FACHLICH APPROBATIONSORDNUNG - DIE APPROBATIONSORDNUNG 2020 - INTERDISZIPLINÄRE ZAHNMEDIZIN & KFO DR. GEORG RISSE, MÜNSTER - INSTITUT FÜR ...

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FACHLICH APPROBATIONSORDNUNG - DIE APPROBATIONSORDNUNG 2020 - INTERDISZIPLINÄRE ZAHNMEDIZIN & KFO DR. GEORG RISSE, MÜNSTER - INSTITUT FÜR ...
fachlich                              Approbationsordnung

                     Die Approbationsordnung 2020 - interdisziplinäre Zahnmedizin & KFO
                     Dr. Georg Risse, Münster                                     Bedeutung
                                                                                  Der vorliegende Artikel thematisiert die neue Bezie-
                     Die Approbationsordnung 2020 und die Interdiszipli-          hung der primären „allgemeinen“ medizinischen Aus-
                     näre Zahnmedizin und Kieferorthopädie, id-ZM/id-KFO          bildung mit dem Spezialwissen der Fachdisziplinen
                     ZÄApprO 2020: Nach Verordnung des BMG, Bundes-               und der Weiterbildung. Mit der Approbationsordnung
                     ministerium für Gesundheit zur Neuregelung der zahn-         2020 erfolgt eine Vernetzung der „Spezialkenntnisse“
                     ärztlichen Ausbildung vom 08. Juli 20191                     aus den „Gebiets-“ und „Einzeldisziplinen“ mit dem Ge-
                                                                                  samtorganismus. Hieraus ist eine „Interdisziplinarisie-
                     Zusammenfassung                                              rung“ der Fachdisziplinen abzuleiten. Wissenschaftli-
                                                                                  che Einzelerkenntnisse müssen ihre Bedeutung für den
                     Ziel                                                         Gesamtorganismus darstellen. Klinisch bedeutet die
                     Einführung in die interdisziplinäre Medizin, Zahnmedi-       interdisziplinäre Perspektive der Approbationsordnun-
                     zin und Kieferorthopädie als Folge der neuen Appro-          gen 2020 der Medizin und Zahnmedizin eine deutlich
                     bationsordnungen der Medizin und speziell der Zahn-          erweiterte „fachübergreifende“ ursächliche Zuständig-
                     medizin und Kieferorthopädie vom 08. Juli 2019 mit           keit der Zahnmedizin und Kieferorthopädie.
                     Umsetzung zum 01. Oktober 2020 (ZÄApprO 2020).
                                                                                  Einleitung: Primäre Darstellung der Problematik
                     Problematik                                                  durch den Wissenschaftsrat (WR)2
                     In der Medizin bestand die grundlegende Problema-
                     tik in einer zunehmenden Spezialisierung, so dass der        Ausgang zur offiziellen interdisziplinären Ausrichtung
                     Gesamtorganismus und die interdisziplinären Wechsel-         der Zahnmedizin war ein Gutachten des Wissenschafts-
                     wirkungen innerhalb des Organismus stärker aus dem           rats 2005 über die mangelnde interdisziplinäre Aus-
                     Blickfeld der Diagnostik, Therapie und insbesondere          richtung der Zahnmedizin in Forschung, Lehre und
                     der Wissenschaft geriet.                                     Ausbildung. Der Wissenschaftsrat berät die Bundesre-
                                                                                  gierung und die Regierungen der Länder in Fragen der
                     Folgen                                                       inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Hoch-
                     Aus dieser eingeschränkten Sichtweise ergaben sich           schulen, der Wissenschaft und der Forschung sowie
                     unbefriedigende Behandlungsverläufe. Zur Korrektur           des Hochschulbaus.
                     dieser Entwicklung war eine grundlegende Neustruktu-
                     rierung der Approbationsordnungen notwendig. Hier-           Kurzfassung der Ergebnisse des Gutachtens des WR2
                     aus ergibt sich eine grundlegende Neuorientierung der        von 2005:
                     Fachbereiche und der Weiterbildung sowie der Wissen-
                     schaft auf interdisziplinäre Zusammenhänge.                  „Forschung:
                                                                                  Um das wissenschaftliche Leistungsvermögen zu stei-
                     Schlussfolgerungen                                           gern, muss nach Auffassung des Wissenschaftsrates
                     Die ÄApprO und die ZÄApprO beinhalten eine inter-            nicht nur der Anteil des wissenschaftlichen Personals
                     disziplinäre Neuausrichtung der medizinischen und            und der Forschungsressourcen erhöht werden, son-
                     zahnmedizinischen Ausbildung. Die Fachbereiche der           dern zugleich die mangelhafte Interaktion zwischen
                     Medizin und Zahnmedizin mit speziellem „Fachwissen“          Zahn- und Humanmedizin innerhalb der medizinischen
                     müssen dieser „interdisziplinären“ Neuausrichtung der        Fakultäten überwunden werden.
                     Medizin insgesamt Folge leisten. In diesem Zusam-
                     menhang spielt u.a. die Kieferorthopädie eine zentrale       Lehre und Ausbildung:
                     Rolle, da „Kieferorthopädie“ nicht nur „das schöne Lä-       Die aktuelle Prüfungsordnung (Approbationsordnung
                     cheln“ gestaltet, sondern die Funktion des gesamten          von 1955) für Zahnärzte trägt weder der fachlichen
                     Kauorgans – sowie Funktionen des Craniocervicalen            Weiterentwicklung noch den Anforderungen an eine
                     Bereichs, da „Kopf und Hals“ eine Funktionseinheit bil-      moderne und interdisziplinär ausgerichteten Lehre
                     den. „Das Ganze ist mehr als die Einzelteile“.               Rechnung. Der Wissenschaftsrat empfiehlt daher eine

