Kollegen angst- und – egal wie große – Lohnlücke zu schließen ist. Anders neidfrei in der Gewissheit arbeiten, dass die Ar- gesagt: Was tun wir, damit die Ungerechtigkeit erst beit aller fair bewertet und bezahlt wird. Gerechte gar nicht auftritt? Bezahlung ist kein Genderthema. Erst recht kein Und es ist allerhand passiert, seit Lena Madesin Frauenproblem. Wir brauchen Transparenz für eine Phillips 1919 den ersten Business and Professional faire Wirtschaft und Gesellschaft. Lohngerechtigkeit Women Club in den USA gründete. Auch damals geht uns alle an. Deswegen sollten wir uns alle zwei schon forderte sie „equal pay for equal work“. 1927 be- Vorsätze ins Merkheft schreiben: „Heute bezahle ich kam ein Buchhalter 45 Dollar in der Woche, während fair. Und heute werde ich fair bezahlt.“ Wenn wir das eine Buchhalterin nur 30 Dollar bekam. Ein Lohnun- beherzigen, dann steht bald in jedem Kalender: Equal terschied von dreißig Prozent! In neun Jahrzehnten Pay Day – Neujahr 2020! haben wir uns neun Prozentpunkte vorwärts bewegt. Nicht wirklich rasant. Damit etwas mehr Tempo in die Sache kommt, haben wir in den letzten zehn Jahren verschiedene Henrike von Platen ist Unter- Aspekte der Entgeltungleichheit ins Rampenlicht nehmensberaterin und Initia- gerückt: Ein Zentner Zement ist genauso schwer wie torin des FairPay-Bündnisses. ein 50 Kilo schweres Kind. Trotzdem wird körperli- Die Finanzexpertin gründete che Arbeit unterschiedlich bewertet. Wieso? Weshalb einen Fraueninvestmentclub, ist ist Familien-Arbeit so selbstverständlich unbezahlt? Hochschulrätin an der Hoch- Und warum wird die für unsere Zukunft so wichtige schule München und engagiert Erziehungs- und Bildungsarbeit nicht entsprechend sich im Arbeitskreis deutscher gut bezahlt? Aufsichtsrat e.V. sowie bei Das sind Fragen nach Gerechtigkeit. Nur gleiche FidAR, der Initiative für Frauen Chancen und gleiche Möglichkeiten, aber vor allem in die Aufsichtsräte. Von 2010 gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige bis 2016 war sie Präsidentin Arbeit sind gerecht und fair. Wollen wir wirklich in des Business and Professional einer Welt leben, in der wir für die Erziehung unserer Women (BPW) Germany e.V. Equal Pay Day | Journal | 2017 7
Whether you are a woman on a tea plantation in Kenya, or a stock- broker on Wall Street, or a Hollywood actress, no one is being paid equally. Emma Watson, Schauspielerin und UN Women Goodwill Ambassador Die Lohnlücke im Schauspiel von Julia Beerhold A uch Schauspielerinnen haben ein geringeres Einkommen als ihre männlichen Kollegen. Dies be- legen unter anderem die Zahlen der Ge- sellschaft zur Verwertung von Leistungs- Frauen spielen häufiger als Männer Rol- len, die auch in der Realität ein geringes Einkommen haben: Sekretärinnen, Putz- frauen, Prostituierte, Hausfrauen. Oder ihre Rolle hat gar keinen klar defi nier- schaft zurückspiegeln, hat weitreichende Folgen für uns alle. Wahrnehmungsverzerrung „Aber das stimmt doch alles gar nicht, schutzrechten (GVL), die auf Bitte des ten Beruf. Männer spielen öfter Anwälte, es gibt doch so viele Kommissarinnen!“ BFFS im Jahr 2016 eine Übersicht über Richter, Ärzte, Politiker oder stellen Fi- Diesen Satz höre ich oft , wenn ich über das Gesamt-Einkommen der Schauspie- guren mit unbestimmtem akademischen das Thema spreche. Und tatsächlich ist lenden getrennt nach Geschlecht zur Ver- Hintergrund dar. die „Kommissarinnen-Schwemme“ ein fügung gestellt hat. Die hier generierten Ein konkretes Beispiel: In einer Szene tolles Beispiel – für unsere verzerrte Zahlen beziffern den Einkommensun- kommen zwei Männer und drei Frauen Wahrnehmung. terschied zwischen Männern und Frauen vor. Die beiden Männer spielen „Akade- Am Anfang gab es fast nur männliche vor der Kamera für die einzelnen Sparten miker“ und die drei Frauen „Prostituier- Kommissare beim Tatort. Über die Jah- wie Hörfunk, Film und Fernsehen. te“. Die Gage der Männer war 500 Pro- re wuchs der Frauenanteil kontinuierlich Die Einkommenslücke scheint zwar in zent höher kalkuliert als die der Frauen. und liegt heute bei ca. 40 Prozent (29 den letzten Jahren etwas zu sinken, aber Auf Nachfrage die Begründung: „Ja, das männliche, 20 weibliche). Damit sind im Schnitt verdienten Schauspielerinnen sind ja Akademiker!