Keine chicken schicken - Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert und eine starke Bürgerbewegung in Kamerun sich ...

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Keine chicken schicken - Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert und eine starke Bürgerbewegung in Kamerun sich ...
Keine chicken schicken
          Wie Hühnerfleisch aus Europa
  Kleinbauern in Westafrika ruiniert und
eine starke Bürgerbewegung in Kamerun
                  sich erfolgreich wehrt
Keine chicken schicken - Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert und eine starke Bürgerbewegung in Kamerun sich ...
Liebe Leserin, lieber Leser!

                                                                D
                                                                     ies ist nun die dritte Auflage einer Broschüre, die den mutigen und
                                                                     erfolgreichen Widerstand der EED Partnerorganisation ACDIC
                                                                     gegen Fleischimporte beschreibt. Leider ist das Beispiel noch
                                                                immer aktuell. Während in Kamerun die Geflügelhalter wieder ihre
                                                                Hähnchen auf den Märkten verkaufen können, zerstören Fleischim-
                                                                porte aus der EU, den USA und Brasilien weiterhin die Existenzen von
                                                                Tausenden von Kleinbauern in anderen Ländern West- und Zentral-
                                                                afrikas.
                                                                   Wir geben daher dem Beispiel der Geflügelhaltung in Ghana mehr
                                                                Raum in dieser Auflage der Broschüre. Dort haben die Importe von bil-
                                                                ligen gefrorenen Hähnchenteilen inzwischen fast die gesamte Geflügel-
                                                                produktion zerstört. Der EED und seine Partnerorganisationen versu-
                                                                chen weiterhin eine internationale Lösung durchzusetzen, die es Ent-
                                                                wicklungsländern erlaubt, schnell und effektiv ihre lokale Agrarpro-
                                                                duktion vor unfairen Dumpingimporten zu schützen.
                                                                   Die erfolgreiche Verbreitung dieser Broschüre, der DVD „Hühner-
                                                                wahnsinn“ und des Buches „Das Globale Huhn“ haben dazu geführt,
                                                                dass weder Politik, noch Fleischindustrie das Problem ignorieren können.
                                                                   Inzwischen verweigern afrikanische Regierungen die Unterschrift
                                                                unter Handelsvereinbarungen mit der EU, solange ihre Kleinbauern nicht
                                                                vor europäischen Dumpingprodukten geschützt sind. Das ist auch gut so.
                                                                   Wir hoffen, dass auch Sie diese Broschüre überzeugt sich zu enga-
                                                                gieren, damit Entwicklungspolitik zur Bekämpfung von Armut und
                                                                Hunger nicht vermeintlichen Handelsinteressen der EU geopfert wird.
                                                                Sie können auch selbst durch nachhaltigen Konsum dazu beitragen,
                                                                dass es zukünftig keine billigen Fleischreste mehr gibt, die zu Dum-
                                                                pingpreisen auf den Märkten West- und Zentralafrikas gehandelt
Keine chicken schicken                                          werden und die Existenz der dortigen Produzentinnen gefährden.
Wie Hühnerfleisch aus Europa
Kleinbauern in Westafrika ruiniert und
                                                                   Mit großer Sorge beobachten wir, wie viele neue Mastanlagen und
eine starke Bürgerbewegung in Kamerun                           Schlachthöfe in Deutschland gebaut werden, um noch mehr Fleisch
sich erfolgreich wehrt                                          zu exportieren. Wir unterstützen die Proteste vieler Bürgerinnen und
                                                                Bürger gegen solche Großmastanlagen. Auch zum Schutz der Geflügel-
Herausgeber:
Evangelischer Entwicklungsdienst e.V. (EED )                    halter in Afrika.
Ulrich-von-Hassell-Straße 76, 53123 Bonn
Telefon (02 28) 81 01- 0, Fax (02 28) 81 01-160
                                                                Mit freundlichen Grüßen,
eed@eed.de, www.eed.de

Association Citoyenne de Défense des Intérêts
Collectifs (ACDIC)
                                                                Francisco J. Marí
BP 11955 Jaunde / Kamerun                                       EED Projektreferent Agrarhandel
Telefon (00237) 220 73 37
acdic@acdic.net, www.acdic.net

Redaktion: Francisco Marí, Stig Tanzmann, Jule Rode

Bildnachweis: ACDIC: Titel, Umschlagseite innen, S. 2,
4, 5, 7, 8; Barbara Bosman: Titel; Marcello Faraggi: S. 9,
14; Martin Lelle: S. 1; Francisco Marí: Titel, S. 10, 11, 16;
Björn Oldsen: S. 1; Stig Tanzmann: S. 13

Gedruckt auf 100% Recyclingpapier

3. Ausgabe, September 2010
Keine chicken schicken - Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert und eine starke Bürgerbewegung in Kamerun sich ...
Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert 1

„Ihr wollt aufeinander acht haben, und Euch
anreizen zur Liebe und zu guten Werken.“

                            D
                                 er Vater der Braut zitiert den Trauspruch      Notabeln, staatliche, kirchliche und traditio-
                                 von Lisa und Lukas und hebt sein Glas.         nelle Honoratioren. Dann kommen Männer,
                                 „Darauf und auf Euer Glück möchten wir         Frauen und als letztes die Kinder.
                            anstoßen.“ Die Gäste prosten dem Brautpaar             Zwei Hochzeitsgesellschaften – eine auf der
                            zu. Dann wird das Büfett eröffnet. Bunte Salat-     nördlichen Erdhälfte, eine auf der südlichen
                            platten, Hühnchenbrust im Zucchinimantel,           Hälfte. Beide essen von denselben Hühnern.
                            Variationen von Fisch und andere Köstlichkei-       Die im Norden die Filetstücke, die im Süden
                            ten. Eine Hochzeit in Deutschland.                  den Rest. Die Hühner werden zerlegt und die
                               „Wir gehen Hähnchen essen“, begrüßen             Teile dort verkauft, wo sie den höchsten Preis
                            sich die Bewohner von Mbou im Westen Ka-            erbringen. Zum Beispiel in Westafrika. Die Ver-
                            meruns die ganze Woche. Ein Festmahl steht          braucherinnen in Kamerun und anderswo haben
                            an, die Hochzeit von Martin und Dorint. Der         zugegriffen bei den EU-Importhühnern. Die
                            Festtag. Familie und Freunde und das ganze          sind billig und man kann sie in Teilen kaufen:
                            Dorf sind gekommen. Das Paar heiratet auf           Schenkel, Flügel, Hälse und Füße. Einheimisches
                            traditionelle Art. Eines der Rituale dabei –        Geflügel gibt es bisher nur im Ganzen und die
                            Mann und Frau geben sich gegenseitig Essen.         meisten Konsumenten können es sich nur bei
Links: Hühnchenbrust
                            Wir sorgen füreinander, heißt das. Nach einem       Festen und Feiern leisten. Huhn hat Renommee
im Zucchinimantel und
                            Gebet des Dorfpfarrers eröffnet der höchste         in Westafrika. Wer den begehrten Leckerbissen
bunte Salatplatte:
                            traditionelle Repräsentant das Festmahl. Es gibt    auf den Tisch bringt, steigert sein Ansehen,
Hochzeit in Deutschland
                            Huhn mit Yams-Püree in einer Palmölsoße             selbst wenn es europäische Billigware ist.
Rechts: Hühnerschenkel,     dazu frittierte Kochbananen. Schenkel, Flügel,         Für den Hühnerzüchter Fridolin Mvogo aus
-flügel und -hälse mit      Hälse schwimmen in der sämigen Soße. Alle           Kamerun war das existenzbedrohend. „Durch
Yams-Püree in Palmölsoße:   greifen zu, streng nach dem Rang im Dorf.           die Importhühner verkaufe ich nicht mehr so-
Hochzeit in Kamerun         Zuerst die Ehrengäste – der Dorfchef, die           viel Tiere wie früher.“ Die massiven Exporte
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2 Keine chicken schicken

