Finanzreform der Krankenversicherung vor dem Hintergrund des GKV-FQWG: Deutschland und die Schweiz im Vergleich - Nomos eLibrary

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Finanzreform der
Krankenversicherung vor dem
Hintergrund des GKV-FQWG:
Deutschland und die Schweiz
im Vergleich
CHRISTIAN KUNOW,                      Seit über 10 Jahren wird in Deutschland die Debatte
BERNHARD L ANGER                      um eine grundlegende Reform der Finanzierung der
Christian Kunow, M.A. ist             Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit den
wissenschaftlicher Mitarbeiter        zentralen Reformvorschlägen „Bürgerversicherung“
am Fachbereich Gesundheit,
Pflege, Management an der             und „Kopfpauschalen“ geführt. Dabei wurde neben der
Hochschule Neubrandenburg             Diskussion diverser einheimischer Modellvarianten immer
Prof. Dr. Bernhard Langer ist         wieder auf Praxiserfahrungen des Auslands verwiesen.
Hochschullehrer am Fachbe-            Der Beitrag analysiert daher zunächst das oft als Vorbild
reich Gesundheit, Pflege, Ma-
nagement an der Hochschule            für die deutsche Debatte dienende Schweizerische
Neubrandenburg                        Finanzierungsmodell. Anschließend wird dieses anhand
                                      wichtiger Kriterien einer vergleichenden Bewertung
                                      unterzogen: sowohl mit der in Deutschland derzeit
                                      noch geltenden GKV-Finanzierung als auch mit den
                                      durch das GKV-FQWG im Sommer 2014 verabschiedeten
                                      und ab Anfang 2015 geltenden Neuregelungen.

                                      1. Einleitung                                                    kenkassen als Einnahmemöglichkeit zur
                                                                                                       Verfügung stehenden Zusatzbeiträgen
                                      Die mittlerweile seit fast 20 Jahren in                          („kleine Kopfpauschale“) mit kassen-
                                      der Schweiz praktizierte pauschale Fi-                           internem Sozialausgleich zur Vermei-
                                      nanzierung der Krankenversicherung                               dung sozialer Härten begann auch in
                                      wird schon seit vielen Jahren als Lö-                            Deutschland eine erste Hinwendung
                                      sungsoption für die Probleme der GKV-                            zu Elementen der Kopfpauschale. 2011
                                      Finanzierung in Deutschland diskutiert.                          erfolgte dann durch das GKV-Finan-
                                      In deutlichem Gegensatz zur Schweiz                              zierungsgesetz (GKV-FinG) ein Ausbau
                                      wurde bis Ende 2008 die GKV – neben                              der Pauschalfinanzierung, wonach die
                                      einem seit 2004 gezahlten Bundeszu-                              Zusatzbeiträge ausschließlich in pau-
                                      schuss aus Steuermitteln – durch ein-                            schaler Form von den Krankenkassen
                                      kommensabhängige Beiträge finanziert.                            zu erheben wären. Der dazugehörige So-
                                      Doch mit den anhand des GKV-Wett-                                zialausgleich wurde ebenso modifiziert
                                      bewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG)                               und sollte ab 2015 systemextern durch
                                      im Jahr 2009 eingeführten, den Kran-                             Steuermittel aus dem Gesundheitsfonds

                                                https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
                                        Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.                  G+S    6/2014         27
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finanziert werden. Durch die nun mit        Neuausrichtung des Krankenversiche-                                 Unterschiede in der Prämienhöhe er-
dem GKV-Finanzstruktur- und Qua-            rungssystems der Schweiz, dieses wurde                           geben sich auch hinsichtlich des Alters
litäts-Weiterentwicklungsgesetz (GKV-       aber keiner kompletten Reform unterzo-                           der Versicherten. So haben die Kranken-
FQWG) verabschiedeten Änderungen            gen. Einige Systemkomponenten, bsw.                              versicherer bei der Prämienberechnung
in der Finanzierung der GKV werden          die Finanzierung über Kopfpauschalen,                            drei Altersgruppen zu unterscheiden:
die einkommensunabhängigen durch            sind mit veränderter Ausgestaltung aus                           Kinder bis zum vollendeten 18. Lebens-
einkommensabhängige Zusatzbeiträge          dem alten System übernommen worden.3                             jahr, junge Erwachsene bis zum 25. Le-
ersetzt. Damit wird der seit dem GKV-                                                                        bensjahr und Erwachsene, die 26 Jahre
WSG eingeschlagene Weg hin zu einer         2.1 Finanzierungsgrundpfeiler                                    und älter sind. Erwachsene zahlen die
stärkeren Teilfinanzierung durch pau-                                                                        volle Kopfprämie, junge Erwachsene
schale Finanzierungselemente beendet.     Die OKP ist in Form eines Versicherungs-                           und Kinder hingegen eine niedrigere.
   Ziel dieses Beitrags ist es daher      obligatoriums verpflichtend für die ge-                            Da das Alter und das Erkrankungsrisi-
zum einen, das oft als Vorbild für die    samte Wohnbevölkerung der Schweiz.                                 ko korrelieren, kann in Anbetracht der
deutsche Debatte dienende Finanzie-       Dabei zahlen alle Versicherten an ihren                            Altersabhängigkeit von leicht risikoori-
rungssystem der Schweizer Kranken-        Krankenversicherer Kopfpauschalen                                  entierten Kopfprämien gesprochen wer-
versicherung vorzustellen und einer       anhand sog. „Kopfprämien“. Eine prä-                               den. Die Prämienhöhe unterscheidet sich
aktuellen sozialpolitischen Bewertung     mienfreie Mitversicherung und Arbeit-                              zudem aufgrund der Möglichkeit der
zu unterziehen (vgl. Abschnitt 2). Zum    geberbeiträge gibt es also nicht. Um die                           Versicherten, einen auf freiwilliger Ba-
anderen wird das Schweizer Finanzie-      in schlechten wirtschaftlichen Verhält-                            sis wählbaren Prämienrabatt von ihrem
rungssystem mit der in Deutschland        nissen lebenden Versicherten finanziell                            Krankenversicherer erhalten zu können.
aktuell geltenden GKV-Finanzierung        nicht zu überfordern, wird die Prämi-                              Eine Prämienberechnung ist sowohl nach
(Status quo) und den Änderungen, die      enzahlung mit einem steuerfinanzierten                             dem Krankheitsrisiko, dem Einkommen
sich aus dem GKV-FQWG ergeben,            Sozialausgleich flankiert. Sog. „Prämi-                            und dem Geschlecht der Versicherten
anhand wichtiger Kriterien verglei-       enverbilligungen“, die vom Bund und                                als auch nach dem Eintrittsalter in die
chend bewertet. Dadurch sollen mög-       von den Kantonen aufgebracht werden,                               Versicherung unzulässig.
liche Vor- und Nachteile der einzelnen    federn die Überforderung ab. Zudem
                                                    müssen sich die Versicherten                             2.3 Ausgestaltung des
    Das Kopfpauschalensystem                        an den von ihnen in Anspruch
                                                    genommenen Leistungen zum
                                                                                                             Sozialausgleichs
    der Schweiz weist eine                          Teil selbst beteiligen. Für den                          Im Rahmen des sozialen Ausgleichs
    erhebliche sozialpolitische                     Ausgleich unterschiedlicher
                                                    Versichertenstrukturen der
                                                                                                             gewährt eine dafür in jedem Kanton
                                                                                                             zuständige Behörde den in schlechten
    Fehlentwicklung auf.                            Versicherer sorgt ein Risiko-                            wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden
                                                    ausgleich. Anhand der Mor-                               Versicherten eine Prämienverbilligung.
­Finanzierungsvarianten identifiziert biditätsfaktoren Alter, Geschlecht und                                 Der Bund beteiligt sich zwar neben den
 werden (vgl. Abschnitt 3). Dabei stehen Aufenthalt im Spital oder Pflegeheim                                Kantonen durch Steuermittel an der Fi-
 die Schweiz mit ihrer „reinen“ Kopfpau- werden die über die Kopfprämien ein-                                nanzierung des Sozialausgleichs, schreibt
 schalenfinanzierung am einen Ende und genommenen Finanzmittel zwischen den                                  aber mit Ausnahme der Auszahlung der
 die in Deutschland vollständig einkom- Versicherern umverteilt.4                                            Prämienverbilligung kein für die Schweiz
 mensbezogene Finanzierungsregelung                                                                          einheitliches Ausgleichsverfahren vor.
 durch das GKV-FQWG am anderen 2.2 Ausgestaltung der                                                         Die konkrete Ausgestaltung ist im kan-
 Ende eines möglichen Finanzierungs- Kopfprämien                                                             tonalen Recht geregelt und liegt somit
 kontinuums. Dazwischen bewegt sich                                                                          in der Zuständigkeit der Kantone. Da
 die Status-quo-GKV mit einem Mix aus Die im Umlageverfahren berechneten                                     jeder Kanton sein eigenes Prämien-
 einkommensbezogenen und pauschalen einkommensunabhängigen Kopfprämien                                       verbilligungssystem hat, existieren 26
 Finanzierungselementen.                  werden von jedem Bewohner der Schweiz                              verschiedene Verfahren. Diese werden
                                          gezahlt. Grundsätzlich gelten für alle                             in Tabelle 1 anhand von ausgewählten
 2. Finanzierungssystem der               Versicherten eines Krankenversicherers                             Kriterien systematisiert.
 Schweizer Krankenversicherung            die gleichen Kopfprämien. Dennoch                                     Gemeinsam haben alle Verfahren,
                                          kann es zu Prämienunterschieden kom-                               dass die Prämienverbilligung berechnet
 Die Krankenversicherung der Schweiz men: sowohl zwischen den Versicherern                                   und anschließend ausgezahlt wird. Zu-
 ist seit der Reform im Jahr 1996 durch als auch zwischen den Kantonen und                                   nächst müssen allerdings die anspruchs-
 das Krankenversicherungsgesetz (KVG) innerhalb eines Kantons. Intrakanto-                                   berechtigten Versicherten ermittelt
 geregelt. Das KVG beinhaltet, neben ei- nal sind für die Versicherer bis zu drei
 ner freiwilligen Taggeldversicherung als regionale Prämienabstufungen erlaubt.                              1    Vgl. BAG 2012: 3.
 private Zusatzversicherung, eine obli- In einem Kanton können demzufolge                                    2    Vgl. Telser/Steinmann 2005: 528.
 gatorische Krankenpflegeversicherung drei Prämienregionen bestehen. Insofern                                3    Vgl. Spycher 2004: 20.
 (OKP) als Grundversicherung.1 Mit der hängt die Prämienhöhe vom Wohnort                                     4    Der Bundesrat der Schweiz hat den Risiko-
                                                                                                                  ausgleich revidiert, womit dieser ab 2017
 als Pendant zur GKV in Deutschland an- der Versicherten und vom jeweiligen                                       verfeinert werden soll (vgl. Gemeinsame
 zusehenden OKP2 kam es zwar zu einer Versicherer ab.                                                             Einrichtung KVG o.J.).

