Frauengesundheit im europäischen Vergleich - RKI

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Frauengesundheit im
europäischen Vergleich

   KAPITEL   10
▶▶ Die mittlere Lebenserwartung von Frauen liegt
   in Deutschland mit 83,3 Jahren nahe am Durch-
   schnitt der 28 EU-Mitgliedstaaten (83,6 Jahre).

▶▶ Die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Krank-
   heiten ist bei Frauen in den letzten 15 Jahren
   in allen 28 EU-Mitgliedstaaten zurückgegan-
   gen, Deutschland liegt mit 323 Todesfällen pro
   100.000 Einwohnerinnen leicht über dem EU-
   Durchschnitt.

▶▶ Knapp 44 % der Frauen in den 28 EU-Mitglied-
   staaten sind übergewichtig (inkl. Adipositas), in
   Deutschland liegt der Anteil bei rund 43 %.

▶▶ Beim Anteil der Frauen mit monatlichem Rausch-
   trinken steht Deutschland mit 19 % an zweiter
   Stelle der 28 EU-Mitgliedstaaten.

▶▶ Der Anteil der Frauen, die gesundheitsförderlich
   körperlich aktiv sind, ist in Deutschland mit 22 %
   mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt der
   28 EU-Mitgliedstaaten.
Frauengesundheit im europäischen Vergleich       |   Kapitel 10   347

10     Frauengesundheit im europäischen Vergleich
10.1 Einleitung

10.1.1	 Was bringt der Blick nach Europa?
                                                       Infobox 10.1.1.1
Gesundheit und Krankheit sind stark beeinflusst        Europa, die Europäische Union und die
von Lebenswelten, kulturellen und sozialen Ein-        WHO-Euro-Region
flüssen, die sich zwischen den Geschlechtern,
                                                       Die geografische Region Europa umfasst ein Ge-
aber auch zwischen den Mitgliedstaaten der             biet im westlichen Teil Eurasiens, in dem über 740
Europäischen Union (EU) (siehe Infobox 10.1.1.1)       Millionen Menschen leben. Für Analysen zur Ge-
unterscheiden. Vor diesem Hintergrund wird             sundheit in Europa stehen vor allem Informatio-
mit diesem Kapitel die Betrachtung der Frauen-         nen für die Europäische Union (EU) und die Euro-
gesundheit in Deutschland um eine europäische          päische Region der Weltgesundheitsorganisation
Perspektive ergänzt.                                   (WHO), die sogenannte WHO-Euro-Region, zur
    Die großen gesundheitspolitischen und              Verfügung.
gsundheitsökonomischen Herausforderungen,             Die Europäische Union entwickelte sich aus meh-
vor denen die europäischen Sozialstaaten stehen,       reren Vorgängerorganisationen. Die heutige EU
verlangen nach evidenzgestützten Entscheidungen.       wurde am 1. November 1993 mit zwölf Mitglied-
Deshalb wird es zunehmend wichtiger, für Analy-        staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frank-
sen und evidenzgestützte Politikberatung interna-      reich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg,
tional vergleichbare Daten nutzen zu können, die       Niederlande, Portugal, Spanien und Vereinigtes
                                                       Königreich) gegründet. Seitdem ist die Zahl der
wichtige Aspekte der Bevölkerungsgesundheit und
                                                       Mitgliedstaaten durch Aufnahme von Bulgarien,
der Versorgungsstrukturen in den Mitgliedstaaten       Estland, Finnland, Kroatien, Lettland, Litauen,
der EU abbilden. So zeigen zahlreiche Untersu-         Malta, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden,
chungen, dass sich Erkrankungsraten, Prävalen-         Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zy-
zen und Sterberaten bestimmter Krankheiten, die        pern auf 28 gewachsen. Im Jahr 2019 wurde die
Lebenserwartung und das Gesundheitsverhalten           Einwohnerzahl der EU auf 513,5 Millionen ge-
zwischen Ländern innerhalb der EU deutlich unter-      schätzt [5]. Nach dem Austritt des Vereinigten Kö-
scheiden [1, 2]. Bedingt durch die Heterogenität       nigreichs am 31.01.2020 umfasst die EU 27 Mit-
der einzelnen Gesundheitssysteme, gibt es auch         gliedstaaten mit einer Einwohnerzahl von 446
Unterschiede in der Gesundheitsförderung, der          Millionen. Da sich dieser Bericht auf den Zeit-
                                                       raum vor dem Brexit bezieht, ist das Vereinigte
Prävention und der Versorgung in den einzelnen
                                                       Königreich in die Auswertungen eingeschlossen.
EU-Mitgliedstaaten [3].
    Gleichzeitig sehen sich die EU-Mitgliedstaaten     Die WHO-Euro-Region erstreckt sich vom Atlan-
jedoch vor ähnliche Herausforderungen gestellt.        tik bis zum Pazifik. Sie umfasst 53 Staaten und
                                                       eine Bevölkerung von ungefähr 900 Millionen.
Zu diesen gehören der demografische Wan-
                                                       Das WHO-Regionalbüro für Europa ist für die öf-
del, die damit einhergehende Zunahme chroni-           fentliche Gesundheit in der Europäischen Region
scher Erkrankungen und der Anspruch, gesund-           der WHO zuständig, es ist eines von insgesamt
heitsförderliches Verhalten zu unterstützen und        sechs Regionalbüros in der Welt [6].
gesundheitsfördernde Lebenswelten zu gestalten
[4]. Der Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaa-
ten ermöglicht es den Akteurinnen und Akteu-         politische Lösungen und Maßnahmen eines Landes
ren des Gesundheitswesens, nationale Trends          zur Reduktion vergleichbarer gesundheitlicher Pro­
der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung sowie      bleme können Impulse für andere Länder geben.
Ergebnisse von Maßnahmen zur Gesundheitsför-            Die folgenden Abschnitte beschreiben zunächst
derung und Krankheitsversorgung in europäische       die verfügbaren Datenquellen und setzen das Thema
Entwicklungen einzuordnen [1]. Der Vergleich von     Frauengesundheit in den Kontext der europäischen
Gesundheitsdaten soll auch dazu anregen, vonein-     Gesundheitspolitik. Im Anschluss werden ausge-
ander zu lernen („mutual learning“). Erfolgreiche    wählte Aspekte der Frauengesundheit vergleichend
348    Kapitel 10   |   Frauengesundheit im europäischen Vergleich