Tiefgefrorene Hühner-        tiefgefrorener Hühnerteile aus Europa haben in     Eine Bürgerbewegung entsteht
teile aus Europa werden      den letzten Jahren die einheimischen Märkte        Diese Broschüre erzählt die Geschichte eines
offen, wie hier in Jaunde/   in Westafrika ruiniert. Die Geflügelhalter         Erfolges. Ende 2003 gründet sich in Kamerun
Kamerun, auf Märkten         können mit den niedrigen Preisen des Import-       die Bürgerbewegung ACDIC: Association
angeboten.                   geflügels nicht konkurrieren. Sie verkaufen        Citoyenne de Défense des Intérêts Collectifs –
Eine Gesundheitsgefahr       nicht mehr kostendeckend, ihnen fehlt Geld         Bürgervereinigung zur Verteidigung kollektiver
für die Bevölkerung.         für neue Küken und sie können ihre Kredite         Interessen. Sie startet eine Kampagne gegen die
                             nicht mehr zurückzahlen. Viele haben ihre          „Hähnchen des Todes“ aus Europa, deckt die
                             Existenzgrundlage verloren.                        Missstände beim Import und der Hygiene auf
                                 Nicht nur das. Die gefrorenen Hühnerteile      und schafft es, Medien, Politiker, Verbrauche-
                             aus Europa gefährden die Gesundheit der Be-        rinnen und Bauern in Kamerun zu mobilisie-
                             völkerung, denn in Ländern wie Kamerun kann        ren. „Zum ersten Mal hat eine Kampagne in
                             eine geschlossene Kühlkette oft nicht gewähr-      Kamerun ein solch starkes Echo in der Bevölke-
                             leistet werden. Das Fleisch ist längst aufgetaut   rung gefunden,“ sagt Jacob Kotcho, Geschäfts-
                             und ein idealer Nährboden für Bakterien, bis es    führer von ACDIC.
                             nach dem Löschen im Hafen an den Verkaufs-            Die Aktionen ACDICs sind erfolgreich. Die
                             ständen angekommen ist. Mehr als vier Fünftel      Konsumenten in Kamerun boykottieren schnell
                             der tiefgefrorenen Hühnerteile, die in Kamerun     das tiefgefrorene Hühnerfleisch aus Europa.
                             auf den Markt kamen, waren für den mensch-         Die Regierung reagiert und beschränkt die Im-
                             lichen Verzehr ungeeignet, so eine Untersuchung    portmengen. Und die Bewegung der Zivilgesell-
                             des Centre Pasteur aus Jaunde in 2004.             schaft wächst weiter.
                                 „Der Export der gefrorenen Hühnerteile
                             ist ein Angriff auf die Bauern, auf die Gesund-
                             heit unserer Bevölkerung und auf unsere Volks-
                             wirtschaft“, sagt Bernard Njonga, Präsident der
                             Bürgervereinigung ACDIC.
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Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert 3

Ein Markt wird überschwemmt

                       D
                             ie Ausfuhr von Geflügel aus der EU nach        tiert, wie Recherchen von ACDIC ergaben. Es
                             Afrika vervierfachte sich von etwa 35.000      fehlt im Land an Inspektoren und Kontrolle.
                             Tonnen (1996) auf 150.000 Tonnen (2009).
                        Kamerun importierte im Jahr 2004 mit 24.000         „Für den menschlichen Verzehr
                        Tonnen das Zwanzigfache an Geflügel wie acht        ungeeignet“
                        Jahre zuvor (978 Tonnen). Drei Viertel des tief-    Erst waren es Gerüchte. Dann häuften sich die
                        gekühlten Hähnchenfleisches kommt aus der           Berichte von Hochzeits- oder Trauergemeinden,
                        Europäischen Union (EU).                            bei denen Feierlichkeiten mit Fleischvergiftung
                           Vor 1996 hatte sich Kamerun selbst mit           endeten. Die tiefgefrorenen Geflügelteile aus
                        Geflügel versorgt. Nur wenige Tonnen wurden         Europa kamen ins Gerede. Trotzdem kauften
                        importiert, hauptsächlich Enten, Gänse und          die Verbraucherinnen und Verbraucher in
                        Perlhühner für die Supermärkte in den Groß-         Kamerun dieses Hühnerfleisch.
                        städten Jaunde und Douala.                             Lokale Hühner werden traditionell lebendig
                           Per Gesetz waren Geflügelimporte in Kame-        vermarktet, das ist am hygienischsten. Für den
                        run immer beschränkt: 1996 auf 600 Tonnen,          täglichen Konsum sind sie jedoch für viele
                        2004 auf 5.000 Tonnen pro Jahr. Das Ministeri-      unerschwinglich. Das änderte sich mit den EU-
                        um für Tierzucht genehmigt die Einfuhrmenge.        Importen. Sie waren billig und wurden meist
                        Trotzdem wurde die fünffache Menge impor-           als Teile verkauft.

Wellness, BSE und globales Marketing
Ein ganzes Geflecht von Faktoren         In Europa ändern sich in den neunzi-       teile will niemand mehr. Diese Nach-
führt zum rasant steigenden Export       ger Jahren als Folge des BSE-Skandals      frage führt zu einem hohen Preis, 5 -
von EU-Hühnerfleisch nach West- und      und anderer Krisen auf dem Fleisch-        9 Euro kostet das Kilo durchschnitt-
Zentralafrika: die Handelspolitik,       markt (Antibiotika und Dioxin in           lich auf dem deutschen Markt. Alle
internationale Handelsregeln, Lücken     Futtermitteln) die Essgewohnheiten.        anderen Teile des Huhns, Flügel,
im Lebensmittelrecht und der Zoll-       Die Verbraucherinnen und Verbrau-          Unterkeule, Hals, Innereien, oder ge-
klassifizierung der EU, der Lebensstil   cher meiden Rindfleisch und essen          frorene Keulen, können für 70 Cent
und das Verhalten der Verbraucher,       mehr Geflügel. Der Fleischkonsum           das Kilo zum Export angeboten
die Vermarktungsstrategien von           insgesamt geht zurück, die Preise sin-     werden: als Billigfleisch für Konsu-
Unternehmen und vieles mehr.             ken. In Zeitschriften finden sich seit     menten in West- und Zentralafrika.
                                         Mitte der 90er Jahre vermehrt Rezep-       Selbst afrikanische Kleinbauern mit
Im Dezember 1995 wird Kamerun            te mit Hähnchenbrust. Mit Aufkom-          ihren geringen Gewinnerwartungen
Mitglied der im gleichen Jahr ge-        men der Wellness- und Fitnesswelle         können damit nicht konkurrieren.
gründeten Welthandelsorganisation        ist mageres Filetfleisch mit wenig         „Wir als Konsumenten kaufen die
(WTO). Das Land tritt dem Agrar-         Haut und Fett angesagt. Die Zuberei-       teure Hühnerbrust und die frischen
abkommen bei und muss die Import-        tung des Essens soll zusätzlich            Schlegel und bezahlen damit fast das
zölle auf einen Höchstsatz von 90        schnell und einfach gehen. Die Mikro-      ganze Huhn“, sagt Stig Tanzmann,
Prozent binden. Für Geflügelfleisch      welle ersetzt den Herd. 1993 wurden        EED Agrarexperte. „Das Geschäft
belässt Kamerun den Einfuhrzoll bei      in Deutschland zu 70 % ganze Hühn-         ist gemacht. Der Export der Reste ist
20 Prozent, begrenzt allerdings die      chen in den Supermärkten verkauft.         ein günstiges Zusatzgeschäft.“
Importmenge. Die niedrigen Zölle         Heute ist es umgekehrt. 80 % des
machen Kamerun und andere afri-          Huhnes wird in Teilen verkauft, frisch,
kanische Staaten für Exporteure in       als Fertiggerichte oder für Fast Food
Europa als Markt interessant.            Ketten. Alle wollen Hühnchenbrust
                                         oder Schlegel – gefrorene Hähnchen-
Keine chicken schicken - Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert und eine starke Bürgerbewegung in Kamerun sich ...
4 Keine chicken schicken

In Ländern ohne
geschlossene Kühlkette
ist Tiefkühlware ein
Gesundheitsrisiko. Auf
Märkten, wie hier in
Kameruns Hauptstadt
Jaunde wird an- und auf-
getautes Hühnerfleisch
zu Billigpreisen verkauft.
Oft ist es mit Krankheits-
erregern verseucht.

