Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben? - Bernhard Stüer Münster

Die Seite wird erstellt Niklas-Daniel Konrad
 
WEITER LESEN
Aufsätze                  Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?

Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung
nur durch Neustart zu beheben?
von Prof. Dr. Bernhard Stüer und Dr. Eva-Maria Stüer,
Münster/­Osnabrück*
Das Planungsrecht befindet sich alles in allem hin-    Fortentwicklung der
sichtlich der rechtlichen Anforderungen in einem       Öffentlichkeitsbetei-
guten Fahrwasser. Die Grundlagen sind durch die        ligung im räumlichen
Bau-, Fachplanungs- und Umweltgesetze sowie            Planungs- und Zu-
die Verfahrensregelungen alles in allem auskömm-       lassungsrecht befasst.
lich gelegt. Die Rechtsprechung hat verschiedent-      Er setzt sich darin für
lich sogar einzelne Nischen und Winkel geradezu        eine Akzeptanzgewin-
mit einem juristischen Brenngas ausgeleuchtet.         nung durch höherran-
Gelegentlich schlagen allerdings vor allem aus         giges Recht, der die
dem Bereich des europäischen Umweltrechts ei-          Durchsetzungskraft
nige Wellen über Bord, die das Schiff etwas aus        der Öffentlichkeitsbe-
dem Gleichgewicht bringen können. Von einem            teiligung stärken wür-
solchen Vorgang ist hier zu berichten.                 de, ein. Anschließend
                                                       befasst sich der Autor
Dabei ergeben sich auch im Bereich der Planre-         mit den höherrangi-
paratur im Recht der Bauleitplanung und dem            gen Absicherungen
der Fachplanung übergreifende Gemeinsamkei-            des Beteiligungsrechts
ten – aber vielleicht auch einige Besonderheiten.      der Öffentlichkeit. Das schließt eine verfassungs-
Denn während die Bauleitplanung der planenden          rechtliche Absicherung ein. Erbgut beschreibt ver-
Gemeinden im Gewande der Satzung erscheint,            schiedene Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung.
steht im Fachplanungsrecht traditionell der als        Neben die vertikale Öffentlichkeitsbeteiligung
Verwaltungsakt erlassene Planfeststellungsbe-          tritt die horizontale Öffentlichkeitsbeteiligung,
schluss im Mittelpunkt des Interesses. Die Satzung     wie sie vor allem für Planungsverfahren und Ge-
ist Rechtsnorm, bei der lediglich deren Ungültig-      nehmigungsentscheidungen kennzeichnend ist.
keit nach § 47 Abs. 5 VwGO, nicht aber deren Gül-      Bei der vertikal gestuften Entscheidungsfindung
tigkeit vom OVG/VGH mit verbindlicher Wirkung          unterscheidet Erbguth zwischen der Öffentlich-
gegenüber jedermann festgestellt werden kann.          keitsbeteiligung auf planerischer Ebene, die bereits
Der Planfeststellungsbeschluss kann in Bestands-       höherstufig beginnt, der Öffentlichkeitsbeteiligung
kraft erwachsen und gibt dann eine verbindliche        auf mittlerer Ebene sowie auf Zulassungsebene, die
Grundlage für die Rechtsbetroffenen.                   ebenfalls nicht vernachlässigt werden darf. Zu den
                                                       weiteren Rahmenbedingungen für die Akzeptanz
Das Europarecht kennt allerdings diese Unter-          zählt der Autor eine mögliche Verbesserung der
schiede nicht. So kann es geschehen, dass euro-        Kommunikation und die Zeitgerechtigkeit der
päische Umweltvorgaben durchaus unterschiedli-         Öffentlichkeitsbeteiligung und spricht sich für
che Auswirkungen haben, ob sie für das Bau- oder       eine ergänzende Gesetzgebung aus, die zur Ak-
das Fachplanungsrecht gelten. Die UVP-RL mit           zeptanzverbesserung beitragen kann. Der Schwer-
der danach gebotenen Öffentlichkeitsbeteiligung        punkt liegt dabei insbesondere auf der Mediation.1
könnte dafür ein gutes Bespiel sein.                   Von den Rahmenbedingungen her ist das Feld der
                                                       ­Öffentlichkeitsbeteiligung also recht gut bestellt.
A. Stellenwert der Öffentlichkeitsbetei-
ligung bei Planungs- und Zulassungsent-
scheidungen                                            * Die Verfasser sind Rechtsanwälte und Fachanwälte für Verwal-
In seinem Beitrag UPR 2018, 121 hat sich Wilfried        tungsrecht.
Erbguth im vorigen Jahr sehr eingehend mit der         1 Dazu bereits Erbguth, NVwZ 1992, 551.

40                                                                                               BauR 1 · 2019
Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?                       Aufsätze

Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich            innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass
vor diesem Hintergrund auf die Frage, welche Fol-        Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die ein
gen eine fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung hat,     ausreichendes Interesse haben oder eine Rechtsver-
wer sich darauf berufen kann und wie dieselben           letzung geltend machen, Zugang zu einem Über-
repariert werden können.                                 prüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer
                                                         anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen
B. Europarechtliche Vorgaben zur UVP                     unabhängigen und unparteiischen Stelle haben,
und zu den Rechtsschutzmöglichkeiten der
betroffenen Öffentlichkeit und der an-
erkannten Verbände                                       2 V. 27.06.1985 (85/337/EWG), geändert durch die Richtlinie
Aber zunächst zum europarechtlichen Rahmen. Die            des Rates v. 03.03.1997 (97/11/EG) – ABl. Nr. L 73, 5 – (UVP-
                                                           Änderungs-Richtlinie) sowie die Richtlinie des Europäischen
Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung          Parlaments und des Rates v. 26.05.2003 (2003/35/EG); Erb-
bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten         guth/Schink, UVPG.
(UVP-Richtlinie) ist in ihrer Ursprungsfassung im        3 Erbguth, ZUR 2014, 515; grundlegend bereits Hoppe,
Jahre 1985 erlassen und wurde durch die UVP-Änd-           VVDStRL 38 (1980), 211; Appold, in: Hoppe (Hrsg.),
                                                           UVPG 1995; Bartlsperger, DVBl 1987, 1; Battis, NuR 1988,
Richtlinie im Jahre 1997, die Öffentlichkeitsbetei-        57; ders., NuR 1995, 448; Beckmann, Verwaltungsgerichtli-
ligungs-Richtlinie 2003/35/EG und die Richtlinie           cher Rechtsschutz im raumbedeutsamen Umweltrecht, 1987;
2014/52/EU vom 14.04.2014 inzwischen mehrfach              ders., in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 1995; Bender/Sparwasser/
geändert.2 Die UVP-Richtlinie schreibt in Art. 4           Engel, Umweltrecht; Blümel, DVBl 1977, 301; Breuer, Ver-
                                                           fahrens- und Formfehler der Planfeststellung für raum- und
Abs. 1 den Mitgliedstaaten für bestimmte Projekte,         umweltrelevante Großvorhaben; ders., FS H. Sendler 1991,
die in ihrem Anhang I aufgeführt sind, die Durch-          357; ders., Umweltrecht 1995, 433; Burgi, JZ 1994, 654; Di
führung einer UVP vor.3                                    Fabio, DVBl 1994, 1269; Dienes, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG,
                                                           1995; Erbguth, BayVBl.1983, 129; ders., Raumbedeutsames
Dabei werden die allgemeine Öffentlichkeit und             Umweltrecht 1986; ders., Rechtssystematische Grundfragen des
die betroffene Öffentlichkeit unterschieden. Die           Umweltrechts 1987; ders., UPR 1987, 409; ders., VerwArch. 81
allgemeine Öffentlichkeit besteht aus natürlichen          (1990), 327; ders., VR 1990, 293; ders., Die Verwaltung 1991,
                                                           283; ders., NVwZ 1993, 956; Erbguth/Schink, EuZW 1990,
oder juristischen Personen und, in Übereinstim-            531; dies., UVPG, 1996; Erbguth/Schoeneberg, WiVerw. 1985,
mung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften           102; Erbguth/Stollmann, NuR 1993, 249; dies., UPR 1994,
oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigun-        81; Hoppe, FS Scupin 1983, 737; Hoppe/Appold, DVBl 1991,
gen, Organisationen oder Gruppen. Der Begriff              1221; Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, 2000; Hoppe/
                                                           Püchel, DVBl 1988, 1; Jarass, UVP bei Industrieanlagen, 1987;
der allgemeinen Öffentlichkeit hat vor allem für           ders., UVP bei Industrievorhaben, 1987; ders., Auslegung und
die erstmalige Verfahrensbeteiligung Bedeutung.            Umsetzung der UVP-Richtlinie, 1989; Jarass/Kloepfer/Kunig/
Davon unterscheidet Art. 1 Abs. 2 UVP-Richtlinie           Papier/Peine/Rehbinder/Salzwedel/Schmidt-Aßmann, UGB-
die betroffene Öffentlichkeit. Es handelt sich dabei       BT, 1992; Jarass/Neumann, Umweltschutzrecht und EG, 1994;
                                                           Kloepfer, Umweltrecht, 1989; ders., Umweltrecht, 1992, S. 587;
um die von umweltbezogenen Entscheidungsver-               ders., Jura 1993, 583; ders., Zur Geschichte des deutschen Um-
fahren gem. Art. 2 Abs. 2 UVP-Richtlinie betrof-           weltrechts, 1994; Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Ku-
fene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit         nig, UGB-AT, 1990; Krautzberger, UPR 1992, 1; ders., StuGB
oder die (allgemeine) Öffentlichkeit mit einem In-         1989, 111; Lübbe-Wolff (Hrsg.), Umweltschutz durch kommu-
                                                           nales Satzungsrecht, 1993; Marburger, Gutachten C zum 56.
teresse daran. Im Sinne dieser Begriffsbestimmung          DJT Berlin 1986; Passlick, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 1995;
haben Nichtregierungsorganisationen, die sich für          Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, DVBl 1988, 21;
den Umweltschutz einsetzen und allen nach in-              Rengeling, Europäisches Umweltrecht und europäische Um-
nerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen             weltpolitik, 1988; ders., KrW-/AbfG 1994; Salzwedel (Hrsg.),
                                                           Grundzüge des Umweltrechts, 1982; Schink, NVwZ 1991, 935;
erfüllen, ein Interesse. Ist also die betroffene Öf-       Schmidt-Aßmann, DÖV 1979, 1; ders., in: Umweltschutz im
fentlichkeit zu beteiligen, so sind dies in ihren ab-      Recht der Raumplanung, 1982, 117; ders., NVwZ 1987, 265;
wägungserheblichen Belangen betroffene Bürger4             ders., DÖV 1990, 169; B. Stüer, DVBl 1988, 181; ders., NuR
sowie die anerkannten Naturschutzvereinigungen.5           1988, 182; ders., DVBl 1990, 197; ders., DVBl 1996, 93.
                                                         4 BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 – IV C 105.66, BVerwGE 34,
Zudem sind in der Tendenz die Klagerechte der              301 = DVBl 1970, 414; Urt. v. 14.02.1975 – IV C 21.74,
                                                           BVerwGE 48, 56 = DVBl 1975, 717 – B 42; Beschl. v.
Öffentlichkeit und der Naturschutzvereinigun-              09.11.1979 – 4 N 1.78, BVerwGE 59, 87 = DVBl 1980, 233,
gen erweitert worden. Nach Art. 11 UVP-Richt-              B. Stüer, DVBl 1985, 466.
linie stellen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer        5 Zur Abwägungsfehlerlehre Erbguth, DVBl 1986, 1230.

BauR 1 · 201941
Aufsätze                  Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?

um die materiellrechtliche und verfahrensrechtli-      Verwirklichung der Ziele der UVP-RL zwar zwei
che Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Hand-           verschiedenen Behörden übertragen, muss aber ge-
lungen oder Unterlassungen anzufechten, für die        währleisten, dass die jeweiligen Befugnisse dieser
die Bestimmungen der UVP-Richtlinie über die           Behörden eine vollständige und rechtzeitige Prü-
Öffentlichkeitsbeteiligung gelten. Die Mitglied-       fung vor Erteilung der Genehmigung durchgeführt
staaten haben hier einen gewissen Entscheidungs-       wird.13
spielraum. Sie legen fest, in welchem Verfahrens-
                                                       Den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit
stadium die Entscheidungen, Handlungen oder
                                                       nach Art. 11 der UVP-RL muss ein ausreichender
Unterlassungen angefochten werden können. Auch
                                                       Rechtsschutz eröffnet sein – gleichviel, welche Rol-
können sie in einem gewissen Rahmen bestimmen,
                                                       le sie in dem Verfahren über den Genehmigungs-
was als ausreichendes Interesse und als Rechtsver-
                                                       antrag vor dieser Stelle durch ihre Beteiligung an
letzung gilt. Allerdings sind die Mitgliedstaaten
                                                       und ihre Äußerung an diesem Verfahren spielen
zugleich auf das Ziel eines weiten Zugangs der Öf-
                                                       konnten. Diese Beteiligung hat daher keine Aus-
fentlichkeit zu Gericht verpflichtet.
                                                       wirkungen auf die Voraussetzungen für die Aus-
Das Interesse der anerkannten Naturschutzver-          übung des Anfechtungsrechts.14 Auch muss die
einigungen gilt dabei als ausreichendes Interesse,     Möglichkeit eines Eilrechtsschutzes bestehen.15
das zu einer gerichtlichen Prüfung berechtigt.6 Die    Die Präklusionsregelungen des deutschen Rechts
Verfahren müssen fair, gerecht, zügig und nicht        (§ 73 IV 3 VwVfG) sind mit Hinweis auf diese
übermäßig teuer durchgeführt werden. Die Mit-          Vorschrift inzwischen vom EuGH für nicht an-
gliedstaaten müssen der Öffentlichkeit im Sinne        wendbar erklärt worden.16
eines effektiven Rechtsschutzes praktische Infor-
                                                       Auch Verbände müssen einen ausreichenden
mationen über den Zugang zu verwaltungsbehörd-
                                                       Rechtsschutz haben. Art. 11 UVP-RL steht daher
lichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahren
                                                       Rechtsvorschriften entgegen, die anerkannten Um-
zur Verfügung stellen.
                                                       weltverbänden nicht die Möglichkeit zuerkennt, im
Zur für Projekte geltenden UVP-RL7 und zur für         Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entschei-
Pläne und Programme geltenden SUP-RL8 hat der
EuGH inzwischen eine umfangreiche Rechtspre-
chung entwickelt. Die Begriffe der „Projekte“ oder      6 Schlacke, EurUP 2018, 127.
„Pläne und Programme“, die eine UVP- bzw. SUP-          7 Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften
                                                          v. 27.06.1985 über die UVP bei bestimmten öffentlichen
Pflicht auslösen, sind sehr weit9 und erfassen auch       und privaten Projekten – 85/337/EWG, ABl. L 175, S. 40;
Änderungen von Vorhaben.10                                Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates
                                                          v. 13.12.2011 über die UVP bei bestimmten öffentlichen und
Bei Plänen für kleinräumige Gebiete auf nationa-          privaten Projekten – 2011/92/EU, ABl. v. 28.01.2012, L 26,
ler Ebene hat der Gesetzgeber zwar einen Spiel-           S. 1; Erbguth, UPR 2003, 321.
raum.11 Art. 3 V i.V.m. Art. 3 Abs. 3 SUP-RL steht      8 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlamentes und des
                                                          Rates v. 27.06.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkun-
nationalen Regelungen allerdings entgegen, die            gen bestimmter Pläne und Programme ABl. v. 21.07.2001,
allgemein und ohne Einzelfallprüfung vorsehen,            Nr. L 197, S. 30: Erbguth/Schubert, DöV 2005, 533; dies.,
dass eine Prüfung nach der SUP-RL dann nicht              ZUR 2005, 524.
durchgeführt werden muss, wenn sich die Pläne,          9 EuGH, Urt. v. 15.10.2009 – C-263/08, NVwZ 2009, 1553 –
                                                          Stromleitungstunnel.
die die Nutzung kleiner Gebiete auf lokaler Ebene      10 EuGH, Urt. v. 28.02.2008 – C-2/07, NuR 2008, 255 – Flug-
festlegen, nur auf einen Gegenstand wirtschaft-           hafen Lüttich-Bierset.
licher Betätigung beziehen. Auch eine nach der         11 EuGH, Urt. v. 18.04.2013 – C-463/11, DVBl 2013, 777 mit
UVP-RL für bestimmte öffentliche und private              Anm. Stüer/Garbrock.
                                                       12 EuGH, Urt. v. 22.09.2011 – C-295/10, NVwZ 2012, 291 –
Projekte durchgeführte UVP entbindet nicht von            Intensivtierhaltung von Schweinen.
der Verpflichtung, eine nach der SUP-RL für Plä-       13 EuGH, Urt. v. 03.03.2011 – C-50/09, NVwZ 2011, 929.
ne und Programme erforderliche Umweltprüfung           14 EuGH, Urt. v. 15.10.2009 – C-263/08, NVwZ 2009, 1553 –
durchzuführen.12 Die Prüfung der unmittelbaren            Stromleitungstunnel.
                                                       15 EuGH, Urt. v. 15.01.2013 – C-416/10, NVwZ 2013, 347 –
und mittelbaren Wirkungen eines Projektes muss            Abfalldeponie zur IVU-RL 96/61/EG.
dabei in vollem Umfang vor der Genehmigung             16 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, DVBl 2015, 1514,
durchgeführt werden. Der Mitgliedstaat kann die           B. Stüer/Buchsteiner 1522.