“ So weit, so absurd. immerhin noch rund 60 Prozent der Er- zum Beispiel im Bereich Fernsehen in den mitt ler Männer. Jahren 2000 bis 2009 noch immer 22,7 Frauen kommen weniger vor Man braucht also nur die Seite der ARD1 Prozent weniger als ihre männlichen Ein weiterer Grund für die Lohnlücke aufzurufen und zu zählen, und schwups, Kollegen. ist: Frauen kommen in Erzählungen noch sieht man: optische Täuschung! Damit entspricht die Lohnlücke in un- immer weniger vor. Kurz gesagt: Auf eine Wir sind so daran gewöhnt, dass Frau- serem Beruf auf fast unheimliche Weise weibliche Rolle kommen im Schnitt zwei en in Film und Fernsehen weniger vor- dem bundesweiten Durchschnitt von männliche. kommen, dass wir eine „Schwemme“ zurzeit 21 Prozent. Punktlandung! Wir können also gar nicht gleich viel ar- wahrnehmen, wenn der Frauenanteil Was sind die Gründe? beiten wie unsere männlichen Kollegen, nur leicht über die magische Schwelle weil es schlicht an Rollenangeboten fehlt. von 30 Prozent steigt. Wir nehmen das Vermischung von Fiktion und Dies wird potenziert durch Faktoren wie bereits als Überzahl wahr, selbst wenn die Realität: weibliche Rollen sind Alter, BMI (immer noch Symbol für „At- weiblichen Rollen zahlenmäßig immer „weniger wert“ traktivität“), ethnisches Erscheinungs- noch weniger sind. Die Lohnlücke in unserer Branche hängt bild etc., so dass die Mehrzahl der Frauen, vermutlich nicht nur mit der – im Einzel- die wir auf dem Bildschirm sehen, immer Wünsche, Forderungen, Ausblick fall schwer zu beweisenden – niedrigeren noch jung, weiß und schlank ist. So wie der Gesetzentwurf für mehr Gagenhöhe für Frauen zusammen. Zwar Auch die so genannten Präsenzmessun- Lohngerechtigkeit auf Transparenz bei gibt es immer wieder Hinweise darauf, gen, mit denen der BFFS in diesem Jahr den Gehaltsstrukturen aufbaut, glaubt dass weibliche Rollen niedriger kalku- begonnen hat, belegen, dass selbst im Jahr auch der BFFS, dass Transparenz positive liert werden, aber dies zu beweisen ist 2016 in den öffentlich-rechtlichen fi kti- Veränderungen bewirkt. Daher fordern schwierig. onalen Erstausstrahlungen noch immer wir ein Monitoring durch Sender und Der BFFS beobachtet jedenfalls seit deutlich weniger Frauen als Männer zu Förderanstalten. Diese sollen in ihren langem eine kuriose Vermischung von sehen sind. Dies ist nicht nur ein Problem Jahresberichten offen legen, wie die Fiktion und Realität: Abgesehen von ei- für Schauspielerinnen, die dadurch we- prozentuale Verteilung der Rollen sowie nigen wenigen, sehr gut bezahlten weib- niger Arbeit (und in Folge weniger Ein- die Gesamtvergütung von Männern und lichen Stars spielen Frauen oft in den kommen, geringere Sozialleistungen und Frauen aussehen. niedrigeren Einkommensklassen. Dies am Schluss eine noch niedrigere Rente) Dies wäre ein erster Schritt , um die Lohn- hängt – nicht nur, aber eben auch – mit erzielen. lücke im Bereich Schauspiel zu verrin- dem Umstand zusammen, dass selbst im Es ist auch ein gesellschaft liches Problem. gern. Und ganz sicher hätte ein solches Fiktionalen die Rolle, die jemand spielt, Denn das, was wir auf dem Bildschirm Monitoring auch einen positiven Effekt „weniger wert“ zu sein scheint. sehen, spiegelt nicht nur unsere Realität auf die Frauenbilder im Einzelnen. wider, sondern prägt sie gleichzeitig. Das Es kann nicht im Sinne des öffentlich- Geschlechterbild, das wir in die Gesell- rechtlichen Kultur- und Bildungsauf- 1 htt p://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/kommissare/tatort-fi lter-aktuelle-kommissare-100.html 8 Equal Pay Day | Journal | 2017
