Expertise Regelbedarfe 2018 - Herleitung und Bestimmung der Regelbedarfe in der Grundsicherung
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Expertise Regelbedarfe 2018. Herleitung und Bestimmung der Regelbedarfe in der Grundsicherung
Inhalt Vorwort ................................................................................................................................................................................................ 3 1. Bedeutung des Regelbedarfes ............................................................................................................................................ 5 2. Anforderungen an eine sachgerechte Regelbedarfsermittlung mit dem Statistikmodell ........................... 6 3. Auswahl der Referenzgruppe für Erwachsene – RBEG 2017 vs. Paritätischer ............................................................................................................................................... 8 4. Bewertung der privaten Konsumausgaben bei der Regelbedarfsermittlung – RBEG 2017 und Paritätischer im Vergleich ................................................................................................................... 10 5. Vergleich Regelbedarfsermittlung: Regelbedarfsermittlungsgesetz vs. Paritätischer .................................... 14 6. Kinderregelbedarfe sind statistisch nicht belastbar und realitätsfern .................................................................. 18 Literatur ............................................................................................................................................................................................... 20 Anhang .................................................................................................................................................................................................. 21 Impressum Herausgeber: Expertise: Der Paritätische Gesamtverband Dr. Andreas Aust Oranienburger Str. 13-14 Paritätische Forschungsstelle D-10178 Berlin Telefon: 030 24636-322 Telefon +49 (0)30 24636-0 E-Mail: sozpol@paritaet.org Telefax +49 (0)30 24636-110 Greta Schabram E-Mail: info@paritaet.org Paritätische Forschungsstelle Internet: www.paritaet.org Telefon: 030 24636-313 E-Mail: forschung@paritaet.org Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Dr. Ulrich Schneider Alle Rechte vorbehalten Berlin, den 26.04.2018 2
Vorwort Regelbedarf auch in 2018 weit unter Bedarfsdeckung – Erhöhung von 416 Euro auf 571 Euro geboten Nach den Bestimmungen des SGB XII (Sozialhilfe) ist Grundlage für die Berechnung des Regelsatzes durch der Gesetzgeber verpflichtet, mit Vorliegen der alle die Bundesregierung ist das Ausgabeverhalten ein- fünf Jahre neu erhobenen Einkommens- und Ver- kommensarmer Haushalte. Grob zusammengefasst be- brauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundes- trachtet die Bundesregierung, wofür arme Menschen amtes die Höhe der Regelbedarfe neu zu bestimmen. wie viel Geld ausgeben und entscheidet dann, welche Letztmalig geschah dies im Jahr 2017 auf Grundlage der Ausgabepositionen sie als „regelsatzrelevant“ aner- der Statistik aus dem Jahr 2013. Mit dem Regelbedarfs- kennt. Das sogenannte Statistikmodell, das bei der Re- Ermittlungsgesetz 2017 hat die Bundesregierung mit gelsatzermittlung zur Anwendung kommt, wäre dabei Zustimmung der „Großen Koalition“ aus CDU/CSU und theoretisch durchaus geeignet, zu bedarfsgerechten SPD den Regelbedarf auf 409 Euro festgelegt. Seit An- Regelsätzen zu gelangen – würde es konsequent und fang 2018 wurde dieser Regelbedarf gemäß des ge- sachgerecht angewendet, was nicht geschieht. setzlich festgeschriebenen Fortschreibemechanismus um 1,63 Prozent auf 416 Euro angehoben. • Wie der Expertise der Paritätischen Forschungs- stelle im Einzelnen zu entnehmen ist, richtet sich Die Regelbedarfe sind in dieser Höhe in keiner Weise die Kritik an den Berechnungen der Bundesregie- bedarfsdeckend. Die Höhe der Leistungen inklusive rung vor allem gegen der separat gezahlten durchschnittlichen Wohnkosten liegt deutlich unter der Armutsschwelle. Der Lebens- • den sachlich unbegründeten, willkürlichen Wech- standard weicht insbesondere bei Ausgaben für die sel der Referenzgruppe zur Berechnung der Regel- soziale Teilhabe dramatisch von der gesellschaftlichen sätze, Normalität ab, so dass hier von sozialer Ausgrenzung zu sprechen ist. • den Verzicht auf die Ausklammerung leistungsbe- rechtigter Personen aus der Referenzgruppe, die Nach den in dieser Expertise vorgelegten Darlegungen ihre Ansprüche nicht geltend machen („verdeckte der Paritätischen Forschungsstelle ist die geltende Arme“) Regelbedarfsermittlung massiv zu kritisieren. Das Er- mittlungsverfahren entspricht nicht dem Statistikmo- • die methodisch unzulässige ersatzlose Streichung dell, sondern benutzt eine im Grundsatz unzulässige von zahlreichen Ausgabenpositionen in der Re- Mischung aus Statistik- und Warenkorbmodell. Eine ferenzgruppe, insbesondere die Streichung oder korrekte und vollständige Ermittlung der Regelbedar- Kürzung zahlreicher Ausgaben im Zusammenhang fe auf der Grundlage eines konsequent umgesetzten mit sozialer Teilhabe, aber auch etwa für Alkohol Statistikmodells ergibt dagegen für das Jahr 2018 ei- und Tabak. nen Regelbedarf für eine Erwachsene von 571 Euro, was eine Erhöhung um ca. 150 Euro bzw. 37 Prozent Bei der Ermittlung der Regelbedarfe wurden bis 2011 bedeuten würde. die Ausgaben des untersten Einkommensquintils (unte- re 20 Prozent) in den Blick genommen. In der Ermittlung Ein Grund für dieses Missverhältnis liegt darin, dass der Regelsätze für 2011 wurde diese Bezugsgruppe will- die damalige Bundesregierung bereits bei der letzt- kürlich und ohne überzeugende Begründung geändert maligen Neuberechnung der Regelsätze im Jahre 2011 und nur noch die untersten 15 Prozent auf der Einkom- eine Reihe willkürlicher Eingriffe in die statistischen mensskala ausgewählt. Dieser Schritt führte im Ergebnis Grundlagen und Verfahren vorgenommen hat, die die zu einer deutlichen Reduzierung des Regelbedarfes. Bei nachfolgende Bundesregierung im Wesentlichen un- der Regelbedarfsermittlung 2017 führt allein dieser Ein- verändert fortschrieb. griff zu geringeren Konsumausgaben der Referenzgrup- pe in Höhe von rd. 20 Euro. 3
