Evangelische Perspektiven - Landeskirche Braunschweig
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
www.landeskirche-braunschweig.de Evangelische Perspektiven Das Magazin der Landeskirche Braunschweig 1 | 2016 Jobs für die Chancenlosen Arbeitslosigkeit soll nicht zum Dauerschicksal werden | Deswegen gibt es in Wolfenbüttel, Braunschweig und Goslar besondere Hilfsangebote | Für Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderungen und zunehmend Flüchtlinge | Initiator ist die Evangelische Stiftung Neuerkerode | Sie qualifiziert in eigenen Betrieben Menschen für den Arbeitsmarkt.
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 2 Editorial | Inhalt Foto: Florian Kleinschmidt Foto: Agentur Hübner Liebe Leserinnen und Leser, Christen mussten sich zu allen Zeiten in dieser Welt bewähren. Weltflucht war stets ein Missverständnis. Das gilt für den Protestantismus allzumal, der den mittelalter- lichen Gegensatz von heilig und profan theologisch verab- schiedet hat. Weltfrömmigkeit ist sein Konzept. Das war schon immer eine Herausforderung. In einer Gesellschaft, Foto: Agentur Hübner die ihre Zuneigung zur Kirche zunehmend verliert, umso mehr. Der christliche Glaube ist heute weitgehend eine Frage der persönlichen Wahl geworden. Immer weniger spielt die angetaufte Kirchenmitgliedschaft eine Rolle. Da hilft es, wenn der Kirche eine überzeugende christliche Zeitgenos- In dieser Ausgabe senschaft gelingt. Ein paar Beispiele liefert die vor Ihnen liegende Ausgabe der „Evangelischen Perspektiven“: die 4 Leuchtende Augen für’s Helfen Altenpflege, das Engagement für den Umweltschutz oder Mandy Koller ist Altenpflegerin mit Begeisterung. Dafür erhält auch die Unterstützung von Langzeitarbeitslosen, Men- sie viel Respekt. schen mit Behinderungen und Flüchtlingen. 6 Jobs für die Chancenlosen Und nicht zuletzt geht es darum, dass Christen ihren Damit Arbeitslosigkeit nicht zum Dauerschicksal wird, gibt es Glauben im Konkurrenzkampf der Weltanschauungen zur besondere Angebote für Langzeitarbeitslose, Menschen mit Sprache bringen können. Auch dafür bietet diese Ausgabe Behinderungen und zunehmend Flüchtlinge. ein paar Anregungen. So erfahren Sie zum Beispiel im Inter- view, wie der Protestantismus im Braunschweiger Land 10 Die doppelte Reformation entstanden ist und sich als prägende Kraft für die Region Eine Stadtreformation und eine Reformation des Herzogtums durchgesetzt hat. haben Braunschweig und das Braunschweiger Land geprägt, erklärt Dieter Rammler im Interview. Eine Bitte zum Schluss: Beteiligen Sie sich doch wieder an unserer Befragung, damit wir unser Magazin noch bes- 13 Geregelte Religionsfreiheit ser auf Ihre Wünsche ausrichten können. Ein Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Muslimen soll der Integration dienen. Ihr 14 Ein Muslim im Pfarrhaus In Woltwiesche bei Salzgitter schafft die Kirche Wohnraum für Flüchtlinge. Michael Strauß 17 Nachgefragt bei Paul Koch Warum dürfen wir die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl nicht vergessen? Impressum Herausgeber Pressestelle der Landeskirche Braunschweig I Redaktion Michael Strauß (mic) I Anschrift Dietrich-Bonhoeffer-Straße 1, 38300 Wolfenbüttel, 18 Glauben im Dialog Tel. 05331-802108, Fax 05331-802700, presse@lk-bs.de, www.landeskirche-braun- Die lutherische Kirche hat eine neue Auflage ihres Handbuches schweig.de I Layout Dirk Riedstra | Druck MHD Druck und Service GmbH, 29320 Weltanschauungen veröffentlicht. Hermannsburg | Titelfoto Susanne Hübner
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 3 Salzgitter- Salzgitter- Bad Die gute Nachricht Foto: Nico Haase Anfang September steht Braunschweig im Zeichen der Gospelmusik. Erwartet werden 50.000 Gäste. Anmelden und mitmachen Der Gospelkirchentag Braunschweig sucht Privatquartiere für Sängerinnen und Sänger Vom 9. bis 11. September treffen sich in BraunschweigGemeinden der Stadt mit 100 auftretenden Gastchören aus 5000 Sängerinnen und Sänger aus über 200 Chören zum 8. Niedersachsen, Deutschland und ganz Europa. Der Festival- Internationalen Gospelkirchentag, um gemeinsam zu singen,gottesdienst des Gospelkirchentags findet am 11. Septem- zu feiern und Gleichgesinnte zu treffen. Insgesamt werden zu ber unter freiem Himmel auf dem Schlossplatz in Braun- dem Ereignis rund 50.000 Gäste erwartet. Wer teilnehmen schweig statt. und mitmachen möchte, sollte sich jetzt anmelden. Veran- Gesucht werden außerdem Mitarbeitende als Ordner, staltet wird der Gospelkirchentag von der Evangelisch-luthe- Workshop-Standortbetreuer und Quartierbetreuer. Ein tol- rischen Landeskirche in Braunschweig in Kooperation mit les Gemeinschaftserlebnis und eindrückliche musikalische der Stiftung Creative Kirche (Witten) und der Evangelischen Momente inklusive. Infos dazu gibt es bei der Geschäftsstelle Kirche in Deutschland (EKD). des Gospelkirchentages unter Telefon 02302-2822225 und im Internet unter: http://www.gospelkirchentag.de/infos/ Gesucht werden Privatquartiere für die helfer-gesucht. Ebenfalls gesucht werden Privatquartiere für die anrei- anreisenden Sängerinnen und Sänger aus senden Sängerinnen und Sänger aus ganz Deutschland. ganz Deutschland. Wer Gastgeber für fröhliche Menschen sein möchte, kann sich im Internet auf www.gospelkirchentag.de/privatquar- Das Programm ist vielfältig: Es umfasst aktives Sin- tiere oder im Landeskirchenamt, Referat 22, unter Telefon gen und Zuhören in Konzerten und dem großen Mass Choir 05331-802161 oder E-Mail (ref22@lk-bs.de) anmelden und (5.000 Sängerinnen und Sänger in der Volkswagenhalle), sein Zuhause für andere öffnen. Fortbildungen und Impulse in knapp 50 Workshops sowie eine Ökumenische Gospelnacht am Eröffnungsabend in 25 www.gospelkirchentag.de
4 | 2015 Evangelische Perspektiven | 4 Foto: Agentur Hübner Wenn Mandy Koller über ihre Arbeit als Altenpflegerin berichtet, fangen ihre Augen an zu leuchten.