      dargestellt. Dabei werden Gemeinsamkeiten,            für das Bildungswesen (ISCED) zurückgegriffen.
      Unterschiede und – sofern entsprechende Daten         Dabei werden die Bildungsangaben zu drei Qua-
      verfügbar sind – auch Trends in Bezug auf den         lifikationsniveaus verdichtet: einfache, mittlere
      Gesundheitszustand, das Gesundheitsverhalten          und höhere berufsqualifizierende Bildung. Die
      und die Gesundheitsversorgung von Frauen in den       ISCED-Klassifikation wurde im EHIS verwendet,
      Mitgliedstaaten der EU beleuchtet. Im Fazit wer-      um nationale Bildungsabschlüsse auch internati-
      den die Daten und Informationen dieses Kapitels       onal vergleichbar zu machen [11]. In Deutschland
      noch einmal zusammengefasst. Sie können einen         erfolgt die Durchführung des EHIS im Rahmen des
      Beitrag dazu leisten, die Lebensbedingungen von       Gesundheitsmonitorings am Robert Koch-Institut
      Frauen in der EU und auch in Deutschland gesund-      (RKI) [12, 13]. Daneben werden Daten aus EU-SILC
      heitsförderlicher zu gestalten.                       verwendet. Bei beiden Befragungen handelt es sich
                                                            um regelmäßige bevölkerungsweite Datenerhebun-
                                                            gen, bei denen die Vergleichbarkeit zwischen den
      10.1.2 Datenquellen zur Gesundheit in                 einzelnen Ländern mit im Fokus steht.
             der Europäischen Union                             Zudem werden für das folgende Kapitel weitere
                                                            Daten des Statistischen Amtes der Europäischen
      Die Verantwortung für Gesundheitspolitik liegt        Union (Eurostat) herangezogen, z. B. zu Todesur-
      bei den einzelnen Mitgliedstaaten, die EU kann        sachen. Für den Abschnitt zu Krebserkrankungen
      jedoch die jeweilige Gesundheitspolitik durch die     wurde vor allem das European Cancer Informa-
      Bereitstellung vergleichender Daten zur Gesund-       tion System (ECIS) verwendet. Es enthält aktuelle
      heit für Europa unterstützen [2]. Für den Gesund-     Schätzungen zu Neuerkrankungen und Todesfäl-
      heitssektor wurden dazu die Europäischen Kern-        len an Krebs in der EU [14]. Für den Vergleich von
      indikatoren für Gesundheit entwickelt (European       europäischen Gesundheitsdaten im Bereich der
      Core Health Indicators, ECHI-Indikatoren) [7].        übertragbaren Krankheiten wird auf Daten des
      Zurzeit umfasst diese Liste 88 Indikatoren. Von       Europäischen Zentrums für die Prävention und
      diesen liegen für 67 Indikatoren Daten aus inter-     die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) mit Sitz in
      nationalen Datenquellen vor. Die verbleibenden        Stockholm zurückgegriffen. Das ECDC analysiert
      21 Indikatoren befinden sich konzeptuell bzw. hin-    und bewertet mithilfe des europäischen Überwa-
      sichtlich der Datenquellen noch in der Entwick-       chungssystems TESSy Daten aus europäischen
      lung. Für 44 der 67 aktuell verwendeten Indika-       Ländern zu 52 meldepflichtigen übertragbaren
      toren ist eine Stratifikation nach Geschlecht mög-    Krankheiten und Krankheitsausbrüchen sowie zu
      lich [8]. Ein Viertel der ECHI-Indikatoren speist     sonstigen Bedrohungen der öffentlichen Gesund-
      sich aus der europaweiten Gesundheitsbefragung        heit. Darüber hinaus wurden vergleichende Daten
      EHIS (European Health Interview Survey) [2, 9].       zur Gesundheit genutzt, die von der Organisation
      Für einige ECHI-Indikatoren werden Daten über         für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
      das Gesundheitsmodul der EU-Befragung zu Ein-         lung (OECD) zur Verfügung gestellt werden. Die
      kommen und Lebensbedingungen (European Sta-           OECD umfasst 36 Mitgliedstaaten aus den Regio-
      tistics of Income and Living Condition, EU-SILC)      nen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Nord-
      erhoben [10], andere werden aus den amtlichen         und Südamerika sowie Europa und Asien.
      Statistiken der EU-Mitgliedstaaten und aus zahl-          Grundsätzlich ist beim Vergleich von Daten
      reichen weiteren Datenquellen gespeist.               (z. B. aus EHIS) aus verschiedenen Ländern zu
          Für die nachfolgenden Betrachtungen zur Frauen­   berücksichtigen, dass sich diese Ergebnisse von
      gesundheit im europäischen Vergleich wurden zum       nationalen Auswertungen unterscheiden können.
      großen Teil ECHI-Indikatoren herangezogen. Der        So liegen die international vergleichbaren Daten
      EHIS ist damit eine Hauptdatenquelle für das          teilweise in anderen Alterskategorien vor als nati-
      Kapitel. Ausgewertet werden die Daten der zwei-       onale Daten. In diesem Kapitel werden die EHIS-
      ten Welle des EHIS, die in den meisten Ländern im     Daten von Personen ab 15 Jahren verwendet. Um
      Jahr 2014 durchgeführt wurde. Für die Darstellung     die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, kann es
      von Gesundheitsvariablen stratifiziert nach Bildung   darüber hinaus erforderlich sein, nationale Daten
      wird auf die Internationale Standardklassifikation    (z. B. durch Altersstandardisierung) zu bearbeiten.
Frauengesundheit im europäischen Vergleich       |   Kapitel 10    349

Auch dadurch können sich Unterschiede zu den            für Frauen in der WHO-Euro-Region („Strategy on
Ergebnissen internationaler Auswertungen erge-          women’s health and well-being in the WHO Euro-
ben, etwa bei Sterblichkeitsraten. Die Anwendung        pean Region“) [18]. In der Strategie wird betont,
unterschiedlicher statistischer Verfahren bei der       dass Geschlecht eine wesentliche Determinante von
Datenverarbeitung kann ebenfalls zu Unterschie-         Gesundheit ist. Gender Mainstreaming ist dabei ein
den zwischen nationalen und internationalen             wichtiges Instrument, um dem Ziel der Geschlech-
Ergebnissen führen, z. B. bei der Anwendung von         tergerechtigkeit Schritt für Schritt näher zu kom-
unterschiedlichen Methoden zur Berechnung der           men. Notwendige Aktivitäten sollen u. a. in Form
Lebenserwartung. Die Ergebnisse dieses Kapitels         von nationalen Gesundheitsstrategien etabliert wer-
können deshalb von anderen Abschnitten dieses           den. Dies spiegelt die Tatsache wider, dass die Ver-
Berichts abweichen.                                     antwortung für Gesundheitspolitik in Europa bei
                                                        den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten liegt. Zeitgleich
                                                        erschien 2016 der WHO-Euro-Bericht „Women’s
10.1.3 Frauengesundheit und                             health and well-being in Europe: beyond the mor-
           ­
       europäische Gesundheitspolitik                   tality advantage” [19]. Der Bericht liefert den Hinter-
                                                        grund für die Strategie. Er informiert über Krank-
Zahlreiche Berichte und Aktionspläne zur Frauen-        heitslast, Lebenserwartung und gesundheitliche
gesundheit sind in den letzten Jahren auf europä-       Versorgung von Frauen in der WHO-Euro-Region.
ischer Ebene erarbeitet worden. Sie decken unter-       Dabei stellt er die Bedeutung wirtschaftlicher, sozia­
schiedliche Themenschwerpunkte und Regionen             ler und umweltbezogener Determinanten heraus,
ab, z. B. die EU mit 28 Mitgliedstaaten (EU28) oder     ebenso wie die Auswirkungen von Geschlechterdis-
die WHO-Euro-Region, zu der 53 Staaten gehören          kriminierung und Geschlechter­stereotypisierung
(siehe Infobox 10.1.1.1). Im Jahr 2001 verabschiedete   auf die Gesundheit von Frauen.
das WHO-Regionalbüro für Europa (WHO-Euro)                  Der Bericht hat einen engen Bezug zur Agenda
einen Strategischen Aktionsplan zur Frauenge-           2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 Zielen
sundheit in Europa und unterstrich die Notwendig-       für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Develop-
keit einer Lebenslaufperspektive, der Partizipation     ment Goals, SDGs) [20]. Fortschritte in den Zielen
von Frauen, einer verbesserten Gesundheitsversor-       für nachhaltige Entwicklung „Geschlechtergerech-
gung und der verstärkten Berücksichtigung der           tigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und
Frauengesundheit in der Gesundheitsforschung            Mädchen erreichen” (SDG5) sowie „Ungleichheit
[15]. Der Bericht der Generaldirektion Gesundheit       innerhalb von und zwischen Staaten verringern”
und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kom-        (SDG10) gelten als wesentliche Voraussetzung für
mission (DG Santé) aus dem Jahr 2009 fokussiert         das Erreichen des Ziels „Ein gesundes Leben für
auf Frauengesundheit in Europa im Vergleich mit         alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr
Männern, beinhaltet jedoch auch Vergleiche der          Wohlergehen fördern“ (SDG3).
Frauen in einzelnen EU-Mitgliedstaaten [16].                Die Gleichstellung von Frauen und Männern
    Im Jahr 2015 legte das WHO-Regionalbüro für         ist eines der Ziele der EU. Mit Rechtsvorschriften,
Europa einen kurzen Bericht zur Frauengesund-           der Rechtsprechung und Änderungen der Verträge
heit vor: „Beyond the mortality advantage. Investi-     ist es nach und nach gelungen, diesem Grund-
gating women’s health in Europe“ [17]. Der Bericht      satz Nachdruck zu verleihen und ihn in der EU
informiert über die wichtigsten Gesundheitspro-         anzuwenden [21]. Das Europäische Parlament und
bleme von Frauen in der Region, einschließlich          der Rat haben 2006 das Europäische Institut für
Unterschieden in der Gesundheitsversorgung, und         Gleichstellungsfragen mit Sitz in Vilnius (Litauen)
hebt die Bedeutung von Geschlecht und sozioöko-         geschaffen, dessen Aufgabe es ist, die Gleichstel-
nomischen Determinanten für die Frauengesund-           lung von Frauen und Männern aktiv zu fördern. In
heit in der WHO-Euro-Region hervor. Er diente           den letzten Jahrzehnten und bis heute gibt es zahl-
der Vorbereitung einer regionalen Strategie für         reiche Aktivitäten und Rechtsvorschriften, die gro-
die Gesundheit von Frauen. Im Jahr 2016 verab-          ßen Einfluss auf die Gleichstellungspolitik in den
schiedete das WHO-Regionalbüro für Europa eine          Mitgliedstaaten haben – zum Nutzen für Frauen
Strategie zur Gesundheit und zum Wohlbefinden           und Männer in der EU [21].
350    Kapitel 10     |   Frauengesundheit im europäischen Vergleich

