Evangelische Perspektiven - Landeskirche Braunschweig

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Evangelische Perspektiven - Landeskirche Braunschweig
www.landeskirche-braunschweig.de

Evangelische
Perspektiven
Das Magazin der Landeskirche Braunschweig                                2 | 2015

              hinter Gittern
Gefängnispfarrer leisten einen schweren Dienst | Sie werden mit den Abgründen des Lebens konfron-
tiert | Als Seelsorger kümmern sie sich um Menschen in Ausnahmezuständen | Was ihnen anvertraut
wird, bleibt vertraulich | Denn sie unterliegen der Schweigepflicht | Komplizen der Häftlinge dürfen
sie aber nicht werden | Ein Blick hinter die Gitter der Gefängnisse in Wolfenbüttel und Braunschweig.
Evangelische Perspektiven - Landeskirche Braunschweig
2 | 2015 Evangelische Perspektiven | 2

          Editorial | Inhalt

                                                                                     Foto: Agentur Hübner

                                                                                                                                           Foto: Uwe Epping
  Liebe Leserinnen
  und Leser,

 zunächst möchten wir Ihnen ganz herzlich danken. Viele
von Ihnen haben den Fragebogen ausgefüllt, den wir unse-
rem Magazin beigelegt hatten. Sehr differenziert haben Sie
die „Evangelischen Perspektiven“ bewertet und wertvolle
Hinweise für deren Weiterentwicklung gegeben. Alle Rück-
meldungen fließen ein in eine Untersuchung, die in den
nächsten Monaten durch weitere Maßnahmen ergänzt und
im Herbst 2016 vollständig vorliegen wird. Die Landessynode
                                                                                     Foto: Agentur Hübner

entscheidet dann, wie es mit unserem Magazin weitergeht.
Und natürlich werden wir auch Sie, unsere Leserinnen und
Leser, über die Ergebnisse der Untersuchung informieren.

  Mit dieser Ausgabe wollen wir Ihnen wieder ein unverwech-
selbares publizistisches Angebot machen. So erfahren Sie
einerseits, wie sich die Landeskirche auf die gesellschaft-
                                                                                                            In dieser Ausgabe
lichen Veränderungen im Braunschweiger Land einstellt.
Durch ein neues System der Verteilung von Pfarrstellen soll                                                 4 Der Pilgerführer
eine schwierige Aufgabe gelöst werden: trotz sinkender Mit-                                                   Dieter Prüschenk nimmt Menschen mit auf den Braunschweiger
gliederzahlen die Präsenz der Kirche gerade in den ländli-                                                    Jakobsweg.
chen Bereichen aufrecht zu erhalten. Die Landessynode hat
dazu einen wegweisenden Beschluss gefasst.
                                                                                                            6 Seelsorge hinter Gittern
                                                                                                               Gefängnispfarrer leisten einen schweren Dienst. Unser Titelthe-
 Andererseits können Sie erkennen, dass sich die äußere                                                        ma wirft einen Blick in die Gefängnisse in Wolfenbüttel und
Gestalt der Kirche zwar ändern mag, ihr Auftrag aber unver-                                                    Braunschweig.
ändert bestehen bleibt: durch Verkündigung, Seelsorge und
Diakonie bei den Menschen zu sein. Deutlich wird das zum
                                                                                                            10 Die reformatorische Welle
                                                                                                               Zusammen mit der Landeskirche bereitet das Landesmuseum
Beispiel in dem besonderen Feld der Gefängnisseelsorge.
Das Titelthema stellt Ihnen die Arbeit der beiden Pfarrer vor,                                                 eine Reformationsausstellung vor. Direktorin Dr. Heike Pöppel-
die in den Gefängnissen Wolfenbüttel und Braunschweig tätig                                                    mann spricht im Interview über die Vorbereitungen.
sind. 70 Jahre nach Kriegsende dürfen wir außerdem nicht
                                                                                                            13 Nazi-Richter im Kirchendienst
vergessen, dass die Verflechtung der Justiz mit dem Natio-
                                                                                                               Die Neugestaltung der NS-Gedenkstätte im Gefängnis Wolfen-
nalsozialismus auch die Kirche betrifft.
                                                                                                               büttel konfrontiert auch die Landeskirche mit ihrer Geschichte.

                                                                                                            14 Strukturreform beschlossen
                   Ihr
                                                                                                               Die Landessynode hat sich mit großer Mehrheit für eine neue
                                                                                                               Verteilung der Gemeindepfarrstellen entschieden.

                                                                                                            17 Nachgefragt
                   Michael Strauß                                                                              Wie können Kirchengemeinden im Braunschweiger Land Flücht-
                                                                                                               lingen helfen?
    Impressum
      Herausgeber Pressestelle der Landeskirche Braunschweig I Redaktion
Michael Strauß (mic) I Anschrift Dietrich-Bonhoeffer-Straße 1, 38300 Wolfenbüttel,
                                                                                                            18 Streit um die Bibel
Tel. 05331-802108, Fax 05331/802700, presse@lk-bs.de, www.landeskirche-braun-                                  Frank Crüsemann erklärt, warum das Neue und das Alte Tes-
schweig.de I Druck MHD Druck und Service GmbH, 29320 Hermannsburg | Titel-                                     tament gleichrangig sind.
foto Susanne Hübner
Evangelische Perspektiven - Landeskirche Braunschweig
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                                                                                                     Die gute Nachricht

Inspiration zu Pfingsten
Der „Church Walk“ hat dem Fest des Heiligen Geistes in Goslar neues Leben eingehaucht. In den
Innenstadtkirchen ertönen ungewöhnliche Klänge.

                                                                                                                                              Foto: Uwe Epping
 Für Inspiration zu Pfingsten sorgen in Goslar seit zwölf Jahren ungewohnte Klänge in den Innenstadtkirchen.

    Pfingsten in Goslar ist seit zwölf Jahren eng mit dem               Der Erfolg gibt den Veranstaltern recht. Mittlerweile gehört
„Church Walk“ verbunden. Einem Veranstaltungsformat, das            das Format zum festen kulturellen Angebot in der Stadt und
 dem Fest des Heiligen Geistes in der Harzstadt neues Leben         erfreut sich großer Beliebtheit. „Wir erreichen damit nicht nur
 eingehaucht hat. Jedes Jahr pilgern Musikfreunde am Abend          diejenigen, die der Kirche enger verbunden sind, sondern viele
 vor Pfingstsonntag durch die fünf historischen Innenstadt-         Menschen außerhalb der Kerngemeinde“, freut sich Beims:
 kirchen und lassen sich von Konzerten begeistern, die zum         „Unsere musikalische Risikobereitschaft zahlt sich aus.“ Bun-
 großen Teil von kirchenuntypischen Klängen geprägt sind. Da        desweit halten sie immer wieder Ausschau nach ungewöhn-
 gibt es Tango und indische Sufi-Musik, da ertönen Handglo-         lichen und interessanten Musikangeboten.
 cken oder Steinobjekte. „Wir wollen den Besucherinnen und              Zehn Euro zahlen die Besucherinnen und Besucher für
 Besuchern etwas Inspirierendes bieten“, sagt der Goslarer          fünf Konzerte und tragen dazu bei, dass die Veranstaltung
 Tourismus-Pfarrer Ralph Beims.                                     kein Verlustgeschäft wird. Jedes Jahr mündet der „Church
    Zusammen mit Vertretern der anderen Innenstadt-                 Walk“ in einen Open-Air-Gottesdienst am Pfingstmontag
 gemeinden und Propsteikantor Gerald de Vries gehört er             auf dem Kaiserpfalz-Parkplatz. In diesem Jahr schloss
 zum Organisationsteam. Auch die katholische St. Jakobi-            sich sogar ein Fest der Kulturen an – unter Beteiligung
 Gemeinde ist dabei und macht die Veranstaltung zu einem            der Moscheegemeinden. Es richtete sich gegen Rassis-
 ökumenischen Ereignis. Flankiert wird das musikalische             mus und Fremdenfeindlichkeit und verbreitete das Motto:
 Angebot von der Gastfreundschaft der Gemeinden, die mit           „Wir alle sind Goslar“. Fortsetzung folgt – Pfingsten 2016
 einem Imbiss für das leibliche Wohl sorgen.                        (www.churchwalk.de).				                                    | mic
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                                                                                                       Foto: Agentur Hübner

Aus Leidenschaft Pilgerführer: Dieter Prüschenk nimmt Menschen mit auf den Braunschweiger Jakobsweg.
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                                                                                                                         Porträt

Der Pilgerführer
Dieter Prüschenk nimmt Menschen mit auf den Braunschweiger Jakobsweg. Als Projektleiter
der Evangelischen Akademie Abt Jerusalem weiß er: „Pilgern ist Beten mit den Füßen.“