                                Huhn zu essen, wird als sozialer Aufstieg        Salmonellen zweithäufigsten Erregern ent-
                             gewertet. Doch das Billigfleisch hat seinen Preis   zündlicher Durchfallerkrankungen.
                             – das Gesundheitsrisiko. Die Bürgerbewegung            „Ein Desaster für die Gesundheit der
                             ACDIC ließ im Frühjahr 2004 im Beisein eines        Bevölkerung“, so das Fazit von ACDIC.
                             Wirtschaftsprüfers an 28 Verkaufsständen in
                             verschiedenen Orten Kameruns 200 Stichpro-          Unterbrochene Kühlkette
                             ben von gefrorenem Geflügelfleisch entneh-          Tiefkühlkost ist in den Tropen und in armen
                             men. Die Ergebnisse der Analysen des Centre         Ländern eine Risikotechnologie. Nach dem
                             Pasteur in Jaunde: 83,5 Prozent der untersuch-      Löschen des gefrorenen Hühnerfleisches in
                             ten Hähnchenteile waren für den menschlichen        den Häfen Westafrikas lässt sich die Kühlkette
                             Verzehr ungeeignet. Der Mikrobenbesatz lag          nicht mehr kontrollieren. Große Teile der
                             bis zu 180fach über den EU-Höchstwerten             Ware werden auf offenen Pritschenwagen –
                             für Geflügel. 15 Prozent der Stichproben ent-       bei über 30 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtig-
                             hielten Salmonellen und etwa jede fünfte war        keit – mehrere Stunden zu den Märkten im
                             mit Campylobacter kontaminiert, den nach            Inland transportiert. Oft wird dort das Geflügel
                                                                                 an offenen Ständen ohne Kühlung verkauft.
                                                                                 Auch in Geschäften mit Tiefkühltruhen sah
                                                                                 es kaum besser aus, wie ACDIC herausfand.
                                                                                 15 Prozent der Tiefkühlgeräte in Kamerun
                                                                                 waren verrostet, ein Viertel war geöffnet und
                                                                                 das Kühlgut angetaut.
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Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert 5

„Die Hühner waren meine einzige
Einnahmequelle“

                       V
                             iele Hühnerställe in westafrikanischen     Geflügel kostete 2,40 Euro pro Kilogramm. „Da
                             Staaten stehen leer. So war es auch in     kommt keiner gegen an“, so Züchter Atangana.
                             Kamerun, weil viele Geflügelzüchter auf-   Zwischen 1997 und 2005 ging die jährliche
                       geben mussten. Die Familien wurden ruiniert,     Produktion von Geflügelfleisch in Kamerun um
                       so wie der ehemalige Angestellte im Staats-      drei Viertel zurück. In Ghana haben 95% der
                       dienst Michele Atangana. Er hatte auf die Hüh-   Hühnerfarmen die Produktion aufgegeben oder
                       nerzucht gesetzt und einen Kleinkredit aufge-    auf die wirtschaftlich wesentlich riskantere, da
                       nommen, um Hühnerfutter zu kaufen. „An-          kostenintensivere Eierproduktion umgestellt.
                       fangs hatte ich gute Erträge und konnte die
                       Raten zurückzahlen.“ Doch dann verkaufte er      Eine Katastrophe für die nationale
                       die Hühner ohne Gewinn, konnte den Kredit        Ökonomie
                       nicht mehr tilgen und sich weder neue Küken      ACDIC wählte eine Zufallsstichprobe von
                       noch Futter leisten. 1999 kam der Zusammen-      100 Geflügelhaltern aus, die 1996 bei der Firma
Die einheimische       bruch. Hühnerzüchter Atangana musste seine       AGROCAM in Bafoussam (im Westen Kame-
Wirtschaft kann mit    Geflügelhaltung aufgeben.                        runs) bis zu 500 Ein-Tagesküken gekauft hat-
den Billigimporten        Das Importhuhn aus Europa wurde mit Kilo-     ten. Sechs Jahre später waren von den 100
nicht konkurrieren.    preisen von 1,44 Euro angeboten, bestimmte       Züchterinnen und Züchtern gerade noch acht
Viele Hühnerzüchter    Teile gab es schon für 40 Cent. Die einheimi-    übrig geblieben. Nicht nur die Produzenten
müssen ihre Betriebe   schen Erzeugerinnen und Erzeuger konnten         verloren ihre Arbeit. Der Produktionsrückgang
aufgeben.              damit nicht konkurrieren. Günstiges lokales      zerstörte die Existenzen der Bäuerinnen und
                                                                        Bauern, die Futtermittel erzeugen. Verloren gin-
                                                                        gen auch Arbeitsplätze an den Schlachtständen
                                                                        auf den Märkten, wo die Käuferinnen die
                                                                        lebenden Hühner schlachten, rupfen und aus-
                                                                        nehmen lassen. Wirtschaftlich stand mit den
                                                                        Importen für Kamerun viel auf dem Spiel. Für
                                                                        die Produktion einer Tonne Hühnerfleisch sind
                                                                        fünf Arbeitsplätze nötig. Bei einer Import-
                                                                        menge von 24.000 Tonnen Hühnerfleisch, wie
                                                                        im Jahr 2004, gingen so 120.000 Arbeitsplätze
                                                                        verloren. Der Import des Tiefkühlgeflügels aus
                                                                        Europa bedrohte die Selbstversorgung Kame-
                                                                        runs. Der Bedarf an Hühnerfleisch wird auf
                                                                        etwa 35.000 Tonnen geschätzt. Einheimische
                                                                        Produzenten deckten 2002 noch rund 60 Pro-
                                                                        zent des Bedarfs, 2003 waren es wegen der
                                                                        hohen Importe nur noch 37 Prozent.
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6 Keine chicken schicken

Erfolgreicher Widerstand

                           D
                                 ie Beratungsorganisation für Landwirte
                                 SAILD (Service d’Appui aux Initiatives
                                 Locales de Développement) schaltet sich
                           2003 in die Problematik ein. SAILD, eine Part-
                           nerorganisation des EED, berät und unterstützt
                           seit 1988 in Kamerun kleinbäuerliche Gruppen.
                           Schnell ist damals klar: Es wird eine politische
                           Auseinandersetzung um die Billigimporte geben.
                           Die Bäuerinnen und Bauern sind schlecht orga-
                           nisiert und können diese nicht alleine führen.
                           Eine unabhängige Organisation ist nötig, die
                           alle Betroffenen unter einem Dach vereint, poli-
                           tische Lobbyarbeit macht und Überzeugungsar-
                           beit bei der Bevölkerung leistet. „Wir haben
                           ACDIC gegründet, um ein Mittel zur Mobilisie-
                           rung zu haben“, sagt Jacob Kotcho, Geschäfts-
                           führer von ACDIC. „Wir wollten einen Impuls
                           zur Änderung der Politik geben und den Ent-
                           wicklungsweg Kameruns mitbestimmen.“
                                                                               Gefrorene Hühner: Todesgefahr! In 10.000facher
                               Ende 2003 beginnt der Aufbau von ACDIC,
                                                                               Auflage wird die Broschüre von ACDIC verteilt.
                           der „Association Citoyenne de Défense des
                           Intérêts Collectifs“. Schnell entsteht landesweit       Zudem organisiert ACDIC Workshops und
                           eine unabhängige, parteiübergreifende Organi-       informiert Geflügelzüchterinnen, Konsumen-
                           sation mit eigenen demokratischen Strukturen,       ten, Händler, Importeure, politische Entschei-
                           die offen für alle Bevölkerungsschichten ist.       der und Medien über die negativen Folgen der
                           ACDIC versteht sich als Anwältin der Bevöl-         Hühnerimporte. Mit den Schlagzeilen wie
                           kerung bei Verhandlungen mit der Regierung          „Importhähnchen verursachen Krankheiten“ –
                           und will alle Betroffenen einbeziehen.              „Der massive Import von Hähnchen tötet
                                                                               unsere Geflügelzucht“ – „Importierte gefrorene
                           „Hähnchen des Todes“ –                              Hähnchen verarmen ... und töten“, schafft es
                           Die Kampagne von ACDIC                              die ACDIC-Kampagne auf die Titelseiten
                           ACDIC recherchiert die Ursachen und Konse-          der kamerunischen Zeitungen. Mehr als 100
                           quenzen der Hühnerfleischimporte aus Europa         Artikel erscheinen, Radio und staatliches
                           und veröffentlicht die Ergebnisse im März 2004      Fernsehen berichten. Und ACDIC nutzt den
                           in einer Broschüre: „Tiefgefrorene Hähnchen.        Präsidentenwahlkampf in Kamerun. Überall, wo
                           Lebensgefahr!“ Die Situation ändert sich am         die Kandidaten auf dem Lande auftreten, wer-
                           schnellsten, wenn wir Verbraucherinnen und          den sie zu den Hühnerfleischimporten befragt.
                           Verbraucher überzeugen, so die Einschätzung             Die politischen Forderungen von ACDIC
                           von ACDIC. In 10.000facher Auflage wird die         finden Gehör, auch innerhalb der Regierungs-
                           Broschüre „Hähnchen des Todes“ verteilt, vor        partei. Im Dezember 2004 kommen – bis dahin
                           allem auf den Märkten in den Städten. ACDIC-        einmalig in der Geschichte Kameruns – 120 der
                           Aktivisten und Produzenten diskutieren mit          180 Parlamentarier zu einem Treffen, das ACDIC
                           den Menschen, klären über die Gefahren durch        organisiert hatte. Der Minister für Landwirt-
                           die Tiefkühlhähnchen auf. Die Mund-zu-Mund-         schaft und Tierzucht empfängt Vertreter von
                           Propaganda wirkt. Die Markthändler, die             ACDIC. Die Hühnerkampagne verändert das
                           aus den Dörfern kommen, verbreiten die Ge-          Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und poli-
                           schichte schnell auf dem Land.                      tischen Entscheidungsträgern.
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Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert 7

