Finanzreform der Krankenversicherung vor dem Hintergrund des GKV-FQWG: Deutschland und die Schweiz im Vergleich - Nomos eLibrary
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THEMA Finanzreform der Krankenversicherung vor dem Hintergrund des GKV-FQWG: Deutschland und die Schweiz im Vergleich CHRISTIAN KUNOW, Seit über 10 Jahren wird in Deutschland die Debatte BERNHARD L ANGER um eine grundlegende Reform der Finanzierung der Christian Kunow, M.A. ist Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit den wissenschaftlicher Mitarbeiter zentralen Reformvorschlägen „Bürgerversicherung“ am Fachbereich Gesundheit, Pflege, Management an der und „Kopfpauschalen“ geführt. Dabei wurde neben der Hochschule Neubrandenburg Diskussion diverser einheimischer Modellvarianten immer Prof. Dr. Bernhard Langer ist wieder auf Praxiserfahrungen des Auslands verwiesen. Hochschullehrer am Fachbe- Der Beitrag analysiert daher zunächst das oft als Vorbild reich Gesundheit, Pflege, Ma- nagement an der Hochschule für die deutsche Debatte dienende Schweizerische Neubrandenburg Finanzierungsmodell. Anschließend wird dieses anhand wichtiger Kriterien einer vergleichenden Bewertung unterzogen: sowohl mit der in Deutschland derzeit noch geltenden GKV-Finanzierung als auch mit den durch das GKV-FQWG im Sommer 2014 verabschiedeten und ab Anfang 2015 geltenden Neuregelungen. 1. Einleitung kenkassen als Einnahmemöglichkeit zur Verfügung stehenden Zusatzbeiträgen Die mittlerweile seit fast 20 Jahren in („kleine Kopfpauschale“) mit kassen- der Schweiz praktizierte pauschale Fi- internem Sozialausgleich zur Vermei- nanzierung der Krankenversicherung dung sozialer Härten begann auch in wird schon seit vielen Jahren als Lö- Deutschland eine erste Hinwendung sungsoption für die Probleme der GKV- zu Elementen der Kopfpauschale. 2011 Finanzierung in Deutschland diskutiert. erfolgte dann durch das GKV-Finan- In deutlichem Gegensatz zur Schweiz zierungsgesetz (GKV-FinG) ein Ausbau wurde bis Ende 2008 die GKV – neben der Pauschalfinanzierung, wonach die einem seit 2004 gezahlten Bundeszu- Zusatzbeiträge ausschließlich in pau- schuss aus Steuermitteln – durch ein- schaler Form von den Krankenkassen kommensabhängige Beiträge finanziert. zu erheben wären. Der dazugehörige So- Doch mit den anhand des GKV-Wett- zialausgleich wurde ebenso modifiziert bewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) und sollte ab 2015 systemextern durch im Jahr 2009 eingeführten, den Kran- Steuermittel aus dem Gesundheitsfonds https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. G+S 6/2014 27 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA finanziert werden. Durch die nun mit Neuausrichtung des Krankenversiche- Unterschiede in der Prämienhöhe er- dem GKV-Finanzstruktur- und Qua- rungssystems der Schweiz, dieses wurde geben sich auch hinsichtlich des Alters litäts-Weiterentwicklungsgesetz (GKV- aber keiner kompletten Reform unterzo- der Versicherten. So haben die Kranken- FQWG) verabschiedeten Änderungen gen. Einige Systemkomponenten, bsw. versicherer bei der Prämienberechnung in der Finanzierung der GKV werden die Finanzierung über Kopfpauschalen, drei Altersgruppen zu unterscheiden: die einkommensunabhängigen durch sind mit veränderter Ausgestaltung aus Kinder bis zum vollendeten 18. Lebens- einkommensabhängige Zusatzbeiträge dem alten System übernommen worden.3 jahr, junge Erwachsene bis zum 25. Le- ersetzt. Damit wird der seit dem GKV- bensjahr und Erwachsene, die 26 Jahre WSG eingeschlagene Weg hin zu einer 2.1 Finanzierungsgrundpfeiler und älter sind. Erwachsene zahlen die stärkeren Teilfinanzierung durch pau- volle Kopfprämie, junge Erwachsene schale Finanzierungselemente beendet. Die OKP ist in Form eines Versicherungs- und Kinder hingegen eine niedrigere. Ziel dieses Beitrags ist es daher obligatoriums verpflichtend für die ge- Da das Alter und das Erkrankungsrisi- zum einen, das oft als Vorbild für die samte Wohnbevölkerung der Schweiz. ko korrelieren, kann in Anbetracht der deutsche Debatte dienende Finanzie- Dabei zahlen alle Versicherten an ihren Altersabhängigkeit von leicht risikoori- rungssystem der Schweizer Kranken- Krankenversicherer Kopfpauschalen entierten Kopfprämien gesprochen wer- versicherung vorzustellen und einer anhand sog. „Kopfprämien“. Eine prä- den. Die Prämienhöhe unterscheidet sich aktuellen sozialpolitischen Bewertung mienfreie Mitversicherung und Arbeit- zudem aufgrund der Möglichkeit der zu unterziehen (vgl. Abschnitt 2). Zum geberbeiträge gibt es also nicht. Um die Versicherten, einen auf freiwilliger Ba- anderen wird das Schweizer Finanzie- in schlechten wirtschaftlichen Verhält- sis wählbaren Prämienrabatt von ihrem rungssystem mit der in Deutschland nissen lebenden Versicherten finanziell Krankenversicherer erhalten zu können. aktuell geltenden GKV-Finanzierung nicht zu überfordern, wird die Prämi- Eine Prämienberechnung ist sowohl nach (Status quo) und den Änderungen, die enzahlung mit einem steuerfinanzierten dem Krankheitsrisiko, dem Einkommen sich aus dem GKV-FQWG ergeben, Sozialausgleich flankiert. Sog. „Prämi- und dem Geschlecht der Versicherten anhand wichtiger Kriterien verglei- enverbilligungen“, die vom Bund und als auch nach dem Eintrittsalter in die chend bewertet. Dadurch sollen mög- von den Kantonen aufgebracht werden, Versicherung unzulässig. liche Vor- und Nachteile der einzelnen federn die Überforderung ab. Zudem müssen sich die Versicherten 2.3 Ausgestaltung des Das Kopfpauschalensystem an den von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen zum Sozialausgleichs der Schweiz weist eine Teil selbst beteiligen. Für den Im Rahmen des sozialen Ausgleichs erhebliche sozialpolitische Ausgleich unterschiedlicher Versichertenstrukturen der gewährt eine dafür in jedem Kanton zuständige Behörde den in schlechten Fehlentwicklung auf. Versicherer sorgt ein Risiko- wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden ausgleich. Anhand der Mor- Versicherten eine Prämienverbilligung. Finanzierungsvarianten identifiziert biditätsfaktoren Alter, Geschlecht und Der Bund beteiligt sich zwar neben den werden (vgl. Abschnitt 3). Dabei stehen Aufenthalt im Spital oder Pflegeheim Kantonen durch Steuermittel an der Fi- die Schweiz mit ihrer „reinen“ Kopfpau- werden die über die Kopfprämien ein- nanzierung des Sozialausgleichs, schreibt schalenfinanzierung am einen Ende und genommenen Finanzmittel zwischen den aber mit Ausnahme der Auszahlung der die in Deutschland vollständig einkom- Versicherern umverteilt.4 Prämienverbilligung kein für die Schweiz mensbezogene Finanzierungsregelung einheitliches Ausgleichsverfahren vor. durch das GKV-FQWG am anderen 2.2 Ausgestaltung der Die konkrete Ausgestaltung ist im kan- Ende eines möglichen Finanzierungs- Kopfprämien tonalen Recht geregelt und liegt somit kontinuums. Dazwischen bewegt sich in der Zuständigkeit