     Stock und Hut stehen ihm tatsächlich gut: „Das
 sind meine Erkennungszeichen“, sagt Dieter Prüschenk
 mit einem verschmitzten Lächeln. Der 67-Jährige ist Pil-
 gerführer und in der Evangelischen Akademie Abt Jerusa-
 lem ehrenamtlicher Projektleiter für den Braunschweiger
Jakobsweg. „Pilgern ist mehr als Wandern, Pilgern ist Beten
 mit den Füßen.“ Wenn Dieter Prüschenk über das Pilgern
 spricht, kann ihn so schnell nichts mehr bremsen.
     Da brechen sich Begeisterung und Leidenschaft Bahn:
 die Eindrücke der Natur, die wunderbaren Sakralbauten am
 Wegesrand, die spirituellen Eindrücke. Es werde viel gesun-
 gen. „Was mir sehr leicht fällt“, sagt der Pilgerführer mit
 einem Lachen. Aber auch miteinander geschwiegen. „Das
                                                                Foto: Agentur Hübner

 fällt mir sehr schwer“, kommentiert Prüschenk mit einem
 Augenzwinkern.
     Pilgern ist hierzulande „in“. Den Boom ausgelöst hat vor
 allem Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“,
                                                                                       Ausgeglichen, zufrieden, positiv: Dieter Prüschenk.
 in dem der Autor unterhaltsam kurzweilig, manchmal auch
 nachdenklich, die Erlebnisse seiner Pilgertour entlang
 des Jakobswegs nach Santiago de Compostela beschreibt.                        „Ich bin sehr gern draußen, wandere und organisiere
„Inzwischen haben wir eine Warteliste“, freut sich Prüschenk                 gern und mag es, unter Menschen zu sein.“ Als Pilgerfüh-
 über die große Resonanz auch in der Region.                                 rer scheint Dieter Prüschenk seine Berufung gefunden zu
     Acht Pilgertouren, in der Regel Tagestouren, bietet er                  haben. Der 67-Jährige wirkt ausgeglichen, zufrieden, positiv.
 dieses Jahr an. Die Distanzen liegen zwischen 12 und 25                        Im westlichen Sauerland geboren und aufgewachsen,
 Kilometern. Die Etappen führen entlang des alten Braun-                     studierte er später Betriebswirtschaft in Freiburg im Breis-
 schweiger Jakobsweges von Helmstedt über Königslutter                       gau. Als Bankkaufmann arbeitete er bei verschiedenen Spar-
 und Braunschweig bis nach Hildesheim.                                       kassen. Dennoch, auch die Schattenseiten des Lebens sind
                                                                             ihm nicht unbekannt; das Scheitern seiner Ehe war sein
Der alte Braunschweiger Jakobsweg                                           „persönlicher psychischer Tiefpunkt“.
                                                                                Inzwischen lebt Dieter Prüschenk seit 20 Jahren in der
führt von Helmstedt über Königslutter und
                                                                             Südheide, wo er zuletzt die Presse- und Öffentlichkeitsar-
Braunschweig bis nach Hildesheim.                                            beit für ein Geldinstitut leitete. Seit 2003 im Vorruhestand,
                                                                             arbeitete er später als freier Mitarbeiter für die Lokalpresse
                                                                             weiter. „2008 nahm ich am Pilotprojekt der Pilgerbegleiter-
   „Die Teilnehmer sind in der Regel 50 plus, manchmal sind                  ausbildung der Landeskirche Hannovers in Loccum-Volken-
 aber auch Jüngere dabei“, hat der Pilgerführer beobachtet.                  roda teil“, erzählt er. Fortan galt Prüschenk auch bei seiner
 Manch einer komme aus Freude an der Natur, einige aber                      Tageszeitung als Pilger- und Wanderexperte.
„auch mit einem Päckchen wie Krankheit oder Beziehungs-                         Gemeinsam mit einem Zeitungsredakteur erkundete und
 problemen“. Viele erwarteten durch das Pilgern Lösungen                     organisierte er eine Lesertour über den mittelalterlichen
 von Problemen der verschiedensten Art.                                     Jakobsweg von Magdeburg nach Hildesheim. Und anlässlich
    Prüschenk: „Das kann funktionieren, muss aber nicht.                     des Jahrestages des Mauerfalls organisierte und begleitete
 Auf jeden Fall macht das Pilgern etwas mit den Menschen.“                   Prüschenk 2009 eine Wanderung mit Zeitungslesern ent-
 Im Gespräch untereinander öffneten sich die zufällig zusam-                 lang der innerdeutschen Grenze. An Schöningen vorbei nach
 mengewürfelten Teilnehmer. Vielleicht auch, weil sie wüss-                  Walkenried. Beim Wandern ist er eben ganz in seinem Ele-
 ten, dass man sich so schnell nicht wieder sieht.                           ment.						                                           | Michael Siano
Evangelische Perspektiven - Landeskirche Braunschweig
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Seelsorge
hinter Gittern
         Gefängnispfarrer leisten einen                                  „Denn der HERR ist der Geist; wo aber der Geist des HERRN ist, da
 schweren Dienst. Sie werden mit den                                  ist Freiheit“, lässt sich in 2. Korinther 3, Vers 17, nachlesen. Ob die zirka
  Abgründen des Lebens konfrontiert.                                  35 Gottesdienstbesucher an diesem Sonntag von dieser Bibelstelle wis-
                                                                      sen? Wohl eher nicht. Überhaupt ist die Kirche sehr speziell: Die Woche
 Als Seelsorger kümmern sie sich um                                   über wird hier Badminton oder Softball gespielt. Auf dem Boden geklebte
Menschen in Ausnahmezuständen. Was                                    Linien markieren die Spielfelder. Weit und breit existiert kaum ein Fenster
ihnen anvertraut wird, bleibt vertraulich.                            ohne Gitter davor. Wir befinden uns in der Kirche der Justizvollzugsan-
              Denn sie unterliegen der                                stalt (JVA) Wolfenbüttel, die eigentlich eine Mehrzweckhalle ist.
        Schweigepflicht. Komplizen der                                    Die Besucher des Gottesdienstes werden gruppenweise gebracht –
                                                                      von Justizvollzugsbeamten. Akkurat sind die Stuhlreihen ausgerichtet.
Häftlinge dürfen sie aber nicht werden.                               Musik kommt vom Band: Titel von Johnny Cash und Bruce Springsteen
          Ein Blick hinter die Gitter der                             sind darunter. Gesungen wird nicht, denn: „Harte Jungs singen nicht!“
       Gefängnisse in Wolfenbüttel und                                Das weiß hier jeder. Die Predigt ist kurz und einfach gehalten. Etwa zehn
                         Braunschweig.                                Minuten predigt Pfarrer Konstantin Dedekind, zumeist über Themen, die
                                                                      um Freiheit, Gerechtigkeit und Vertrauen kreisen. Nach 30 Minuten ist
                                                                      der Gottesdienst auch schon vorüber. Es folgt eine weitere halbe Stunde
                                                                      mit gemeinsamem Kaffeetrinken.
                                                                          Freiheit mag mancherorts grenzenlos sein, an einem Ort ist sie es
                                                                      definitiv nicht: im Knast. Die Bewegungsfreiheit in der Zelle beschränkt
                                                                      sich auf neun Quadratmeter, inklusive Bett und WC. Der Blick nach
                                                                      draußen wird durch Gitter, Mauern und Stacheldraht getrübt. Auch die
                                                                      alltägliche Entscheidungsfreiheit bleibt sehr begrenzt: Der Tagesablauf
                                                                      mit Wecken, Arbeit, Mahlzeiten und Freizeit ist fremdbestimmt. Die freie
                                                                      Entscheidung, am Gottesdienst teilzunehmen, kann sich unter diesen
                                                                      Umständen für die etwa 200 Häftlinge bereits wie Luxus anfühlen.
                                                                         „Die geistliche Dimension ist in unseren Gottesdiensten schon sehr
                                                                      präsent“, sagt Dedekind, der den sonntäglichen Gottesdienst im Wech-
                                               Foto: Agentur Hübner

                                                                      sel mit dem katholischen JVA-Seelsorger und mit Ehrenamtlichen der
                                                                      freikirchlichen Braunschweiger Friedenskirche gestaltet, später in sei-
                                                                      nem Büro. Der 56-Jährige war zuvor Gemeindepfarrer in Waggum und
                                                                      Bevenrode. Er übernahm den seelsorgerlichen Dienst in der JVA Wol-
                                                                      fenbüttel 2013 von seinem Vorgänger Christoph Kern. Von diesem hängt
Leben hinter Gittern: Blick in eine Zelle im
                                                                      ebenso ein Porträt in Dedekinds Büro wie von dessen 17 Vorgängern,
Gefängnis Wolfenbüttel.
                                                                      die hier seit 1831 wirkten.
                                                                          Bereits seit 21 Jahren ist Martin Burgdorf Gefängnisseelsorger in
                                                                      der Untersuchungshaftanstalt Rennelberg in Braunschweig. „Hier ist
                                                                      der Platz, wo mich der liebe Gott haben wollte“, sagt der 63-Jährige
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                       Sonnengebräunt,Titelthema
                                          grauer Vollbart,
                       langes Haar. Dazu ein durch
                       Bodybuilding gestählter
                       Körper. Pfarrer Martin Burgdorf
                       öffnet die Tür der Kirche für
                       Häftlinge in Braunschweig.
Foto: Agentur Hübner
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                   Titelthema

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Hier ein Telefonat mit Familienangehörigen, dort eine Nachfrage bei der Gefängnisleitung: Pfarrer Konstantin Dedekind.

