VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer

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VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
VERMÖGENS
VERTEILUNG
FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN
VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
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VORWORT
                                                                                   „Für die Arbeiter-
Ungerechtigkeit ist kein Naturgesetz, sondern wird gemacht. Daher gilt im          kammer ist soziale
Umkehrschluss, dass sie auch bekämpft werden kann. Leider lässt sich in den        Gerechtigkeit eine
letzten Jahren beobachten, dass sich große Vermögen in den Händen einiger          wesentliche Forde-
weniger konzentrieren, während sich auf der anderen Seite immer mehr Men-
                                                                                   rung, die auch eine
schen sehr anstrengen müssen, um gut leben zu können. In anderen Worten:
Die Ungleichheit nimmt zu.
                                                                                   gerechtere Vertei-
                                                                                   lung von Vermögen
Es gibt triftige Gründe hier gezielt gegenzusteuern, denn eine ungerechte Ver-     und Einkommen
teilung des Reichtums gefährdet den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.             umfasst.“
Verteilungsgerechtigkeit zählt daher zu den zentralen Forderungen der Arbei-
terkammer. Gerade deswegen ist uns wichtig, dass alle die Fakten über die ge-
genwärtigen Vermögensverhältnisse kennen. Hier wurden in den letzten Jah-
ren bereits große Fortschritte erzielt – nicht zuletzt wird dies durch die von
der OeNB (Oesterreichische Nationalbank) durchgeführte Erhebung „HFCS“
(Household Finance and Consumption Survey) ermöglicht. Diese erlaubt eine
umfassende Analyse, wie private Haushalte ihr Geld anlegen, wofür sie es aus-
geben, und wie ihre finanzielle Situation aussieht.

Die neuesten Ergebnisse, die in dieser Broschüre zusammengefasst sind, zei-
                                                                                    Renate Anderl,
gen das besorgniserregende Ausmaß der Ungleichheit: Das reichste 1 % ver-
                                                                                    AK Wien Präsidentin
fügt in Österreich über rund 40 % des gesamten Nettovermögens, während die
ärmeren 50 % der österreichischen Haushalte gemeinsam gerade einmal 2,5 % besitzen.
Dabei wird ein großer Teil der Vermögen nicht durch eigene Leistung erworben, sondern
(steuerfrei) geerbt. Damit setzt sich eine Spirale der Ungleichheit in Gang, die über Genera-
tionen hinweg wirken kann. Großer Reichtum ermöglicht auch politische Einflussnahme,
etwa durch Wahlkampfspenden. Das birgt die Gefahr, dass die Interessen von Arbeitneh-
merInnen unter die Räder kommen.

Als Arbeiterkammer bilden wir ein Gegengewicht zum großen Geld. Wir vertreten unsere
fast 4 Mio. Mitglieder, die tagtäglich arbeiten gehen und nicht von den Zinsen ihres Ver-
mögens leben können. Wir fordern daher, dass auch die BesitzerInnen großer Vermögen
endlich einen fairen Beitrag zum Wohlstand der Gesamtgesellschaft leisten – denn davon
profieren wir alle und nicht nur einige wenige.
VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
VERMÖGENS
VERTEILUNG
IMPRESSUM
2. Auflage, März 2020
Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien,
Prinz Eugen Straße 20-22, 1040 Wien, Telefon: ( 01) 501 65 0
Offenlegung gem. § 25 MedienG: siehe wien.arbeiterkammer.at/impressum
Redaktion: Klaus Baumgartner, Michael Ertl, Julia Hofmann, Georg Hubmann, Joshua Mingers, Markus Marterbauer,
Miriam Rehm, Christoph Prenner, Matthias Schnetzer, Eva Six, Marie-Theres Svoboda
Konzeption: Georg Hubmann, Jahoda-Bauer-Institut, www.jbi.or.at
Grafik: contentschmiede
Hersteller: Bösmüller Printmanagement GesmbH & Co. KG, 2000 Stockerau
Bestell-Telefon: ( 01) 310 00 10 591
Die Broschüre und die Grafiken stehen auf der Homepage der AK Wien unter
http://wien.arbeiterkammer.at/verteilungsgerechtigkeit zum Download bereit.
VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
INHALT

 1   Vermögensverteilung …………………………………………………………………… 06

2    Vermögensverteilung in Europa ………………………………………………… 08

3    Gender und Vermögen …………………………………………………………………… 10

4    Vermögenseinkommen ………………………………………………………………… 12

5    ManagerInnengehälter…………………………………………………………………… 14

6    Erben ………………………………………………………………………………………………… 16

7    Vermögens- und Erbschaftssteuern …………………………………………… 18

8    Vermögensbezogene Steuern ……………………………………………………… 20

9    Steuervermeidung ………………………………………………………………………… 22

10   Öffentliches und privates Vermögen ………………………………………… 24

11   Vermögenskonzentration und Macht ………………………………………… 26

12   Steuergerechtigkeit ……………………………………………………………………… 28
VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
VERMÖGENSVERTEILUNG

                          GROSSE UNGLEICHHEIT
                          IN ÖSTERREICH

1                          „Von den Zahlen nichts wis-
                           sen zu wollen, dient selten
                           der Sache der Ärmsten.“
                                                 Thomas Piketty
                                                 (Paris School of Economics)
                                                                               Wahrscheinlichkeit, dass MultimillionärInnen
                                                                               und MilliardärInnen in der befragten Stichpro-
                                                                               be landen, ist gering und zudem sind die Reichs-
                                                                               ten meist nicht bereit Auskunft über ihr Vermö-
                                                                               gen zu geben. Eine Studie der JKU Linz schätzt
                                                                               deshalb mit fundierten statistischen Methoden
                          Konkrete Zahlen zur Vermögensverteilung in           und Reichenlisten die fehlenden Topvermögen
                          Österreich gibt es erst seit wenigen Jahren. Die     zu den HFCS Daten hinzu. Die daraus errech-
                          Oesterreichische Nationalbank (OeNB) erhob           nete Vermögenskonzentration ist besorgnis-
                          2010 und 2014 im Rahmen des europaweiten             erregend: Das reichste 1 % besitzt rund 40 % des
                          HFCS (Household Financial and Consumption            Nettovermögens, die ärmere Hälfte zusammen
                          Survey) das Vermögen der ÖsterreicherInnen.          gerade einmal 2,5 %. Reiht man alle Haushalte
                          Das dabei ermittelte Nettovermögen von priva-        vom Ärmsten bis zum Reichsten, dann hätte der
                          ten Haushalten unterteilt sich in Sachvermögen       Haushalt in der Mitte rund 86.000 Euro (Me-
                          (z. B. Immobilien, Fahrzeuge, Unternehmens-          dian). Da es ganz oben in der Verteilung aber ei-
                          eigentum, Wertgegenstände) und Finanzver-            nige sehr reiche Haushalte gibt, liegt das durch-
                          mögen (z. B. Girokonten, Spareinlagen, Aktien,       schnittliche Vermögen deutlich höher, nämlich
                          Wertpapiere, Lebensversicherungen) abzüglich         bei fast 260.000 Euro (Mittelwert).
                          von Schulden.
                                                                               Keine Mittelschicht
                          Der HFCS ist eine freiwillige Stichprobenerhe-       In Österreich gibt es bei den Vermögen keine
                          bung und kann deshalb kaum Informationen             breite Mittelschicht, wie wir sie von der Ein-
                          über die allerreichsten Haushalte liefern. Die       kommensverteilung kennen. Die Vermögens-
                                                                               daten zeigen, dass die üblichen Vermögensge-

6 | Vermögensverteilung
VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
VERMÖGEN IN ÖSTERREICH:
WER HAT WELCHEN ANTEIL AM NETTOVERMÖGEN?