Auch die zahlreichen Streichungen bei den Ausgaben Das Bundesverfassungsgericht hat die Ermittlung der Referenzgruppe stellen einen schwerwiegenden der Regelbedarfe damit aus verfassungsrechtlicher und methodisch unzulässigen Eingriff in die sachge- Perspektive im Ergebnis „gerade noch“ akzeptiert. Of- rechte Ermittlung dar. So haben etwa lediglich rund 21 fenkundig ist aber, dass auch das Bundesverfassungs- Prozent in der Referenzgruppe Ausgaben für Tabakwa- gericht die Ermittlung und das Ergebnis aus sozial- ren angegeben und etwa 60 Prozent für alkoholische politischen Erwägungen kritisiert. Dies formuliert das Getränke. Gleichwohl sind aber alle Beziehenden von Gericht an verschiedenen Stellen und forderte zumin- Grundsicherungsleistungen von einer pauschalen Kür- dest Korrekturen in den Bereichen Mobilität, langlebige zung betroffen. Konsumgüter wie Kühlschrank oder Waschmaschine und Energiekosten ein. Es ist nicht nachvollziehbar, Die Bundesregierung misst dem Umstand, dass der Re- weshalb seitens der Bundesregierung auf die Hinweise gelbedarf nicht nur das physische Existenzminimum bisher nicht sachangemessen reagiert wurde. sicherstellen, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll, in der aktuellen amtlichen Berech- Wir fordern die Bundesregierung daher auf, kurzfristig: nungsweise kaum eine Bedeutung zu. So gut wie alle Ausgabenpositionen einkommensschwacher Haus- • eine Erhöhung des Regelbedarfes für Erwachsene halte, die mit gesellschaftlicher Teilhabe zu tun haben, um 37 Prozent auf 571 Euro vorzunehmen, wurden als „nicht regelsatzrelevant“ gestrichen. • mangels einer statistischen verlässlichen Grund- Die vorliegenden Berechnungen der Paritätischen For- lage, die Regelsätze für Minderjährige ebenfalls schungsstelle geben vor diesem Hintergrund letztlich um 37 Prozent anzuheben, Zeugnis von dem dringenden Korrekturbedarf in der Feststellung der Regelbedarfe, selbst dann, wenn man • für die Vorbereitung der nächsten anstehende Re- der Logik des von der Bundesregierung präferierten gelbedarfsermittlung umgehend eine Kommissi- sogenannten Statistikmodells zur Ermittlung der Re- on einzurichten, die gelsätze folgt. • alternative Varianten zur Festlegung eines va- Was die Regelsätze für Minderjährige anbelangt, sind lide ermittelten menschenwürdigen Existenz- Korrekturen innerhalb des Statistikmodells nicht mög- minimums prüft und dem Gesetzgeber ent- lich, da das gesamte Rechenwerk mit gravierenden sprechende Vorschläge unterbreitet, methodischen Unzulänglichkeiten und Ergebnisunsi- cherheiten verbunden ist, dass im Ergebnis von validen • dabei insbesondere ein sachgerechtes Ermitt- und belastbaren Ergebnissen nicht mehr gesprochen lungsverfahren für das soziokulturelle Exi- werden kann. Eine seriöse alternative Berechnung ist stenzminimum für Minderjährige erarbeitet, auf Grundlage der vorliegenden Daten nicht leistbar. • Vorschläge für eine sachgerechte und be- In seinem Beschluss vom 23. Juli 2014 hat das Bun- darfsdeckende Finanzierung der Stromkosten desverfassungsgericht (1 BvL 10/12 - Rn. 1-149) die für Grundsicherungsbeziehende und zur An- Herleitung der Regelsätze, wie sie durch den Gesetz- schaffung von langlebigen Konsumgütern wie geber im Jahr 2011 vorgenommen wurde, als gerade Kühlschränken oder Waschmaschinen jenseits noch an der „Grenze dessen, was zur Sicherung des Exi- der Regelleistung vorlegt und stenzminimums verfassungsrechtlich geboten“ ist, be- wertet und dem Gesetzgeber den Auftrag erteilt, die • ein Konzept vorlegt, wie dem zum Teil sehr un- finanziellen Spielräume zu sichern, damit ein interner terschiedlichen Mobilitätsbedarf in Stadt und Ausgleich noch möglich ist – entweder durch höhere Land Rechnung getragen werden kann. pauschale Leistungen, durch erweiterte Sonderbedar- fe oder durch kostenfreie Dienstleistungen (vgl. a.a.O. Dr. Ulrich Schneider Rn. 121). Hauptgeschäftsführer Der Paritätische Gesamtverband 4
1. Bedeutung des Regelbedarfes Regelsätze haben eine große sozial- wie wirtschaftspo- litische Bedeutung. Im Jahr 2016 bezogen annähernd acht Millionen Personen Leistungen der verschie- denen Systeme der Grundsicherung. Dies entspricht einem Anteil von 9,5 Prozent der Bevölkerung. Bei die- sen Personen bestimmt wesentlich der Regelbedarf zusammen mit den Wohn- und Heizkosten die Höhe des grundlegenden Lebensunterhalts. Tabelle 1: Bedeutung der Regelsätze, direkte Bezüge und Berechtigte Direkte Bezüge Anzahl Bezieher/-innen 2016 in Mio. SGB II Erwerbsfähige Regelleistungsberechtigte (ALG II) 4,33 Nicht erwerbsfähige Regelleistungsberechtigte (Sozialgeld) 1,65 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt 0,13 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 1,02 Asylbewerberleistungsgesetz 0,73 Quelle für Daten: Amtliche Sozialberichterstattung, www.amtliche-sozialberichterstattung.de (Zugriff: 10.4.2018) Die Bedeutung der Regelsätze reicht weit über das Sys- rechtigten allein im SGB II hat der Sozialstaat 2016 in tem der Existenzminimumleistungen hinaus. Direkte der Summe etwa 42,7 Mrd. Euro ausgegeben. Diese rechnerische Bezüge bestehen zum Unterhaltsrecht Summe beinhaltet sowohl Ausgaben für die Arbeits- und zu den Grund- und Kinderfreibeträgen in der Ein- förderung, Verwaltungskosten und Wohnkosten. Be- kommensteuer. Eine Erhöhung der Regelbedarfe führt zogen auf das Sozialbudget in Deutschland – also die damit über die Erhöhung der Grund- und Kinderfreibe- gesamten sozialen Ausgaben im Land – ist dies ein träge auch zu einer geringeren Steuerbelastung aller Anteil von rund 4,5 Prozent bzw. ein Anteil am Brut- steuerpflichtigen Erwerbstätigen. toinlandsprodukt von 1,4 Prozent. Die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld betrugen Indirekte Bezüge bestehen darüber hinaus – i. S. ei- etwa die Hälfte der Gesamtausgaben für das SGB II – ner Orientierung an der Höhe des Existenzminimums also kaum mehr als zwei Prozent des Sozialbudgets. – beim Kinderzuschlag, BAföG, Pfändungsfreigrenzen Die Ausgaben (sog. passive Leistungen) für die annä- und Wohngeld. Tabelle 1 liefert eine Liste der direkten hernd zehn Prozent der Bevölkerung (7,8 Millionen), Bezüge der Regelsätze im sozialpolitischen System in die in Deutschland insgesamt auf Grundsicherungslei- Deutschland. Insgesamt gesehen hat fast die gesamte stungen angewiesen sind, belaufen sich in der Summe deutsche Wohnbevölkerung direkt oder indirekt etwas auf etwas unter 35 Mrd. Euro – deutlich weniger als vier mit dem Regelbedarf zu tun. Prozent des Sozialbudgets in Deutschland.1 Obwohl die verschiedenen Systeme der Grundsi- 1 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2017): Sozialbericht cherung die existentielle Lebensgrundlage für fast ein 2017. Berlin. Die Angaben für das SGB II finden sich auf Seite 239. Die Zehntel der Bevölkerung darstellt, sind die Ausgaben Angaben für die weiteren Grundsicherungsleistungen finden sich auf Seite 243: Hilfe zum Lebensunterhalt (1,5 Mrd. Euro); Grundsicherung im Alter der verschiedenen politischen Ebenen vergleichsweise und bei Erwerbsminderung (6,2 Mrd. Euro); Asylbewerberleistungsgesetz bescheiden. Für die etwa sechs Millionen Leistungsbe- (6,9 Mrd. Euro). 5