Es wird Zeit endlich durchzustarten – und zwar gemeinsam Kongress 10 Jahre Equal Pay Day von Waltraud Kratzenberg-Franke trags sein, ein komplettes Geschlecht aus- zublenden bzw. verzerrt darzustellen. Die Frauenbilder in Film- und Fernsehen sind vielleicht nicht mehr so schlimm wie in den fünfziger Jahren, aber das, was uns Z um 10. Mal rufen wir dieses Jahr den Equal Pay Day in Deutschland aus. Endlich partnerschaftlich durchstarten, ist das diesjährige Motto, denn die Erfahrung son überhaupt etwas ändern und wenn ja, wie? Am 18. März 2017 findet der Equal Pay Kongress in Berlin statt. Hier wollen wir ins Gespräch kommen. Der Kongress als melting pot für Themen, dort gespiegelt wird, ist immer noch weit der letzten zehn Jahre hat gezeigt, dass Sichtweisen, Fragen und vor allem von unserer Realität entfernt. Die sieht nur gemeinsam die Lohnlücke nachhal- Antworten und Lösungswege. nämlich so aus: Frauen sind die Hälfte tig geschlossen werden kann. Das Motto endlich partnerschaft- der Bevölkerung, und wir existieren in Auf dem Papier ist Gleichstellung lich durchstarten bietet den Freiraum, allen Altersklassen und Erscheinungs- schon lange angekommen, in der viele Themen, die mit der Lohnlücke bildern. Und wir sind es wert, auch so Realität leider noch nicht. Was sind die verbunden sind, anzusprechen. Wir „erzählt zu werden“. Und wir sind es wert, Stolpersteine auf dem Weg zu Lohn- haben Themenkomplexe benannt das Gleiche zu verdienen. gerechtigkeit? Die Konsequenzen der und passend dazu Thesen formuliert. Lohnlücke bekommen nicht nur Frau- 10 Thesen zu 10 Themen, die ganz en zu spüren – alle tragen die Benach- bewusst weit gefasst sind, um Raum für teiligungen. Genauso verhält es sich Diskussionen, eigene Erfahrungen und mit ihrem Nutzen: gerechte Bezahlung Anknüpfungspunkte zu bieten. Disku- bedeutet eben auch Vorteile für alle. tieren Sie mit uns, wenn wir sagen: Julia Beerhold wurde in Nehmen wir endlich die Vorteile für • Gleichstellung findet in unser Düsseldorf geboren mit dem alle in den Blick, das Motto der diesjäh- aller Köpfen statt Ziel, so schnell wie möglich rigen Kampagne gibt den Startschuss: • Ohne Partnerschaftlichkeit – etwas anderes zu sehen. Nach Partnerschaftlich für Lohngerechtig- kein Equal Pay Aufenthalten in Malaysia, keit – denn nur so kommt spürbar Be- • Der Wert der Arbeit ist geschlechts- USA, Frankreich und Chile wegung in ein Thema, das all die Jahre neutral lebte sie etliche Jahre in Mad- durch Unbeweglichkeit glänzt. • Gleichstellung ist auch eine Frage rid und absolvierte dort ihr Das Erkennen der Ursachen zur der (Arbeits-)Zeit Schauspielstudium. Seitdem Lohnlücke ist durch die Schwerpunkt- • Betreuungsangebote dienen als ist sie nicht weniger reiselus- wahl der letzten Kampagnenjahre gut Schlüssel zu mehr Frauen im tig, aber immerhin sesshaft auf den Weg gebracht worden. Wir Arbeitsmarkt in Köln. Heute arbeitet Julia haben sie aufgespürt und benannt, • Wissen ist Macht. Transparente Beerhold als Schauspielerin die vielschichtigen Gründe, die zur Gehälter schaffen Augenhöhe für Film und Fernsehen, dreht Lohnungleichheit zwischen Frauen und • Unternehmenskulturen müssen Dokumentarfilme und arbeitet Männern führen. Und haben erkannt, nachhaltig verändert werden als Schauspielcoach im In- und dass beim Thema Gender Pay Gap • Flexible Arbeitsmodelle stärken Ausland. Seit Februar 2009 ist alles mit allem zusammenhängt. Jetzt • Die Chancen der Digitalisierung sie im Vorstand des Bundesver- geht es darum, Handlungsspielräume nutzen und den Risiken begegnen band Schauspiel e.V. (BFFS). zu entdecken, Ideen zu entwerfen • Der Blick über den Tellerrand lohnt und Lösungen zu finden, um endlich sich – wie wir von anderen Ländern die Lohnlücke zu überwinden, denn lernen können Entgeltgleichheit ist kein Selbstläufer. Mit unserem Journal können Sie Auch wenn Ursachen