      10.2 Gesundheitliche Situation von                        10.2.1 Lebenserwartung und gesunde
           Frauen im europäischen Vergleich                            Lebensjahre
      Im Folgenden wird die gesundheitliche Situation           Die durchschnittliche statistische Lebenserwar-
      von Frauen in Europa anhand ausgewählter Indi-            tung bei Geburt hat in den letzten Jahrzehnten
      katoren beschrieben. Für die vergleichende Dar-           sowohl für Frauen als auch für Männer in den
      stellung der 28 EU-Mitgliedstaaten wurde, wenn            28 Mitgliedstaaten der EU nahezu kontinuierlich
      möglich, auf die EU-weit abgestimmten ECHI-               zugenommen [22]. Diese Zunahme spiegelt einen
      Indikatoren zurückgegriffen, ergänzt um Angaben           Rückgang der Sterblichkeit in allen Altersgrup-
      aus der WHO-Euro-Region und Daten der OECD.               pen wider und wird einer Reihe von Faktoren, wie
      Vier Bereiche werden betrachtet: zunächst die             z. B. einer Verbesserung des Lebensstandards, des
      Lebenserwartung und die gesunden Lebensjahre,             Gesundheitsverhaltens, des Bildungsniveaus sowie
      danach die Selbsteinschätzung der Gesundheit. Es          der medizinischen Versorgung zugeschrieben.
      folgen Informationen zu Prävalenzen ausgewählter              Im Jahr 2018 erreichte die mittlere Lebenserwar-
      körperlicher und psychischer Erkrankungen im              tung bei Geburt im Durchschnitt der 28 EU-Mit-
      europäischen Vergleich. Die Auswahl der Erkran-           gliedstaaten 83,6 Jahre bei Frauen und 78,3 Jahre
      kungen und der Indikatoren folgte den Prinzipien          bei Männern. In allen Mitgliedstaaten der EU leben
      weite Verbreitung und hohe Public-Health-Rele-            Frauen länger als Männer, wobei sich die geringsten
      vanz, thematische Vielfalt und Datenverfügbarkeit.        Unterschiede zwischen den Geschlechtern mit 3,1
      Sie wird gestützt durch die Ergebnisse der Studie         Jahren in den Niederlanden, die höchsten mit 9,8
      Global Burden of Disease und lehnt sich an die            Jahren in Litauen finden [23]. Die höchste Lebens-
      Themenauswahl im ersten Teil des Berichtes an             erwartung für Frauen ist mit 86,3 Jahren in Spa-
      (siehe Kapitel 2.1). Die Auswahl bleibt exempla-          nien zu beobachten, die niedrigste mit 78,6 Jahren
      risch.                                                    in Bulgarien (Abb. 10.2.1.1). Deutschland liegt mit

      Abbildung 10.2.1.1
      Mittlere Lebenserwartung von Frauen bei Geburt in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2018
      Datenbasis: Nationale Mortalitätsstatistiken (Eurostat-Datenbank [23])
                     Spanien
                  Frankreich
                       Italien
                      Zypern
                        Malta
                 Luxemburg
                    Finnland
                    Portugal
               Griechenland
                  Slowenien
                  Schweden
                        Irland
                  Österreich
                      Belgien
                         EU28
                Niederlande
                Deutschland
      Vereinigtes Königreich
                  Dänemark
                      Estland
                 Tschechien
                        Polen
                    Kroatien
                    Slowakei
                      Litauen
                     Lettland
                      Ungarn
                  Rumänien
                   Bulgarien
                                 77   78      79     80       81       82      83       84       85        86        87
                                                                                                  Lebenserwartung (Jahre)
Frauengesundheit im europäischen Vergleich          |   Kapitel 10     351

83,3 Jahren im Mittelfeld [23]. In den zehn Jahren            Jahren etwas über dem Wert für Männer mit 63,4
von 2008 bis 2018 ist die Lebenserwartung von                 Jahren. Die höchste Lebenserwartung ohne größere
Frauen in den EU-Mitgliedstaaten um insgesamt                 gesundheitliche Einschränkungen ergibt sich mit
1,3 Jahre gestiegen.                                          73,4 Jahren für Frauen in Malta (Abb. 10.2.1.2). Auch
    Verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen,             in Deutschland liegen die gesunden Lebensjahre für
wie etwa die Anhebung des Renteneintrittsalters,              Frauen mit 66,3 Jahren über dem EU-Durchschnitt.
wie sie von der Europäischen Kommission gefor-                In Lettland sind sie mit 53,7 Jahren am geringsten.
dert wird [24], werfen die Frage auf, ob die dazu-            In den letzten zehn Jahren ist der EU-Durchschnitts-
gewonnenen Lebensjahre in guter Gesundheit ver-               wert für gesunde Lebensjahre bei Frauen um 1,7
bracht werden. Der Indikator „Gesunde Lebens-                 Jahre gestiegen. In den einzelnen Ländern verliefen
jahre“ (Healthy Life Years, HLY) gibt Aufschluss              die Entwicklungen jedoch unterschiedlich. Aufgrund
darüber, wie viele Jahre eine Person erwartungs-              methodischer Änderungen in der Erhebung gesund-
gemäß in guter gesundheitlicher Verfassung leben              heitsbedingter Einschränkungen im Jahr 2015 ist für
wird. Dazu werden die Daten zur Lebenserwar-                  Deutschland kein direkter Vergleich mit Ergebnissen
tung und Befragungsdaten zu Einschränkungen                   aus vorherigen Jahren möglich [25].
im täglichen Leben durch Gesundheitsprobleme
herangezogen. Bei der Interpretation und vor allem
beim internationalen Vergleich dieser Daten ist zu            10.2.2 Subjektive Gesundheit
berücksichtigen, dass die subjektive Einschätzung
des Gesundheitszustandes in verschiedenen Län-                Ein häufig genutzter übergreifender Indikator
dern von kulturellen Aspekten und anderen Rah-                für die Gesundheit ist die subjektive Gesundheit
menbedingungen beeinflusst wird.                              (siehe Kapitel 2.1.2). Er liefert, ergänzend zu dem
    Der EU-Durchschnittswert für gesunde Lebens-              über medizinische Befunde definierten objektiven
jahre bei Geburt lag im Jahr 2018 für Frauen mit 63,8         Gesundheitszustand, wichtige Informationen für

Abbildung 10.2.1.2
Gesunde Lebensjahre bei Frauen in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2018
Datenbasis: EU-SILC und nationale Mortalitätsstatistiken (Eurostat-Datenbank [23])
                  Malta
            Schweden
                  Irland
               Spanien
             Bulgarien
                 Italien
          Deutschland
         Griechenland
            Frankreich
                  Polen
                   EU28
                Belgien
           Tschechien
                Zypern
                Ungarn
Vereinigtes Königreich
           Luxemburg
            Rumänien
            Dänemark
                Litauen
              Kroatien
              Portugal
          Niederlande
            Österreich
              Slowakei
              Finnland
                Estland
            Slowenien
               Lettland
                           0   10      20      30        40         50      60       70      80        90        100
                                                                                                  Gesunde Lebensjahre
352    Kapitel 10     |   Frauengesundheit im europäischen Vergleich