2. Anforderungen an eine sachgerechte Regelbedarfsermittlung mit dem Statistikmodell Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem grundle- rung in unzulässiger Weise Statistik- und Warenkorb- genden Urteil vom 09.02.2010 das Grundrecht auf die modell. Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenz- miniums nachdrücklich bestätigt. Das Grundrecht 1989 erfolgte die Grundentscheidung, die damaligen „sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiel- Regelsätze der „Hilfe zum Lebensunterhalt“ nicht län- len Voraussetzungen, die für seine physische Existenz ger durch das bis dahin geltende Warenkorbmodell zu und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaft- ermitteln. Der Wechsel zum Statistikmodell mit einer lichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich Bezugnahme auf die alle fünf Jahre erhobene Einkom- sind“ (BVerfG 1 BvL 1/09, vom 9.Februar 2010, Leitsatz). mens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Das Grundrecht umfasst „das gesamte Existenzmini- Bundesamtes versprach dabei eine realitätsgerechtere mum durch eine einheitliche grundrechtliche Garan- Regelbedarfsermittlung. Diese Erwartung hat sich al- tie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, lerdings nicht erfüllt. Das Statistikmodell erwies sich also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, nicht als resistent gegen manipulative Eingriffe in das Hygiene und Gesundheit (…), als auch die Sicherung Verfahren, die erkennbar durch die Absicht geprägt der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Be- waren die Regelbedarfe gering zu halten und Ausga- ziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am ben für den Bundeshaushalt zu vermeiden. gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwen- Ein zentrales Problem der Regelbedarfsermittlung dig in sozialen Bezügen.“ liegt darin, dass die notwendigen Voraussetzungen für ein funktionsfähiges Statistikmodells nicht beachtet Bei der Aktualisierung und Konkretisierung insbesonde- wurden. re des soziokulturellen Existenzminimums verfügt der Gesetzgeber zwar über einen Gestaltungsspielraum. • Die Einkommenslage der statistisch zu definie- Dieser findet aber seine Grenzen in Mindeststandards, renden Gruppe muss so gewählt werden, dass die die nicht unterschritten werden dürfen. Der Gestal- Verbräuche dieser Gruppe einen plausiblen Hin- tungsspielraum ist dabei enger, soweit es um die Be- weis auf die Deckung des Existenzminimums ge- darfe zur Deckung des physischen Existenzminimums ben und nicht lediglich ein Abbild einer Mangella- geht, und weiter, soweit es um die notwendigen Be- ge sind. Die soziale Lage der Referenzgruppe muss darfe zur Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen demnach auf die Geeignetheit überprüft werden. und politischen Leben geht. Diese Forderung ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 2010, in der es Doch es stellt sich nicht nur die Frage der verfassungs- heißt: Das Ausgabenverhalten der ausgewählten rechtlichen Einschätzung der Regelbedarfsermittlung. Bevölkerungsgruppe müsse zu erkennen geben, Aus einer fachlichen Perspektive stellt sich vor allem „welche Aufwendungen für das menschenwürdige die Frage, ob das Verfahren der Regelbedarfsermitt- Existenzminimum erforderlich sind“ (BVerfG 2010, lung geeignet ist, um die Bedarfe von fast acht Milli- Rn. 160). Eine Prüfung, ob diese Voraussetzung er- onen Menschen realitätsnah abzubilden und Teilhabe füllt ist, hat es im Rahmen der Regelbedarfsermitt- zu ermöglichen. Auch diesem Anspruch wird das RBEG lung erkennbar nicht gegeben. 2017 aus Sicht des Paritätischen nicht gerecht. • Die Referenzgruppe muss so gewählt werden, dass Das gilt insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber „Zirkelschlüsse“ vermieden werden. Es muss me- im Verfahren der Regelbedarfsermittlung normative thodisch ausgeschlossen werden, dass sich in der Überlegungen mit dem Statistikmodell in unsystema- Referenzgruppe Personen(-gruppen) befinden, die tischer und intransparenter Weise vermischt. Durch auf demselben oder womöglich sogar geringeren die vielfältige Einstufung von Ausgabenpositionen als materiellen Niveau leben wie die Grundsicherungs- nicht regelbedarfsrelevant vermischt die Bundesregie- beziehenden. Es dürfen sich damit insbesondere 6
keine sog. „verdeckt Arme“ in der Referenzgruppe Aus Sicht des Paritätischen ist – wie gezeigt werden befinden; diese sind vielmehr aus der Betrachtung wird – die regierungsamtliche Ermittlung der Regelbe- auszuschließen (BVerfG 2010, Rn. 169). darfe in all diesen Aspekten defizitär und daher unzu- reichend. • Das Statistikmodell setzt für seine Funktionsfä- higkeit voraus, dass nicht willkürlich Ausgaben- Zudem ist es aus Perspektive des Paritätischen keines- positionen der Referenzgruppe herausgestrichen wegs selbstverständlich oder gar legitim, wenn schon werden (vgl. hierzu insbesondere Becker 2011; willkürlich bei einzelnen Ausgabenpositionen modi- Becker 2016a). Nicht statthaft ist es daher, aus den fiziert wird, dass die unterstellten gesetzgeberischen Ausgabenpositionen in der Einkommens- und Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bewertung der Verbrauchsstichprobe nach dem Modell des Wa- Regelbedarfe ausschließlich zur Kürzung der Ansät- renkorbs eine Auswahl zu treffen und lediglich se- ze genutzt werden. Niedrige Ausgaben der Referenz- lektiv Ausgabepositionen als regelbedarfsrelevant gruppe sind grundsätzlich kein Beleg für einen nied- anzuerkennen. Die Nichtberücksichtigung einzel- rigen Bedarf, sie können insbesondere auch Ausdruck ner Ausgabenpositionen aus der EVS bei der Re- von Budgetrestriktionen sein. Aufgrund dessen läge es gelbedarfsermittlung kann zwar diskussionswür- näher, dass in einem bedarfsorientierten Ermittlungs- dig und verfassungsrechtlich unbedenklich sein, verfahren Anpassungen nach oben vorgenommen aber nur in begründeten und nachvollziehbaren werden, nicht umgekehrt. Schon ein oberflächlicher Einzelfällen und nur insofern, dass die Summe der Blick auf einzelne Regelbedarfspositionen belegt das. Ausschlüsse nicht dazu führen darf, die realitätsbe- Wenn etwa mit dem Ansatz für die gesamten Bedar- zogene Regelbedarfsbemessung insgesamt in Fra- fe für Körperpflegeartikel und – geräte von Babys und ge zu stellen. Gerade das ist jedoch der Fall, wenn Kleinkindern, – hierzu zählen insbesondere auch Win- einzelne Ausgabenposten bei der Berechnung deln – in einem Monat lediglich 7,74 Euro zugestanden insgesamt unberücksichtigt bleiben, denn damit werden, ist das offensichtlich realitätsfern und bedarf sinkt der Wert der einbezogenen Ausgaben und einer Anpassung nach oben. verringert sich eine zentrale Bezugsgröße für die Regelbedarfsermittlung. Damit reduziert sich aber auch die Möglichkeit der Leistungsberechtigten, individuell zwischen verschiedenen Ausgabenpo- sitionen einen Ausgleich vornehmen zu können. Das Bundesverfassungsgericht 2014 diskutiert diesen Aspekt unter der Überschrift „interner Aus- gleich“ und formuliert bereits für die Ermittlung 2011 erhebliche Zweifel an der verfassungsrecht- lichen Zulässigkeit an dem Gesetz. 7
