VERMÖGENS VERTEILUNG FÜR DIE VIELEN, NICHT DIE WENIGEN - Arbeiterkammer
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VORWORT „Für die Arbeiter- Ungerechtigkeit ist kein Naturgesetz, sondern wird gemacht. Daher gilt im kammer ist soziale Umkehrschluss, dass sie auch bekämpft werden kann. Leider lässt sich in den Gerechtigkeit eine letzten Jahren beobachten, dass sich große Vermögen in den Händen einiger wesentliche Forde- weniger konzentrieren, während sich auf der anderen Seite immer mehr Men- rung, die auch eine schen sehr anstrengen müssen, um gut leben zu können. In anderen Worten: Die Ungleichheit nimmt zu. gerechtere Vertei- lung von Vermögen Es gibt triftige Gründe hier gezielt gegenzusteuern, denn eine ungerechte Ver- und Einkommen teilung des Reichtums gefährdet den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. umfasst.“ Verteilungsgerechtigkeit zählt daher zu den zentralen Forderungen der Arbei- terkammer. Gerade deswegen ist uns wichtig, dass alle die Fakten über die ge- genwärtigen Vermögensverhältnisse kennen. Hier wurden in den letzten Jah- ren bereits große Fortschritte erzielt – nicht zuletzt wird dies durch die von der OeNB (Oesterreichische Nationalbank) durchgeführte Erhebung „HFCS“ (Household Finance and Consumption Survey) ermöglicht. Diese erlaubt eine umfassende Analyse, wie private Haushalte ihr Geld anlegen, wofür sie es aus- geben, und wie ihre finanzielle Situation aussieht. Die neuesten Ergebnisse, die in dieser Broschüre zusammengefasst sind, zei- Renate Anderl, gen das besorgniserregende Ausmaß der Ungleichheit: Das reichste 1 % ver- AK Wien Präsidentin fügt in Österreich über rund 40 % des gesamten Nettovermögens, während die ärmeren 50 % der österreichischen Haushalte gemeinsam gerade einmal 2,5 % besitzen. Dabei wird ein großer Teil der Vermögen nicht durch eigene Leistung erworben, sondern (steuerfrei) geerbt. Damit setzt sich eine Spirale der Ungleichheit in Gang, die über Genera- tionen hinweg wirken kann. Großer Reichtum ermöglicht auch politische Einflussnahme, etwa durch Wahlkampfspenden. Das birgt die Gefahr, dass die Interessen von Arbeitneh- merInnen unter die Räder kommen. Als Arbeiterkammer bilden wir ein Gegengewicht zum großen Geld. Wir vertreten unsere fast 4 Mio. Mitglieder, die tagtäglich arbeiten gehen und nicht von den Zinsen ihres Ver- mögens leben können. Wir fordern daher, dass auch die BesitzerInnen großer Vermögen endlich einen fairen Beitrag zum Wohlstand der Gesamtgesellschaft leisten – denn davon profieren wir alle und nicht nur einige wenige.
VERMÖGENS VERTEILUNG IMPRESSUM 2. Auflage, März 2020 Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Prinz Eugen Straße 20-22, 1040 Wien, Telefon: ( 01) 501 65 0 Offenlegung gem. § 25 MedienG: siehe wien.arbeiterkammer.at/impressum Redaktion: Klaus Baumgartner, Michael Ertl, Julia Hofmann, Georg Hubmann, Joshua Mingers, Markus Marterbauer, Miriam Rehm, Christoph Prenner, Matthias Schnetzer, Eva Six, Marie-Theres Svoboda Konzeption: Georg Hubmann, Jahoda-Bauer-Institut, www.jbi.or.at Grafik: contentschmiede Hersteller: Bösmüller Printmanagement GesmbH & Co. KG, 2000 Stockerau Bestell-Telefon: ( 01) 310 00 10 591 Die Broschüre und die Grafiken stehen auf der Homepage der AK Wien unter http://wien.arbeiterkammer.at/verteilungsgerechtigkeit zum Download bereit.
INHALT 1 Vermögensverteilung …………………………………………………………………… 06 2 Vermögensverteilung in Europa ………………………………………………… 08 3 Gender und Vermögen …………………………………………………………………… 10 4 Vermögenseinkommen ………………………………………………………………… 12 5 ManagerInnengehälter…………………………………………………………………… 14 6 Erben ………………………………………………………………………………………………… 16 7 Vermögens- und Erbschaftssteuern …………………………………………… 18 8 Vermögensbezogene Steuern ……………………………………………………… 20 9 Steuervermeidung ………………………………………………………………………… 22 10 Öffentliches und privates Vermögen ………………………………………… 24 11 Vermögenskonzentration und Macht ………………………………………… 26 12 Steuergerechtigkeit ……………………………………………………………………… 28
VERMÖGENSVERTEILUNG GROSSE UNGLEICHHEIT IN ÖSTERREICH 1 „Von den Zahlen nichts wis- sen zu wollen, dient selten der Sache der Ärmsten.“ Thomas Piketty (Paris School of Economics) Wahrscheinlichkeit, dass MultimillionärInnen und MilliardärInnen in der befragten Stichpro- be landen, ist gering und zudem sind die Reichs- ten meist nicht bereit Auskunft über ihr Vermö- gen zu geben. Eine Studie der JKU Linz schätzt deshalb mit fundierten statistischen Methoden Konkrete Zahlen zur Vermögensverteilung in und Reichenlisten die fehlenden Topvermögen Österreich gibt es erst seit wenigen Jahren. Die zu den HFCS Daten hinzu. Die daraus errech- Oesterreichische Nationalbank (OeNB) erhob nete Vermögenskonzentration ist besorgnis- 2010 und 2014 im Rahmen des europaweiten erregend: Das reichste 1 % besitzt rund 40 % des HFCS (Household Financial and Consumption Nettovermögens, die ärmere Hälfte zusammen Survey) das Vermögen der ÖsterreicherInnen. gerade einmal 2,5 %. Reiht man alle Haushalte Das dabei ermittelte Nettovermögen von priva- vom Ärmsten bis zum Reichsten, dann hätte der ten Haushalten unterteilt sich in Sachvermögen Haushalt in der Mitte rund 86.000 Euro (Me- (z. B. Immobilien, Fahrzeuge, Unternehmens- dian). Da es ganz oben in der Verteilung aber ei- eigentum, Wertgegenstände) und Finanzver- nige sehr reiche Haushalte gibt, liegt das durch- mögen (z. B. Girokonten, Spareinlagen, Aktien, schnittliche Vermögen deutlich höher, nämlich Wertpapiere, Lebensversicherungen) abzüglich bei fast 260.000 Euro (Mittelwert). von Schulden. Keine Mittelschicht Der HFCS ist eine freiwillige Stichprobenerhe- In Österreich gibt es bei den Vermögen keine bung und kann deshalb kaum Informationen breite Mittelschicht, wie wir sie von der Ein- über die allerreichsten Haushalte liefern. Die kommensverteilung kennen. Die Vermögens- daten zeigen, dass die üblichen Vermögensge- 6 | Vermögensverteilung