                                                      https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
28        G+S     6/2014                      Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.
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Tabelle 1. Prämienverbilligungssysteme der Kantone im Überblick
               Antragstellung                           Berechnung des Prämienverbilligungsbetrages                                         Auszahlung des
           Ohne            Mit                  Berechnungsgrundlage                                    Berechnungsmodell                      Betrages
           Antrag         Antrag                                                                                                                an die
                                           Finanzielle                Finanzielle              Stufen-         Prozent-      Misch-       Krankenversicherer
                                          Verhältnisse               Verhältnisse              modell           modell       modell
                                            vor dem                       im
                                         Anspruchsjahr              Anspruchsjahr
  ZH                          x                  x                           x                     x                                               x
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  NW                          x                  x                                                                  x                              x
  GL                          x                  x                           x                                                  x                  x
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  FR                          x                  x                                                  x                                              x
  SO                          x                  x                           x                                                  x                  x
  BS                          x                  x                           x                      x                                              x
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  AR                          x                  x                                                                  x                              x
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  VD                          x                  x                           x                     x                                               x
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              7              26                 26                          14                     11               8           7                 26
ZH (Zürich), BE (Bern), LU (Luzern), UR (Uri), SZ (Schwyz), OW (Obwalden), NW (Nidwalden), GL (Glarus), ZG (Zug), FR (Freiburg), SO (Solothurn), BS
(Basel-Stadt), BL (Basel-Landschaft), SH (Schaffhausen), AR (Appenzell Ausserrhoden), AI (Appenzell Innerrhoden), SG (St. Gallen), GR (Graubünden),
AG (Aargau), TG (Thurgau), TI (Tessin), VD (Waadt), VS (Wallis), NE (Neuchâtel), GE (Genf), JU (Jura)

Quelle: Eigene Zusammenstellung5

werden. Für die Ermittlung sind zwei              innerhalb der kantonalen Frist und in                            die vor dem Anspruchsjahr entstanden
Verfahren zu unterscheiden: das Ver-              den meisten Kantonen im Anspruchs-                               sind. Falls sich die finanziellen Verhält-
fahren ohne eine Antragstellung und               jahr bei der Behörde eingereicht werden.                         nisse im Anspruchsjahr verschlechtert
das Antragsverfahren mit Benachrich-              Grundsätzlich kann jeder Versicherte,                            haben, können in einigen Kantonen
tigung. Bei der Ermittlung ohne Antrag            der glaubt anspruchsberechtigt zu sein,                          auch die aktuellen Steuerdaten geltend
wird das Ausgleichsverfahren von der              bei der zuständigen Behörde einen An-                            gemacht werden. Zu den maßgeben-
zuständigen Behörde ohne eine jegliche            trag stellen.                                                    den Steuerdaten gehört das Einkommen
Mitwirkung der Versicherten vollzogen.               Nachdem die Anspruchsberechtigten                             zzgl. eines prozentualen Teils des Ver-
Beim Antragsverfahren benachrichtigt              ermittelt worden sind, erfolgt die Be-                           mögens. Je nach Kanton beruht die Be-
die Behörde meist zu Beginn des An-               rechnung der Prämienverbilligung. Zu                             rechnung, bei der verschiedenste Abzüge
spruchsjahres die von ihr ermittelten             den Berechnungsgrundlagen gehören                                und Aufrechnungen erfolgen können,
Anspruchsberechtigten. Dem Benach-                neben den Familien- und Wohnverhält-
richtigungsschreiben legen einige Behör-          nissen und der beruflichen Situation die                         5 Tabelle 1 und folgende Verschriftlichungen
den ein ausgefülltes oder unausgefülltes          finanziellen Verhältnisse der Anspruchs-                           basieren auf einer synoptischen Übersicht
                                                                                                                     (GDK 2014) und auf den Informationen
zu unterschreibendes Antragsformular              berechtigten. Bei der Berechnung greifen                           der von den kantonalen Behörden erstell-
bei. Das Antragsformular muss dann                die Behörden auf Steuerdaten zurück,                               ten aktuellsten Merkblätter.

                                                            https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
                                                    Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.                      G+S    6/2014           29
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THEMA

 Abbildung 1. Entwicklung der Bezieherquote, der monatlichen Prämienverbilligung pro Bezieher und der monatlichen
 ­Durchschnittsprämie von Erwachsenen von 1996 bis 2012

 Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis BAG (2013a: 2); BAG (2013b: 99 und 187)

auf unterschiedlichen Einkommensbe-          Regelung, dass alle zuständigen Behör-                           die eine Prämienverbilligung erhalten
griffen. In Bezug auf das zur Berechnung     den den Sozialausgleich an die Kranken-                          haben. Zudem wird dargestellt, wie sich
verwendete Modell ist zwischen dem           versicherer zu entrichten haben. Dies                            im gleichen Zeitraum die monatliche Prä-
Stufenmodell, dem Prozentmodell und          soll verhindern, dass die Anspruchs-                             mienverbilligung pro Bezieher und die
dem Mischmodell zu unterscheiden.            berechtigten ihn zweckentfremden.                                monatliche Durchschnittsprämie von
Das Stufenmodell besitzt i.d.R. Ein-         Bis 2013 konnten die Empfänger des                               Erwachsenen entwickelten.
kommensgrenzen. Ein Anspruch auf             Sozialausgleichs, abhängig vom jewei-                               Es ist sichtbar, dass sich die Bezie-
eine Prämienverbilligung besteht, so-        ligen Kanton, die Versicherer oder die                           herquote in zwei Richtungen entwickelt
fern das maßgebende Einkommen unter          Versicherten sein. Waren die Versiche-                           hat. Im Jahr 1996 lag der Anteil der
den jeweiligen Grenzen liegt.6 Hingegen      rer die Empfänger, verrechneten sie die                          Versicherten, die eine Prämienverbil-
arbeitet das Prozentmodell mit einem         Prämienverbilligung mit der von den                              ligung erhalten haben, bei 22,9 %.
prozentualen Teil des Einkommens.            Versicherten zu zahlenden Prämie. Der                            In der Folgezeit stieg die Quote bis
Versicherte sind anspruchsberechtigt,        mit der reduzierten Prämie ersichtliche                          2002 auf 33,1 %, um danach mehr als
wenn die herangezogene Prämie, bei           Abzug wurde abhängig vom Kanton                                  4 %-Punkte abzunehmen. 2012 bezo-
der es sich nicht um die tatsächlich         monatlich, vierteljährlich oder jährlich                         gen noch 29,0 % der Versicherten eine
zu zahlende, sondern um eine Richt-,         vollzogen. Im Fall der Versicherten wur-                         Prämienverbilligung. Der Anstieg der
Referenz- oder Durchschnittsprämie           de der Sozialausgleich einmal im Jahr                            Bezieherquote von 1996 bis 1999 wird
handelt, einen bestimmten Prozentsatz        oder jeden Monat auf das Bankkonto                               auf eine bessere Erfassung der Bezieher
übersteigt. Dabei entspricht die Dif-        der Versicherten überwiesen oder mit                             zurückgeführt.7 Zudem brauchte der
ferenz zwischen Selbstbehalt und he-         ihrer Steuerrechnung verrechnet.                                 Sozialausgleich Zeit, um als soziales
rangezogener Prämie der Prämienver-                                                                           Element in der Bevölkerung bekannt
billigung. Das Mischmodell bringt die        2.4 Sozialpolitische Wirksamkeit                                 zu werden. Wenn als Referenz die Zeit
Berechnungsmethoden des Stufen- und                                                                           ab 1999 zu Grunde gelegt wird, lag die
Prozentmodells zusammen. Hier wird           Um einen ersten Einblick in die solidari-                        Bezieherquote über einen langen Zeit-
den Einkommensstufen – im Vergleich          sche Ausprägung des Schweizer Finan-                             raum bei rund einem Drittel. Bezüglich
zum Stufenmodell – keine Prämien-            zierungssystems bezüglich der Prämi-                             der Prämienverbilligung, die alle Bezie-
verbilligung, sondern ein prozentualer       enzahlung und Prämienverbilligung zu
Selbstbehalt zugeordnet. Dabei steigt        bekommen, müssen die dazugehörigen                               6 Im Kanton Thurgau arbeitet das Stufenmo-
dieser mit der Höhe der Stufe.               Kennzahlen betrachtet werden. Abbil-                               dell nicht mit Einkommens-, sondern mit
   Nach Berechnung der Prämienverbil-        dung 1 zeigt für den Zeitraum von 1996                             Steuergrenzen. Die Höhe der Prämienver-
                                                                                                                billigung richtet sich hier nach der Höhe
ligung wird diese bargeldlos ausgezahlt.     bis 2012 die Entwicklung der Bezieher-                             der zu zahlenden Steuer.
Seit 2014 gilt die gesamtschweizerische      quote, also der Anteil der Versicherten,                         7 Vgl. Balthasar et al. 2001: 49.