der Kantone. Da die Status-quo-GKV mit einem Mix aus Die im Umlageverfahren berechneten jeder Kanton sein eigenes Prämien- einkommensbezogenen und pauschalen einkommensunabhängigen Kopfprämien verbilligungssystem hat, existieren 26 Finanzierungselementen. werden von jedem Bewohner der Schweiz verschiedene Verfahren. Diese werden gezahlt. Grundsätzlich gelten für alle in Tabelle 1 anhand von ausgewählten 2. Finanzierungssystem der Versicherten eines Krankenversicherers Kriterien systematisiert. Schweizer Krankenversicherung die gleichen Kopfprämien. Dennoch Gemeinsam haben alle Verfahren, kann es zu Prämienunterschieden kom- dass die Prämienverbilligung berechnet Die Krankenversicherung der Schweiz men: sowohl zwischen den Versicherern und anschließend ausgezahlt wird. Zu- ist seit der Reform im Jahr 1996 durch als auch zwischen den Kantonen und nächst müssen allerdings die anspruchs- das Krankenversicherungsgesetz (KVG) innerhalb eines Kantons. Intrakanto- berechtigten Versicherten ermittelt geregelt. Das KVG beinhaltet, neben ei- nal sind für die Versicherer bis zu drei ner freiwilligen Taggeldversicherung als regionale Prämienabstufungen erlaubt. 1 Vgl. BAG 2012: 3. private Zusatzversicherung, eine obli- In einem Kanton können demzufolge 2 Vgl. Telser/Steinmann 2005: 528. gatorische Krankenpflegeversicherung drei Prämienregionen bestehen. Insofern 3 Vgl. Spycher 2004: 20. (OKP) als Grundversicherung.1 Mit der hängt die Prämienhöhe vom Wohnort 4 Der Bundesrat der Schweiz hat den Risiko- ausgleich revidiert, womit dieser ab 2017 als Pendant zur GKV in Deutschland an- der Versicherten und vom jeweiligen verfeinert werden soll (vgl. Gemeinsame zusehenden OKP2 kam es zwar zu einer Versicherer ab. Einrichtung KVG o.J.). https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 28 G+S 6/2014 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA Tabelle 1. Prämienverbilligungssysteme der Kantone im Überblick Antragstellung Berechnung des Prämienverbilligungsbetrages Auszahlung des Ohne Mit Berechnungsgrundlage Berechnungsmodell Betrages Antrag Antrag an die Finanzielle Finanzielle Stufen- Prozent- Misch- Krankenversicherer Verhältnisse Verhältnisse modell modell modell vor dem im Anspruchsjahr Anspruchsjahr ZH x x x x x BE x x x x x x LU x x x x UR x x x x x SZ x x x x OW x x x x x NW x x x x GL x x x x x ZG x x x x FR x x x x SO x x x x x BS x x x x x BL x x x x SH x x x x AR x x x x AI x x x x x SG x x x x GR x x x x x AG x x x x x TG x x x x x TI x x x x x VD x x x x x VS x x x x x x NE x x x x x x GE x x x x x x JU x x x x x 7 26 26 14 11 8 7 26 ZH (Zürich), BE (Bern), LU (Luzern), UR (Uri), SZ (Schwyz), OW (Obwalden), NW (Nidwalden), GL (Glarus), ZG (Zug), FR (Freiburg), SO (Solothurn), BS (Basel-Stadt), BL (Basel-Landschaft), SH (Schaffhausen), AR (Appenzell Ausserrhoden), AI (Appenzell Innerrhoden), SG (St. Gallen), GR (Graubünden), AG (Aargau), TG (Thurgau), TI (Tessin), VD (Waadt), VS (Wallis), NE (Neuchâtel), GE (Genf), JU (Jura) Quelle: Eigene Zusammenstellung5 werden. Für die Ermittlung sind zwei innerhalb der kantonalen Frist und in die vor dem Anspruchsjahr entstanden Verfahren zu unterscheiden: das Ver- den meisten Kantonen im Anspruchs- sind. Falls sich die finanziellen Verhält- fahren ohne eine Antragstellung und jahr bei der Behörde eingereicht werden. nisse im Anspruchsjahr verschlechtert das Antragsverfahren mit Benachrich- Grundsätzlich kann jeder Versicherte, haben, können in einigen Kantonen tigung. Bei der Ermittlung ohne Antrag der glaubt anspruchsberechtigt zu sein, auch die aktuellen Steuerdaten geltend wird das Ausgleichsverfahren von der bei der zuständigen Behörde einen An- gemacht werden. Zu den maßgeben- zuständigen Behörde ohne eine jegliche trag stellen. den Steuerdaten gehört das Einkommen Mitwirkung der Versicherten vollzogen. Nachdem die Anspruchsberechtigten zzgl. eines prozentualen Teils des Ver- Beim Antragsverfahren benachrichtigt ermittelt worden sind, erfolgt die Be- mögens. Je nach Kanton beruht die Be- die Behörde meist zu Beginn des An- rechnung der Prämienverbilligung. Zu rechnung, bei der verschiedenste Abzüge spruchsjahres die von ihr ermittelten den Berechnungsgrundlagen gehören und Aufrechnungen erfolgen können, Anspruchsberechtigten. Dem Benach- neben den Familien- und Wohnverhält- richtigungsschreiben legen einige Behör- nissen und der beruflichen Situation die 5 Tabelle 1 und folgende Verschriftlichungen den ein ausgefülltes oder unausgefülltes finanziellen Verhältnisse der Anspruchs- basieren auf einer synoptischen Übersicht (GDK 2014) und auf den Informationen zu unterschreibendes Antragsformular berechtigten. Bei der Berechnung greifen der von den kantonalen Behörden erstell- bei. Das Antragsformular muss dann die Behörden auf Steuerdaten zurück, ten aktuellsten Merkblätter. https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. G+S 6/2014 29 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA Abbildung 1. Entwicklung der Bezieherquote, der monatlichen Prämienverbilligung pro Bezieher und der monatlichen Durchschnittsprämie von Erwachsenen von 1996 bis 2012 Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis BAG (2013a: 2); BAG (2013b: 99 und 187) auf unterschiedlichen Einkommensbe- Regelung, dass alle zuständigen Behör- die eine Prämienverbilligung erhalten griffen. In Bezug auf das zur Berechnung den den Sozialausgleich an die Kranken- haben. Zudem wird dargestellt, wie sich verwendete Modell ist zwischen dem versicherer zu entrichten haben. Dies im gleichen Zeitraum die monatliche Prä- Stufenmodell, dem Prozentmodell und soll verhindern, dass die Anspruchs- mienverbilligung pro Bezieher und die dem Mischmodell zu unterscheiden. berechtigten ihn zweckentfremden. monatliche Durchschnittsprämie von Das Stufenmodell besitzt i.d.R. Ein- Bis 2013 konnten die Empfänger des Erwachsenen entwickelten. kommensgrenzen. Ein Anspruch auf Sozialausgleichs, abhängig vom jewei- Es ist sichtbar, dass sich die Bezie- eine Prämienverbilligung besteht, so- ligen Kanton, die Versicherer oder die herquote in zwei Richtungen entwickelt fern das maßgebende Einkommen unter Versicherten sein. Waren die Versiche- hat. Im Jahr 1996 lag der Anteil der den jeweiligen Grenzen liegt.6 Hingegen rer die Empfänger, verrechneten sie die Versicherten, die eine Prämienverbil- arbeitet das Prozentmodell mit einem Prämienverbilligung mit der von den ligung erhalten haben, bei 22,9 %. prozentualen Teil des Einkommens. Versicherten zu zahlenden Prämie. Der In der Folgezeit stieg die Quote bis Versicherte sind anspruchsberechtigt, mit der reduzierten Prämie ersichtliche 2002 auf 33,1 %, um danach mehr als wenn die herangezogene Prämie, bei Abzug wurde abhängig vom Kanton 4 %-Punkte abzunehmen. 