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                                                   J. Compr. Dentof. Orthod. + Orthop. (COO) Umf. Dentof. Orthod. u. Kieferorthop. (UOO)
No. 1-2 / 2020 (c)
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Approbationsordnung                              fachlich

grundlegende Neugewichtung der Ausbildungsinhal-             C. Alternativen:
te.“ Die aktuelle Verordnung des Bundesministeriums          Keine
für Gesundheit, BMG vom 08. Juli 2019 ist den gutach-
terlichen Vorgaben des Wissenschaftsrats von 2005            Folgerungen
nachgekommen [Ausschnitt]:
                                                             • Aus dieser interdisziplinären Ausrichtung der Appro-
„Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit              bationsordnung 2020 folgt zwingend auch eine in-
                                                               terdisziplinäre Ausrichtung der Fachbereiche selbst.
Verordnung zur Neuregelung der zahnärztlichen Aus-           • Die neue (interdisziplinäre) Ausrichtung der Fachbe-
bildung                                                        reiche, der Weiterbildung und Fortbildung besteht
                                                               in einer Vernetzung der zahnmedizinischen und der
A. Problem und Ziel                                            medizinischen Fachdisziplinen durch Fokussierung
Die Ausbildung der Studierenden in der Zahnmedizin             fachübergreifender Wirkungen von Organen. Ins-
erfolgt derzeit auf der Grundlage der aus dem Jahr 1955        besondere fachübergreifende Wirkungen dysfunk-
stammenden und seitdem weitgehend unveränderten                tioneller Organe sind von besonderer Bedeutung
Approbationsordnung für Zahnärzte. Ziel des Verord-            sowohl für den Patienten wie für Versicherungen,
nungsvorhabens ist eine grundlegende Novellierung              als auch für die Volksgesundheit.
der Approbationsordnung für Zahnärzte. Die Novellie-         • Der Zuständigkeitsbereich der einzelnen Fachberei-
rung ist angesichts der fachlichen Weiterentwicklung           che erweitert sich somit vom „Gebietsbereich“ auf
der Zahnmedizin und der veränderten Anforderungen              den Wirkungsbereich von Organen.
an eine moderne und interdisziplinäre Lehre dringend
erforderlich, um auch künftig die Qualität der zahnärzt-     Die metrische Definition von Fachbereichen
lichen Ausbildung als Voraussetzung für die zahnme-          Der Zuständigkeitsbereich der Zahnmedizin und Kie-
dizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten         ferorthopädie ist sowohl vom Zahnheilkundegesetz
in einer älter werdenden Gesellschaft sicherzustellen.       1955 als auch von der aktuellen fachlichen Seite nach
                                                             Gebieten, Bereichen und metrischen Kriterien definiert:
B. Lösungen:                                                 In der Zahnmedizin wird das „Craniomandibuläre Sys-
Zur Reform des Studiums der Zahnmedizin werden im            tem“ und die „Craniomandibuläre Dysfunktion, CMD“
Wesentlichen folgende Maßnahmen getroffen:                   thematisiert, und in der Kieferorthopädie wird das „Oro-
1. Neustrukturierung der zahnärztlichen Ausbildung           faziale System“ als Behandlungsgebiet benannt.
2. Angleichung der Studiengänge Medizin und Zahn-
    medizin in der Vorklinik                                 Kieferorthopädie
3. Neugewichtung der Ausbildungsinhalte
4. Bessere Abbildung von Allgemeinerkrankungen im            Metrische Definition der rezenten Kieferorthopädie /
    Zahnmedizinstudium                                       Zuständigkeitsgebiet:
5. Fächerübergreifende Ausbildung                            „Kieferorthopädie ist die Lehre von der Erkennung,
6. Verbesserung der Betreuungsrelation                       Verhütung und Behandlung von Dysgnathien. Der Be-
7. Modellklausel / interdisziplinäre Modellstudiengän-       griff Eugnathie beinhaltet die harmonische Kombination
    ge einzelner Fakultäten                                  von Form und Funktion der im Gebiss- und Gesichts-
8. Stärkung des Strahlenschutzes in der zahnärztli-          bereich vorhandenen Strukturen.
    chen Ausbildung
9. Stärkere wissenschaftliche Kompetenz                      Für Gebissanomalie wird heute der Terminus Dysgna-
                                                             thie verwendet. Er beinhaltet alle morphologischen
Zugleich werden Änderungen an der Approbations-              und funktionellen Abwegigkeiten im Bereich des oro-
ordnung für Ärzte vorgenommen, die durch die Anglei-         fazialen Systems.“ [Kahl- Nieke] 3 (Die kursiv gedruck-
chung von medizinischer und zahnmedizinischer Aus-           ten Begriffe beinhalten einen metrischen Hintergrund.)
bildung im vorklinischen Studienabschnitt bedingt sind.