42                                                                                              BauR 1 · 2019
Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?                    Aufsätze

dung, mit der Projekte mit möglicherweise erheb-         lichkeit geprüft wird, (2) über die Feststellung der
lichen Umweltauswirkungen genehmigt werden,              UVP-Pflicht des Vorhabens nach § 5 sowie, falls
vor Gericht die Verletzung einer Vorschrift geltend      erforderlich, über die Durchführung einer grenz-
zu machen, die aus dem Unionsrecht hervorgegan-          überschreitenden Beteiligung nach den §§ 54 bis
gen ist und den Umweltschutz bezweckt, weil die-         56, (3) über die für das Verfahren und für die Zu-
se Vorschrift nur die Interessen der Allgemeinheit       lassungsentscheidung jeweils zuständigen Behör-
und nicht die Rechtsgüter einzelner schützt.17 Die       den, bei denen weitere relevante Informationen
Öffentlichkeitsbeteiligung und der Zugang zu Ge-         erhältlich sind und bei denen Äußerungen oder
richten muss auch gewährleistet werden, wenn das         Fragen eingereicht werden können, sowie über
Projekt durch einen Gesetzgebungsakt genehmigt           die festgelegten Fristen zur Übermittlung dieser
worden ist. Falls gegen eine solche Maßnahme kein        Äußerungen oder Fragen, (4) über die Art einer
Rechtsbehelf von der Art und dem Umfang der              möglichen Zulassungsentscheidung, (5) darüber,
Vorgaben der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL mög-         dass ein UVP-Bericht vorgelegt wurde, (6) über
lich ist, obliegt es jedem Gericht, die vorgenannte      die Bezeichnung der das Vorhaben betreffenden
Prüfung durchzuführen und ggf. daraus die Kon-           entscheidungserheblichen Berichte und Empfeh-
sequenz zu ziehen, indem es diesen Gesetzgebungs-        lungen, die der zuständigen Behörde zum Zeit-
akt unangewendet lässt.18                                punkt des Beginns des Beteiligungsverfahrens vor-
                                                         liegen, (7) darüber, wo und in welchem Zeitraum
Nach dem Urteil des EuGH Delena Wells19 zur Ur-
                                                         die Unterlagen nach den Nummern 5 und 6 zur
sprungsfassung der UVP-Richtlinie 1985 kann sich
                                                         Einsicht ausgelegt werden sowie (8) über weitere
der Einzelne unter Umständen auf Bestimmungen
                                                         Einzelheiten des Verfahrens der Beteiligung der
der UVP-Richtlinie berufen. Ferner sind die zu-
                                                         Öffentlichkeit.
ständigen Behörden verpflichtet, im Rahmen ihrer
Zuständigkeiten alle allgemeinen oder besonderen         (§ 19 Abs. 2 UVPG) Im Rahmen des Beteiligungs-
Maßnahmen zu ergreifen, um dem Unterlassen der           verfahrens legt die zuständige Behörde zumindest
UVP eines Projektes im Sinne der UVP-Richtlinie          folgende Unterlagen zur Einsicht für die Öffent-
abzuhelfen. Die Einzelheiten des in diesem Zu-           lichkeit aus: (1) den UVP-Bericht, (2) die das
sammenhang anwendbaren Verfahrens sind nach              Vorhaben betreffenden entscheidungserheblichen
dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mit-           Berichte und Empfehlungen, die der zuständigen
gliedstaaten Sache der nationalen Rechtsordnung          Behörde zum Zeitpunkt des Beginns des Beteili-
eines jeden Mitgliedstaates. Sie dürfen jedoch nicht     gungsverfahrens vorgelegen haben.
ungünstiger sein als diejenigen, die vergleichbare
                                                         Für Pläne und Programme, zu denen die Bauleit-
Sachverhalte interner Art regeln (Äquivalenzprin-
                                                         planung gehört, ist nicht die UVP-RL, sondern die
zip) und die Ausübung der von der Gemeinschafts-
                                                         SUP-RL anwendbar. Diese enthält keine Regelun-
rechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch
                                                         gen über die Informationen der Öffentlichkeit bei
unmöglich machen oder übermäßig erschweren
                                                         der Auslegungsbekanntmachung, sondern (ledig-
(Effektivitätsprinzip).
                                                         lich) über den Umweltbericht (Art. 5 SUP-RL)
                                                         und die Konsultationen (Art. 6 SUP-RL). Nach
C. EU-Vorgaben zur Öffentlichkeits­
                                                         Art. 6 SUP-RL werden der Entwurf des Plans oder
beteiligung
Die UVP-RL, die SUP-RL und die Öffentlich-
keitsbeteiligungs-RL enthalten allerdings nach
ihrem Wortlaut keine detaillierten Anforderun-           17 EuGH, Urt. v. 12.05.2011 – C-115/09, DVBl 2011, 757 –
                                                            Lünen-Trianel.
gen an die Bekanntmachungserfordernisse. § 19            18 EuGH, Urt. v. 18.10.2011 – C-128/09, NVwZ 2011, 1506;
UVPG bestimmt dazu.                                         Urt. v. 16.02.2012 – C-182/10, NVwZ 2012, 617 – Flughäfen
                                                            Lüttich-Bierset und Charleroi-Brüssel Süd und Eisenbahn-
(§ 19 Abs. 1 UVPG) Bei der Bekanntmachung zu                strecke Brüssel-Carleroi; zu den Heilungsmöglichkeiten
Beginn des Beteiligungsverfahrens unterrichtet die          einer unterlassenen Öffentlichkeitsbeteiligung EuGH, Urt.
zuständige Behörde die Öffentlichkeit (1) über den          v. 11.09.2012 – C-43/10, NVwZ-RR 2013, 18 – Umleitung
                                                            des Flusses Acheloos in den Fluss Pineios.
Antrag auf Zulassungsentscheidung oder über eine         19 EuGH, Urt. v. 07.01.2004 – C-201/02, DVBl 2004,
sonstige Handlung des Vorhabenträgers zur Einlei-           370 = EurUP 2004, 57 – Delena Wells; B. Stüer/Hönig, DVBl
tung eines Verfahrens, in dem die Umweltverträg-            2004, 481.

BauR 1 · 201943
Aufsätze                   Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?