                                                       https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
30        G+S     6/2014                       Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.
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 Abbildung 2. Entwicklung der kantonalen Prämienbelastung des verfügbaren Modelleinkommens nach Erhalt der
 ­Prämien­ver­billigung von 1998 bis 2010

 Quelle: Eigene Darstellung auf Basis Balthasar et al. (1998); Balthasar et al. (2005); Kägi et al. (2012)

her im Durchschnitt erhalten, ist dage-         chen 8 % des steuerbaren Einkommens                              3. Finanzierung der OKP,
gen ein anderer Verlauf zu beobachten.          ca. 6 % des verfügbaren Einkommens.9                             der Status-quo-GKV und
1996 wurde den Beziehern monatlich              Bis heute traf der Gesetzgeber aber kei-                         nach dem GKV-FQWG: eine
ein Sozialausgleich von 75 SFr. ausge-          ne gesamtschweizerische Regelung zu                              vergleichende Bewertung
zahlt. In den Jahren darauf erhöhte sich        einer maximalen Prämienbelastung.
der Betrag bis 2012 kontinuierlich auf          Abbildung 2 zeigt für jeden Kanton die                           Die Erfahrungen in der Schweiz zeigen,
143 SFr. Doch im gleichen Zeitraum              Entwicklung des Anteils, den die über                            dass sozial ausgeglichene Kopfpauscha-
stieg die monatliche Durchschnittsprä-          den Sozialausgleich verbilligte Prämie                           len für die Erreichung sozialpolitischer
mie der Erwachsenen sogar von 173 SFr.          am verfügbaren Modell­einkommen hat.                             Zielsetzungen kein in der Praxis taugli-
auf 382 SFr. Somit ist die Prämie mit              Bezüglich der gezeigten Jahre ist deut-                       ches Vorbild sind. Im Vergleich zur OKP
121 % stärker gestiegen als die Prämi-          lich zu sehen, dass in 20 Kantonen ein                           ist in der GKV seit einigen Jahren eine
enverbilligung mit 91 %. Daraus folgt,          kontinuierlicher und teils erheblicher                           langsam aufwachsende Pauschalfinan-
dass der Anteil der vom Sozialausgleich         Anstieg der Prämienbelastung vorliegt.                           zierung mit einkommensunabhängigen
gedeckten Prämie kleiner geworden ist.          In den restlichen 6 Kantonen stieg die                           Zusatzbeiträgen gesetzlich vorgesehen.
   Noch aussagekräftigere Kennzahlen            Belastung zwar nicht fortlaufend, dort ist                       Aufgrund der in den letzten Jahren sehr
zur sozialpolitischen Wirksamkeit des           aber zumindest eine insgesamt steigende                          guten Einnahmesituation der Kran-
Schweizer Finanzierungssystems liefern          Tendenz zu erkennen. 1998 haben 10                               kenkassen kommt diese aber – wobei
insbesondere die seit 1998 in regelmä-          Kantone das Sozialziel einer maxima-                             einige Kassen sogar Beitragsrückzah-
ßigen Abständen veröffentlichten Moni-          len Belastung von 6 % des verfügbaren                            lungen gewähren – gegenwärtig nicht
torings. Darin wird untersucht, welcher         Haushaltseinkommens nicht erreicht.                              zum Tragen. Da analog dazu die für die
Anteil des verfügbaren Haushaltsein-            In den darauffolgenden Jahren erhöh-                             Durchführung des Sozialausgleichs rele-
kommens auf die mit einem Sozialaus-            te sich die Zahl. So waren es 2004 20                            vante Rechengröße „durchschnittlicher
gleich verbilligte Prämie entfällt. Der         Kantone, bis 2010 alle 26 Kantone die                            Zusatzbeitrag“ in den letzten Jahren stets
Bundesrat in der Schweiz schlug schon           6 %-Marke überstiegen. Somit erhöh-                              auf 0 € festgelegt wurde, findet dem-
Anfang der 1990er Jahre vor, dass eine          te sich die Prämienbelastung auch im                             entsprechend auch kein Sozialausgleich
Prämienverbilligung gewährt werden              schweizerischen Durchschnitt von 5,6 %
soll, wenn die Prämie einen bestimmten          im Jahr 1998 auf 7,8 % im Jahr 2004                              8 Vgl. Schweizerischer Bundesrat 1992: 225.
Prozentsatz des Einkommens übersteigt.          und stieg bis 2010 vermutlich weiter an.10                       9 Vgl. Balthasar et al. 1998: 4.
Dieser Vorschlag sah eine verbleibende          Ausgehend vom Sozialziel zeigen diese                            10 Das letzte Monitoring (Kägi et al. 2012)
Prämienbelastung von 8 % des steuer-            Werte eine erhebliche sozialpolitische                              hat für das Jahr 2010 keinen Wert für die
                                                                                                                    Prämienbelastung bezogen auf den gesamt-
baren Einkommens vor.8 Dabei entspre-           Fehlentwicklung.                                                    schweizerischen Durchschnitt berechnet.

                                                          https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
                                                  Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.                   G+S      6/2014            31
                                           Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA

statt. Die Finanzierung der GKV beruht         Im Folgenden werden diese Neurege-                            te Beteiligung der Privatversicherten
daher neben dem Steuerzuschuss des          lungen des GKV-FQWG einer verglei-                               an der GKV-Finanzierung.
Bundes auf den einkommensabhängigen         chenden Bewertung mit der Status-quo-                               Nach den Regelungen des GKV-
Beiträgen, die mittels beitragspflichti-    Finanzierung der GKV in Deutschland                              FQWG soll nun das Experiment mit
ger Einkommen, i.d.R. den Löhnen und        und der OKP in der Schweiz anhand                                einkommensunabhängigen Zusatz-
Lohnersatzleistungen der Versicherten,      ausgewählter Kriterien unterzogen.                               beiträgen durch ihre Abschaffung
erhoben werden.                             Hintergrund der Auswahl dieser drei                              beendet werden, so dass zugleich der
   Mit dem von CDU, CSU und SPD             Finanzierungssysteme ist, dass dadurch                           Sozialausgleich und mit ihm die indi-
verabschiedeten GKV-Finanzstruktur-         das gesamte Finanzierungskontinuum                               rekte Beteiligung der Privatversicherten
und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz      von einkommensunabhängiger (Schweiz)                             entfällt. Es sind zwar über den auch
(GKV-FQWG) sind Veränderungen ge-           über einen Mix aus einkommensunab-                               zukünftig fließenden Bundeszuschuss
plant, die eine Neujustierung der GKV-      hängiger und einkommensabhängiger                                weiterhin Privatversicherte indirekt an
Finanzarchitektur bedeuten. So werden       (Status-quo-GKV) bis zu vollständig                              der GKV-Finanzierung beteiligt, al-
ab 2015 die derzeit nicht erhobenen ein-    einkommensabhängiger Beitragsfinan-                              lerdings liegt der Steueranteil an den
kommensunabhängigen Zusatzbeiträge          zierung (GKV-FQWG) exemplarisch                                  Einnahmen des Gesundheitsfonds vo-
in einen prozentualen Satz der beitrags-    dargestellt und vergleichend bewertet                            raussichtlich bei lediglich rund 5,7 %
pflichtigen Einkommen umgewandelt.11        werden kann.                                                     für 2015.17 Ein höherer Anteil würde
Der für die pauschalen Zusatzbeiträge                                                                        zwar die PKV-Versicherten stärker an
bisher vorgesehene steuerfinanzierte        3.1 Solidarität                                                  der GKV-Finanzierung beteiligen, doch
Sozialausgleich ist damit nicht mehr                                                                         davon ist aus Gründen der mangelnden
notwendig und entfällt, ebenso wie die      Im Gegensatz zu Deutschland besteht                              Verlässlichkeit abzuraten. Dies wird an
Möglichkeit von Beitragsrückzahlungen.      in der Schweiz mit der OKP ein ein-                              der Entwicklung des Bundeszuschusses
Gegenwärtig ist im allgemeinen Beitrags-    heitliches Krankenversicherungssys-                              seit 2004 deutlich.18 Eine Möglichkeit,
satz von 15,5 % der vom Versicherten        tem mit einer allgemeinen Versiche-                              alle Bürger direkt an der Finanzierung
allein zu tragende Sonderbeitragssatz       rungspflicht. Dort zahlt die
von 0,9 % integriert. Die Neuregelung       gesamte Wohnbevölkerung
sieht vor, dass dieser – nicht gedeckelt    die pauschalen Kopfprämi-         Das Nebeneinander von GKV
und damit perspektivisch in der Höhe        en und beteiligt sich somit       und PKV sollte endlich beendet
unbegrenzt – in den einkommensabhän-        an der Finanzierung der So-
gigen, von den Kassen individuell zu er-    lidargemeinschaft der OKP         werden.
hebenden Zusatzbeitrag einfließt. Der       (vgl. Tabelle 2). In Deutsch-
vom Bundesministerium für Gesund-           land gibt es dagegen kein einheitliches der GKV zu beteiligen – und dadurch
heit (BMG) für das Jahr 2015 festgelegte    Krankenversicherungssystem. Der ähnliche Solidaritätseffekte wie bei ei-
durchschnittliche Zusatzbeitragssatz von    überwiegende Teil der Bevölkerung ner deutlich höheren Steuerfinanzierung
0,9 %-Punkten12 dient zur Deckung eines     muss sich in der GKV versichern. Ein bei gleichzeitig größerer Verlässlichkeit
Defizits von voraussichtlich rund 11,2      kleinerer Bevölkerungsteil, mit im zu erzeugen – liegt in der direkten Ein-
Mrd. € für 2015,13 da im Gegenzug der       Durchschnitt besserem Gesundheits- beziehung des bislang außerhalb der
kassenübergreifend geltende, allgemeine     zustand,16 kann sich zwischen GKV GKV abgesicherten Personenkreises.19
Beitragssatz auf 14,6 % abgesenkt wird.     und Privater Krankenversicherung Im GKV-FQWG ist ein derartiges Vor-
Dabei ist der Arbeitgeberanteil weiterhin   (PKV) entscheiden. Derzeit wird die haben allerdings nicht vorgesehen.
bei 7,3 % festgeschrieben. Da zukünf-       GKV neben dem Steuerzuschuss des           Inwieweit die OKP- und GKV-
tige Finanzierungsdefizite der Kassen       Bundes, der sowohl von Versicherten Finanzierung solidarisch ausgestaltet
auch weiterhin ausschließlich von den       der GKV als auch von PKV-Versicher-
Versicherten zu decken sind, handelt es     ten aufgebracht wird, allein von GKV- 11 Die Umwandlung in einkommensabhän-
sich lediglich um eine „Scheinparität“14.   Versicherten und deren Arbeitgebern/       gige Zusatzbeiträge wurde im Vorfeld von
                                                                                       Jacobs (2013), Wasem (2013) und Jacobs/
Darüber hinaus soll bezüglich der Erhe-     Rentenversicherungsträgern zu tragen-      Wasem (2013) als mögliche Reformoption
bung der einkommensabhängigen Zu-           den, einkommensabhängigen Beiträgen        vorgeschlagen.
satzbeiträge ein Ausgleichsmechanismus      finanziert. Nach aktueller Gesetzeslage 12 Vgl. BMG 2014.
dafür sorgen, dass die unterschiedlichen    ist vorgesehen, dass entstehende Fi- 13 Vgl. BVA 2014.
                                                                                    14 Bäcker et al. 2014: 30; Dem Vernehmen
Einkommensstrukturen der Kassen im          nanzierungslücken der Krankenkassen        nach gibt es aber eine Nebenabrede unter
Rahmen eines vollständigen Finanz-          über einkommensunabhängige Zusatz-         den Koalitionären, die die längerfristige
                                                                                       Festschreibung des Arbeitgeberanteils doch
kraftausgleichs ausgeglichen werden.        beiträge geschlossen werden müssten.       wieder in Frage stellt.
Zudem wird der morbiditätsorientierte       Diese hätten lediglich die Versicherten 15 Vgl. Ulrich 2014: 10.
Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA)         der GKV, aber nicht die der PKV, zu 16 Vgl. Huber/Mielck 2010.
weiterentwickelt. Darüber hinaus bleibt     zahlen. Würde der bei einem durch- 17 Vgl. BVA 2014.
weiterhin der Steuerzuschuss des Bundes     schnittlichen Zusatzbeitrag größer als 18 Vgl.  Ulrich 2014: 10; Die Verlässlichkeit der
                                                                                       Steuerfinanzierung leidet u.a. unter den
an den Gesundheitsfonds bestehen. Die-      0 € gesetzlich vorgesehene Sozialaus-      Vorgaben des europäischen Fiskalpaktes
ser soll im Jahr 2015 von ursprünglich      gleich greifen, bestünde über die ab       und der im Grundgesetz verankerten Haus-
                                                                                       haltskonsolidierung.
geplanten 14,0 auf 11,5 Mrd. € gekürzt      2015 dafür vorgesehenen Steuermittel 19 Zu konkreten Umsetzungsvarianten sei auf
werden.15                                   wie beim Bundeszuschuss eine indirek-      Langer (2011) verwiesen.

                                                      https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
32        G+S     6/2014                      Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.
                                       Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA

Tabelle 2. Übersicht zur vergleichenden Bewertung der Finanzierung der OKP, der Status-quo-GKV und nach dem GKV-FQWG
(negativ (-), neutral (o), positiv (+))

                      OKP                                       Status-quo-GKV                                         GKV-FQWG
Solidarität
Kreis zur              Kopfprämien: alle Bürger           +  Beiträge und pauschale                               0  Beiträge und prozentuale      0
Mittelfinanzierung      der Schweiz                            ­Zusatzbeiträge: nur GKV-­                               Zusatzbeiträge: nur GKV-
                                                                Versicherte                                             Versicherte

                                                                    Steuerzuschuss: GKV- und PKV-                        Steuerzuschuss: GKV- und
                                                                    Versicherte                                          PKV-Versicherte
Form der
Mittelfinanzierung

Einkommenssoli-        systemintern: kein Aus-            -     systemintern: über lediglich                      0  systemintern: über ledig-  0
darität                 gleich über Kopfprämien                   lohn- und lohnersatzabhängige                         lich lohn- und lohnersatz-
                                                                  Beiträge bis zur BBG; kein Aus-                       abhängige Beiträge und
                                                                  gleich über pauschale Zusatz-                         prozentuale Zusatzbeiträge
                                                                  beiträge                                              bis zur BBG

                        systemextern: durch steu-                   systemextern: durch steuerfi-                        systemextern: entfällt
                        erfinanzierten Sozialaus-                   nanzierten Sozialausgleich bei                       durch Abschaffung der
                        gleich bei Kopfprämien                      pauschalen Zusatzbeiträgen                           pauschalen Zusatzbeiträge

                                                                    Steuerzuschuss                                       Steuerzuschuss

Risikosolidarität      Kopfprämien: weitestge-            0  Beiträge und pauschale Zusatz-                       +  Beiträge und prozentuale      +
                        hend risikounabhängig                  beiträge: risikounabhängig                               Zusatzbeiträge: risikounab-
                                                                                                                        hängig
Praktikabilität
Beitragszahlung

Zeitpunkt              Kopfprämien: monatlich             -     Beiträge: monatlich; pauschale                    0  Beiträge und prozentuale      +
                        oder weiter im Voraus                     Zusatzbeiträge: unterschiedlich                       Zusatzbeiträge: monatlich