     ÄRMSTEN 50 %        REICHSTEN 11-50 %     REICHSTEN 6-10 %       REICHSTEN 2-5 %          REICHSTES 1 %
     BESITZEN 2,5 %       BESITZEN 31,8 %       BESITZEN 9,5 %        BESITZEN 15,7 %          BESITZT 40,5 %

                                                                                                                Quelle: Ferschli et al., 2017
  genstände der unteren Hälfte ein Auto oder das      Zum Weiterlesen:
  Sparbuch sind. In der oberen Mitte ist dann das     Fessler, Pirmin/Lindner, Peter/Schürz, Martin
  Eigenheim typischerweise der größte Vermö-          (2016): Household Finance and Consumption Survey
  gensposten. Blickt man auf die reichsten 20 %       des Eurosystems 2014: Erste Ergebnisse für Öster-
  sind auch Wertpapiere Teil des Vermögens. Erst      reich (zweite Welle), www.hfcs.at
  bei den Top 5 % kommen zusätzliche Immobilien,      Ferschli, Benjamin/Kapeller, Jakob/Schütz,
  Wertpapiere und Unternehmensbeteiligungen           Bernhard/Wildauer, Rafael (2017): Bestände und
  dazu.                                               Konzentration privater Vermögen in Österreich.
                                                      AK Working Paper 167, http://bit.do/ak001
  Vermögen an der Spitze konzentriert                 Linktipp: www.verteilung.at
  Obwohl mit der HFCS-Vermögenserhebung ein
  guter Einblick in die Verteilung vorliegt, schät-
  zen vor allem die vermögenden Haushalte ihre
  Position innerhalb der Vermögensverteilung
  falsch ein. In den Top 10 % glaubt kein einziger
  befragter Haushalt, dass er zu den reichsten 10 %
                                                            FAKTEN
  zählt. Rund 70 % aller Befragten ordnen sich in
  der Mitte ein. Das zeigt, dass viele Menschen             • Das reichste Prozent besitzt in Österreich rund
  davon ausgehen, dass es bei den Vermögen eine               40 % des Nettovermögens.
  ähnlich große Mittelschicht gibt, wie bei den             • Bei den Vermögen gibt es keine breite Mittelschicht,
  Einkommen. Die aktuellen Studien belegen al-                wie wir sie von den Einkommen kennen.
  lerdings, dass ein großer Teil des Vermögens an
  der Spitze konzentriert ist.
                                                            • Die reichsten Haushalte besitzen vermehrt Unternehmens-
                                                              beteiligungen, Wertpapiere und Zinshäuser, in der ärmeren
                                                              Hälfte ist es meist ein Auto und ein Sparbuch.

                                                                                                                                                Vermögensverteilung | 7
VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
VERMÖGENSVERTEILUNG IN EUROPA

                              HOHE UNGLEICHHEIT,
                              UNTERSCHIEDLICHE SOZIALSYSTEME

                              Die Vermögen sind in Europa sehr ungleich verteilt.     das Gesundheits- und Bildungssystem betrifft. Klar
                              Reiht man alle Haushalte in den Euro-Ländern nach       ist aber: ein Rückbau des Sozialsystems führt nicht
                              ihrem Vermögen auf, so besitzt der Haushalt genau       zu höherem privaten Vermögen, sondern reduziert
                              in der Mitte ca. 100.000 Euro. Der Haushalt an der      in erster Linie die Lebensqualität für die Mehrheit
                              Grenze zu den untersten 10 % hat nur 1.000 Euro,        der Menschen. Viel relevanter und aussagekräftiger
                              während der Haushalt an der Grenze zu den obers-        ist deshalb die Verteilung innerhalb der Länder.
                              ten 10 % etwa 500.000 Euro besitzt. Mehr als die
                              Hälfte des gesamten privaten Vermögens im Euro-         Dabei zeigt sich: die Ungleichheit ist auch hier sehr
                              raum ist in den Händen der reichsten 10 %.              hoch. Der Gini Koeffizient ist ein Maß für die Un-
                                                                                      gleichheit. Je näher dieser bei 1 liegt, umso unglei-

2
                              Die Vermögensungleichheit nimmt zu                      cher ist die Verteilung. Unter den Euro-Ländern lie-
                              Der Ökonom Thomas Piketty zeigt, dass seit den          gen die Werte zwischen 0,49 und 0,76. Deutschland
                              1980ern die Konzentration der Vermögen in den           und Österreich stehen dabei an der Spitze der Ver-
                              Händen der obersten 10 % im Euroraum stark zu-          mögensungleichheit.
                              nimmt – wenn auch weniger als in den Vereinigten
                              Staaten. Die Vermögenden profitierten in allen          Weitere Gründe für die Unterschiede im Privat-
                              Euroländern von der Deregulierung der Märkte,           vermögen zwischen den Ländern liegen in den
                              Privatisierungswellen, der Orientierung am Share-       unterschiedlichen Haushaltsgrößen, aber auch Im-
                              holder-Value sowie dem internationalen Steuerwett-      mobilien-Preisblasen in einzelnen Ländern haben
                              bewerb und den Steuersümpfen.                           Einfluss genauso wie unterschiedliche historische
                                                                                      Entwicklungen. Die Ökonomen Martin Schürz und
                              Die Höhe des privaten Vermögens und die Einkom-         Pirmin Fessler zeigen in einer Studie, dass neben der
                              men unterscheiden sich zwischen den Ländern des         Rolle von Erbschaften vor allem die Unterschiede im
                              Euroraums deutlich, die Reihenfolge ist jedoch un-      Sozialstaat besonders relevant sind.
                              terschiedlich: Tendenziell ist das Vermögen der mitt-
                              leren Haushalte in südeuropäischen Ländern wie
                              Malta, Zypern, Spanien, Italien, aber auch in Frank-      „Eine hohe Konzentration von
                              reich, Belgien und Luxemburg höher als in Deutsch-        Privatvermögen in den Händen
                              land oder Österreich. Dafür gibt es strukturelle
                                                                                        der Superreichen kann zu ökono-
                              Gründe: Denn der mittlere Haushalt in Deutschland
                              und Österreich besitzt anders als in den genannten
                                                                                        mischen Ungleichgewichten füh-
                              Ländern kein Wohnungseigentum. Das liegt an un-           ren, den sozialen Zusammenhalt
                              terschiedlichen Systemen bei den Wohlfahrtsstaa-          untergraben und demokratische
                              ten, etwa was den sozialen Wohnbau, Pensionen oder        Prinzipien bedrohen.“
                                                                                                   Independent Annual Growth Survey (2018)

8 | Vermögensverteilung in Europa
VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
Zum Weiterlesen:
  HFCS Network (2016): The Household Finance and
                                                                    FAKTEN
  Consumption Survey: results from the second wave,
                                                                    • Das Vermögen im Euroraum ist sehr ungleich verteilt.
  ECB Statistics Paper Series No.18, http://bit.do/ak002
                                                                      Mehr als die Hälfte des gesamten Privatvermögens ist in den
  Disslbacher, Franziska/Rehm, Miriam/Schnetzer,
  Matthias/Theine, Hendrik (2015): Pikettys Thesen –                  Händen der reichsten 10 %.
  Kurz und bündig erklärt, AK Wien                                  • Die Ungleichheit bei den Vermögen in Europa steigt seit den
  Fessler, Pirmin/Schürz, Martin (2015): Private wealth               1980er Jahren.
  across European countries: the role of income, inhe-
                                                                    • Deutschland und Österreich stehen innerhalb der Eurozone
  ritance and the welfare state, ECB Working Paper No.
  1847, http://bit.do/ak003
                                                                      an der Spitze der Vermögensungleichheit.
  Alvaredo, Facundo/Chancel, Lucas/Piketty, Thomas/                 • Die Gründe für die Unterschiede in der Vermögensungleichheit
  Saez, Emmanuel/Zucman, Gabriel (2018): Bericht zur                  zwischen den Ländern sind vielfältig. Ein zentraler Grund ist die
  weltweiten Ungleichheit. Kurzfassung, World Inequa-                 Verschiedenheit der Sozialstaaten (öffentlicher Wohnbau,
  lity Lab, http://bit.do/ak004                                       öffentlicher Verkehr, Pensionssystem, Gesundheitssystem).
  Linktipp: www.inequalityin.eu

VERMÖGENSVERTEILUNG
NACH UNGLEICHHEIT („GINI KOEFFIZIENT“)

                                                      Deutschland 0,76
                                                       Österreich 0,73
                                                         Zypern 0,72
                                                       Niederlande 0,7
                                                        Eurozone 0,69
                                                        Portugal 0,68
                                                       Frankreich 0,68
                                                      Luxemburg 0,65
                                                        Finnland 0,65
                                                       Slowenien 0,63
                                                      Griechenland 0,6
                                                         Spanien 0,6
                                                                                                                        Quelle: HFCS, 2014

                                                          Italien 0,6
                                                          Malta 0,59
  JE HÖHER, DESTO UNGLEICHER                             Belgien 0,59
                                                        Slowakei 0,49

                                                                                                                     Vermögensverteilung in Europa | 9
VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
VERMÖGENSUNTERSCHIED
                           ZWISCHEN MÄNNERN UND FRAUEN

                                                                     GESCHLECHTSSPEZIFISCHE
                                                                        VERMÖGENSLÜCKE
                                                                            38.000 €