      die Beschreibung der Gesundheit von Personen               8 von 10 Frauen (83,5 %) ihre Gesundheit als gut
      und Bevölkerungsgruppen. Die Befragten machen              oder sehr gut. Frauen in Deutschland liegen mit
      dabei Angaben zur persönlichen Einschätzung                einem Anteil von 63,8 % leicht unter dem europäi-
      ihres Gesundheitszustands. Neben vorhandenen               schen Durchschnitt (Abb. 10.2.2.1).
      Krankheiten und Beschwerden spiegelt die sub-                  Auffällig sind Unterschiede in der altersspezi-
      jektive Gesundheit folglich insbesondere das per-          fischen Verteilung des Indikators (Abb. 10.2.2.2).
      sönliche Wohlbefinden wider [26]. Für nationale            Geben im Durchschnitt 86,6 % der 16- bis
      Auswertungen stehen verschiedene Datenquellen              44-jährigen Frauen in den 28 EU-Mitgliedstaaten
      für Informationen zur subjektiven Gesundheit               an, sich in einem guten oder sehr guten Gesund-
      zur Verfügung. Die im Folgenden verwendeten                heitszustand zu befinden (Deutschland: 83,8 %), so
      Daten aus EU-SILC für Deutschland lassen sich              sinkt der Anteil bei den 45- bis 64-jährigen Frauen
      aufgrund methodischer Unterschiede nicht direkt            auf 65,1 % (Deutschland: 57,9 %) und bei den 65-
      damit vergleichen.                                         bis 74-Jährigen weiter auf 47,9 % (Deutschland:
         Insgesamt schätzen 67,2 % der Frauen und                49,3 %). In der Gruppe der 75-Jährigen und Älteren
      72,3 % der Männer in der EU ihren Gesundheits-             liegt der Wert schließlich bei 29,2 % (Deutschland:
      zustand als gut oder sehr gut ein [23]. Der niedrigste     31,5 %). Dabei muss berücksichtigt werden, dass es
      Anteil an Frauen, die ihren Gesundheitszustand als         sich um eine subjektive Einschätzung handelt, die
      gut oder sehr gut einschätzen, zeigt sich in Litauen       vielfältigen sozialen und kultur- sowie lebensalters-
      und Lettland mit 40,1 % bzw. 39,6 %. Portugal ist der      spezifischen Einflüssen unterliegt, was die interna-
      einzige westeuropäische EU-Staat, in dem weniger           tionale Vergleichbarkeit der Ergebnisse begrenzt [1].
      als die Hälfte der befragten Frauen über eine gute
      oder sehr gute Gesundheit berichten. In Irland, dem
      Land mit dem höchsten Wert, empfinden mehr als

      Abbildung 10.2.2.1
      Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand (gut oder sehr gut) bei Frauen ab 16 Jahren in den
      28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2017
      Datenbasis: EU-SILC (Eurostat-Datenbank [23])
                        Irland
                      Zypern
                  Schweden
                       Italien
                        Malta
      Vereinigtes Königreich
                Niederlande
                     Spanien
               Griechenland
                      Belgien
                 Luxemburg
                  Dänemark
                  Österreich
                    Finnland
                         EU28
                  Rumänien
                  Frankreich
                Deutschland
                    Slowakei
                   Bulgarien
                  Slowenien
                 Tschechien
                    Kroatien
                        Polen
                      Ungarn
                      Estland
                    Portugal
                      Litauen
                     Lettland
                                 0    10      20      30       40       50       60      70        80    90       100
                                                                                                              Anteil (%)
Frauengesundheit im europäischen Vergleich       |   Kapitel 10   353

Abbildung 10.2.2.2                                                 zu [19]. Wenngleich in allen Ländern der WHO-
Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand (gut oder sehr             Euro-Region nicht-übertragbare Erkrankungen das
gut) bei Frauen im Durchschnitt der 28 Mitgliedstaaten
der EU (EU28) und in Deutschland nach Alter, 2017
                                                                   Krankheitsgeschehen dominieren, haben in eini-
Datenbasis: EU-SILC (Eurostat-Datenbank [23])                      gen Staaten (u. a. Nachfolgestaaten der ehemaligen
                                                                   Sowjetunion in Zentralasien) auch Infektionskrank-
     Anteil (%)
90                                                                 heiten noch große Bedeutung, z. B. Durchfall- und
80
                                                                   Atemwegserkrankungen [19, 27]. Darüber hinaus hat
                                                                   die durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2
70                                                                 verursachte Pandemie verdeutlicht, mit welcher
60                                                                 Geschwindigkeit sich Krankheitserreger innerhalb
                                                                   kurzer Zeit weltweit verbreiten können und dass
50                                                                 auch in Europa von Infektionskrankheiten weiterhin
40                                                                 ein erhebliches Gesundheitsrisiko ausgehen kann.
                                                                   Im Folgenden werden exemplarisch Daten zu drei
30
                                                                   der genannten nicht-übertragbaren Krankheiten dar-
20                                                                 gestellt und ein Beispiel aus dem Bereich der Infek-
                                                                   tionskrankheiten (Tuberkulose).
10

                                                                   Herz-Kreislauf-Erkrankungen
        16 − 44         45− 64     65 −75             > 75         Der Oberbegriff der Herz-Kreislauf-Erkrankun-
                                            Altersgruppe (Jahre)
                                                                   gen (kardiovaskuläre Erkrankungen) umfasst die
          Deutschland       EU28
                                                                   Krankheiten des Herzens und der Blutgefäße. In
                                                                   fast allen EU-Mitgliedstaaten sind Herz-Kreislauf-
10.2.3 Körperliche Gesundheit                                      Erkrankungen die häufigste Todesursache für
                                                                   Frauen [23]. Auch in Deutschland stehen Herz-
Einen bedeutenden Teil der Krankheitslast der                      Kreislauf-Erkrankungen für Frauen mit Abstand
Bevölkerung in der WHO-Euro-Region stellen chro-                   an erster Stelle [28]. Dennoch wird das Erkran-
nische körperliche Erkrankungen dar. Das zeigen                    kungsrisiko von Frauen häufig unterschätzt (siehe
auch die Ergebnisse der Studie Global Burden of                    auch Kapitel 2.1.3).
Disease. Gemessen an den in Krankheit verbrachten                     In den EU-Mitgliedstaaten bestehen deutliche
und an den verlorenen Lebensjahren (sogenannte                     West-Ost-Unterschiede in der Herz-Kreislauf-
Disability-Adjusted Live Years, DALYs) zeigt sich,                 bedingten Sterblichkeit von Frauen. Die anhand
dass in der WHO-Euro-Region die ischämischen                       der neuen Europastandardbevölkerung altersstan-
Herzerkrankungen die größte Krankheitslast bei                     dardisierten Sterberaten reichen hier von 157 pro
Frauen aller Altersgruppen verursachen. Diese wer-                 100.000 Einwohnerinnen in Frankreich bis zu 934
den gefolgt von weiteren chronischen körperlichen                  pro 100.000 Einwohnerinnen in Bulgarien (Abb.
Erkrankungen wie Schlaganfall, Rückenschmerzen                     10.2.3.1). Deutschland liegt mit 323 Herz-Kreislauf-
und Kopfschmerzen [27]. Diabetes mellitus steht                    bedingten Todesfällen pro 100.000 Einwohnerin-
an sechster Stelle, Brustkrebs an zehnter Stelle der               nen leicht über dem EU-Durchschnitt (304 pro
Krankheiten mit der größten Krankheitslast für                     100.000 Einwohnerinnen).
Frauen in der WHO-Euro-Region. Betrachtet man                         Seit 2001 ist ein Rückgang der Sterberaten durch
nur die Sterblichkeit, dominieren Herz-Kreislauf-                  Herz-Kreislauf-Krankheiten bei Frauen in allen Mit-
Erkrankungen und Krebserkrankungen als Todes-                      gliedstaaten der EU zu verzeichnen. Der stärkste
ursachen für Frauen [27].                                          Rückgang wurde in Griechenland, Dänemark und
    Die meisten der genannten chronischen Erkran-                  Großbritannien beobachtet. Die geringste Abnahme
kungen treten im höheren Lebensalter häufiger auf.                 zeigt sich in Slowenien, Ungarn, Bulgarien und
Aufgrund besserer Möglichkeiten der Früherken-                     Litauen [23].
nung und Behandlung sowie des steigenden Anteils                      Daten aus EHIS Welle 2 erlauben erstmals eine
älterer Menschen in der Bevölkerung nehmen die                     vergleichende Betrachtung von Herz-Kreislauf-
absoluten Erkrankungszahlen in den letzten Jahren                  Erkrankungen in den 28 Mitgliedstaaten der EU [23].
354    Kapitel 10     |   Frauengesundheit im europäischen Vergleich