 lächelnd. Sonnengebräunt, grauer Vollbart und langes             ab und an ein Imam ins Gefängnis. „Meistens sprechen die
 Haupthaar, dazu ein durch Bodybuilding gestählter Körper:        Muslime auch gern mit mir und meinem katholischen Kol-
 Der Pfarrer mit der Wolfskopf-Kette um den Hals reprä-           legen, denn in ihren Augen sind wir - unabhängig von der
 sentiert eher den Rockertypen. „Tatsächlich fahre ich gern       Religion - ebenfalls Männer Gottes‘“, sagt Martin Burgdorf.
 Motorrad“, bestätigt Burgdorf augenzwinkernd.                    Anfangs sei es ihm noch unangenehm gewesen, als ihm ein
    Kein Wunder, dass der Gefängnispfarrer bei den etwa           Muslim nach dem Gottesdienst die Hand küssen wollte. „Bis
 120 Häftlingen der JVA Rennelberg gut anzukommen scheint.        ich irgendwann gemerkt habe, dass es ein Zeichen der Wert-
„Am stillsten und ruhigsten ist es im Gottesdienst immer          schätzung ist.“
 dann, wenn ich über Situationen aus meinem Leben berichte,
 wie zum Beispiel eine Motorradtour durch Norwegen.“               Haft bedeutet Lebenskrise: anfangs der Schock
    Leicht ist der kirchliche Dienst hinter Gefängnismauern        über die eigene Tat, später die Ohnmachtser-
 nicht. In diesem Mikrokosmos herrschen eigene, strenge
 Regeln. Gängige Währungen sind hier die „Bombe“ Kaf-              fahrung, dass die Zeit nicht vergeht.
 fee (500 Gramm) und der „Koffer“ Tabak (40 Gramm). Die
 ausschließlich männlichen Häftlinge leben in Einzel- oder             Immer wieder hat Burgdorf beobachten können: „Straftä-
 Doppelzellen, in letzteren auch die Suizidgefährdeten. Ganz       ter sind oft einfach gestrickt und haben ein religiöses Urver-
 unten in der Häftlingshierarchie stehen die sogenannten           trauen. Sie glauben an eine höhere Macht – und nennen sie
„Sittiche“, also Sittlichkeitstäter. „Die ärmsten Schweine         Gott.“ Intellektuell werde der Glaube kaum in Frage gestellt:
 im Gefängnis sind jedoch die, die kein Deutsch verstehen“,       „Oft heißt es: Der Pfarrer hat das gesagt, das wird schon
 meint Pfarrer Burgdorf. Das sei im Rennelberg immerhin            stimmen.“ Sich selbst sieht Burgdorf in der Rolle des „guten
 jeder Dritte, vor allem Osteuropäer und Afrikaner.                Onkels“, der in fast allen Lebenslagen etwas geben könne:
    In ihrer Heimat seien sie zumeist religiös erzogen und         Aufmerksamkeit und Zuwendung bei Kummer und Sorgen.
 sozialisiert worden. Zu den Muslimen unter ihnen komme            Manchmal auch ein fehlendes Kabel oder ein spezielles
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                                                                                                                               Titelthema

 Haarpflegemittel, das der Pfarrer für einen afrikanischen
 Untersuchungshäftling eigens aus dem Afro-Shop besorgt.
     Haft bedeutet immer auch Lebenskrise: anfangs noch der
 Schock über die eigene Tat, später die Ohnmachtserfahrung
 hinter Gittern mit zu viel Zeit, die nicht zu vergehen scheint.
„In dieser Situation ist der Pfarrer nicht nur Seelsorger, son-
 dern auch Sozialarbeiter“, berichtet Konstantin Dedekind.
 Hier ein Telefonat mit Familienangehörigen, dort eine Nach-
 frage bei der Gefängnisleitung. „Entscheidend ist, dass wir

„Die Mitarbeiter sind dankbar, wenn wir eine
 brenzlige Situation entschärfen können.“

 Pfarrer uns nicht zu Komplizen der Häftlinge machen lassen.“        Foto: Agentur Hübner

     Ein Spagat, der heikel sein kann: Wie die Justizvollzugs-
 beamten haben die Gefängnisseelsorger in der JVA Schlüs-
 selgewalt und Bewegungsfreiheit. Aber im Gegensatz zum
 Gefängnispersonal, das zwingend Meldung über alle Vor-                                     Die Kanzel von Pfarrer Dedekind im Gefängnis Wolfenbüttel
 kommnisse und Erkenntnisse machen muss, unterliegen                                        steht in einer Mehrzweckhalle.
 die Pfarrer der Schweigepflicht. „Deswegen muss beim Voll-
 zugspersonal mitunter erst einmal Vertrauen aufgebaut wer-
 den“, bemerkt Dedekind, der als Seelsorger auch für die
 Beamtinnen und Beamten ansprechbar ist.
     Genauso wie Pfarrer Burgdorf im Rennelberg: „Die Mit-
 arbeiter sind dankbar, wenn wir eine brenzlige Situation ent-
 schärfen können“, sagt er. Die Hürde für ein eigenes seelsor-
 gerliches Gespräch sei aber höher als bei den Gefangenen:
„Die Kollegen könnten tuscheln, wenn jemand zu uns kommt.“
 Umso wichtiger ist für Burgdorf die harmonische Zusam-
 menarbeit mit dem katholischen Seelsorger, Franz-Joseph
 Christoph, gerade auch als Supervisionsmöglichkeit.
     Martin Berger, seit 34 Jahren im Justizvollzugsdienst, ist
 froh, dass es die Gefängnisseelsorge gibt. „Seelsorge hat
                                                                   Foto: Agentur Hübner

 wohl nirgendwo in der Gesellschaft einen so hohen Stellen-
 wert wie hier“, sagt Berger, der in der JVA Wolfenbüttel die
 Gedenkstätte betreut. In zwei Dauerausstellungen wird an
 die dunkelsten Kapitel der Stadt erinnert: Im Strafgefängnis                               Die Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel: Blick auf die begrenzte
 Wolfenbüttel wurden von 1937 bis 1945 hunderte Menschen                                    Freiheit im Innenhof.
 als Opfer der nationalsozialistischen Justiz mit der Guillo-
 tine oder dem Strang hingerichtet. Berger: „Heute lässt sich
 kaum noch ermessen, was es damals für die Gefängnispfar-                                      Häftlinge, die Haftlockerungen genießen, begleitet er
 rer bedeutete, die zum Tode Verurteilten auf ihrem letzten                                 auf kurze Ausflüge. Oft werden Kirchen oder Ausstellungen
 Gang zu begleiten.“                                                                        besucht, oder auch mal gemeinsam etwas gegessen. Dabei
    Zurück in der Gegenwart. Für Pfarrer Dedekind ist ganz                                  erleben die Häftlinge, dass Freiheit nicht nur toll, sondern
 klar: „Zu einem besseren Menschen werden wenige im                                         auch anstrengend sein kann. Dedekind: „Einige sind danach
 Gefängnis.“ Eher befürchtet er einen „Drehtüreffekt“, wenn                                 heilfroh, wieder eingeschlossen zu werden.“
 Häftlinge nach der Haft als „leichte Beute an die falschen                                    Um ihre eigene Sicherheit sorgen sich die Gefängnis-
 Leute“ gerieten. Die Gesellschaft mache es sich leicht: Straf-                             seelsorger nicht. Die „Ganoven-Ehre“ besage: „Frauen und
 täter würden weggesperrt. Aber was komme danach? Wer                                       Pfarrer schlägt man nicht!“ Pfarrer Burgdorf versichert: „Wer
 bereite die Häftlinge auf die Freiheit vor? „Da passiert zu                                uns etwas antun würde, bekäme es sofort mit seinen Mit-
 wenig“, so Dedekind.                                                                       häftlingen zu tun.“ 				                           | Michael Siano
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                       Interview

 Die reformatorische Welle
Zusammen mit der Landeskirche Braunschweig und der hannoverschen Landeskirche bereitet
das Braunschweigische Landesmuseum für 2017 eine große Reformationsausstellung vor.
Im Interview spricht die Direktorin, Dr. Heike Pöppelmann, über den Stand der Vorbereitungen
und das braunschweigische Geschichtsbewusstsein.

     Evangelische Perspektiven: Braun-
 schweig und das Braunschweiger
 Land haben eine traditionsreiche
 Geschichte. Inwieweit prägt diese
 Geschichte das öffentliche Bewusst-
 sein?
     Dr. Heike Pöppelmann: Bevor ich
 nach Braunschweig gekommen bin,
 habe ich in Oldenburg und Magdeburg
 gearbeitet. In allen Regionen gibt es ein
 Bewusstsein für die eigene Geschichte.
 Überall finden wir wichtige historische
 Daten und Persönlichkeiten. Und doch
 gibt es in Braunschweig eine Beschäfti-
 gung mit der Geschichte, die besonders
 ist und die ich weder in Oldenburg noch
 in Magdeburg so erlebt habe.