                                                                                                                                    Quelle: Schneebaum et al., 2017
3
                                            MÄNNER                                                          FRAUEN
                                            165.000 €                                                       127.000 €

                            GENDER UND VERMÖGEN

                            FRAUEN HABEN
                            WENIGER VERMÖGEN

                            Ähnlich wie beim Einkommen gibt es auch beim        haushalten ist diese Lücke sogar noch größer,
                            Vermögen eine Lücke zwischen Frauen und Män-        aber auch im Vergleich der Singlehaushalte besit-
                            nern. Mit den Daten der Europäischen Zentral-       zen Frauen weniger Vermögen als Männer. Dieser
                            bank aus 2014 ist es nun erstmals möglich, auch     Unterschied gilt auch für den Vergleich von er-
                            in Österreich diese Vermögensunterschiede nach      werbstätigen oder vollzeitbeschäftigten Frauen
                            Geschlecht genau zu betrachten. Dabei zeigt sich:   und Männern.
                            In Österreich haben Frauen im Durchschnitt um
                            23 % weniger Vermögen als Männer. Während           Große Unterschiede bei den Reichen
                            Männer ca. 165.000 Euro besitzen, sind es bei       Allerdings besteht die Vermögenslücke vor allem
                            Frauen nur 127.000 Euro. Innerhalb von Paar-        am oberen Rand der Verteilung. Über weite Teile

10 | Gender und Vermögen
„Die Vermögenslücke zwischen Männern und
                             Frauen zu schließen, ist sowohl eine moralische als
                             auch eine ökonomische Notwendigkeit.“
                                                                      Coleen Briggs/Heather McCulloch,
                                                                      (Closing the Women’s Wealth Gap Initiative)

der Bevölkerung besteht kaum ein Vermögensun-         hohe Vermögen besitzen, und zum anderen, weil
terschied zwischen Männern und Frauen. Kurz           sie von Leistungen des Wohlfahrtsstaates über-
gesagt: Dort, wo auch nennenswertes Vermögen          proportional profitieren.
gehalten wird, haben Frauen viel weniger Vermö-
gen als Männer.                                       Zum Weiterlesen:
                                                      Hollan, Katarina/Mader, Katharina/Rehm, Miri-
Vermögenssteuern sind frauenpolitisch notwendig       am/Schneebaum, Alyssa (2016): The Gender We-
Aber nicht nur die Besitzverhältnisse, sondern        alth Gap Across European Countries, AK Working
auch die Frage, wer in einem Haushalt über die        Paper No. 157, http://bit.do/ak005
Verwendung von Vermögen bestimmt, ist bei der         Schneebaum, Alyssa/Schuster, Barbara/Groiß,
Interpretation der Daten wichtig. Denn mit der        Julia (2017): Gender Wealth Gap: Frauen besitzen
Möglichkeit über Ressourcen zu verfügen, sind         weniger Vermögen als Männer, A&W Blog, 10.
viele Handlungsmöglichkeiten verbunden. Auch          Oktober, http://bit.do/ak006
dazu gibt es erstmals Informationen: In über drei     Linktipp: www.ronja-verdient-mehr.at
Viertel der Haushalte bestimmen Frauen und
Männer gemeinsam über die Verwendung des Ver-
mögens. Wenn das allerdings nicht der Fall ist,
dann entscheidet öfter der Mann als die Frau al-
leine. In Haushalten mit großen Unterschieden in
der Vermögenshöhe besteht ein größeres Macht-
gefälle. Entscheidet der Mann alleine über die Ver-
wendung des Vermögens, besitzt er auch ein viel
höheres Vermögen als die Frau, nämlich fast eine
halbe Million Euro mehr. Bestimmt dagegen die
Frau alleine über das Vermögen, hat sie im Durch-
                                                           FAKTEN
schnitt nur 90.000 Euro mehr als der Mann.
                                                           • Beim Vermögen klafft eine Lücke zwischen Frauen und Männern.
                                                             Im Durchschnitt haben Frauen 23 % weniger Vermögen als Männer.
Die Umverteilung von Vermögen würde daher
insbesondere Männer treffen, da diese am oberen            • Diese Lücke besteht allerdings hauptsächlich am oberen Rand der
Ende der Verteilung viel stärker vertreten sind.             Verteilung, also dort, wo auch viel Vermögen gehalten wird.
Anders gesagt: Vermögens- und Erbschaftssteu-
                                                           • Die meisten Paare entscheiden gemeinsam über ihr Vermögen,
ern sind ein Genderthema. Frauen würden von
                                                             aber Männer bestimmen öfter alleine als Frauen. In Haushalten mit
einer stärkeren Besteuerung von Vermögen dop-
                                                             einem Machtungleichgewicht besitzt der Mann viel mehr Vermögen
pelt profitieren: Zum einen, weil sie seltener sehr
                                                             als die Frau.

                                                                                                                    Gender und Vermögen | 11
VERMÖGENSEINKOMMEN

                          WER HAT, DEM
                          WIRD GEGEBEN

                          Vermögenseinkommen entsteht aus dem Ertrag
                          von bestehendem Vermögen. Zum einen sind das
                          Zinsen auf Gehalts- und Sparkonten, Dividenden         „Wenn wir die Ursachen der Un-
                          auf Wertpapiere, Einkünfte aus Vermietung und          gleichheit erforschen, stoßen wir
                          Verpachtung von Immobilien und Grundstücken            auch auf die extreme Konzentra-
                          sowie Gewinnentnahmen aus Unternehmen.                 tion der Kapitaleinkommen.“
                          Zum anderen geht es um die Wertsteigerung des
                          Besitzes: So kann die vermietete Wohnung neben                           Branko Milanovic (CUNY University)
                          den regelmäßigen Mieteinnahmen auch noch im
                          Wert steigen. Die EigentümerInnen profitieren
                          also doppelt.
                                                                                vorzugung von leistungslosem Vermögenseinkom-

4
                          Etwa 75 % der erwerbstätigen Bevölkerung be-          men gegenüber Arbeitseinkommen ist ungerecht.
                          ziehen Einkommen aus Vermögen, meist sind das
                          kleine Zinserträge. Die reichsten 10 % erhalten       Nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ kön-
                          rund 90 % aller Vermögenseinkommen. Erst im           nen Haushalte mit hohem Vermögen meist auch
                          obersten Prozent spielen Einkommen aus Ver-           höhere Vermögenseinkommen lukrieren. Diesen
                          mietung und Verpachtung sowie insbesondere            Haushalten fällt es besonders leicht noch mehr
                          Gewinnentnahmen eine relevante Rolle. Der Wert        Vermögen anzuhäufen, wenn dieses Einkommen
                          des Gini-Index von 0,91 bei Vermögenseinkommen        auch noch günstiger besteuert wird als Arbeits-
                          illustriert diese extreme Ungleichheit bei den Ver-   einkommen. Dies führt zu einer Spirale, in der
                          mögenseinkommen: Er ist sehr nahe am Maximal-         sich Vermögen immer mehr auf wenige Haushal-
                          wert von 1, der bedeuten würde, dass ein einziger     te konzentriert. Branko Milanovic, ehemaliger
                          Haushalt alle Vermögenseinkommen lukriert. Das        Forschungsdirektor der Weltbank und einer der
                          heißt, dass Vermögenseinkommen noch viel un-          führenden ExpertInnen in der Ungleichheitsfor-
                          gleicher verteilt sind als Vermögen selbst.           schung, sieht in dieser Entwicklung eine Gefahr
                                                                                für die Demokratie.
                          Vermögende werden bevorzugt
                          Steuerlich sind die meisten Vermögenseinkom-          Eine progressive Besteuerung von Vermögensein-
                          men noch dazu deutlich bessergestellt als Arbeits-    kommen brächte mehr Gerechtigkeit für die arbei-
                          einkommen. Während erstere mit der (einheit-          tenden Menschen. Gemeinsam mit Vermögens-
                          lichen) Kapitalertragsteuer besteuert werden,         und Erbschaftssteuern kann die beschriebene
                          unterliegen Arbeitseinkommen einem steigenden         Spirale immer größerer Vermögensungleichheit
                          (progressiven) Steuersatz. Diese steuerliche Be-      durchbrochen werden.