3. Auswahl der Referenzgruppe für Erwachsene – RBEG 2017 vs. Paritätischer Grundlage für die Berechnung des Erwachsenen-Re- stenzminimums leben. Diese Personen befinden sich gelbedarfes sind Ein-Personen-Haushalte. Um Zirkel- auch in der Referenzgruppe der Einkommens- und schlüsse zu vermeiden, werden aus der Gesamtzahl Verbrauchsstichprobe. Verschiedene Berechnungen richtigerweise die SGB II-Bezieher sowie die Bezieher zeigen für die Regelbedarfsermittlung 2011, dass in- von Sozialhilfe und Grundsicherungsleistungen im Al- folge dessen der Regelbedarf um etwa 12 Euro höher ter und Leistungsbeziehende bei dauerhafter Erwerbs- liegen müsste.2 minderung ausgeschlossen (SGB XII). Allerdings wur- den auch im aktuellen Referentenentwurf des BMAS Aus der um Grundsicherungsbezieher bereinigten nicht alle Leistungsbezieher/-innen ausgeschlossen, Gruppe aller Ein-Personen-Haushalte werden als Re- sondern nur solche, die lediglich Grundsicherungslei- ferenzgruppe zur Bemessung der Regelsätze (Regel- stungen erhalten ohne zusätzliche Einkommen. bedarfe) für 2017 wie schon bei der Festsetzung der Regelsätze 2011 die untersten 15 Prozent der nach Damit sind erwerbstätige Leistungsberechtigte, soge- ihrem Netto-Einkommen geschichteten Ein-Personen- nannte „Aufstocker“, vollständig in der Bezugsgruppe Haushalte herangezogen, nicht wie es bis 2010 der Fall eingeschlossen. Damit sind auch Haushalte einbezo- war, die untersten 20 Prozent. gen, die lediglich ein marginales Erwerbseinkommen haben, so dass sich ihre soziale Lage kaum von der lei- Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Vorgehen stungsberechtigter Haushalte ohne Erwerbseinkom- zwar als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden men unterscheidet. bestätigt, doch ist diese gravierende Veränderung we- der sachgerecht noch nachvollziehbar. Eine fachlich Ebenfalls nicht herausgenommen wurden Haushalte nachvollziehbare Begründung für diese Veränderung mit einem derart niedrigen Einkommen, dass ein An- der Berechnungsgrundlage blieb die Bundesregierung spruch auf Grundsicherungsleistungen unterstellt bis heute schuldig. Da die Bezugshaushalte nach der werden kann, der aber nicht realisiert worden ist – die Höhe ihrer Einkommen geschichtet sind, führt eine sogenannten „verdeckt Armen“. In der Begründung solche Verkleinerung der Bezugsgruppe zwangsläufig zum aktuellen Referentenentwurf zur Ermittlung der zu einer Verkleinerung der daraus abgeleiteten Regel- Regelsätze wird zwar zutreffend festgestellt, dass sol- sätze. Der Vergleich der privaten Konsumausgaben der che Fälle „statistisch nicht erfasst, sondern nur im Rah- untersten 15 Prozent der Haushalte nach dem Gesetze- men von Modellrechnungen simuliert werden können“ sentwurf der Bundesregierung (etwa 908 Euro, inklusi- und die entsprechenden Daten damit eine hohe Feh- ve Wohn- und Heizkosten) mit der Sonderauswertung leranfälligkeit zeigen, doch kann diese Begründung für den Paritätischen für die untersten 20 Prozent der kaum überzeugen, da selbst eine weniger valide He- Haushalte (etwa 935 Euro) ergibt eine Differenz von rausrechnung der Dunkelziffer das Endergebnis in je- fast 30 Euro, wobei hiervon ca. 10 Euro bei den Wohn- dem Fall nur verbessern könnte. kosten anfallen. Die Differenz in Bezug auf die regel- bedarfsrelevanten Ausgaben beträgt damit in etwa 20 Bereits anlässlich der Regelbedarfsermittlung 2011 ist Euro. der nicht erfolgte Ausschluss von „verdeckt Armen“ aus der Referenzgruppe massiv kritisiert worden, u.a. weil es einen expliziten entsprechenden Handlungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 2010, Rn. 169) gab. In der Folge hat das Institut für Arbeitsmarkt- und 2 Vgl. IAB (2013): Mikroanalytische Untersuchung zur Abgrenzung und Berufsforschung im Auftrag des BMAS auf der Grund- Struktur von Referenzgruppen für die Ermittlung von Regelbedarfen lage der EVS 2008 den Umfang durch Simulationsrech- aus Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008, Nürnberg: nungen abgeschätzt und errechnet, dass zwischen IAB; Rudolf Martens (2013): „Verdeckte Arme“ und die Festlegung der Regelsatz-Höhe. Wie durch einen Zirkelschluss der Regelbedarf gesenkt drei und fünf Millionen Menschen in Deutschland wird, in: Soziale Sicherheit, 10/2013, S. 348ff.; Irene Becker (2015): Der unterhalb des Niveaus des menschenwürdigen Exi- Einfluss verdeckter Armut auf das Grundsicherungsniveau, Hans-Böckler- Stiftung, Arbeitspapier 309, Düsseldorf. 8
Der Paritätische lehnt deshalb die Bestimmung der Re- Der Paritätische geht infolge dieser Überlegungen von ferenzgruppe der Bundesregierung als fachlich nicht einer Referenzgruppe aus den untersten 20 Prozent überzeugend ab und orientiert sich in seinen Berech- der Haushalte aus. Eine entsprechende Sonderauswer- nungen zur Regelbedarfsermittlung an der fachlich tung durch das Statistische Bundesamt wurde in Auf- anerkannten Referenzgruppe der ärmsten 20 Prozent. trag gegeben und bildet die Grundlage der weiteren Berechnungen. Die Einkommensgrenze der Referenz- Verschiedene empirische Befunde lassen daran zwei- gruppe verschiebt sich dadurch nach oben. Die Ein- feln, dass die von der Bundesregierung definierte Re- kommensobergrenze der Referenzgruppe in der Son- ferenzgruppe die erste zentrale Bedingung für eine derauswertung für den Paritätischen liegt bei 1.050 Anwendung des Statistikmodells erfüllt. Die Einkom- Euro und damit um etwa 100 Euro höher als bei der menssituation der Referenzgruppe ist so prekär, dass Referenzgruppe im Regelbedarfsermittlungsgesetz. kaum Rückschlüsse auf ein angemessenes menschen- würdiges