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 5 Salzgitter- Salzgitter- Bad Porträt Leuchtende Augen für´s Helfen Mandy Koller ist Altenpflegerin. Und zwar mit Begeisterung. Im ambulanten Dienst der Diakoniestation Braunschweig hilft die 23-Jährige Menschen, die ohne eine Pflegekraft nicht mehr zurechtkommen. Dafür erhält sie viel Respekt. Wenn Mandy Koller Nach der Schule ver- über ihre Arbeit berichtet, schlug es sie jedoch zunächst fangen ihre Augen regel- „auf die Büroschiene“, was recht an zu leuchten: „Ich aber nichts für sie war. Über mache jeden Tag etwas ein Freiwilliges Soziales Jahr anderes, habe mit vielen gelangte die junge Frau in Menschen und deren unter- einen Kindergarten. Während schiedlichen Charakteren zu eines Praktikums in einem tun. Das Wichtigste aber ist, Altenpflegeheim sei das Per- dass ich ihnen helfen kann…“ sonal ganz begeistert von ihr Die 23-Jährige ist Altenpfle- gewesen, berichtet Mandy gerin im ambulanten Dienst Koller weiter. So begann sie Foto: Agentur Hübner der Diakoniestation Braun- schließlich eine Ausbildung schweig – und stolz darauf. zur Altenpflegerin. Mandy Koller ist bewusst, Doch welche Enttäu- dass sie in einem sogenann- Im Auftrag der Diakoniestation Braunschweig tätig: Mandy Koller. schung: „In meinen ers- ten Mangel- und Engpass- ten beiden Ausbildungsjah- beruf tätig ist. Ähnlich wie ren wurde ich nur schlecht Erzieherinnen werden Altenpflegerinnen händeringend betreut“, erinnert sich die 23-Jährige. Durch einen glückli- gesucht. Bis zum Jahr 2030 rechnen Experten allein in Nie- chen Umstand konnte sie jedoch zur Diakonie wechseln und dersachsen mit bis zu 50.000 unbesetzten Stellen in der ihre Ausbildung dort beenden. „Der Wechsel zur Diakonie war Pflege. „In meinem persönlichen Umfeld erfahre ich immer die beste Entscheidung meines Lebens“, meint die frühere wieder Respekt für das, was ich beruflich mache“, hat die Konfirmandenfreizeit-Teamerin. Hier habe sie die Förderung junge Altenpflegerin beobachtet. Aber: „Selbst möchte kaum und Betreuung erhalten, die sie sich erhofft hatte. jemand im Pflegeberuf arbeiten.“ Und Männer schon gar Inzwischen, ein halbes Jahr nach dem Examen, ist die Dia- nicht. koniestation in Riddagshausen ihr Arbeitsplatz. Von dort aus fährt sie im ambulanten Dienst täglich in die Wohnungen von „In meinem persönlichen Umfeld erfahre Senioren. Ihnen muss sie zum Beispiel Medikamente verab- reichen, den Blutzuckerspiegel messen und Insulin spritzen: ich immer wieder Respekt für das, was ich „All die verschiedenen Wohnungen mit den Menschen und ihren beruflich mache.“ Geschichten dahinter, das ist sehr interessant.“ Selbst ihre Freizeit sei vom Job geprägt: „Ich laufe und gehe regelmäßig ins Fitnessstudio, vor allem um meinen Mandy Koller kennt die Gründe nur zu genau: In ihrem Rücken zu stärken.“ Das sei fürs Heben im Beruf wichtig. Arbeitsalltag wird sie auch mit viel Leid konfrontiert. Obwohl „Und ich sammle auch in meiner Freizeit alle möglichen Infor- körperlich und psychisch anstrengend, erfährt ihre Profession mationen über Krankheitsbilder und Medikamente“, berich- nur geringe gesellschaftliche Wertschätzung. „Und jedem ist tet Mandy Koller lachend. Diese Infos trage sie in einem bewusst, dass er bei VW am Band deutlich mehr verdienen kleinen Notizbuch zusammen. kann als in der Pflege und Betreuung alter Menschen“, bedau- Ihre weiteren Ziele? „Ich bin zwar ein Braunschweiger ert sie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Gewächs und nie groß aus der Stadt rausgekommen, aber ich Dass Mandy Koller heute mit Begeisterung in der Alten- würde irgendwann gern noch mal ins Ausland gehen und dort pflege arbeitet, hängt auch mit einer traurigen persönlichen arbeiten“, sagt sie ohne zu zögern. Am liebsten nach Dänemark: Erfahrung zusammen: „Mein Vater ist sehr früh verstorben, „Dort soll die Altenpflege sehr gut sein.“ Mit diesen Erfahrungen in seiner letzten Lebensphase habe ich die ganze Hilflosig- würde sie zurückkommen, um die Altenpflege in Deutschland keit sehr intensiv erfahren.“ verbessern zu helfen. | Michael Siano
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 6 Salzgitter- Salzgitter- Bad Titelthema Jobs für die Chancenlosen Arbeitslosigkeit soll nicht zum Dauerschicksal werden. Deswegen gibt es in Wolfenbüttel, Braunschweig und Goslar besondere Hilfsangebote. Für Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderungen und zunehmend Flüchtlinge. Initiator ist die Evangelische Stiftung Neuerkerode. Sie qualifiziert in eigenen Betrieben Menschen für den Arbeitsmarkt. Mit guten Ergebnissen. Die deutsche Wirtschaft brummt. Auch die Unternehmen Menschen wie Markus N. – ein Jugendlicher, der lange in der Region Braunschweig können angesichts einer guten Zeit seine Tage bei Tiefkühlpizza und Energydrinks fast aus- Konjunkturlage nicht klagen. Und wenn doch, dann weil sie schließlich mit Computerspielen verbracht hat. Einer virtuel- händeringend Auszubildende und Fachkräfte suchen. Rosige len Parallelwelt verhaftet, ließ er die Schule schleifen. Orien- Zeiten für Arbeitssuchende – könnte man meinen. Tatsäch- tierungslos musste er unter Anleitung überhaupt erst einmal lich aber sind bundesweit noch fast drei Millionen Menschen wieder eine Perspektive für sich finden. arbeitslos gemeldet, in der Region Braunschweig immerhin fast 40.000. Die Qualifizierungsbetriebe haben in den „Beispielsweise Langzeitarbeitslose mit schweren Beein- trächtigungen, die bereits seit fünf, sechs Jahren keinen Job letzten Jahren mehr als 1000 Menschen mehr haben, stehen außen vor“, sagt Hans Henning Müller, geholfen, beruflich wieder Fuß zu fassen. Geschäftsführer der Neuerkeröder Qualifizierungsbetriebe GmbH. Die Gesellschaft hat als Tochterunternehmen der Evangelischen Stiftung Neuerkerode seit dem Jahr 2000 weit Oder Menschen wie Patrick D. – dem lernbehinderten mehr als 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer betreut, die 25-Jährigen hatte der sogenannte erste Arbeitsmarkt keine beruflich Tritt fassen wollen. Derzeit werden durchschnittlich Chance auf eine Anstellung gegeben. Er suchte eine beruf- 250 Menschen an den Standorten Wolfenbüttel, Braunschweig liche Perspektive und fand eine passende Herausforderung: und Goslar in Maßnahmen zur Vermittlung in Arbeitsverhält- Seit August bereitet sich der junge Mann auf eine Ausbildung nisse begleitet. zum Beikoch vor. Neben Langzeitarbeitslosen zählen Menschen mit Behin- derung und - aufgrund der weltweiten Krisen - zunehmend Flüchtlinge zur Zielgruppe der Neuerkeröder Qualifizierungs- betriebe. „Unser Grundgedanke ist, dass eine nachhaltige Integration von Menschen mit Bedarf an Unterstützung dann erfolgreich sein kann, wenn Projekte auch eine hohe Nähe zum realen Marktgeschehen aufweisen“, erklärt Müller. So betreiben die Neuerkeröder Qualifizierungsbetriebe an ihrem Hauptstandort in Wolfenbüttel neben einer Tischlerei und einer Malerwerkstatt auch eine industrielle Produktions- Foto: Agentur Hübner stätte. Im Kuba-Gewerbehof werden im Auftrag eines nam- haften Herstellers jährlich 13.000 Lattenroste produziert. „Die entsprechen höchsten Qualitätsansprüchen und sind regulär im Handel zu kaufen“, sagt der Geschäftsführer nicht ohne Qualifizierung erfolgt in hoher Nähe zum realen Markt. Stolz bei einem Rundgang durch die Produktionshalle. Lang-
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 7 Titelthema Foto: Agentur Hübner Im Kuba-Gewerbehof werden im Auftrag eines namhaften Herstellers jährlich 13.000 Lattenroste produziert.