Programms und der Umweltbericht den Behörden            ortsüblich bekannt zu machen. Das verlange – so
sowie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und         das BVerwG – zwar keine Auflistung sämtlicher
es wird der Öffentlichkeit innerhalb ausreichend        Stellungnahmen oder gar deren inhaltliche Wie-
bemessener Frist frühzeitig und effektiv Gelegen-       dergabe. Da nur Angaben zu den Arten umweltbe-
heit gegeben, vor der Annahme des Plans oder Pro-       zogener Informationen gefordert würden, reiche es
gramms Stellung zu nehmen. An die Auslegungs-           aus, die vorhandenen (umweltbezogenen) Unterla-
bekanntmachung werden in der SUP-RL keine               gen nach Themenblöcken zusammenzufassen und
Anforderungen gestellt.                                 diese in einer schlagwortartigen Kurzcharakterisie-
                                                        rung zu bezeichnen.
Zwar wird in Art. 6 Abs. 2 und 3 der UVP-RL ver-
langt, dass die Öffentlichkeit durch öffentliche Be-    Das Bekanntmachungserfordernis des § 3 Abs. 2
kanntmachung „frühzeitig im Rahmen umweltbe-            Satz 2 Halbs. 1 BauGB wurde durch das EAG Bau22
zogener Entscheidungsverfahren“ über „die Anga-         auf „Angaben dazu, welche Arten umweltbezoge-
ben über die Verfügbarkeit der Informationen, die       ner Informationen verfügbar sind“, erweitert. Der
gemäß Art. 5 eingeholt wurden“, informiert wird.        Gesetzgeber wollte damit die Vorgaben des Art. 6
Diese Vorschrift gilt aber nur für UVP-pflichtige       Abs. 2 der Århus-Konvention Übereinkommen
Vorhaben, nicht jedoch für Pläne und Programme,         über den Zugang zu Informationen, die Öffent-
welche die Nutzung kleinerer Gebiete auf lokaler        lichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren
Ebene festlegen und die der Mitgliedstaat in die        und den Zugang zu Gerichten in Umweltangele-
Umweltprüfung einbeziehen kann (Art. 3 Abs. 3           genheiten vom 25.06.1998 (Zustimmungsgesetz
SUP-RL), worum es in aller Regel in der Bauleit-        vom 09.12.2006)23 sowie des Art. 3 Nr. 4 der Öf-
planung geht.20                                         fentlichkeitsbeteiligungs-RL24 umsetzen.25
Auch die Århus-Konvention enthält einen entspre-        Andererseits ist das Bekanntmachungserforder-
chenden Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten        nis nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB auf die Angabe
(Art. 6 Abs. 1b) Århus-Konvention).21                   der „Arten“ verfügbarer Umweltinformationen be-
                                                        schränkt. Wie dieser Begriff nahelegt, ist es nicht
D. Bauleitplanung                                       erforderlich, den Inhalt der Umweltinformationen
Das BVerwG hat allerdings für die Offenlagebe-          im Detail wiederzugeben. Es genügt die Angabe von
kanntmachung zur förmlichen Öffentlichkeitsbe-          Gattungsbegriffen. Geschieht dies allerdings nicht,
teiligung recht strenge Anforderungen aufgestellt       ist der Bebauungsplan unwirksam. Formalrechtlich
und diese aus einer Kombination der europarecht-        leitet sich diese Aussage des BVerwG aus den Regeln
lichen Vorgaben und dem deutschen Recht der             zur Offenlage und zu den Wirksamkeitsanforderun-
Bauleitplanung abgeleitet.                              gen in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ab.
§ 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB verpflichtet die Gemein-
den, die in den vorhandenen Stellungnahmen und
Unterlagen behandelten Umweltthemen nach The-           20 Zu den Gestaltungsspielräumen des nationalen Gesetzgebers
menblöcken zusammenzufassen und diese in der               Stüer/Garbrock zu EuGH, Urt. v. 18.04.2013 – C-463/11,
Auslegungsbekanntmachung schlagwortartig zu                DVBl 2013, 777.
                                                        21 Schlacke, ZUR 2004, 129; zur Verbandsklage dies., NuR
charakterisieren. Das Bekanntmachungserforder-             2004, 629.
nis erstreckt sich auch auf solche Arten verfügba-      22 Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien
rer Umweltinformationen, die in Stellungnahmen             (Europarechtsanpassungsgesetz Bau – EAG Bau) v. 24.06.2004
enthalten sind, die die Gemeinde für unwesentlich          (BGBl. I, S. 1359, in Kraft getreten am 20.07.2004; Erbguth,
                                                           Jura 2006, 9. Zum BauROG 1998 und dem dort neu gefassten
hält und deshalb nicht auszulegen beabsichtigt. Die        Städtebaurecht im Verhältnis zum Umweltrecht Erbguth, VR
Hinweisverpflichtungen beziehen sich vielmehr auf          1999, 119; zum Investitions- und Erleichterungs- und Wohn-
alle Unterlagen, die der Gemeinde verfügbar sind.          baulandgesetz Erbguth, NVwZ 2003, 956.
                                                        23 BGBl. II, S. 1251.
Denn nach der vorgenannten Vorschrift sind Ort          24 RL 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
und Dauer der Auslegung sowie „Angaben dazu,               v. 26.05.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der
                                                           Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Pro-
welche Arten umweltbezogener Informationen ver-            gramme, ABl. EU Nr. L 156 S. 17.
fügbar sind“, mindestens eine Woche vor der öf-         25 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks.
fentlichen Auslegung des Bebauungsplan-Entwurfs            15/2250, 44.

44                                                                                                  BauR 1 · 2019
Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?                      Aufsätze