VERMÖGEN IN ÖSTERREICH: WER HAT WELCHEN ANTEIL AM NETTOVERMÖGEN? ÄRMSTEN 50 % REICHSTEN 11-50 % REICHSTEN 6-10 % REICHSTEN 2-5 % REICHSTES 1 % BESITZEN 2,5 % BESITZEN 31,8 % BESITZEN 9,5 % BESITZEN 15,7 % BESITZT 40,5 % Quelle: Ferschli et al., 2017 genstände der unteren Hälfte ein Auto oder das Zum Weiterlesen: Sparbuch sind. In der oberen Mitte ist dann das Fessler, Pirmin/Lindner, Peter/Schürz, Martin Eigenheim typischerweise der größte Vermö- (2016): Household Finance and Consumption Survey gensposten. Blickt man auf die reichsten 20 % des Eurosystems 2014: Erste Ergebnisse für Öster- sind auch Wertpapiere Teil des Vermögens. Erst reich (zweite Welle), www.hfcs.at bei den Top 5 % kommen zusätzliche Immobilien, Ferschli, Benjamin/Kapeller, Jakob/Schütz, Wertpapiere und Unternehmensbeteiligungen Bernhard/Wildauer, Rafael (2017): Bestände und dazu. Konzentration privater Vermögen in Österreich. AK Working Paper 167, http://bit.do/ak001 Vermögen an der Spitze konzentriert Linktipp: www.verteilung.at Obwohl mit der HFCS-Vermögenserhebung ein guter Einblick in die Verteilung vorliegt, schät- zen vor allem die vermögenden Haushalte ihre Position innerhalb der Vermögensverteilung falsch ein. In den Top 10 % glaubt kein einziger befragter Haushalt, dass er zu den reichsten 10 % FAKTEN zählt. Rund 70 % aller Befragten ordnen sich in der Mitte ein. Das zeigt, dass viele Menschen • Das reichste Prozent besitzt in Österreich rund davon ausgehen, dass es bei den Vermögen eine 40 % des Nettovermögens. ähnlich große Mittelschicht gibt, wie bei den • Bei den Vermögen gibt es keine breite Mittelschicht, Einkommen. Die aktuellen Studien belegen al- wie wir sie von den Einkommen kennen. lerdings, dass ein großer Teil des Vermögens an der Spitze konzentriert ist. • Die reichsten Haushalte besitzen vermehrt Unternehmens- beteiligungen, Wertpapiere und Zinshäuser, in der ärmeren Hälfte ist es meist ein Auto und ein Sparbuch. Vermögensverteilung | 7
VERMÖGENSVERTEILUNG IN EUROPA HOHE UNGLEICHHEIT, UNTERSCHIEDLICHE SOZIALSYSTEME Die Vermögen sind in Europa sehr ungleich verteilt. das Gesundheits- und Bildungssystem betrifft. Klar Reiht man alle Haushalte in den Euro-Ländern nach ist aber: ein Rückbau des Sozialsystems führt nicht ihrem Vermögen auf, so besitzt der Haushalt genau zu höherem privaten Vermögen, sondern reduziert in der Mitte ca. 100.000 Euro. Der Haushalt an der in erster Linie die Lebensqualität für die Mehrheit Grenze zu den untersten 10 % hat nur 1.000 Euro, der Menschen. Viel relevanter und aussagekräftiger während der Haushalt an der Grenze zu den obers- ist deshalb die Verteilung innerhalb der Länder. ten 10 % etwa 500.000 Euro besitzt. Mehr als die Hälfte des gesamten privaten Vermögens im Euro- Dabei zeigt sich: die Ungleichheit ist auch hier sehr raum ist in den Händen der reichsten 10 %. hoch. Der Gini Koeffizient ist ein Maß für die Un- gleichheit. Je näher dieser bei 1 liegt, umso unglei- 2 Die Vermögensungleichheit nimmt zu cher ist die Verteilung. Unter den Euro-Ländern lie- Der Ökonom Thomas Piketty zeigt, dass seit den gen die Werte zwischen 0,49 und 0,76. Deutschland 1980ern die Konzentration der Vermögen in den und Österreich stehen dabei an der Spitze der Ver- Händen der obersten 10 % im Euroraum stark zu- mögensungleichheit. nimmt – wenn auch weniger als in den Vereinigten Staaten. Die Vermögenden profitierten in allen Weitere Gründe für die Unterschiede im Privat- Euroländern von der Deregulierung der Märkte, vermögen zwischen den Ländern liegen in den Privatisierungswellen, der Orientierung am Share- unterschiedlichen Haushaltsgrößen, aber auch Im- holder-Value sowie dem internationalen Steuerwett- mobilien-Preisblasen in einzelnen Ländern haben bewerb und den Steuersümpfen. Einfluss genauso wie unterschiedliche historische Entwicklungen. Die Ökonomen Martin Schürz und Die Höhe des privaten Vermögens und die Einkom- Pirmin Fessler zeigen in einer Studie, dass neben der men unterscheiden sich zwischen den Ländern des Rolle von Erbschaften vor allem die Unterschiede im Euroraums deutlich, die Reihenfolge ist jedoch un- Sozialstaat besonders relevant sind. terschiedlich: Tendenziell ist das Vermögen der mitt- leren Haushalte in südeuropäischen Ländern wie Malta, Zypern, Spanien, Italien, aber auch in Frank- „Eine hohe Konzentration von reich, Belgien und Luxemburg höher als in Deutsch- Privatvermögen in den Händen land oder Österreich. Dafür gibt es strukturelle der Superreichen kann zu ökono- Gründe: Denn der mittlere Haushalt in Deutschland und Österreich besitzt anders als in den genannten mischen Ungleichgewichten füh- Ländern kein Wohnungseigentum. Das liegt an un- ren, den sozialen Zusammenhalt terschiedlichen Systemen bei den Wohlfahrtsstaa- untergraben und demokratische ten, etwa was den sozialen Wohnbau, Pensionen oder Prinzipien bedrohen.“ Independent Annual Growth Survey (2018) 8 | Vermögensverteilung in Europa
Zum Weiterlesen: HFCS Network (2016): The Household Finance and FAKTEN Consumption Survey: results from the second wave, • Das Vermögen im Euroraum ist sehr ungleich verteilt. ECB Statistics Paper Series No.18, http://bit.do/ak002 Mehr als die Hälfte des gesamten Privatvermögens ist in den Disslbacher, Franziska/Rehm, Miriam/Schnetzer, Matthias/Theine, Hendrik (2015): Pikettys Thesen – Händen der reichsten 10 %. Kurz und bündig erklärt, AK Wien • Die Ungleichheit bei den Vermögen in Europa steigt seit den Fessler, Pirmin/Schürz, Martin (2015): Private wealth 1980er Jahren. across European countries: the role of income, inhe- • Deutschland und Österreich stehen innerhalb der Eurozone ritance and the welfare state, ECB Working Paper No. 1847, http://bit.do/ak003 an der Spitze der Vermögensungleichheit. Alvaredo, Facundo/Chancel, Lucas/Piketty, Thomas/ • Die Gründe für die Unterschiede in der Vermögensungleichheit Saez, Emmanuel/Zucman, Gabriel (2018): Bericht zur zwischen den Ländern sind vielfältig. Ein zentraler Grund ist die weltweiten Ungleichheit. Kurzfassung, World Inequa- Verschiedenheit der Sozialstaaten (öffentlicher Wohnbau, lity Lab, http://bit.do/ak004 öffentlicher Verkehr, Pensionssystem, Gesundheitssystem). Linktipp: www.inequalityin.eu VERMÖGENSVERTEILUNG NACH UNGLEICHHEIT („GINI KOEFFIZIENT“) Deutschland 0,76 Österreich 0,73 Zypern 0,72 Niederlande 0,7 Eurozone 0,69 Portugal 0,68 Frankreich 0,68 Luxemburg 0,65 Finnland 0,65 Slowenien 0,63 Griechenland 0,6 Spanien 0,6 Quelle: HFCS, 2014 Italien 0,6 Malta 0,59 JE HÖHER, DESTO UNGLEICHER Belgien 0,59 Slowakei 0,49 Vermögensverteilung in Europa | 9