12 | Vermögenseinkommen
FAKTEN
                                                        • Vermögenseinkommen bestehen aus Zinserträgen auf Bankkonten,
 Zum Weiterlesen:
                                                          aus Vermietung und Verpachtung von Immobilien sowie aus
 Förster, Michael / Heitzmann, Karin (2017): Entwick-
 lung von Spitzeneinkommen in OECD-Ländern. In:           Dividenden auf Wertpapiere und sonstigen Gewinnaus-
 Dimmel, Nikolaus/Hofmann, Julia/Schenk, Martin/          schüttungen aus Unternehmen.
 Schürz, Martin (Hrsg.): Handbuch Reichtum. Neue        • Viele Formen von Vermögenseinkommen (v.a. Zinsen, Dividenden
 Erkenntnisse aus der Ungleichheitsforschung, Inns-       und Ausschüttungen aus Anteilen an Kapitalgesellschaften oder In-
 bruck: Studienverlag, 51-67.
                                                          vestmentfonds) werden lediglich mit einem niedrigen fixen Zinssatz
 OECD (2014): Focus on Top Incomes and Taxation in
                                                          besteuert, während Arbeitseinkommen einer progressiven Besteue-
 OECD Countries: Was the crisis a game changer?,
 Paris, http://bit.do/ak007
                                                          rung unterliegen.
 Milanovic, Branko (2016): Die ungleiche Welt - Mig-    • Was für Vermögen gilt, trifft auch für das Einkommen aus Vermögen
 ration, das Eine Prozent und die Zukunft der Mittel-     zu: Der größte Teil des gesamten Vermögenseinkommens ist
 schicht, Berlin: Suhrkamp Verlag.                        konzentriert auf wenige.
 Milanovic, Branko (2017): Increasing Capital Income
                                                        • Vermögenseinkommen tragen aufgrund der geringen Besteuerung
 Share and Its Effect on Personal Income Inequality.
 In: Boushey, Heather/DeLong, J. Bradford/Stein-          kaum zur Finanzierung des Sozialstaates bei und entstehen meist
 baum, Marshall (Hrsg.): After Piketty. The Agenda        ohne geistige oder körperliche Anstrengung.
 for Economics and Inequality, London: Harvard
 University Press, 235-258.
 Linktipp: www.verteilung.at

WER HAT WIEVIEL VOM
EINKOMMEN DURCH VERMÖGEN?

            DIE UNTERSTEN 90 % ERHALTEN 10 %
              ALLER VERMÖGENSEINKOMMEN                                DIE REICHSTEN 10 %
                                                                     ERHALTEN 90 % ALLER
                                                                    VERMÖGENSEINKOMMEN
                                                                                                        Quelle: HFCS, 2014

                                                                                                                             Vermögenseinkommen | 13
VERHÄLTNIS VON LÖHNEN UND
                            MANAGERINNENGEHÄLTERN

                               1 : 24                            1 : 43                               1 : 64

5
                                                                                                                                      Quelle: Wieser, 2019
                                        2003                               2015                                   2018

                             MANAGERINNENGEHÄLTER

                             STIMMT DAS
                             VERHÄLTNIS NOCH?
                             In den letzten Jahren hat sich die Vorstandsver-     standsvergütung vom 24-fachen des Medianein-
                             gütung in den großen (börsennotierten) Unterneh-     kommens im Jahr 2003 auf das 64-fache im Jahr
                             men immer mehr vom übrigen Lohn- und Gehalts-        2018 in den wichtigsten börsennotierten Unter-
                             gefüge abgekoppelt. Strukturell falsche Anreize,     nehmen des Leitindex ATX. In diesem Zeitraum
                             wie die kurzfristige Orientierung am Aktienkurs,     haben sich die durchschnittlichen ATX-Vorstands-
                             haben zu einem Missverhältnis zwischen Leistung      gehälter damit um 266 % gesteigert, während bei
                             und Bezahlung des Managements geführt. Diese         den Medianeinkommen nur ein Anstieg um 34 %
                             zunehmende Polarisierung ist sowohl national wie     zu beobachten ist. Seit dem Ausbruch der Finanz-
                             international zu beobachten.                         krise heben sich die Vorstandsgagen sogar von der
                                                                                  Entwicklung des Börsenkurses ab. Während der Fi-
                             In Österreich kam es zu einer Erhöhung der Vor-      nanzkrise sind die Vorstandsbezüge zwar etwas ge-

14 | ManagerInnengehälter
„Um ein weiteres Auseinander-
                                                       driften der Einkommen zu ver-
                                                       hindern, braucht es eine an-
                                                       gemessene Relation zwischen
                                                       Vorstandsvergütung und den
                                                       Löhnen und Gehältern der Be-
sunken, doch nach diesem kurzen Rückgang liegen        legschaft, die vom Aufsichtsrat
die Gehälter des Managements gegenwärtig sogar         festzulegen ist.“
über den Rekordwerten der Hochkonjunkturjahre.                                       Christina Wieser (AK Wien)
Der Anstieg der Vorstandsvergütungen lässt sich
vor allem mit der zunehmend höheren variablen
Vergütung (insbesondere aktienbasierte Incentive-
Modelle) erklären.                                    angemessene Relation zwischen Vorstandsvergü-
                                                      tung und der Belegschaft festlegen. Dieser Faktor
Ein durchschnittlicher ATX-Vorstand erhielt dem-      (z. B. 1:12) – die „Manager to Worker Pay Ratio“ – soll
nach im Jahr 2017 rund 2,04 Mio. Euro, das ist        dann im Geschäftsbericht veröffentlicht werden.
ein Plus von 18,6 % im Vergleich zum Vorjahr. An-     Darüber hinaus soll der Aufsichtsrat Höchstgren-
geführt wird das individuelle Ranking vom Vor-        zen für die individuelle Vergütung der Vorstands-
standsvorsitzenden der Bawag Group, Anas Ab-          mitglieder sowie für die einzelnen Vergütungsbe-
uzaakouk, mit 6,6 Mio. Euro, gefolgt von seinen       standteile (z. B. variable Vergütung) vorsehen.
Vorstandskollegen Sat Shah mit 5,2 Mio. Euro auf
dem zweiten Rang und Andrew Wise mit 5 Mio.           Zum Weiterlesen:
Euro auf dem dritten Platz.                           AK Wien (2018): Vorstandsvergütung in den ATX
                                                      Unternehmen. Vergütungspolitik und Gehälter-
Wie kann diesem Trend entgegenwirkt werden?           Ranking, 2018
Die Vergütungspolitik für den Vorstand ist zwar       Linktipp: www.reichtumsmythen.at
mittlerweile einigen gesetzlichen Bestimmungen
und freiwilligen „Empfehlungen“ unterworfen, je-
doch zeigen diese Maßnahmen bislang wenig Wir-
kung. Unternehmen müssen verstärkt nicht-finan-
zielle Anreize einführen, um für Angemessenheit
und Nachhaltigkeit zu sorgen. Diese Vergütungs-
kriterien sollten so gewählt und festgelegt werden,
dass strategische Weitsicht und nachhaltige Unter-          FAKTEN
nehmensführung statt Kurzsicht und schnelle Ge-
winne belohnt werden.                                       • In den letzten Jahren hat sich die Vorstandsvergütung von großen
                                                              (börsennotierten) Unternehmen in Österreich immer mehr vom übri-
Zielvereinbarungen mit dem Vorstand könnten bei-              gen Lohn- und Gehaltsgefüge abgekoppelt: Zwischen 2003 und 2018
spielsweise in Bezug auf Qualifizierung, Arbeitsbe-           wurden die durchschnittlichen ATX-Vorstandsgehälter deutlich um
dingungen und Zufriedenheit der Beschäftigten                 266 % erhöht, während bei den Medianeinkommen ein
sowie in Hinblick auf Diversität in Belegschaft und
                                                              Anstieg um 34 % zu beobachten ist.
Führung getroffen werden.
                                                            • Ein ATX-Vorstand erhielt im Jahr 2018 im Schnitt rund 2,04 Mio. Euro.
Der Aufsichtsrat kann, neben der richtigen Wahl             • Das durchschnittliche Vorstandsgehalt hat sich demnach vom
der Vergütungsinstrumente und Kriterien, eine                 24-fachen des Medianeinkommens in Österreich im Jahr 2003 auf
                                                              das 64-fache im Jahr 2018 erhöht.