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 8 Titelthema zeitarbeitslose und Menschen mit Han- dicaps arbeiten hier einträchtig zusam- men. Mit einem Das Angebotsspektrum der Qualifi- Gebraucht-Bücher- zierungsbetriebe ist breit gefächert: Von Markt gelang sogar der Diakonie gGmbH vor über 20 Jah- der Sprung via ren initiiert, zählen die Möbelkontore in Internet ins Braunschweig und Wolfenbüttel, die vor E-Commerce. allem gebrauchte Möbel aufarbeiten und wieder verkaufen, weiterhin zum Herz- stück der Qualifizierungsbetriebe. „Hier qualifizieren wir die Teilnehmer in den Bereichen Logistik, Verwaltung und Ver- kauf“, erläutert Müller. Im „naturwerk“ werden verschiedene gemeinnützige Grünpflegearbeiten ausgeführt. Unter der Anleitung von Forstfachleuten, Bio- logen und Gärtnern finden Arbeiten im Garten- und Landschaftsbau statt. Als ein viel beachtetes Referenzpro- jekt gilt die Neugestaltung des Klos- tergartens in Riddagshausen. Gastro- nomisch werden im Gastwerk „Limes“ Foto: Agentur Hübner hungrige Studenten der Ostfalia ver- sorgt, aber auch Wolfenbütteler Schüler werden kulinarisch verwöhnt. Mit einem Gebraucht-Bücher-Markt gelang sogar der Sprung via Internet ins E-Commerce. „Aktuell arbeiten wir an einem Qua- lifizierungskonzept für Flüchtlinge“, sagt Geschäftsführer Hans Henning Müller. Eine große Herausforderung, denn die neue Zielgruppe „Flüchtlinge mit geringem oder keinem Bildungsab- schluss“ hat in der Regel mit erhebli- Foto: Agentur Hübner chen Startschwierigkeiten zu kämpfen: Oft existieren Sprachbarrieren, beste- hen unterschiedliche kulturelle Auffas- sungen und nicht selten liegen Trauma- tisierungen vor. „Für diese Menschen sehen wir in vier Bereichen die größten Chancen, sich beruflich zu integrieren: im produ- zierenden Gewerbe, im Tätigkeitsfeld Soziales und Pflege, in der Gastronomie sowie im Einzelhandel“, zählt Müller auf. Ziel sei, als erstes ein Unterstüt- zungsangebot zu initiieren, das durch Praktika und Hospitationen einen ers- Foto: Agentur Hübner Foto: Agentur Hübner ten Einblick in die hiesigen Arbeitsbe- dingungen in der Sozial- und Gesund- heitswirtschaft bietet, um dann eine Überleitung in ein Ausbildungs- und
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 9 Titelthema Beschäftigungssystem zu schaffen. Asylbewerber und Gedul- dete sollen dadurch schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt integriert werden. „Wenn wir das hinbekommen, verhindern wir die Entwicklung von Parallelgesellschaften“, so Müller. Dieses neue Integrationsprojekt werde voraussichtlich in Gos- lar angesiedelt. So reagieren die insgesamt 40 Fachanleiter, Sozialpäda- gogen und Job-Coaches, die bei den Neuerkeröder Qualifi- zierungsbetrieben angestellt sind, auf die gesellschaftlichen Herausforderungen. Aber auch die gesetzlichen Rahmenbe- dingungen ändern sich laufend. „Gerade hat der Gesetzgeber ein neues Bundesteilhabegesetz erarbeitet, das dieses Jahr in Kraft tritt“, erläutert Müller. Die Gesellschaften haben das gemeinsame Ziel, Teilhabe und Integration am Arbeitsleben für Menschen mit Beeinträchtigungen zu ermöglichen. Demnach sollen sich Leistungen für Menschen mit Behin- derung am persönlichen Bedarf orientieren und entsprechend eines bundeseinheitlichen Verfahrens personenbezogen ermittelt werden. Leistungen sollen nicht länger „institutions- zentriert, sondern personenzentriert“ bereitgestellt werden. Um wirtschaftliche, aber auch personelle Synergieeffekte zu erzielen, werden sich die Neuerkeröder Qualifizierungs- betriebe, die Neuerkeröder Werkstätten, die Wirtschaftsbe- triebe und die Marienstift Servicegesellschaft mit insgesamt rund 400 Mitarbeitenden zur Neuerkeröder Mehrwerk gGmbH zusammenschließen. Damit vereinigen sich alle Gesellschaften, die sich mit dem Thema Arbeit, Service und Qualifizierung im Unternehmens- verbund der Evangelischen Stiftung Neuerkerode beschäfti- gen. Sie verfolgen das gemeinsame Ziel, Teilhabe und Integ- ration am Arbeitsleben für Menschen mit Beeinträchtigungen zu ermöglichen. Einer der beiden Geschäftsführer ist dann – neben Marcus Eckhoff – auch Hans Henning Müller. Der Betriebswirt und Geschäftsführer sieht sich im Übri- gen auch selbst als ein Beispiel dafür, dass es beruflich jeder schaffen kann: „Dass ich heute eine Qualifizierungsgesell- schaft leite, hätte in meiner Jugendzeit wohl auch niemand für möglich gehalten“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Die Integrationsquote der Neuerkeröder Qualifizierungs- betriebe liege heute bei etwa 25 Prozent. „Das ist sehr gut“, findet Müller. Denn in der Statistik würden Teilnehmer, die abbrechen, weil sie direkt in eine Ausbildung gehen, eine Umschulung machen oder in eine andere Maßnahme wech- seln, nicht mitgerechnet. „Und die gehen häufig auch ihren Weg“, weiß der Geschäftsführer. | Michael Siano www.neuerkerode.de
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 10 Salzgitter- Salzgitter- Bad Interview Foto: Agentur Hübner Sieht die Reformation als Prozess der Differenzierung am Beginn der frühen Neuzeit: Dieter Rammler. Die doppelte Reformation Eine Stadtreformation von unten und eine territoriale Reformation des Herzogtums von oben haben Braunschweig und das Braunschweiger Land geprägt. Das erklärt Pfarrer Dieter Rammler, Direktor des Theologischen Zentrums der Landeskirche, im Interview. Folgen der Reformation seien sowohl Emanzipationsprozesse als auch Fundamentalismus gewesen. Evangelische Perspektiven: 2017 der Christenheit und ist deshalb kein die Einheit von römisch-katholischer jährt sich die Reformation zum 500. Grund zum Feiern. Kirche und weltlicher Macht funktio- Mal. Ist das ein Grund zu feiern oder Wer das Christentum idealtypisch nierte nicht mehr. zu gedenken? als einheitliches Phänomen betrachtet, Direktor Dieter Rammler: Bei- mag so argumentieren. Wenn wir aber Braunschweig hat eine lange, bis des. Wir haben einerseits Anlass, das sehen, dass es von Anfang an einem weit ins Mittelalter reichende Tra- 500-jährige Bestehen der evange- Differenzierungsprozess ausgesetzt dition. Aber Martin Luther war nie lischen Kirche zu feiern. Ohne anti- war, fällt das Urteil zurückhaltender selber hier. Wie hat die Reformation katholischen Triumphalismus, aber aus. Es hat ja schon früh Abspaltun- Braunschweig erreicht? mit Selbstbewusstsein. Gleichzeitig gen im Christentum gegeben. Die Grün- Wir dürfen die Kommunikations- gibt es aber auch Gründe, selbstkri- dung der evangelischen Kirche war von netzte des späten Mittelalters nicht tisch zurückzublicken. Luther nicht beabsichtigt. Aber die unterschätzen. Einerseits sorgte die Reformation war als ein Prozess der Medienrevolution des Buchdrucks Kritiker sagen, die Reformation Differenzierung am Beginn der frühen für die Verbreitung reformatorischer war vor allem eine große Spaltung Neuzeit vermutlich notwendig. Denn Gedanken. Andererseits war Braun-