VERMÖGENSUNTERSCHIED ZWISCHEN MÄNNERN UND FRAUEN GESCHLECHTSSPEZIFISCHE VERMÖGENSLÜCKE 38.000 € Quelle: Schneebaum et al., 2017 3 MÄNNER FRAUEN 165.000 € 127.000 € GENDER UND VERMÖGEN FRAUEN HABEN WENIGER VERMÖGEN Ähnlich wie beim Einkommen gibt es auch beim haushalten ist diese Lücke sogar noch größer, Vermögen eine Lücke zwischen Frauen und Män- aber auch im Vergleich der Singlehaushalte besit- nern. Mit den Daten der Europäischen Zentral- zen Frauen weniger Vermögen als Männer. Dieser bank aus 2014 ist es nun erstmals möglich, auch Unterschied gilt auch für den Vergleich von er- in Österreich diese Vermögensunterschiede nach werbstätigen oder vollzeitbeschäftigten Frauen Geschlecht genau zu betrachten. Dabei zeigt sich: und Männern. In Österreich haben Frauen im Durchschnitt um 23 % weniger Vermögen als Männer. Während Große Unterschiede bei den Reichen Männer ca. 165.000 Euro besitzen, sind es bei Allerdings besteht die Vermögenslücke vor allem Frauen nur 127.000 Euro. Innerhalb von Paar- am oberen Rand der Verteilung. Über weite Teile 10 | Gender und Vermögen
„Die Vermögenslücke zwischen Männern und Frauen zu schließen, ist sowohl eine moralische als auch eine ökonomische Notwendigkeit.“ Coleen Briggs/Heather McCulloch, (Closing the Women’s Wealth Gap Initiative) der Bevölkerung besteht kaum ein Vermögensun- hohe Vermögen besitzen, und zum anderen, weil terschied zwischen Männern und Frauen. Kurz sie von Leistungen des Wohlfahrtsstaates über- gesagt: Dort, wo auch nennenswertes Vermögen proportional profitieren. gehalten wird, haben Frauen viel weniger Vermö- gen als Männer. Zum Weiterlesen: Hollan, Katarina/Mader, Katharina/Rehm, Miri- Vermögenssteuern sind frauenpolitisch notwendig am/Schneebaum, Alyssa (2016): The Gender We- Aber nicht nur die Besitzverhältnisse, sondern alth Gap Across European Countries, AK Working auch die Frage, wer in einem Haushalt über die Paper No. 157, http://bit.do/ak005 Verwendung von Vermögen bestimmt, ist bei der Schneebaum, Alyssa/Schuster, Barbara/Groiß, Interpretation der Daten wichtig. Denn mit der Julia (2017): Gender Wealth Gap: Frauen besitzen Möglichkeit über Ressourcen zu verfügen, sind weniger Vermögen als Männer, A&W Blog, 10. viele Handlungsmöglichkeiten verbunden. Auch Oktober, http://bit.do/ak006 dazu gibt es erstmals Informationen: In über drei Linktipp: www.ronja-verdient-mehr.at Viertel der Haushalte bestimmen Frauen und Männer gemeinsam über die Verwendung des Ver- mögens. Wenn das allerdings nicht der Fall ist, dann entscheidet öfter der Mann als die Frau al- leine. In Haushalten mit großen Unterschieden in der Vermögenshöhe besteht ein größeres Macht- gefälle. Entscheidet der Mann alleine über die Ver- wendung des Vermögens, besitzt er auch ein viel höheres Vermögen als die Frau, nämlich fast eine halbe Million Euro mehr. Bestimmt dagegen die Frau alleine über das Vermögen, hat sie im Durch- FAKTEN schnitt nur 90.000 Euro mehr als der Mann. • Beim Vermögen klafft eine Lücke zwischen Frauen und Männern. Im Durchschnitt haben Frauen 23 % weniger Vermögen als Männer. Die Umverteilung von Vermögen würde daher insbesondere Männer treffen, da diese am oberen • Diese Lücke besteht allerdings hauptsächlich am oberen Rand der Ende der Verteilung viel stärker vertreten sind. Verteilung, also dort, wo auch viel Vermögen gehalten wird. Anders gesagt: Vermögens- und Erbschaftssteu- • Die meisten Paare entscheiden gemeinsam über ihr Vermögen, ern sind ein Genderthema. Frauen würden von aber Männer bestimmen öfter alleine als Frauen. In Haushalten mit einer stärkeren Besteuerung von Vermögen dop- einem Machtungleichgewicht besitzt der Mann viel mehr Vermögen pelt profitieren: Zum einen, weil sie seltener sehr als die Frau. Gender und Vermögen | 11
VERMÖGENSEINKOMMEN WER HAT, DEM WIRD GEGEBEN Vermögenseinkommen entsteht aus dem Ertrag von bestehendem Vermögen. Zum einen sind das Zinsen auf Gehalts- und Sparkonten, Dividenden „Wenn wir die Ursachen der Un- auf Wertpapiere, Einkünfte aus Vermietung und gleichheit erforschen, stoßen wir Verpachtung von Immobilien und Grundstücken auch auf die extreme Konzentra- sowie Gewinnentnahmen aus Unternehmen. tion der Kapitaleinkommen.“ Zum anderen geht es um die Wertsteigerung des Besitzes: So kann die vermietete Wohnung neben Branko Milanovic (CUNY University) den regelmäßigen Mieteinnahmen auch noch im Wert steigen. Die EigentümerInnen profitieren also doppelt. vorzugung von leistungslosem Vermögenseinkom- 4 Etwa 75 % der erwerbstätigen Bevölkerung be- men gegenüber Arbeitseinkommen ist ungerecht. ziehen Einkommen aus Vermögen, meist sind das kleine Zinserträge. Die reichsten 10 % erhalten Nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ kön- rund 90 % aller Vermögenseinkommen. Erst im nen Haushalte mit hohem Vermögen meist auch obersten Prozent spielen Einkommen aus Ver- höhere Vermögenseinkommen lukrieren. Diesen mietung und Verpachtung sowie insbesondere Haushalten fällt es besonders leicht noch mehr Gewinnentnahmen eine relevante Rolle. Der Wert Vermögen anzuhäufen, wenn dieses Einkommen des Gini-Index von 0,91 bei Vermögenseinkommen auch noch günstiger besteuert wird als Arbeits- illustriert diese extreme Ungleichheit bei den Ver- einkommen. Dies führt zu einer Spirale, in der mögenseinkommen: Er ist sehr nahe am Maximal- sich Vermögen immer mehr auf wenige Haushal- wert von 1, der bedeuten würde, dass ein einziger te konzentriert. Branko Milanovic, ehemaliger Haushalt alle Vermögenseinkommen lukriert. Das Forschungsdirektor der Weltbank und einer der heißt, dass Vermögenseinkommen noch viel un- führenden ExpertInnen in der Ungleichheitsfor- gleicher verteilt sind als Vermögen selbst. schung, sieht in dieser Entwicklung eine Gefahr für die Demokratie. Vermögende werden bevorzugt Steuerlich sind die meisten Vermögenseinkom- Eine progressive Besteuerung von Vermögensein- men noch dazu deutlich bessergestellt als Arbeits- kommen brächte mehr Gerechtigkeit für die arbei- einkommen. Während erstere mit der (einheit- tenden Menschen. Gemeinsam mit Vermögens- lichen) Kapitalertragsteuer besteuert werden, und Erbschaftssteuern kann die beschriebene unterliegen Arbeitseinkommen einem steigenden Spirale immer größerer Vermögensungleichheit (progressiven) Steuersatz. Diese steuerliche Be- durchbrochen werden. 12 | Vermögenseinkommen