Existenzminimum zulässig sind. Dies ergibt Eine Sonderauswertung, die zusätzlich die Referenz- sich aus folgenden Befunden: gruppe um die „verdeckt Armen“ bereinigen würde, liegt dem Paritätischen für die EVS 2013 leider nicht • Das durchschnittliche Einkommen der Referenz- vor. Näherungsweise werden die Auswirkungen nach gruppe in der EVS 2013 liegt bei 764 Euro (Median: den Berechnungen für die EVS 2008 wie oben begrün- 800 Euro); die Obergrenze, also das höchste Ein- det konservativ mit 12 Euro veranschlagt und pauschal kommen in der Referenzgruppe, liegt bei 951 Euro. auf die Regelbedarfsermittlung aufgeschlagen. • In Bezug auf das durchschnittliche Einkommen der Gesamtgruppe der Alleinlebenden liegt der Anteil der Referenzgruppe bei lediglich ca. 40 Prozent (Median: 48,4 Prozent). • Die Alleinlebenden in der Referenzgruppe sind demnach nach den gängigen Armutsdefinitionen vollständig als arm / armutsgefährdet zu bezeich- nen. Angesichts dieser Restriktionen dürften „die Ausgaben der Referenzgruppe (weniger) das soziokulturelle Exi- stenzminimum als vielmehr Mangellagen spiegeln“ (Daten und Zitat: Becker 2016b, S. 13) 9
4. Bewertung der privaten Konsumausgaben bei der Regelbedarfsermittlung – RBEG 2017 und Paritätischer im Vergleich Das Vorgehen der letzten Bundesregierung entspricht gemessen erscheinenden Ansätze zusammengenom- weitgehend der Regelbedarfsermittlung 2011. Die men zu einem evident unzureichenden Gesamtbe- Kritiken an der Vorgehensweise behalten damit un- darf führen. Die Berechnungen in der angehangenen verändert ihre politische Bedeutung.3 Das Bundes- Tabelle zu der Anerkennung der Verbrauchausgaben verfassungsgericht hat in seiner Entscheidung von der Referenzgruppe durch das RBEG 2017 zeigen, dass 2014 das Vorgehen der Bundesregierung zwar nicht ohne Betrachtung der Abteilung 4, die weitgehend als verfassungswidrig eingestuft. Allerdings hat das separat über die Kosten der Unterkunft und Heizung Bundesverfassungsgericht die kritische Einschät- finanziert werden, über 140 Euro der Verbrauchsaus- zung der Vorgehensweise deutlich gemacht, dass gaben nicht als regelbedarfsrelevant anerkannt wer- der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers endet, den (Anhang Tabelle A1). Bezogen auf die Ausgaben wenn die Regelbedarfsermittlung derart restriktiv der Referenzgruppe werden damit wiederum lediglich erfolgt, dass der interne Budgetausgleich das erfor- etwas mehr als 72 Prozent der Ausgaben als regelbe- derliche Mindestmaß an sozialen Teilhabemöglich- darfsrelevant erkannt. Das Bundesverfassungsgericht keiten nicht mehr zulässt. So hat das Bundesver- hatte 2014 gefordert, dass bei Kürzungen in diesem fassungsgericht in seinem Urteil 2014 festgestellt: Umfang der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen müsse, um eine verfassungswidrige Unterdeckung der Bedar- „Nach den angegriffenen Regelungen sind die monatli- fe zu vermeiden und einen internen Ausgleich weiter- chen Pauschalleistungen jedoch so berechnet, dass nicht hin zu ermöglichen. Drei Wege hat das Gericht hierfür etwa alle, sondern bei Alleinstehenden 132 Euro weniger gewiesen: Erhöhung der pauschalen Leistung, Erweite- und damit insgesamt lediglich 72 Prozent, bei Kindern je rung von zusätzlichen Sonderbedarfen und / oder ko- nach Altersstufe zwischen 69 Euro und 75 Euro weniger stenfreie Dienstleistungen. Der Gesetzgeber ist dieser und damit 75 Prozent bzw. 78 Prozent der in der EVS er- Aufforderung nicht gefolgt, obwohl die Abschläge sich fassten Konsumausgaben der den unteren Einkommens- auf einem vergleichbaren Niveau wie 2011 bewegen. gruppe zugehörigen Referenzhaushalten als existenz- sichernd anerkannt werden. Zwar ist es begründbar, • Betrachtet man die einzelnen Abteilungen im einzelne Verbrauchspositionen nicht als Bedarfe anzuer- Überblick, so zeigt sich, dass die wesentlichen kennen. Wenn in diesem Umfang herausgerechnet wird, Kürzungen in vier Ausgabenpositionen zu finden kommt der Gesetzgeber an die Grenze dessen, was zur sind (in Klammern: Differenz von Ausgaben der Sicherung des Existenzminimums verfassungsrechtlich Referenzgruppe zu als regelbedarfsrelevante aner- gefordert ist. Verweist der Gesetzgeber auf einen internen kannten Ausgaben durch das RBEG 2017) Ausgleich zwischen den Bedarfspositionen, auf ein An- sparen oder auch auf ein Darlehen zur Deckung existenz- • Freizeit, Unterhaltung und Kultur (Kürzung um sichernder Bedarfe, muss er jedenfalls die finanziellen 36,94 Euro); Spielräume sichern, die dies tatsächlich ermöglichen“ (BVerfG 1 BvL 19/12 vom 23.7.2014, Rn. 121). • Verkehr (Kürzung um 31,43 Euro) Auch wenn einzelne normative Wertungen des Ge- • Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen setzgebers für sich genommen innerhalb der verfas- (Kürzung um 23,36 Euro) und sungsrechtlich gegebenen Gestaltungsräume liegen, kann die Vielzahl von nur im Einzelfall gerade noch an- • Alkohol und Tabak (Komplette Streichung von 20,52 Euro; zur „Kompensation“ Anerkennung 3,63 Euro als 3 Vgl. dazu insbesondere: Becker, Irene (2011): Bewertung der Neurege- lungen des SGB II, Methodische Gesichtspunkte der Bedarfsbemessung vor Warenwert der Flüssigkeit; der Abteilung „Nahrungs- dem Hintergrund des „Hartz-IV-Urteils“ des Bundesverfassungsgerichts, in: mittel und alkoholfreie Getränke“ zugerechnet). Soziale Sicherheit Extra, Sonderheft September 2011 und die Sachverstän- digen-Anhörungen im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 16. November 2010 (Materialien mit Stellungnahmen unter Somit wird den Leistungsberechtigten im Kern soziale Ausschussdrucksache 17(11)309) und am 25. November 2016 (Materialien und kulturelle Teilhabe verweigert. mit Stellungnahmen unter Ausschussdrucksache 18(11)849). 10