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J. Compr. Dentof. Orthod. + Orthop. (COO) Umf. Dentof. Orthod. u. Kieferorthop. (UOO)
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fachlich                                      Approbationsordnung

                     Bildliche Darstellung der rezenten metrisch definier-                 Offizielle Begutachtungen der rezenten Kieferortho-
                     ten Kieferorthopädie                                                  pädie
                     Abb. 1
                                                                                           2001: Rüdiger Saekel4 , Ministerialrat a.D.: Statisti-
                                                                                           sche Erfolgsquote in der Kieferorthopädie:
                                                                                           Das Gesundheitsministerium stellt nach Rüdiger Sa-
                                                                                           ekel, Ministerialrat a.D. für die Ergebnisqualität rezenter
                                                                                           kieferorthopädischer Behandlungen fest:
                                                                                           • Nur ca. 37,8% kieferorthopädischer Behandlungs-
                                                                                              abschlüsse sind als akzeptabel einzustufen.“ „In
                                                                                              Deutschland stellen Patienten in rd. 40% der Fälle
                                                                                              Rezidive, rückläufige Veränderungen nach einer kie-
                                                                                              ferorthopädischen Behandlung, fest.“
                                                                                           • Auch eine hohe Anzahl von Verlängerungsanträgen
                                                                                              spricht für eine erhebliche Anzahl von Rezidiven.“
                                                                                              (Ein Verlängerungsantrag wird in der Regel nach ei-
                                                                                              ner Behandlungsdauer von 4 Jahren gestellt.)

                                                                                           Das Gutachten R. Saekel zieht den Schluss:

                                                                                           •   Trotz langer Behandlungszeit,
                                                                                           •   regelmäßiger Betreuung und
                     Das orofaziale Behandlungsgebiet der rezenten KFO. Einord-            •   laufender Kontrollen der Patienten
                     nung des Zuständigkeitsgebietes der rezenten KFO in der in-
                     terdisziplinären craniocervicalen Funktionseinheit: rotes Gebiet.     •   sowie hoher Behandlungskosten
                     Eine interdisziplinäre klinische Perspektive und Ausrichtung der      •   sei es nicht zweifelsfrei gelungen, positive Langzei-
                     konventionellen KFO über den oben dargestellten Gebietsbe-
                     reich hinaus, wie es vom Gesetzgeber durch die neue Approbati-            teffekte kieferorthopädischer Behandlungen für die
                     onsordnung ZÄApprO 2020 vorgesehen ist, ist nicht erkennbar.              Mundgesundheit zu belegen.“
                     Abb. 2

                     Bildliche Darstellung des Behandlungsgebietes der konventionellen Kieferorthopädie nach Kahl-Nieke und durch das wissenschaftliche
                     Fachjournal der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie

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                                                        J. Compr. Dentof. Orthod. + Orthop. (COO) Umf. Dentof. Orthod. u. Kieferorthop. (UOO)
No. 1-2 / 2020 (c)
FACHLICH APPROBATIONSORDNUNG - DIE APPROBATIONSORDNUNG 2020 - INTERDISZIPLINÄRE ZAHNMEDIZIN & KFO DR. GEORG RISSE, MÜNSTER - INSTITUT FÜR ...
Approbationsordnung                            fachlich

2008 KFO-Gutachten im Auftrag des BMG/DIMDI                  2018 IGES-Gutachten Kieferorthopädie im Auftrag
[Ausschnitt]                                                 des BMG6

Wilhelm Frank, Karin Pfaller, Brigitte Konta5: Mund-         Kritik des Bundesrechnungshofs an fehlendem Nutzen-
gesundheit nach kieferorthopädischer Behandlung              nachweis in der Kieferorthopädie Anlass war Kritik des
mit festsitzenden Apparaten / HTA-Bericht 66; DIMDI          Bundesrechnungshofs. Die Behörde hatte im Frühjahr
deutsche Agentur für HTA des Deutschen Instituts für         2018 das unzureichende Wissen über den Nutzen kie-
Medizinische Dokumentation und Information                   ferorthopädischer Behandlungen bemängelt. Sie sieht
                                                             dieses Evidenzdefizit nicht mit dem Wirtschaftlichkeits-
1.   Die Frage der Indikationsstellungen bleibt aus der      gebot in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
     wissenschaftlichen Literatur völlig offen.              vereinbar.
2.   Forschung zur Absicherung der Indikation fehlt na-
     hezu gänzlich.                                          Generell fanden die IGES-Forscher in der weltweiten
3.   Es verstärkt sich der Eindruck, dass eine große Kluft   Literatur nur wenige Untersuchungen, bei denen die
     zwischen der praktischen Anwendung kieferortho-         langfristigen Auswirkungen auf die Mundgesundheit
     pädischer Maßnahmen und der wissenschaftlichen          erfasst wurden.
     Erforschung ihrer Wirksamkeit existiert.
4.   Es wird viel Forschungsarbeit im Bereich der            IGES Institut Berlin: Anja Hoffmann, Simon Krupka,
     Weiterentwicklung von Geräten oder Techniken            Cornelia Seidlitz, Stephanie Sussmann, Inga Sander,
     erbracht, jedoch äußerst wenig im Bereich Inter-        Holger Gothe: Kieferorthopädische Behandlungsmaß-
     ventionsbedarf, Analyse der Nachhaltigkeit, Ein-        nahmen
     flussfaktoren auf den Erfolg oder Quantifizierung
     von Nebenwirkungen z. B. Karies oder Wurzelre-          Die interdisziplinäre Bedeutung des Behandlungser-
     sorptionen.                                             gebnisses der „Kieferorthopädie“ für den Patienten,
5.   Um die professionelle Arbeit der Kieferorthopädie       den Zahnarzt und die „Volksgesundheit“
     (KFO) nicht in den Nahbereich von Bedarfsindu-
     zierung oder unbelegter Indikationsstellungen zu        1. Das Behandlungsergebnis des Kieferorthopäden
     bringen, ist eine Beforschung dieses Themas ganz           ist die Grundlage für jegliche weitere zahnärztliche
     wesentlich.                                                Tätigkeit zeitlebens.
6.   Die für die Interventionsabsicherung existierenden      2. Die Kieferorthopädie beeinflusst während des
     Indizes, wie der Index of Treatment Need (IOTN),           Wachstums:
     [KIG] scheinen eine akademische Bedeutung zu
     haben, die in der täglichen Praxis irrelevant er-       • alle Zahnstellungen und - Winkelstellungen je Kiefer,
     scheinen. [KIG: Ausschluss der Funktionsdiagnos-        • alle dentalen Zahnbeziehungen in der Okklusion,
     tik]                                                    • alle Belastungsvektoren der Okklusion und der Kie-
7.   Der Frage, welche Indikationsstellungen nun für           fergelenke, KG / (Thema: „Zwangsbiss“ / Scherkon-
     die Intervention als wissenschaftlich abgesichert         takte)
     gelten können, muss unverzüglich große Aufmerk-         • alle strukturellen, funktionellen und skelettalen Be-
     samkeit geschenkt werden.                                 ziehungen der Kiefer und des Schädels durch
8.   Die Veröffentlichung von methodisch völlig unver-
     wertbaren oder mit zahlreichen offensichtlichen         		 (a) adaptative Umbauvorgänge und
     Fehlern behaftete Studien ist zu Beginn des 21.         		 (b) zusätzlich durch Wachstumsvorgänge.
     Jahrhunderts […] inakzeptabel.
                                                             3. nach Ende des Wachstums, WT. verändert die KFO
                                                                adaptativ „nur“ noch Zahnstellungen und Zahnbo-
                                                                genformen in 3D. [Neu: CMD-KFO]