FAKTEN • Vermögenseinkommen bestehen aus Zinserträgen auf Bankkonten, Zum Weiterlesen: aus Vermietung und Verpachtung von Immobilien sowie aus Förster, Michael / Heitzmann, Karin (2017): Entwick- lung von Spitzeneinkommen in OECD-Ländern. In: Dividenden auf Wertpapiere und sonstigen Gewinnaus- Dimmel, Nikolaus/Hofmann, Julia/Schenk, Martin/ schüttungen aus Unternehmen. Schürz, Martin (Hrsg.): Handbuch Reichtum. Neue • Viele Formen von Vermögenseinkommen (v.a. Zinsen, Dividenden Erkenntnisse aus der Ungleichheitsforschung, Inns- und Ausschüttungen aus Anteilen an Kapitalgesellschaften oder In- bruck: Studienverlag, 51-67. vestmentfonds) werden lediglich mit einem niedrigen fixen Zinssatz OECD (2014): Focus on Top Incomes and Taxation in besteuert, während Arbeitseinkommen einer progressiven Besteue- OECD Countries: Was the crisis a game changer?, Paris, http://bit.do/ak007 rung unterliegen. Milanovic, Branko (2016): Die ungleiche Welt - Mig- • Was für Vermögen gilt, trifft auch für das Einkommen aus Vermögen ration, das Eine Prozent und die Zukunft der Mittel- zu: Der größte Teil des gesamten Vermögenseinkommens ist schicht, Berlin: Suhrkamp Verlag. konzentriert auf wenige. Milanovic, Branko (2017): Increasing Capital Income • Vermögenseinkommen tragen aufgrund der geringen Besteuerung Share and Its Effect on Personal Income Inequality. In: Boushey, Heather/DeLong, J. Bradford/Stein- kaum zur Finanzierung des Sozialstaates bei und entstehen meist baum, Marshall (Hrsg.): After Piketty. The Agenda ohne geistige oder körperliche Anstrengung. for Economics and Inequality, London: Harvard University Press, 235-258. Linktipp: www.verteilung.at WER HAT WIEVIEL VOM EINKOMMEN DURCH VERMÖGEN? DIE UNTERSTEN 90 % ERHALTEN 10 % ALLER VERMÖGENSEINKOMMEN DIE REICHSTEN 10 % ERHALTEN 90 % ALLER VERMÖGENSEINKOMMEN Quelle: HFCS, 2014 Vermögenseinkommen | 13
VERHÄLTNIS VON LÖHNEN UND MANAGERINNENGEHÄLTERN 1 : 24 1 : 43 1 : 64 5 Quelle: Wieser, 2019 2003 2015 2018 MANAGERINNENGEHÄLTER STIMMT DAS VERHÄLTNIS NOCH? In den letzten Jahren hat sich die Vorstandsver- standsvergütung vom 24-fachen des Medianein- gütung in den großen (börsennotierten) Unterneh- kommens im Jahr 2003 auf das 64-fache im Jahr men immer mehr vom übrigen Lohn- und Gehalts- 2018 in den wichtigsten börsennotierten Unter- gefüge abgekoppelt. Strukturell falsche Anreize, nehmen des Leitindex ATX. In diesem Zeitraum wie die kurzfristige Orientierung am Aktienkurs, haben sich die durchschnittlichen ATX-Vorstands- haben zu einem Missverhältnis zwischen Leistung gehälter damit um 266 % gesteigert, während bei und Bezahlung des Managements geführt. Diese den Medianeinkommen nur ein Anstieg um 34 % zunehmende Polarisierung ist sowohl national wie zu beobachten ist. Seit dem Ausbruch der Finanz- international zu beobachten. krise heben sich die Vorstandsgagen sogar von der Entwicklung des Börsenkurses ab. Während der Fi- In Österreich kam es zu einer Erhöhung der Vor- nanzkrise sind die Vorstandsbezüge zwar etwas ge- 14 | ManagerInnengehälter
„Um ein weiteres Auseinander- driften der Einkommen zu ver- hindern, braucht es eine an- gemessene Relation zwischen Vorstandsvergütung und den Löhnen und Gehältern der Be- sunken, doch nach diesem kurzen Rückgang liegen legschaft, die vom Aufsichtsrat die Gehälter des Managements gegenwärtig sogar festzulegen ist.“ über den Rekordwerten der Hochkonjunkturjahre. Christina Wieser (AK Wien) Der Anstieg der Vorstandsvergütungen lässt sich vor allem mit der zunehmend höheren variablen Vergütung (insbesondere aktienbasierte Incentive- Modelle) erklären. angemessene Relation zwischen Vorstandsvergü- tung und der Belegschaft festlegen. Dieser Faktor Ein durchschnittlicher ATX-Vorstand erhielt dem- (z. B. 1:12) – die „Manager to Worker Pay Ratio“ – soll nach im Jahr 2017 rund 2,04 Mio. Euro, das ist dann im Geschäftsbericht veröffentlicht werden. ein Plus von 18,6 % im Vergleich zum Vorjahr. An- Darüber hinaus soll der Aufsichtsrat Höchstgren- geführt wird das individuelle Ranking vom Vor- zen für die individuelle Vergütung der Vorstands- standsvorsitzenden der Bawag Group, Anas Ab- mitglieder sowie für die einzelnen Vergütungsbe- uzaakouk, mit 6,6 Mio. Euro, gefolgt von seinen standteile (z. B. variable Vergütung) vorsehen. Vorstandskollegen Sat Shah mit 5,2 Mio. Euro auf dem zweiten Rang und Andrew Wise mit 5 Mio. Zum Weiterlesen: Euro auf dem dritten Platz. AK Wien (2018): Vorstandsvergütung in den ATX Unternehmen. Vergütungspolitik und Gehälter- Wie kann diesem Trend entgegenwirkt werden? Ranking, 2018 Die Vergütungspolitik für den Vorstand ist zwar Linktipp: www.reichtumsmythen.at mittlerweile einigen gesetzlichen Bestimmungen und freiwilligen „Empfehlungen“ unterworfen, je- doch zeigen diese Maßnahmen bislang wenig Wir- kung. Unternehmen müssen verstärkt nicht-finan- zielle Anreize einführen, um für Angemessenheit und Nachhaltigkeit zu sorgen. Diese Vergütungs- kriterien sollten so gewählt und festgelegt werden, dass strategische Weitsicht und nachhaltige Unter- FAKTEN nehmensführung statt Kurzsicht und schnelle Ge- winne belohnt werden. • In den letzten Jahren hat sich die Vorstandsvergütung von großen (börsennotierten) Unternehmen in Österreich immer mehr vom übri- Zielvereinbarungen mit dem Vorstand könnten bei- gen Lohn- und Gehaltsgefüge abgekoppelt: Zwischen 2003 und 2018 spielsweise in Bezug auf Qualifizierung, Arbeitsbe- wurden die durchschnittlichen ATX-Vorstandsgehälter deutlich um dingungen und Zufriedenheit der Beschäftigten 266 % erhöht, während bei den Medianeinkommen ein sowie in Hinblick auf Diversität in Belegschaft und Anstieg um 34 % zu beobachten ist. Führung getroffen werden. • Ein ATX-Vorstand erhielt im Jahr 2018 im Schnitt rund 2,04 Mio. Euro. Der Aufsichtsrat kann, neben der richtigen Wahl • Das durchschnittliche Vorstandsgehalt hat sich demnach vom der Vergütungsinstrumente und Kriterien, eine 24-fachen des Medianeinkommens in Österreich im Jahr 2003 auf das 64-fache im Jahr 2018 erhöht. ManagerInnengehälter | 15