                                                                                     Es zeigt sich aber, dass eine Einfuhrbeschrän-
ACDIC – die unabhängige Bürgerbewegung                                            kung oder höhere Einfuhrzölle nicht ausreichen.
                                                                                  Der Druck auf die Regierung nimmt weiter zu
Ende 2003 gründet sich in Kame-        Die Themen:                                und im Frühjahr 2005 werden alle Importge-
run eine unabhängige Bürgerbe-         Bürgerliche Rechte, gleiche                nehmigungen zurückgezogen. Ein Überwa-
wegung, die Association Citoyenne      Lebensverhältnisse, kollektive             chungsgremium von Produzenten, Regierung
de Défense des Intérêts Collectifs,    Interessen, Gerechtigkeit.                 und Bürgerbewegung wird am Hafen von
kurz: ACDIC. Sie ist überparteilich                                               Douala installiert, das illegale Einfuhren ver-
und weder an Konfessionen noch         Im Frühjahr 2010 hat ACDIC                 hindern soll. Auf den Märkten verschwinden
an Volksgruppen gebunden.              mehr als 10.000 Mitglieder.                die gefrorenen Hähnchenteile. Nach Aussagen
Das Ziel ist, den Interessen der       Auch viele kleinere Nichtregie-            des kamerunischen Ministeriums für Tierzucht
Bevölkerung mehr Nachdruck zu          rungsorganisationen haben                  können die einheimischen Bauern in relativ
verleihen und sie stärker an öf-       sich ACDIC angeschlossen.                  kurzer Zeit zwischen 60 und 75 Prozent des
fentlichen Belangen zu beteiligen.     Die Bewegung nimmt die
                                                                                  geschätzten Jahresbedarfs von 35.000 Tonnen
                                       „Souveraineté Alimentaire“,
Die Mittel:                                                                       Geflügelfleisch decken.
                                       die Selbstversorgung mit
Erst: Recherchen, Studien und          Grundnahrungsmitteln, ins
                                                                                     2006 wird zu Weihnachten Hühnerfleisch
Gutachten.                             Blickfeld ihrer Kampagne.                  wieder knapp und die Preise steigen. Das Tier-
Dann: informieren, sensibilisieren,    Seit 2005 wird ACDIC vom                   zuchtministerium stimmt dem Import von
erklären, schulen und begleiten.       EED gefördert.                             5.000 Tonnen zu. In Kamerun ist die Empö-
Schließlich: Lobbyarbeit und                                                      rung groß. Aber nun sind die Geflügelzüchter
Anwaltschaft auf der Basis von                                                    nicht mehr wehrlos, mit Hilfe von ACDIC
Lösungsvorschlägen.                                                               haben sie einen eigenen Verband gegründet.
                                                                                  Zusammen mobilisieren sie zu einer Groß-
                                                                                  demonstration – der ersten von Kleinbauern
                           Die Kampagne wirkt                                     und -bäuerinnen in der Geschichte des Landes.
                           „Was ist das für Fleisch?“, wurde bald jeder ge-          Über 10.000 Menschen versammeln sich im
                           fragt, der in Kamerun Hühnerfleisch anbot.             Januar 2006, um gegen die Aufhebung des Im-
                           Gastgeber wagen es nicht, ihren Gästen tiefge-         portverbotes zu demonstrieren. Aber die Polizei
                           frorenes Fleisch zu servieren. Jedes Kind kennt        verbietet den Marsch zur Regierung. Auf der
                           inzwischen die Gefahr der Tiefkühlkost. Die            Kundgebung sind auch Bauernführer aus ande-
                           Konsumentinnen in Kamerun reagieren schnell            ren afrikanischen Ländern und José Bové, der
                           und kaufen keine tiefgefrorenen Geflügelteile          weltberühmte Bauernfunktionär und heutige
                           mehr. Kurz vor den letzten Präsidentschafts-           Europaabgeordnete aus Frankreich. Das macht
                           wahlen beginnt die Regierung auf die Proteste          Eindruck auf die Regierung. Der Ministerprä-
                           zu reagieren. Sie verspricht, nun endlich die          sident empfängt eine Delegation von ACDIC
                           Importe strikt zu überwachen und die Einhal-           und Geflügelzüchtern, entschuldigt sich für
                           tung des gesetzlichen Einfuhrkontingents zu            das Demonstrationsverbot und hebt die neuer-
                           garantieren. Von den einheimischen Geflügel-           lichen Importgenehmigungen auf.
                           züchtern verlangt die Regierung, die Produk-
                           tion schnell zu steigern. Zum Weihnachtsfest,
                           der Hochsaison für Geflügelfleisch, soll der Be-
                           darf gedeckt sein. Doch so schnell lässt sich ein
                           ruinierter Wirtschaftszweig nicht wieder bele-
                           ben. Vielen Kleinbäuerinnen und -bauern fehlt
                           das Kapital, um Küken und Futter zu kaufen.
                           Sie bekommen keine neuen Kredite, weil sie
                           verschuldet sind und ihre früheren Kleinkredite
                           nicht zurückzahlen konnten.

                           Menschen können Politik beeinflussen. Die Hühner-
                           kampagne von ACDIC hat die Zivilgesellschaft
                           in Kamerun gestärkt. Demonstration von Geflügel-
                           haltern gegen Billigimporte, Jaunde, 2006
Keine chicken schicken - Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert und eine starke Bürgerbewegung in Kamerun sich ...
8 Keine chicken schicken

                               Geflügelfleischimporte in Kamerun von 1996 bis 2009
                               Zusammengestellt vom EED, mit Zahlen von Eurostat, UNComtrade, FAOSTAT

                     25.000
       Handelsmenge                      Gesamtimporte
       in Tonnen                         Importe aus der EU
                     20.000

                     15.000

                     10.000

                      5.000

                           0
                               1996    1997    1998    1999   2000    2001    2002    2003    2004    2005    2006   2007    2008    2009

                               Anders als früher hält das 2005 durchgesetzte Importverbot. Eine wachsame Bevölkerung meldet illegale
                               Einfuhren, die sofort von der Polizei verbrannt werden. Die restlichen Einfuhrmengen sind teueres Geflügel
                               für Edelsupermärkte.

                                  Dieser Erfolg hält bis heute an – mehr noch:        für Schritt erfüllen die Produzentinnen und
                               Wenn heute irgendwo im Lande geschmuggelte             Produzenten die Nachfrage nach Geflügelfleisch
                               Billighühnerteile aus Europa angeboten wer-            in Kamerun.
                               den, alarmieren die Verbraucher die Gendar-                Nach wie vor ist es nicht leicht, da in den
                               merie. Diese fragt in Douala bei einer Zollkom-        Importjahren die Produktion von Eintages-
                               mission, in der auch ACDIC mitarbeitet, an             küken und Futter zurückging. Hauptproblem
                               und die gesamte Ware wird verbrannt. So ist es         für die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern,
2008 wurde eine Demo           vor kurzem am Touristen- und Badeort Kribi             vor allem für Frauen, ist der Mangel an Inves-
gegen Korruption bei           geschehen. Diese früher undenkbare Zusam-              titionskapital. Die meisten von ihnen haben
den Maissubventionen           menarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft         Schulden aus der Zeit der Importe und bekom-
gewaltsam von der              zeigt, wie sehr „das Huhn“ auch die Demo-              men keine neuen Kredite, um Küken zu kaufen.
Polizei aufgelöst. Zehn        kratie in Kamerun verändert hat.                       Das zweite Problem ist die hohe Nachfrage
ACDIC Mitarbeiter,                                                                    nach Mais. Er ist für die Menschen nicht nur
wie hier Bernard Njonga        Unterstützungsgelder verschwinden                      Hauptnahrungsgrundlage, sondern auch
wurden verletzt und            Auch heute im Frühjahr 2010 ist das Import-            Hauptfuttermittel für die Geflügelmast. Dies
verhaftet.                     verbot noch in Kraft und notwendig. Schritt            führt zu einer hohen Nachfrage und hat einen
                                                                                      hohen Maispreis zur Folge.
                                                                                          Um dies zu ändern, beschließt die Regierung
                                                                                      2007 mit Unterstützung europäischer Entwick-
                                                                                      lungshilfe den Maisanbau zu fördern. Sub-
                                                                                      ventionen für Geräte, Silos und Saatgut, also
                                                                                      für Betriebsmittel, sollen ihnen helfen die
                                                                                      Erträge zu steigern. In der Folge sollen die
                                                                                      Futterkosten für die Geflügelproduzenten sin-
                                                                                      ken und damit Geflügelfleisch billiger werden.
                                                                                          ACDIC deckt aber, alarmiert durch Mais-
                                                                                      bauern, auf, dass diese Fördergelder bei den
                                                                                      Landwirten nicht ankommen, sondern im
                                                                                      Landwirtschaftsministerium oder bei den
                                                                                      Gouverneuren der Provinzen und korrupten
                                                                                      Genossenschaftsleitern versickern.
Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert 9