2012 bezo- der es sich nicht um die tatsächlich monatlich, vierteljährlich oder jährlich gen noch 29,0 % der Versicherten eine zu zahlende, sondern um eine Richt-, vollzogen. Im Fall der Versicherten wur- Prämienverbilligung. Der Anstieg der Referenz- oder Durchschnittsprämie de der Sozialausgleich einmal im Jahr Bezieherquote von 1996 bis 1999 wird handelt, einen bestimmten Prozentsatz oder jeden Monat auf das Bankkonto auf eine bessere Erfassung der Bezieher übersteigt. Dabei entspricht die Dif- der Versicherten überwiesen oder mit zurückgeführt.7 Zudem brauchte der ferenz zwischen Selbstbehalt und he- ihrer Steuerrechnung verrechnet. Sozialausgleich Zeit, um als soziales rangezogener Prämie der Prämienver- Element in der Bevölkerung bekannt billigung. Das Mischmodell bringt die 2.4 Sozialpolitische Wirksamkeit zu werden. Wenn als Referenz die Zeit Berechnungsmethoden des Stufen- und ab 1999 zu Grunde gelegt wird, lag die Prozentmodells zusammen. Hier wird Um einen ersten Einblick in die solidari- Bezieherquote über einen langen Zeit- den Einkommensstufen – im Vergleich sche Ausprägung des Schweizer Finan- raum bei rund einem Drittel. Bezüglich zum Stufenmodell – keine Prämien- zierungssystems bezüglich der Prämi- der Prämienverbilligung, die alle Bezie- verbilligung, sondern ein prozentualer enzahlung und Prämienverbilligung zu Selbstbehalt zugeordnet. Dabei steigt bekommen, müssen die dazugehörigen 6 Im Kanton Thurgau arbeitet das Stufenmo- dieser mit der Höhe der Stufe. Kennzahlen betrachtet werden. Abbil- dell nicht mit Einkommens-, sondern mit Nach Berechnung der Prämienverbil- dung 1 zeigt für den Zeitraum von 1996 Steuergrenzen. Die Höhe der Prämienver- billigung richtet sich hier nach der Höhe ligung wird diese bargeldlos ausgezahlt. bis 2012 die Entwicklung der Bezieher- der zu zahlenden Steuer. Seit 2014 gilt die gesamtschweizerische quote, also der Anteil der Versicherten, 7 Vgl. Balthasar et al. 2001: 49. https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 30 G+S 6/2014 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA Abbildung 2. Entwicklung der kantonalen Prämienbelastung des verfügbaren Modelleinkommens nach Erhalt der Prämienverbilligung von 1998 bis 2010 Quelle: Eigene Darstellung auf Basis Balthasar et al. (1998); Balthasar et al. (2005); Kägi et al. (2012) her im Durchschnitt erhalten, ist dage- chen 8 % des steuerbaren Einkommens 3. Finanzierung der OKP, gen ein anderer Verlauf zu beobachten. ca. 6 % des verfügbaren Einkommens.9 der Status-quo-GKV und 1996 wurde den Beziehern monatlich Bis heute traf der Gesetzgeber aber kei- nach dem GKV-FQWG: eine ein Sozialausgleich von 75 SFr. ausge- ne gesamtschweizerische Regelung zu vergleichende Bewertung zahlt. In den Jahren darauf erhöhte sich einer maximalen Prämienbelastung. der Betrag bis 2012 kontinuierlich auf Abbildung 2 zeigt für jeden Kanton die Die Erfahrungen in der Schweiz zeigen, 143 SFr. Doch im gleichen Zeitraum Entwicklung des Anteils, den die über dass sozial ausgeglichene Kopfpauscha- stieg die monatliche Durchschnittsprä- den Sozialausgleich verbilligte Prämie len für die Erreichung sozialpolitischer mie der Erwachsenen sogar von 173 SFr. am verfügbaren Modelleinkommen hat. Zielsetzungen kein in der Praxis taugli- auf 382 SFr. Somit ist die Prämie mit Bezüglich der gezeigten Jahre ist deut- ches Vorbild sind. Im Vergleich zur OKP 121 % stärker gestiegen als die Prämi- lich zu sehen, dass in 20 Kantonen ein ist in der GKV seit einigen Jahren eine enverbilligung mit 91 %. Daraus folgt, kontinuierlicher und teils erheblicher langsam aufwachsende Pauschalfinan- dass der Anteil der vom Sozialausgleich Anstieg der Prämienbelastung vorliegt. zierung mit einkommensunabhängigen gedeckten Prämie kleiner geworden ist. In den restlichen 6 Kantonen stieg die Zusatzbeiträgen gesetzlich vorgesehen. Noch aussagekräftigere Kennzahlen Belastung zwar nicht fortlaufend, dort ist Aufgrund der in den letzten Jahren sehr zur sozialpolitischen Wirksamkeit des aber zumindest eine insgesamt steigende guten Einnahmesituation der Kran- Schweizer Finanzierungssystems liefern Tendenz zu erkennen. 1998 haben 10 kenkassen kommt diese aber – wobei insbesondere die seit 1998 in regelmä- Kantone das Sozialziel einer maxima- einige Kassen sogar Beitragsrückzah- ßigen Abständen veröffentlichten Moni- len Belastung von 6 % des verfügbaren lungen gewähren – gegenwärtig nicht torings. Darin wird untersucht, welcher Haushaltseinkommens nicht erreicht. zum Tragen. Da analog dazu die für die Anteil des verfügbaren Haushaltsein- In den darauffolgenden Jahren erhöh- Durchführung des Sozialausgleichs rele- kommens auf die mit einem Sozialaus- te sich die Zahl. So waren es 2004 20 vante Rechengröße „durchschnittlicher gleich verbilligte Prämie entfällt. Der Kantone, bis 2010 alle 26 Kantone die Zusatzbeitrag“ in den letzten Jahren stets Bundesrat in der Schweiz schlug schon 6 %-Marke überstiegen. Somit erhöh- auf 0 € festgelegt wurde, findet dem- Anfang der 1990er Jahre vor, dass eine te sich die Prämienbelastung auch im entsprechend auch kein Sozialausgleich Prämienverbilligung gewährt werden schweizerischen Durchschnitt von 5,6 % soll, wenn die Prämie einen bestimmten im Jahr 1998 auf 7,8 % im Jahr 2004 8 Vgl. Schweizerischer Bundesrat 1992: 225. Prozentsatz des Einkommens übersteigt. und stieg bis 2010 vermutlich weiter an.10 9 Vgl. Balthasar et al. 1998: 4. Dieser Vorschlag sah eine verbleibende Ausgehend vom Sozialziel zeigen diese 10 Das letzte Monitoring (Kägi et al. 2012) Prämienbelastung von 8 % des steuer- Werte eine erhebliche sozialpolitische hat für das Jahr 2010 keinen Wert für die Prämienbelastung bezogen auf den gesamt- baren Einkommens vor.8 Dabei entspre- Fehlentwicklung. schweizerischen Durchschnitt berechnet. https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. G+S 6/2014 31 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA statt. Die Finanzierung der GKV beruht Im Folgenden werden diese Neurege- te Beteiligung der Privatversicherten daher neben dem Steuerzuschuss des lungen des GKV-FQWG einer verglei- an der GKV-Finanzierung. Bundes auf den einkommensabhängigen chenden Bewertung mit der Status-quo- Nach den Regelungen des GKV- Beiträgen, die mittels beitragspflichti- Finanzierung der GKV in Deutschland FQWG soll nun das Experiment mit ger Einkommen, i.d.R. den Löhnen und und der OKP in der Schweiz anhand einkommensunabhängigen Zusatz- Lohnersatzleistungen der Versicherten, ausgewählter Kriterien unterzogen. beiträgen durch ihre Abschaffung erhoben werden. Hintergrund der Auswahl dieser drei beendet werden, so dass zugleich der Mit dem von CDU, CSU und SPD Finanzierungssysteme ist, dass dadurch Sozialausgleich und mit ihm die indi- verabschiedeten GKV-Finanzstruktur- das gesamte Finanzierungskontinuum rekte Beteiligung der Privatversicherten und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz von einkommensunabhängiger (Schweiz) entfällt. Es sind zwar über den auch (GKV-FQWG) sind Veränderungen ge- über