ERBEN ERBSCHAFTEN VERFESTIGEN DIE UNGLEICHHEIT 6 „Wenn Heiraten und Erben erfolgreicher ist als Arbeiten, dann hat die Gesellschaft ein Problem.“ Brigitte Unger (Universität Utrecht) Erbschaften sind in Österreich sehr ungleich ver- Erbschaften. Nur etwa jeder dritte Haushalt der unteren 90 % in der Vermögensverteilung erhält ein Erbe in Form von Fahrzeugen, Immobilien oder finanziellem Vermögen. Dabei geht es im Durch- schnitt um etwa 120.000 Euro. Je reicher ein Haus- halt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit zu erben. Für die reichsten 10 % liegt die Wahrschein- teilt und das verstärkt die Unterschiede in den lichkeit auf eine Erbschaft bei 71,1 % und das durch- Lebenschancen. So können wohlhabendere Eltern schnittlich erhaltene Erbe beläuft sich auf etwa ihre Kinder bereits zu Lebzeiten finanziell besser 830.000 Euro. Diese Daten zeigen allerdings nur fördern. Diese Entwicklung setzt sich etwa beim die Untergrenze, da die reichsten Haushalte kaum Vererben einer Eigentumswohnung fort und ver- an freiwilligen Befragungen teilnehmen und ihre festigt damit die ohnehin sehr hohe Vermögens- Wahrscheinlichkeit zu erben bzw. ihr Erbvolumen ungleichheit. Das steigende Erbschaftsvolumen noch deutlich höher sein dürften. zeigt, dass diese Entwicklung zukünftig noch stärker wird. Das gilt für alle Länder der Eurozo- Für all jene, die keine Erbschaft erwarten können, ne: Haushalte, die geerbt haben, besitzen deutlich gibt es zudem eine schlechte Nachricht: In Öster- mehr Vermögen als jene, die nichts geerbt haben. reich tragen Unterschiede zwischen Erbschaften Die Zukunftschancen hängen also stark davon ab, gleich viel zur Vermögensungleichheit bei wie die ob man in eine Familie geboren wird, wo man eine Unterschiede im Haushaltseinkommen. Das Glück Erbschaft zu erwarten hat oder nicht. der Geburt hat also etwa denselben Effekt wie der persönliche Arbeitseinsatz in der Arbeitswelt. Wer erbt wieviel? Natürlich spielen auch andere Faktoren wie Aus- Konkrete Zahlen zu den Erbschaften verdeutli- bildung eine Rolle, aber die sind in Relation zu Ein- chen zudem die großen Unterschiede zwischen kommen und Erbschaft weniger wichtig. 16 | Erben
WER WIEVIEL ERBT (DURCHSCHNITT) 3.373.000 € 828.000 € 124.000 € UNTERE 90 % TOP 10 % TOP 1 % Quelle: HFCS, 2014 Die dargestellten Fakten zeigen, dass wohlhaben- Leitner, Sebastian (2018): Factors driving wealth dere Haushalte viel wahrscheinlicher und um inequality in European countries, AK Working ein Vielfaches mehr erben als die Mehrheit aller Paper No. 177, http://bit.do/ak008 Haushalte. Bildlich gesprochen erhalten ärmere Tiefensee, Anita (2016): Erbschaften in Österreich: Haushalte, sofern sie überhaupt erben, ein Fahr- Wer viel verdient, bekommt am meisten, A&W-Blog, zeug oder einen Schrebergarten, während reichere 9. Mai, http://bit.do/ak009 Haushalte ein stattliches Eigenheim oder gar das Linktipp: www.verteilung.at Familienunternehmen erben. Diese Fortschrei- bung von Ungleichheit über Generationen hinweg steht einer echten Chancengerechtigkeit klar im Weg. Erbschafts- und Vermögenssteuern können dem Abhilfe schaffen. Zum Weiterlesen: FAKTEN Fessler, Pirmin / Schürz, Martin (2015): Private we- alth across European countries: The role of income, • Nur einer von drei Haushalten der unteren 90 % der Bevölkerung erbt inheritance and the welfare state, ECB Working überhaupt etwas. Im Durchschnitt beträgt diese Erbschaft 120.000 Euro. Paper Series No. 1847. • Im Gegensatz dazu erben innerhalb der reichsten 10 % drei von vier Leitner, Sebastian (2016): Drivers of wealth ine- Haushalten. Ihre Erbschaft ist mit 830.000 Euro fast sieben Mal höher als quality in euro area countries: The effect of inher- die durchschnittliche Erbschaft der restlichen 90 %. Im reichsten Prozent itance and gifts on household gross and net wealth macht die durchschnittliche Erbschaft sogar 3,4 Mio. Euro aus. distribution analysed by applying the Shapley value approach to decomposition, In: European • Erbschaften sind in Österreich ein zentraler Grund für die ungleiche Journal of Economics and Economic Policies: Verteilung der Vermögen. Intervention 13/1, 114-136. • Haushalte, die geerbt haben, besitzen deutlich mehr Vermögen als jene, die nichts geerbt haben. Erben | 17
VERMÖGENS- UND ERBSCHAFTSSTEUERN WAS BRINGEN VERMÖGENS- UND ERBSCHAFTSSTEUERN? Zwei Steuern können einer fortlaufenden Vermö- reicht die Babyboomer-Generation der Nachkriegs- genskonzentration entgegenwirken: Vermögens- jahre ihre Lebenserwartung und zweitens vollzog und Erbschaftssteuern. Eine jährliche Steuer auf diese Generation ihren Vermögensaufbau in wirt- sehr hohe Nettovermögen verringert den Abstand schaftlich florierenden Zeiten. Mit den Daten aus zwischen den Reichsten und dem Rest der Gesell- dem HFCS kann geschätzt werden, wie groß das schaft. Mit der Besteuerung von Vermögensüber- in Zukunft zu erwartende jährliche Erbschafts- tragungen, wie Erbschaften und Schenkungen, vermögen sein wird. Hier zeigt sich: Das jährliche kann verhindert werden, dass sich die Vermögens- Erbschaftsvolumen steigt von rund 10 Mrd. Euro konzentration über Generationen hinweg ein- im Jahr 2015 auf deutlich über 20 Mrd. Euro im zementiert. Internationale Institutionen wie die Jahr 2040. OECD, aber auch renommierte Verteilungsexpert Innen wie Thomas Piketty schlagen daher vermö- Da Erbschaften stark an Bedeutung gewinnen, ist 7 gensbezogene Steuern vor. auch ein steigendes Aufkommen aus Erbschafts- steuern zu erwarten. Dies könnte finanzielle Mit- Was die Vermögenssteuer bringt tel bringen, die etwa im Pflegebereich dringend Eine Studie der JKU Linz hat mehrere Steuer- notwendig sind. Somit würde der demographische modelle, unter anderem mit Freibeträgen von 1 Wandel nicht nur für einen höheren Pflegebedarf Mio. Euro durchgerechnet. Das Resultat: Selbst sorgen, sondern auch gleich die Finanzierungs- mit großzügig veranschlagten Ausweicheffekten quelle dazu liefern. Eine sinnvoll gestaltete Erb- bringt eine sinnvoll ausgestaltete Vermögens- schaftssteuer könnte heute zwischen 600 und 800 steuer mehrere Milliarden Euro zur Finanzierung Mio. Euro pro Jahr einspielen, langfristig aufgrund öffentlicher Leistungen. Mit diesem Aufkommen des steigenden Erbvolumens sogar deutlich mehr. könnte man beispielsweise auch die Steuern auf Arbeitseinkommen reduzieren. Erbschaften gewinnen an Bedeutung Seit 2008 gibt es in Österreich keine Erbschafts- und Schenkungssteuer mehr. Daten aus dem letz- „[Man kann] Erbschaften und ten Jahr der Erbschaftssteuer zeigen allerdings Grundbesitz progressiver eine brisante Konzentration von vererbten Vermö- besteuern und dafür Einkommen gen: Die vier größten Erbschaften sorgten für rund entlasten.“ 25 % des Steueraufkommens. Zwei Faktoren lassen Thomas Piketty (Paris School of Economics) den Schluss zu, dass Erbschaften in naher Zukunft ein immer größeres Gewicht erhalten: Erstens er- 18 | Vermögens- und Erbschaftssteuern