                            Abermals ging ACDIC 2008 mit den Ergeb-           korruptionskommission der Regierung die Er-
                         nissen einer Studie an die Öffentlichkeit. Kom-      gebnisse aus der ACDIC Studie. 47 Beschul-
                         plett, mit Name und Betrag, konnte man zum           digte werden der Veruntreuung angeklagt, dar-
                         ersten Mal in Kamerun schwarz auf weiß nach-         unter hohe Beamte des Landwirtschaftsminis-
                         lesen, was alle schon lange wussten: Einzelne be-    teriums. ACDIC hat sich mutigerweise 2010
                         reichern sich schamlos an staatlichen Mitteln.       entschlossen im Prozess als Nebenkläger auf-
                         Dies im Detail zu lesen, war bisher einmalig in      zutreten, damit die Akten nicht verschwinden
                         einem der korruptesten Länder der Welt.              und die Prozesse wirklich stattfinden.
                            ACDIC wird bei der Veröffentlichung des              Im Frühjahr 2010, als die neuen Subventio-
                         Skandals massiv bedroht und behindert. Eine          nen endlich, dank ACDIC, bei den Maisbäue-
                         Demonstration am 50igsten Jahrestag der UN-          rinnen und -bauern ankommen, zeigen sich
                         Menschenrechtserklärung wird 2008 brutal             die positiven Folgen. Schon im Dezember 2009
                         aufgelöst und der ACDIC Vorsitzende Bernard          war der Preis für Geflügel nicht mehr so hoch
                         Njonga und weitere Mitstreiterinnen und              wie sonst zu Weihnachten. Die Nachfrage kann
                         Mitstreiter werden verhaftet. Nach weltweiten        nun endlich von den Produzentinnen und
                         Protesten wird Bernard Njonga zwar freigelas-        Produzenten zu fairen Preisen gedeckt werden.
                         sen. Als Gast auf dem evangelischen Kirchentag          Jetzt wollen Investoren aus den Reihen der
                         2009 in Bremen jedoch erfährt er von seiner          Mitglieder des Verbandes der Geflügelbauern
                         Verurteilung zu 3 Monaten Gefängnis mit drei-        (IPAVIC, Inter-Profession Avicole du Cameroon)
                         jähriger Bewährung – wegen Durchführung              eine alte Idee realisieren. IPAVIC verhandelt mit
                         einer nicht erlaubten Demonstration. Dies ist        der Regierung über den Aufbau von kleinen
                         eine langfristige Drohung gegen ACDIC, sich in       Schlachthäusern und einer geeigneten Kühl-
                         Zukunft ruhiger zu verhalten, denn sonst droht       kette, damit auch den ärmeren Familien in den
                         Bernard Njonga die Bewährung zu verlieren.           Städten wieder billige Geflügelteile angeboten
                            Doch auch bei diesem Skandal um die nicht         werden können. Diesmal jedoch aus eigener
                         gezahlten Subventionen an die Maisbauern ist         lokaler Produktion. Viele mittlere Geflügel-
                         ACDIC letztendlich erfolgreich. Im August            zuchtbetriebe um die Großstädte wollen sich an
                         2009 bestätigt eine von ACDIC begleitete Anti-       dieser neuen Schlacht- und Kühlkette beteiligen.

                         Fridolin Mvogo, Kleinbauer und Hühnerhalter aus Nkomdamba

                         „Schon seit 30 Jahren halten       Im Jahre 2000 stellte ich aber      Wir bildeten zu zehnt eine
                         wir Hühner auf unserem Ge-         fest, dass die Nachfrage nach       kleine Genossenschaft, die
                         höft. Doch erst 1995 haben         meinen Masthähnchen und             nun 10.000 Masthühner im
                         uns Berater von SAILD gehol-       der erzielte Preis zurückging.      Jahr produziert.
                         fen, eine richtige Geflügel-       Zu diesem Zeitpunkt hörte ich
                         zucht als Zusatzeinnahme           das erste Mal von den Import-       Ich schaue sehr zuversichtlich
                         aufzubauen. 500 Küken und          hühnerteilen. Bekam ich sonst       in die Zukunft und von meinen
                         einen neuen Stall konnte ich       immer fast 6 Euro für ein           13 Kindern möchten einige
                         mit einem Mikrokredit aus der      2,5 kg Huhn, war es nun nur         die Hühnerhaltung erlernen,
                         Entwicklungshilfe finanzieren.     noch die Hälfte.                    sie fortführen oder selber
                         Ich konnte von jedem Umlauf                                            Küken kaufen. Hoffentlich
                         mit 500 Küken zweimal im           2004 schloss ich mich dann          hält die Regierung wenigstens
Fridolin Mvogo, Klein-   Jahr einen kleinen Gewinn          ACDIC an und die Aktionen           diesen Markt noch lange für
bauer und Hühnerhalter   einstreichen und den Kredit        führten 2006 zu einem Stopp         uns geschützt und öffnet
aus Nkomdamba            nach und nach abbezahlen.          des Imports von billigen            nicht, wie bei anderen Agrar-
                         Nun hatten wir immer ein           Fleischteilen. Ich wagte mich       produkten (Reis, Tomaten,
                         wenig Bargeld, wenn die            nun daran, 800 Küken in vier        Zwiebeln, Milch, Schweine-
                         Kinder krank waren oder das        Umläufen, also 3.200 Hühner         fleisch), europäischer Billig-
                         Schulgeld bezahlt werden           pro Jahr, zu mästen. Die            konkurrenz unsere Märkte.
                         musste, aber auch für Klei-        Nachfrage stieg ständig und         Dabei könnten wir das alles
                         dung und für ein paar Lebens-      auch andere Bäuerinnen und          auch selbst produzieren und
                         mittel, die wir selbst nicht an-   Bauern in unserer Gegend            so die Armut auf dem Lande
                         bauen.                             folgten meinem Beispiel.            verringern.“
10 Keine chicken schicken