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J. Compr. Dentof. Orthod. + Orthop. (COO) Umf. Dentof. Orthod. u. Kieferorthop. (UOO)
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FACHLICH APPROBATIONSORDNUNG - DIE APPROBATIONSORDNUNG 2020 - INTERDISZIPLINÄRE ZAHNMEDIZIN & KFO DR. GEORG RISSE, MÜNSTER - INSTITUT FÜR ...
fachlich                              Approbationsordnung

                     Fazit:                                                       Problematik
                                                                                  Charakteristisch für diese Gebiets-Position der aktuel-
                     • Die „Kieferorthopädie“ mit Wachstum (WT) íst ext-          len Lehre der DGFDT, Deutsche Gesellschaft für Funk-
                       rem „nachhaltig“ (invasiv) im Positiven wie im Ne-         tionsdiagnostik und -therapie ist die Betrachtung des
                       gativen.                                                   Tätigkeitsbereichs als „Gebiet“: Craniomandibuläres
                     • Die „Kieferorthopädie“ definiert den funktionellen         System.
                       Zustand des Kauorgans als Basis für alle nachfol-
                       genden Tätigkeiten des Zahnarztes zeitlebens.              Das oben im Text von Ahlers/Jakstat erwähnte „Kau-
                     • Die „Kieferorthopädie“ wirkt über das „Kauorgan“           organ“ wird im Rahmen des „Craniomandibulären Sys-
                       fachübergreifend und interdisziplinär auf Strukturen       tems“, CMS als Gebiet gesehen. Das Kauorgan wird
                       und Organe des gesamten „Bereichs“ von Kopf und            ausdrücklich - auch mit Verweis auf „rechtliche Gren-
                       Hals als Funktionseinheit.                                 zen“ - auf den Gebietsbereich des Kauorgans einge-
                     • Kieferorthopädie hat den höchsten Grad an Invasi-          grenzt. Das Problem hierbei:
                       vität in der Medizin und ist Schicksal bestimmend.
                                                                                  Ein Gebiet kann keine Wirkung haben - im Gegensatz
                     Zahnmedizin                                                  zu einem Organ, dessen Aufgabe es ist, u.a. Wirkun-
                                                                                  gen im Rahmen des Organsystems des Organismus zu
                     Allgemeine rezente Zahnmedizin / Zuständigkeitsge-           haben.
                     biet und Folgen                                              Abb. 3

                     Aktueller Stand der interdisziplinären Zahnmedizin „in
                     Diagnostik und Therapie bei Verdacht auf CMD“7 [Ah-
                     lers/Jakstat]:

                     „Die klassischen zahnärztlichen Mittel beinhalten je-
                     doch beispielsweise keine Verfahren, mit denen Mus-
                     kel- und Gelenkerkrankungen direkt beeinflussbar
                     sind. Die funktionstherapeutisch ausgerichtete Zahn-
                     heilkunde hat daher in der Vergangenheit verschiede-
                     ne Maßnahmen eingeführt, um diese Einschränkung
                     zu überwinden. Neben physikalischen Anwendungen
                     zählen hierzu physiotherapeutische Übungen und na-
                     türlich das psychosomatisch wirkende ärztliche Aufklä-
                     rungs- und Beratungsgespräch.

                     Die frühe Spezialisierung in der Ausbildung, die Akzep-
                     tanz von Seiten der Patienten und der Rechtsrahmen,
                     setzen der zahnärztlichen Diagnostik jedoch Grenzen.
                     So ist der Zahnarzt nach aktueller Rechtsprechung zu-
                     ständig für alle Erkrankungen, die neben den Zähnen
                     und dem Zahnhalteapparat im engeren Sinne auch den
                     Bereich des Kauorgans und der dafür erforderlichen
                     Gewebe im weiteren Sinne umfassen.