Im Ergebnis wurden durch die Neuermittlung der Re- gelbedarfe die Leistungen für die Grundsicherungs- beziehenden nicht erhöht, sondern lediglich an die Preisentwicklung angepasst. Tatsächlich fiel die An- passung geringer aus als im Durchschnitt der vorange- gangenen Jahre. Lediglich für die Altersgruppe der 7 bis unter 14-Jährigen gab es eine kleine Erhöhung der Regelbedarfe: Tabelle 2: Regelbedarfe nach dem Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG 2017) Stand 2016 Neuermittlung Differenz Differenz Nachrichtlich: (in Euro) 1.1.2017 (in Euro) (in Prozent) Regelbedarfe 2018 (in Euro) (in Euro) Alleinstehende Erwachsene 404 409 +5 1,2 416 Partner/-in 364 368 +4 1,2 374 (90 Prozent) Andere erwachsene Person 324 327 +3 1,5 332 in Bedarfs-gemeinschaft Jugendliche 14 – 17 306 311 +5 1,6 316 Kinder 6 – 13 270 291 + 21 7,7 296 Kinder 0 – 5 237 237 0 0 240 Nach Auffassung des Paritätischen ist das Vorgehen der tistisch festgelegten Referenzgruppe eine reine Illusion. Bundesregierung massiv zu kritisieren. Das Vorgehen ist Ob und inwieweit der Gesetzgeber nunmehr die Grenze zum einen sachlich nicht zu rechtfertigen, weil mit den des verfassungsrechtlich noch zulässigen Vorgehens Kürzungen methodische Fehler gemacht werden. In überschritten hat, obliegt der Prüfung durch die dafür dem Regelbedarfsermittlungsgesetz werden unzulässig zuständigen Instanzen. Elemente von Statistik- und Warenkorbmodell gemischt, willkürlich einzelne Ausgabenkomponenten als nicht Der Paritätische geht in seiner alternativen Ermittlung regelsatzrelevant bewertet und damit der ermittelte des Regelbedarfs von dem Grundsatz des „reinen“ Regelbedarf für Alle gedrückt. Der Paritätische kann Statistikmodells aus und bewertet im Wesentlichen zum anderen auch die einzelnen Begründungen für die alle Ausgaben der Referenzgruppe als regelbedarfs- Nicht-Anerkennung von Ausgabenpositionen nicht tei- relevant. Angesichts der Einkommensobergrenze der len (zur Kritik im Einzelnen weiter unten). Im Ergebnis Referenzgruppe von 1.050 Euro ist dieses Vorgehen ist der Paritätische der Auffassung, dass der Gesamt- auch keineswegs sonderlich generös. Ausnahmen be- bedarf 2018 mit 416 Euro für eine/n alleinstehende/n treffen lediglich Ausgabepositionen, die bei Grundsi- Erwachsene/n vollkommen unzureichend abgedeckt cherungsbeziehenden nicht anfallen (wie etwa GEZ) ist. Angesichts des wiederum dramatischen Umfangs oder anderweitig gedeckt werden (Anschaffung PKW der Kürzungen der Ausgabenpositionen ist die mit dem oder anderes Fahrzeug sofern für die Aufnahme einer Statistikmodell angestrebte Orientierung an dem (oh- Erwerbstätigkeit oder sonstige soziale Teilhabe not- nehin äußerst bescheidenen) Lebensstandard der sta- wendig). 11
Grundsätzlich spricht sich der Paritätische für eine Aus- gliederung der Ausgabeposten für Haushaltsenergie (Strom) und langlebige Konsumgüter („Weiße Ware“) aus dem Regelbedarf aus. Der Regelbedarf könnte um die entsprechenden Summen reduziert werden, so- fern eine anderweitige vollständige Bedarfsdeckung gesichert ist. Solange diese Umstellungen aber nicht gesetzlich vollzogen werden, müssen die entspre- chenden Ausgaben der Referenzgruppe vollständig übernommen werden. Für 2013 ergibt sich aus dem skizzierten Vorgehen ein Regelbedarf von 530 Euro für eine/n alleinstehende/n Erwachsene/n. Um die fehlende Ausgliederung der „verdeckt Armen“ aus der Referenzgruppe zu kompen- sieren wird in Anlehnung an die übereinstimmenden Ergebnisse von Becker (2015) und Martens (2013) der Regelbedarf pauschal um 12 Euro erhöht. Anschlie- ßend wird der so ermittelte Regelbedarf gemäß der bestehenden gesetzlichen Regelungen auf 2018 fort- geschrieben.4 Im Ergebnis ermittelt der Paritätische damit einen an- gemessenen Regelbedarf für eine/ alleinlebende/n Erwachsene/n für 2018 von 571 Euro.5 4 Anpassung um 3,46 Prozent nach RBEG 2017 auf den Wert für 2017: 562 Euro; Fortschreibung auf 2018 nach gesetzlich festgelegtem Mischin- dex laut Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung (1,63 Prozent): 571 Euro. 5 Zu einer ähnlichen Höhe für eine angemessene Regelbedarfshöhe für Erwachsene kommt auch Irene Becker unter Mitarbeit von Verena Tobsch (2016a). 12
Tabelle 3: Alternative Berechnung des Paritätischen: Ausgaben der Ein-Personen-Haushalte nach Abteilungen, unterste 20 Prozent nach Ausschluss der Grundsicherungsbeziehenden Ausgaben Ein-Personen-Haushalte nach Paritätischer 2018 in Euro tatsächliche regelbedarfs- Begründung Ausgaben relevant Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke 137,09 137,09 Alkoholische Getränke, Tabak 21,00 21,00 Bekleidung, Schuhe 36,91 36,43 ohne Kinderschuhe Wohnen, Energie, Instandhaltung 418,16 36,64 Kosten der Unter-kunft, Stromkosten Innenausstattung, Haushaltgeräte und 26,82 26,82 -gegenstände Gesundheitspflege 24,53 24,53 Verkehr 67,91 57,75 ohne Kauf oder Leasing von Kfz und Krafträdern Nachrichtenübermittlung 39,18 39,18 Freizeit, Unterhaltung, Kultur 79,07 66,49 ohne GEZ Bildungswesen 8,01 8,01 Beherbergungs- und Gaststättendienstleis- 35,37 35,37 tungen Andere Waren und Dienste 37,08 35,04 ohne kinderbezogenen Ausgaben jenseits privater Konsum: Mitgliedsbeiträge u.ä 6,22 6,22 Summe Ausgaben 2013 931,13 Summe Ausgaben 2013 ohne Abteilung 4 512,97 493,93 Summe Regelbedarf 530,57 plus verdeckte Armut 12,– nach Becker 2015 Summe Regelbedarf 2013 542,57 gerundet 543,– Regelbedarf 2017 3,46% 561,79 gerundet 562,– Regelbedarf 2018 1,63% 571,16 571,– Quelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts für den Paritätischen Gesamtverband 13
5. Vergleich Regelbedarfsermittlung: Regelbedarfsermittlungsgesetz vs. Paritätischer In der Abbildung 1 wird die Regelbedarfsermittlung ale Teilhabe relevanten Bereichen (Freizeit, Unterhal- nach dem Regelbedarfsermittlungsgesetz mit dem tung, Kultur, Beherbergungs- und Gaststättendienst- Vorschlag des Paritätischen verglichen. In der Summe leistungen sowie Verkehr) und der methodischen wie muss der Regelbedarf nach der Darlegung des Pari- normativen Bewertung der Ausgaben für Alkohol und tätischen um etwa 150 Euro angehoben werden. Die Tabak. Bereits die Unterschiede in diesen Bereichen er- größten Unterschiede zeigen sich in den für die sozi- geben eine Summe von über 100 Euro. Abb.1: Regelbedarfs-Ermittlung Bundesregierung vs. Parität Nahrungsmittel, 137,09 alkoholfreie Getränke 137,66 Alkoholische Getränke, 21,00 Tabak 0,00 36,43 Bekleidung, Schuhe 34,60 Wohnen, Energie, 36,64 Paritätischer Instandhaltung* 35,01 Innenausstattung, Haushalts- 26,82 RBEG - geräte und -gegenstände 24,34 Bundesregierung 24,53 Gesundheitspflege 15,00 57,75 Verkehr 32,90 39,18 Nachrichtenübermittlung 35,31 66,49 Freizeit, Unterhaltung, Kultur 37,88 8,01 Bildungswesen 1,01 Beherbergungs- und 35,37 Gaststättendienstleistungen 9,82 35,04 Andere Waren und Dienste 31,31 jenseits privater Konsum: 6,22 Mitgliedsbeiträge u.ä 0,00 0,00 € 50,00 € 100,00 € 150,00 € Regelbedarf, in € © Der © Der Paritätische Paritätische 2018 2018 Eigene Eigene Darstellung Darstellung und Berechnung und Berechnung Quelle: Quelle: Regelbedarfsermittlungsgesetz Regelbedarfsermittlungsgesetz und Sonderauswertung und Sonderauswertung des Statistischen des Statistischen Bundesamts fürBundesamts für den den Paritätischen Paritätischen Gesamtverband Gesamtverband 14