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 11 Interview schweig eingebunden in ein Geflecht von Hansestädten und des sächsischen Städtebundes. Braunschweiger Bür- gersöhne studierten an der aufstreben- den Universität von Wittenberg, kamen zurück und brachten das reformatori- sche Gedankengut mit. All das verband sich mit einem erwachenden Bürger- sinn der Stadtgesellschaft. 40 Jahre früher als das Herzogtum war der Protestantismus bereits in der Stadt die dominierende Konfession. Was hat den Protestantismus für die Bürger so attraktiv gemacht? Die Braunschweiger Situation war in der Tat etwas Besonderes. Wir haben Foto: Agentur Hübner eine frühe Stadtreformation, 1528, und eine späte, man könnte sogar sagen, eine verspätete Reformation, 1568. Diese Ungleichzeitigkeit hat das Braun- Nachdenklich: Es gab protestantische Nationalisten, die zum Entstehen einer schweiger Land geprägt. Die Stadt war völkischen Bewegung beigetragen haben. früh aufnahmebereit für die Reforma- tion, weil sie als Hansestadt von Offen- heit und dem Austausch von Ideen sie im Herzogtum durch. Im Grunde des Kaiserreiches, währte die Allianz geprägt war. Sie hatte außerdem enge können wir mit Blick auf Braunschweig von Thron und Altar. Welche Wirkun- Verbindungen zu den umliegenden Uni- von einer doppelten Reformation spre- gen hat sie in Braunschweig entfaltet? versitäten. Sie war in der frühen Refor- chen: der Stadtreformation von unten Diese Allianz war das Organisations- mation sogar führend durch das Wirken und der territorialen Reformation des prinzip des Protestantismus: cuius regio, Johannes Bugenhagens, der hier eine Herzogtums von oben. eius religo. Wer das Land beherrschte, mustergültige Kirchenordnung entwi- bestimmte über die Religion. Wobei die ckelte. Welche Bedeutung hatte die Kir- Übernahme der bischöflichen Aufga- chenordnung Johannes Bugenha- ben durch den Landesherrn eigentlich gens? eine Notlösung darstellte. Dem Protes- Die Reformationsordnung in Mit der Reformation mussten die tantismus fehlten schlicht die Bischöfe. Braunschweig ruhte auf drei weltlichen Herrscher die religiösen Luther nahm die politischen Verant- Säulen: der Neuordnung Angelegenheiten regeln. In Braun- wortungsträger aber auch bewusst in schweig war das der Stadtrat. Der die Mitverantwortung für die Religion. des Gottesdienstes, des aber wollte keine Unruhen und Auf- Getreu seines inhaltlichen Anliegens, Sozialwesens und der Schule. stände, wie man sie durch das Wirken dass Christen Weltverantwortung zu Thomas Müntzers kannte. Also bat der übernehmen haben. Rat Luther, jemanden zu schicken, der politisches Geschick hatte. Das war Mit der Folge, dass der Protestan- Warum die verspätete Reformation Bugenhagen, ein Theologe, der die tismus zum braunschweigischen Nati- im Herzogtum? Grundgedanken der Reformation in die onalbewusstsein gehörte? Herzog Heinrich der Jüngere war Praxis umsetzen konnte. So ruhte die Das Herzogtum definierte sich in römisch-katholisch und eine Gestalt Reformationsordnung in Braunschweig der Tat rein protestantisch. Eine katho- des Mittelalters geblieben, der sich auf drei Säulen: der Neuordnung des lische Partei wie das Zentrum konnte dem Strom des Neuen versagte. Dann Gottesdienstes, des Sozialwesens und sich in Braunschweig nie entwickeln. starben zwei seiner Söhne, die eben- der Schule. Stattdessen gab es protestantische falls katholisch geprägt waren. Der Nationalisten, die nicht unerheblich dritte aber, Herzog Julius, sympathi- Ab 1568 war der Herzog auch der zum Entstehen einer völkischen Bewe- sierte mit der Reformation und setzte oberste Bischof. Bis 1918, dem Ende gung beigetragen haben.
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 12 Interview Inwiefern hat dieser völkische Pro- testantismus die Machtübernahme der Nationalsozialisten befördert? Luther war für dieses Spektrum ein Nationalheld, eine Gallionsfigur der Deutschen. Hinzu kam eine sehr konservative Pfarrerschaft, die die Demokratie ablehnte und den Nie- dergang des Herzogtums beklagte, so dass man sagen kann: Braunschweig war ein besonderer Nährboden für das Völkisch-Nationale. Außerdem haben Luthers Schriften erheblich zur Legiti- Foto: Uwe Epping mierung des Antisemitismus beigetra- gen. Insofern zeigt der Protestantismus Foto: Agentur Hübner ein doppeltes Gesicht. Er hat einerseits durch seine Berufung auf das individu- elle Gewissen zu Emanzipationsprozes- sen geführt, auf der anderen Seite hatte er aber auch fundamentalistische Züge. Der Kerngedanke lautet: Die Liebe Gottes ist voraussetzungslos. Sehen wir das heute schärfer als Die braunschweigische und hanno- Dynamik frei. Das gilt es für jede Zeit frühere Generationen? versche Landeskirche planen zusam- neu zu interpretieren. Der Glaube kann Ich glaube schon. Wir sind heute men mit dem Braunschweigischen eine Orientierungskraft entfalten, die besser in der Lage, die Reformation Landesmuseum für 2017 eine große uns hilft, den Herausforderungen unse- als einen gesellschaftlichen Prozess Reformationsausstellung. Was kön- res Lebens und unseres Zusammenle- zu begreifen und nicht nur als geistli- nen wir davon erwarten? bens zu begegnen. | mic ches Phänomen. Wir können die Neu- Der Göttinger Kirchenhistoriker zeit nicht vorrangig auf die Reformation Thomas Kaufmann hat gesagt, die zurückführen. Ohne die Aufklärung hät- Reformation sei die kopernikanische ten sich die Freiheits- und Menschen- Wende im Verständnis des Christen- Stichwort rechte nicht entwickeln können. tums gewesen. Und in der Tat wurde hier das Verhältnis von Gott und Mensch Pfarrer Dieter Rammler (57) ist Die Aufklärung war nicht zuletzt neu gedacht. Die Ausstellung will her- Direktor des Theologischen Zent- mit dem Wirken Gotthold Ephraim ausarbeiten, was das für die Gesell- rums/Predigerseminars der Lan- Lessings verbunden. Welchen Einfluss schaft bedeutet hat. Sie versucht eine deskirche