      Abbildung 10.2.3.1
      Altersstandardisierte Sterblichkeit durch Krankheiten des Kreislaufsystems bei Frauen in den 28 Mitgliedstaaten
      der EU (EU28), 2016 (neue Europastandardbevölkerung)
      Datenbasis: Nationale Mortalitätsstatistiken (Eurostat-Datenbank [23])
                   Bulgarien
                  Rumänien
                      Litauen
                     Lettland
                      Ungarn
                    Kroatien
                    Slowakei
                      Estland
                 Tschechien
                        Polen
                  Slowenien
                  Österreich
                Deutschland
               Griechenland
                         EU28
                        Malta
                      Zypern
                    Finnland
                  Schweden
                    Portugal
                       Italien
                        Irland
                 Luxemburg
                Niederlande
                      Belgien
      Vereinigtes Königreich
                  Dänemark
                     Spanien
                  Frankreich
                                 0   100     200    300        400     500     600      700      800        900      1.000
                                                                                                pro 100.000 Einwohnerinnen

      Hier geben im europäischen Durchschnitt 1,1 % der          Krebserkrankungen
      Frauen an, in den letzten zwölf Monaten einen Herz-        Krebserkrankungen sind die zweithäufigste Todes-
      infarkt erlitten zu haben oder von chronischen Folgen      ursache für Frauen in der EU. Laut Eurostat ent-
      eines Infarkts betroffen zu sein (Deutschland: 0,9 %).     fiel im Jahr 2016 fast ein Viertel aller Todesfälle
      Der Anteil derer, die eine koronare Herzerkrankung         bei Frauen auf bösartige Neubildungen (22,9 %)
      oder Angina pectoris berichten, liegt mit 3,1 % in         [23]. 590.543 Frauen starben an Krebserkrankun-
      Deutschland leicht unter dem Durchschnitt der              gen. Dabei sind die altersstandardisierten Sterbe-
      EU-Mitgliedstaaten (3,4 %). Über dem Durchschnitt          raten für Frauen deutlich niedriger als für Männer
      findet sich Deutschland hinsichtlich des Anteils der       (200,5/100.000 bzw. 343,3/100.000). Erklärt wird
      Frauen, bei denen nach eigenen Angaben ein hoher           dies mit der stärkeren Verbreitung von Krebsrisi-
      Blutdruck besteht (EU28: 22,3 % bzw. Deutsch-              kofaktoren bei Männern, z. B. Rauchen und Alko-
      land: 27,9 %) und die von einem Schlaganfall oder          holkonsum (siehe auch Kapitel 2.2.4, 2.2.5) [29].
      dessen chronischen Folgen berichten (EU28: 1,3 %               In den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sind
      bzw. Deutschland: 1,5 %). Aufgrund unterschied­            die altersstandardisierten Krebssterberaten bei
      licher Altersgruppen und Gewichtung lassen sich            Frauen sehr unterschiedlich. Sie reichen von
      diese Ergebnisse nicht direkt mit Ergebnissen              155,8 Krebstodesfällen je 100.000 Einwohnerin-
      aus nationalen Berichten auf Basis der Daten aus           nen in Spanien bis zu 269,3/100.000 in Ungarn
      EHIS Welle 2 vergleichen. Da die Gesundheits­              [14]. Deutschland liegt mit 207,7/100.000 nahe
      berichterstattung (GBE) in Deutschland üblicher-           am EU-Durchschnitt (siehe auch Kapitel 2.1.4).
      weise andere Indikatoren verwendet, um Herz-               Die Überlebensraten von Krebspatientinnen
      Kreislauf-Erkrankungen abzubilden, sind Verglei-           (und -patienten) sind in den EU-Ländern aller-
      che mit Daten aus anderen GBE-Publikationen                dings heute höher denn je. Das wird auf die breite
      nur eingeschränkt möglich.                                 Umsetzung von Früherkennungsprogrammen
Frauengesundheit im europäischen Vergleich         |   Kapitel 10     355

und verbesserte Behandlungsmethoden zurück-                             Parallel zum Absinken der Sterberaten stieg die
geführt [29].                                                        Neuerkrankungsrate von Brustkrebs in der EU.
    Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung                     Über 400.000 neue Fälle werden in den EU-Mit-
bei Frauen in der EU und die häufigste Krebsto-                      gliedstaaten jedes Jahr diagnostiziert [29]. Abbil-
desursache. 16,2 % aller Todesfälle durch Krebs bei                  dung 10.2.3.2 zeigt, dass die altersstandardisierte
Frauen entfielen im Jahr 2016 auf Brustkrebs [23].                   Neuerkrankungsrate in nordwestlich gelegenen
Geschätzt wird, dass fast 96.000 Frauen in der EU                    Ländern – Belgien (199,8), Luxemburg (189,5), Nie-
an Brustkrebs verstarben. Der Mittelwert der Brust-                  derlande (183,0) – oftmals höher liegt als in den
krebssterblichkeit in den Mitgliedstaaten der EU                     südöstlichen/östlichen Ländern (Rumänien, Polen,
liegt bei 32,9/100.000 (Abb. 10.2.3.2). Für einige                   Bulgarien) mit einer Neuerkrankungsrate von unter
Mitgliedsländer wurden etwas höhere Raten ermit-                     100/100.000 Einwohnerinnen. Deutschland liegt
telt: 40,4/100.000 in Kroatien und 40,3/100.000 in                   mit 150,4/100.000 nahe am EU-Durchschnitt.
Irland (Deutschland: 36,5/100.000). Gemeinsam                           Diese beiden parallelen Entwicklungen deuten
ist den Ländern der EU, dass die Sterberaten an                      auf eine Erhöhung der Überlebensraten aufgrund
Brustkrebs in den letzten zehn Jahren zurückge-                      von früherer Diagnose und besserer Behandlung
gangen sind oder sich stabilisiert haben [29]. Eine                  hin [29]. Auswertungen von Registerdaten belegen
Ausnahme bildet Kroatien, wo die Sterblichkeitsrate                  dies für 29 europäische Länder [30] und weltweit [31].
bei Brustkrebs seit dem Jahr 2000 gestiegen ist.                     Nach Daten der OECD haben alle westeuropäischen
Kroatien weist aktuell die höchste Sterblichkeitsrate                Länder eine 5-Jahres-Überlebensrate bei Brustkrebs
aller EU-Länder auf.                                                 von mindestens 80 % erreicht. In mehreren zentral
                                                                     und östlich gelegenen Ländern überleben weniger

Abbildung 10.2.3.2
Altersstandardisierte Neuerkrankungsraten (Schätzungen für 2018) und Sterberaten (2016) an Brustkrebs in den
28 Mitgliedstaaten der EU (EU28) (neue Europastandardbevölkerung)
Datenbasis: Neuerkrankungsraten: ECIS [14]; Sterberaten: Nationale Mortalitätsstatistiken (Eurostat-Datenbank [23])

                Belgien
           Luxemburg
          Niederlande
            Frankreich
Vereinigtes Königreich
            Schweden
                 Italien
                  Malta
              Finnland
                  Irland
            Dänemark
          Deutschland
                Ungarn
                   EU28
                Zypern
           Tschechien
               Spanien
            Österreich
         Griechenland
              Kroatien
            Slowenien
              Portugal
               Lettland
              Slowakei
                Estland
                Litauen
             Bulgarien
                  Polen
            Rumänien
                           0          20     40      60         80         100      120     140      160        180      200
                               Sterbefälle                                                          je 100.000 Einwohnerinnen
                                             Neuerkrankungen
                               Sterbefälle   Neuerkrankungen
356    Kapitel 10   |   Frauengesundheit im europäischen Vergleich