FAKTEN • Erbschaftssteuern können selbst mit hohen Freibeträgen ein Aufkommen in Milliardenhöhe einbringen und gleichzeitig die Vermögenskonzentration eindämmen. • Die vier größten Erbschaften sorgten im letzten Jahr der Erbschafts- steuer 2008 für rund 25 % des Erbschaftssteueraufkommens. • Erbschaften werden in den nächsten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dadurch steigt auch das finanzielle Zum Weiterlesen: Potenzial einer Erbschaftssteuer, z. B. für die Finanzierung von Altzinger, Wilfried/Humer, Stefan (2013): Simulation Pflegedienstleistungen. des Aufkommens verschiedener Erbschaftsbesteue- rungen, Studie WU Wien. Ferschli, Benjamin/Kapeller, Jakob/Schütz, Bern- hard/Wildauer, Rafael (2017): Bestände und Konzen- tration privater Vermögen in Österreich, AK Wor- king Paper No. 167, http://bit.do/ak010 Linktipp: http://www.binichreich.at/ Quelle: Altzinger/Humer, 2013 WIE VIEL VERMÖGEN WIRD IN ZUKUNFT VERERBT WERDEN? 20-23 Mrd. € 17-20 Mrd. € 12-15 Mrd. € 7-10 Mrd. € 2010 2020 2030 2040 Vermögens- und Erbschaftssteuern | 19
WELCHEN ANTEIL HABEN VERMÖGENSBEZOGENE STEUERN AM GESAMTEN STEUERAUFKOMMEN? 13 % 8% 7% 5,7 % 3% 1,3 % 1% 8 Quelle: OECD, 2016 GROSSBRITANNIEN BELGIEN SCHWEIZ OECD- DEUTSCHLAND ÖSTERREICH ESTLAND DURCHSCHNITT VERMÖGENSBEZOGENE STEUERN WIEVIEL TRAGEN VERMÖGEN ZUM STEUERKUCHEN BEI? Rückgang bei Vermögensbesteuerung politisch durchgesetzt. Österreich schneidet im In Österreich wird seit 1995 keine Vermögens- OECD-Vergleich bei vermögensbezogenen Steuern steuer und seit 2008 keine Erbschaftssteuer mehr besonders schlecht ab. Nur in der Slowakei und Est- eingehoben. Mit deren Abschaffung fielen zwei land liefern Vermögen einen kleineren Beitrag zum wichtige Pfeiler der vermögensbezogenen Steuern Steuerkuchen als in Österreich. Mit 1,3 % des Steu- weg. Diese politischen Entscheidungen reihen sich eraufkommens liegt Österreich bei den Einnah- nahtlos in eine internationale Tendenz der gerin- men aus vermögensbezogenen Steuern weit unter geren Besteuerung von Vermögen ein. Während dem OECD-Schnitt von 5,7 %. Auf den hintersten 1990 noch 12 OECD-Staaten Vermögenssteuern Plätzen in dieser Reihung verharrt Österreich nun einhoben, waren es 2017 nur noch vier. Somit ha- schon seit mehreren Jahren. ben die Reichsten ihre Interessen in vielen Ländern 20 | Vermögensbezogene Steuern
„Die jüngsten Entwicklungen in der Vermögensverteilung haben die Argumente für Vermögenssteuern verstärkt.“ OECD (2018) Steuerlast verschiebt sich von Kapital zu Arbeit Steuern in jenen Ländern auszubauen, in denen Die Steuerlast hat sich in den letzten Jahrzehnten hohe Vermögensungleichheit herrscht, Vermö- immer mehr von Kapital zum Faktor Arbeit verscho- gensübertragungen gar nicht und Kapitaleinkom- ben. Steuern auf Arbeitseinkommen, inklusive So- men nur proportional besteuert werden. Öster- zialversicherungsabgaben, machten zuletzt rund reich ist dafür das Paradebeispiel, es fehlt allein der 64 % des Aufkommens aus, Vermögen nur 1,3 %. politische Wille. 1965 waren es noch gut 50 %, während Vermögen 4 % beitrugen. Die Verschiebung der Steuerlast ist Zum Weiterlesen: vor dem Hintergrund der im selben Zeitraum deut- OECD (2018): The Role and Design of Net Wealth Ta- lich gefallenen Lohnquote noch dramatischer. Der xes in the OECD, OECD Tax Policy Studies No. 26, Anteil von Löhnen am Volkseinkommen ist gegen- http://bit.do/ak011 über den Unternehmensgewinnen in den letzten 50 Linktipp: www.verteilung.at Jahren kräftig zurückgegangen. Damit beruht die finanzielle Tragfähigkeit des Wohlfahrtsstaates immer mehr auf dem Faktor Arbeit, obwohl dessen Anteil am Volkseinkommen sinkt. Vermögenskonzentration schadet der Demokratie Warum ist ein höherer Beitrag von Vermögen zum FAKTEN Steuerkuchen wichtig? Es geht um die Verrin- gerung der Vermögenskonzentration. Eine hohe • Beim Beitrag von vermögensbezogenen Steuern zum Ungleichheit gefährdet den gesellschaftlichen Zu- gesamten Steueraufkommen liegt Österreich in der OECD an sammenhalt und hat negative Folgen auf die De- drittletzter Stelle, nur knapp vor der Slowakei und Estland. mokratie. Die Finanzierung wohlfahrtsstaatlicher • Vermögensbezogene Steuern trugen 2016 in Österreich rund 1,3 % Errungenschaften wie Gesundheits- und Pflege- zum Steuerkuchen bei, 1965 waren es noch rund 4 %. leistungen, Armutsbekämpfung, öffentliche Infra- struktur oder Bildungseinrichtungen erfordern • Die hohe Vermögenskonzentration in Österreich erfordert eine einen fairen Beitrag der Reichsten. Denn auch sie Umverteilung durch das Steuersystem, profitieren von einem hohen Lebensstandard für z. B. durch eine Besteuerung sehr hoher Vermögen und die breite Bevölkerung und von sozialem Frieden. die Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer. Die OECD empfiehlt daher vermögensbezogene • Ein Ziel einer stärkeren Besteuerung hoher Vermögen ist die steuerliche Entlastung für den Faktor Arbeit. Vermögensbezogene Steuern | 21