I. Sinn der Auslegungsbekanntmachung                     Das gilt vor allem für den Umweltbericht, der als
Hinweise in Bekanntmachungen auf den beab-               gesonderter Bestandteil der Begründung dem Plan-
sichtigten Regelungsgegenstand haben durchaus            werk beizufügen ist und der entsprechende Darle-
ihren Sinn. So ist es unverzichtbar, durch eine ent-     gungen nach Maßgabe der Anlage 1 zum BauGB
sprechende Kennzeichnung der Thematik bei den            ermittelt, darstellt und bewertet (§ 2a BauGB).
Planbetroffenen eine Anstoßwirkung zu erzeugen.          Die in dem Umweltbericht darzustellenden The-
Die Bekanntmachung der Offenlage eines Bebau-            men sind dabei regelmäßig nach dem Konzept der
ungsplans darf diesen nicht lediglich etwa mit einer     Anlage 1 zum BauGB aufbereitet. Eine Wiederho-
Nummer bezeichnen. Vielmehr ist die ungefähre            lung dieser Themen in der Bekanntmachung zur
Lage des Plangebietes etwa durch eine Kurzbe-            Öffentlichkeitsbeteiligung wird daher regelmäßig
zeichnung oder einen Lageplan zu kennzeichnen.           keine weitergehende Klärung und keine weiteren
Ansonsten wird der Öffentlichkeit nicht klar, um         Informationen bringen, als sie ohnehin den gesetz-
welches Plangebiet es sich handelt.26                    lichen Anforderungen entnommen werden kann –
                                                         vor allem, solange über das Projekt und den Plan
§ 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB will dabei sicherstellen,
                                                         selbst keine (detailreichen) Informationen bekannt
dass die Öffentlichkeitsbeteiligung sich auch auf
                                                         gemacht werden.27
die wesentlichen umweltbezogenen Stellungnah-
men bezieht. Zudem soll auf die Arten der um-
                                                         III. Begrenzter Erkenntnisgewinn
weltbezogenen Stellungnahmen bereits bei der
                                                         Die Öffentlichkeit weiß zwar durch die Ausle-
vorherigen Bekanntmachung hingewiesen werden.
                                                         gungsbekanntmachung so gut wie nichts über den
                                                         Inhalt der Planung oder das Projekt, kann sich aber
II. Funktion der Auslegungsbekanntma-
                                                         ein vergleichsweise verlässliches Bild über die be-
chung
                                                         troffenen Umweltbelange erstellen – so wie wenn
Die Bekanntmachung hat nach der gesetzlichen
                                                         ein Seminarteilnehmer von einer Fortbildungsreise
Zielrichtung (lediglich) die Funktion, auf die
                                                         aus den USA zurückkehrt und auf die Frage nach
erfolgende Offenlage hinzuweisen und die Be-
                                                         seinen Erkenntnissen zur Antwort gibt: „I’m still
urteilung zu ermöglichen, ob durch die Planung
                                                         confused, but on a much higher level“ („Ich verste-
Belange der allgemeinen und betroffenen Öffent-
                                                         he zwar immer überhaupt noch nichts von der Sa-
lichkeit berührt werden. Dazu können auch Um-
                                                         che, aber auf einem wesentlich höheren Niveau“).
weltbelange gehören. Aber letztlich geht es nicht
abstrakt um Umweltinformationen, auf die in der          Zudem dürfen an die Ermittlung der Umweltbe-
Auslegungsbekanntmachung hingewiesen wird.               lange keine überzogenen Anforderungen gestellt
Gegenstand der Bekanntmachung sind vielmehr              werden. Die Prüfung ist auf Angemessenheit, Zu-
die Planung, das Projekt und deren Inhalte, zu           mutbarkeit und Verhältnismäßigkeit zu begrenzen.
der die Öffentlichkeitsbeteiligung stattfindet. So-      Zur UVP nach der UVP-RL hat das BVerwG –
lange sich der Inhalt der Planung auch nicht in          und damit übertragbar auf die Umweltprüfung –
Umrissen aus der Bekanntmachung entnehmen
lässt, nutzen auch mehr oder weniger detaillierte
Hinweise auf zur Verfügung stehende Umwelt-              26 BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 – IV C 9.77, BVerwGE 55,
informationen nichts. Die allgemeine oder be-               369 = DVBl 1978, 815 – Harmonieurteil.
                                                         27 Zur vorhergehenden Rechtsprechung der Instanzgerichte
troffene Öffentlichkeit würde auch durch noch               VGH Kassel, Urt. v. 21.02.2013 – 4 C 1431/12.N; OVG
so detaillierte Hinweise zu vorliegenden einzelnen          Bautzen, Urt. v. 09.03.2012 – 1 C 13/10, LKV 2012, 411;
Umweltinformationen keinen zusätzlichen Er-                 abweichend von OVG Münster, Urt. v. 13.03.2008 – 7 D
kenntnisgewinn auf (eigene) betroffene Belange              34/07.NE, NWVBl 2008, 467; vgl. auch BVerwG, Beschl.
                                                            v. 01.07.2008 – 4 BN 17.08, BauR 2008, 1850; VGH
oder die Wechselwirkungen zwischen Planung                  Mannheim, Urt. v. 20.09.2010 – 8 S 2801/08, DÖV 2011,
oder Vorhaben und Umweltbelangen erhalten.                  245; Urt. v. 13.12.2012 – 3 S 261/10; VGH München, Urt.
Für die Öffentlichkeitsbeteiligung führen daher             v. 13.12.2012 – 15 N 08.1561, DVBl 2013, 314 = UPR 2013,
detaillierte Hinweise auf ausliegende Unterlagen            159; VGH Kassel, Urt. v. 21.02.2013 – 4 C 1431/12.N; weniger
                                                            strenge Voraussetzungen OVG Koblenz, Urt. v. 17.04.2013 –
nicht daran vorbei, die offenliegende Planung und           8 C 11067/12; zu den notwendigen Angaben über die Arten
die ausliegenden Unterlagen zu Umweltinforma-               umweltbezogener Informationen in der Auslegungsbekanntma-
tionen selbst einzusehen.                                   chung OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.07.2013 – 1 MN 90/13.

BauR 1 · 201945
Aufsätze                  Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?

festgestellt: „Die Umweltverträglichkeitsprüfung       schrieben haben. Die Hinweise auf umweltrele-
ist kein allgemeines Suchverfahren, in dem alle        vante Stellungnahmen und Unterlagen in der Be-
nur erdenklichen Auswirkungen eines Vorhabens          kanntmachung muss sich auf die Benennung der
auf Umweltgüter und deren Wertigkeit bis in alle       vorliegenden Unterlagen begrenzen. Ansonsten ist
Einzelheiten und feinste Verästelungen zu unter-       das System kommunaler Bauleitplanung30 wohl
suchen wären und gar Antworten auf in der Wis-         nicht nur bei Großvorhaben nicht mehr handhab-
senschaft bisher noch ungeklärte Fragen gefunden       bar und geht an den Möglichkeiten der Praxis vor-
werden müssten“.28 „Die UVP-RL gibt keinerlei          bei. Das gilt für Bau- und Fachplanung sowie den
Aufschlüsse über Untersuchungsverfahren und            Immissionsschutz gleichermaßen.
Bewertungskriterien. Die Umweltprüfung ersetzt
auch nicht fehlende Umweltstandards. Die Tatsa-        IV. Fehlerunbeachtlichkeit
che, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Pflicht     Fehler in der Beteiligung der Öffentlichkeit sind
und den rechtlichen Rahmen für die Durchfüh-           allerdings nicht unbegrenzt von Bedeutung. Dies
rung der Umweltprüfung geschaffen hat, legt            gilt zunächst in der Reichweite der Bekanntma-
nicht schon den Grundstein für eine verbesserte        chung. Nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2,
Methodik der Ermittlung und der Bewertung von          2. Alt. BauGB ist ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2
Umweltauswirkungen. Was auf diesem Felde die           Satz 2 BauGB unbeachtlich, wenn bei Anwen-
Wissenschaft (noch) nicht hergibt, vermag auch         dung dieser Vorschrift einzelne Angaben dazu,
eine UVP nicht zu leisten. Von der Behörde kann        welche Arten umweltbezogener Informationen
nicht mehr verlangt werden, als dass sie die Annah-    verfügbar sind, gefehlt haben.31 Ist überhaupt auf
men zugrunde legt, die dem allgemeinen Kenntnis-       das Vorliegen von Umweltinformationen etwa im
stand und den allgemein anerkannten Prüfmetho-         Umweltbericht hingewiesen worden, dann müssen
den entsprechen. Die Umweltprüfung ist nicht als       fehlende weitergehende Angaben zu den jeweili-
Suchverfahren konzipiert, das dem Zweck dient,         gen Arten von umweltbezogenen Informationen
Umweltauswirkungen aufzudecken, die sich der           unbeachtlich sein. Anderenfalls würde gefordert,
Erfassung mit den herkömmlichen Erkenntnis-            dass die Angaben über die vorliegenden Arten von
mitteln entziehen“.29                                  umweltbezogenen Informationen weitgehend voll-
                                                       ständig sein müssen.
Eine zu detaillierte Information kann sogar eher
zur Verwirrung als zur Klärung beitragen. Das gilt     Die Fehler in der Bekanntmachung der Öffent-
natürlich besonders für Großprojekte. Bei einer        lichkeitsbeteiligung können auch insgesamt be-
Kraftwerksplanung oder der Planung von Ver-            deutungslos werden. Da es sich um Verfahrens-
kehrsprojekten etwa kann nicht der Inhalt aller zur    anforderungen handelt, sind Mängel, die nicht
Offenlage vorgesehenen Unterlagen in konzent-          innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des
rierten Zusammenfassungen bereits in der Aus-          Bebauungsplans geltend gemacht worden sind,
legungsbekanntmachung wiedergegeben werden.            nach § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich.
Vielfach sind es zigtausende von Umweltinfor-          Danach werden eine nach § 214 Abs. 1 Satz 1
mationen, die gelegentlich schon einmal gut 100        Nr. 1 bis 3 BauGB beachtliche Verletzung der
Leitz-Ordner füllen. Auch eine noch so konzent-        dort bezeichneten Verfahrens- und Formvorschrif-
rierte Zusammenfassung kann die Einsichtnahme          ten unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb eines
in diese Unterlagen nicht ersetzen.                    Jahres seit Bekanntmachung der Satzung schrift-
Eine zu starke Überfrachtung der Auslegungsbe-
kanntmachung nach englischer Gutsherrenart „If
the Turkey doesn´t fly, make him bigger“ („Wenn        28 BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 19.94, BVerwGE 100,
                                                          370 = DVBl 1996, 907 – Münchener Ring.
der Truthahn nicht so richtig fliegen will, mach       29 BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5.95, BVerwGE 100,
ihn fetter“) kann nicht sinnvoll sein und mündet          238 = DVBl 1996, 677 – Eifelautobahn A 60; für den Be-
am Ende in reiner Bürokratie und in das Gegen-            bauungsplan sinngemäß auch Urt. v. 18.11.2004 – 4 CN
teil dessen, was sich nicht nur die Verwaltungs-          4.03, BVerwGE 122, 207 = DVBl 2005, 386 = NVwZ 2004,
                                                          1237 – Diez.
rechtler, aber vor allem auch die Politik mit der      30 Zur Verstärkung der Elemente unmittelbarer Bürgerbeteiligung
bereits geradezu sprichwörtlichen Forderung nach          auf kommunaler Ebene Erbguth, DöV 1995, 793.
„unbürokratischem Handeln“ auf ihre Fahnen ge-         31 Erbguth, DVBl 2004, 802.