bekannt sind, sich auf den Kongress einstimmen. Zu Aufklärung allein reicht nicht aus. jedem Thema finden Sie hier passende Das neue Motto der Kampag- Artikel. Die Autoren und Autorin- ne ist eine Aufforderung an alle, an nen dieses Journals widmen sich aus Frauen und Männer, an Berufsstarter unterschiedlichster Perspektive jeweils wie Berufstätige, an Auszubildende, einem Themenkomplex und bieten Selbstständige und Unternehmen, sich Einblick in die vielfältigen Facetten der zu beteiligen. Lohnlücke. Wir möchten zum Handeln sensi- bilisieren. Was können wir, jede und jeder einzelne, tun, um die Lohnlücke Waltraud Kratzenberg-Franke zu schließen? Kann ich als Einzelper- ist seit 2016 Projektleiterin des Forum Equal Pay Day. Equal Pay Day | Journal | 2017 9
THESE 1 Gleichstellung beginnt in unser aller Köpfen Stereotype und Rollenbilder verändern: Für Jungs, die Bundeskanzlerin und Mädchen, die Konzernchef werden wollen von Nils Pickert W o fängt das eigentlich an und wa- rum fragt mich nie einer? Diese beiden Fragen habe ich immer im Gepäck, wenn ich für den Verein Pinkstinks unterwegs bin, um beispiels- ben der Schwangeren auf das Geschlecht des Kindes geschlossen wird. Oder in der werdende Mütter von einer Droge- riemarktkette dazu aufgefordert werden, sich doch dringend mal Gedanken über Beide Fragen stehen exemplarisch für das gesamtgesellschaftlich auf persönli- cher und struktureller Ebene verankerte Problem des Sexismus. Also der Diskri- minierung aufgrund von Geschlecht. weise Vorträge zu halten. Die erste ist be- ihr Aussehen unter der Entbindung zu Wo Werbung und Produktwelten in ruflicher Natur, die zweite eher privater. machen und darüber, wie es sich durch hohem Maß Geschlechternormierung Wobei sich das umso mehr vermischt, je Schmink- und Pflegeprodukte verbes- erzeugen, mit denen eine Identifikation länger ich mich damit beschäftige. Denn sern ließe. Das heißt nichts anderes, als weniger optional als vielmehr unum- in beiden geht es um Sexismus und dar- dass man hinter derlei Stereotype nicht gänglich erscheint, leisten wir genau um, an welchem Punkt der Bemühungen einfach zurücktreten kann, um von die- dieser Diskriminierung Vorschub. Und um Gleichberechtigung und Geschlech- sem Punkt aus Gleichberechtigung zu wo Care-Tätigkeiten als genuin weiblich tergerechtigkeit wir uns tatsächlich be- realisieren. Sexismus erledigt sich nicht identifiziert werden, sind Männer und finden. Die erste Frage versuche ich für von selbst. Er muss entlarvt, entlernt und Frauen nur in dem Maße frei, wie sie ein Publikum zu veranschaulichen. Wo mit vielfältigen, klischeefreien Alterna- einer Bedrohung durch Stereotype da- fängt sie an, diese strikte Geschlech- tiven ersetzt werden. Weil selbst Klei- durch begegnen, dass sie sie wohlweislich tertrennung in rosa-hellblaue Welten, nigkeiten des Alltags von der Annahme erfüllen. Sie haben die Freiheit, auf sehr in denen sich Mädchen und Jungen so durchdrungen sind, Frauen und Männer engem Raum genau die geschlechtsge- stereotyp wie möglich verhalten müs- seien qua Geschlecht unumstößlich zu bundenen Schritte zu tun, die von ihnen sen, um dem stetig steigenden Druck einer Vielzahl von Gedanken, Gefühlen erwartet werden. von Selbst- und Fremdvergewisserung und Tätigkeiten verpflichtet. Jenseits einer gut sichtbaren Perfor- der eigenen Identität standhalten zu kön- Was mich zur zweiten Frage bringt: mance dieser geschlechtsspezifischen nen. Bei T-Shirts, die nur für Mädchen Warum fragt mich nie jemand, wie ich Zuschreibung sind sie jedoch unfrei. produziert werden und auf denen „In die Betreuung meiner Kinder organisie- Einige Hindernisse, die in diesem Zu- Mathe bin ich Deko“ steht? Bei Kinder- re? Wieso bin ich nicht Rechenschaft da- sammenhang einer tatsächlichen Gleich- fahrrädern, die nur deshalb doppelt an für schuldig, wenn ich nach Feierabend berechtigung im Weg stehen, konnten im uns verkauft