Braunschweig und der hatte er auf das Luthertum im Braun- ideengeschichtliche Einordnung: Wel- Evangelischen Akademie Abt Jeru- schweiger Land? che Ideen sind warum auf fruchtbaren salem. Bis zum Jahr 2000 war er Die Frühaufklärung um Abt Jerusa- Boden gefallen? Antworten darauf gibt Persönlicher Referent von Landes- lem und Lessing war kirchenkritisch, es an drei authentischen Orten: der Ägi- bischof Dr. h.c. Christian Krause aber nicht antikirchlich. Es ging ihr dienkirche, dem Landesmuseum und und bis 1994 Pfarrer der Kirchen- darum, Glaube und Vernunft zu verbin- der Brüdernkirche. gemeinde Wenden. Sein Theologie- den und eine starre lutherische Ortho- studium absolvierte er in Bielefeld doxie zu überwinden. Vor allem der 2018 setzt Braunschweig das Erin- und Göttingen. Er ist unter anderem Bildungsaspekt war ihr wichtig, damit nern an die Reformation fort. Dann Autor der „kleinen braunschweigi- Menschen selbstbestimmt glauben begeht die Landeskirche ihr 450-jäh- schen Kirchengeschichte“ mit dem und moralisch handeln können. Dazu riges Bestehen. Was ist das bleibende Titel „ Hinter jedem Hügel ein Kirch- gehörte nicht zuletzt ein historisch-kri- Erbe der Reformation? turm“, Lutherisches Verlagshaus, tischer Umgang mit den Quellen des Der Kerngedanke der lutherischen Hannover 2009. christlichen Glaubens. Insofern ist die Reformation lautet: Die Liebe Gottes Religiosität im Braunschweiger Land ist voraussetzungslos, und wenn wir www.thzbs.de von einem rationalen Denken geprägt. sie empfangen, setzt sie eine enorme
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 13 Hintergrund Geregelte Religionsfreiheit Ein Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Muslimen soll der Integration dienen, hat aber zunehmend Bedenken hervorgerufen. Wird Niedersachsen das erste Flächen- Denn trotz der grundsätzlichen Tren- land nach den Stadtstaaten Hamburg und nung von Staat und Kirche pflegen beide Bremen, das einen Vertrag mit den in Deutschland ein partnerschaftliches islamischen Religionsgemeinschaf- Verhältnis zueinander, weil sie wis- ten schließt? Seit mehr als zwei Jah- Fo sen, dass Religion keine reine Pri- to: ren bemüht sich die Landesregierung ep d- bil vatangelegenheit sein kann. Sie hat d/ schon darum. Ein entsprechender Geset- Jö rn Ne Konsequenzen für das Handeln und um zestext liegt vor und sollte eigentlich bereits an n Verhalten von Menschen und damit im Frühjahr 2015 unterzeichnet werden. Aber dann Einfluss auf das öffentliche Leben. Um gab es Ereignisse, die auf vielen Seiten neue Bedenken des Gemeinwohls willen ist es deshalb vernünftig, Fra- hervorriefen: Erst der Streit um das Kopftuchverbot für gen der Religion offensiv und öffentlich zu diskutieren. Es muslimische Lehrerinnen, das vom Bundesverfassungsgericht dient der Integration, die in dieser Zeit zu einer der großen Her- gekippt wurde. Dann vor allem die Terroranschläge von Paris ausforderungen für unsere Gesellschaft geworden ist. mit einem islamistischen Hintergrund und jüngst die starke Insofern ist es auch sachgerecht, dass der Vertrag mit Zuwanderung vor allem muslimischer Flüchtlinge. den islamischen Religionsgemeinschaften Gegenstand einer Seitdem ist der Islam mehr denn je zu einem Thema der Debatte ist, die gesamtgesellschaftlich und nicht nur zwi- öffentlichen Auseinandersetzung geworden. Viele stellen ins- schen den politischen Parteien zu führen ist. So gab es Anfra- besondere die besorgte Frage, ob seine praktische Ausübung gen der kommunalen Frauenbeauftragten, ob Gebetsräume mit den Vorstellungen und Normen unserer Demokratie ver- für Muslime an öffentlichen Schulen angemessen seien und einbar sei. Und ob ein Vertrag mit den Muslimen der Integ- ob die Gleichberechtigung von Frauen und Männern von den ration diene oder vielmehr den Aufbau einer Parallelgesell- Islamischen Verbänden wirklich unterstützt werde. schaft fördere. In Niedersachsen leben rund 250.000 Muslime In dem Vertrag vereinbaren das Land und die Religionsge- in etwa 200 Moscheegemeinden. Ganz genau weiß das aber meinschaften Regelungen zur islamischen Bestattung, zum niemand, weil die muslimischen Gemeinschaften anders als Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, zu theologischen die Kirchen keine klare Mitgliederstruktur haben. Außerdem Studiengängen an Hochschulen, zum Bau von Moscheen sind nicht alle Gemeinden in den drei großen islamischen sowie zum Tragen des islamischen Kopftuchs. Außerdem Verbänden DITIB, Schura und der Alevitischen Gemeinde ver- finden sich Artikel zur Seelsorge im Gefängnis, zur Mitglied- treten. schaft in verschiedenen Gremien sowie zur Gewährleis- tung von Vermögensrechten und finanzieller Unterstützung. Gesetzlich geschützte Feiertage für Muslime sieht der Vertrag Von einem Staatskirchenvertrag mit den nicht vor. Allerdings sollen Arbeitnehmer die Möglichkeit erhal- Muslimen zu sprechen, wäre falsch. ten, in Absprache mit dem Arbeitgeber zu religiösen Feiertagen Urlaubstage zu vereinbaren. Ein Anspruch auf eine bezahlte Frei- stellung ist nicht vorgesehen. Auch Schüler sollen zu bestimmten Von einem Staatskirchenvertrag mit den Muslimen zu Feiertagen vom Unterricht befreit werden können. sprechen, wäre deshalb falsch. Die geplante Vereinbarung All das soll den Muslimen deutlich machen, „dass sie zielt nicht auf eine rechtliche Gleichstellung mit den Kirchen. einen wichtigen Bestandteil der Bevölkerung bilden und dass Die islamischen Verbände sollen keinen Körperschaftsstatus der Islam als ihr gelebter Glaube zur Vielfalt des religiösen erhalten und dürfen deswegen auch keine Steuern erheben Lebens beiträgt“. Gleichzeitig geht es aber auch darum, dass oder eigene Friedhöfe betreiben. Gleichwohl gibt es inhaltliche sie die Wertegrundlagen und Verfassungsziele der grund- Parallelen zu den Staatskirchenverträgen. Denn in Deutsch- gesetzlichen Ordnung in Deutschland anerkennen und sich land haben auch Muslime das grundgesetzlich geschützte danach richten. Das ist auch das Anliegen einer Stellung- Recht, ihre Religion im Rahmen der allgemein geltenden nahme der Konföderation evangelischer Kirchen in Nieder- Gesetze frei ausüben zu können. Diesen Bereich vertraglich sachsen. | mic zu regeln, entspricht deshalb der guten Praxis, die im Ver- hältnis von Staat und Kirche erprobt worden ist. www.mk.niedersachsen.de