    Inwiefern?
    Ich beobachte eine starke Ten-
 denz, sich mit der eigenen Identität zu
 beschäftigen. Zumindest bei bestimm-
 ten Personengruppen. Vielleicht des-
 wegen, weil die Frage nach der Zukunft
 der Region neu entschieden werden
 muss. Alte Koordinaten haben sich ja
 aufgelöst. Der Freistaat Braunschweig
 hat 1946 aufgehört zu existieren, und
 selbst den Regierungsbezirk Braun-
 schweig gibt es seit 2007 nicht mehr.

     Zeigt sich hier eine Art von Verlust-
 schmerz?
     Das ist zu viel gesagt. Im Moment           Was gehört denn zur braunschwei-         die Landkarte in Europa aussehen sollte.
 scheinen viele einfach am Schwim-           gischen Identität?                           Deswegen ist Herzog Friedrich Wilhelm
 men zu sein, weil sie noch nicht wis-           Prägend ist das Herzogtum von 1235       auch früher vom Wiener Kongress nach
 sen, wohin der Weg geht. Deswegen ist       bis 1918, das danach als Freistaat weiter-   Hause gefahren und hat die Verhandlun-
 die Diskussion um die braunschwei-          geführt wurde. Dabei war Braunschweig        gen einem Beauftragten übergeben. Er
 gische Identität im Moment so wich-         stets ein relativ kleines politisches        sah, wie begrenzt seine Möglichkeiten
 tig. Als Direktorin des Braunschweigi-      Gebilde und stand immer wieder in der        waren. Dass das Land nicht von der Karte
 schen Landesmuseums sehe ich mich           Gefahr, von der Karte gewischt zu wer-       verschwand, hing unter anderem damit
 mit dem Team als Beobachter, denn           den. Beim Wiener Kongress 1815 zum           zusammen, dass Friedrich Wilhelms
 die Identitätsfrage schwingt in unse-       Beispiel gehörte es zu den mindermäch-       Vater, Karl Wilhelm Ferdinand, 1806 bei
 ren Ausstellungen stets mit.                tigen Staaten. Andere bestimmten, wie        der Schlacht von Jena und Auerstedt
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                                                                                            Interview

gegen Napoleon gekämpft hatte und Region so etwas wie ein Schmelztigel, des 19. Jahrhunderts und wurde in
seinen dort zugezogenen Verletzungen
                                  ein Vorbild für Integration, wenn man einem Atemzug mit Ferdinand Schill
erlegen war. Braunschweig musste sich
                                  so will. Das sind Traditionslinien, die wir und Andreas Hofer genannt. Er hat
von Anfang an immer wieder durchset-
                                  keinesfalls vergessen sollten.              Tugenden vereint, die große gesell-
zen und um sein Bestehen kämpfen.                                             schaftliche Beachtung gefunden haben.
                                      Wir leben in einer Phase, die von Militärische Tugenden, die Gott sei
   Beharrungs- und Durchsetzungs- wichtigen historischen Gedenktagen Dank keine Rolle mehr für uns heute
vermögen – gehören diese Tugenden geprägt ist. Welche Kraft liegt darin? spielen. Ein Held wird immer durch sein
zur braunschweigischen Identität?     Als Landesmuseum war uns beson- Publikum bestimmt, und ein Publikum
                                  ders das Gedenken an 1914, den sind wir heute auch. Welche Tugenden
                                  Beginn des Ersten Weltkrieges wich- halten wir für heute wichtig? Wenn wir
                                  tig, weil dessen Bedeutung gerade in das unter diesem Aspekt betrachten,
                                  Deutschland wiederentdeckt werden wird der Schwarze Herzog plötzlich
                                  musste. Lange Zeit war unser histo- lebendig. Wir versuchen, seine Biogra-
                                  risches Erinnern vor allem durch den fie darzustellen, ohne seinem Mythos
                                  Zweiten Weltkrieg und das Dritte Reich auf den Leim zu gehen.
                                  geprägt. Aber wir brauchen das Geden-
                                  ken an den Ersten Weltkrieg, um das 20.         In jüngster Zeit wird darüber dis-
                                  Jahrhundert zu verstehen. Am Beginn kutiert, ob der Welfenschatz zumin-
                                  dieses „kurzen“ Jahrhunderts wurde dest zeitweise wieder an seinen ange-
                                  der erste industriell geprägte Krieg stammten Ort im Braunschweiger
                                  geführt. Alles, was vorher im „langen“ Dom zurückkehren sollte. Wie sehen
                                  19. Jahrhundert war, existierte hinter- Sie das?
                                  her nicht mehr.                                 Der Welfenschatz hat seine
                                                                              Geschichte. Es ist natürlich schade,
                                      Ist das Museum auch so etwas wie dass er nicht mehr am authentischen
                                  eine Schule der Demokratie?                 Ort ist. Andererseits muss man respek-
                                      Das Museum ist ein Denk- und tieren, was im Laufe der Jahrhunderte
                                  Kommunikationsort. Wir laden die passiert ist. Er ist nun mal verkauft
                                  Menschen ein, an Themen mitzuar- und auseinandergerissen worden, und
                                  beiten. Wir bieten eine Plattform, auf man kann nicht immer alles rückgän-
                                  der man mitdenken, mitgestalten und gig machen. Trotzdem wäre es höchst
                                  mitdiskutieren kann.                        attraktiv, wenn man den Welfenschatz

                                            Wie gelingt das mit Blick auf
                                                                                  „Luther schwebt über allem,
                                         die monarchischen Zeiten Braun-
                                                                                   als Mythos. Wir planen eine
                                      Foto: Agentur Hübner

                                         schweigs?
                                            Wir fragen immer nach dem Gegen-       Ausstellung, die möglichst frei
                                         wartsbezug: Was hat das mit unserem
                                         Leben heute zu tun? Muss ich zum Bei-     ist von Mythen.“
                                         spiel wissen, was der Schwarze Herzog
                                         vor 200 Jahren gemacht hat? Vielleicht   noch einmal zusammentragen und in
   Ich glaube, das kann man so sagen. nicht. Aber wieso hat er sich so lange      Braunschweig präsentieren könnte.
Wobei es hier auch Traditionslinien im Gedächtnis gehalten? Warum war er          Dafür müsste man aber eine wissen-
gibt, die so alt sind, dass wir sie gar der Held des 19. Jahrhunderts? Es gibt    schaftliche Fragestellung entwickeln.
nicht mehr spüren. Diese Region war keine Epoche, in der so viele Denkmä-
immer ein Raum, in dem viele Ein- ler an eine Person erinnern. Auch das              Sehen Sie realistische Möglichkei-
flüsse zusammengekommen sind und einzige Denkmal im Ausland für eine              ten dafür?
wo stets eine große Mobilität herrschte. Braunschweiger Persönlichkeit gilt          Es könnte gelingen, wenn sich
Viele Menschengruppen sind zu Zeiten dem Schwarzen Herzog.                        jemand mit Leidenschaft der Sache
der Völkerwanderung hier durchgezo-                                               annimmt und auch den finanziellen
gen, einige blieben und manche zogen        Welche Erklärung haben Sie dafür?     Rahmen schafft. Der Wunsch alleine,
irgendwann weiter. Damals war die           Er gehörte zu den Freiheitshelden     den Schatz noch einmal in Braun-
2 | 2015 Evangelische Perspektiven | 12

                       Interview

                                                                                                         Wo wird die Ausstellung stattfin-
                                                                                                      den?
                                                                                                         Im Braunschweigischen Landes-
                                                                                                      museum, aber auch Hintern Brüdern
                                                                                                      und Hinter Ägidien als authentische
                                                                                                      Orte der Reformation. Wir erinnern
                                                                                                      damit auch an die Reformatoren Gott-
                                                                                                      schalk Kruse (1499-1540) und Johannes
                                                                                                      Bugenhagen (1485-1558), der 1528 die
                                                                                                      Braunschweiger Kirchenordnung ver-
                                                                                                      fasste. Wir werden viele Objekte haben,
                                                                                                      archäologische Objekte genauso wie
                                                                                                      Kunstwerke.