46                                                                                                BauR 1 · 2019
Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?                      Aufsätze

lich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des          vorzulegen (§ 16 UVPG). Bei der öffentlichen
die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend         Bekanntmachung zu Beginn des Beteiligungsver-
gemacht worden sind. Für Bebauungspläne, deren           fahrens nach § 9 Abs. 1 UVPG hat die zuständige
Bekanntmachung länger als ein Jahr zurückliegt, ist      Behörde über die Antragsunterlagen, die Feststel-
der vorgenannte Fehler einer unzureichenden Of-          lung der UVP-Pflicht, die zuständigen Behörden,
fenlagebekanntmachung daher unbeachtlich, wenn           die Art einer möglichen Entscheidung, die Angabe
er nicht fristgerecht geltend gemacht worden ist.        der Unterlagen nach § 16 UVPG, den Zeitraum
                                                         der Offenlage und über weitere Einzelheiten zum
Dies dürfte auch europarechtlich halten, da es
                                                         Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung zu unter-
gegenteilige Vorschriften in den erwähnten EG-
                                                         richten (§ 19 UVPG). Die Offenlage selbst bezieht
Richtlinien nicht gibt. Insbesondere existiert keine
                                                         sich auf die Unterlagen nach § 16 UVPG (UVP-
europarechtliche Regelung, wonach nach Ablauf
                                                         Bericht) sowie die der Behörde vorliegenden ent-
entsprechender Fristen Bekanntmachungsfehler
                                                         scheidungserheblichen Berichte und Empfehlun-
zur förmlichen Offenlage gleichwohl weiterhin zu
                                                         gen betreffend das Vorhaben. Nachträglich ein-
beachten sind, also sozusagen zu „Ewigkeitsfeh-
                                                         gehende entscheidungserhebliche Informationen
lern“ führen. Die betroffene Öffentlichkeit muss
                                                         sind der Öffentlichkeit nach den Vorschriften über
nach dem europarechtlichen Richtlinienrecht
                                                         den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich
Rechtsschutzmöglichkeiten gegen UVP-pflich-
                                                         zu machen (§ 19 Abs. 3 UVPG).
tige Planungen und Zulassungsentscheidungen
haben. Diese Rechtsschutzmöglichkeiten können            In der Planfeststellung haben die Gemeinden den
aber zeitlich begrenzt sein, sodass nach Ablauf der      Plan für die Dauer eines Monats öffentlich auszu-
Fristen der Rechtsakt sozusagen „Bestandskraft“ er-      legen (§ 73 Abs. 3 VwVfG). Der Plan besteht aus
langen kann und nicht „ewig“ beklagt werden kann         den Zeichnungen und Erläuterungen, die das Vor-
und sozusagen „in der Luft“ hängt. Das BVerwG            haben, seinen Anlass und die von dem Vorhaben
hatte zwar einen Vorlagebeschluss gefasst, um die        betroffenen Grundstücke und Anlagen erkennen
Europarechtskonformität des § 215 Abs. 1 Nr. 1           lassen (§ 73 Abs. 2 Satz 2 VwVfG). Die Auslegung
BauGB vor dem EuGH klären zu lassen.32 Das Ver-          ist vorher ortsüblich bekannt zu machen. In der
fahren hat sich jedoch ohne Klärung der Rechts-          Bekanntmachung ist darauf hinzuweisen, wo und
frage erledigt.                                          in welchem Zeitraum der Plan zur Einsicht aus-
                                                         liegt, dass Einwendungen fristgemäß vorgebracht
Auch muss ein sich abzeichnendes Bröckeln der
                                                         werden müssen, beim Ausbleiben eines Beteiligten
Kausalitätsanforderungen, wonach Verfahrensfeh-
                                                         im Erörterungstermin auch ohne ihn verhandelt
ler nur erheblich sind, wenn sie sich auf das Er-
                                                         werden kann und die Benachrichtigung über den
gebnis der Entscheidung ausgewirkt haben (kön-
                                                         Erörterungstermin ggf. auch durch öffentliche
nen),33 verhindert werden.
                                                         Bekanntmachung erfolgen kann (§ 73 Abs. 5
Und die aus der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL           VwVfG).35
abgeleiteten Überlegungen zu einer Popularklage34
                                                         Im Immissionsschutzrecht ist für genehmigungs-
könnte am Ende einschneidende Wirkungen ha-
                                                         bedürftige Anlagen das Vorhaben nach Voll-
ben und nicht nur die Planung von Großprojekten
                                                         ständigkeit der Unterlagen öffentlich bekannt zu
vor größere Schwierigkeiten stellen.
                                                         machen. Der Antrag und die vom Antragsteller
                                                         vorgelegten Unterlagen sowie die der Behörde vor-
E. Anforderungen des UVPG, des
                                                         liegenden entscheidungserheblichen Berichte und
BImSchG und des VwVfG                                    Empfehlungen sind nach der Bekanntmachung
Folgerichtig werden bei der Zulassung von UVP-
pflichtigen Vorhaben, im Planfeststellungs- und im
Immissionsschutzrecht derartige Anforderungen            32 BVerwG, Beschl. v. 14.03.2017 – 4 CN 3.16, DVBl 2017, 767
an die Auslegungsbekanntmachung vom Gesetzge-               m. Anm. Stüer.
ber auch nicht gestellt. Bei der Beteiligung der Öf-     33 Dazu bereits grundlegend die Nachw. in Fn. 29.
                                                         34 B. Stüer/Garbrock zu EuGH, Urt. v. 18.04.2013 – C-463/11,
fentlichkeit sind vom Träger eines UVP-pflichtigen          DVBl 2013, 777.
Vorhabens die entscheidungserheblichen Unterla-          35 Zu verfassungs- und europarechtlichen Aspekten der Deregu-
gen über die Umweltauswirkungen des Vorhabens               lierung im Planfeststellungsverfahren Erbguth, UPR 1999, 41.

BauR 1 · 201947
Aufsätze                   Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?