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 14 Hintergrund Ein Muslim im Pfarrhaus Wo es möglich ist, stellt die Kirche Wohnraum für die Unterbringung von Flüchtlingen bereit. Zum Beispiel im Pfarrhaus in Woltwiesche bei Salzgitter. Fünf-Zimmer-Wohnung in dem alten Fachwerkhaus hat. „Wir stehen jeden Tag parat, weil sie uns brauchen“, sagt sie. Das sei eine große, aber auch schöne Herausforderung. Die Flüchtlinge seien spät abends Ende Oktober ange- kommen, erinnert sich Elsler. „Sie hatten so gut wie gar nichts dabei und zum Teil sogar nur Badeschlappen an.“ Zunächst sei sie nach Hause gefahren, um ihren Vorrats- schrank zu plündern. Durch den Helferkreis wurde schnell alles weitere Notwendige wie Kleidung, Möbel und auch Fahrräder gesammelt. In Woltwiesche gibt es außer einem Kiosk keine Geschäfte. Mittlerweile begleiten die Mitglieder aus dem Helferkreis die Flüchtlinge oft ganztägig zu Ämtern oder Ärzten. Foto: Charlotte Morgenthal Mittlerweile begleiten die Mitglieder aus dem Helferkreis die Flüchtlinge oft ganztätig zu Ämtern oder Ärzten. Auch fahren sie mal mit ihnen zum Freitagsgebet in die nächste Moschee im 20 Kilometer entfernten Braunschweig. Umge- Arbeitet an seiner neuen Existenz: Ahmad F. kehrt besuchen Ahmad F. und seine Mitbewohner von Zeit zu Zeit den Gottesdienst und haben Weihnachten mitgefeiert, sagt Elsler. „Der Glaube wird gegenseitig respektiert. Wir Von seinem Zimmer aus kann Ahmad F. auf den Kirch- müssen nicht missionieren.“ turm blicken und die Glocken hören. Seit einigen Monaten Für Ahmad F. ist es nicht ungewöhnlich, als Muslim in wohnt der aus Syrien stammende Muslim im Pfarrhaus in einem Pfarrhaus zu leben. Im syrischen Damaskus hätten Woltwiesche bei Salzgitter. Er fühle sich hier wie in einem Kirchen und Moscheen nebeneinander gestanden. „Alle sicheren Zuhause, sagt der 33-Jährige lächelnd. In Nieder- Menschen waren gleich.“ Während er erzählt, zeigt Ahmad sachsen werden immer mehr Häuser der Kirche zu Flücht- auf seinem Smartphone Bilder von seinem früheren Leben. lingsunterkünften. Der gelernte Schneider hatte gemeinsam mit einem Freund Auf dem Gebiet der braunschweigischen Landeskirche zwei Geschäfte für selbst entworfene Frauenmode. Als der sind in den vergangenen Monaten vier Unterkünfte, teils in Freund auf offener Straße erschossen wurde, entschied er leerstehenden Verwaltungsgebäuden, Pfarr- oder Gemein- sich zur Flucht. dehäusern, entstanden. Rund 31 unbegleitete minderjäh- In seinem Zimmer im Pfarrhaus hat Ahmad dank vie- rige Flüchtlinge leben derzeit im Theologischen Zentrum ler Spender zwei Nähmaschinen stehen. Und seit ein paar in Braunschweig. Tagen hat er die Bestätigung, dass er in Deutschland bleiben In dem rund 2.000 Einwohner zählenden Dorf Woltwie- darf. Nun träumt er davon, seinen eigenen kleinen Laden in sche wohnt schon seit Jahren kein Pfarrer mehr. Martin Deutschland zu eröffnen. Ideen hat er schon viele. Vielleicht Schulz kommt fast täglich aus dem Nachbarort. Er hat mit werde er Kleider für Flüchtlingsfrauen nähen. Gemeindemitgliedern eine Helfergruppe für Ahmad F. und Auch dabei wollen ihm die Woltwiescher helfen, kündigt neun weitere Asylsuchende gegründet. Zu diesem Kreis zählt Elsler an. „Wir sind nicht nur Nachbarn, sondern wir sind auch Pfarrsekretärin Elsler, die ihr Büro gleich neben der Freunde geworden.“ | Charlotte Morgenthal/epd
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 15 Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember Chronik Der Gott der Verunsicherung Beim Abend der Begegnung hielt der Journalist Matthias Drobinski den Festvortrag Die Kirchen sollten der Öffentlich- zulassen, bedeute außerdem, sich auf keit heute dadurch einen Dienst erwei- das Fremde in der Welt einzulassen. Das sen, dass sie sich gegen fundamenta- gelte gerade in den aktuellen Herausfor- listische und totalitäre Versuchungen derungen der Zuwanderung in Deutsch- wenden. Dazu hat Matthias Drobinski land. Die Begegnung mit dem Fremden (München) beim „Abend der Begeg- sei stets eine Zumutung. Aber ein reifer nung“ der Landeskirche Braunschweig Glaube, der dem schwankenden Boden im Braunschweiger Dom aufgerufen: traut, wage eher die Begegnung mit „Sie müssen immer dann widerspre- dem Unbekannten, so Drobinski. chen, wenn einer beansprucht, die Welt Die Verunsicherungskraft der christ- erklären und in ihrer Ganzheit deuten zu lichen Kirchen werde für den Staat an Foto: Agentur Hübner können, wenn einer mit einem Mensch- Bedeutung gewinnen. Da der Staat heitserlösungskonzept kommt“, sagte selber Sicherheit versprechen müsse, der katholische Theologe und Journalist brauche er Kräfte, die die Grenzen des der „Süddeutschen Zeitung“. Festredner Matthias Drobinski. Sicherheitsdenkens aufzeigen. Der Satz Dafür dürften die Kirchen nicht mehr der Bundeskanzlerin, „Wir schaffen in erster Linie einen „Versicherungs- das“, sei ein Versicherungssatz, dem der glauben“ vertreten, der Gott als „himm- Gott allein. Die Kirchen sollten Anwälte nötige Zusatz gefehlt habe: „mit einer lische Supernanny“ verstehe. Stattdes- des strittigen und fairen Diskurses wer- großen gemeinsamen Anstrengung; sen müssten sie das „Lob des Zweifels“ den: „Ihre Aufgabe ist es, der Empö- wenn wir uns auf die Unwägbarkeiten stark machen. Eingedenk der Überzeu- rungsblase, die da gerade an Volumen einlassen, die da auf uns zukommen; gung, dass niemand die Wahrheit besit- gewinnt, die Luft rauszulassen.“ Sich auf auch wenn wir nicht alle Probleme in zen könne, denn die Wahrheit gehöre den rätselhaften und fremden Gott ein- den Griff bekommen werden“. Ordination im Dom Landesbischof Meyns übertrug einer Pfarrerin und einem Pfarrer ihr neues Amt Eine neue Pfarrerin und einen neuen Pfarrer hat Landesbischof Dr. Christoph Meyns am 21. Februar im Braunschweiger Dom ordiniert. Er über- trug ihnen ihr Amt in einem besonde- ren Gottesdienst. Nach dem Vikariat und ihrem Zweiten Theologischen Examen übernehmen sie ihre Stellen zunächst für drei Jahre als Pfarrerin und Pfarrer auf Probe. Foto: Klaus G. Kohn Johanna Klee (29) übernimmt die Pfarrstelle St. Pauli-Matthäus in Braun- schweig, Bezirk drei, im Umfang von 50 Prozent. Mit der anderen Hälfte ihrer Oliver Torben Männich, Johanna Klee und Landesbischof Meyns. Stelle wird sie in der Jugendkirche nich (30) betreut die Pfarrstelle Heese- drei (Propstei Helmstedt), im Umfang Braunschweig tätig. Oliver Torben Män- berg und St. Lorenz Schöningen, Bezirk von 100 Prozent.