                                                                                                         Welche Rolle wird Martin Luther
                                                                                                      für die Ausstellung spielen?
                                                                                                         Luther schwebt über allem, als
                                                                                                      Mythos. Die Folgen seines „Thesen-
                                                                                                      anschlags“ zu entblättern, gehört zu
                                                                                                      unserer Zielsetzung. Wir planen eine
                                                                                                      Ausstellung, die möglichst frei ist von
                                                                                                      den Mythen, die sich seit 500 Jahren um
                                                                                                      Luther und die Reformation gewickelt
                                                                                                      haben. Wir wollen die Reformation als
                                                                               Foto: Agentur Hübner

                                                                                                      komplexen Prozess darstellen, dem
                                                                                                      die Menschen ausgesetzt waren und
                                                                                                      den sie mitgestaltet haben. Ich glaube,
                                                                                                      das Gedenken daran wird eine ähnliche
 Das Miteinander der Verantwortlichen ist klasse: Dr. Heike Pöppelmann.                               Welle auslösen wie das an den Ersten
                                                                                                      Weltkrieg. Die Reformation hat unser
 schweig zu zeigen, reicht aber nicht dabei, und wir haben ein großartiges                            Leben auf den Kopf gestellt, ganz unab-
 aus. Es müsste ein gesellschaftlicher Team, auch bei uns im Landesmuseum.                            hängig von der Frage, welcher Konfes-
 und wissenschaftlicher Mehrwert dabei                                                                sion wir angehören.		              | mic
 sein, der über das spektakuläre Ereig-     Können Sie schon etwas zur Kon-
 nis hinausgeht.                         zeption sagen?
                                            Wir planen eine historische Ausstel-
    Das nächste große Gedenken steht lung, aber uns ist auch hier der Gegen-                          Stichwort
 bevor: 2017 jährt sich zum 500. Mal die wartsbezug wichtig. Ich will noch nicht                          Dr. Heike Pöppelmann (50) ist
 Reformation. Aus diesem Anlass soll zu viel verraten, aber es wird um die                            Archäologin und hat an den Universi-
 es in Braunschweig eine große Aus- Ausbreitung der reformatorischen Idee                             täten Köln und Bonn Vor- und Frühge-
 stellung geben. Welche Pläne gibt es im 16. Jahrhundert in den welfischen                            schichte, Mittelalterliche Geschichte
 dafür?                                  Landen gehen, also auch in den Gebie-                        sowie Geologie studiert. 1997 wurde
    Das ist ein großartiges Projekt. Es ten um Hannover. Wir enden nicht mit                          sie Volontärin am Landesmuseum in
 entsteht in Kooperation mit der Lan- dem Augsburger Religionsfrieden 1555                            Oldenburg, 2000 Wissenschaftliche
 deskirche Braunschweig und der han- sondern gehen bis 1617, bis zum Vor-                             Angestellte am Kulturhistorischen
 noverschen Landeskirche. Ich schätze abend des Dreißigjährigen Krieges. Die                          Museum Magdeburg. Seit 2010 ist sie
 die Power, die dahintersteht. Das Mit- 95 Thesen Martin Luthers haben ja eine                        Direktorin des Braunschweigischen
 einander der Verantwortlichen ist unglaubliche Welle ausgelöst, die das                              Landesmuseums. Bis zum 18. Okto-
 klasse. Ich habe wenige Projekte bis- ganze 16. Jahrhundert bestimmt hat                             ber läuft dort die Ausstellung „Wann
 her erlebt, die so breit und engagiert und unser Leben bis heute beeinflusst.                        ist ein Held ein Held? Der Schwarze
 angelegt waren. Wissenschaftler unter Deswegen fragen wir: Wie entsteht eine                         Herzog 1815/2015“. Mehr unter:
 anderem von der Universität Göttingen, solche Welle und wie verändert sie sich                       www.3landesmuseen.de
 aus Braunschweig und Hannover sind im Laufe der Zeit?
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                                                                                                                                                              Hintergrund

Nazi-Richter im Kirchendienst
Die Neugestaltung der NS-Gedenkstätte im Gefängnis Wolfenbüttel konfrontiert
auch die Landeskirche mit ihrer Geschichte.

                                                                                                                             Teil in der Höhe der Strafe von einer ganz außerordentlichen
                                                                                                                             Härte“ gewesen. Eine weitere Beschäftigung im Staatsdienst
                                                                                                                             wurde deswegen nicht empfohlen.

                                                               Foto: Markus Weber/Stiftung niedersächsische Gedenkstätten
                                                                                                                                 Unterstützt wurde Lerche allerdings von der Landeskir-
                                                                                                                             che. Landesbischof Martin Erdmann attestierte ihm eine
                                                                                                                            „bejahende kirchliche Einstellung“, die er auch in der Zeit
                                                                                                                             des Nationalsozialismus beibehalten und bezeugt habe: „Wir
                                                                                                                             halten ihn deshalb für geeignet, im kirchlichen Bereich sich
                                                                                                                             zu betätigen und beabsichtigen, ihn ggf. im kirchlichen Dienst
                                                                                                                             in geeigneter Form zu beschäftigen.“
                                                                                                                                 Erst nachdem 1949 die Entnazifizierungsbestimmungen
                                                                                                                             geändert worden waren, eröffneten sich für Lerche neue
                                                                                                                             berufliche Möglichkeiten. Erneut mit Hilfe der Landeskirche.
                                                                                                                             Zum 30. September 1951 wurde er auf seinen Antrag aus dem
Gedenkstätte im Gefängnis Wolfenbüttel.                                                                                      niedersächsischen Landesdienst entlassen und am 1. Okto-
                                                                                                                             ber 1951 von der Landeskirche als Beamter übernommen.
    Die ehemalige Hinrichtungsstätte in der Justizvollzugsan-                                                                Nachdem er zunächst als Jurist in der Grundstücksabteilung
stalt Wolfenbüttel (JVA) soll als zentraler Gedenkort zur Justiz                                                             tätig war, wurde er 1951 Oberlandeskirchenrat und 1953
und zum Strafvollzug im Nationalsozialismus ausgebaut wer-                                                                   Finanzreferent, ab 1957 sogar stimmberechtigtes Mitglied im
den. Justiz und Strafvollzug seien zentrale Mittel zur Durchset-                                                             Kollegium des Landeskirchenamtes. Er starb überraschend
zung der NS-Gewaltherrschaft gewesen, sagte Kultusminis-                                                                     im Dezember 1962 im Alter von 61 Jahren an Herzversagen.
terin Frauke Heiligenstadt im Mai vor der niedersächsischen                                                                      Wer heute die Frage stellt, wie es sein konnte, dass ein
Landespressekonferenz. Zwischen 1937 und 1945 waren in der                                                                   Nazi-Richter, der für zahlreiche Justizmorde verantwort-
JVA mehr als 500 Männer und Frauen getötet worden.                                                                           lich war, nach 1945 in der Landeskirche Braunschweig eine
                                                                                                                             Karriere bis in höchste Leitungsämter machen konnte, fin-
Es waren Todesurteile, die als Justizmorde                                                                                   det bei Klaus Erich Pollmann den Versuch einer Erklärung:
                                                                                                                                „Die Kirche hatte das Bedürfnis, sich schützend vor ein
bezeichnet werden müssen.                                                                                                    geächtetes Glied der Gemeinde zu stellen, dem Berufsver-
                                                                                                                             bot erteilt worden war, das diskriminiert wurde, und zwar
      Die Hinrichtungsstätte ist auch mit der Geschichte der                                                                 in letzter Instanz durch die früheren Feindmächte. Ein offe-
 Landeskirche Braunschweig verbunden. Denn eine ganze                                                                        nes Wort der Kritik an den schrecklichen Urteilen Lerches,
 Reihe von Richtern am Braunschweiger Sondergericht, das                                                                     eine Distanzierung von dieser eklatanten Rechtsbeugung
 die Todesurteile fällte, war der Landeskirche verbunden:                                                                    hat es nicht gegeben, nicht einmal ein Wort des Bedauerns.
„ ..., und zwar vor, während und nach der Zeit des National-                                                                 Die Opfer, Zwangsarbeiter, durch den Kriegsverlauf aus der
 sozialismus“, wie der Historiker Klaus Erich Pollmann 1994                                                                  Bahn geworfene Straftäter, vernachlässigte Jugendliche,
 in seinem Buch „Der schwierige Weg in die Nachkriegszeit“                                                                   rückten erst gar nicht ins Blickfeld.“		                  | mic
 feststellte. Ein besonders eindrücklicher Fall war der des
Juristen Dr. Walter Lerche. Auf Lerche gehen mehr als 50
 Todesurteile als Richter am Braunschweiger Sondergericht                                                                    Stichwort
 zurück, dessen Vorsitz er seit 1943 inne hatte.                                                                                 Weitere Informationen zur Gedenkstätte:
      Es waren Todesurteile, „die größtenteils nach rechts-                                                                  http://wolfenbuettel.stiftung-ng.de
 staatlichen Maßstäben als Justizmorde bezeichnet werden                                                                         Weitere Informationen zum Fall Lerche: Klaus Erich
 müssen“, so Klaus Erich Pollmann. Der Braunschweiger                                                                        Pollmann (Hg.): Der schwierige Weg in die Nachkriegs-
 Entnazifizierungsausschuss kam 1946 zu der Überzeugung,                                                                     zeit. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braun-
 dass Lerche „nicht mit genügend Rückgrat sich der Lenkung                                                                   schweig 1945-1950. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht,
 der Rechtspflege widersetzt“ habe. Seine Urteile seien „zum                                                                 Göttingen 1994, 335 Seiten, ISBN 3-525-55239-4.
2 | 2015 Evangelische Perspektiven | 14

                         Chronik

 Strukturreform beschlossen
 Die Landessynode hat sich mit großer Mehrheit für eine neue Verteilung der Gemeindepfarrstellen
 entschieden. Die Propsteien erhalten mehr Mitwirkungsrechte.