einen Monat zur Einsicht auszulegen (§ 10 Abs. 3
                                                         der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpoli-
BImSchG). In der Bekanntgabe ist auf Ort und
                                                         tik, zuletzt geändert durch Art. 1 der Richtlinie
Zeitraum der Auslegung, die bestehende Einwen-
                                                         2014/101/EU des Europäischen Parlaments
dungsmöglichkeit und deren Ausschlusswirkung
                                                         und des Rates vom 30.10.2014 (ABl. Nr. L 311
bei nicht rechtzeitig erhobenen Einwirkungen, den
                                                         S. 32) – im Folgenden: Wasserrahmenrichtlinie
Erörterungstermin und die Bekanntmachung der
                                                         (WRRL) – dahin auszulegen, dass er nicht nur
Entscheidungen über Einwendungen hinzuweisen
                                                         einen materiellrechtlichen Prüfungsmaßstab,
(§ 10 Abs. 4 BImSchV).36
                                                         sondern darüber hinaus auch Vorgaben für das
Keine dieser Vorschriften verlangt allerdings, dass      behördliche Zulassungsverfahren beinhaltet?
„die in den vorhandenen Stellungnahmen und
                                                         b) Falls die Frage a) zu bejahen ist: Muss sich
Unterlagen behandelten Umweltthemen nach
                                                         die Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 UVP-
Themenblöcken zusammengefasst und diese in
                                                         RL stets zwingend auf die Unterlagen zur was-
der Auslegungsbekanntmachung schlagwortartig
                                                         serrechtlichen Prüfung im vorgenannten Sinne
charakterisiert“ werden, wie es das BVerwG für die
                                                         beziehen oder ist eine Differenzierung nach dem
Auslegungsbekanntmachung bei der Öffentlich-
                                                         Zeitpunkt der Erstellung der Unterlage und de-
keitsbeteiligung in der Bauleitplanung für erforder-
                                                         ren Komplexität zulässig?
lich hält und auch nicht, dass die Umweltinforma-
tionen „in Schubladen gepresst“ oder „auf Flaschen       3. Ist der Begriff der Verschlechterung des Zu-
gezogen“ werden, wie es der unvergessene ehema-          stands eines Grundwasserkörpers in Art. 4 Abs. 1
lige Präsident des BVerwG Horst Sendler einmal           Buchst. b) Ziff. i WRRL dahin auszulegen, dass
zum Umgang einiger Planungsrechtler mit dem              eine Verschlechterung des chemischen Zustands
Abwägungsgebot bewundernd ausgedrückt hat.37             eines Grundwasserkörpers vorliegt, sobald min-
                                                         destens eine Umweltqualitätsnorm für einen
F. Fachplanungsrecht                                     Parameter vorhabenbedingt überschritten wird,
Ob die Schutznormtheorie nach dem Urteil des             und dass unabhängig davon dann, wenn für
EuGH vom 15.10.2015 wirklich aus dem Schnei-             einen Schadstoff der maßgebliche Schwellenwert
der ist oder doch noch einige Blessuren zu erwarten      bereits überschritten ist, jede weitere (messbare)
sind, ist wohl noch nicht abschließend geklärt.38        Erhöhung der Konzentration eine Verschlechte-
Das alles soll nun durch einen Vorlagebeschluss          rung darstellt?
des BVerwG39 vom EuGH geklärt werden. Das
                                                         4. a) Ist Art. 4 WRRL – unter Berücksichtigung
BVerwG hat dazu u.a. Vorlagefragen formuliert:
                                                         seiner verbindlichen Wirkung (Art. 288 AEUV)
 1. Ist Art. 11 Abs. 1 Buchst. b) der Richtli-           und der Garantie wirksamen Rechtsschutzes
 nie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments              (Art. 19 EUV) – dahin auszulegen, dass alle
 und des Rates vom 13.12.2011 über die Um-               Mitglieder der von einem Vorhaben betroffenen
 weltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öf-          Öffentlichkeit, die geltend machen, von der Ge-
 fentlichen und privaten Projekten – im Folgen-          nehmigung des Vorhabens in ihren Rechten ver-
 den: UVP-RL – dahin auszulegen, dass mit ihm            letzt zu sein, auch befugt sind, Verstöße gegen
 eine Vorschrift des nationalen Rechts vereinbar         das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot
 ist, nach der ein Kläger, der keine anerkannte          und das Verbesserungsgebot gerichtlich geltend
 Umweltvereinigung ist, die Aufhebung einer              zu machen?
 Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers nur
 verlangen kann, wenn der Verfahrensfehler ihm
 selbst die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehe-
                                                        36 Zur Verzahnung von UVP-RL und IVU-RL Erbguth, ZUR
 nen Beteiligung am Entscheidungsprozess ge-               2000, 379.
 nommen hat?                                            37 UPR 1991, 241; Rengeling/B. Stüer, DVBl 2000, 837.
                                                        38 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C -137/14, DVBl 2015, 1514,
 2. a) Ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) Ziff. i–iii der        B. Stüer/Buchsteiner, 1522.
 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parla-          39 BVerwG, EuGH-Vorlagebeschluss und Hinweisbeschl.
 ments und des Rates vom 23.10.2000 zur Schaf-             v. 25.04.2018 – 9 A 16.16 (Zubringer A 33/B 61 – Bielefeld-
                                                           Ummeln); EuGH C-535/18, DVBl 2018, 1419 m. Anm.
 fung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen                  B. Stüer/E.-M. Stüer, 1426.

48                                                                                                BauR 1 · 2019
Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?                      Aufsätze

                                                         berufen, die etwa in der nicht ordnungsgemäßen
 Falls die Frage a) zu verneinen ist: Ist Art. 4
                                                         Beteiligung anderer Teile der Öffentlichkeit liegen?
 WRRL – unter Berücksichtigung seiner Zielset-
                                                         Das BVerwG hat dies bisher stets verneint42 und es
 zung – dahin auszulegen, dass jedenfalls solche
                                                         bleibt auch jetzt bei dieser Ansicht. Aus dem Be-
 Kläger, die in räumlicher Nähe zur geplanten
                                                         reich der privaten Kläger können sich nur die von
 Straßentrasse Hausbrunnen zur privaten Was-
                                                         enteignungsrechtlichen Vorwirkungen betroffenen
 serversorgung unterhalten, befugt sind, Verstöße
                                                         Eigentümer auch auf die Verletzung von öffentli-
 gegen das wasserrechtliche Verschlechterungs-
                                                         chen Belangen berufen, soweit die Auswirkungen
 verbot und das Verbesserungsgebot gerichtlich
                                                         des Vorhabens sie betreffen.43 Die nur mittelbar be-
 geltend zu machen?
                                                         troffene Öffentlichkeit kann sich demgegenüber nur
Die Vorlagefragen gehen deutlich über die Frage          in der Reichweite der eigenen Rechtsverletzung auf
der notwendigen Reichweite der Öffentlichkeits-          Fehler der Planfeststellung berufen.44 Das BVerwG
beteiligung hinaus und erfassen vor allem auch           stellt überzeugend dar, dass diese grundlegenden
rechtsgrundsätzliche Fragestellungen des Europa-         Strukturelemente des deutschen Verwaltungspro-
rechts, die am Luxemburger Kirchberg zu klären           zessrechts auch europafest sind. Wenn der EuGH
sein wird. Das wird wohl noch einige Zeit in An-         im Urteil zum Vertragsverletzungsverfahren gegen
spruch nehmen. Ein wichtiger Teilbereich ist dabei       die Bundesrepublik Deutschland45 die Schutz-
allerdings auch die Frage, welche Bedeutung die          normtheorie als europarechtskonform bezeichnet
Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren der Plan-        hat, dann muss die Begrenzung auf die jeweils eige-
aufstellung hat und von welchen Gruppen derarti-         ne Rechtsverletzung auch dann gelten, wenn nicht
ge Fehler gerügt werden können.                          Beteiligungsrechte des betroffenen Klägers, sondern
                                                         anderer Teile der Öffentlichkeit verletzt sind. An-
I. Rechtsschutzpyramide
                                                         derenfalls würde aus dem Erfordernis einer eigenen
Eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ist           Rechtsverletzung eine nahezu grenzenlose Popular-
nach deutschem Prozessrecht nur zulässig, wenn der       klage, die das Europarecht gerade nicht vorschreibt.
Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt
                                                         III. Bestandskraft beendet Klagemöglich-
oder seine Ablehnung in eigenen Rechten verletzt zu
sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Eine Anfechtungsklage           keiten
ist nur begründet, wenn der Verwaltungsakt rechts-       Planfeststellungsbeschlüsse wachsen in Bestands-
widrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten          kraft, soweit sie von den Planbetroffenen nicht
verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit die      rechtzeitig oder im Ergebnis erfolglos angefoch-
Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsak-           ten worden sind.46 Rechtsverletzungen des Ver-
tes rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen
Rechten verletzt ist, spricht das Gericht bei Spruch-
reife die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus,      40 B. Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 2015,
                                                            Rdnr. 5973.
die beantragte Amtshandlung vorzunehmen (§ 113           41 EuGH, Urt. v. 07.11.2013 – C-72/12, DVBl 2013,
Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Schutznormtheorie be-              1597 m. Anm. B. Stüer/E.-M. Stüer, DVBl 2013, 1601.
grenzt die Zulässigkeit auf mögliche eigene Rechts-      42 Urt. v. 31.07.2012 – 4 A 5000.11 u.a., BVerwGE 144, 1 – DVBl
betroffenheiten und die Begründetheit auf tatsäch-          2013, 309 = NVwZ 2013, 287 – Flugroutenplanung BBI; Urt.
                                                            v. 31.07.2012 – 4 A 7001.11 u.a., BVerwGE 144, 44 – DVBl
liche eigene Rechtsverletzungen des Klägers. Auch           2012, 309 = NVwZ 2013, 297; Gatz, jurisPR-BVerwG 1/2013
die Beschränkung der Begründetheitsprüfung auf              Anm. 3 Flugroutenplanung BBI; Urt. v. 12.11.2014 – 4 C
die eigenen Rechte der betroffenen Öffentlichkeit           34.13, BVerwGE 150, 294 = NVwZ 2015, 596 – Wannsee-
ist europarechtskonform.                                    Route; Urt. v. 21.11.2013 – 7 A 28.12 – Eisenbahnstrecke Ol-
                                                            denburg/Wilhelmshaven PFA 2 und 3) m. Anm. E.-M. Stüer,
                                                            DVBl 2013, 1108.
II. Keine Popularklage                                   43 BVerwG, Urt. v. 18.03.1983 – 4 C 80.79, BVerwGE 67,
Die Schutznormtheorie des deutschen Verwaltungs-            74 = DVBl 1983, 899.
rechtsschutzes40 hat es im Anschluss an das Altrip-      44 BVerwG, Urt. v. 14.02.1975 – IV C 21.74, BVerwGE 48,
                                                            56 = DVBl 1975, 713 – B 42.
Urteil41 doch noch einmal geschafft, sollte man          45 EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14, DVBl 2015, 1514.
meinen. Aber ist das wirklich so oder kann sich          46 Zum System der Fachplanungen Erbguth, FS W. Hoppe,
die betroffene Öffentlichkeit auf Verfahrensfehler          2000, 631.