werden können, weil wir das nicht umgehend nach Hause gehe oder Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte noch völlig funktionstüchtige rosa Rad eine mehrtägige Dienstreise unterneh- beseitigt werden. Andere wurden im der älteren Tochter dem Sohn aufgrund me? gleichen Zeitraum so stark zementiert, der Farbe nicht weitervererben kön- Wann immer ich fern der Heimat dass es beinahe unmöglich erscheint, sie nen? Bei Fernsehwerbung für einen der erwähne, dass ich Vater von vier Kin- schließlich aufzubrechen. Wieder andere größten Hersteller von Babynahrung, in dern bin und meine jüngstes kein halbes waren entweder noch nie sichtbar oder dem aus dem kleinen Jungen selbstver- Jahr alt ist, wird stillschweigend davon wurden durch maximale verbale Aufge- ständlich ein technisch-mathematisch ausgegangen, dass meine Partnerin sich schlossenheit bei gleichzeitiger Verhal- begabter Mann wird, während das kleine darum zu kümmern und mich als unqua- tensstarre wieder verunsichtbart. Gerade Mädchen naturgemäß zu einer Ballerina lifiziertes Laienpersonal mit derartigen in den genannten Feldern existieren Be- heranwächst? Oder nicht doch schon bei Problemen nicht zu behelligen hat. Sie reiche, die unter dem Deckmantel eines Schnullern, die für ihn mit der Aufschrift hingegen muss sich für ihre mangelhaft behaupteten emanzipatorischen Fort- Bad Boy und für sie mit dem Schriftzug belegte und zur Schau getragene Mutter- schritts so lange als unproblematisch Drama Queen versehen sind? Weil man schaft rechtfertigen, wenn sie nach der eingestuft werden, bis man an die ent- irgendwo einen Anfang setzen muss, be- Geburt ihres Kindes den frühestmögli- sprechenden Sollbruchstellen gelangt, ginne ich meistens dort. Allerdings nicht chen Zeitpunkt zum Wiedereinstieg in wo sie auf einmal unüberwindbar schei- ohne auf den Prolog und damit auf die ihren Beruf wählt, Überstunden schiebt nen: Karriere- und Familienplanung, Vorgeschichte zu diesen Schnullern ein- oder am anderen Ende des Landes an ei- Kinderbetreuung, Haushaltsführung, zugehen. Der Vorgeschichte, in der von ner Konferenz teilnimmt. Altersvorsorge, Einkommen – um nur der Bauchform und den Nahrungsvorlie- einige zu nennen. 10 Equal Pay Day | Journal | 2017
Ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit von Frauen und Männern - das geht gar nicht. Das verletzt elementare Menschenrechte und verfestigt Machtstrukturen zwischen den Geschlechtern, die unfair und unproduktiv sind. Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Prof. of Public Health and Education Hertie School of Governance Viel zu oft ist es die Karriere des Man- nes, der „es gerade gar nicht gut tun wür- de, durch Vätermonate oder anderwei- tige familiäre Verpfl ichtungen belastet zu werden“. Und viel zu häufig obliegt es der Frau, ihre Karriere hintanzustellen, um die notwendigen Care-Arbeiten zu verrichten. Mitt lerweile häufig in Dop- pelbelastung zusätzlich zum Job. In ei- nem Arbeitsmarkt, der sich zunehmend prekärer und flexibler gestaltet, sind zwei Einkommen zwar plötzlich nicht nur möglich sondern auch notwendig, aber Haushalt bleibt immer noch das, was sich eben nicht von allein macht, sondern was Nils Pickert ist freier Autor sie allein macht. und Journalist sowie seit 2014 Auf dem Weg zur Gleichberechti- für Pinkstinks als Chefredak- gung ist also noch ein ganzes Stück zu- teur tätig. Als Vater von vier rückzulegen. Und jedes Mal, wenn wir Kindern, Teilzeitrockträger es uns hinter Scheinmaßnahmen wie und Vollzeitfeminist schreibt einer freiwilligen Selbstverpfl ichtung er vor allem über Kinder, Er- zur Quotierung oder Geschlechterste- ziehungsfragen und Gleichbe- reotypen bequem machen, werden wir rechtigung. zurückgeworfen und müssen einiges an Strecke noch einmal gehen. Um schlus- sendlich auf verbindliche Regelungen zu bestehen, die es uns erlauben, das öf- fentliche und private Zusammenleben geschlechtergerecht zu gestalten. Je un- bequemer, mühsamer und frustrierender uns das erscheint, umso sicherer können wir uns sein, an der richtigen Stelle zu graben und den wunden Punkt zu treffen. Denn Sexismus ist stets die schnelle, die einfache und naheliegende Möglichkeit. Aufgrund des Geschlechts zu diskrimi- nieren und diskriminiert zu werden, zählt zu unseren Basiserfahrungen. Wo- mit wir wieder beim Anfang wären: Wo fängt das eigentlich an und war- um fragt mich nie einer? Equal Pay Day | Journal | 2017 11