                                                                   Grundsätzlich können die Gemeinden zwischen drei
                                                               Modellen der Zusammenarbeit wählen: der Fusion zu einer
                                                               Gemeinde, dem Pfarrverband (bzw. Quartier) mit bis zu acht
                                                               Kirchengemeinden und dem neuen Kirchengemeindever-
                                                               band, dem auch mehr als acht selbstständige Gemeinden
                                                               angehören können. Die Reform sieht vor allem vor, dass die
                                                               Pfarrstellen in den Gestaltungsräumen von den Propsteien
                                                               selbst zugeordnet werden.
                                                                   Das Kontingent der zu verteilenden Stellen wird anhand
                                                               eines Verteilschlüssels errechnet, der zwei Parameter
                                                               berücksichtigt: die Mitgliederzahl der Propsteien zu 65 Pro-
                                                            Foto: Agentur Hübner

                                                               zent und den Flächenanteil der Propsteien an der Gesamt-
                                                               fläche der Landeskirche zu 35 Prozent. Auch die Errechnung
                                                               des Verteilschlüssels wurde in der Beratung der Gesetz-
                                                               vorlage noch einmal kontrovers diskutiert, ohne aber dass
 Oberlandeskirchenrat Hans-Peter Vollbach.                     Änderungsanträge die notwendige Mehrheit fanden.
                                                                   Wie Oberlandeskirchenrat Hans-Peter Vollbach, Leiter
     Nach einer langen, intensiven und kontroversen der Rechtsabteilung, betonte, komme die Neuregelung vor
 Debatte hat die braunschweigische Landessynode am Frei- allem der pfarramtlichen Versorgung in den ländlichen Berei-
 tag, 29. Mai, in Goslar mit großer Mehrheit eine grundle- chen der Landeskirche zugute. Außerdem schaffe sie eine
 gende Strukturreform der Landeskirche beschlossen. 38 Planungssicherheit für Gemeinden für die nächsten Jahre.
 von 46 Synodalen stimmten für ein Gesetz, das die stär-
 kere Zusammenarbeit der Kirchengemeinden in sogenann-
 ten Gestaltungsräumen vorsieht. Diese werden von den 13 Die neuen Gestaltungsräume sollen
 Propsteien innerhalb ihrer Grenzen eingerichtet und bilden mindestens drei und maximal sechs volle
 eine neue Grundlage für die Verteilung der Pfarrstellen in
                                                               Pfarrstellen umfassen.
 der Landeskirche.
     Sechs Synodale stimmten gegen das Gesetz, zwei enthiel-
 ten sich. Ziel der Reform ist es, die Gemeindepfarrstellen in     Die neuen Gestaltungsräume sollen mindestens drei
 der Breite der Landeskirche möglichst so zu verteilen, dass und maximal sechs volle Pfarrstellen umfassen. Vollbach
 alle 389 Gemeinden auch in Zukunft versorgt sind. Dafür dankte allen Kirchengemeinden und Propsteien, die sich in
 sollen die Pfarrerinnen und Pfarrer künftig stärker im Team den vergangenen Monaten kritisch und mit Anregungen zu
 zusammenarbeiten.                                             dem Reformprojekt geäußert haben. Viele Aspekte seien
     Die Gesetzesvorlage wurde insbesondere von Synodalen noch in das neue Gesetz eingeflossen, das zum 15. Juli 2015
 aus den Propsteien Salzgitter-Lebenstedt, Bad Gandersheim in Kraft tritt.
 und Königslutter in Frage gestellt. Die Pilotprojekte seien       Hintergrund der Reform sind die sinkenden Mitglieder-
 noch nicht ausreichend ausgewertet, kritisierten sie. Außer- zahlen in der Landeskirche. Vor allem aufgrund demografi-
 dem gaben sie ihrer Sorge Ausdruck, dass die Eigenstän- scher Faktoren, aber auch durch Austritte verliert sie jedes
 digkeit und Arbeitsfähigkeit der Gemeinden durch die neuen Jahr rund 5000 Personen. Hatte die Landeskirche 1970 rund
 Regelungen eingeschränkt werden.                              650.000 Mitglieder, waren es 2014 nur noch etwa 360.000.
     In der Folge hat die Synode zum Beispiel einen Kompro- Bis zum Jahr 2030 wird mit einem weiteren Rückgang auf
 miss bei der Trägerschaft von Kindertagesstätten beschlos- etwa 250.000 Mitglieder gerechnet. Deswegen hatte die
 sen. In besonders begründeten Ausnahmefällen kann diese Landessynode im November 2010 beschlossen, die Zahl der
 auch künftig bei einer Gemeinde sein. In der Regel aber wird Gemeindepfarrstellen bis zum Jahr 2020 möglichst nach-
 ein neuer Kirchengemeindeverband diese Aufgabe überneh- vollziehbar und transparent von derzeit noch 190 auf 170
 men – wenn er denn gegründet wird.                            zurückzuführen.
2 | 2015 Evangelische Perspektiven | 15

                                                                                                                   Chronik

Viel gelingende Arbeit
Erster Lagebericht von Landesbischof Dr. Christoph Meyns vor der Landessynode

    Landesbischof Dr. Christoph                                                                          dessen gehe es für die Kirche darum,
Meyns hat die Flüchtlingshilfe als eine                                                                 „intelligent zu schrumpfen“.
zentrale Aufgabe von Kirche und Dia-                                                                        Nötig seien Verfahren, „die es erlau-
konie unterstrichen. Ihn bedrücke die                                                                    ben, Personalstellen transparent zu
Verfolgung von Christen um ihres Glau-                                                                   verteilen“ und Strukturen zu schaffen,
bens willen, gleichzeitig müsse die Kir-                                                                 die es Mitarbeitenden erlauben, sinn-
che aber allen Verfolgten und Vertriebe-                                                                 voll zu arbeiten, so Meyns. Darüber
nen ohne Ansehen der Person gerecht                                                                      hinaus stünden eine Überprüfung der
werden, sagte er in seinem ersten                                                                        Verwaltungsabläufe und die Einführung
Bericht zur Lage der Landeskirche vor                                                                    der erweiterten Kameralistik an. „Und
der braunschweigischen Landessynode                                                                      irgendwann werden wir um eine Neu-
am Donnerstagabend, 28. Mai, in Goslar.                                                                  ordnung der Aufgaben und Strukturen

                                                                                 Foto: Agentur Hübner
Er wünsche sich, dass Deutschland bei                                                                    von Propsteien nicht herumkommen.“
seiner „restriktiven Waffenexportpoli-                                                                   Auch müssten Strategien für die Per-
tik“ bleibe und seinen „Schwerpunkt                                                                      sonalplanung entwickelt werden, um
bei der humanitären Hilfe für Flücht-                                                                    einem Pfarrermangel ab dem Jahr 2022
                                            Landesbischof Dr. Christoph Meyns.
linge“ setze. Gleichzeitig dankte Meyns                                                                  zu begegnen.
allen, die sich für die Hilfe von Flücht-   kein Qualitätsproblem der kirchlichen                           Gleichzeitig würdigte der Landes-
lingen einsetzen.                           Arbeit an, „sondern eine fundamentale                        bischof die Reformen der vergange-
    Außerdem betonte der Landesbi-          gesellschaftliche Strukturverände-                           nen Jahre. Vieles sei bereits geschafft.
schof in seiner Rede, dass die Lan-         rung“. Unter den Bedingungen allge-                         „Durchgehende Qualitätsprobleme“
deskirche weitere strukturelle Ver-         meinen Wohlstands, guter sozialer und                        sehe er in der Landeskirche nicht:
änderungen planen und umsetzen              medizinischer Versorgung, eines hohen                       „Im Gegenteil, ich könnte stundenlang
müsse. Es gehe darum, angemessen            Bildungsstands und großer Freiräume                          schwärmen von den vielen Beispielen
auf die sinkenden Mitgliederzahlen          wollten sich viele Menschen nicht mehr                       gelungener Praxis, die ich selber erlebt
zu reagieren. Diese zeigten allerdings      so fest binden wie früher. Angesichts                        habe oder von denen ich weiß.“

Finanzchef wiedergewählt
Synode verlängert die Amtszeit von Dr. Jörg Mayer um zwölf Jahre

   Dr. Jörg Mayer (48) bleibt für                                                                       dale enthielten sich der Stimme. Mayer
weitere zwölf Jahre Oberlandeskir-                                                                      war 2009 in sein Amt bei der Landes-
chenrat und Leiter der Finanzabtei-                                                                     kirche gewählt worden, die erste Amts-
lung der Landeskirche Braunschweig.                                                                     zeit betrug sechs Jahre. Als Heraus-
Die Landessynode wählte den Verwal-                                                                     forderungen für die nächsten Jahre
tungswissenschaftler am 28. Mai in                                                                      bezeichnete er die Personalplanung,
                                                                                 Foto: Agentur Hübner

Goslar mit großer Mehrheit für eine                                                                     das Gebäudemanagement und die Ein-
zweite Amtszeit. Von den anwesenden                                                                     führung der erweiterten Kameralistik
47 Synodenmitgliedern stimmten 37                                                                       als ein neues und modernes Finanz-
mit ja und acht mit nein. Zwei Syno-                                                                    system.
2 | 2015 Evangelische Perspektiven | 16

       Chronik / Buchtipp

 Programm steht fest
 Webseite, Video und Broschüre werben für den Kongress „Gemeinde.Wir“