Gefrorene Hähnchenbeine erobern Afrika

                            E
                                 ntlang der gesamten west- und zentralafri-   Die Nichtumsetzung der Zollerhöhung wurde
                                 kanischen Küste wird das gefrorene Geflü-    zu einer der Bedingungen für die Kreditvergabe
                                 gelfleisch aus Europa angelandet. Zunächst   gemacht. Auch die EU unterstützte diese
                            schleichend und fast unbemerkt taucht dieses      Position.
                            „gefrorene Hähnchen“ seit Mitte der 90er Jah-        Letztendlich wurde die Zollerhöhung von der
                            ren auf den Märkten in Afrika auf. Mangel an      Regierung nicht umgesetzt, in einer neuen Ab-
                            Hähnchen herrscht eigentlich in keinem der        stimmung im Parlament wurde sie sogar wie-
                            Länder und fast überall wird das Federvieh nur    der gekippt. Der Geflügelverband von Ghana
                            lebend angeboten. In manchen Ländern verlau-      klagte gegen die eigene Regierung, und 2005
                            fen die Steigerungen seit dem Jahre 2000 konti-   befand eine mutige Richterin, dass die Regie-
                            nuierlich, z.B. im Senegal und der Elfenbein-     rung verfassungswidrig gehandelt habe. Brisant
                            küste. In anderen, wie Liberia, nimmt der Im-     aus deutscher Sicht ist, dass der ehemalige
                            port plötzlich zu. Dort erhöhten sich die Im-     Bundespräsident Horst Köhler damals noch
                            porte schon 1996 um 400 Prozent.                  Präsident des IWF war. Er hatte die Entschei-
                               Am schlimmsten ist Ghana dran. Nicht ein-      dung, die zum Zusammenbruch der ghanai-
                            mal die Vogelgrippe 2006 hat den Import redu-     schen Geflügelproduktion und Verletzung der
                            ziert. Seit 2001 sind die Importe um 800 Pro-     Verfassung führte, mit zu verantworten. Un-
                            zent auf 90.000 Tonnen im Jahr 2009 gestiegen.    angenehm ist, dass Ghana heute als Musterland
                            Wie in Kamerun gab es massive Proteste der        für Demokratie und Beispiel für eine funktio-
Hühnerteile werden auf      Zivilgesellschaft. Bauern und Verbraucherinnen    nierende „gute Regierungsführung“ bei den
dem Kaneshi Markt in        schlossen sich zusammen und erwirkten 2003        Gebern von Entwicklungshilfe präsentiert wird.
Accra unter Glas ge-        einen Parlamentsbeschluss für eine Zollerhö-         Im Frühjahr 2010 existiert eine Geflügel-
schützt, aber nicht ge-     hung. Doch Ghana erfuhr, was es bedeutet, von     mast in Ghana praktisch nicht mehr. Kofi
kühlt. Hitze und Luft-      Geldern des IWF und der Weltbank abhängig         Henaku, der stellvertretende Vorsitzende des
feuchtigkeit verderben      zu sein. Denn zur gleichen Zeit verhandelte       Geflügelverbandes, beschreibt die Situation so:
die gefrorenen Fleisch-     Ghana über einen neuen Kredit von beiden          „Wenn man die Geflügelfarmer besucht, ist es
stücke dennoch schnell.     Institutionen über 258 Millionen US Dollar.       offensichtlich, dass dort Depression herrscht.
                                                                              Sie haben Geld in ihr Geschäft gesteckt, aber
                                                                              keine Chance auf einen Überschuss, den sie
                                                                              dann wieder investieren könnten. Da herrscht
                                                                              nur Frustration.“ Aber nicht nur die Produzen-
                                                                              ten selbst sind betroffen. Ben Q. Quaye, ein
                                                                              Futtermittelhändler, der schon 35 Arbeiter ent-
                                                                              lassen musste, sagt, „Wenn wir weiter Europas
                                                                              Produkte kaufen, haben wir hier bald eine
                                                                              riesige Arbeitslosigkeit.“
                                                                                 Der Verband der ghanaischen Geflügelzüchter
                                                                              hatte große Hoffungen in die neue Regierung,
                                                                              die 2009 ihre Arbeit aufnahm, gesetzt. Doch
                                                                              wieder einmal wurde der Verband enttäuscht.
                                                                                 In der Opposition hatte die neue Regierung
                                                                              noch versprochen etwas gegen die Nahrungsim-
                                                                              porte zu tun. Doch nun argumentiert die neue
                                                                              Regierung mit der Ausrede der alten Regierung,
                                                                              dass die arme Bevölkerung in Accra von den
                                                                              billigen Nahrungsimporten profitieren würde.
                                                                              Eine neue Preisuntersuchung zeigt aber, dass die
Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert 11

                            Geflügelfleischimporte in Ghana von 1996 bis 2009
                            Zusammengestellt vom EED, mit Zahlen von Eurostat, UNComtrade, FAOSTAT

                   90.000
 Handelsmenge
 in Tonnen                            Gesamtimporte
                   80.000
                                      Importe aus der EU
                   70.000

                   60.000

                   50.000

                   40.000

                   30.000

                   20.000

                   10.000

                       0
                            1996    1997   1998    1999    2000   2001      2002    2003     2004    2005     2006    2007    2008     2009

                            1.000 Prozent mehr Geflügelteile als 1996 wurden 2009 in Ghana eingeführt! Nicht nur aus der EU.
                            Die USA sind der größte Exporteur nach Ghana.

                            Importeure infolge der Nahrungskrise 2008 die            Liberia und Sierra Leone. Da in beiden Ländern
                            Preise für die Hühnerreste massiv erhöht haben.          nach den Bürgerkriegen keine Chance besteht,
                            Einen Grund dafür gibt es nicht, denn die Reste          Investoren für eine eigene Produktion zu ge-
                            gibt es 2009 immer noch billig für 0,70 €/kg,            winnen, kosten selbst Hühnerkrallen auf den
                            egal ob aus den USA, Brasilien oder besonders            dortigen Märkten 2,70 € das Kilogramm. Sie
                            billig für 0,56 € aus den Niederlanden.                  wurden für 0,40 € eingeführt, wie ein libane-
                               Doch jetzt, wo es keine einheimische Kon-             sischer Importeur in Monrovia offen zugibt.
                            kurrenz mehr gibt, kostet das Kilo auf dem
                            Hauptmarkt Kaneshi in Accra mit 2,50 € plötz-            Importverbote schützen
                            lich soviel wie früher das einheimische Ge-              Geflügelproduzenten
                            flügel. Die Importeure erzielen einen riesigen           Anders verfährt Nigeria. Der frühere Präsident
                            Profit, den vermeintlichen Vorteil „billigen“            und Geflügelbauer Olusegun Obasanjo hatte
                            Importgeflügels für die arme Bevölkerung gibt            sich schnell der Klagen seiner ehemaligen Kol-
                            es nicht mehr. Ähnlich ist die Situation in              legen aus dem Geflügelverband angenommen

                            Germain Adobaya, Geflügelzüchter und Ausbilder in Ave, Togo
                            „Mon Espoir – meine Hoffnung – heißt meine
                            Hühnerfarm, 3 Stunden entfernt von Lomé.
                            Ich habe nach sehr guten Erfahrungen mit
                            meiner Hühnermast mit Unterstützung einer
                            EED Partnerorganisation eine Ausbildungs-
                            farm für junge Hühnermäster aufgebaut. Die
                            Ställe und die Schlafräume sind fast fertig.
                            Wer will aber nun noch was von Hähnchen-
                            mast wissen? Erst gebt ihr uns Entwicklungs-
                            hilfe, um uns selbst aus der Armut zu be-
Germain Adobaya,            freien, und dann überschüttet ihr unsere
Geflügelzüchter             Märkte mit euren Fleischresten.
und Ausbilder in der        Wir haben uns mit anderen Bauern zu einer
Region Ave, Togo            Kooperative zusammengetan und verkaufen                auch sie kaufen inzwischen zunehmend Im-
                            unsere hochwertigen, langsam gemästeten                portware und drücken die Preise. Um meine
                            Tiere an Restaurants und wohlhabende                   Hühner überhaupt abzusetzen, muss ich
                            Kunden. Bisher waren wenigstens die bereit,            jetzt unter den Produktionskosten verkaufen.
                            für besseres Fleisch besser zu zahlen. Doch            Der sichere Weg in unseren Bankrott.“
12 Keine chicken schicken

                                und den Import von Tiefkühlgeflügel verboten.           chenfleischimporte werden von Benin nach
                                Sein Kommentar: „Sollen die EU oder die USA             Nigeria durchgereicht. Durch den Schmuggel
                                doch deswegen das nigerianische Öl mit Import-          wird das Importverbot Nigerias untergraben
                                strafzöllen belegen.“ Das Importverbot zahlt            und der Markt, vor allem in Lagos, gefährdet.
                                sich für Nigeria aus, denn um den Binnen-                  Neben Nigeria und Kamerun haben inzwi-
                                markt mit 110 Millionen Konsumentinnen                  schen auch der Senegal und die Elfenbeinküste
                                und Konsumenten, zu erobern, investieren                Importrestriktionen für Geflügel verhängt. So
                                nigerianische Mäster heute in holländische              wandern die gefrorenen Hähnchenteile weiter
                                Stalltechnik.                                           südlich die afrikanische Küste entlang. Die Ge-
                                   Aber auch Nigeria wird von den Importen              samtmenge der Hähnchenexporte nach Afrika
                                bedroht. Der Fall ist sogar besonders dreist.           hat sich daher nicht verringert. Jetzt werden vor
                                   Das kleine Benin importiert mit seinen sechs         allem die Märkte der Demokratischen Republik
                                Millionen Einwohnern soviel Hühnchenbeine,              Kongo und Angolas mit dem überschüssigen
                                dass die „Beninois“ damit selbst mehr Hühn-             Billigfleisch überflutet. Angola importiert heute
                                chen pro Kopf verbrauchen könnten als die               100.000 Tonnen Dumping-Tiefkühlfleisch. In
                                Deutschen – und 500 Prozent mehr als ihre               beiden Ländern war die Geflügelproduktion
                                Nachbarn. Aber weit gefehlt. Die Hähnchen               durch die Bürgerkriege völlig am Boden. Heute
                                lösten Autos als beliebtestes Schmuggelgut ins          verhindern die Billigimporte einen Wiederauf-
                                Nachbarland Nigeria ab. 90 Prozent der Hähn-            bau der Produktion.