THESE 2 Equal Pay braucht Partnerschaftlichkeit Equal Pay partnerschaftlich denken von Markus Theunert L ohngleichheit ist mehr als ein Frauenprojekt: Auch Männer profitieren von Lohngleichheit – und auch Männer müssen ihren Beitrag leisten, um Lohngleichheit zu erreichen. Dabei geht es um mehr als ums Verzichten und Zurückstecken. Die Grenzen des Gerechtigkeitsappells In der Männerarbeit wird gern Antoine de Saint-Exu- péry mit seinem Satz zitiert: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit ein- Das Ziel ist unbestritten, die Anstrengungen sind zuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach enorm – und doch bleiben die Fortschritte überschaubar. dem weiten, endlosen Meer“ (aus: Die Stadt in der Wüs- Die Realität zeigt: Lohngleichheit ist hoch komplex und te). Sein Kerngedanke bestätigt sich in der praktischen kommt kaum voran, wenn wir das Projekt eindimensio- Arbeit mit Männern immer wieder: Der stärkste Motor nal als Angleichung weiblicher Löhne an die männlichen der Veränderung ist nicht das Pflicht- oder Gerechtig- denken. Der umgekehrte Ansatz ist aber auch nicht son- keitsgefühl, sondern die Sehnsucht: Die Sehnsucht nach derlich erfolgsversprechend: Von Männern zu verlangen, dem anderen Leben jenseits von Fremd- und Selbstaus- mit weniger Lohn zufrieden zu sein, damit sich Männer beutung. Die Sehnsucht, liebens- und lebenswert zu sein und Frauen im statistischen Schnitt in der Mitte treffen, jenseits von Status und Performance. Die Sehnsucht ist kaum ein Projekt, das mit substanzieller männlicher nach Bezogenheit und Einbindung. Eigenmotivation rechnen darf. Dabei sind die Folgen Daraus entwickelt progressive Männerarbeit und der Lohnungleichheit für Männer ebenso deutlich wie -politik einen ergänzenden Ansatz zur Förderung von unerwünscht: Lohnungleichheit lässt zum Zeitpunkt Lohngleichheit: Nicht die Angleichung der Löhne der Familiengründung auch heute noch und entgegen steht in dieser Perspektive im Fokus der Anstrengun- aller Vorsätze die Traditionsfalle zuschnappen. Das rächt gen, sondern die Angleichung der Erwerbsverläufe und sich spätestens bei späterer Trennung und Scheidung. der Berufswahl sowie die Teilung aller bezahlter und Aus Sicht einer progressiven Männerarbeit und unbezahlter Arbeiten zwischen den Geschlechtern. –politik stellt sich also die Frage: Wie ist das Projekt Lohngleichheit ist dann die abhängige Variable, die Lohngleichheit zu denken (und zu „verkaufen“), da- sich sozusagen im Windschatten dieser Entwicklun- mit es auch von “ganz normalen Männern“ nicht nur gen verändert. als gerecht, sondern als machbar und sogar attraktiv Die linke Abbildung illustriert diesen Ansatz. Ihre empfunden wird? politische Aussage: Wir müssen alle vier Hebelkräfte nutzen, um die faire Verteilung aller Belastungen und Ressourcen zu erreichen. Die Förderung von Frauen im/ in den Arbeitsmarkt (Hebelkraft 1) ist dabei eine von vier Aufgaben, aber eben nicht die Einzige. Ebenso gilt es, die einseitige Erwerbsorientierung von Männern zu lösen (Hebelkraft 2) und ihre familiär-häusliche Betei- ligung zu unterstützen (Hebelkraft 3) wie auch Frauen darin zu unterstützen, die ihnen traditionell zugedachte Verantwortung für Heim und Familie abzugeben (He- belkraft 4). Markus Theunert ist Gene- ralsekretär des Dachverbands Schweizer Männer- und Vä- terorganisationen männer.ch (www.maenner.ch) und Leiter des nationalen Programms MenCare Schweiz (www. mencare.swiss). Luxemburger Erklärung zur 3. Internationalen Konferenz Männer und Gleichstellung: http://www.mega.public.lu/fr/actualites/2016/10/icmeo/ end-declaration/Abschlusserklaerung.pdf 12 Equal Pay Day | Journal | 2017