                       Das Programm         Axel Noack, Altbischof der Evangeli-          i.R. Heinz Behrends aus Northeim, oder
                    für den Kongress        schen Kirche der Kirchenprovinz Sach-         auch Dr. Matthias Rost von der Arbeits-
                   „Gemeinde. Wir“          sen. Nach einem Mittagsimbiss ist die         stelle Gottesdienst der Evangelischen
                    der Landeskirche        thematische Arbeit in verschiedenen           Kirche in Mitteldeutschland.
                    Braunschweig steht      Braunschweiger Innenstadtgemeinden                Nähere Informationen finden sich in
                    fest. Haupt- und        geplant. Um 17:30 Uhr endet der Tag           einem besonderen Programmheft, das
                    Ehrenamtliche sind      mit einer Präsentation der Ergebnisse         an die Haupt- und Ehrenamtlichen in der
                    eingeladen, sich in     und kulturellen Beiträgen.                    Landeskirche sowie an alle Kirchenge-
                    sechs Foren und            Für die Foren und Workshops wur-           meinden versandt wurde. Weitere Exem-
                    3 3 Wo r k s h o p s
                    am 10. Oktober in
                                                Der verklärte Krieg
                                            den auch auswärtige Referenten gewon-
                                            nen: unter anderem Friedrich Wagner
                                                                                          plare sind in der Pressestelle erhältlich
                                                                                          (Tel. 05331-802108, E-Mail: ips@lk-bs.
                    Braunschweig über       vom Gemeindedienst der Nordkirche             de). Außerdem ist eine eigens für den
 die Arbeit in den Gemeinden und die        in Hamburg, Superintendent Matthias           Kongress entwickelte Internetpräsenz
 Zukunft der Kirche im Braunschweiger       Porzelle aus Egeln, der Psychologe            online: www.gemeindepunktwir.de.
 Land auszutauschen.                        Marcus Eckert aus Bremen, Thomas                  Anmeldungen sind bis zum 30. Sep-
    Beginn ist um 10 Uhr mit einem Got-     Hirsch-Hüffell vom Gottesdienstinstitut       tember sowohl per Fax und Brief als auch
 tesdienst im Braunschweiger Dom, wo        der Nordkirche in Hamburg, Christhard         online über die Webseite möglich. Dort
 Landesbischof Meyns eine Bibelarbeit       Ebert vom Zentrum für Mission in der          gibt es auch ein Youtube-Video, das für
 hält. Mitwirken wird auch Professor        Region aus Dortmund, Superintendent           die Teilnahme an dem Kongress wirbt.

 Der verklärte Krieg
 Ein neues Buch von Dietrich Kuessner kommentiert die Feldpostbriefe des ehemaligen
 Braunschweiger Pfarrers Johann Heinrich Wicke.

                             Feldpost-          Obwohl Mitglied des Braunschweiger        in Braunschweig wurde. Als Pfarrer der
                           briefe aus dem       Pfarrernotbundes, fühlte sich Wicke als   Magnigemeinde war er ein Kritiker der
                    Zweiten Weltkrieg Soldat von Gott in den Dienst an „Volk              restaurativen Adenauer-Ära und trat
                    des ehemaligen und Vaterland“ gerufen. In seinen Brie-                1957 der SPD bei. Zweimal wurde er in
                    Braunschweiger fen, die er während des Russlandfeld-                  den Braunschweiger Stadtrat gewählt
                    Pfar­r ers Johann zuges an seine Ehefrau schrieb, finden              und galt als „roter“ Pastor, dessen Kri-
                    H e i n r i c h W i c ke sich immer wiederkehrende Versuche,          tik auch vor der eigenen Kirchenleitung
                    ( 1 9 0 8 - 1 9 9 6 ) h a t den Krieg als Gottes Willen zu verklä-    nicht halt machte.
                    Dietrich Kuessner in ren und diesem so einen Sinn zu geben.               Das Buch „Die Feldpostbriefe (1939-
                    einem neuen Buch Damit stand er nicht alleine: Mehr als               1942) von Johann Heinrich Wicke und
                    herausgegeben und 100 Pfarrer und Vikare der Landeskir-               anderen Braunschweiger Pfarrern“
 kommentiert. Sie zeigen, wie ein Pastor che Braunschweig zogen damals in den             wurde im Selbstverlag herausgegeben
 sich im Ausnahmezustand des Krieges Krieg. Viele von ihnen starben auf dem               von Peter Wicke und Dietrich Kuessner.
 verhält, wie er die Konflikte zwischen Schlachtfeld.                                     Es umfasst 163 Seiten und ist für 15 Euro
 seinem Pastorendasein und seinem                  Bedeutsam sind die Feldpostbriefe      in der Kirchengemeinde St. Magni in
 Soldatenberuf erträgt und wie er die nicht zuletzt deswegen, weil Johann                 Braunschweig (Tel. 0531-46804, E-Mail:
 vom Krieg ausgehende Gewalt aus- Heinrich Wicke in der Nachkriegszeit                    magni.bs.pfa@lk-bs.de) oder bei den
 hält und sogar theologisch legitimiert. zu einer stadtbekannten Persönlichkeit           Herausgebern erhältlich.            | mic
2 | 2015 Evangelische Perspektiven | 17

                                                                            Nachgefragt

Wie können
Kirchengemeinden
im Braunschweiger Land
Flüchtlingen helfen?

Nachgefragt bei:
Siglinde Haußecker und Pfarrer Heiner Reinhard, Walkenried

  Unter dem Thema „Gastfreundschaft“ haben wir uns kennengelernt, im
 Mai1989 auf einem Taizé-Treffen in Pecs (Ungarn). Mit dem „Pilgerweg des Ver-
 trauens“ haben die Brüder von Taizé uns erleben lassen, was Gastfreundschaft
 konkret bedeutet: Gastfamilien haben uns in ihren Betten schlafen lassen und
 selbst auf dem Fußboden genächtigt.
     Wir haben erfahren, was Frère Roger mit der großen Menschheitsfamilie meint,
 zu der wir alle gehören. Und so wurde für uns Gastfreundschaft zum sichtbaren
 Bild dessen, worum es in unserem christlichen Glauben geht: Wir werden emp-
 fangen und gesehen. So begegnet uns unser Gott - und so wollen wir einander
 auch begegnen.
     Heute leben wir – nach Kräften – diese Gastfreundschaft im Pfarrhaus in Wal-
 kenried. Leben teilen mit den Menschen, einander Bruder und Schwester sein.
 Die Grenzen zwischen privat und Gemeinde, zwischen Arbeit und Freizeit sind
 fließend geworden. Unser Bibelkreis trifft sich bei uns im Wohnzimmer, Gäste
 der Kirchengemeinde sitzen mit uns an unserem Küchentisch, und unsere Kin-
 der fragten schon bald: „Und wer kommt heute zum Essen?“
     Selbstverständlich haben wir auch die Tür geöffnet, als eine eritreische Flücht-
 lingsfrau anklopfte und um Kirchenasyl bat. Ihr Schicksal hat uns sehr berührt
– und wir waren uns mit unserem Kirchenvorstand schnell einig: Die drohende
 Abschiebung können wir mit unserem Gewissen nicht vereinbaren. In intensiven
 Wochen haben wir ihr in unseren kirchlichen Räumen mit vielen Unterstützern
 Schutz geboten.
  Heute ahnen wir, dass in dieser Frau Christus an unsere Tür geklopft hat. Er
 ist gegenwärtig in den Flüchtlingen, die mittlerweile fest zu unserer Kirchenge-
 meinde gehören. Sie haben uns die Augen geöffnet für ihre Not. Sie haben unsere
 Gemeinde dazu gebracht, viel öfter gemeinsam zu essen. Es ist ein Sprachkurs
 für Flüchtlinge entstanden, in unserem Kirchenladen können sie kostenlos vie-
 les bekommen, was sie für ihren Alltag brauchen. Wir teilen Geld und Zeit und
 empfangen Christus in jedem Gast, der an unsere Tür klopft.
2 | 2015 Evangelische Perspektiven | 18

                     Rezension

 Streit um die Bibel
 Frank Crüsemann erklärt, warum das Neue und das Alte Testament gleichrangig
 sind – und eine Relativierung des Alten zum Antijudaismus führt.