      Frauen, obwohl die Überlebensraten auch dort in          for Research on Cancer (IARC) handelt. Nationale
      den letzten Jahren angestiegen sind [29].                Schätzungen können abweichen. Außerdem kann
         Mit Blick auf alle Krebstodesfälle bei Frauen steht   es Unterschiede durch die Altersstandardisierung
      Lungenkrebs an zweiter Stelle in der EU (15,3 % aller    geben, Eurostat verwendet für Sterberaten die soge-
      Krebstodesfälle) [23]. In den letzten zehn Jahren ist    nannte neue Europastandardbevölkerung (ESP).
      die Mortalität durch Lungenkrebs bei Frauen in den
      EU-Mitgliedstaaten um 18 % gestiegen (altersstan-        Diabetes mellitus
      dardisierte Raten, 2006 – 2016). Hinsichtlich der        Sowohl in Deutschland als auch in der EU ist Dia-
      Neuerkrankungen bei Frauen steht Lungenkrebs             betes mellitus eine der häufigsten Stoffwechsel­
      in der EU derzeit an dritter Stelle der häufigsten       erkrankungen, ein weiterer Anstieg der Krankheits-
      Diagnosen mit 9,6 % aller Fälle [14].                    last wird weltweit erwartet (siehe Kapitel 2.1.5). Im
         In Deutschland herrscht die gleiche Reihenfolge:      EHIS wurde das Vorliegen einer Diabetes-Erkran-
      Bei den Todesfällen steht Lungenkrebs an zweiter         kung (außer Schwangerschaftsdiabetes) in den
      Stelle (nach Brustkrebs), bei den Neuerkrankun-          zwölf Monaten vor der Befragung erhoben. Im
      gen an dritter Stelle (nach Brust- und Darmkrebs).       Durchschnitt ergibt sich für die 28 EU-Mitgliedstaa-
      Die höchsten Neuerkrankungs- und Sterberaten an          ten eine Diabetesprävalenz von 6,8 % für Frauen
      Lungenkrebs finden sich bei Frauen in Dänemark           und 7,1 % für Männer (jeweils ab 15 Jahren) (Abb.
      und Ungarn. Hauptrisikofaktor für Lungenkrebs ist        10.2.3.3).
      der Tabakkonsum (siehe Kapitel 2.1.4). Das Erkran-          Erwartungsgemäß zeigt sich ein starker Anstieg
      kungsrisiko wird aber auch von anderen Umwelt-           der Häufigkeit von Diabetes mellitus mit zuneh-
      faktoren beeinflusst, wie z. B. der Luftverschmut-       mendem Alter. Die Prävalenz des selbstberich-
      zung in Innenräumen [19].                                teten Diabetes bei Frauen variiert im Vergleich
         An zweiter Stelle der häufigsten Krebsneu­            der EU-Mitgliedstaaten in der Gruppe der 15- bis
      erkrankungen bei Frauen in der EU steht Darm-            64-Jährigen zwischen 2,1 % in Schweden und
      krebs mit 12,0 %. Frauenspezifische Krebsarten, wie      8,2 % in Frankreich. Deutschland liegt mit einer
      Gebärmutterkörperkrebs (5,7 %), Eierstockkrebs           12-Monats-Prävalenz von 2,7 % in dieser Alters-
      (3,2 %) und Gebärmutterhalskrebs (2,4%) folgen           gruppe unter dem EU-Durchschnitt von 3,7 %. Bei
      an vierter, achter bzw. zwölfter Stelle. Insgesamt       den 65-jährigen und älteren Frauen beträgt die Prä-
      liegen die geschätzten Neuerkrankungsraten an            valenz im Durchschnitt 16,6 %. Frauen in Griechen-
      Krebs in den nördlichen EU-Ländern (Dänemark,            land (24,5 %) und der Slowakei (22,9 %) weisen
      Irland, Belgien, Vereinigtes Königreich, Nieder-         in dieser Altersgruppe die höchsten Prävalenzen
      lande) und in Ungarn mehr als 10 % über dem EU-          auf, Deutschland befindet sich mit 17,3 % knapp
      Durchschnitt von 484,6 Fällen/100.000 Einwohne-          über dem EU-Durchschnitt. Die niedrigsten Prä-
      rinnen (Deutschland: 504,6 Fälle/100.000 Einwoh-         valenzen werden aus Schweden (10,5 %) und Däne-
      nerinnen). In Ost- und Südosteuropa, aber auch           mark (9,5 %) berichtet. Aufgrund unterschiedlicher
      in Portugal und Spanien liegen sie darunter [14].        Altersgruppen und Gewichtung lassen sich diese
         Die berichteten Unterschiede in den Inzidenz­         Ergebnisse jedoch nicht direkt mit Ergebnissen aus
      raten einzelner Länder (wie auch Schwankungen            nationalen Berichten auf Basis der Daten aus EHIS
      im zeitlichen Verlauf) spiegeln nicht nur Unter-         Welle 2 vergleichen.
      schiede in der tatsächlichen Anzahl von neu auf-            Die Abweichungen zwischen den EU-Mitglied-
      tretenden Krebserkrankungen wider. Sie sollten           staaten können zum einen auf landesspezifische
      auch vor dem Hintergrund von Unterschieden               Unterschiede hinsichtlich verschiedener sozio­
      und Veränderungen in den nationalen Politikan-           demografischer und Lebensstilfaktoren zurückge-
      sätzen bzgl. der Krebsfrüherkennung sowie Unter-         führt werden, die als Risikofaktoren für Diabetes
      schieden bei der Qualität der Krebsüberwachung           gelten. Darüber hinaus bestehen Unterschiede in
      und -berichterstattung interpretiert werden [29].        der Gesundheitsversorgung und damit möglicher-
      Abweichungen zu den in der nationalen GBE dar-           weise auch in der Diagnosehäufigkeit, da Arztkon-
      gestellten Neuerkrankungs- und Sterberaten ent-          sultationen und routinemäßige Untersuchungen
      stehen u. a. dadurch, dass es sich bei den ECIS-         des Blutzuckers in den einzelnen Ländern unter-
      Daten um Schätzungen der International Agency            schiedlich häufig durchgeführt werden.
Frauengesundheit im europäischen Vergleich        |   Kapitel 10        357

Abbildung 10.2.3.3
12-Monats-Prävalenz des bekannten Diabetes mellitus (ohne Schwangerschaftsdiabetes) bei Frauen ab 15 Jahren in
den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2014
Datenbasis: EHIS Welle 2 [23]

            Frankreich
         Griechenland
              Portugal
                Ungarn
           Tschechien
                  Malta
             Bulgarien
              Slowakei
              Kroatien
                  Polen
                   EU28
                 Italien
          Deutschland
               Spanien
            Slowenien
              Finnland
                Estland
               Lettland
            Rumänien
                Litauen
                Belgien
                Zypern
Vereinigtes Königreich
          Niederlande
            Österreich
           Luxemburg
            Schweden
            Dänemark
                  Irland
                           0   1     2       3       4       5       6       7       8       9         10          11
                                                                                                            Anteil (%)

    Neben den Altersunterschieden zeigen sich in          (Verhaltens­prävention) die gesundheitsförderliche
allen EU-Mitgliedstaaten erhebliche Variationen           Gestaltung von Lebenswelten noch stärker in den
nach dem Bildungsgrad der Frauen. So ist in der           Vordergrund rücken (Verhältnisprävention). Durch
unteren Bildungsgruppe durchgängig eine höhere            die Schaffung gesundheitsförderlicher Rahmen­
Diabetesprävalenz zu beobachten als in der mitt-          bedingungen können alle Bildungsgruppen erreicht
leren und oberen Bildungsgruppe [23]. Solche Bil-         werden [34]. Der Setting-Ansatz zur Verhältnisprä-
dungsunterschiede im Auftreten von Diabetes mel-          vention in Lebenswelten wurde mit dem 2015 in
litus werden mittlerweile durch zahlreiche sozial-        Kraft getretenen Gesetz zur Stärkung der Gesund-
epidemiologische Studien belegt [32, 33, 34] und          heitsförderung und der Prävention (Präventions­
weisen auf einen verstärkten Bedarf an Aufklärung         gesetz, PrävG) in Deutschland deutlich gestärkt.
und Präventions-, Früherkennungs- und Versor-
gungsmaßnahmen in bestimmten Bevölkerungs-                Tuberkulose
gruppen hin.                                              Die Tuberkulose ist eine der fünf häufigsten Todes-
    Hohe Diabetesprävalenzen und gleichzeitig die         ursachen für Frauen zwischen 20 und 59 Jahren
größten Differenzen zwischen Frauen der unteren           weltweit [35]. Es wird geschätzt, dass im Jahr 2017
und oberen Bildungsgruppe lassen sich in Griechen-        etwa 3,2 Millionen Frauen an Tuberkulose erkrankt
land (16,9 % bzw. 3,5 %), Tschechien (16,7 % bzw.         sind [36]. Betrachtet man die WHO-Euro-Region, so
2,7 %) und der Slowakei (15,4 % bzw. 2,0 %) beob-         haben Infektionskrankheiten insgesamt und auch
achten. In Deutschland liegt der Unterschied bei          die Tuberkulose eine geringere Bedeutung. Nur
8,1 Prozentpunkten. Um das Ausmaß der gesund-             etwa 3 % der weltweiten Tuberkulose-Fälle entfal-
heitlichen Ungleichheit beim Diabetesrisiko nach-         len auf die WHO-Euro-Region [36], wobei es große
haltig zu verringern, sollte neben bereits laufenden      Unterschiede innerhalb der Länder gibt. So zeigen
Präventionsstrategien für eine gesunde Lebensweise        die Daten der Studie Global Burden of Disease, dass
358    Kapitel 10     |   Frauengesundheit im europäischen Vergleich