Im Folgenden werden die unterschiedlichen Bewer- Abteilung 04: tungen von BMAS und Paritätischem in den einzelnen Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung. Abteilungen kurz erläutert. Die Ausgaben in der Abteilung 04 werden im Wesent- lichen über die Kosten der Unterkunft und Heizung Abteilung 01 / 02: jenseits der Regelbedarfe übernommen. Angesichts Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke / der zahlreichen nicht gedeckten Bedarfen bei den Alkoholische Getränke, Tabakwaren. Wohnkosten und der Probleme finanzierbaren Wohn- Die Ausgaben „Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke“ raum zu finden, ist auch der Aspekt Kosten der Unter- wurden im RBEG 2017 komplett übernommen. Zusätz- kunft und Heizung ein prioritäres Problem mit akutem lich wurden 3,63 Euro eingesetzt, um die komplette Reformbedarf. Dieses ist aber nicht Gegenstand der Kürzung der Abteilung 02 „Alkoholische Getränke, Ta- Regelbedarfsermittlung. bakwaren“ zu kompensieren. Dem Regelbedarf zugerechnet werden aber die Ko- Der Paritätische hält diese Kürzungen für nicht sach- sten für die Haushaltsenergie (Strom). Der Zugang zu gerecht. Mit dem gewählten Umrechnungsverfahren Energie stellt ein grundlegendes Element der Daseins- der durchschnittlichen Ausgaben für alkoholische Ge- vorsorge und gesellschaftlichen Teilhabe dar. Ohne tränke in Mineralwasser reduziert das BMAS auch die Strom geht in den betreffenden Haushalten nicht nur Bedarfe für Haushalte, in denen keine Mittel für Alkohol das Licht aus, elementare Verrichtungen wie Kochen verausgabt werden. Darüber hinaus werden die Mög- und Warmwasserzubereitung sind nicht mehr mög- lichkeiten, individuell Ausgleiche zwischen verschie- lich. Die steigende Zahl von Stromabschaltungen denen Bedarfspositionen vorzunehmen, weiter verrin- (2016: 318.000) zeigt, dass wir es hier mit einem ge- gert. Auf dieser Ausgleichsmöglichkeit beruht jedoch sellschaftlich relevanten Problem zu tun haben. Beson- das Statistikmodell der Regelbedarfsermittlung. Der ders betroffen von Stromabschaltungen sind Grundsi- Paritätische Vorschlag folgt der Kürzung nicht. cherungsbeziehende. Wesentliche Einsparungen oder Umschichtungen im Verbrauchsverhalten sind für Abteilung 03: diese Haushalte kaum möglich, ein gewisser Stromver- Bekleidung und Schuhe. brauch ist unumgänglich und nicht weiter zu reduzie- Als existenznotwendig werden alle Ausgaben für Klei- ren. Die Anschaffung energieeffizienter Elektrogeräte dung und Schuhe – mit Ausnahme der Ausgaben für ist mit dem Regelbedarf regelmäßig nicht zu finanzie- Kinderkleidung – gerechnet. Allerdings zählt die Bun- ren. Stromschulden und -sperren sind daher häufige desregierung die Kosten für chemische Reinigung nicht Folge von zu geringem Einkommen. Zentrales Pro- zur Existenzsicherung. Bezüglich der Kleidungsausga- blem für Grundsicherungsbeziehende ist, dass der in ben bleibt festzuhalten: Der Bezug von Sozialhilfe bzw. den Regelbedarfsberechnungen des BMAS enthaltene Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II darf nicht an der Anteil für Strom regelmäßig nicht ausreicht, um die Kleidung eines Menschen sichtbar werden. Verschie- durchschnittlichen Stromkosten zu decken. So gaben dene Kleidungstücke (z. B. Anzüge) können schlechter- Ein-Personen-Haushalte 2014 durchschnittlich 43 Euro dings nicht selbst gewaschen werden, sondern müssen pro Monat aus, während im Regelbedarf lediglich 34 in die chemische Reinigung. Euro vorgesehen waren.6 Entsprechend berücksichtigt der Paritätische Vorschlag den in der EVS nachgewiesenen Bedarf von 80 Cent / Monat. 6 Vgl. etwa: Gerd Aigeltinger u.a. (2015): Zum Stromkonsum von Haushalten in Grundsicherung. Eine empirische Analyse für Deutschland. Mannheim: ZEW Discussion Paper 15-075. Empirisch fundierte Berech- nungen zur Unterdeckung bei den Stromkosten für Haushaltsenergie und dezentrale Warmwasserbereitung finden sich auch von der Verbrau- cherzentrale NRW: https://www.verbraucherzentrale.nrw/sites/default/ files/2017-11/%C3%9Cber-%20Unterdeckung%20der%20Stromkosten- anteile%20f%C3%BCr%20Haushaltsenergie%20und%20dezentrale%20 Warmwasserbereitung%20in%20Regel-%20und%20Mehrbedarfen.pdf 15
Der Paritätische spricht sich grundsätzlich für eine Aus- tischen die in der Statistik ausgewiesenen Kleinstbeträ- gliederung der Energiekosten aus dem Regelbedarf aus, ge zur Anschaffung von Haushaltsgeräten, Teppichen um die Deckung der tatsächlichen Energiekosten zu ge- u.ä.. Den Streichungen der Ausgabepositionen für die währleisten. Die vorgeschlagene Expertenkommission „Anfertigung oder Reparatur von Heimtextilien“ durch ist aufgerufen, einen konkreten Vorschlag für eine sach- das BMAS wird dabei nicht gefolgt. Die Begründung des gerechte Umsetzung zu unterbreiten. Im Rahmen der BMAS, dass ja bereits die Ausgaben für die Anschaffung hier vorgelegten Regelbedarfsbestimmung orientiert neuer Textilien übernommen werden, ist nicht plausi- sich der Paritätische aus Gründen der fachlichen Syste- bel, da der Verzicht auf Reparaturen erhöhte Aufwen- matik (reines Statistikmodell) an den durchschnittlichen dungen bei Neuanschaffungen nötig werden ließe. Ausgaben der Referenzgruppe. Solange und soweit al- Ebenfalls ist nicht nachvollziehbar, weshalb Ausgaben lerdings das Statistikmodell lediglich selektiv angewen- für Gartengeräte keine Berücksichtigung finden sollen. det wird, ist dagegen auf die durchschnittlichen Ener- Bei bereits vorhandenem Garten ist der Besitz entspre- gieausgaben aller Haushalte abzustellen. chender Gartengeräte geradezu zwingend. Abteilung 05: Innenausstattung, Abteilung 6: Gesundheitspflege. Haushaltsgeräte und -gegenstände. Die Kosten für die Gesundheitspflege werden im Sinne Mehr noch als in anderen Bereichen bewegt sich das des reinen Statistikmodells vollständig anerkannt. BMAS mit seinem Entwurf eines Regelbedarfsermitt- lungsgesetzes (RBEG 2017) bei dieser Abteilung in einer Abteilung 07: Verkehr. statistischen „terra incognita“. Die Angaben aus dem Im Zusammenhang mit den Regelbedarfsberech- Gesetzentwurf suggerieren hier wie an anderen Stellen nungen zu Verkehrsausgaben wurde regierungssei- eine scheinbare Objektivität, obwohl die den Berech- tig eine Sonderauswertung zu Haushalten ohne Aus- nungen zugrundeliegenden Fallzahlen häufig derart gaben für Kraftstoffe und Schmiermittel veranlasst. niedrig sind, dass sich eine Ableitung von Bedarfen me- Mit anderen Worten, es geht um Haushalte, die ohne thodisch verbietet. Ein Beispiel dafür sind die Ausgaben diese Ausgabenpositionen keinen Personenkraftwa- der Referenzgruppe für Kühlschränke, Gefrierschränke gen (PKW) und kein Motorrad nutzen und folglich und Gefriertruhen. Von insgesamt 2206 in der Referenz- ihren Mobilitätsbedarf durch Fahrrad, öffentlichen gruppe erfassten Haushalten hatten lediglich 30 Haus- Personennah- und -fernverkehr sowie zu Fuß decken. halte entsprechende Ausgaben. Diese hatten einen Bei Erwerbstätigen verweist die Begründung im RBEG Wert von durchschnittlich 111,87 Euro. Diese schmale 2017 auf die Möglichkeit, notwendige Fahrtkosten mit statistische Grundlage der Ausgaben von nur 30 Haus- einem PKW als Werbungskosten vom anzurechnenden halten wird mit ihrer Berücksichtigung in der Regel- Einkommen abzuziehen. Dass gerade im struktur- bedarfsermittlung zum Maßstab der entsprechenden schwachen ländlichen Raum ein Fahrzeug zur Bewäl- Bedarfe aller Leistungsbezieherinnen und Leistungsbe- tigung des Alltags zwingend notwendig sein kann, zieher. Dabei berücksichtigt der RBEG 2017 monatlich bleibt völlig außer Betracht. 