                                                                                                                  ManagerInnengehälter | 15
ERBEN

             ERBSCHAFTEN VERFESTIGEN
             DIE UNGLEICHHEIT

6             „Wenn Heiraten und Erben
              erfolgreicher ist als Arbeiten,
              dann hat die Gesellschaft ein
              Problem.“
                          Brigitte Unger (Universität Utrecht)

             Erbschaften sind in Österreich sehr ungleich ver-
                                                                  Erbschaften. Nur etwa jeder dritte Haushalt der
                                                                  unteren 90 % in der Vermögensverteilung erhält
                                                                  ein Erbe in Form von Fahrzeugen, Immobilien oder
                                                                  finanziellem Vermögen. Dabei geht es im Durch-
                                                                  schnitt um etwa 120.000 Euro. Je reicher ein Haus-
                                                                  halt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit zu
                                                                  erben. Für die reichsten 10 % liegt die Wahrschein-
             teilt und das verstärkt die Unterschiede in den      lichkeit auf eine Erbschaft bei 71,1 % und das durch-
             Lebenschancen. So können wohlhabendere Eltern        schnittlich erhaltene Erbe beläuft sich auf etwa
             ihre Kinder bereits zu Lebzeiten finanziell besser   830.000 Euro. Diese Daten zeigen allerdings nur
             fördern. Diese Entwicklung setzt sich etwa beim      die Untergrenze, da die reichsten Haushalte kaum
             Vererben einer Eigentumswohnung fort und ver-        an freiwilligen Befragungen teilnehmen und ihre
             festigt damit die ohnehin sehr hohe Vermögens-       Wahrscheinlichkeit zu erben bzw. ihr Erbvolumen
             ungleichheit. Das steigende Erbschaftsvolumen        noch deutlich höher sein dürften.
             zeigt, dass diese Entwicklung zukünftig noch
             stärker wird. Das gilt für alle Länder der Eurozo-   Für all jene, die keine Erbschaft erwarten können,
             ne: Haushalte, die geerbt haben, besitzen deutlich   gibt es zudem eine schlechte Nachricht: In Öster-
             mehr Vermögen als jene, die nichts geerbt haben.     reich tragen Unterschiede zwischen Erbschaften
             Die Zukunftschancen hängen also stark davon ab,      gleich viel zur Vermögensungleichheit bei wie die
             ob man in eine Familie geboren wird, wo man eine     Unterschiede im Haushaltseinkommen. Das Glück
             Erbschaft zu erwarten hat oder nicht.                der Geburt hat also etwa denselben Effekt wie der
                                                                  persönliche Arbeitseinsatz in der Arbeitswelt.
             Wer erbt wieviel?                                    Natürlich spielen auch andere Faktoren wie Aus-
             Konkrete Zahlen zu den Erbschaften verdeutli-        bildung eine Rolle, aber die sind in Relation zu Ein-
             chen zudem die großen Unterschiede zwischen          kommen und Erbschaft weniger wichtig.

16 | Erben
WER WIEVIEL ERBT (DURCHSCHNITT)
                                                                    3.373.000 €

                                        828.000 €

        124.000 €

          UNTERE 90 %                            TOP 10 %                                  TOP 1 %

                                                                                                                     Quelle: HFCS, 2014
 Die dargestellten Fakten zeigen, dass wohlhaben-           Leitner, Sebastian (2018): Factors driving wealth
 dere Haushalte viel wahrscheinlicher und um                inequality in European countries, AK Working
 ein Vielfaches mehr erben als die Mehrheit aller           Paper No. 177, http://bit.do/ak008
 Haushalte. Bildlich gesprochen erhalten ärmere             Tiefensee, Anita (2016): Erbschaften in Österreich:
 Haushalte, sofern sie überhaupt erben, ein Fahr-           Wer viel verdient, bekommt am meisten, A&W-Blog,
 zeug oder einen Schrebergarten, während reichere           9. Mai, http://bit.do/ak009
 Haushalte ein stattliches Eigenheim oder gar das           Linktipp: www.verteilung.at
 Familienunternehmen erben. Diese Fortschrei-
 bung von Ungleichheit über Generationen hinweg
 steht einer echten Chancengerechtigkeit klar im
 Weg. Erbschafts- und Vermögenssteuern können
 dem Abhilfe schaffen.

 Zum Weiterlesen:
                                                                  FAKTEN
 Fessler, Pirmin / Schürz, Martin (2015): Private we-
 alth across European countries: The role of income,
                                                                  • Nur einer von drei Haushalten der unteren 90 % der Bevölkerung erbt
 inheritance and the welfare state, ECB Working                     überhaupt etwas. Im Durchschnitt beträgt diese Erbschaft 120.000 Euro.
 Paper Series No. 1847.                                           • Im Gegensatz dazu erben innerhalb der reichsten 10 % drei von vier
 Leitner, Sebastian (2016): Drivers of wealth ine-                  Haushalten. Ihre Erbschaft ist mit 830.000 Euro fast sieben Mal höher als
 quality in euro area countries: The effect of inher-               die durchschnittliche Erbschaft der restlichen 90 %. Im reichsten Prozent
 itance and gifts on household gross and net wealth
                                                                    macht die durchschnittliche Erbschaft sogar 3,4 Mio. Euro aus.
 distribution analysed by applying the Shapley
 value approach to decomposition, In: European                    • Erbschaften sind in Österreich ein zentraler Grund für die ungleiche
 Journal of Economics and Economic Policies:                        Verteilung der Vermögen.
 Intervention 13/1, 114-136.                                      • Haushalte, die geerbt haben, besitzen deutlich mehr Vermögen als jene,
                                                                    die nichts geerbt haben.

                                                                                                                                          Erben | 17
VERMÖGENS- UND ERBSCHAFTSSTEUERN

                              WAS BRINGEN VERMÖGENS-
                              UND ERBSCHAFTSSTEUERN?

                              Zwei Steuern können einer fortlaufenden Vermö-       reicht die Babyboomer-Generation der Nachkriegs-
                              genskonzentration entgegenwirken: Vermögens-         jahre ihre Lebenserwartung und zweitens vollzog
                              und Erbschaftssteuern. Eine jährliche Steuer auf     diese Generation ihren Vermögensaufbau in wirt-
                              sehr hohe Nettovermögen verringert den Abstand       schaftlich florierenden Zeiten. Mit den Daten aus
                              zwischen den Reichsten und dem Rest der Gesell-      dem HFCS kann geschätzt werden, wie groß das
                              schaft. Mit der Besteuerung von Vermögensüber-       in Zukunft zu erwartende jährliche Erbschafts-
                              tragungen, wie Erbschaften und Schenkungen,          vermögen sein wird. Hier zeigt sich: Das jährliche
                              kann verhindert werden, dass sich die Vermögens-     Erbschaftsvolumen steigt von rund 10 Mrd. Euro
                              konzentration über Generationen hinweg ein-          im Jahr 2015 auf deutlich über 20 Mrd. Euro im
                              zementiert. Internationale Institutionen wie die     Jahr 2040.
                              OECD, aber auch renommierte Verteilungsexpert­
                              Innen wie Thomas Piketty schlagen daher vermö-       Da Erbschaften stark an Bedeutung gewinnen, ist

7
                              gensbezogene Steuern vor.                            auch ein steigendes Aufkommen aus Erbschafts-
                                                                                   steuern zu erwarten. Dies könnte finanzielle Mit-
                              Was die Vermögenssteuer bringt                       tel bringen, die etwa im Pflegebereich dringend
                              Eine Studie der JKU Linz hat mehrere Steuer-         notwendig sind. Somit würde der demographische
                              modelle, unter anderem mit Freibeträgen von 1        Wandel nicht nur für einen höheren Pflegebedarf
                              Mio. Euro durchgerechnet. Das Resultat: Selbst       sorgen, sondern auch gleich die Finanzierungs-
                              mit großzügig veranschlagten Ausweicheffekten        quelle dazu liefern. Eine sinnvoll gestaltete Erb-
                              bringt eine sinnvoll ausgestaltete Vermögens-        schaftssteuer könnte heute zwischen 600 und 800
                              steuer mehrere Milliarden Euro zur Finanzierung      Mio. Euro pro Jahr einspielen, langfristig aufgrund
                              öffentlicher Leistungen. Mit diesem Aufkommen        des steigenden Erbvolumens sogar deutlich mehr.
                              könnte man beispielsweise auch die Steuern auf
                              Arbeitseinkommen reduzieren.