                     Seine Zuständigkeit endet somit jenseits der Kieferge-
                     lenke bzw. der für die Kaufunktion erforderlichen Mus-       Der Zahnarzt als Gatekeeper“ nach Ahlers/Jakstat 7, S. 392: Klini-
                                                                                  sche Funktionsanalyse
                     kulatur und Stützgewebe.“ (Abb. 3)

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                                                   J. Compr. Dentof. Orthod. + Orthop. (COO) Umf. Dentof. Orthod. u. Kieferorthop. (UOO)
No. 1-2 / 2020 (c)
Approbationsordnung                               fachlich

Die Wirkungen des Kauorgans und speziell die dys-            • Die Termini „Craniomandibuläres System“ oder „Cra-
funktionellen Wirkungen eines Kauorgans werden aus-            niomandibuläre Dysfunktion, CMD“ erlauben keine
drücklich ausgegrenzt. Die neue Approbationsordnung            (ausreichende) Krankheitsdefinition. Die Diagnose
2020 lenkt aber den Schwerpunkt speziell auf die Wir-          „CMD“ wird auch von der DGFDT als „Sammelbe-
kungen bzw. auf die dysfunktionellen Wirkungen von             griff“ eingestuft, deren „spezifischen“ Befunde bzw.
Organen auf die vernetzten Nachbarorgane, -Gewebe              Symptome im „CMD-Kurzbefund“ definiert werden:
und -Funktionsräume.                                           „Mundöffnung asymmetrisch oder eingeschränkt,
                                                               Geräusche der Kiefergelenke bzw. der Okklusion,
Die Auslegungen des Zuständigkeitsbereiches der                schmerzhafte Muskulatur und exzentrische Okklu-
sog. Nebendiagnosen bzw. insbesondere der sog. Dif-            sion“.
ferenzialdiagnosen nach Ahlers/Jakstat, DGFDT ent-           • Während der Begriff CMD als ein Sammelbegriff ein-
sprechen nicht mehr den Ansprüchen der neuen Sicht-            gestuft wird, wird eine verfeinerte Differenzierung
weise der aktuellen Approbationsverordnung 2020.               vorgenommen in: „Differenzierte Initialdiagnosen“
                                                               bzw. Primärdiagnosen“: „Okklusopathie“, „Myopa-
Unverständliche Logik der DGFDT                                thie“ und „Arthropathie“.
Während nach Ahlers/Jakstat, DGFDT fachübergrei-             • Weitere „Beschwerden“ und „ Beobachtungen“ (Ah-
fende Wirkungen eines Dysfunktionellen Kauorgans               lers/Jakstat S. 322 / 323), welche eine interdiszipli-
auf Nachbardisziplinen weitgehend ausgeschlossen               näre Perspektive beinhalten, werden unter „Neben-
werden – und damit auch den Zuständigkeitsbereich              diagnosen“ definiert, „welche in der Regel jedoch
der Zahnmedizin bzw. der Kieferorthopädie - räumen             nicht durch zahnärztliche Maßnahmen zu behandeln
obige Autoren und Instanzen umgekehrt insbesonde-              sind.“
re „den verschiedenen Einflüssen anderer Organsys-           • „Im Gegensatz zu den beschriebenen Nebendi-
teme auf die Funktion des Kauorgans“ eine richtungs-           agnosen stehen ‚Differenzialdiagnosen‘ nicht in
weisende Präferenz ein. Hierdurch werden Wirkungen             kausalem Zusammenhang mit craniomandibulären
in umgekehrter Richtung von der Zahnmedizin auf die            Dysfunktionen. Sie erfordern daher eine umgehen-
Humanmedizin von Ahlers/Jakstat weitestgehend aus-             de Überweisung an die diesbezüglich zuständigen
geschlossen: S. 393:                                           Fach- bzw. Gebietsärzte.“ [S.326] Dieser kategori-
„Die nachfolgenden Kapitel beschreiben daher die               sche Ausschluss der Zuständigkeit der Zahnmedi-
verschiedenen Einflüsse anderer Organsysteme auf               zin / Kieferorthopädie von „Differenzialdiagnosen“
die Funktion des Kauorgans sowie die Möglichkeiten             ist aus der „Gebietsperspektive“ nachvollziehbar,
der entsprechenden medizinischen Nachbardiszipli-              widerspricht jedoch der Organperspektive und der
nen in der konsiliarischen Diagnostik und Therapie.“           Ausrichtung der neuen interdisziplinären Perspekti-
Offensichtlich wird in der rezenten Zahnmedizin nicht          ve der ÄApprO 2020 und der ZÄApprO 2020.
erkannt, dass das Kauorgan als Organ eine Wirkung
hat - auch eine Wirkung auf andere Organe – umge-            Die Schlussfolgerung der begrenzten Perspektive der
kehrt aber wohl. Diese widersprüchlichen Grundlagen          aktuellen Zahnmedizin und Kieferorthopädie wird im
auf der Basis von metrischen Gebietsperspektiven wi-         richtungsweisenden Buch „Klinische Funktionsdiag-
dersprechen der Intention der aktuellen Approbations-        nostik“, Ahlers/Jakstat der DGFDT auch auf S. 116 be-
ordnung 2020.                                                stätigt:

Folgerung:                                                   „Es wurde dargestellt, dass die Symptomatik „CMD“
Die metrisch begrenzten Definitionen der Fachdiszi-          sehr facettenreich ist. Deshalb kann sie auch so leicht
plinen Zahnmedizin und Kieferorthopädie widerspre-           durch das „diagnostische Sieb“ fallen. Warum (?): Es
chen der Grundstruktur des Organismus mit interdiszi-        fehlt ein Leitsymptom!“
plinärer Vernetzung, der Intention des Gutachtens des
Wissenschaftsrates 2005 und der richtungsweisenden
Neuorientierung der Approbationsordnung 2020:

                                                                                                                        25
J. Compr. Dentof. Orthod. + Orthop. (COO) Umf. Dentof. Orthod. u. Kieferorthop. (UOO)
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fachlich                                    Approbationsordnung

                     Zum näheren Verständnis: Die Organstruktur des Or-               Allgemeine / interdisziplinäre Folgerung
                     ganismus (Abb. 4)
                                                                                      Das „Fehlende Leitsymptom“ der rezenten Zahnme-
                     Die Gebietsmedizin/Fachdisziplin geht vom Organ als              dizin und Zahnheilkunde ist nicht augenscheinlich im
                     „Gebiet“ und „Gebietszuständigkeit“ aus, und forscht             Zahnheilkundegesetz zu erkennen; es ist jedoch aus
                     „in die Tiefe“ mit Verlust der Perspektive „vom Ganzen“.         dem Terminus „Krankheit“ abzuleiten:

                     Die Approbationsordnungen der Medizin und Zahn-                  §1, Absatz (3) Ausübung der Zahnheilkunde ist die
                     medizin 2020 führen nun zur Vernetzung der „Spezi-               berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftliche Er-
                     alkenntnisse“ der „Organmedizin“ mit den Organsys-               kenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung
                     temen zum Gesamtorganismus.                                      von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. Als Krank-
                                                                                      heit ist jede von der Norm abweichende Erscheinung
                     „Das Ganze ist mehr als seine Einzelteile“.                      im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer an-
                                                                                      zusehen, einschließlich der Anomalien der Zahnstel-
                                                                                      lung und des Fehlens von Zähnen.

                                                                                      Es fehlt eine medizinische Definition der Zahnmedizin
                                                                                      und Kieferorthopädie, welche auch der interdisziplinä-
                                                                                      ren Perspektive der neuen medizinischen Approbati-
                                                                                      onsordnungen der Allgemeinmedizin und Zahnmedizin
                                                                                      entspricht. Daher wird eine medizinische Definition von
                                                                                      Zahnmedizin und Kieferorthopädie formuliert:
                     Abb. 4
                                                                                      Die medizinische Definition der Zahnheilkunde und
                                                                                      Kieferorthopädie als Organmedizin:

                                                                                      Die interdisziplinäre Zahnheilkunde und -Kieferortho-
                                                                                      pädie, id-ZM / id-KFO

                                                                                      Die id-ZM und id-Kfo ist die Lehre von

                                                                                      (A) der Grundbeschaffenheit des Organs
                                                                                      • vom Bau,
                                                                                      • von der Funktion,
                                                                                      • von der Funktionsentwicklung,
                                                                                      • von den Funktionsstörungen
                                                                                      • und von den Erkrankungen des Kau-Schluckorgans,
                                                                                      • seinen Anhangsorganen und
                                                                                      • deren medizinischen Behandlung
                                                                                      (B) Entwicklungsprozess und Wirkungsprozess
                                                                                      • Die medizinische Definition der Zahnheilkunde und
                                                                                         Kieferorthopädie erfolgt bei der id- ZM und id-KFO
                                                                                         über das Kau-Schluck-Organ, KSO.
                                                                                      • Das Kau-Schluckorgan entwickelt sich aus dem pri-
                     Darstellung des Organismus und seine biologische Struktur. Das
                                                                                         mären Saug-Schluckorgan über und durch erlernte
                     Organ stellt den bisherigen „Scheideweg“ der Fachdisziplinen        Fertigkeiten und Fähigkeiten.
                     zum Organismus dar.
                                                                                      • Das KSO wirkt als Organ interdisziplinär.