Form                   Kopfprämien: kein Quel-            -     Beiträge: Quellenabzug; pau-                      0  Beiträge und prozentuale
                        lenabzug; unterschiedliche                schale Zusatzbeiträge: unter-                         Zusatzbeiträge: Quellenab-    +
                        Zahlung                                   schiedlich                                            zug
Sozialausgleich bei
Pauschalen

Antragstellung         in den meisten Kantonen            -     i.d.R. ohne Antrag                                0  vollständig systeminterner    +
                        mit Antrag                                                                                      Ausgleich

Berechnung             „großer“ Rechenvorgang             -     „kleiner“ Rechenvorgang und                       0  vollständig systeminterner    +
                        und einzuholende Rechen-                  vorliegende Rechengrößen                              Ausgleich
                        größen

Auszahlung             Verrechnung mit den                +  Verrechnung mit den Beiträgen                        +  vollständig systeminterner    +
                        ­Kopfprämien                                                                                    Ausgleich
Wettbewerb
Preissignal            vorhanden, aber verzerrt           -     in der Breite nicht vorhanden,                    0  abgeschwächt vorhanden        +
                                                                  im Einzelfall zu intensiv
Risikostruktur-        relativ unvollkommen               -     eingeschränkt                                     0  weiterentwickelt              +
ausgleich (RSA)
Nachhaltigkeit
Finanzierungs-         Umlagefinanzierung                 0  Umlagefinanzierung                                   0  Umlagefinanzierung            0
verfahren
Finanzierungs-         Kopfprämien: ohne Bezug            +  Beiträge: lediglich Lohn und   0  Beiträge und prozentuale                            -
grundlage               zu Einkommensarten                     Lohnersatzleistungen; pauscha-     Zusatzbeiträge: lediglich
                                                               le Zusatzbeiträge: ohne Bezug      Lohn und Lohnersatzleis-
                                                               zu Einkommensarten                 tungen

                       steuerfinanzierter Sozial-         0  Steuerzuschuss und steuerfi-                         0  Steuerzuschuss                0
                        ausgleich                              nanzierter Sozialausgleich

Quelle: Eigene Darstellung

                                                        https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
                                                Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.                    G+S    6/2014           33
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THEMA

sind, hängt, wie Tabelle 2 ebenfalls teln – analog zum steuerfinanzierten                                  in den Satzungen der Versicherer be-
zeigt, neben dem Kreis der Beteiligten Bundeszuschuss – bei entsprechender                                 stehen. Danach setzen die Versicherer
von der Form der Mittelfinanzierung Gegenfinanzierung 21 die Einkommens-                                   grundsätzlich einen von den Versicher-
ab. Bezüglich der Einkommenssolidari- solidarität vergrößern. Zum einen ist                                ten einzuhaltenden Fälligkeitstermin
tät 20 unterscheiden sich beide erheblich die Bemessungsgrundlage bsw. der                                 fest. Mit entsprechenden Regelungen in
voneinander. In der OKP gibt es im Ver- Einkommensteuer deutlich breiter als                               den Satzungen ist es auch möglich, dass
gleich zur GKV keinen Einkommens­ die Beitragsbemessungsgrundlage der                                      die Versicherten sich für einen längeren
ausgleich innerhalb des Krankenversi- Löhne und Lohnersatzleistungen der                                   Zeitraum zur Prämienvorauszahlung
cherungssystems. Dies liegt darin, dass GKV. Zum anderen werden PKV-Ver-                                   entscheiden, beispielsweise pro Quartal,
die pauschal zu zahlenden Kopfprämien sicherte mit im Durchschnitt höheren                                 halbjährlich oder jährlich. Des Weiteren
keinen Ausgleich zwischen hohen und Einkommen einbezogen. Es gelten aller-                                 haben die Versicherten die Möglichkeit,
niedrigen Einkommen der Versicherten dings auch hier die schon weiter oben                                 ihre Prämien neben der Banküberwei-
ermöglichen. Dieser wird stattdessen geäußerten Bedenken hinsichtlich der                                  sung auch per Lastschriftverfahren oder
systemextern über einen steuerfinan- Verlässlichkeit der Steuerfinanzierung.                               Dauerauftrag zu zahlen. 24
zierten Sozialausgleich durchgeführt. Deshalb besteht eine Alternative darin,                                 Im Gegensatz dazu werden in der
Er weist allerdings, wie Abschnitt 2.4 ähnliche Effekte einer Steuerfinanzie-                              GKV die prozentualen Beiträge von
gezeigt hat, eine deutliche sozi-                                                                          den beitragspflichtigen Einkommen
alpolitische Fehlentwicklung
auf. In der GKV ist dagegen im
                                    Ein systeminterner                                                     der Versicherten erhoben und von den
                                                                                                           zuständigen Stellen im Quellenabzugs-
Status quo hauptsächlich ein        Einkommensausgleich ist                                                verfahren direkt an die Krankenkassen
systeminterner Einkommens-
ausgleich angelegt. Über die am
                                    verlässlicher als ein Externer                                         abgeführt. Mit dem Quellenabzug be-
                                                                                                           steht in der GKV ein „automatisiertes“
beitragspflichtigen Einkommen       über Steuermittel.                                                     Verfahren, womit eine relativ verläss-
prozentual zu erhebenden Bei-                                                                              liche und unkomplizierte Beitragszah-
träge wird die Einkommenssolidarität rung durch eine Ausweitung der Bei-                                   lung ermöglicht wird. Gegenwärtig gibt
sichergestellt. Da aber die Beiträge – au- tragsbemessungsgrundlage in Verbin-                             es aber noch die Möglichkeit, dass die
ßer bei freiwilligen Mitgliedern, für die dung mit einer deutlichen Anhebung                               Kassen von ihren Versicherten pauscha-
ein umfassenderer Einkommensbegriff der BBG innerhalb der Beitragsfinan-                                   le Zusatzbeiträge verlangen können,
gilt – nur von Löhnen und Lohnersatz- zierung zu realisieren. 22                                           die nicht im Quellenabzug erhoben
leistungen bis zur Beitragsbemessungs-        Bezogen auf den Ausgleich zwischen                           werden. Die konkrete Zahlungsweise
grenze (BBG) erhoben werden, ist der gesunden und kranken Versicherten,                                    der Zusatzbeiträge regeln die einzelnen
Einkommensausgleich innerhalb der der Risikosolidarität 23, zeigt sich le-                                 Kassen in ihren Satzungen. Darin kann
GKV unzureichend. Im Zusammenhang diglich ein kleiner Unterschied zwi-                                     festgelegt sein, dass die Zusatzbeiträge
mit einkommensunabhängigen Zusatz- schen OKP- und GKV-Finanzierung                                         von den Versicherten als Vorauszah-
beiträgen ist auch ein Ausgleich außer- (vgl. Tabelle 2). In der OKP sind die                              lung monatlich und mit Beachtung ei-
halb der GKV vorgesehen. Der dafür Kopfprämien nicht gänzlich risikoso-                                    nes Fälligkeitstermins an ihre Kasse zu
erforderliche Sozialausgleich würde ab lidarisch ausgestaltet, da sie von den                              überweisen sind. Davon abweichend
2015 wie in der OKP über Steuermittel Krankenversicherern zumindest nach                                   ist aber auch eine vierteljährliche bzw.
und damit auch von PKV-Versicherten drei Altersgruppen eingeteilt werden.                                  jährliche Beitragsvorauszahlung mög-
finanziert werden. Wenngleich in deut- In der Status-quo-GKV sind die Beiträ-                              lich. Als Zahlungsformen sind neben
lich geringerem Umfang, da die Zusatz- ge und pauschalen Zusatzbeiträge von                                Überweisungen auch Daueraufträge
beiträge vom Gesetzgeber nicht, wie in den Krankenkassen hingegen vollkom-                                 bzw. die Zahlung per Einzugsermäch-
der Schweiz, als „Vollkostenpauschalen“ men unabhängig von Risikofaktoren                                  tigung möglich. 25
angelegt sind.                             der Versicherten (Alter, Geschlecht,                               Mit dem GKV-FQWG werden die
   Aufgrund der durch das GKV-FQWG Morbidität etc.) zu erheben. Durch                                      pauschalen Zusatzbeiträge und mit
geplanten Abschaffung der pauschalen das GKV-FQWG wird es auch keine                                       ihnen die administrativ aufwändigen
Zusatzbeiträge wird zukünftig auch ein Änderungen an der risikounabhängigen                                Regelungen zu ihrer Zahlungsweise
systemexterner Einkommensausgleich – Beitragsfinanzierung geben.                                           abgeschafft. Anstelle der Pauschalen
hier durch den vorgesehenen steuerfi-                                                                      führt das Gesetz die prozentualen
nanzierten Sozialausgleich – obsolet. 3.2 Praktikabilität                                                  Zusatzbeiträge ein, die das bewährte
Somit wird die Einkommenssolidarität                                                                       Quellenabzugsverfahren der einkom-
wie vor 2009 ausschließlich systemin- Wie aus Tabelle 2 ebenso hervorgeht,
tern realisiert. Unter verteilungspoliti- unterscheiden sich OKP und GKV in
schen Aspekten ist die Abschaffung der Zeitpunkt und Form der Beitragszah-                                 20 Vgl. Buchner/Wasem 2013: 261.
                                                                                                           21 Wie Härpfer et al. (2009) belegen, weist die
pauschalen Zusatzbeiträge einerseits lung. In der OKP ist gesetzlich gere-                                    Mehrwertsteuer eher regressiven Charakter
positiv zu bewerten, da diese für die gelt, dass die pauschalen Kopfprämien                                   und die Einkommenssteuer eine zumindest
Bezieher höherer Einkommen (ohne Be- von den Versicherten im Voraus und in                                    tendenziell progressive Wirkung auf.
                                                                                                           22 Vgl. Langer 2012: 191 ff.
rücksichtigung der Gegenfinanzierung) der Regel monatlich an die Versicherer                               23 Vgl. Buchner/Wasem 2013: 260.
zunächst regressiv wirken. Andererseits gezahlt werden müssen. Dazu können                                 24 Vgl. o.V. o.J.a.
kann der Sozialausgleich aus Steuermit- zudem noch abweichende Regelungen                                  25 Vgl. o.V. o.J.b.