                              Erbschaften gewinnen an Bedeutung
                              Seit 2008 gibt es in Österreich keine Erbschafts-
                              und Schenkungssteuer mehr. Daten aus dem letz-         „[Man kann] Erbschaften und
                              ten Jahr der Erbschaftssteuer zeigen allerdings        Grundbesitz progressiver
                              eine brisante Konzentration von vererbten Vermö-       besteuern und dafür Einkommen
                              gen: Die vier größten Erbschaften sorgten für rund     entlasten.“
                              25 % des Steueraufkommens. Zwei Faktoren lassen
                                                                                                 Thomas Piketty (Paris School of Economics)
                              den Schluss zu, dass Erbschaften in naher Zukunft
                              ein immer größeres Gewicht erhalten: Erstens er-

18 | Vermögens- und Erbschaftssteuern
FAKTEN
                                                         • Erbschaftssteuern können selbst mit hohen Freibeträgen ein
                                                           Aufkommen in Milliardenhöhe einbringen und gleichzeitig die
                                                           Vermögenskonzentration eindämmen.
                                                         • Die vier größten Erbschaften sorgten im letzten Jahr der Erbschafts-
                                                           steuer 2008 für rund 25 % des Erbschaftssteueraufkommens.
                                                         • Erbschaften werden in den nächsten Jahrzehnten zunehmend
                                                           an Bedeutung gewinnen. Dadurch steigt auch das finanzielle
  Zum Weiterlesen:
                                                           Potenzial einer Erbschaftssteuer, z. B. für die Finanzierung von
  Altzinger, Wilfried/Humer, Stefan (2013): Simulation     Pflegedienstleistungen.
  des Aufkommens verschiedener Erbschaftsbesteue-
  rungen, Studie WU Wien.
  Ferschli, Benjamin/Kapeller, Jakob/Schütz, Bern-
  hard/Wildauer, Rafael (2017): Bestände und Konzen-
  tration privater Vermögen in Österreich, AK Wor-
  king Paper No. 167, http://bit.do/ak010
  Linktipp: http://www.binichreich.at/

                                                                                                               Quelle: Altzinger/Humer, 2013
WIE VIEL VERMÖGEN WIRD IN ZUKUNFT
VERERBT WERDEN?
                                                                                        20-23 Mrd. €
                                                          17-20 Mrd. €
                                    12-15 Mrd. €

          7-10 Mrd. €

              2010                       2020                    2030                          2040

                                                                                                      Vermögens- und Erbschaftssteuern | 19
WELCHEN ANTEIL HABEN VERMÖGENSBEZOGENE STEUERN AM
                           GESAMTEN STEUERAUFKOMMEN?

                                    13 %

                                                   8%         7%
                                                                            5,7 %
                                                                                            3%
                                                                                                          1,3 %           1%

8
                                                                                                                                        Quelle: OECD, 2016
                                 GROSSBRITANNIEN   BELGIEN    SCHWEIZ        OECD-        DEUTSCHLAND     ÖSTERREICH    ESTLAND
                                                                          DURCHSCHNITT

                            VERMÖGENSBEZOGENE STEUERN

                            WIEVIEL TRAGEN VERMÖGEN
                            ZUM STEUERKUCHEN BEI?
                            Rückgang bei Vermögensbesteuerung                     politisch durchgesetzt. Österreich schneidet im
                            In Österreich wird seit 1995 keine Vermögens-         OECD-Vergleich bei vermögensbezogenen Steuern
                            steuer und seit 2008 keine Erbschaftssteuer mehr      besonders schlecht ab. Nur in der Slowakei und Est-
                            eingehoben. Mit deren Abschaffung fielen zwei         land liefern Vermögen einen kleineren Beitrag zum
                            wichtige Pfeiler der vermögensbezogenen Steuern       Steuerkuchen als in Österreich. Mit 1,3 % des Steu-
                            weg. Diese politischen Entscheidungen reihen sich     eraufkommens liegt Österreich bei den Einnah-
                            nahtlos in eine internationale Tendenz der gerin-     men aus vermögensbezogenen Steuern weit unter
                            geren Besteuerung von Vermögen ein. Während           dem OECD-Schnitt von 5,7 %. Auf den hintersten
                            1990 noch 12 OECD-Staaten Vermögenssteuern            Plätzen in dieser Reihung verharrt Österreich nun
                            einhoben, waren es 2017 nur noch vier. Somit ha-      schon seit mehreren Jahren.
                            ben die Reichsten ihre Interessen in vielen Ländern

20 | Vermögensbezogene Steuern
„Die jüngsten Entwicklungen in der Vermögensverteilung
haben die Argumente für Vermögenssteuern verstärkt.“
                                                                      OECD (2018)

Steuerlast verschiebt sich von Kapital zu Arbeit     Steuern in jenen Ländern auszubauen, in denen
Die Steuerlast hat sich in den letzten Jahrzehnten   hohe Vermögensungleichheit herrscht, Vermö-
immer mehr von Kapital zum Faktor Arbeit verscho-    gensübertragungen gar nicht und Kapitaleinkom-
ben. Steuern auf Arbeitseinkommen, inklusive So-     men nur proportional besteuert werden. Öster-
zialversicherungsabgaben, machten zuletzt rund       reich ist dafür das Paradebeispiel, es fehlt allein der
64 % des Aufkommens aus, Vermögen nur 1,3 %.         politische Wille.
1965 waren es noch gut 50 %, während Vermögen
4 % beitrugen. Die Verschiebung der Steuerlast ist   Zum Weiterlesen:
vor dem Hintergrund der im selben Zeitraum deut-     OECD (2018): The Role and Design of Net Wealth Ta-
lich gefallenen Lohnquote noch dramatischer. Der     xes in the OECD, OECD Tax Policy Studies No. 26,
Anteil von Löhnen am Volkseinkommen ist gegen-       http://bit.do/ak011
über den Unternehmensgewinnen in den letzten 50      Linktipp: www.verteilung.at
Jahren kräftig zurückgegangen. Damit beruht die
finanzielle Tragfähigkeit des Wohlfahrtsstaates
immer mehr auf dem Faktor Arbeit, obwohl dessen
Anteil am Volkseinkommen sinkt.

Vermögenskonzentration schadet
der Demokratie
Warum ist ein höherer Beitrag von Vermögen zum
                                                           FAKTEN
Steuerkuchen wichtig? Es geht um die Verrin-
gerung der Vermögenskonzentration. Eine hohe               • Beim Beitrag von vermögensbezogenen Steuern zum
Ungleichheit gefährdet den gesellschaftlichen Zu-            gesamten Steueraufkommen liegt Österreich in der OECD an
sammenhalt und hat negative Folgen auf die De-               drittletzter Stelle, nur knapp vor der Slowakei und Estland.
mokratie. Die Finanzierung wohlfahrtsstaatlicher           • Vermögensbezogene Steuern trugen 2016 in Österreich rund 1,3 %
Errungenschaften wie Gesundheits- und Pflege-
                                                             zum Steuerkuchen bei, 1965 waren es noch rund 4 %.
leistungen, Armutsbekämpfung, öffentliche Infra-
struktur oder Bildungseinrichtungen erfordern              • Die hohe Vermögenskonzentration in Österreich erfordert eine
einen fairen Beitrag der Reichsten. Denn auch sie            Umverteilung durch das Steuersystem,
profitieren von einem hohen Lebensstandard für               z. B. durch eine Besteuerung sehr hoher Vermögen und
die breite Bevölkerung und von sozialem Frieden.             die Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer.
Die OECD empfiehlt daher vermögensbezogene
                                                           • Ein Ziel einer stärkeren Besteuerung hoher Vermögen ist
                                                             die steuerliche Entlastung für den Faktor Arbeit.

                                                                                                           Vermögensbezogene Steuern | 21
STEUERVERMEIDUNG

                        WIE KONZERNE UND REICHE
                        DEN STAAT HINTERGEHEN

9                       Von legal bis illegal
                        Steuervermeidung beschreibt das Ausnützen ge-
                        setzlicher Schlupflöcher in Steuersystemen mit
                        dem Zweck, die Steuerpflicht zu umgehen. Mul-
                        tinationale Konzerne sowie wohlhabende Privat-
                        personen verschieben ihre Unternehmensgewin-
                                                                            „Ungleichheit ist die große
                                                                            Sorge unserer Zeit. Warum
                                                                            also tolerieren wir habgierige,
                                                                            ungerechte Steueroasen?“
                        ne und Einkommen in sogenannte Steueroasen
                                                                                   Gabriel Zucman (University of California, Berkeley)
                        oder besser: Steuersümpfe. Dort fallen deutlich
                        geringere Steuern als in jenem Land an, in dem
                        die Gewinne bzw. Einkommen tatsächlich er-
                        wirtschaftet wurden. Auf diese Weise entziehen     Rennen um die niedrigsten Steuern. Ein inter-
                        sich Superreiche ihrer gesellschaftlichen Ver-     nationales Forscherteam rund um den Ökono-
                        antwortung, obwohl sie alle Rechte und Vorzüge     men Gabriel Zucman belegt dies auch mit Zahlen.
                        ihres Wohnsitzlandes nutzen. Der Grat zwischen     Diese zeigen, dass die durchschnittlichen Unter-
                        legaler Steuervermeidung und der illegalen Steu-   nehmenssteuersätze zwischen 1985 und 2018 von
                        erhinterziehung ist schmal: Die rechtswidrige      49 % auf 24 % gefallen sind. Diese verheerenden
                        Form liegt dann vor, wenn Vermögen und Ein-        Entwicklungen führen zu einem drastischen
                        kommen gegenüber den Finanzbehörden nicht          Rückgang an Steuereinnahmen. Laut einem Be-
                        vollständig deklariert werden.                     richt der EU-Kommission entgehen den Ländern
                                                                           der EU alleine durch Steuervermeidung jährlich
                        Unternehmenssteuern sinken seit 30 Jahren          rund 1.000 Mrd. Euro an Steuereinnahmen. Man
                        Im Kampf um die äußerst mobilen Unterneh-          könnte damit zehn Jahre lang sämtliche Schulen,
                        mensgewinne und Einkommen liefern sich man-        Spitäler und alle Leistungen des österreichischen
                        che Staaten und insbesondere Steuersümpfe ein      Sozialstaates finanzieren.