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 16 Januar | Februar | März | April | Mai | Juni | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember Chronik Schacht Konrad neu bewerten Landesbischof Meyns sieht begründete Sorgen der Menschen im Braunschweiger Land Die Entscheidung für ein Atom- müll-Endlager im ehemaligen Berg- werk Schacht Konrad bei Salzgitter sollte nach Meinung von Landesbi- schof Christoph Meyns neu bewertet werden. „Es gehört zur Demokratie, dass eine legitime Entscheidung nicht in Stein gemeißelt wird“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Januar hatte Bundesumweltministe- rin Barbara Hendricks (SPD) bei einem Besuch in Salzgitter bekräftigt, dass an den Plänen für das 2022 in Betrieb gehende Endlager festgehalten werde. Es sei wichtig, dass Menschen in der Foto: epd bild / Rolf Zöllner Region Widerstand gegen das geplante Endlager für schwach- und mittelra- dioaktiven Atommüll leisteten, betonte Meyns. Auch wenn ungewiss bleibe, ob der Standort noch in ein bundesweites Vergleichsverfahren aufgenommen wer- Um die Endlagerung von Atommüll gibt es heftige Auseinandersetzungen. den könne. Die Ängste der Menschen seien nicht irrational, sagte Meyns. Die Meyns kritisierte zudem, dass die scheint nur teilweise der Fall zu sein.“ Sorgen seien aufgrund der schlech- Bundesumweltministerin bei ihrem Die Auseinandersetzung mit der ten Erfahrungen mit der gescheiterten Besuch eine mögliche Erweiterung Atommüll-Lagerung koste die Men- Atommüll-Lagerung im maroden Salz- des Endlagers über die bisher geplante schen vor Ort viel Kraft, betonte Meyns. bergwerk Asse bei Wolfenbüttel begrün- Kapazität hinaus nicht „hundertprozen- „Die verfehlte Energiepolitik der Vergan- det. „Schon einmal ist den Menschen tig“ ausschließen konnte. Diese Dop- genheit mit ihren Altlasten ist wie ein gesagt worden, es sei alles sicher und pelbotschaften führten zu weiteren Ver- Klotz am Bein.“ Dabei wolle die Region alles entschieden.“ Dies habe zu einem unsicherungen. „Hilfreich wären klare nach vorne schauen und sich als Stand- tiefsitzenden Misstrauen gegenüber den politische Aussagen und eine absolute ort für Wissenschaft und Technik etab- Behörden geführt. Transparenz in dem Verfahren, und das lieren. | epd Spuren der Reformation Buchtipp Thomas Dahms: neuer Reiseführer. Er präsentiert 25 Orte, die Martin Luther Mit Luther in die neue Zeit. Rei- zwar nicht persönlich besucht hat, die aber Zeugnisse sei- sen ins Reformationsjahrhundert. ner Wirkung aufweisen. Besonderes Augenmerk finden dabei Ostfalia-Verlag, Osterwieck 2015, Hausinschriften als reformatorische Bekenntnisse. Neben 160 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978- Abhandlungen über Goslar und Braunschweig, Wolfenbüttel 3-926560-72-8. und Helmstedt, finden sich Beiträge über Osterwieck und Vorschläge für Spaziergänge Hornburg, Wernigerode oder Hildesheim. Eine reichhaltig zu den Spuren der Reformation in bebilderte, praktische Einführung in die Reformationsge- Südostniedersachsen bietet ein schichte der Region.
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 17 Salzgitter- Salzgitter- Bad Nachgefragt Warum dürfen wir die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl nicht vergessen? Nachgefragt bei: Sozialdiakon Paul Koch, Projektreferent des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerkes (IBB) Erinnern wir uns an den April 1986. Seitdem ist eine lange Zeit vergangen. Um genau zu sein, 30 Jahre. Aber die Halbwertzeit des radioaktiven Isotops Cäsium-137 beträgt 30 Jahre. Jenes Cäsium 137, das unter anderem beim Tschernobyl-Unfall vor 30 Jahren am 26. April 1986 freigesetzt wurde. Es ist also jetzt gerade mal zur Hälfte verschwunden. In den nächsten 30 Jahren wird wiederum die Hälfte des noch vorhandenen Cäsiums 137 abgebaut sein. Es dauert also rund hundert Jahre, bis das durch den Tschernobyl-Unfall ausgetretene Cäsium 137 vollständig verschwunden ist. Leider gelangt es auch in die Nahrungsmittel, die in den kontaminierten Gebie- ten angepflanzt und geerntet werden. Somit leben auch heute noch die Menschen in den betroffenen Gebieten in Belarus, der Ukraine und Russland in der steten Gefahr, dass ihre selbstproduzierten Lebensmittel mit Cäsium 137 verunreinigt sind. Das wiederum bedeutet, dass die Menschen, die von der Landwirtschaft leben, nie genau wissen, ob ihre Lebensmittel belastet sind oder nicht. Wie gefährlich Cäsium 137 für den menschlichen Organismus ist, zeigen die über- füllten Krankenhäuser in den betroffenen Ländern. Die Niedersächsische Landesstif- tung „Kinder von Tschernobyl“, die sich seit 24 Jahren in den betroffenen Ländern mit Spenden von Ultraschallgeräten zur Schilddrüsendiagnostik und in der Ärztefortbil- dung engagiert, hat klare Erkenntnisse, dass es hier noch lange keine Entwarnung geben kann. Wenn man sich diese Problematik vor Augen hält, ist klar, warum wir die Reak- torkatastrophe von Tschernobyl nicht vergessen dürfen. Die Tschernobyl-Katastrophe war die erste Katastrophe, die auch nach 30 Jahren noch nicht bewältigt ist und deren Folgen sich immer noch auf den menschlichen Organismus auswirken. Erinnern wir uns daran, wie wir damals die Nachricht von dem Atomunfall in der 1500 Kilometer entfernten Ukraine aufgenommen haben und wie sehr uns diese Nach- richt bis heute beschäftigt. Dann erkennen wir die Gefahr, die von der Kernenergie ausgehen kann. Fukushima hat uns das erneut vor Augen gehalten.