                                                    https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
34       G+S     6/2014                     Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.
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THEMA

mensabhängigen Beiträge nutzen und –        ten mit einbezogen werden sollen, wäre werden aufgrund der zu vermutenden
neben einem geringen einmaligen Um-         der Sozialausgleich mit einem relativ zukünftigen Ausgabensteigerungen auf
stellungsaufwand für die beitragsabfüh-     „kleinen“ Rechenvorgang zu ermitteln. breiter Front ebenfalls nicht in Betracht
renden Stellen – mit ihnen gemeinsam        Dagegen wird der Sozialausgleich in gezogen.
aufwandsarm für die Versicherten und        der Schweiz mit einem „großen“ Re-          Es lässt sich somit einerseits kons-
Krankenkassen erhoben werden. Damit         chenvorgang durchgeführt. Zudem tatieren, dass in der GKV in den letz-
weist das zukünftige Verfahren sowohl       können dort die Ausgleichsstellen erst ten Jahren der Preiswettbewerb unter
gegenüber dem Beitragssystem der OKP        berechnen, wenn sie die erforderlichen den Kassen in der Breite zum Erliegen
als auch der Status-quo-GKV ein er-         Daten über die Anträge der Versicherten gekommen ist. Andererseits waren
heblich praktikableres Verfahren zur        oder über die Steuerveranlagung bei der Kassen, die dennoch einen Zusatzbei-
Beitragszahlung auf.                        Steuerbehörde eingeholt haben. Hin- trag erheben mussten, von massiven
   Um eine finanzielle Überforderung der    gegen liegen den Ausgleichs-
Versicherten bei der pauschalen Beitrags-   stellen in Deutschland die
zahlung zu verhindern, ist in der OKP       zur Berechnung benötigten          Eine einseitige Fokussierung auf
und in der Status-quo-GKV ein steuer-       Daten der Versicherten bereits     den Wettbewerbsparameter
finanzierter Sozialausgleich vorgesehen.    vor. Bei mehreren beitrags-
Das Verfahren zur deren Durchführung        pflichtigen Einnahmen der          "Preis" ist nicht zielführend.
unterscheidet sich zwischen der OKP und     Versicherten sind die Stel-
GKV (vgl. Tabelle 2). In der Schweiz wird   len allerdings auf eine entsprechende Mitgliederverlusten betroffen. Allein
das Ausgleichsverfahren in den meisten      Mitteilung der Krankenkassen ange- die Erhebung eines Zusatzbeitrags er-
Kantonen nach Antragstellung von der        wiesen. Bei der Auszahlung ist wie in zeugte ein starkes Preissignal, zumal die
zuständigen Behörde durchgeführt. Zur       der Schweiz eine Zweckentfremdung meisten Kassen keinen Zusatzbeitrag
Berechnung des Sozialausgleichs sind ne-    des Sozialausgleichs durch die Versi- verlangten. 27 Die Folge war eine exis-
ben familiären und anderweitigen Daten      cherten ausgeschlossen. Die Regelung tenzbedrohende finanzielle Schieflage
die Finanzdaten des Ausgleichsberechtig-    sieht seine Verrechnung über die ein- der betroffenen Kassen. Das führte zu
ten maßgebend. Kantonsabhängig wird         kommensabhängigen Beiträge vor. Auf- einigen Kassenfusionen und bei der City
zu einem bestimmten Einkommen ein           grund der genannten Aspekte könnte BKK bzw. der BKK für Heilberufe sogar
Anteil seines Vermögens hinzugerech-        der vorgesehene Sozialausgleich in der zur Kassenschließung. Hintergrund ist
net. Zudem erfolgen noch verschiedene       Status-quo-GKV gegenüber dem prak- die Höhe des Zusatzbeitragsreferenz-
Abzüge und Aufrechnungen. Bezüglich         tizierten in der OKP als der insgesamt niveaus von 0 € (durchschnittlicher
der Auszahlung erhielten die Versicherten   praktikablere bewertet werden. Da in Zusatzbeitrag in den letzten Jahren
in einigen Kantonen bis 2013 noch den       Deutschland durch das GKV-FQWG von 0 €), so dass es aufgrund dieser
Sozialausgleich per Banküberweisung.        die pauschalen Zusatzbeiträge durch Erfahrungen bis heute oberstes Gebot
Dabei bestand die Gefahr, dass dieser       einkommensabhängige Zusatzbeiträge der Kassen ist, keinen Zusatzbeitrag
von den Versicherten nicht zweckmä-         ersetzt und damit die Sozialausgleichs- zu erheben („Zusatzbeitragsvermei-
ßig verwendet wird. Seit 2014 ist eine      regelungen obsolet werden, erfolgt der dungswettbewerb“), um nicht durch
Zweckentfremdung nicht mehr mög-            Einkommensausgleich vollständig sys- deutliche Mitgliederverluste am Markt
lich. Der Sozialausgleich wird in allen     temintern und damit praktisch auf- „abgestraft“ zu werden.
Kantonen nur noch an die Versicherer        wandslos.                                   Somit hat sich gezeigt, dass die
ausgezahlt, die ihn mit den Kopfprämien                                               gesetzliche Ausgestaltung der GKV-
verrechnen.                                 3.3 Wettbewerb                            Finanzierung seit dem GKV-WSG,
   Das Ausgleichsverfahren in der Sta-                                                entgegen ihrer Absicht einer Wettbe-
tus-quo-GKV bezüglich der pauscha-          Im Unterschied zur derzeitigen Beitrags- werbsstärkung, zu einer deutlichen Ab-
len Zusatzbeiträge sieht dagegen i.d.R.     situation in der GKV besteht, wie Ta- schwächung des Preiswettbewerbs der
ein Verfahren ohne Antragstellung vor.      belle 2 zeigt, in der OKP mit den zwi- Kassen in der Breite geführt hat. Durch
Die Verantwortung obliegt dabei den         schen den Versicherern unterschiedlich den „Zusatzbeitragsvermeidungswett-
Stellen, die die einkommensabhängigen       hohen Kopfprämien zwar ein – aber bewerb“ ist zudem der wünschenswerte
Beiträge abführen. Unter Umständen          durch den recht unvollkommenen RSA Kassenwettbewerb um innovative Ver-
kann ein antragsloses Verfahren mit         verzerrtes – Preissignal für den dortigen sorgungskonzepte deutlich geschwächt
weniger Aufwand für die Ausgleichs-         Kassenwettbewerb. In der GKV gibt es worden. Somit haben sich die pauscha-
stellen durchgeführt werden. Dies hängt     dagegen, mit Ausnahme der von einigen len Zusatzbeiträge als dysfunktionales
aber davon ab, wie „automatisiert“ die      Kassen ihren Versicherten gewährten Wettbewerbssignal erwiesen.
Fallbearbeitung tatsächlich abliefe. Ein    Beitragsrückzahlungen, gegenwärtig          Auch die im GKV-FQWG vorgesehe-
solches Verfahren hat zumindest für         kein Preissignal. Hintergrund ist, dass nen Änderungen haben Auswirkungen
die Versicherten den Vorteil, dass sie      die als Preissignal vom Gesetzgeber vor- auf den Kassenwettbewerb. Neben der
keine Anträge stellen brauchen. Die         gesehenen pauschalen Zusatzbeiträge
Ausgleichsberechnung in der GKV soll        von der Masse der Kassen aufgrund
für die Pflichtversicherten nur auf ihren   ihrer (noch) guten Finanzausstattung 26 26 Die gute Finanzsituation der Kassen in den
                                                                                         letzten Jahren resultiert aus dem (zu) hoch
beitragspflichtigen Einkommen basie-        nicht erhoben werden müssen. Ana-            angesetzten Beitragssatz von 15,5 %.
ren. Da keine sonstigen (Finanz-)Da-        log wirkende Beitragsrückzahlungen 27 Vgl. ausführlich Albrecht/Neumann 2013.