einen Mix aus einkommensunab- zukünftig fließenden Bundeszuschuss plant, die eine Neujustierung der GKV- hängiger und einkommensabhängiger weiterhin Privatversicherte indirekt an Finanzarchitektur bedeuten. So werden (Status-quo-GKV) bis zu vollständig der GKV-Finanzierung beteiligt, al- ab 2015 die derzeit nicht erhobenen ein- einkommensabhängiger Beitragsfinan- lerdings liegt der Steueranteil an den kommensunabhängigen Zusatzbeiträge zierung (GKV-FQWG) exemplarisch Einnahmen des Gesundheitsfonds vo- in einen prozentualen Satz der beitrags- dargestellt und vergleichend bewertet raussichtlich bei lediglich rund 5,7 % pflichtigen Einkommen umgewandelt.11 werden kann. für 2015.17 Ein höherer Anteil würde Der für die pauschalen Zusatzbeiträge zwar die PKV-Versicherten stärker an bisher vorgesehene steuerfinanzierte 3.1 Solidarität der GKV-Finanzierung beteiligen, doch Sozialausgleich ist damit nicht mehr davon ist aus Gründen der mangelnden notwendig und entfällt, ebenso wie die Im Gegensatz zu Deutschland besteht Verlässlichkeit abzuraten. Dies wird an Möglichkeit von Beitragsrückzahlungen. in der Schweiz mit der OKP ein ein- der Entwicklung des Bundeszuschusses Gegenwärtig ist im allgemeinen Beitrags- heitliches Krankenversicherungssys- seit 2004 deutlich.18 Eine Möglichkeit, satz von 15,5 % der vom Versicherten tem mit einer allgemeinen Versiche- alle Bürger direkt an der Finanzierung allein zu tragende Sonderbeitragssatz rungspflicht. Dort zahlt die von 0,9 % integriert. Die Neuregelung gesamte Wohnbevölkerung sieht vor, dass dieser – nicht gedeckelt die pauschalen Kopfprämi- Das Nebeneinander von GKV und damit perspektivisch in der Höhe en und beteiligt sich somit und PKV sollte endlich beendet unbegrenzt – in den einkommensabhän- an der Finanzierung der So- gigen, von den Kassen individuell zu er- lidargemeinschaft der OKP werden. hebenden Zusatzbeitrag einfließt. Der (vgl. Tabelle 2). In Deutsch- vom Bundesministerium für Gesund- land gibt es dagegen kein einheitliches der GKV zu beteiligen – und dadurch heit (BMG) für das Jahr 2015 festgelegte Krankenversicherungssystem. Der ähnliche Solidaritätseffekte wie bei ei- durchschnittliche Zusatzbeitragssatz von überwiegende Teil der Bevölkerung ner deutlich höheren Steuerfinanzierung 0,9 %-Punkten12 dient zur Deckung eines muss sich in der GKV versichern. Ein bei gleichzeitig größerer Verlässlichkeit Defizits von voraussichtlich rund 11,2 kleinerer Bevölkerungsteil, mit im zu erzeugen – liegt in der direkten Ein- Mrd. € für 2015,13 da im Gegenzug der Durchschnitt besserem Gesundheits- beziehung des bislang außerhalb der kassenübergreifend geltende, allgemeine zustand,16 kann sich zwischen GKV GKV abgesicherten Personenkreises.19 Beitragssatz auf 14,6 % abgesenkt wird. und Privater Krankenversicherung Im GKV-FQWG ist ein derartiges Vor- Dabei ist der Arbeitgeberanteil weiterhin (PKV) entscheiden. Derzeit wird die haben allerdings nicht vorgesehen. bei 7,3 % festgeschrieben. Da zukünf- GKV neben dem Steuerzuschuss des Inwieweit die OKP- und GKV- tige Finanzierungsdefizite der Kassen Bundes, der sowohl von Versicherten Finanzierung solidarisch ausgestaltet auch weiterhin ausschließlich von den der GKV als auch von PKV-Versicher- Versicherten zu decken sind, handelt es ten aufgebracht wird, allein von GKV- 11 Die Umwandlung in einkommensabhän- sich lediglich um eine „Scheinparität“14. Versicherten und deren Arbeitgebern/ gige Zusatzbeiträge wurde im Vorfeld von Jacobs (2013), Wasem (2013) und Jacobs/ Darüber hinaus soll bezüglich der Erhe- Rentenversicherungsträgern zu tragen- Wasem (2013) als mögliche Reformoption bung der einkommensabhängigen Zu- den, einkommensabhängigen Beiträgen vorgeschlagen. satzbeiträge ein Ausgleichsmechanismus finanziert. Nach aktueller Gesetzeslage 12 Vgl. BMG 2014. dafür sorgen, dass die unterschiedlichen ist vorgesehen, dass entstehende Fi- 13 Vgl. BVA 2014. 14 Bäcker et al. 2014: 30; Dem Vernehmen Einkommensstrukturen der Kassen im nanzierungslücken der Krankenkassen nach gibt es aber eine Nebenabrede unter Rahmen eines vollständigen Finanz- über einkommensunabhängige Zusatz- den Koalitionären, die die längerfristige Festschreibung des Arbeitgeberanteils doch kraftausgleichs ausgeglichen werden. beiträge geschlossen werden müssten. wieder in Frage stellt. Zudem wird der morbiditätsorientierte Diese hätten lediglich die Versicherten 15 Vgl. Ulrich 2014: 10. Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) der GKV, aber nicht die der PKV, zu 16 Vgl. Huber/Mielck 2010. weiterentwickelt. Darüber hinaus bleibt zahlen. Würde der bei einem durch- 17 Vgl. BVA 2014. weiterhin der Steuerzuschuss des Bundes schnittlichen Zusatzbeitrag größer als 18 Vgl. Ulrich 2014: 10; Die Verlässlichkeit der Steuerfinanzierung leidet u.a. unter den an den Gesundheitsfonds bestehen. Die- 0 € gesetzlich vorgesehene Sozialaus- Vorgaben des europäischen Fiskalpaktes ser soll im Jahr 2015 von ursprünglich gleich greifen, bestünde über die ab und der im Grundgesetz verankerten Haus- haltskonsolidierung. geplanten 14,0 auf 11,5 Mrd. € gekürzt 2015 dafür vorgesehenen Steuermittel 19 Zu konkreten Umsetzungsvarianten sei auf werden.15 wie beim Bundeszuschuss eine indirek- Langer (2011) verwiesen. https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 32 G+S 6/2014 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA Tabelle 2. Übersicht zur vergleichenden Bewertung der Finanzierung der OKP, der Status-quo-GKV und nach dem GKV-FQWG (negativ (-), neutral (o), positiv (+)) OKP Status-quo-GKV GKV-FQWG Solidarität Kreis zur Kopfprämien: alle Bürger + Beiträge und pauschale 0 Beiträge und prozentuale 0 Mittelfinanzierung der Schweiz Zusatzbeiträge: nur GKV- Zusatzbeiträge: nur GKV- Versicherte Versicherte Steuerzuschuss: GKV- und PKV- Steuerzuschuss: GKV- und Versicherte PKV-Versicherte Form der Mittelfinanzierung Einkommenssoli- systemintern: kein Aus- - systemintern: über lediglich 0 systemintern: über ledig- 0 darität gleich über Kopfprämien lohn- und lohnersatzabhängige lich lohn- und lohnersatz- Beiträge bis zur BBG; kein Aus- abhängige Beiträge und gleich über pauschale Zusatz- prozentuale Zusatzbeiträge beiträge bis zur BBG systemextern: durch steu- systemextern: durch steuerfi- systemextern: entfällt erfinanzierten Sozialaus- nanzierten Sozialausgleich bei durch Abschaffung der gleich bei Kopfprämien pauschalen Zusatzbeiträgen pauschalen Zusatzbeiträge Steuerzuschuss Steuerzuschuss Risikosolidarität Kopfprämien: weitestge- 0 Beiträge und pauschale Zusatz- + Beiträge und prozentuale + hend risikounabhängig beiträge: risikounabhängig Zusatzbeiträge: risikounab- hängig Praktikabilität Beitragszahlung Zeitpunkt Kopfprämien: monatlich - Beiträge: monatlich; pauschale 0 Beiträge und prozentuale + oder weiter im Voraus Zusatzbeiträge: unterschiedlich Zusatzbeiträge: monatlich Form Kopfprämien: kein Quel- - Beiträge: Quellenabzug; pau- 0 Beiträge und prozentuale lenabzug; unterschiedliche schale Zusatzbeiträge: unter- Zusatzbeiträge: Quellenab- + Zahlung schiedlich zug Sozialausgleich bei Pauschalen Antragstellung in den meisten Kantonen - i.d.R. ohne Antrag 0 vollständig systeminterner + mit Antrag Ausgleich Berechnung „großer“ Rechenvorgang - „kleiner“ Rechenvorgang und 0 vollständig systeminterner + und einzuholende Rechen- vorliegende Rechengrößen Ausgleich größen Auszahlung Verrechnung mit den + Verrechnung mit den Beiträgen + vollständig systeminterner + Kopfprämien Ausgleich Wettbewerb Preissignal vorhanden, aber verzerrt - in der Breite nicht vorhanden, 0 abgeschwächt vorhanden + im Einzelfall zu intensiv Risikostruktur- relativ unvollkommen - eingeschränkt 0 weiterentwickelt + ausgleich (RSA) Nachhaltigkeit Finanzierungs- Umlagefinanzierung 0 Umlagefinanzierung 0 Umlagefinanzierung 0 verfahren Finanzierungs- Kopfprämien: ohne Bezug + Beiträge: lediglich Lohn und 0 Beiträge und prozentuale - grundlage zu Einkommensarten Lohnersatzleistungen; pauscha- Zusatzbeiträge: lediglich le Zusatzbeiträge: ohne Bezug Lohn und Lohnersatzleis- zu Einkommensarten tungen steuerfinanzierter Sozial- 0 Steuerzuschuss und steuerfi- 0 Steuerzuschuss 0 ausgleich nanzierter Sozialausgleich Quelle: Eigene Darstellung https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. G+S 6/2014 33 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA sind, hängt, wie Tabelle 2 ebenfalls teln – analog zum steuerfinanzierten in den Satzungen der Versicherer be- zeigt, neben dem Kreis der Beteiligten Bundeszuschuss – bei entsprechender stehen. Danach setzen die Versicherer von der Form der Mittelfinanzierung Gegenfinanzierung 21 die Einkommens- grundsätzlich einen von den Versicher- ab. Bezüglich der Einkommenssolidari- solidarität vergrößern. Zum einen ist ten einzuhaltenden Fälligkeitstermin tät 20 unterscheiden sich beide erheblich die Bemessungsgrundlage bsw. der fest. Mit entsprechenden Regelungen in voneinander. In der OKP gibt es im Ver- Einkommensteuer deutlich breiter als den Satzungen ist es auch möglich, dass gleich zur GKV keinen Einkommens die Beitragsbemessungsgrundlage der die Versicherten sich für einen längeren ausgleich innerhalb des Krankenversi- Löhne und Lohnersatzleistungen der Zeitraum zur Prämienvorauszahlung cherungssystems. Dies liegt darin, dass GKV. Zum anderen werden PKV-Ver- entscheiden, beispielsweise pro Quartal, die pauschal zu zahlenden Kopfprämien sicherte mit im Durchschnitt höheren halbjährlich oder jährlich. Des Weiteren keinen Ausgleich zwischen hohen und Einkommen einbezogen. Es gelten aller- haben die Versicherten die Möglichkeit, niedrigen Einkommen der Versicherten dings auch hier die schon weiter oben ihre Prämien neben der Banküberwei- ermöglichen. Dieser wird stattdessen geäußerten Bedenken hinsichtlich der sung auch per Lastschriftverfahren oder systemextern über einen steuerfinan- Verlässlichkeit der Steuerfinanzierung. Dauerauftrag zu zahlen. 24 zierten Sozialausgleich durchgeführt. Deshalb besteht eine Alternative darin, Im Gegensatz dazu werden in der Er weist allerdings, wie Abschnitt 2.4 ähnliche Effekte einer Steuerfinanzie- GKV die prozentualen Beiträge von gezeigt hat, eine deutliche sozi- den beitragspflichtigen Einkommen alpolitische Fehlentwicklung auf. In der GKV ist dagegen im Ein systeminterner der Versicherten erhoben und von den zuständigen Stellen im Quellenabzugs- Status quo hauptsächlich ein Einkommensausgleich ist verfahren direkt an die Krankenkassen systeminterner Einkommens- ausgleich angelegt. Über die am verlässlicher als ein Externer abgeführt. Mit dem Quellenabzug be- steht in der GKV ein „automatisiertes“ beitragspflichtigen Einkommen über Steuermittel. Verfahren, womit eine relativ verläss- prozentual zu erhebenden Bei- liche und unkomplizierte Beitragszah- träge wird die Einkommenssolidarität rung durch eine Ausweitung der Bei- lung ermöglicht wird. Gegenwärtig gibt sichergestellt. Da aber die Beiträge – au- tragsbemessungsgrundlage in Verbin- es aber noch die Möglichkeit, dass die ßer bei freiwilligen Mitgliedern, für die dung mit einer deutlichen Anhebung Kassen von ihren Versicherten pauscha- ein umfassenderer Einkommensbegriff der BBG innerhalb der Beitragsfinan- le Zusatzbeiträge verlangen können, gilt – nur von Löhnen und Lohnersatz- zierung zu realisieren. 22 die nicht im Quellenabzug erhoben leistungen bis zur Beitragsbemessungs- Bezogen auf den Ausgleich zwischen werden. Die konkrete Zahlungsweise grenze (BBG) erhoben werden, ist der gesunden und kranken Versicherten, der Zusatzbeiträge regeln die einzelnen Einkommensausgleich innerhalb der der Risikosolidarität 23, zeigt sich le- Kassen in ihren Satzungen. Darin kann GKV unzureichend. Im Zusammenhang diglich ein kleiner Unterschied zwi- festgelegt sein, dass die Zusatzbeiträge mit einkommensunabhängigen Zusatz- schen OKP- und GKV-Finanzierung von den Versicherten als Vorauszah- beiträgen ist auch ein Ausgleich außer- (vgl. Tabelle 2). In der OKP sind die lung monatlich und mit Beachtung ei- halb der GKV vorgesehen. Der dafür Kopfprämien nicht gänzlich risikoso- nes Fälligkeitstermins an ihre Kasse zu erforderliche Sozialausgleich würde ab lidarisch ausgestaltet, da sie von den überweisen sind. Davon abweichend 2015 wie in der OKP über Steuermittel Krankenversicherern zumindest nach ist aber auch eine vierteljährliche bzw. und damit auch von PKV-Versicherten drei Altersgruppen eingeteilt werden. jährliche Beitragsvorauszahlung mög- finanziert werden. Wenngleich in deut- In der Status-quo-GKV sind die Beiträ- lich. Als Zahlungsformen sind neben lich geringerem Umfang, da die Zusatz- ge und pauschalen Zusatzbeiträge von Überweisungen auch Daueraufträge beiträge vom Gesetzgeber nicht, wie in den Krankenkassen hingegen vollkom- bzw. die Zahlung per Einzugsermäch- der Schweiz, als „Vollkostenpauschalen“ men unabhängig von Risikofaktoren tigung möglich. 25 angelegt sind. der Versicherten (Alter, Geschlecht, Mit dem GKV-FQWG werden die Aufgrund der durch das GKV-FQWG Morbidität etc.) zu erheben. Durch pauschalen Zusatzbeiträge und mit geplanten Abschaffung der pauschalen das GKV-FQWG wird es auch keine ihnen die administrativ aufwändigen Zusatzbeiträge wird zukünftig auch ein Änderungen an der risikounabhängigen Regelungen zu ihrer Zahlungsweise systemexterner Einkommensausgleich – Beitragsfinanzierung geben. abgeschafft. Anstelle der Pauschalen hier durch den vorgesehenen steuerfi- führt das Gesetz die prozentualen nanzierten Sozialausgleich – obsolet. 3.2 Praktikabilität Zusatzbeiträge ein, die das bewährte Somit wird die Einkommenssolidarität Quellenabzugsverfahren der einkom- wie vor 2009 ausschließlich systemin- Wie aus Tabelle 2 ebenso hervorgeht, tern realisiert. Unter verteilungspoliti- unterscheiden sich OKP und GKV in schen Aspekten ist die Abschaffung der Zeitpunkt und Form der Beitragszah- 20 Vgl. Buchner/Wasem 2013: 261. 