22 | Steuervermeidung
WO LIEGEN DIE GRÖSSTEN
STEUERSÜMPFE DER WELT?

                                                        1. SCHWEIZ             7. DEUTSCHLAND
                                                        2. USA                 8. TAIWAN
                                                        3. CAYMAN ISLANDS      9. VEREINIGTE
                                                        4. HONGKONG            ARABISCHE EMIRATE
                                                        5. SINGAPUR            10. GUERNSEY
                                                        6. LUXEMBURG

                                                                                                                 Quelle: Financial Secrecy Index, 2018
                                                        Tørsløv, Thomas/Wier, Ludvig/Zucman, Gabriel
  Gewinnen dort besteuern, wo sie anfallen              (2018): The Missing Profits of Nations, NBER Wor-
  Man muss dieser Entwicklung aber nicht tatenlos       king Paper 24701.
  zusehen. Neben einer länderbezogenen Finanz-          Zucman, Gabriel (2014): Steueroasen. Wo der Wohl-
  berichterstattung ist ein EU-weiter Mindestkör-       stand der Nationen versteckt wird, Berlin: Suhr-
  perschaftssteuersatz nötig. Ziel muss sein, Ge-       kamp Verlag.
  winne dort zu besteuern, wo sie erwirtschaftet        Linktipp: www.diekriseverstehen.net
  werden und den Steuerwettbewerb nach unten zu
  beenden. Gesetze gegen die Steuersümpfe müs-
  sen einfacher durchgesetzt werden können, dazu
  braucht es einen Wechsel vom derzeit geltenden
  Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen, hin zu
  dem bei den meisten EU-Themen gültigen Mehr-
                                                              FAKTEN
  stimmigkeitsprinzip. Außerdem gilt es strengere
                                                              • Multinationale Konzerne und wohlhabende Einzelpersonen nutzen
  Straf- und Haftungsbestimmungen für all jene
  umzusetzen, die Dienstleistungen zur Steuerver-
                                                                die Vorzüge ausgebauter Wohlfahrtsstaaten, in denen sie wirt-
  meidung anbieten. Umgekehrt müssen Personen,                  schaftlich tätig sind, stehlen sich durch Steuervermeidung aber aus
  die Steuerhinterziehungs- und Steuervermei-                   ihrer gesellschaftlichen Verantwortung.
  dungspraktiken aufdecken geschützt, und nicht               • Der Wettlauf der Länder um die niedrigsten Unternehmenssteuersätze
  wie derzeit strafrechtlich verfolgt werden.
                                                                schadet der Allgemeinheit: Die durchschnittlichen Steuersätze fielen
                                                                zwischen 1985 und 2018 von 49 % auf 24 %.
  Zum Weiterlesen:
  Süddeutsche Zeitung (2018): Paradise Papers – Die           • Das bringt für viele Staaten erhebliche Verluste: Die EU Kommission
  Schattenwelt des großen Geldes, http://bit.do/ak012           spricht von einem EU-weiten Verlust von 1.000 Mrd. Euro jährlich.

                                                                                                                                                         Steuervermeidung | 23
ÖFFENTLICHES UND PRIVATES VERMÖGEN

                               WARUM IST DAS ÖFFENTLICHE
                               VERMÖGEN SO WICHTIG?

                               Was ist öffentliches Vermögen?                        wurden zurückgefahren oder gar privatisiert. Die
                               Das öffentliche Vermögen setzt sich aus öffent-       Länder haben dadurch weniger Spielraum zur Re-
                               licher Infrastruktur wie Schulen, Spitälern und       gulierung der Wirtschaft, zur Umverteilung von
                               anderen Gebäuden, Verkehrswegen, öffentlichen         Einkommen und zur Bekämpfung der wachsenden
                               Transportmitteln, Grundstücken, Seen, Wäldern,        Ungleichheit.
                               Kunstgegenständen und vielem mehr zusammen.
                               Wie bei anderen Haushalten auch, muss beim Staat      Öffentliches Vermögen ist unser Vermögen

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                               der Schuldenstand dem Vermögen gegenüberge-           Besonders wichtig ist das öffentliche Vermögen für
                               stellt werden, um eine ausgewogene Perspektive zu     all jene Menschen, die nicht ihr Geld für sich arbei-
                               wahren.                                               ten lassen können. Ein öffentliches Gesundheits-,
                                                                                     Bildungs- und Pensionssystem, öffentlichen Wohn-
                               Öffentliches Vermögen ist noch ungenauer erfasst      bau und öffentlichen Verkehr brauchen all jene, die
                               als privates Vermögen. In Österreich gibt es daher    nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind.
                               nur Schätzungen, wie hoch dieses ist. Dabei wäre      Das öffentliche Vermögen ermöglicht einen hohen
                               eine genaue Erfassung von großer Bedeutung, un-       Lebensstandard für alle Menschen. In absoluten
                               ter anderem um einzuschätzen, welches Vermögen        Zahlen verdoppelt das öffentliche Vermögen sogar
                               im Falle einer Privatisierung der Allgemeinheit       das Privatvermögen der „unteren“ 90 %. Eine pro-
                               entzogen wird bzw. in welcher Relation der Ver-       gressive Wirtschaftspolitik muss daher in das Ver-
                               kaufspreis dazu steht. Aktuelle Schätzungen gehen     mögen des Sozialstaats investieren.
                               von einem öffentlichen Vermögen von mehr als 400
                               Mrd. Euro aus.

                               Öffentliches Vermögen ist gesunken
                               In den letzten Jahrzehnten ist das öffentliche Net-
                               tovermögen (Saldo aus Vermögen und Schulden)            „Das öffentliche Vermögen und
                               in vielen europäischen Ländern allerdings gesun-        damit die gesamte Bevölkerung
                               ken, während das Privatvermögen gestiegen ist.
                                                                                       und Gesellschaft zu stärken ist
                               In Deutschland und Frankreich ist es nur mehr
                               leicht positiv. Der Hauptgrund liegt im Rückbau
                                                                                       das nobelste Ziel einer emanzipa-
                               der Staatsaufgaben in den letzten Jahrzehnten:          torischen Wirtschaftspolitik.“
                               Staatsbeteiligungen ebenso wie Investitionen in
                                                                                                             Markus Marterbauer (AK Wien)
                               den Wohlfahrtsstaat (etwa sozialer Wohnbau)

24 | Öffentliches und privates Vermögen
Zum Weiterlesen:
                                                        FAKTEN
  Alvaredo, Facundo/Chancel, Lucas/Piketty, Tho-
                                                        • Das öffentliche Vermögen steht den öffentlichen Schulden gegenüber.
  mas/Saez, Emmanuel/Zucman, Gabriel (2018):
  Bericht zur weltweiten Ungleichheit. Kurzfassung,       Es besteht aus öffentlicher Infrastruktur wie Schulen, Spitälern,
  World Inequality Lab, http://bit.do/ak013               öffentlichen Verkehrswegen, Straßen, dem öffentlichen Wohnbau
  Feigl, Georg (2017): Öffentliche Vermögen – abseits     sowie aus Finanzmitteln und Unternehmensbeteiligungen.
  der Schuldenparanoia, A&W Blog, 12. September,        • Die Höhe des öffentlichen Bruttovermögens (nicht mit Schulden
  http://bit.do/ak014
                                                          gegengerechnet) beträgt in Österreich über 400 Mrd. Euro.
  Marterbauer, Markus (2018): Die Schulden sinken.
  Was jetzt? A&W Blog, 1.Februar, http://bit.do/ak015   • Öffentliches Vermögen kommt der Allgemeinheit zugute.
  Linktipp: www.stopausterity.eu                          Es „verdoppelt“ das Privatvermögen der unteren 90 %.