      Abbildung 10.2.3.4
      Neuerkrankungen an Tuberkulose bei Frauen ab 15 Jahren in 30 Staaten der EU/EEA*
      (Fälle je 100.000 Einwohnerinnen), 2017
      Datenbasis: TESSy [37]

                  Rumänien
                      Litauen
                     Lettland
                   Bulgarien
                    Portugal
                        Polen
                      Estland
                     EU/EEA
                     Spanien
                        Malta
      Vereinigtes Königreich
                    Kroatien
                  Frankreich
                      Belgien
                  Österreich
                      Ungarn
                        Irland
                Deutschland
                       Italien
                 Luxemburg
                  Slowenien
                  Schweden
                 Tschechien
                  Norwegen
                      Zypern
                Niederlande
                  Dänemark
                    Finnland
                    Slowakei
               Griechenland
                       Island
                                 0         5          10   15   20     25      30        35          40         45       50
                                 *European Economic Area                                      Fälle je 100.000 Einwohnerinnen

      der Anteil der Atemwegserkrankungen und Tuber-             Frauen laut ECDC-Report bei 4,8/100.000. Generell
      kulose an der gesamten Krankheitslast bei Frauen           ist ein langjähriger Abwärtstrend der Häufigkeit von
      in einigen Ländern in Zentralasien zwischen 8 %            Tuberkulose in Europa zu verzeichnen [37].
      und 14 % liegt, im Rest Europas hingegen zwischen              Ob die eingedrungenen Tuberkulose-Bakterien
      1 % und 2 % [27].                                          vom Immunsystem erkannt und abgetötet werden
          Tuberkulose gehört zu den meldepflichtigen             oder eine Erkrankung an Tuberkulose auslösen,
      Infektionskrankheiten in Europa. Erkrankungs-              wird von zahlreichen Faktoren bestimmt [38]. Zu
      fälle, die in der EU und den EEA-Staaten (Euro-            diesen gehört z. B. das Alter zum Zeitpunkt der
      pean Economic Area) auftreten, werden an das               Infektion oder eine geschwächte Abwehrlage [39].
      ECDC gemeldet und im europäischen Überwa-                  Auch das Geschlecht spielt bei Erwachsenen eine
      chungssystem TESSy erfasst. Im Jahr 2017 sind in           Rolle. So unterscheiden sich Frauen und Männer
      Europa schätzungsweise 21.000 Frauen (und mehr             hinsichtlich der Inzidenz und Prävalenz von Tuber-
      als 34.000 Männer) neu an Tuberkulose erkrankt             kulose, aber auch bei den Krankheitsverläufen und
      (30 Länder). Rumänien ist am stärksten betroffen:          bei den Sterberaten [40]. Die Gründe für die unter-
      22 % der Neuerkrankungsfälle von Frauen wurden             schiedliche Empfänglichkeit von Frauen und Män-
      aus Rumänien gemeldet. Im Durchschnitt gab es              nern für diese Erkrankung sind noch nicht abschlie-
      in Europa 8,0 Neuerkrankungen bei Frauen pro               ßend geklärt. Die biologischen Merkmale haben
      100.000 Einwohnerinnen im Jahr 2017. Die län-              außerdem Einfluss auf die Genauigkeit der Dia-
      derspezifischen Neuerkrankungsraten reichten von           gnostik (Sputum-Mikroskopie), sodass die Tuber-
      3,0/100.000 in Island bis 45,3/100.000 in Rumä-            kulose bei Frauen in manchen Ländern unterdiag-
      nien (Abb. 10.2.3.4). Für Deutschland lag die Rate für     nostiziert wird [40].
Frauengesundheit im europäischen Vergleich       |   Kapitel 10   359

    Tuberkulose ist eine Krankheit, die hauptsäch-     10.2.4 Psychische Gesundheit
lich in Ländern mit niedrigem und mittlerem Ein-
kommen auftritt. Neben biologischen Faktoren           Neben der körperlichen Gesundheit werden Wohl-
können sozioökonomische und kulturelle Fakto-          befinden, Lebensqualität und Leistungsfähigkeit
ren für die beobachteten Geschlechterunterschiede      auch wesentlich von der psychischen Gesundheit
verantwortlich sein [41]. Aufgrund ihrer sozialen      beeinflusst (siehe Kapitel 2.1.7). Psychische Stö-
Rolle gelten Frauen als weniger stark gefährdet        rungen erhalten heute in vielen Ländern verstärkt
für eine Ansteckung. Sie verbringen weniger Zeit       Aufmerksamkeit. In der Europäischen Region der
außer Haus als Männer, haben weniger soziale           WHO wird eine Zunahme und erhebliche Belas-
Kon­takte und weniger beruf­liche Risikofaktoren       tung durch psychische Störungen und Beeinträch-
(z. B. arbeiten mehr Männer im Bergbau) [42].          tigen bei Frauen aller Altersgruppen berichtet [19].
Allerdings unterscheiden sich soziale Kontakte         Unter den zehn Erkrankungen mit der größten
und berufliches Risiko zwischen den Kulturen           Krankheitslast bei Frauen aller Altersgruppen
erheblich und erklären nicht ausreichend, warum        in der WHO-Euro-Region sind zwei psychische
weltweit weniger Frauen als Männer mit Tuber-          Erkrankungen: die Alzheimer-Krankheit und die
kulose gemeldet werden. Darüber hinaus gibt es         Depression [27]. Länderspezifische Unterschiede
Risikofaktoren, denen Frauen verstärkt ausge-          in der erfassten Krankheitslast aufgrund psychi-
setzt sind. Dazu zählt die Luftverunreinigung in       scher Erkrankungen können vor allem auf Fakto-
Innenräumen durch die in einigen Ländern weit          ren wie Unterschiede in den Versorgungsstruktu-
verbreitete Verwendung fester Brennstoffe zum          ren, in der Erfassung und in der Bericht­erstattung
Kochen. Der Konsum von Alkohol und das Rau-            im Bereich der psychischen Gesundheit zurück-
chen wurden ebenfalls als Risikofaktoren für die       geführt werden [19, 47].
Entwicklung einer Tuberkulose-Infektion, -Erkran-         EHIS Welle 2 ermöglicht es, aktuelle Daten zu
kung und -Sterblichkeit ermittelt [43]. So erhöht      Depressionen für Deutschland im EU-Vergleich
Tabakrauchen das Risiko einer Tuberkulose um           darzustellen. Die Teilnehmenden ab 15 Jahren wur-
das Zwei- bis Dreifache. Schädlicher Alkoholkon-       den u. a. gefragt, ob eine Ärztin oder ein Arzt in den
sum erhöht das Tuberkulose-Risiko um das Drei-         letzten zwölf Monaten eine Depression bei ihnen
fache und ist auch ein starker Risikofaktor für eine   diagnostiziert hat. Die durchschnittliche Häufigkeit
schlechte Einhaltung der Tuberkulose-Behandlung        einer selbstberichteten Depressionsdiagnose liegt
[44]. Da Tabak- und Alkoholkonsum bei Frauen           in den EU-Mitgliedstaaten demnach bei Frauen mit
und Männern unterschiedlich ausfallen (siehe           8,8 % höher als bei Männern (5,3 %). Der Befund,
Kapitel 2.2.4, 2.2.5), können diese Risikofakto-       dass Depressionen bei Frauen deutlich häufiger
ren auch zu den beobachteten Geschlechterun-           diagnostiziert werden als bei Männern, ist interna­
terschieden bei Tuberkulose beitragen.                 tional zu beobachten [48]. Als Erklärungsansätze für
    Einige Studien deuten darauf hin, dass das         Geschlechterunterschiede im Auftreten psychischer
Fortschreiten der Krankheit und die Tuberkulose        Erkrankungen werden biologische, psychische
bedingte Sterblichkeit bei Frauen in ihren Fort-       und soziale Aspekte diskutiert; darüber hinaus gibt
pflanzungsjahren höher sind. Die Schwangerschaft       es Hinweise auf Unterschiede in der ärztlichen
erhöht das Risiko der Reaktivierung einer latenten     Diagnosestellung [49–52] (siehe Kapitel 2.1.7).
Tuberkulose-Infektion und die Entwicklung der             Abbildung 10.2.4.1 gibt einen Überblick über die
aktiven Krankheit und könnte somit zur erhöhten        großen Unterschiede zwischen EU-Mitgliedstaaten
Anfälligkeit von Frauen in diesen Lebensjahren bei-    bzgl. des Anteils von Frauen, bei denen eine Depres-
tragen [45, 46]. Vor dem Hintergrund der Gefahr        sion diagnostiziert wurde. Die höchsten Prävalenzen
wachsender Arzneimittelresistenzen bei Tuberku-        zeigen sich in Portugal (17,2 %), Irland (13,4 %) und
lose müssen geschlechtssensitive Präventionsmaß-       Deutschland (12,1 %), die niedrigsten in Tschechien
nahmen verstärkt werden, die die unterschiedli-        (4,6 %), Bulgarien (4,2 %) und Rumänien (2,0 %).
chen körperlichen, sozioökonomischen, kulturellen      Aufgrund unterschiedlicher Altersgruppen und
und Umweltfaktoren berücksichtigen.                    Gewichtung lassen sich diese Ergebnisse nicht direkt
                                                       mit Ergebnissen aus nationalen Berichten auf Basis
                                                       der Daten aus EHIS Welle 2 vergleichen.
360    Kapitel 10     |   Frauengesundheit im europäischen Vergleich