MenCare? MenCare! Jungen, Männer und Väter brauchen in dieser Situation gleichstellungspoliti- sche Unterstützung. In der Schweiz haben wir ein nationales Programm MenCa- re als Dachstrategie entwickelt, um eine Vielzahl von Projekten und Initiativen zu bündeln. MenCare ist dabei als männerspezifi sche Teilstrategie zur Förderung männlicher Sorgearbeit konzipiert. Das klingt unverdächtig, birgt aber letztlich einige Sprengkraft . Denn „Caring Masculinities“ sind nicht denkbar ohne Kom- petenz und Haltung des Bezogen- und Verantwortlichseins – und bedingen damit eine fundamentale Neuausrichtung unseres Männerbilds. In der konkreten Umset- zung werden beispielsweise Jungen gefördert, zukunft strächtige Berufe im Pflege-, Pädagogik- oder Sozialbereich zu ergreifen oder es werden Unternehmen motiviert, Mitarbeiter als werdende Väter wahrzunehmen und sie in ihren Vereinbarkeitsan- liegen zu unterstützen. Welche Sicherheit gibt es, dass die Förderung männlicher Sorgearbeit auch wirklich der Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern dient? Zwei Argumente liegen auf der Hand: 1. Je höher der Männeranteil in einem Beruf, umso besser ist seine Bezahlung. Knacken wir die horizontale Geschlechtersegregation im Arbeitsmarkt, dann kna- cken wir auch diesen Effekt. 2. Die Lohnungleichheit entsteht nicht beim Berufseinstieg, sondern in der ers- ten Hocherwerbsphase um die 30, also just zum Zeitpunkt der Familiengründung. Verteilen wir das Erwerbsrisiko von Geburt und Familiengründung fair zwischen den Geschlechtern, dann schließen wir auch die Schere in der Lohn- und Karrie- reentwicklung. Lohngerechtigkeit ist auch eine Männerfrage. Nur wenn Männer und Frauen gleich viel verdienen, können Männer endlich auch die ihnen gesellschaftlich zugewiesene Haupternährerrolle aufgeben. Wir brauchen insgesamt eine neue Fürsor- gekultur und besonders eine bessere Bezahlung der Care-Berufe. Dafür müssen wir uns gemeinsam als Frauen und Männer stark machen. Martin Rosowski, Vorsitzender Bundesforum Männer – Interessenverband für Jungen, Männer & Väter e.V. und Geschäft sführer Evangelisches Zentrum Frauen und Männer gGmbH Equal Pay Day | Journal | 2017 13
THESE 3 Der Wert der Arbeit ist geschlechtsneutral Rückt den schiefen Turm von Pisa gerade! von Martin Wehrle G ehalt darf keine Frage des Ge- der Chef ein Stück nach unten handeln Gerechtigkeit. Diese Muster haben mit der Soziali- schlechts sein, es ist eine Frage der kann. Außerdem gilt es als schlechte Idee, sation zu tun. Eltern neigen noch immer eine Gehaltsforderung mit Konjunkti- dazu, Kinder nach Geschlecht zu erzie- „Können Sie mir das erklären?“, frag- ven vorzutragen: „Es wäre schön, wenn hen: Ein Junge, der sich mit dem Fahr- te ich den Geschäftsführer des Autozulie- ich diese Erhöhung bekommen könnte rad in die Kurve legt, wird als mutig und ferers. Wir beugten uns zusammen über (…)“. Keine Forderung, sondern eine sportlich betrachtet. Bei einem Mädchen die Gehaltstabelle seines mittelständi- Bitte. Und die wird oft abgelehnt, da die aber ist die Neigung groß, dasselbe Ver- schen Unternehmens. Ich Vorgesetzten zu Recht an- halten als „riskant“ zu werten und „Vor- sah das gleiche Bild wie so Diese heimli- nehmen, dass frau danach sicht!