                                                                                                           Quelle: Marterbauer, 2018
ÖFFENTLICHES VERMÖGEN UND
PRIVATES VERMÖGEN DER UNTEREN 90%

                    DIE UNTEREN 90 % DER BE-
                  VÖLKERUNG BESITZEN 450 MRD.              DAZU KOMMEN 400 MRD.
                        PRIVATVERMÖGEN                   AN ÖFFENTLICHEM VERMÖGEN

                                                                                                 Öffentliches und privates Vermögen | 25
ORGANISATIONEN/UNTERNEHMEN MIT DEN MEISTEN LOBBYTREFFEN
                           AUF HOHER KOMMISSIONSEBENE

                                                                                                       EUROPÄISCHER VERBRAUCHER-
                                                                       GENERAL ELECTRIC
                                                                          5.500.000 €          Lobbyausgaben INNENVERBAND
                                                                                                                1.750.000 €
                                                                                             Treffen
                                                      EUROCOMMERCE                           mit der
                                                         400.000 €                        Kommission                              WWF
                                                                                                                               2.000.000 €
                                  AMERICAN CHAMBER
                                    OF COMMERCE
                                     1.000.000 €                                                                                        GREENPEACE
                                                                                                                                         952.627 €
                                            IBM
                                        1.500.000 €
                                                                                                                                         TRANSPORT& ENVIRONMENT
                                                                                                                                               3.500.000 €
                                DEUTSCHE TELEKOM
                                    1.141.000 €
                                                                                                                                       EUROPEAN TRADE UNION
                                                                                                                                          CONFEDERATION
                                                                                                                                            1.000.000 €
                                           MICROSOFT

11
                                           4.250.000 €

                                                                                                                                                                  Quelle: Ey/Wagner, 2017
                                                                                                                              BUSINESS EUROPE
                                                            DIGITAL EUROPE                                                       4.000.000 €
                                                              1.850.000 €          AIRBUS                GOOGLE
                                                                                 1.750.000 €           4.250.000 €

                             VERMÖGENSKONZENTRATION UND MACHT

                             WELCHEN EINFLUSS HAT
                             VERMÖGEN AUF DIE POLITIK?
                             Die demokratiepolitischen Konsequenzen großer                       sowohl die Chancen sich politisch einbringen zu
                             (Vermögens-)Ungleichheit stehen schon seit vielen                   können, als auch die Chancen mit den eigenen An-
                             Jahren im Zentrum politischer und wissenschaft-                     liegen gehört zu werden. Das heißt: Je weiter oben
                             licher Diskussionen. Wie Anthony Atkinson einer                     man sich auf der sozialen Skala befindet, desto eher
                             der bedeutendsten Ungleichheitsforscher unserer                     ist man in der Lage, die politische Agenda zu be-
                             Zeit schreibt, ist die Zunahme sozialer Ungleich-                   einflussen. Elisabeth Jacobs, eine amerikanische
                             heit eine Folge der Verschiebung der Machtbalance                   Wissenschaftlerin, zeigt etwa am Beispiel des Ab-
                             zwischen Arbeit und Kapital. Gleichzeitig verstärkt                 stimmungsverhaltens des US-Senats, dass sich die
                             die soziale Ungleichheit diese Machtasymmetrie                      politischen Positionen der Kapitalseite eher in den
                             aber auch weiter. Zunehmende soziale Ungleich-                      beschlossenen politischen Maßnahmen wiederfin-
                             heit führt zu Ungleichheit bei der politischen Mit-                 den als die Forderungen von ArbeitnehmerInnen
                             sprache: Mit einem höheren sozialen Status steigen                  bzw. aus der Zivilgesellschaft.

26 | Vermögenskonzentration und Macht
Machtfaktor Vermögen                                     „Die Hauptfrage heute dreht
Das liegt unter anderem an den engen, teilweise          sich nicht um das Kapital im 21.
auch persönlichen Verflechtungen zwischen Groß-
                                                         Jahrhundert. Vielmehr geht es
konzernen, Unternehmensverbänden und ihren
BeraterInnen auf der einen Seite sowie politischen       um die Demokratie des 21. Jahr-
EntscheidungsträgerInnen auf der anderen Sei-            hunderts. “
te. Es kommt auch immer wieder zu beruflichen                            Joseph E. Stiglitz (Columbia University)
Seitenwechseln von politischen Entscheidungs-
trägerInnen hin zu lukrativen Jobs in der Privat-
wirtschaft und umgekehrt (sogenannter „Drehtür-         Ey, Frank/Wagner, Alice (2017): Wer das Geld hat,
effekt“). Zudem hat die Kapitalseite auch deutlich      macht die Gesetze. Zur Übermacht der Großkonzerne
mehr finanzielle Mittel, um ihren Anliegen politi-      in der EU und den (bislang) zu kurz greifenden Regu-
sches Gehör zu verschaffen. (Privates) Vermögen         lierungsschritten, In: Dimmel, Nikolaus/Hofmann, Ju-
ist damit eine Ressource, die zur Machtausübung         lia/Schenk, Martin/Schürz, Martin (Hrsg.): Handbuch
eingesetzt werden kann. Die Europäische Union ist       Reichtum, Neue Erkenntnisse aus der Ungleichheits-
ein gutes Beispiel dafür: Hier wird Lobbying vor al-    forschung, Innsbruck: Studienverlag, 348-363.
lem von Unternehmen betrieben. Laut Angaben der         Jacobs, Elisabeth (2017): Everywhere and Nowhere:
EU-Kommission fanden drei Viertel der Treffen mit       Politics in Capital in the Twenty-First Century. In:
LobbyistInnen mit VertreterInnen der Unterneh-          Boushey, Heather/DeLong, J. Bradford/Steinbaum,
mensseite statt. Am meisten finanzielle Mittel für      Marshall (Hrsg.): After Piketty. The Agenda for Eco-
Lobbying gaben die großen US-Konzerne General           nomics and Inequality, London: Harvard University
Electric, Google sowie Microsoft aus.                   Press, 512-542.
                                                        Rehm, Miriam/Schnetzer, Matthias (2015): Vermögens-
Zeitalter der Postdemokratie                            konzentration und Macht, Der blinde Fleck der Main-
Der britische Politikwissenschaftler und Soziologe      stream-Ökonomie, In: Kurswechsel 2/2015, 69-79.
Colin Crouch argumentiert, dass durch die enge Ver-     Stiglitz, Joseph (2014): Das Kapital der Demokratie im
flechtung von Politik und Wirtschaft die Demokratie     21. Jahrhundert. Kommentar der Anderen,
Schaden genommen hat. Er nennt diese Entwick-           http://bit.do/ak016
lungen das Zeitalter der Postdemokratie, indem die      Linktipp: www.reichtumsmythen.at
Demokratie zwar formal und rechtlich abgesichert,
aber real stark geschwächt ist, da die relevanten
Entscheidungen nicht mehr von demokratisch legi-
timierten politischen VertreterInnen, sondern von
einer kleinen politischen bzw. wirtschaftlichen Elite         FAKTEN
gefällt werden. Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz
bezeichnet die Frage nach dem Erhalt der Demokra-             • Je weiter oben man sich auf der Vermögensskala befindet, desto
tie daher auch als die Hauptfrage des 21. Jahrhun-
                                                                eher ist man in der Lage die politische Agenda zu beeinflussen.
derts. Die Reduktion der Ungleichheit bei den Ver-
mögen wäre dafür ein erster wichtiger Schritt.                • Das liegt an engen, persönlichen Verflechtungen zwischen Groß-
                                                                konzernen, Unternehmensverbänden und ihren BeraterInnen sowie
Zum Weiterlesen:                                                politischen EntscheidungsträgerInnen. Außerdem verfügt die Kapital-
Atkinson, Anthony (2016): Ungleichheit, Was wir da-             seite über viel mehr finanzielle Mittel, um ihren Anliegen politisches
gegen tun können, Stuttgart: Klett-Cotta.                       Gehör zu verschaffen.
Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Frankfurt/
                                                              • Am Beispiel der EU zeigt sich das besonders deutlich: Rund drei Viertel
Main: Suhrkamp Verlag.
                                                                aller Termine auf höchster Kommissionsebene sind mit LobbyistInnen
                                                                auf Unternehmerseite.

                                                                                                            Vermögenskonzentration und Macht | 27
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