STEUERVERMEIDUNG WIE KONZERNE UND REICHE DEN STAAT HINTERGEHEN 9 Von legal bis illegal Steuervermeidung beschreibt das Ausnützen ge- setzlicher Schlupflöcher in Steuersystemen mit dem Zweck, die Steuerpflicht zu umgehen. Mul- tinationale Konzerne sowie wohlhabende Privat- personen verschieben ihre Unternehmensgewin- „Ungleichheit ist die große Sorge unserer Zeit. Warum also tolerieren wir habgierige, ungerechte Steueroasen?“ ne und Einkommen in sogenannte Steueroasen Gabriel Zucman (University of California, Berkeley) oder besser: Steuersümpfe. Dort fallen deutlich geringere Steuern als in jenem Land an, in dem die Gewinne bzw. Einkommen tatsächlich er- wirtschaftet wurden. Auf diese Weise entziehen Rennen um die niedrigsten Steuern. Ein inter- sich Superreiche ihrer gesellschaftlichen Ver- nationales Forscherteam rund um den Ökono- antwortung, obwohl sie alle Rechte und Vorzüge men Gabriel Zucman belegt dies auch mit Zahlen. ihres Wohnsitzlandes nutzen. Der Grat zwischen Diese zeigen, dass die durchschnittlichen Unter- legaler Steuervermeidung und der illegalen Steu- nehmenssteuersätze zwischen 1985 und 2018 von erhinterziehung ist schmal: Die rechtswidrige 49 % auf 24 % gefallen sind. Diese verheerenden Form liegt dann vor, wenn Vermögen und Ein- Entwicklungen führen zu einem drastischen kommen gegenüber den Finanzbehörden nicht Rückgang an Steuereinnahmen. Laut einem Be- vollständig deklariert werden. richt der EU-Kommission entgehen den Ländern der EU alleine durch Steuervermeidung jährlich Unternehmenssteuern sinken seit 30 Jahren rund 1.000 Mrd. Euro an Steuereinnahmen. Man Im Kampf um die äußerst mobilen Unterneh- könnte damit zehn Jahre lang sämtliche Schulen, mensgewinne und Einkommen liefern sich man- Spitäler und alle Leistungen des österreichischen che Staaten und insbesondere Steuersümpfe ein Sozialstaates finanzieren. 22 | Steuervermeidung
WO LIEGEN DIE GRÖSSTEN STEUERSÜMPFE DER WELT? 1. SCHWEIZ 7. DEUTSCHLAND 2. USA 8. TAIWAN 3. CAYMAN ISLANDS 9. VEREINIGTE 4. HONGKONG ARABISCHE EMIRATE 5. SINGAPUR 10. GUERNSEY 6. LUXEMBURG Quelle: Financial Secrecy Index, 2018 Tørsløv, Thomas/Wier, Ludvig/Zucman, Gabriel Gewinnen dort besteuern, wo sie anfallen (2018): The Missing Profits of Nations, NBER Wor- Man muss dieser Entwicklung aber nicht tatenlos king Paper 24701. zusehen. Neben einer länderbezogenen Finanz- Zucman, Gabriel (2014): Steueroasen. Wo der Wohl- berichterstattung ist ein EU-weiter Mindestkör- stand der Nationen versteckt wird, Berlin: Suhr- perschaftssteuersatz nötig. Ziel muss sein, Ge- kamp Verlag. winne dort zu besteuern, wo sie erwirtschaftet Linktipp: www.diekriseverstehen.net werden und den Steuerwettbewerb nach unten zu beenden. Gesetze gegen die Steuersümpfe müs- sen einfacher durchgesetzt werden können, dazu braucht es einen Wechsel vom derzeit geltenden Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen, hin zu dem bei den meisten EU-Themen gültigen Mehr- FAKTEN stimmigkeitsprinzip. Außerdem gilt es strengere • Multinationale Konzerne und wohlhabende Einzelpersonen nutzen Straf- und Haftungsbestimmungen für all jene umzusetzen, die Dienstleistungen zur Steuerver- die Vorzüge ausgebauter Wohlfahrtsstaaten, in denen sie wirt- meidung anbieten. Umgekehrt müssen Personen, schaftlich tätig sind, stehlen sich durch Steuervermeidung aber aus die Steuerhinterziehungs- und Steuervermei- ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. dungspraktiken aufdecken geschützt, und nicht • Der Wettlauf der Länder um die niedrigsten Unternehmenssteuersätze wie derzeit strafrechtlich verfolgt werden. schadet der Allgemeinheit: Die durchschnittlichen Steuersätze fielen zwischen 1985 und 2018 von 49 % auf 24 %. Zum Weiterlesen: Süddeutsche Zeitung (2018): Paradise Papers – Die • Das bringt für viele Staaten erhebliche Verluste: Die EU Kommission Schattenwelt des großen Geldes, http://bit.do/ak012 spricht von einem EU-weiten Verlust von 1.000 Mrd. Euro jährlich. Steuervermeidung | 23
ÖFFENTLICHES UND PRIVATES VERMÖGEN WARUM IST DAS ÖFFENTLICHE VERMÖGEN SO WICHTIG? Was ist öffentliches Vermögen? wurden zurückgefahren oder gar privatisiert. Die Das öffentliche Vermögen setzt sich aus öffent- Länder haben dadurch weniger Spielraum zur Re- licher Infrastruktur wie Schulen, Spitälern und gulierung der Wirtschaft, zur Umverteilung von anderen Gebäuden, Verkehrswegen, öffentlichen Einkommen und zur Bekämpfung der wachsenden Transportmitteln, Grundstücken, Seen, Wäldern, Ungleichheit. Kunstgegenständen und vielem mehr zusammen. Wie bei anderen Haushalten auch, muss beim Staat Öffentliches Vermögen ist unser Vermögen 10 der Schuldenstand dem Vermögen gegenüberge- Besonders wichtig ist das öffentliche Vermögen für stellt werden, um eine ausgewogene Perspektive zu all jene Menschen, die nicht ihr Geld für sich arbei- wahren. ten lassen können. Ein öffentliches Gesundheits-, Bildungs- und Pensionssystem, öffentlichen Wohn- Öffentliches Vermögen ist noch ungenauer erfasst bau und öffentlichen Verkehr brauchen all jene, die als privates Vermögen. In Österreich gibt es daher nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind. nur Schätzungen, wie hoch dieses ist. Dabei wäre Das öffentliche Vermögen ermöglicht einen hohen eine genaue Erfassung von großer Bedeutung, un- Lebensstandard für alle Menschen. In absoluten ter anderem um einzuschätzen, welches Vermögen Zahlen verdoppelt das öffentliche Vermögen sogar im Falle einer Privatisierung der Allgemeinheit das Privatvermögen der „unteren“ 90 %. Eine pro- entzogen wird bzw. in welcher Relation der Ver- gressive Wirtschaftspolitik muss daher in das Ver- kaufspreis dazu steht. Aktuelle Schätzungen gehen mögen des Sozialstaats investieren. von einem öffentlichen Vermögen von mehr als 400 Mrd. Euro aus. Öffentliches Vermögen ist gesunken In den letzten Jahrzehnten ist das öffentliche Net- tovermögen (Saldo aus Vermögen und Schulden) „Das öffentliche Vermögen und in vielen europäischen Ländern allerdings gesun- damit die gesamte Bevölkerung ken, während das Privatvermögen gestiegen ist. und Gesellschaft zu stärken ist In Deutschland und Frankreich ist es nur mehr leicht positiv. Der Hauptgrund liegt im Rückbau das nobelste Ziel einer emanzipa- der Staatsaufgaben in den letzten Jahrzehnten: torischen Wirtschaftspolitik.“ Staatsbeteiligungen ebenso wie Investitionen in Markus Marterbauer (AK Wien) den Wohlfahrtsstaat (etwa sozialer Wohnbau) 24 | Öffentliches und privates Vermögen
Zum Weiterlesen: FAKTEN Alvaredo, Facundo/Chancel, Lucas/Piketty, Tho- • Das öffentliche Vermögen steht den öffentlichen Schulden gegenüber. mas/Saez, Emmanuel/Zucman, Gabriel (2018): Bericht zur weltweiten Ungleichheit. Kurzfassung, Es besteht aus öffentlicher Infrastruktur wie Schulen, Spitälern, World Inequality Lab, http://bit.do/ak013 öffentlichen Verkehrswegen, Straßen, dem öffentlichen Wohnbau Feigl, Georg (2017): Öffentliche Vermögen – abseits sowie aus Finanzmitteln und Unternehmensbeteiligungen. der Schuldenparanoia, A&W Blog, 12. September, • Die Höhe des öffentlichen Bruttovermögens (nicht mit Schulden http://bit.do/ak014 gegengerechnet) beträgt in Österreich über 400 Mrd. Euro. Marterbauer, Markus (2018): Die Schulden sinken. Was jetzt? A&W Blog, 1.Februar, http://bit.do/ak015 • Öffentliches Vermögen kommt der Allgemeinheit zugute. Linktipp: www.stopausterity.eu Es „verdoppelt“ das Privatvermögen der unteren 90 %. Quelle: Marterbauer, 2018 ÖFFENTLICHES VERMÖGEN UND PRIVATES VERMÖGEN DER UNTEREN 90% DIE UNTEREN 90 % DER BE- VÖLKERUNG BESITZEN 450 MRD. DAZU KOMMEN 400 MRD. PRIVATVERMÖGEN AN ÖFFENTLICHEM VERMÖGEN Öffentliches und privates Vermögen | 25