21 Wie Härpfer et al. (2009) belegen, weist die pauschalen Zusatzbeiträge einerseits lung. In der OKP ist gesetzlich gere- Mehrwertsteuer eher regressiven Charakter positiv zu bewerten, da diese für die gelt, dass die pauschalen Kopfprämien und die Einkommenssteuer eine zumindest Bezieher höherer Einkommen (ohne Be- von den Versicherten im Voraus und in tendenziell progressive Wirkung auf. 22 Vgl. Langer 2012: 191 ff. rücksichtigung der Gegenfinanzierung) der Regel monatlich an die Versicherer 23 Vgl. Buchner/Wasem 2013: 260. zunächst regressiv wirken. Andererseits gezahlt werden müssen. Dazu können 24 Vgl. o.V. o.J.a. kann der Sozialausgleich aus Steuermit- zudem noch abweichende Regelungen 25 Vgl. o.V. o.J.b. https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 34 G+S 6/2014 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA mensabhängigen Beiträge nutzen und – ten mit einbezogen werden sollen, wäre werden aufgrund der zu vermutenden neben einem geringen einmaligen Um- der Sozialausgleich mit einem relativ zukünftigen Ausgabensteigerungen auf stellungsaufwand für die beitragsabfüh- „kleinen“ Rechenvorgang zu ermitteln. breiter Front ebenfalls nicht in Betracht renden Stellen – mit ihnen gemeinsam Dagegen wird der Sozialausgleich in gezogen. aufwandsarm für die Versicherten und der Schweiz mit einem „großen“ Re- Es lässt sich somit einerseits kons- Krankenkassen erhoben werden. Damit chenvorgang durchgeführt. Zudem tatieren, dass in der GKV in den letz- weist das zukünftige Verfahren sowohl können dort die Ausgleichsstellen erst ten Jahren der Preiswettbewerb unter gegenüber dem Beitragssystem der OKP berechnen, wenn sie die erforderlichen den Kassen in der Breite zum Erliegen als auch der Status-quo-GKV ein er- Daten über die Anträge der Versicherten gekommen ist. Andererseits waren heblich praktikableres Verfahren zur oder über die Steuerveranlagung bei der Kassen, die dennoch einen Zusatzbei- Beitragszahlung auf. Steuerbehörde eingeholt haben. Hin- trag erheben mussten, von massiven Um eine finanzielle Überforderung der gegen liegen den Ausgleichs- Versicherten bei der pauschalen Beitrags- stellen in Deutschland die zahlung zu verhindern, ist in der OKP zur Berechnung benötigten Eine einseitige Fokussierung auf und in der Status-quo-GKV ein steuer- Daten der Versicherten bereits den Wettbewerbsparameter finanzierter Sozialausgleich vorgesehen. vor. Bei mehreren beitrags- Das Verfahren zur deren Durchführung pflichtigen Einnahmen der "Preis" ist nicht zielführend. unterscheidet sich zwischen der OKP und Versicherten sind die Stel- GKV (vgl. Tabelle 2). In der Schweiz wird len allerdings auf eine entsprechende Mitgliederverlusten betroffen. Allein das Ausgleichsverfahren in den meisten Mitteilung der Krankenkassen ange- die Erhebung eines Zusatzbeitrags er- Kantonen nach Antragstellung von der wiesen. Bei der Auszahlung ist wie in zeugte ein starkes Preissignal, zumal die zuständigen Behörde durchgeführt. Zur der Schweiz eine Zweckentfremdung meisten Kassen keinen Zusatzbeitrag Berechnung des Sozialausgleichs sind ne- des Sozialausgleichs durch die Versi- verlangten. 27 Die Folge war eine exis- ben familiären und anderweitigen Daten cherten ausgeschlossen. Die Regelung tenzbedrohende finanzielle Schieflage die Finanzdaten des Ausgleichsberechtig- sieht seine Verrechnung über die ein- der betroffenen Kassen. Das führte zu ten maßgebend. Kantonsabhängig wird kommensabhängigen Beiträge vor. Auf- einigen Kassenfusionen und bei der City zu einem bestimmten Einkommen ein grund der genannten Aspekte könnte BKK bzw. der BKK für Heilberufe sogar Anteil seines Vermögens hinzugerech- der vorgesehene Sozialausgleich in der zur Kassenschließung. Hintergrund ist net. Zudem erfolgen noch verschiedene Status-quo-GKV gegenüber dem prak- die Höhe des Zusatzbeitragsreferenz- Abzüge und Aufrechnungen. Bezüglich tizierten in der OKP als der insgesamt niveaus von 0 € (durchschnittlicher der Auszahlung erhielten die Versicherten praktikablere bewertet werden. Da in Zusatzbeitrag in den letzten Jahren in einigen Kantonen bis 2013 noch den Deutschland durch das GKV-FQWG von 0 €), so dass es aufgrund dieser Sozialausgleich per Banküberweisung. die pauschalen Zusatzbeiträge durch Erfahrungen bis heute oberstes Gebot Dabei bestand die Gefahr, dass dieser einkommensabhängige Zusatzbeiträge der Kassen ist, keinen Zusatzbeitrag von den Versicherten nicht zweckmä- ersetzt und damit die Sozialausgleichs- zu erheben („Zusatzbeitragsvermei- ßig verwendet wird. Seit 2014 ist eine regelungen obsolet werden, erfolgt der dungswettbewerb“), um nicht durch Zweckentfremdung nicht mehr mög- Einkommensausgleich vollständig sys- deutliche Mitgliederverluste am Markt lich. Der Sozialausgleich wird in allen temintern und damit praktisch auf- „abgestraft“ zu werden. Kantonen nur noch an die Versicherer wandslos. Somit hat sich gezeigt, dass die ausgezahlt, die ihn mit den Kopfprämien gesetzliche Ausgestaltung der GKV- verrechnen. 3.3 Wettbewerb Finanzierung seit dem GKV-WSG, Das Ausgleichsverfahren in der Sta- entgegen ihrer Absicht einer Wettbe- tus-quo-GKV bezüglich der pauscha- Im Unterschied zur derzeitigen Beitrags- werbsstärkung, zu einer deutlichen Ab- len Zusatzbeiträge sieht dagegen i.d.R. situation in der GKV besteht, wie Ta- schwächung des Preiswettbewerbs der ein Verfahren ohne Antragstellung vor. belle 2 zeigt, in der OKP mit den zwi- Kassen in der Breite geführt hat. Durch Die Verantwortung obliegt dabei den schen den Versicherern unterschiedlich den „Zusatzbeitragsvermeidungswett- Stellen, die die einkommensabhängigen hohen Kopfprämien zwar ein – aber bewerb“ ist zudem der wünschenswerte Beiträge abführen. Unter Umständen durch den recht unvollkommenen RSA Kassenwettbewerb um innovative Ver- kann ein antragsloses Verfahren mit verzerrtes – Preissignal für den dortigen sorgungskonzepte deutlich geschwächt weniger Aufwand für die Ausgleichs- Kassenwettbewerb. In der GKV gibt es worden. Somit haben sich die pauscha- stellen durchgeführt werden. Dies hängt dagegen, mit Ausnahme der von einigen len Zusatzbeiträge als dysfunktionales aber davon ab, wie „automatisiert“ die Kassen ihren Versicherten gewährten Wettbewerbssignal erwiesen. Fallbearbeitung tatsächlich abliefe. Ein Beitragsrückzahlungen, gegenwärtig Auch die im GKV-FQWG vorgesehe- solches Verfahren hat zumindest für kein Preissignal. Hintergrund ist, dass nen Änderungen haben Auswirkungen die Versicherten den Vorteil, dass sie die als Preissignal vom Gesetzgeber vor- auf den Kassenwettbewerb. Neben der keine Anträge stellen brauchen. Die gesehenen pauschalen Zusatzbeiträge Ausgleichsberechnung in der GKV soll von der Masse der Kassen aufgrund für die Pflichtversicherten nur auf ihren ihrer (noch) guten Finanzausstattung 26 26 Die gute Finanzsituation der Kassen in den letzten Jahren resultiert aus dem (zu) hoch beitragspflichtigen Einkommen basie- nicht erhoben werden müssen. Ana- angesetzten Beitragssatz von 15,5 %. ren. Da keine sonstigen (Finanz-)Da- log wirkende Beitragsrückzahlungen 27 Vgl. ausführlich Albrecht/Neumann 2013. https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. G+S 6/2014 35 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA Umwandlung der pauschalen Zusatz- des durchschnittlichen Zusatzbeitrags- Krankengeld und Auslandsversicherte beiträge in einen prozentualen Satz der satzes und die vom GKV-Spitzenverband weiterzuentwickeln. 