                                                      https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
                                              Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.          G+S   6/2014   35
                                       Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA

Umwandlung der pauschalen Zusatz-        des durchschnittlichen Zusatzbeitrags-                             Krankengeld und Auslandsversicherte
beiträge in einen prozentualen Satz der  satzes und die vom GKV-Spitzenverband                              weiterzuentwickeln. 30
beitragspflichtigen Einkommen wird       im Internet veröffentlichte, laufend                                  Ein „optimierter“ Morbi-RSA würde
der allgemeine Beitragssatz auf 14,6 %   aktualisierte Übersicht über die Höhe                              zwar, wie eben dargelegt, die Grund-
abgesenkt. Diese Absenkung hat Min-      der Zusatzbeitragssätze der Kassen hin-                            lage für einen möglichst unverzerrten
dereinnahmen des Gesundheitsfonds zur    weisen. Falls der Zusatzbeitragssatz den                           Preiswettbewerb schaffen. Ein sinnvol-
Folge, was wiederum die Zuweisungen      durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz                              ler Kassenwettbewerb liegt damit aber
an die Kassen verringert. Die dadurch    überschreitet, müssen die Mitglieder                               immer noch nicht vor, da im Status quo
entstehenden Unterdeckungen von vor-     auch auf die Möglichkeit, in eine güns-                            aufgrund der weitgehenden Dominanz
aussichtlich 11,2 Mrd. € für 2015 könn-  tigere Kasse wechseln zu können, hinge-                            kollektivvertraglicher Regelungen eine
ten einige der Kassen dazu veranlassen,  wiesen werden. Hier haben die Kassen                               völlig einseitige Fokussierung auf den
den derzeit im allgemeinen Beitragssatz  ihre aktuellen Zusatzbeitragssätze dem                             Parameter „Preis“ erfolgt. Für eine wei-
von 15,5 % integrierten Sonderbeitrag    GKV-Spitzenverband zu melden, wo-                                  tergehende Differenzierung im Wettbe-
von 0,9 % entweder zum Teil, voll oder   mit die Mitglieder Kenntnis über eine                              werb und zur Vermeidung eines reinen
sogar darüber hinaus als Zusatzbeitrag   transparente Vergleichsmöglichkeit er-                             Preiswettbewerbs ist es daher wichtig,
vom beitragspflichtigen Einkommen        halten. Gleichzeitig können aber diese                             den Kassen auf der Ausgabenseite deut-
ihrer Versicherten zu erheben. 28 Da die überzogenen Hinweispflichten zusam-                                lich mehr Handlungsoptionen bzw.
zukünftigen Zusatzbeiträge deshalb       men mit dem Sonderkündigungsrecht                                  Gestaltungsspielräume – bsw. Möglich-
nicht wie zuletzt um den Wert 0, son-    der geplanten und sinnvollen Abnahme                               keiten des selektiven Kontrahierens im
dern in Verbindung mit der Senkung       der im Einzelfall bislang zu hohen Preis-                          Rahmen des Vertragswettbewerbs – als
der Zuweisung aus dem Gesundheits-       wettbewerbsintensität entgegenstehen.                              bislang zu geben. Der Kassenwettbewerb
fonds voraussichtlich deutlich darüber   Eine „Scharfstellung“ des Kassenwettbe-                            könnte sich dann auch durch die stär-
schwanken und tatsächlich durch die      werbs – wie bei den preistransparenteren                           kere Berücksichtigung von qualitativen
Mehrheit der Kassen erhoben werden       Kopfpauschalen-bzw. Zusatzbeitrags-                                Elementen von einem reinen Preiswett-
dürften, scheint damit ein Hemmschuh     modellen – vor allem über den Parameter                            bewerb – der nicht angestrebt werden
für einen konstruk­tiven Kassenwettbe-   „Preis“ ist aber zumindest solange nicht                           sollte – zu einem optimierten Preis- und
werb beseitigt zu sein.                  zielführend, bis die Wettbewerbsgrund-                             Qualitätswettbewerb weiterentwickeln.
   Im Vergleich zu den Kopfprämien       lagen verbessert werden.                                           Leider haben die diesbezüglichen Ab-
der OKP und zu den noch geltenden           Eine Grundlage für einen funktionie-                            sichtserklärungen im Koalitionsvertrag
Zusatzbeiträgen der GKV sollen die       renden Kassenwettbewerb stellt ein mög-                            keinen Niederschlag im GKV-FQWG
                                                    lichst umfassender Risiko-                              gefunden.
                                                    strukturausgleich (RSA) dar.                               Sehr sinnvoll sind hingegen die durch
   Für eine weitergehende                           Dieser ist die Voraussetzung                            das GKV-FQWG vorgesehenen, wett-
                                                    dafür, dass die Kopfprämien                             bewerblichen Maßnahmen auf der Ein-
   Wettbewerbsdifferenzierung                       der OKP und die (pauschalen                             nahmenseite durch die Einführung eines
   benötigen die                                    bzw. zukünftig prozentualen)                            vollständigen Einkommensausgleichs.
                                                    Zusatzbeiträge der GKV kein                             Ziel ist es hierbei, Wettbewerbsverzer-
   Krankenkassen deutlich                           aufgrund von unterschiedli-                             rungen und Risikoselektionsanreize bei
   mehr Handlungsoptionen                           chen Versichertenstrukturen                             den Kassen zu verhindern und sicher-
                                                    verzerrtes Preis- und damit                             zustellen, „dass sich der Wettbewerb
   auf der Ausgabenseite.                           Wettbewerbssignal, sondern                              an den Bedürfnissen der Versicherten
                                                    idealtypisch die Unterschie-                            orientiert und sich die Krankenkassen
zukünftigen Zusatzbeiträge prozentual de in den Kostenstrukturen der Kassen                                 um eine wirtschaftliche und qualitativ
und im Quellenabzug erhoben werden. und damit angemessene Preissignale                                      hochwertige Versorgung bemühen.“31
Die Erhebung wäre für die Versicherten für Wirtschaftlichkeit widerspiegeln.                                Da sich die durchschnittlichen beitrags-
somit nicht so transparent bzw. weniger Hinsichtlich dieser Kriterien kann der                              pflichtigen Einkommen der Mitglieder je
spürbar als bei einer Zahlung von Kopf- Risikoausgleich in der OKP mit seinen                               nach Kasse unterscheiden und von den
prämien bzw. pauschalen Zusatzbeiträ- relativ groben Ausgleichsfaktoren nicht                               Kassen nicht beeinflusst werden können
gen bsw. per Überweisung. Diese Vorge- überzeugen. Demgegenüber gleicht der                                 bzw. nicht beeinflusst werden sollten,
hensweise ist sinnvoll, um die derzeitig derzeitige morbiditätsorientierte Risi-                            erscheint ein vollständiger Einkom-
vorherrschende, zu einseitige Fokussie- kostrukturausgleich (Morbi-RSA) in
rung auf den bislang recht inhaltslee- der GKV die unterschiedlichen Ver-                                   28 Eine Erhebung der Zusatzbeiträge setzt
                                                                                                               allerdings voraus, dass die Unterdeckungen
ren Parameter „Preis“ abzuschwächen. sichertenstrukturen der Kassen zwar                                       mancher Kassen nicht durch eine Verwen-
Dieser richtigen Intention könnten aber genauer aus, doch auch er weist (im-                                   dung ihrer im Durchschnitt relativ hohen
                                                                                                               Rücklagen ausgeglichen werden.
die vorgesehenen Hinweispflichten im mer noch) Defizite hinsichtlich seiner
                                                                                                            29 Vgl. Drösler et al. 2011.
Zusammenhang mit der Erhebung eines Zielgenauigkeit auf. 29 Um einen faireren                               30 Das Vorhaben der Annualisierung der Kosten
Zusatzbeitrags entgegenstehen. Dabei Wettbewerb zwischen den Kassen zu er-                                     für Verstorbene, wie es im Koalitionsvertrag
müssen die Kassen ihre Mitglieder durch möglichen, ist es im GKV-FQWG daher                                    vereinbart wurde (vgl. CDU/CSU/SPD 2013:
                                                                                                               83), soll auf Grundlage der Rechtsprechung
ein gesondertes Schreiben auf die Mög- folgerichtig vorgesehen, den Morbi-RSA                                  ebenfalls umgesetzt werden.
lichkeit eines Kassenwechsels, die Höhe durch Veränderungen in den Bereichen                                31 BT-Drucksache 18/1307: 3 und 26.