ORGANISATIONEN/UNTERNEHMEN MIT DEN MEISTEN LOBBYTREFFEN AUF HOHER KOMMISSIONSEBENE EUROPÄISCHER VERBRAUCHER- GENERAL ELECTRIC 5.500.000 € Lobbyausgaben INNENVERBAND 1.750.000 € Treffen EUROCOMMERCE mit der 400.000 € Kommission WWF 2.000.000 € AMERICAN CHAMBER OF COMMERCE 1.000.000 € GREENPEACE 952.627 € IBM 1.500.000 € TRANSPORT& ENVIRONMENT 3.500.000 € DEUTSCHE TELEKOM 1.141.000 € EUROPEAN TRADE UNION CONFEDERATION 1.000.000 € MICROSOFT 11 4.250.000 € Quelle: Ey/Wagner, 2017 BUSINESS EUROPE DIGITAL EUROPE 4.000.000 € 1.850.000 € AIRBUS GOOGLE 1.750.000 € 4.250.000 € VERMÖGENSKONZENTRATION UND MACHT WELCHEN EINFLUSS HAT VERMÖGEN AUF DIE POLITIK? Die demokratiepolitischen Konsequenzen großer sowohl die Chancen sich politisch einbringen zu (Vermögens-)Ungleichheit stehen schon seit vielen können, als auch die Chancen mit den eigenen An- Jahren im Zentrum politischer und wissenschaft- liegen gehört zu werden. Das heißt: Je weiter oben licher Diskussionen. Wie Anthony Atkinson einer man sich auf der sozialen Skala befindet, desto eher der bedeutendsten Ungleichheitsforscher unserer ist man in der Lage, die politische Agenda zu be- Zeit schreibt, ist die Zunahme sozialer Ungleich- einflussen. Elisabeth Jacobs, eine amerikanische heit eine Folge der Verschiebung der Machtbalance Wissenschaftlerin, zeigt etwa am Beispiel des Ab- zwischen Arbeit und Kapital. Gleichzeitig verstärkt stimmungsverhaltens des US-Senats, dass sich die die soziale Ungleichheit diese Machtasymmetrie politischen Positionen der Kapitalseite eher in den aber auch weiter. Zunehmende soziale Ungleich- beschlossenen politischen Maßnahmen wiederfin- heit führt zu Ungleichheit bei der politischen Mit- den als die Forderungen von ArbeitnehmerInnen sprache: Mit einem höheren sozialen Status steigen bzw. aus der Zivilgesellschaft. 26 | Vermögenskonzentration und Macht
Machtfaktor Vermögen „Die Hauptfrage heute dreht Das liegt unter anderem an den engen, teilweise sich nicht um das Kapital im 21. auch persönlichen Verflechtungen zwischen Groß- Jahrhundert. Vielmehr geht es konzernen, Unternehmensverbänden und ihren BeraterInnen auf der einen Seite sowie politischen um die Demokratie des 21. Jahr- EntscheidungsträgerInnen auf der anderen Sei- hunderts. “ te. Es kommt auch immer wieder zu beruflichen Joseph E. Stiglitz (Columbia University) Seitenwechseln von politischen Entscheidungs- trägerInnen hin zu lukrativen Jobs in der Privat- wirtschaft und umgekehrt (sogenannter „Drehtür- Ey, Frank/Wagner, Alice (2017): Wer das Geld hat, effekt“). Zudem hat die Kapitalseite auch deutlich macht die Gesetze. Zur Übermacht der Großkonzerne mehr finanzielle Mittel, um ihren Anliegen politi- in der EU und den (bislang) zu kurz greifenden Regu- sches Gehör zu verschaffen. (Privates) Vermögen lierungsschritten, In: Dimmel, Nikolaus/Hofmann, Ju- ist damit eine Ressource, die zur Machtausübung lia/Schenk, Martin/Schürz, Martin (Hrsg.): Handbuch eingesetzt werden kann. Die Europäische Union ist Reichtum, Neue Erkenntnisse aus der Ungleichheits- ein gutes Beispiel dafür: Hier wird Lobbying vor al- forschung, Innsbruck: Studienverlag, 348-363. lem von Unternehmen betrieben. Laut Angaben der Jacobs, Elisabeth (2017): Everywhere and Nowhere: EU-Kommission fanden drei Viertel der Treffen mit Politics in Capital in the Twenty-First Century. In: LobbyistInnen mit VertreterInnen der Unterneh- Boushey, Heather/DeLong, J. Bradford/Steinbaum, mensseite statt. Am meisten finanzielle Mittel für Marshall (Hrsg.): After Piketty. The Agenda for Eco- Lobbying gaben die großen US-Konzerne General nomics and Inequality, London: Harvard University Electric, Google sowie Microsoft aus. Press, 512-542. Rehm, Miriam/Schnetzer, Matthias (2015): Vermögens- Zeitalter der Postdemokratie konzentration und Macht, Der blinde Fleck der Main- Der britische Politikwissenschaftler und Soziologe stream-Ökonomie, In: Kurswechsel 2/2015, 69-79. Colin Crouch argumentiert, dass durch die enge Ver- Stiglitz, Joseph (2014): Das Kapital der Demokratie im flechtung von Politik und Wirtschaft die Demokratie 21. Jahrhundert. Kommentar der Anderen, Schaden genommen hat. Er nennt diese Entwick- http://bit.do/ak016 lungen das Zeitalter der Postdemokratie, indem die Linktipp: www.reichtumsmythen.at Demokratie zwar formal und rechtlich abgesichert, aber real stark geschwächt ist, da die relevanten Entscheidungen nicht mehr von demokratisch legi- timierten politischen VertreterInnen, sondern von einer kleinen politischen bzw. wirtschaftlichen Elite FAKTEN gefällt werden. Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bezeichnet die Frage nach dem Erhalt der Demokra- • Je weiter oben man sich auf der Vermögensskala befindet, desto tie daher auch als die Hauptfrage des 21. Jahrhun- eher ist man in der Lage die politische Agenda zu beeinflussen. derts. Die Reduktion der Ungleichheit bei den Ver- mögen wäre dafür ein erster wichtiger Schritt. • Das liegt an engen, persönlichen Verflechtungen zwischen Groß- konzernen, Unternehmensverbänden und ihren BeraterInnen sowie Zum Weiterlesen: politischen EntscheidungsträgerInnen. Außerdem verfügt die Kapital- Atkinson, Anthony (2016): Ungleichheit, Was wir da- seite über viel mehr finanzielle Mittel, um ihren Anliegen politisches gegen tun können, Stuttgart: Klett-Cotta. Gehör zu verschaffen. Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Frankfurt/ • Am Beispiel der EU zeigt sich das besonders deutlich: Rund drei Viertel Main: Suhrkamp Verlag. aller Termine auf höchster Kommissionsebene sind mit LobbyistInnen auf Unternehmerseite. Vermögenskonzentration und Macht | 27
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