BauR 1 · 201949
Aufsätze                   Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?

fahrensrechts aber auch des materiellen Rechts          lerlehre zurückgenommen würde und größere
können von den derart Planbetroffenen nicht             behördliche Entscheidungsspielräume einge-
mehr erfolgreich geltend gemacht werden. Selbst         räumt würden.49
Verbände, denen gegenüber der Planfeststellungs-
beschluss bestandskräftig geworden ist, können          G. Mängel der Öffentlichkeitsbeteiligung
auf den Zug eines gerichtlichen Rechtsschutzes
                                                        sind keine „Ewigkeitsfehler“
nicht wieder aufspringen. Auch ein Urteil, mit
                                                        Ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung fehlerhaft, so
dem feststellt wird, dass ein Planfeststellungsbe-
                                                        kann diese durch die Fortsetzung des Planungs-
schluss wegen eines behebbaren Mangels (§ 17e
                                                        oder Zulassungsverfahrens beginnend mit dem
Abs. 6 Satz 2 FStrG) rechtswidrig ist und nicht
                                                        Verfahrensschritt, bei dem der Fehler aufgetreten
vollzogen werden darf, wirkt nur zwischen den
                                                        ist, wiederholt werden. Dabei ist – um es mit
Beteiligten. Im Verhältnis zu anderen Planbe-
                                                        einem Bilde auszudrücken – die Weste bis zu
troffenen erweist sich der feststellende Ausspruch
                                                        dem Knopf wieder aufzuknöpfen, an dem der
grundsätzlich als bloßer Rechtsreflex, der die ih-
                                                        Fehler aufgetreten ist. 50 War die erforderliche
nen gegenüber eingetretene Bestandskraft unbe-
                                                        Öffentlichkeitsbeteiligung fehlerhaft, so wäre
rührt lässt.47
                                                        an dieser Stelle das ergänzende Verfahren an-
                                                        zusetzen und die Öffentlichkeitsbeteiligung zu
IV. Allgemeiner Neustart der Öffentlich-
                                                        wiederholen.
keitsbeteiligung ohne anschließende Klage-
rechte?                                                 Dieser Grundsatz wird allerdings im Sinne einer
Könnte sich der lediglich mittelbar Betroffene          stärkeren Verbindlichkeit der Planung sowohl
auch auf die Verletzung etwa der Beteiligung der        in der Bauleit- als auch in der Fachplanung ein-
allgemeinen Öffentlichkeit berufen, obwohl er           geschränkt: In der Bauleitplanung ist der Fehler
selbst ordnungsgemäß beteiligt worden ist, hätte        in der Öffentlichkeitsbeteiligung unbeachtlich,
dies zur Folge, dass der Beteiligungsfehler ggf. erst   wenn er nicht innerhalb von einem Jahr seit Be-
durch eine Wiederholung der gesamten Öffent-            kanntmachung des Bauleitplans schriftlich gegen-
lichkeitsbeteiligung geheilt werden könnte. Sol-        über der Gemeinde gerügt worden ist (§ 215
che Auswirkungen könnten sich bereits jetzt für         Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Ein Neustart der
eine erfolgreiche Rüge der Verbände ergeben (§ 4        Planverfahren ist daher in derartigen Fällen nicht
UmwRG).48 Die betroffene Öffentlichkeit hät-            erforderlich.
te jedoch keine erneuten Klagerechte, soweit ihr        In der Planfeststellung kann der Fehler nur
gegenüber der Planfeststellungsbeschluss bereits        von den Verbänden, die eine zulässige Kla-
bestandskräftig geworden ist. Es müsste also eine       ge erhoben haben, oder denjenigen gerügt
erneute Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden,         werden, die durch die Entscheidung in ihren
ohne dass dies für die Öffentlichkeit mit sich da-      eigenen Rechten betroffen sind. Anderen Teile
rauf beziehenden Rechtsschutzmöglichkeiten ver-         der Öffentlichkeit, die nicht rechtzeitig einen
bunden wäre. Auch eine nach einer erneuten Of-          Rechtsschutz gesucht haben, verfügen über sol-
fenlage ggf. erforderlich werdende Planreparatur        che Möglichkeiten nicht, weil ihnen gegenüber
könnte nur von den erfolgreich geklagt habenden         der Planfeststellungsbeschluss bestandskräftig
Verbänden auf den gerichtlichen Prüfstand gestellt      geworden ist. Auch können die Betroffenen
werden.                                                 jeweils nur die eigene fehlerhafte Beteiligung
Wollte man den Klageweg für die betroffene
Öffentlichkeit insgesamt erneut eröffnen, wür-
de wohl die gesamte, auf die Verletzung eigener         47 BVerwG, Beschl. v. 04.07.2012 – 9 VR 6.12, DVBl 2012,
Rechte zugeschnittene Rechtsschutzpyramide                 1163, B. Stüer, DVBl 2012, 1164 – A 44 Ratingen/Velbert,
zum Einsturz gebracht. Dann könnte wohl nur                im Anschluss an Beschl. v. 22.09.2005 – 9 B 13.05, DVBl
dadurch gegengesteuert werden, dass die gericht-           2005, 1599.
                                                        48 Schlacke, UPR 2016, 478; dies., NVwZ 2017, 905.
liche Kontrolle bei der inhaltlichen Überprüfung        49 Überzeugend Hien, DVBl 2018, 1029.
der Behördenentscheidungen besonders im Be-             50 B. Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 2015,
reich der doch recht verästelten Abwägungsfeh-             Rdnr. 1422.

50                                                                                               BauR 1 · 2019
Stüer, Stüer · Fehlerhafte Öffentlichkeitsbeteiligung nur durch Neustart zu beheben?          Aufsätze

rügen, nicht aber verlangen, dass andere Teile           möglichkeiten, sichern dieselben aber nicht,
der betroffenen oder gar der allgemeinen Öf-             wenn der Rechtsweg nicht beschritten worden
fentlichkeit ordnungsgemäß beteiligt werden.             ist oder es sich um Betroffenheiten handelt, die
Die europarechtlichen Vorgaben gewähren der              nicht zu den eigenen Rechten der Rechtsschutz-
betroffenen Öffentlichkeit zwar Rechtsschutz-            suchenden gehören.

BauR 1 · 2019                                                                                         51
Sie können auch lesen