                                    Welche Geltung hat                  Trotzdem wird er sich an seiner Auffassung messen lassen
                                das Alte Testament für Chris-       müssen, das Alte Testament sei das Dokument einer Religi-
                                ten? Die Frage mag irritie-         onsgemeinschaft, „die mit der Kirche nicht identisch ist“. Damit
                                ren angesichts der Selbst-          spielt er fast unvermeidlich das Neue gegen das Alte aus und
                                verständlichkeit, mit der uns       dem Antijudaismus in die Hände. Denn in dieser Perspektive
                                 das Alte Testament begegnet.       wäre Israel für den christlichen Glauben inhaltlich überholt.
                                 Doch sie ist zu einer Streit-          Gefordert ist deshalb nicht nur die wissenschaftliche
                                 frage geworden, die derzeit        Debatte, sondern auch die theologische Auseinanderset-
                                 viele bewegt.                      zung in den Gemeinden und der Breite der Kirche. Dabei
                                     Grund dafür ist ein Auf-       sind alle willkommen, die der Kraft des eigenen Gedankens
                                 satz des Berliner Theologie-       aufhelfen können.
                                 professors Notger Slenczka.            Frank Crüsemann dürfte dazugehören. Er hat ein wun-
                                 Er vertritt die These, das Alte    derbar nachdenkliches Buch über die Verhältnisbestimmung
                                Testament sei das Zeugnis           zwischen dem Alten und dem Neuen Testament geschrie-
                                 eines vorchristlichen Selbst-,     ben. Darin betont der emeritierte Professor für Altes Tes-
                                 Welt- und Gottesverständ-          tament an der Kirchlichen Hochschule in Bielefeld-Bethel,
                                 nisses und könne nicht die-        dass das Neue Testament „durchgängig durch dichte Bezüge
 Frank Crüsemann:                selbe kanonische Bedeutung         auf das Alte Testament geprägt“ sei und dessen Kenntnis
 Das Alte Testament als Wahr- haben wie das Neue Testa-             und Geltung voraussetze: „Es gibt im Neuen Testament kein
 heitsraum des Neuen. Die        ment. Denn in der Begeg-           Substrat, keinen Kern, keine christliche Wahrheit, die nicht
 neue Sicht der christlichen     nung mit Jesus Christus           - alttestamentlich gewonnen wäre.“
 Bibel. Gütersloher Verlags- werde das Gottesverhältnis
 haus, Gütersloh/München         radikal neubestimmt.              Christus verkündet die alte Lehre der Tora mit
 2011, 384 Seiten, 34,99 Euro.       Damit steht Slenczka in
                                 einer Linie mit namhaften         neuer Kraft und Wirksamkeit.
 Theologen wie Friedrich Schleiermacher (1768-1834), Adolf
 von Harnack (1851-1930), oder Rudolf Bultmann (1884-1976).             Erhellend ist zum Beispiel seine Interpretation des
 Allen gemeinsam war eine negative Sicht des Alten Testa-           Begriffs „neu“. Hierbei sei keine inhaltlich neue Lehre
 ments und in der Folge auch des Judentums. Eine Sicht, die         gemeint, die eine alte ablöst, sondern eine neue Kraft und
 von den Deutschen Christen in der Zeit des Nationalsozia-          Wirksamkeit, mit der die alte Lehre der Tora durch Christus
 lismus zugespitzt wurde. So forderte zum Beispiel Reinhold         verkündet werde. Wie im Alten sei im Neuen Testament das
 Krause während einer Kundgebung im Berliner Sportpalast            Neue vor allem ein Begriff „für das erwartete eschatologisch
 am 13. November 1933:                                              Neue, das Gott herbeiführen wird“. Sein Reich, in dem voll-
    „Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohn-       ends Frieden und Gerechtigkeit herrschen.
 moral, von diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten.                Und natürlich geht Crüsemann der Frage nach, inwieweit Tod
 Mit Recht hat man dieses Buch als eines der fragwürdigsten         und Auferstehung Jesu als Dreh- und Angelpunkt des christli-
 Bücher der Weltgeschichte bezeichnet ... Die Juden aber sind       chen Glaubens eine Distanzierung vom Alten Testament recht-
 nicht Gottes Volk.“ Krauses Ziel war es, den Gleichklang von       fertigen. Er zeigt, dass beides kein Bruch mit der Schrift ist, son-
 Nationalsozialismus und Evangelium zu konstruieren.                dern in ihr gründe. Außerdem hätten Tod und Auferstehung nicht
     Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass         das letzte Wort, sondern die Erhöhung Jesu an die Seite Gottes.
 Slenczka harsche Kritik erntet. Seine Abhandlung sei eine              In diesem Modus, als Abwesender, sei er gegenwärtig:
„Neuauflage des protestantischen Antijudaismus“, wirft ihm         „Christus ist durch diese Entrückung an die Seite Gottes in
 Friedhelm Pieper (Bad Nauheim) vom Deutschen Koordinie-            der Welt und bei seiner Gemeinde auf keine andere Weise
 rungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusam-         gegenwärtig und wirksam, als es Gott ist und schon immer
 menarbeit vor. Was Slenczka allerdings vehement zurück-            war – bis alle Feinde endgültig besiegt sind.“ In diesem Ver-
 weist: Dadurch, dass er das Alte Testament nicht christlich        ständnis sind Juden und Christen im Glauben an denselben
 vereinnahme, erweise er dem Judentum vielmehr Respekt.             Gott verwandt.					                                           | mic
2 | 2015 Evangelische Perspektiven | 19

                                                                                                                             Kleine Kirchenkunde

Nachhaltig begeistert
Vom 3. bis 7. Juni hat in Stuttgart der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag stattgefunden. Auch in
der Landeskirche Braunschweig gibt es einen Ausschuss, der das Christentreffen unterstützt.

                                                                                                                 Geschäftsstelle, die Geschäftsführung
                                                                                                                 und der Vorsitz.
                                                                                                                     Der Landesausschuss der braun-
                                                                                                                 schweigischen Landeskirche hat bei
                                                                                                                 den Kirchentagen eine Reihe von Pro-
                                                                                                                 jekten gefördert und begleitet. Von der
                                                                                                                 Landeskirche und dem Landesaus-
                                                                                                                 schuss erhalten Jugendliche bis 27
                                                                                                                Jahren einen Zuschuss, wenn sie als
                                                                                                                 Dauerteilnehmer oder Mitwirkende am
                                                                                                                 Kirchentag beteiligt sind.
                                                                                                                     Die Aktion „Kirchentag für alle“
                                                                                                                 wurde vom Landesausschuss Braun-
                                                                                                                 schweig ins Leben gerufen, um auch
                                                                                                                 Menschen ohne Geld die Teilnahme zu
                                                                                                                 ermöglichen. Durch die Arbeitslosen-
                                                                                  Foto: epd-bild/Stefan Arend
                                                                                                                 initiativen in der Landeskirche werden
                                                                                                                 Empfänger von Sozialleistungen ange-
                                                                                                                 sprochen, für die eine Kirchentags-Teil-
                                                                                                                 nahme sonst unmöglich wäre.
                                                                                                                     Schon als „Konfi“ zum Kirchentag
Jugendkantorei der Braunschweiger Domsingschule beim Kirchentag in Stuttgart.                                    und ein spezielles Konfirmandenpro-
                                                                                                                 gramm mit 3000 Jugendlichen erleben
                                                                                                                – das ist möglich, wenn der Kirchentag
    Die Mitarbeit beim Kirchentag           Evangelischen Kirchentags in den                                     (fast) vor der Tür ist. Der braunschwei-
 erfüllt viele mit einer Begeisterung,      zentralen Gremien übernehmen die                                     gische Landesausschuss hatte dazu
 die sie nicht so schnell wieder los wer-   DEKT-Landesausschüsse in den Lan-                                    für die Kirchentage in Bremen (2009)
 den. Mehr als ein Jahr vor dem Ereig-      deskirchen Mitverantwortung für die                                  und Hamburg (2013) einen Konfi-Zug
 nis starten in allen Landeskirchen die     Vorbereitung und Durchführung. Auch                                  mit Oldtimer-Waggons bei den Eisen-
 Vorbereitungen für die Ehrenamtlichen:     in der braunschweigischen Landeskir-                                 bahnfreunden in Vienenburg geordert,
 Posaunenchöre und Theatergruppen           che ist der Landesausschuss für die                                  so dass 500 Konfirmanden für einen
 beginnen mit den Proben, Kirchenge-        Verbindung zwischen Kirchen, Werken,                                Tag am Kirchentag teilnehmen konnten.
 meinden und Aktionsgruppen bereiten        Verbänden, sozialen und kulturellen                                  Der DEKT in Berlin 2017 liegt ja wieder
 ihren Stand für den Markt der Möglich-     Einrichtungen in der Region zuständig.                               fast vor der Tür. Es könnte wieder los-
 keiten vor, Gruppen aus der Kategorie      Aus Braunschweig sind jeweils rund                                   gehen.			                     | Beate Stecher
„Musik, Theater, Kleinkunst“ erstellen      1000 Personen bei Kirchentagen dabei.
 ihre Präsentation für die Bewerbung.           Der Landesausschuss arbeitet öku-
    Wer einmal dabei war, macht gerne       menisch und trifft sich mit seinen Mit-
 wieder mit. Mitwirkende berichten          gliedern und Gästen aus den verschie-                                 Stichwort
 begeistert von den Vorbereitungen und      denen Gemeinden, Propsteien, Kirchen                                     Kontakt: Pastorin Beate Ste-
 der Teilnahme, weil sie mit ihrem Enga-    und weiteren Arbeitsgruppen zweimal                                   cher, Geschäftsführerin des
 gement ein wichtiger Teil des großen       jährlich zu Rückblick und Planung. Der                                DEKT-Landesausschusses Braun-
 Ganzen sind. Von den vielen Initiativen    fünfköpfige Vorstand hält in der Zwi-                                 schweig, Amtsstraße 31, 38448
 und aktiven Menschen lebt der Kirchen-     schenzeit die Kontakte, auch zu den                                   Wolfsburg, Tel.: 05363-72053, Mail:
 tag. Fast die Hälfte der Teilnehmenden     Organen des DEKT. Die Mitarbeit im                                    beate.stecher@lk-bs.de, www.kir-
 gestaltet das Programm mit.                Landesausschuss wird ehrenamtlich                                     chentag-braunschweig.de
    Neben der Leitung des Deutschen         wahrgenommen, auch die Leitung der
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