                                Geflügelfleischexporte nach Westafrika (1996 – 2009)
                                Zusammengestellt vom EED, mit Zahlen von Eurostat,UNComtrade, FAOSTAT

                                      Senegal

                                                            Senegal

                                                                                            Togo
                                                          Elfen
                                                          bein-
                                                          küste   Ghana
                                                Liberia
                                                                                             Kamerun
                            Liberia                                   Togo

                                                                       Benin

                                        Elfenbeinküste
                                                                                                                 D. R. Kongo

                                                                                                                      D. R. Kongo
                                                                               Benin

Entwicklung der Ein-
fuhren von Geflügel-
teilen (1996-2009) in                                                                                   Angola
ausgesuchten Ländern
Westafrikas.

                                                                                   Angola
Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert 13

Interview mit Kenneth Quartey, Ghana

Kenneth Quartey, Vorsitzender der Ghana National Poultry Farmers Associa-
tion (Verband der Geflügelfarmer Ghana) und seit 25 Jahren Geflügelzüchter.
Das Interview führte Francisco Marí vom EED 2008 in Hannover auf der
„World Poultry Show“, der weltgrößten Geflügelmesse. Der EED unterstütz-
te mit einem Stand die Teilnahme von afrikanischen Geflügelzüchterinnen
und Geflügelzüchtern an der Messe, um auf die Bedrohung ihrer Existenz
durch europäische Geflügelexporteure aufmerksam zu machen.

Beschreiben Sie bitte kurz die Situa-     Welche Rahmenbedingungen muss
tion der Geflügelproduktion in Ghana.     die Regierung in Ghana berücksichti-
Im Moment ist die Situation nicht sehr    gen, bevor sie der Geflügelindustrie
gut. Hauptsächlich leidet die Geflügel-   eine neue Entwicklungsperspektive
produktion in Ghana unter den Import-     eröffnen könnte?
fluten. Diese haben den Geflügelsek-      Theoretisch könnte Ghana den Zoll
tor so schwer geschädigt, dass der An-    für Geflügelfleisch von 20 Prozent auf
teil der einheimischen Produktion am      90 Prozent erhöhen, das erlauben die
Markt von 85 Prozent auf 5 Prozent        Regeln der WTO. Aber wir haben 2003
zurück gegangen ist. Noch vor 15 Jah-     erlebt, was passiert, wenn man es tat-
ren war der ganze Bedarf Ghanas mit       sächlich macht (siehe Seite 10). Da wird    Das Interview mit Kenneth Quartey wurde
Geflügelfleisch gedeckt. Wir hatten       ein demokratischer Beschluss unseres        im November 2008 auf der Eurotier in
selbst kleine Schlachtanlagen und eine    Parlamentes einfach auf Druck der
                                                                                      Hannover von Francisco Marí geführt.
Kühlkette zur Versorgung der Touris-      Weltbank wieder aufgehoben. Nun
tenhotels. Doch dann kamen plötzlich      kommt das gerade unterzeichnete
mit unserem Beitritt zur Welthandels-     Freihandelsabkommen mit der EU              wir in der Zukunft mit der Geflügel-
organisation 1995 Unmengen von Ge-        dazu (Interim EPA). Ghana hat einer         industrie in Europa und den weiter
flügelteilen aus den USA und Europa       Klausel zugestimmt, dass es zwar die        entwickelten Ländern konkurrieren.
zu unglaublich billigen Preisen auf       Zölle für Agrarprodukte nicht noch
unsere Märkte. Jedes Jahr mehr Im-        weiter zu senken braucht, aber gleich-      Wie kann Ihrer Meinung nach die
portfleisch, teilweise verdoppelten       zeitig nicht erhöhen darf. Die Situa-       Regierung in Ghana oder auch
sich die Mengen jährlich. Inzwischen      tion wird also immer schwieriger.           Ihr Verband die Geflügelbäuerinnen
haben fast alle Broilerproduzenten                                                    und Geflügelbauern in Ghana unter-
aufgegeben. Manche, die es sich noch      Wie ist Ihr Eindruck von der Eurotier       stützen?
leisten können, so auch ich, produzie-    und Ihrem Aufenthalt in Deutschland?        Was immer die Politik unserer Länder
ren nun Eier. Kühlkette und Schlacht-     Der Geflügelsektor hier in Deutsch-         an Maßnahmen ergreifen kann, um
häuser gibt es nicht mehr.                land ist sehr aktiv und die Produktion      die lokale Geflügelproduktion zu
                                          ist in ihrer Entwicklung sehr weit fort-    unterstützen, wird zunichte gemacht,
Wie hat die Regierung Ghanas auf          geschritten. Diesen Zustand möchten         wenn wir die überwältigenden
diese Entwicklung reagiert?               wir auch gern für Ghana erreichen.          Importfluten weiterhin zulassen. Die
Die Regierung war zunächst froh, dass                                                 erste Priorität muss deshalb sein,
die arme Bevölkerung der Hauptstadt       Was für eine Reaktion erhalten              diese Praxis zu beenden. Ein soforti-
Accra sich billiges Fleisch in kleinen    Sie von den Messebesucherinnen              ger Importstopp funktioniert leider
Portionen kaufen konnte. Hinter der       und Messebesuchern, wenn Sie                nicht mehr. Es wird Jahre dauern bis
neoliberalen Politik der Marktöffnung     mit ihnen über das Geflügelfleisch-         die Geflügelzüchter wieder Vertrauen
in allen Bereichen stand die Hoff-        dumping sprechen?                           finden und so investieren, dass sie
nung, dass die Versprechen, die allen     In meinen Diskussionen mit den Be-          wieder den Gesamtbedarf Ghanas
Entwicklungsländern durch den             sucherinnen und Besuchern der Euro-         decken können. Daher wären
Beitritt in die WTO gemacht wurden,       tier habe ich den Eindruck gewonnen,        zunächst Einfuhrquoten und eine
nämlich ein starkes Engagement aus-       dass viele verstehen, dass die Geflü-       massive Zollerhöhung, verbunden mit
ländischer Investoren, wahr werden        gelindustrie in Ghana den gleichen          Förderprogrammen für die einheimi-
würden. Es wurde jedoch sehr rasch        Entwicklungsfreiraum braucht, den die       sche Geflügelindustrie, die ersten
klar, dass die offenen Zollgrenzen        europäische Geflügelindustrie in den        Schritte, um diesen wichtigen Sektor
eine Einbahnstrasse für europäische       letzten Jahren hatte. Nur wenn wir          der ghanaischen Nahrungsproduktion
Billigprodukte sind.                      diesen Freiraum bekommen, können            wieder zu beleben.
14 Keine chicken schicken

Nord-Süd-Aktionen in Europa

                            W
                                      ir können das Problem im Land allein   Europa rupft Afrika
                                      nicht lösen“. ACDIC bat mit Start      Unter dem Motto „Europa rupft Afrika“ (L’Euro-
                                      der Kampagne in Kamerun Partneror-     pe plume l’Afrique) begann im April 2004 eine
                            ganisationen in Europa um Unterstützung:         Kampagne in Frankreich und Belgien. Frankreich
                            den EED und APRODEV, die europäische             ist neben den Niederlanden mit 31 Prozent einer
                            Dachorganisation der evangelischen               der Hauptexporteure der tiefgefrorenen Hähn-
                            Hilfswerke, die Entwicklungsorganisationen       chenteile. Die Organisationen informierten über
                            SOS-Faim aus Belgien und ICCO aus Holland        die Folgen der massiven Exporte. „Europa rupft
                            und ein breites Netzwerk aus Frankreich.         Afrika“ wurde zum Medienthema.
                            Sie sollten nach Wegen suchen, was gegen             Der EED und ICCO starteten das Projekt
                            den Export von Hähnchenteilen getan werden       „Keine chicken schicken“. Es deckt die Hinter-
                            kann und das Thema ins öffentliche Bewusst-      gründe der Billigexporte auf und soll Verän-
                            sein bringen.                                    derungen in Politik, Wirtschaft und bei Ver-