                                                     https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
36        G+S     6/2014                     Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.
                                      Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
THEMA

mensausgleich sachgerecht32 und dient     insbesondere vor dem Hintergrund                                    würden die benötigten Steuermittel
zur Stärkung der Wettbewerbsneutra-       der letzten Finanzkrise. Nicht zuletzt                              aber (enorme) Größenordnungen an-
lität. 33 In der Folge differiert der ein-gibt es aufgrund hoher Kosten bei ei-                               nehmen. Dies lässt eine verlässliche
kommensabhängige Zusatzbeitrag (bei       ner Umstellung der Finanzierung von                                 Finanzierung aus dem Bundeshaushalt
ansonsten gleichen Rahmenbedingun-        der Umlage auf ein (Teil-)Kapitalde-                                mehr als fraglich erscheinen. Aus den
gen) nur aufgrund der kassenspezifischen  ckungsverfahren erhebliche Zweifel an                               genannten Gründen ist es daher – wie im
Unterschiede auf der Ausgabenseite. In    einer praktikablen und zudem politisch                              GKV-FQWG vorgesehen – sachgerecht,
der OKP der Schweiz bzw. der Status-      durchsetzbaren Umsetzung eines derar-                               den Einkommensausgleich im Rahmen
quo-GKV stellt sich hingegen die Frage    tigen Vorhabens. 35                                                 der Beitragsfinanzierung wieder ohne
nach einem (vollständigen) Einkommens­       Neben der Art des Finanzierungsver-                              Ausnahme systemintern zu realisieren. 36
ausgleich nicht. Da die Kopfprämien       fahrens ist für die Bewertung hinsicht-                             Allerdings stellen die Neuregelungen des
bzw. Zusatzbeiträge pauschal erhoben      lich der Nachhaltigkeit auch relevant,                              GKV-FQWG für die Realisierung der
werden, hat die Einnahmesituation der     auf welcher Grundlage die Finanzierung                              (systeminternen) Einkommenssolidari-
jeweiligen Kasse keinen Einfluss darauf.  basiert (vgl. Tabelle 2). Eine wie in der                           tät i.d.R. nur auf die beitragspflichtigen
Selbstverständlich erfolgt auch hier ein  Schweiz praktizierte pro-Kopf-Finan-                                Löhne und Lohnersatzleistungen ab.
Einkommensausgleich, allerdings nicht     zierung ist per se nachhaltiger als die                             Zudem ist auch keine Veränderung der
systemintern, sondern extern durch Steu-  in Deutschland praktizierte einkom-                                 Beitragsbemessungsgrenze geplant. Eine
ermittel.                                 mensbezogene Finanzierung. Dies liegt                               mögliche Lösungsoption für diese Pro-
                                          daran, dass eine pro-Kopf-Finanzierung                              blematiken der einkommensbezogenen
3.4 Nachhaltigkeit                        implizit alle Einkunftsarten mitein-                                Finanzierung der GKV – die jedoch im
                                          schließt, wohingegen die einkommens-                                GKV-FQWG keinen Niederschlag ge-
Sowohl die OKP- und die Status-quo- bezogene Finanzierung in Deutschland                                      funden hat – liegt in einer Ausweitung
Finanzierung der GKV als auch die nur bestimmte Einkunftsarten für die                                        der Beitragsbemessungsgrundlage auf
Finanzierung nach dem GKV-FQWG Beitragsberechnung heranzieht. Zudem                                           alle Einkunftsarten in Verbindung mit
basieren, wie aus Tabelle 2 zu entneh- kommt eine pro-Kopf-Finanzierung auf-                                  einer deutlichen Anhebung der BBG.
men ist, auf dem Umlageverfahren. Bei grund ihres Pauschalcharakters ohne                                     Dadurch werden die Nachhaltigkeits-
einem Umlageverfahren werden die ein- BBG aus. Der große Nachteil einer pro-                                  effekte der pro-Kopf-Finanzierung in
genommenen Finanzmittel zur Deckung Kopf-Finanzierung liegt jedoch im dafür                                   einer einkommensbezogenen Finanzie-
von laufenden Ausgaben verwendet. erforderlichen steuerfinanzierten Sozi-                                     rung quasi „nachgebaut“. Es ist also
Kritisiert wird hierbei neben der man- alausgleich zur Realisierung der Ein-                                  nicht erkennbar, dass – wie im Bericht
gelnden intergenerativen Verteilungs- kommenssolidarität. Dabei ist zwar der                                  des Gesundheitsausschusses behauptet
gerechtigkeit häufig die fehlende Nach- Sozialausgleich in der OKP nachhaltiger                               wird 37 – die Neuregelungen im GKV-
haltigkeit, so dass von einigen Autoren ausgestaltet als der in der Status-quo-                               FQWG die Finanzierungsgrundlage der
                                                    GKV gesetzlich vorgesehene,                               GKV nachhaltig stärken und auf eine
  Es ist nicht erkennbar, dass die aber                   nie benötigte Sozialaus-
                                                    gleich. So wird in der OKP
                                                                                                              stabile, solide und zukunftsfähige Basis
                                                                                                              stellen.
  Neuregelungen des GKV-FQWG ein umfangreicherer Einkom-
  die Finanzierungsgrundlage der mensbegriff                       zur Ermittlung
                                                    der Belastungsgrenze her-
                                                                                                              32 „Da nicht sichergestellt ist, dass sich die
                                                                                                                 Zahlungsströme im Einkommensausgleich
  GKV nachhaltig stärken.                           angezogen. Dennoch weisen
                                                                                                                 auf Null saldieren, ist die Abwicklung über
                                                                                                                 die Liquiditätsreserve und deren Aufsto-
                                                    Gesundheitssysteme, die den                                  ckung auf 25% sinnvoll.“ (Wasem 2014b:
als Alternativlösung die Umstellung auf Einkommensausgleich in das Steuer-                                       2f.)
                                                                                                              33 Vgl. Albrecht/Neumann 2013 und Neu-
eine Umlagefinanzierung mit anteili- Transfer-System verlagert haben, entwe-                                     mann/Albrecht 2014. Für einen unverzerr-
ger Kapitaldeckung oder sogar auf eine der – wie in der Schweiz – ein sehr nied-                                 ten Kassenwettbewerb wäre es allerdings
                                                                                                                 noch sachgerechter, die Umlage des Defi-
vollständige Finanzierung über ein Ka- riges Ausgleichsniveau oder das Problem                                   zits durch die Kürzung der Zuweisungen
pitaldeckungsverfahren vorgeschlagen der mangelnden Verlässlichkeit eines                                        „je Versicherten“ umzusetzen. Auch der
wird. 34 Bei diesem Verfahren ist Kapital ex-ante definierten Ausgleichsniveaus                                  Einkommensausgleich sollte entsprechend
                                                                                                                 auf GKV-durchschnittliche beitragspflich-
mittel- bis längerfristig an den Finanz- auf. Bei steigenden Ausgaben und damit                                  tige Einnahmen je Versicherten abstellen
märkten anzusparen, um es später bei steigenden Pauschalen müsste bei kon-                                       (vgl. Wasem 2014b: 3).
Bedarf zu entsparen. Als ein möglicher stantem Ausgleichsniveau der absolute                                  34 Vgl. dazu stellvertretend Felder/Fetzer
                                                                                                                 2007.
Vorteil wird neben der höheren interge- Subventionsbedarf ebenfalls ansteigen.                                35 Vgl. Pfaff et al. 2006: 98 ff.
nerativen Verteilungsgerechtigkeit eine Da dies gerade auch den Bemühungen                                    36 Auch Wasem (2014a) weist darauf hin,
Glättung der Beitragsbelastung über die zur Konsolidierung des Bundeshaushalts                                   dass ein steigender, durch Steuermittel
                                                                                                                 finanzierter externer Solidarausgleich auf
Lebenszeit diskutiert. Davon wird sich in Deutschland entgegenlaufen würde,                                      lange Sicht nicht durchzuhalten ist und
zwar eine höhere Nachhaltigkeit der ist es sehr wahrscheinlich, dass das Aus-                                    somit folgerichtig zukünftig auf pauschale
                                                                                                                 Zusatzbeiträge mit einem steuerfinanzier-
Finanzierung versprochen, belastbare gleichsniveau im Zeitverlauf sinkt. Zwar                                    ten Sozialausgleich verzichtet wird.
empirische Ergebnisse stehen allerdings wären die bei „kleinen“ Zusatzbeiträgen                               37 Vgl. BT-Drucksache 18/1657: 2, 57 und 65;
bislang aus. Außerdem ist das Anspa- benötigten Steuermittel zur Prämiensub-                                     Für Greß (2014) hat aber auch die Finan-
                                                                                                                 zierung über pauschale Zusatzbeiträge die
ren von Kapital an den Finanzmärkten vention ebenfalls noch relativ „klein“,                                     Nachhaltigkeit der GKV-Finanzierung auf
mit beträchtlichen Risiken verbunden, bei „anwachsenden“ Zusatzbeiträgen                                         keine sichere Basis gestellt.

                                                       https://doi.org/10.5771/1611-5821-2014-6-27
                                               Generiert durch IP '46.4.80.155', am 16.10.2021, 15:04:50.                    G+S       6/2014            37
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