“ zu rufen. oft: Die Spitzengehälter chen Spielregeln genau so engagiert wie flossen fast nur an Männer. davor weiterarbeitet – im Mädchen und Jungen unterscheiden Dagegen fielen die Frauen sind eine Erblast Gegensatz zu Männern, die sich auch in ihren jeweiligen Gruppen. durch Mini-Entgelte auf: der Wirtschafts- dann oft zu einem anderen Die Jungen tragen pausenlos Wettkämpfe Eine Abteilungsleiterin bekam 58.000 Euro, ihre wunder-Zeit, von Arbeitgeber durchbrennen, aus, spielen Fußball, veranstalten Wett- um dort abzukassieren. rennen, raufen sich. Gewonnen hat, wer männlichen Kollegen fast Männern für Aber wie zeitgemäß am besten und am stärksten ist. Jungen das Doppelte. Und nahe- Männer gemacht sind diese Spielregeln? Soll blicken gern zu einem Anführer auf. Da- zu alle Gehälter von unter belohnt werden, wer bei sei- gegen ziehen Mädchen kooperative Spiele 25.000 Euro standen hin- ner Forderung schwindelt? vor, Kaufmannsladen oder Seilhüpfen. ter Frauennamen – angeblich Hilfskräfte Belohnt, wer mit dem rhetorischen Ham- Unter ihnen ist es verpönt, sich über die fürs Sekretariat und Teilzeit-Mitarbeite- mer in die Verhandlung kommt? Belohnt, anderen zu stellen. rinnen. wer jederzeit wechselbereit ist? Anders Das Problem: Die Arbeitswelt ist ein Der Geschäftsführer suchte nach gefragt: Dürfen Frauen für Ehrlichkeit, großer Schmelztiegel, in dem die beiden einer Erklärung: „Ich glaube, die Män- für Freundlichkeit und für Loyalität auf Parteien zusammentreffen. Die Jungs von ner verhandeln besser als die Frauen.“ dem Gehaltszettel abgestraft werden? einst übertragen ihren Wettkampf-Mo- Damit hatte er einen Zipfel der Wahr- Diese heimlichen Spielregeln sind dus auf die Gehaltsverhandlungen – und heit erwischt, aber zugleich seine eigene eine Erblast der Wirtschaftswunder-Zeit, erfüllen damit die Erwartung ihrer meist Verantwortung übersehen. Denn gutes von Männern für Männer gemacht; mo- männlichen Chefs. Management kann nur heißen: Die Fir- derne Firmen sollten sich davon lösen, um Dagegen setzen die Mädchen von ma selbst ist für ihre Gehaltsstrukturen für gerechte Verhältnisse einst beim Gehalt auf Ko- verantwortlich – und nicht die Beschäf- zu sorgen. In den meisten operation und Einsicht, tigten. Doch bis heute werden Gehälter Zumal das Problem Betrieben fangen zum Beispiel sagen sie: nach dem Feuerwehr-Prinzip vergeben: oft nicht im Verhand- Frauen nach einer „Mein Chef muss doch se- Nur wer laut Alarm schlägt, wird mit ei- lungs-Auftritt der Frauen hen, was ich alles leiste!“. ner Gehaltserhöhung bedacht. Wer aber liegt, sondern in dessen Kinderpause zum Sieht er auch – aber als alter versucht, allein durch seine Leistung zu Bewertung. Für Frauen alten Gehalt Wettkämpfer rückt er die überzeugen (wie viele Frauen), wartet und Männer gelten noch Erhöhung nicht freiwillig vergeblich. Die Gehälter werden nicht immer zweierlei Maß. Ver- wieder an raus. nach Leistung, sondern nach Verhand- kauft sich ein Mann in der Darin liegt ein großes lungsgeschick vergeben; nicht proaktiv, Gehaltsverhandlung gut, Problem: dass die heutige sondern reaktiv. gilt er als „starker Rhetoriker“ – tut es Arbeitswelt nicht auf Kooperation, son- Aber tragen Frauen durch ihren zu- eine Frau, hat sie „Haare auf den Zäh- dern auf Konfrontation setzt. Das Kriegs- rückhaltenden Verhandlungsstil nicht nen“. Bleibt ein Mann hartnäckig bei sei- geheul an den Märkten, die Preis- und doch zur Misere bei? Das liegt an den ner Forderung, gilt er als „willens- und Fusionsschlachten, prägen die Firmen fragwürdigen Spielregeln: Wer zum Bei- durchsetzungsstark“ – tut es eine Frau, auch intern; Positionen und Gehälter spiel sein Monatsgehalt um 300 Euro stei- gilt sie als zickig. Und steigt ein Mann wollen erkämpft sein. Die Gerechtigkeit gern will, darf auf keinen Fall 300 Euro hoch in die Verhandlung ein, wird ihm muss draußen bleiben. fordern (wie es viele Frauen tun) – son- „Selbstbewusstsein“ attestiert – während Als würden diese Gehalts-Nachteile dern sollte ein paar Hundert Euro Spiel- bei einer Frau schnell von „Selbstüber- nicht schon reichen, kommt für Frauen raum einbauen (wie viele Männer), damit schätzung“ die Rede ist. ein erheblicher hinzu: Sie tragen Kinder 14 Equal Pay Day | Journal | 2017
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