30 beitragspflichtigen Einkommen wird im Internet veröffentlichte, laufend Ein „optimierter“ Morbi-RSA würde der allgemeine Beitragssatz auf 14,6 % aktualisierte Übersicht über die Höhe zwar, wie eben dargelegt, die Grund- abgesenkt. Diese Absenkung hat Min- der Zusatzbeitragssätze der Kassen hin- lage für einen möglichst unverzerrten dereinnahmen des Gesundheitsfonds zur weisen. Falls der Zusatzbeitragssatz den Preiswettbewerb schaffen. Ein sinnvol- Folge, was wiederum die Zuweisungen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz ler Kassenwettbewerb liegt damit aber an die Kassen verringert. Die dadurch überschreitet, müssen die Mitglieder immer noch nicht vor, da im Status quo entstehenden Unterdeckungen von vor- auch auf die Möglichkeit, in eine güns- aufgrund der weitgehenden Dominanz aussichtlich 11,2 Mrd. € für 2015 könn- tigere Kasse wechseln zu können, hinge- kollektivvertraglicher Regelungen eine ten einige der Kassen dazu veranlassen, wiesen werden. Hier haben die Kassen völlig einseitige Fokussierung auf den den derzeit im allgemeinen Beitragssatz ihre aktuellen Zusatzbeitragssätze dem Parameter „Preis“ erfolgt. Für eine wei- von 15,5 % integrierten Sonderbeitrag GKV-Spitzenverband zu melden, wo- tergehende Differenzierung im Wettbe- von 0,9 % entweder zum Teil, voll oder mit die Mitglieder Kenntnis über eine werb und zur Vermeidung eines reinen sogar darüber hinaus als Zusatzbeitrag transparente Vergleichsmöglichkeit er- Preiswettbewerbs ist es daher wichtig, vom beitragspflichtigen Einkommen halten. Gleichzeitig können aber diese den Kassen auf der Ausgabenseite deut- ihrer Versicherten zu erheben. 28 Da die überzogenen Hinweispflichten zusam- lich mehr Handlungsoptionen bzw. zukünftigen Zusatzbeiträge deshalb men mit dem Sonderkündigungsrecht Gestaltungsspielräume – bsw. Möglich- nicht wie zuletzt um den Wert 0, son- der geplanten und sinnvollen Abnahme keiten des selektiven Kontrahierens im dern in Verbindung mit der Senkung der im Einzelfall bislang zu hohen Preis- Rahmen des Vertragswettbewerbs – als der Zuweisung aus dem Gesundheits- wettbewerbsintensität entgegenstehen. bislang zu geben. Der Kassenwettbewerb fonds voraussichtlich deutlich darüber Eine „Scharfstellung“ des Kassenwettbe- könnte sich dann auch durch die stär- schwanken und tatsächlich durch die werbs – wie bei den preistransparenteren kere Berücksichtigung von qualitativen Mehrheit der Kassen erhoben werden Kopfpauschalen-bzw. Zusatzbeitrags- Elementen von einem reinen Preiswett- dürften, scheint damit ein Hemmschuh modellen – vor allem über den Parameter bewerb – der nicht angestrebt werden für einen konstruktiven Kassenwettbe- „Preis“ ist aber zumindest solange nicht sollte – zu einem optimierten Preis- und werb beseitigt zu sein. zielführend, bis die Wettbewerbsgrund- Qualitätswettbewerb weiterentwickeln. Im Vergleich zu den Kopfprämien lagen verbessert werden. Leider haben die diesbezüglichen Ab- der OKP und zu den noch geltenden Eine Grundlage für einen funktionie- sichtserklärungen im Koalitionsvertrag Zusatzbeiträgen der GKV sollen die renden Kassenwettbewerb stellt ein mög- keinen Niederschlag im GKV-FQWG lichst umfassender Risiko- gefunden. strukturausgleich (RSA) dar. Sehr sinnvoll sind hingegen die durch Für eine weitergehende Dieser ist die Voraussetzung das GKV-FQWG vorgesehenen, wett- dafür, dass die Kopfprämien bewerblichen Maßnahmen auf der Ein- Wettbewerbsdifferenzierung der OKP und die (pauschalen nahmenseite durch die Einführung eines benötigen die bzw. zukünftig prozentualen) vollständigen Einkommensausgleichs. Zusatzbeiträge der GKV kein Ziel ist es hierbei, Wettbewerbsverzer- Krankenkassen deutlich aufgrund von unterschiedli- rungen und Risikoselektionsanreize bei mehr Handlungsoptionen chen Versichertenstrukturen den Kassen zu verhindern und sicher- verzerrtes Preis- und damit zustellen, „dass sich der Wettbewerb auf der Ausgabenseite. Wettbewerbssignal, sondern an den Bedürfnissen der Versicherten idealtypisch die Unterschie- orientiert und sich die Krankenkassen zukünftigen Zusatzbeiträge prozentual de in den Kostenstrukturen der Kassen um eine wirtschaftliche und qualitativ und im Quellenabzug erhoben werden. und damit angemessene Preissignale hochwertige Versorgung bemühen.“31 Die Erhebung wäre für die Versicherten für Wirtschaftlichkeit widerspiegeln. Da sich die durchschnittlichen beitrags- somit nicht so transparent bzw. weniger Hinsichtlich dieser Kriterien kann der pflichtigen Einkommen der Mitglieder je spürbar als bei einer Zahlung von Kopf- Risikoausgleich in der OKP mit seinen nach Kasse unterscheiden und von den prämien bzw. pauschalen Zusatzbeiträ- relativ groben Ausgleichsfaktoren nicht Kassen nicht beeinflusst werden können gen bsw. per Überweisung. Diese Vorge- überzeugen. Demgegenüber gleicht der bzw. nicht beeinflusst werden sollten, hensweise ist sinnvoll, um die derzeitig derzeitige morbiditätsorientierte Risi- erscheint ein vollständiger Einkom- vorherrschende, zu einseitige Fokussie- kostrukturausgleich (Morbi-RSA) in rung auf den bislang recht inhaltslee- der GKV die unterschiedlichen Ver- 28 Eine Erhebung der Zusatzbeiträge setzt allerdings voraus, dass die Unterdeckungen ren Parameter „Preis“ abzuschwächen. sichertenstrukturen der Kassen zwar mancher Kassen nicht durch eine Verwen- Dieser richtigen Intention könnten aber genauer aus, doch auch er weist (im- dung ihrer im Durchschnitt relativ hohen Rücklagen ausgeglichen werden. die vorgesehenen Hinweispflichten im mer noch) Defizite hinsichtlich seiner 29 Vgl. Drösler et al. 2011. Zusammenhang mit der Erhebung eines Zielgenauigkeit auf. 29 Um einen faireren 30 Das Vorhaben der Annualisierung der Kosten Zusatzbeitrags entgegenstehen. Dabei Wettbewerb zwischen den Kassen zu er- für Verstorbene, wie es im Koalitionsvertrag müssen die Kassen ihre Mitglieder durch möglichen, ist es im GKV-FQWG daher vereinbart wurde (vgl. CDU/CSU/SPD 2013: 83), soll auf Grundlage der Rechtsprechung ein gesondertes Schreiben auf die Mög- folgerichtig vorgesehen, den Morbi-RSA ebenfalls umgesetzt werden. lichkeit eines Kassenwechsels, die Höhe durch Veränderungen in den Bereichen 31 BT-Drucksache 18/1307: 3 und 26. https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 36 G+S 6/2014 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA mensausgleich sachgerecht32 und dient insbesondere vor dem Hintergrund würden die benötigten Steuermittel zur Stärkung der Wettbewerbsneutra- der letzten Finanzkrise. Nicht zuletzt aber (enorme) Größenordnungen an- lität. 