            26
                                                       J. Compr. Dentof. Orthod. + Orthop. (COO) Umf. Dentof. Orthod. u. Kieferorthop. (UOO)
No. 1-2 / 2020 (c)
Approbationsordnung                               fachlich

Erweiterte interdisziplinäre Zuständigkeit des Zahn-           Schlussfolgerungen
arztes und des Kieferorthopäden
                                                               • Interdisziplinäre Zusammenarbeit der Medizin, der
Die Neuausrichtung der interdisziplinären medizini-              Zahnmedizin und Kieferorthopädie basiert auf der
schen Zuständigkeit der Zahnmedizin und Kieferor-                Grundlage der Wirkung von Organen und der Or-
thopädie nach der Approbationsordnung 2020 ergibt                ganvernetzung.
sich aus dem funktionellen Wirkungsbereich des Kau-
Schluckorgans und der Funktionseinheit von Kopf und            • Aus dem „Fachübergreifenden Wirkungsbereich“
Hals (Abb. 5):                                                   des Kau-Schluck-Organs, KSO ergibt sich mit der
                                                                 „Konsiliarabstimmung“ zwingend eine deutliche, in-
                                                                 terdisziplinäre Erweiterung der ursächlichen Zustän-
                                                                 digkeit des Zahnarztes und des Kieferorthopäden.

                                                               • Die „orofaziale“ Ausrichtung der rezenten Kieferor-
                                                                 thopädie ist als Grundlagenfehler einzustufen.

                                                               Literatur

Abb. 5                                                         1.   ZÄApprO 2020: Nach Verordnung des BMG, Bundesministe-
                                                                    rium für Gesundheit zur Neuregelung der zahnärztlichen Aus-
                                                                    bildung vom 08. Juli 2019
                                                               2.   Wissenschaftsrat, WR: Konzentrationsprozess in der Zahn-
                                                                    medizin an den Universitäten erforderlich: Pressemitteilung
                                                                    05/05; Berlin, 31. Januar 2005
                                                               3.   Kahl-Nieke, B. Einführung in die Kieferorthopädie, S. 3;
                                                                    Deutsch. Zahnärzteverlag, 3. Auflage.]
                                                               4.   Rüdiger Saekel, Ministerialrat a.D.; Bundesministerium für
                                                                    Gesundheit: Gutachten Kieferorthopädie 2001: Statistische
                                                                    Erfolgsquote in der Kieferorthopädie [Ausschnitt]
                                                               5.   Wilhelm Frank, Karin Pfaller, Brigitte Konta: Mundgesundheit
                                                                    nach kieferorthopädischer Behandlung mit festsitzenden Ap-
                                                                    paraten /2008 KFO-Gutachten im Auftrag des BMG / DIMDI,
                                                                    HTA-Bericht 66; DIMDI deutsche Agentur für HTA des Deut-
                                                                    schen Instituts für Medizinische Dokumentation und Informa-
                                                                    tion
                                                               6.   GES Institut Berlin, Gutachten Kieferorthopädie 2018: Anja
                                                                    Hoffmann, Simon Krupka, Cornelia Seidlitz, Stephanie Suss-
                                                                    mann, Inga Sander, Holger Gothe: Kieferorthopädische Be-
                                                                    handlungsmaßnahmen
                                                               7.   Ahlers/Jakstat, Klinische Funktionsanalyse. S. 391, 392; Den-
                                                                    taConcept, 2011, 4. Auflage

Darstellung der interdisziplinären Neuorientierung durch die
Approbationsordnungen 2020 nach dem Wirkungsprinzip von
Organen

                                                                                                                                    27
J. Compr. Dentof. Orthod. + Orthop. (COO) Umf. Dentof. Orthod. u. Kieferorthop. (UOO)
                                                                                                                                    No. 1-2 / 2020 (c)
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