Tiefkühlhähnchen tauen
langsam auf. Das Pro-
blem der Hühnerexporte
wird der Berliner Bevöl-
kerung anschaulich nahe-
gebracht.
Wie Hühnerfleisch aus Europa Kleinbauern in Westafrika ruiniert 15

                          braucherinnen erreichen. Dies geschieht über            Auch auf EU Ebene bedrängt der EED zu-
                          Artikel, Radiosendungen und Fernsehbeiträge         sammen mit APRODEV (Association of World
                          und mit Informationsständen. Noch immer             Council of Churches Related Development
                          finden gemeinsam mit anderen Gruppen wie            Organisations in Europe) weiter die europäi-
                          attac, Eine-Welt-Läden und Kirchenkreisen           sche Kommission, handels- und lebensmittel-
                          Veranstaltungen statt. Auf einer Fachtagung         rechtliche Verantwortung für die Folgen der
                          im November 2006 in Iserlohn konfrontierte          Exporte zu übernehmen. Obwohl alle Betei-
                          der EED zusammen mit ACDIC Vertreterinnen           ligten das Problem sehen, ist die Kampagne in
                          und Vertreter des deutschen Landwirtschafts-        Europa nicht so erfolgreich wie in Kamerun.
                          ministeriums, der Wirtschaft, der Wissenschaft      Es wird entschuldigend auf den „freien“ Markt
                          und des Verbraucherschutzes mit den Recher-         verwiesen, der einen Eingriff nicht erlaube. Die
                          cheergebnissen des Projektes.                       Exporte werden nun von Kamerun in andere
                              Im November 2008 wurden Produzenten             Länder umgeleitet, daher wird das Projekt nicht
                          und Industrie auf der weltgrößten Geflügel-         lockerlassen, bis aus der EU oder anderswo
                          messe im Rahmen der Eurotier in Hannover            wirklich keine Hühnerreste mehr nach Afrika
                          vom EED und seinen afrikanischen Partner-           geschickt werden.
                          organisationen mit den Konsequenzen des                 Der EED und seine Partner veröffentlichten
                          Dumpings konfrontiert.                              in 2008 ein Forderungspapier, wie die EU und

Interview mit Rudi Buntzel, Beauftragter des EED für Agrarpolitik
Was will der EED erreichen?                für uns die unbefriedigende Hygiene-       Brasilien, nicht die lokalen Märkte
Der EED unterstützt die lokalen Klein-     verordnung für den Fleischexport.          Afrikas mit Billignahrungsmitteln
erzeuger von Geflügelfleisch in West-      Gefrorene Produkte sind in tropischen      überschwemmen. Die Erfahrungen
afrika. Die Kleintierhaltung ist ein       Ländern ein hohes Gesundheitsrisiko.       der letzten Jahre zeigen, dass alle
wirksames Mittel der Armutsbekämp-         Wir haben zu diesem Thema einen            kleinen Geflügelhalterinnen und Ge-
fung, sie ist einkommens- und be-          Dialog mit der exportierenden              flügelhalter, ob in Brasilien, Afrika,
schäftigungswirksam, besonders für         Fleischwirtschaft in Europa versucht,      Europa oder Thailand, unter den
Frauen im ländlichen Bereich. Wir          um zu diskutieren, inwieweit sie ihrer     Strukturen des Agrobusiness in der
wollen außerdem einen Beitrag leis-        ethischen Verantwortung nachkommt          Geflügelproduktion leiden.
ten zur Gestaltung sozial verantwort-      und die lebensmittelrechtlichen
licher und gerechter Handelsbezie-         Grundlagen der EU auch für den Ex-         Was können Verbraucherinnen und
hungen zwischen der EU und den             port einhält. Unsere Forderung: „Kein      Verbraucher tun?
afrikanischen Ländern.                     Export von gefrorenem Fleisch in           Wir sind als Konsumenten mitverant-
                                           Länder ohne Kühlkette“, fand leider        wortlich, dass Teile vom Geflügel zu
Wer sind die Adressaten der Lobby-         kein Gehör.                                Billigfleisch werden. Wir bevorzugen
arbeit des EED?                                                                       vorwiegend Hähnchenbrust und
Wir haben in den letzten Jahren, seit      Welche Schritte sind weiter geplant?       -schenkel, dadurch wird der Rest des
wir die Aktion „keine chicken schicken“    Durch Lobbyarbeit treten wir dafür         Hühnchens entweder unter Wert in
begonnen haben, zum einen die Ent-         ein, dass die Schutzbestimmungen           Europa verwertet oder auf dem Welt-
scheider in Wirtschaft und Politik, ins-   für Entwicklungsländer gegen Dum-          markt zu einem Schleuderpreis ange-
besondere die Europäische Union, mit       ping in internationalen Handelsver-        boten und landet in Afrika. Dabei gibt
den Folgen unserer Fleischexporte kon-     einbarungen gestärkt werden. Zent-         es schmackhafte Rezepte wie „coq
frontiert. Viele Parlamentarier haben      raler Punkt unserer Arbeit ist die         au vin“, wo das ganze Huhn zu einer
uns unterstützt und betroffene Ge-         Unterstützung der Geflügelverbände         guten Mahlzeit gehört. Ich denke,
flügelzüchter aus Afrika wurden ange-      in Afrika, damit sie ihre Regierungen      zu einer ausgewogenen ganzheit-
hört. Zusätzlich gab es Anfragen in        überzeugen, wie in Kamerun, die            lichen Lebensweise gehört auch,
Parlamenten an die jeweiligen Regie-       Agrarmärkte vor unfairer Billigkonkur-     möglichst viel vom geschlachteten
rungen, Maßnahmen gegen Dumping            renz zu schützen. Wir schauen ver-         Tier zu verzehren.
im Handel mit Entwicklungsländern          mehrt darauf, dass der Süd-Süd
zu ergreifen. Ein weiteres Thema ist       Handel, z.B. die Geflügelexporte aus
16 Keine chicken schicken

Gemeinsamer Protest         die europäische Industrie die Exporte verhin-      Die Ernährung selbst bestimmen –
von brasilianischen,        dern könnten. Zentrale Forderungen sind eine       die Menschen stärken
afrikanischen und           freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie,     In den Ländern des Südens leben drei Viertel
europäischen NGOs           kein gefrorenes Fleisch in Länder ohne Kühl-       der armen Menschen auf dem Lande. In den
und Kirchen auf             kette zu schicken und das Versagen von Export-     Städten steigt die Armut, weil die Wirtschafts-
dem Weltsozialforum         genehmigungen durch den europäischen Zoll          tätigkeit auf dem Lande zurückgeht. Viele bäu-
in Nairobi, 2007            auf Basis des europäischen Lebensmittelrechtes.    erliche Betriebe sind sehr klein und ernähren
                            Die neue EU Agrarpolitik, die bis 2013 entschie-   primär die Bauernfamilie. Nur ein Teil der pro-
                            den wird, sollte zukünftig ausschließen, dass      duzierten Nahrung wird vermarktet. Die
                            Agrarprodukte, die EU Subventionen erhalten        Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln
                            in Entwicklungsländer exportiert werden.           ist für Entwicklungsländer wichtig. Es muss zu
                               Die wirksamste Methode wäre aber, Kamerun       ihrem Recht werden, dass sie ihre Agrarpolitik
                            zu folgen und den Import zu verbieten oder die     selbst bestimmen.
                            Zölle so anzuheben, dass das importierte Fleisch       ACDIC, die Bewegung der Zivilgesellschaft,
                            genauso teuer wäre wie das einheimische.           wächst weiter. Mit ihren Aktionen konnte und
                               Dies wird in Zukunft noch schwieriger, denn     kann sie den Interessen der Bevölkerung Nach-
                            die EU will den afrikanischen Ländern in den       druck verleihen. Die Bürgerinnen und Bürger
                            schon lange verhandelten Freihandelsabkommen       merken: Wir können politisch Einfluss nehmen
                            (EPAs) über die sogenannte “Stillstands-Klausel“   und mit unserem Engagement etwas verändern.
                            die Möglichkeit nehmen, die Zölle überhaupt        „Den Entwicklungsweg Kameruns mitbestim-
                            anzuheben.                                         men“, wie der Geschäftsführer von ACDIC,
                               Angespornt durch starke Bewegungen              Jacob Kotcho, sagt.
                            wie ACDIC, haben nur wenige Länder sich
                            das bisher gefallen lassen. Auch im Jahre 2010
                            setzen sich der EED, APRODEV und viele
                            Bewegungen in Afrika dafür ein, dass diese
                            Abkommen in der bisherigen Form nicht
                            unterschrieben werden.
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