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 18 Rezension Glauben im Dialog Die lutherische Kirche hat eine neue Auflage ihres Handbuches über Weltanschauungen, religiöse Gemeinschaften und Freikirchen veröffentlicht. Was uns zu modernen Menschen macht, fundamentalistischen Bewegungen an, die ein- ist die Wahl. Nahezu ständig können, ja müssen fache Lösungen versprechen – und an unserer wir wählen: wie und wo wir leben wollen, mit komplexen Lebenswirklichkeit scheitern. wem und manchmal sogar warum. Während Wer am Leben nicht scheitern will, braucht die meisten Menschen früherer Zeiten ihren die Wertschätzung der Freiheit. Sie ist der Leit- Weg als schicksalhaft vorgegeben erfahren stern unserer demokratischen Gesellschaft, haben, ist der Weg für die meisten heute frei. die das Christentum in den vergangenen Jahr- Auch wenn das soziale Umfeld immer noch hunderten seit der Reformation und der Auf- eine Rolle spielt, ist das eigene Leben mehr klärung mit hervorgebracht hat. Zunehmend denn je eine Frage der persönlichen Ent- haben Christen erkannt, dass der Glaube von scheidung. Das gilt nicht nur für die kleinen institutioneller Macht korrumpiert werden Dinge des praktischen Alltags, sondern auch kann, sei sie politscher oder kirchlicher Art. für unsere Weltanschauungen und religiösen Denn der Glaube ist ein geistliches Gesche- Vorstellungen. Woran wir glauben und was wir hen, das durch die Zusage Gottes entsteht, für richtig halten, unterliegt heute weitgehend Vereinigte Evange- nicht durch menschliches Wollen und Vermö- ebenfalls einer bewussten Entscheidung. lisch-Lutherische gen. Das ist eine zentrale Erkenntnis gerade Das hat nicht zuletzt Auswirkungen auf die Kirche Deutschlands der lutherischen Reformation. Nachzulesen Kirchenmitgliedschaft, wie die tausendfachen (VELKD): unter anderem im neuen „Handbuch Weltan- Austritte jedes Jahr zeigen. Konventionen und Handbuch Weltan- schauungen, Religiöse Gemeinschaften, Frei- Verbindlichkeiten verlieren zunehmend die schauungen, Religi- kirchen“ der Vereinigten Evangelisch-Lutheri- Bindekräfte, die sie früher hatten. öse Gemeinschaften, schen Kirche Deutschlands (VELKD). In einem religionssoziologischen Bestsel- Freikirchen. Heraus- Freilich dient die Darstellung des Luther- ler schrieb der amerikanische Wissenschaftler gegeben von Matthias tums hier lediglich der Standortbestimmung, Peter L. Berger bereits vor mehr als 30 Jahren: Pöhlmann und Chris- von der aus die religiöse Lage in Deutsch- „Der moderne Mensch lebt in einer Welt der tine Jahn. Mit CD-ROM. land analysiert und eingeordnet wird. Rund Wahlmöglichkeiten, die in scharfem Gegensatz Gütersloher Verlags- 60 Gruppierungen, religiöse Strömungen und steht zu der Schicksalswelt, die der traditio- haus, Gütersloh 2015, Bewegungen werden in ihren Grundlinien nelle Mensch bewohnte.“ 1080 Seiten, 98,- Euro, untersucht: von den Freikirchen und pfingst- Woraus er die Überzeugung ableitete, ISBN 978-3-579- lich-charismatischen Bewegungen bis hin dass wir heute auch in Glaubensfragen einem 08224-0. zu Gruppen mit islamischem oder buddhisti- „Zwang zur Häresie“ ausgesetzt seien, also eine schem Kontext. religiöse Entscheidung treffen müssen, die wir selber zu Damit leistet das Handbuch einen wichtigen Beitrag zur verantworten haben und die deswegen – gemessen an offi- theologischen Urteilsbildung und gehört in die Hand aller, ziellen Lehrmeinungen der Kirchen – eine Irrlehre sein kann. die ihr evangelisches Christsein in unserer multireligiösen Welt verantwortlich leben wollen. Sie erhalten eine Fülle Wer am Leben nicht scheitern will, braucht von Informationen, die der Orientierung und nicht zuletzt der Unterscheidung dienen – ohne dass Andersgläubige dif- die Wertschätzung der Freiheit. famiert werden. So wird das Werk durchaus seinem selbstgesetzten Es gibt nicht wenige, die diesen Zug der Zeit beklagen, Anspruch gerecht, seine kirchliche Prägung offenzulegen weil sie sich nach verbindlichen Formen, festen Strukturen und gleichzeitig ein Beitrag zum religiösen Dialog zu sein. und klarer Orientierung sehnen. Sie leiden daran, dass die Es zeigt, der evangelisch-lutherische Glaube ist fähig zur Außenwelt immer fragwürdiger und die Innenwelt immer konstruktiven Auseinandersetzung mit konkurrierenden komplexer wird. Sie empfinden die Freiheit als Last und Lebensorientierungen und bleibt damit auch ein Angebot weniger als Gewinn. Und einige schließen sich deshalb sogar für moderne Menschen. | mic
1 | 2016 Evangelische Perspektiven | 19 Kleine Kirchenkunde Auf Sendung Der Evangelische Kirchenfunk Niedersachsen erreicht über zwei Millionen Menschen mit Geschichten aus dem kirchlichen Leben. Foto: Florian Kleinschmidt „Heldinnen des Alltags“ erhalten eine Urkunde des Evangelischen Kirchenfunks Niedersachsen. Termin am Mittwochmittag, Mitte Oktober in der evan- mit seinem Programm landesweit auf Sendung. Mit eigenen gelischen Kirchengemeinde Walkenried. Siglinde Haußecker, Sendezeiten dabei waren von Anfang an auch die katholische die Frau von Pfarrer Heiner Reinhard, hat zur 100. „Mahl- und evangelische Kirche. Die Konföderation evangelischer Kir- zeit“ ins Gemeindehaus eingeladen. Die Gäste erwartet ein chen gründete für den Privatfunk nach durchaus kontroverser Drei-Gänge-Menü, gekocht von Frauen aus Walkenried und Diskussion eine eigene Firma, die Evangelischer Kirchenfunk der Umgebung. Aus Hannover angereist ist auch ein Kame- Niedersachsen GmbH. Die größten Gesellschafter sind bis rateam des Evangelischen Kirchenfunks Niedersachsen (ekn). heute die fünf evangelischen Kirchen in Niedersachsen, dar- Denn das 100. Mittagessen in Walkenried ist ein doppelt wich- unter die Landeskirche Braunschweig. tiger Anlass. Geehrt werden sollen stellvertretend für alle 20 Die ekn-Mitarbeitenden produzieren Hörfunksendungen Köchinnen Renate Renner und Angelika Eggert. Die beiden für alle landesweiten Privatradios, das sind zurzeit Radio ffn, bekommen eine Urkunde als „Heldinnen des Alltags“ für ihr Antenne Niedersachsen und Radio 21, außerdem wurde der Engagement als ehrenamtliche Helferinnen in der Kirchen- ekn damit beauftragt, evangelische Redaktionen in den nicht- gemeinde. kommerziellen Bürgersendern mit aufzubauen, die Ehren- Der „Held des Alltags“ ist eine Idee des ekn. Ausgestrahlt amtlichen zu schulen und zu qualifizieren. An Wochentagen wird ein Radiobericht bei Antenne Niedersachsen am Freitag- erreichen die ekn-Beiträge in der Summe zwischen 420.000 morgen, zwei Tage nach der Jubiläumsmahlzeit. Gut 300.000 und 1,2 Millionen Menschen, an Wochenenden werden es bis Niedersachsen werden diesen Bericht aus Walkenried hören. zu 2,4 Millionen Hörer. Wer möchte, kann sich auf der Antenne-Webseite oder auch Mit dem Internet kamen neue Herausforderungen. Das bei Youtube das Video ansehen. Warum und wie kommt diese Bewegtbild kann im Netz einfacher verbreitet werden, außer- Art der Berichterstattung des ekn überhaupt zustande? dem sind dafür die Kosten im Vergleich zum Fernsehen deut- Vor etwas mehr als 30 Jahren ereignete sich in der dama- lich gesunken. Der ekn hat darauf reagiert und eine Videoab- ligen Bundesrepublik eine kleine medienpolitische Revolution: teilung mit eigener Technik aufgebaut. So ist es zu vertretbaren Private Geldgeber durften Fernsehen und Radio veranstalten. Kosten möglich, ein Videoteam nach Walkenried zu schicken Anfang Januar 1984 nahmen die bundesweiten Sender Sat.1 und den professionell produzierten Film ins Netz zu stellen. und RTLplus ihren Sendebetrieb auf, beim Radio war es kom- Ähnliche ekn-Video-Produktionen entstanden auch zum Bei- plizierter. Denn Rundfunk ist in Deutschland eine kulturelle spiel bei der jüngsten Bischofswahl in Braunschweig oder für Angelegenheit, und dafür sind die Bundesländer zuständig. den Gemeindekongress am 10. Oktober 2015. | Hans-Gerd Martens Die Länder mussten also eigene Rundfunkgesetze entwi- ckeln.Am 31. Dezember 1986 war es so weit: Radio ffn ging www.ekn.de
Sie können auch lesen