1,67 Euro als Anteil am Regelbedarf. Daraus folgt, dass selbst für den Kauf eines gebrauchten Kühlschranks für Gemäß SGB II wird bei dem zu berücksichtigenden beispielsweise 111,87 Euro eine Ansparzeit von über Vermögen „ein angemessenes Kraftfahrzeug für jeden fünfeinhalb Jahren notwendig wäre, wenn die Anschaf- in der Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen fung aus den dafür vorgesehenen Regelbedarfen erfol- Hilfebedürftigen“ (§ 12 Abs. 3 Satz 2 SGB II) ausdrück- gen soll. Bei anderen Ausgabenposten liegt die Fallzahl lich nicht angerechnet. Ein Fahrzeug wird oft benötigt, sogar unter 25, so dass keine Beträge dafür ausgewiesen um eine Beschäftigung zu finden oder aufnehmen zu werden. Der Paritätische plädiert bereits seit langem da- können. Dies hat der Gesetzgeber ausdrücklich aner- für, wieder einen Rechtsanspruch auf notwendige ein- kannt und den Besitz eines Fahrzeugs zugebilligt, als er malige Leistungen einzuführen. Solange dies nicht der die zitierte Bestimmung im SGB II formulierte. Konse- Fall ist, übernehmen auch die Berechnungen des Paritä- quenterweise muss der Gesetzgeber im monatlichen 16
Bedarf auch die Ausgaben für den entsprechenden oder alleinerziehend ist – überhaupt keine Möglichkeit Kraftstoff und Kfz-Bedarf zubilligen, da ansonsten die haben sollen, auch einmal Ferien zu machen und eine Beibehaltung eines Fahrzeugs keinen Sinn ergibt. Ent- bescheidene Urlaubsreise zu unternehmen. Mit den in sprechend dieser Überlegung enthält der Paritätische der Referenzgruppe darauf verwandten Ausgaben von im Unterschied zu den Berechnungen des BMAS auch 10,91 Euro im monatlichen Durchschnitt lassen sich Ausgaben für den Unterhalt eines PKW. ohnehin im Wortsinne keine großen Sprünge machen. Aus Sicht des Paritätischen sind die entsprechenden Nicht anerkannt werden in der normativen Bewertung Ausgaben daher vollständig als regelbedarfsrelevant durch den Paritätischen in der Abteilung Verkehr ledig- anzuerkennen. lich die Anschaffung und / oder Leasing eines Kfz oder Kraftrads. Die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs ist eine Abteilung 11: Beherbergungs- und Gaststätten- seltene Ausgabe, die als nicht angemessen pauscha- dienstleistungen. lierbar eingeschätzt wird. Sofern es einen begründeten Bei den Beherbergungs- und Gaststättendienstlei- Bedarf nach der Anschaffung eines Kraftfahrzeugs gibt stungen wird besonders deutlich, dass die Berech- – etwa für die Aufnahme einer Beschäftigung – sind nungen des BMAS nicht von dem Anspruch geprägt andere Finanzierungswege zu öffnen, etwa über die sind, soziokulturelle Teilhabe am Leben in der Gemein- Arbeitsförderung, wie es teilweise bereits Praxis ist. schaft sicherzustellen, sondern die bloße Sicherung der physischen Existenz als ausreichend angesehen wird. Abteilung 8: Bildung. Wörtlich heißt es auf Seite 46 des Gesetzentwurfs: „Bei Die Ausgaben der Erwachsenen für die Bildung werden den Verbrauchsausgaben in Abteilung 11 handelt es sich im Sinne des Statistikmodells vollständig anerkannt. grundsätzlich nicht um regelbedarfsrelevante Ausgaben, da die auswärtige Verpflegung (…) nicht zum physischen Abteilung 09: Freizeit, Unterhaltung und Kultur. Existenzminimum zählt“. Das ist richtig. Sie zählt jedoch Die in der Abteilung 09 zusammengefassten Bedarfe zum soziokulturellen Existenzminimum. Soziokultu- werden vom BMAS überwiegend nicht als Grundbe- relle Teilhabe findet typischerweise in der Gemein- darfe eingestuft. Entsprechend wird auch nur ein klei- schaft statt, nicht allein in den eigenen vier Wänden. ner Teil der Ausgaben der Referenzgruppe als regelbe- darfsrelevant anerkannt. Gestrichen werden Ausgaben Im öffentlichen Raum ist die Tasse Kaffee in der Regel für Schnittblumen und Zimmerpflanzen (wozu auch als Dienstleistung berechnet. Es erscheint deshalb ge- Grabschmuck oder zur Weihnachtszeit ein Weihnachts- radezu abstrus, dass mit dem Gesetz lediglich der häus- baum gehören), Auslagen für Haustiere wie Tierfutter, liche Verpflegungsaufwand anerkannt wird, im Beispiel Ausgaben für den Garten, Dienstleistungen von Foto- also nur Kaffeepulver, Wasser und anteilig die Kosten laboren (auch Passbilder u.ä.), Campingartikel und die für einen Kaffeefilter. Es sind Annahmen wie diese, die sehr bescheidenen Ansätze für Reisen. dazu beitragen, dass sich Leistungsberechtigte aus ih- ren sozialen Zusammenhängen zurückziehen und aus Diese Bewertung teilt der Paritätische nicht. Es gehört Mangel und Scham darauf verzichten, soziale Kontakte vielmehr zum soziokulturellen Existenzminimum, zu zu pflegen. Auch soziales oder politisches Engage- ausgewählten Anlässen, etwa Familienfeiern, eine ment verliert seine sozial-integrative Funktion, wenn Blume verschenken zu können oder Passbilder bzw. es den Leistungsberechtigten nicht möglich ist, im Bewerbungsfotos erstellen zu lassen. Die Pflege eines Anschluss beispielsweise an den Seniorennachmittag eigenen Gartengrundstücks muss ebenso möglich mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sein wie Erholungsausflüge in die freie Natur oder mal noch ins Café zu gehen. Während die Regelbedarfser- eine Zeltübernachtung. Es ist darüber hinaus nicht mittlung ausschließlich den Warenwert berücksichtigt, einzusehen, dass Leistungsberechtigte – von denen berücksichtigt der Paritätische die Bedarfspositionen ein großer Teil ohnehin erwerbstätig ist und die Leis- vollständig. Das gilt auch für im Einzelfall notwendige tungen ergänzend zum eigenen Einkommen bezieht Übernachtungskosten bei Familienbesuchen. 17
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