33 In der Folge differiert der ein-gibt es aufgrund hoher Kosten bei ei- nehmen. Dies lässt eine verlässliche kommensabhängige Zusatzbeitrag (bei ner Umstellung der Finanzierung von Finanzierung aus dem Bundeshaushalt ansonsten gleichen Rahmenbedingun- der Umlage auf ein (Teil-)Kapitalde- mehr als fraglich erscheinen. Aus den gen) nur aufgrund der kassenspezifischen ckungsverfahren erhebliche Zweifel an genannten Gründen ist es daher – wie im Unterschiede auf der Ausgabenseite. In einer praktikablen und zudem politisch GKV-FQWG vorgesehen – sachgerecht, der OKP der Schweiz bzw. der Status- durchsetzbaren Umsetzung eines derar- den Einkommensausgleich im Rahmen quo-GKV stellt sich hingegen die Frage tigen Vorhabens. 35 der Beitragsfinanzierung wieder ohne nach einem (vollständigen) Einkommens Neben der Art des Finanzierungsver- Ausnahme systemintern zu realisieren. 36 ausgleich nicht. Da die Kopfprämien fahrens ist für die Bewertung hinsicht- Allerdings stellen die Neuregelungen des bzw. Zusatzbeiträge pauschal erhoben lich der Nachhaltigkeit auch relevant, GKV-FQWG für die Realisierung der werden, hat die Einnahmesituation der auf welcher Grundlage die Finanzierung (systeminternen) Einkommenssolidari- jeweiligen Kasse keinen Einfluss darauf. basiert (vgl. Tabelle 2). Eine wie in der tät i.d.R. nur auf die beitragspflichtigen Selbstverständlich erfolgt auch hier ein Schweiz praktizierte pro-Kopf-Finan- Löhne und Lohnersatzleistungen ab. Einkommensausgleich, allerdings nicht zierung ist per se nachhaltiger als die Zudem ist auch keine Veränderung der systemintern, sondern extern durch Steu- in Deutschland praktizierte einkom- Beitragsbemessungsgrenze geplant. Eine ermittel. mensbezogene Finanzierung. Dies liegt mögliche Lösungsoption für diese Pro- daran, dass eine pro-Kopf-Finanzierung blematiken der einkommensbezogenen 3.4 Nachhaltigkeit implizit alle Einkunftsarten mitein- Finanzierung der GKV – die jedoch im schließt, wohingegen die einkommens- GKV-FQWG keinen Niederschlag ge- Sowohl die OKP- und die Status-quo- bezogene Finanzierung in Deutschland funden hat – liegt in einer Ausweitung Finanzierung der GKV als auch die nur bestimmte Einkunftsarten für die der Beitragsbemessungsgrundlage auf Finanzierung nach dem GKV-FQWG Beitragsberechnung heranzieht. Zudem alle Einkunftsarten in Verbindung mit basieren, wie aus Tabelle 2 zu entneh- kommt eine pro-Kopf-Finanzierung auf- einer deutlichen Anhebung der BBG. men ist, auf dem Umlageverfahren. Bei grund ihres Pauschalcharakters ohne Dadurch werden die Nachhaltigkeits- einem Umlageverfahren werden die ein- BBG aus. Der große Nachteil einer pro- effekte der pro-Kopf-Finanzierung in genommenen Finanzmittel zur Deckung Kopf-Finanzierung liegt jedoch im dafür einer einkommensbezogenen Finanzie- von laufenden Ausgaben verwendet. erforderlichen steuerfinanzierten Sozi- rung quasi „nachgebaut“. Es ist also Kritisiert wird hierbei neben der man- alausgleich zur Realisierung der Ein- nicht erkennbar, dass – wie im Bericht gelnden intergenerativen Verteilungs- kommenssolidarität. Dabei ist zwar der des Gesundheitsausschusses behauptet gerechtigkeit häufig die fehlende Nach- Sozialausgleich in der OKP nachhaltiger wird 37 – die Neuregelungen im GKV- haltigkeit, so dass von einigen Autoren ausgestaltet als der in der Status-quo- FQWG die Finanzierungsgrundlage der GKV gesetzlich vorgesehene, GKV nachhaltig stärken und auf eine Es ist nicht erkennbar, dass die aber nie benötigte Sozialaus- gleich. So wird in der OKP stabile, solide und zukunftsfähige Basis stellen. Neuregelungen des GKV-FQWG ein umfangreicherer Einkom- die Finanzierungsgrundlage der mensbegriff zur Ermittlung der Belastungsgrenze her- 32 „Da nicht sichergestellt ist, dass sich die Zahlungsströme im Einkommensausgleich GKV nachhaltig stärken. angezogen. Dennoch weisen auf Null saldieren, ist die Abwicklung über die Liquiditätsreserve und deren Aufsto- Gesundheitssysteme, die den ckung auf 25% sinnvoll.“ (Wasem 2014b: als Alternativlösung die Umstellung auf Einkommensausgleich in das Steuer- 2f.) 33 Vgl. Albrecht/Neumann 2013 und Neu- eine Umlagefinanzierung mit anteili- Transfer-System verlagert haben, entwe- mann/Albrecht 2014. Für einen unverzerr- ger Kapitaldeckung oder sogar auf eine der – wie in der Schweiz – ein sehr nied- ten Kassenwettbewerb wäre es allerdings noch sachgerechter, die Umlage des Defi- vollständige Finanzierung über ein Ka- riges Ausgleichsniveau oder das Problem zits durch die Kürzung der Zuweisungen pitaldeckungsverfahren vorgeschlagen der mangelnden Verlässlichkeit eines „je Versicherten“ umzusetzen. Auch der wird. 34 Bei diesem Verfahren ist Kapital ex-ante definierten Ausgleichsniveaus Einkommensausgleich sollte entsprechend auf GKV-durchschnittliche beitragspflich- mittel- bis längerfristig an den Finanz- auf. Bei steigenden Ausgaben und damit tige Einnahmen je Versicherten abstellen märkten anzusparen, um es später bei steigenden Pauschalen müsste bei kon- (vgl. Wasem 2014b: 3). Bedarf zu entsparen. Als ein möglicher stantem Ausgleichsniveau der absolute 34 Vgl. dazu stellvertretend Felder/Fetzer 2007. Vorteil wird neben der höheren interge- Subventionsbedarf ebenfalls ansteigen. 35 Vgl. Pfaff et al. 2006: 98 ff. nerativen Verteilungsgerechtigkeit eine Da dies gerade auch den Bemühungen 36 Auch Wasem (2014a) weist darauf hin, Glättung der Beitragsbelastung über die zur Konsolidierung des Bundeshaushalts dass ein steigender, durch Steuermittel finanzierter externer Solidarausgleich auf Lebenszeit diskutiert. Davon wird sich in Deutschland entgegenlaufen würde, lange Sicht nicht durchzuhalten ist und zwar eine höhere Nachhaltigkeit der ist es sehr wahrscheinlich, dass das Aus- somit folgerichtig zukünftig auf pauschale Zusatzbeiträge mit einem steuerfinanzier- Finanzierung versprochen, belastbare gleichsniveau im Zeitverlauf sinkt. Zwar ten Sozialausgleich verzichtet wird. empirische Ergebnisse stehen allerdings wären die bei „kleinen“ Zusatzbeiträgen 37 Vgl. BT-Drucksache 18/1657: 2, 57 und 65; bislang aus. Außerdem ist das Anspa- benötigten Steuermittel zur Prämiensub- Für Greß (2014) hat aber auch die Finan- zierung über pauschale Zusatzbeiträge die ren von Kapital an den Finanzmärkten vention ebenfalls noch relativ „klein“, Nachhaltigkeit der GKV-Finanzierung auf mit beträchtlichen Risiken verbunden, bei „anwachsenden“ Zusatzbeiträgen keine sichere Basis gestellt. https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50. G+S 6/2014 37 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
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