      Abbildung 10.2.4.1
      12-Monats-Prävalenz der selbstberichteten ärztlich diagnostizierten Depression bei Frauen ab 15 Jahren in den
      28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2014
      Datenbasis: EHIS Welle 2 [23]
                    Portugal
                        Irland
                Deutschland
                  Schweden
                    Finnland
                     Lettland
                     Spanien
                 Luxemburg
                  Slowenien
      Vereinigtes Königreich
                  Österreich
                  Dänemark
                Niederlande
                         EU28
                      Belgien
                  Frankreich
                       Italien
                      Ungarn
                        Malta
                    Kroatien
                      Litauen
               Griechenland
                        Polen
                      Estland
                    Slowakei
                      Zypern
                 Tschechien
                   Bulgarien
                  Rumänien
                                 0    2       4        6        8         10      12       14       16       18         20
                                                                                                                  Anteil (%)

          Laut WHO spielen Depressionen vor allem für               10.3 Gesundheitsverhalten
      die Gesundheit älterer Frauen in der WHO-Euro-
      Region eine zunehmende Rolle [19]. Die EHIS-                  10.3.1 Körperliche Aktivität
      Daten aus Welle 2 weisen diesbezüglich jedoch
      kein einheitliches Bild auf. Während der Anteil im            Körperliche Inaktivität erhöht das Risiko für nicht-
      EU-Durchschnitt mit dem Alter steigt (6,3 % bei               übertragbare Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-
      den 15- bis 44-Jährigen und 11,1 % bei den 65-Jähri-          Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 sowie
      gen und Älteren), lässt sich dieses Muster nicht in           bestimmte Krebserkrankungen und reduziert die
      allen Mitgliedstaaten beobachten. So lag in 15 Län-           Lebenserwartung und die Lebensqualität [53]. Vor
      dern die höchste Prävalenz bei den 65-Jährigen und            dem Hintergrund der weiten Verbreitung einer
      Älteren, in neun Ländern (inkl. Deutschland) bei              inaktiven Lebensweise hat körperliche Aktivität
      den 45- bis 64-Jährigen und in Dänemark, Finnland             daher eine wichtige Bedeutung bei der Aufrecht­
      und Schweden sogar bei den 15- bis 44-jährigen                erhaltung von Gesundheit und Wohlbefinden
      Frauen [23]. In fast allen EU-Mitgliedstaaten, mit            (siehe Kapitel 2.2.1). Aufgrund der erheblichen
      Ausnahme von Luxemburg und Finnland, waren                    Relevanz körperlicher Inaktivität für die Krank-
      die höchsten Anteile bei Frauen aus der unteren               heitsentstehung hat die WHO im „Global Action
      Bildungsgruppe zu finden.                                     Plan for the Prevention and Control of Non-Com-
                                                                    municable-Diseases 2013 – 2020“ als Ziel festge-
                                                                    legt, die Prävalenz unzureichender körperlicher
                                                                    Aktivität bis zum Jahr 2025 um 10 % zu verringern
                                                                    [54]. Vor diesem Hintergrund wurde die Strategie
                                                                    der Europäischen Region der WHO zur Bewe-
                                                                    gungsförderung (2016 – 2025) entwickelt, die zum
Frauengesundheit im europäischen Vergleich         |   Kapitel 10        361

Ziel hat, alle Formen der Bewegung im gesamten            (Abb. 10.3.1.1). Der Anteil liegt für Deutschland bei
Lebensverlauf zu fördern [55].                            21,7 % und damit mehr als doppelt so hoch wie
   Bewegungsformen, die als gesundheitswirk-              im europäischen Durchschnitt. Aufgrund unter-
same körperliche Aktivität gelten, sollten zumin-         schiedlicher Altersgruppen und Gewichtung las-
dest eine mittlere Intensität aufweisen, wie z. B.        sen sich diese Ergebnisse nicht direkt mit Ergeb-
Joggen, Schwimmen, zügiges Spazierengehen,                nissen aus nationalen Berichten auf Basis der
Gartenarbeit oder das Toben mit Kindern [56].             Daten aus EHIS Welle 2 vergleichen. In fast allen
Viele Formen körperlicher Aktivität, z. B. auch           Ländern nimmt die Ausübung gesundheitsför-
transportbezogene Aktivität wie Fahrradfahren             derlicher körperlicher Aktivität mit dem Alter ab.
und arbeitsbezogene Aktivität (berufliche und             Lediglich für Österreich, Frankreich und Deutsch-
außerberufliche Tätigkeiten), können gesundheits-         land zeigen die Daten bei den 45- bis 64-Jährigen
wirksam sein [57, 58] (siehe Kapitel 2.2.1).              höhere Anteile als bei den jüngeren Frauen [23].
   Eurostat verwendet für den Indikator „Gesund-          Am wenigsten körperlich aktiv sind in allen Län-
heitsfördernde körperliche Betätigung“ den Anteil         dern Frauen ab 65 Jahren.
derer, die mindestens einmal pro Woche Ausdauer­             In allen Ländern (außer Litauen) berichten
aktivität und Muskelkräftigungsaktivität betreiben.       Frauen der oberen Bildungsgruppe häufiger,
Im Durchschnitt der 28 EU-Mitgliedstaaten berich-         gesundheitsförderlich aktiv zu sein als Frauen aus
ten dies 10,1 % der Frauen und 15,3 % der Männer          den anderen Gruppen. Bildung hat einen Einfluss
ab dem Alter von 15 Jahren. Auffällig sind hier die       auf viele Aspekte von Gesundheit und Gesund-
großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaa-            heitsverhalten, u. a. durch Wissen und Hand-
ten. So beträgt der Anteil von Frauen mit wöchent-        lungskompetenzen, die mit dem Bildungsniveau
licher gesundheitsförderlicher Aktivität in Rumä-         verbunden sind. Sie können eine gesundheitsför-
nien gerade einmal 0,2 %, während in Schweden             derliche Lebensweise und den Umgang mit Belas-
fast ein Drittel aller Frauen körperlich aktiv sind       tungen und Gesundheitsproblemen unterstützen.
Abbildung 10.3.1.1
Anteil von Frauen ab 15 Jahren in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), die mindestens einmal wöchentlich gesund-
heitsförderliche körperliche Aktivität betreiben, 2014
Datenbasis: EHIS Welle 2 [23]

            Schweden
            Dänemark
              Finnland
          Deutschland
            Österreich
            Slowenien
           Luxemburg
Vereinigtes Königreich
                  Irland
                   EU28
                Ungarn
              Slowakei
               Spanien
               Lettland
            Frankreich
           Tschechien
                 Italien
         Griechenland
                Litauen
              Portugal
                Zypern
                Estland
             Bulgarien
              Kroatien
                  Polen
                  Malta
            Rumänien
                           0   5       10      15       20       25       30       35       40          45         50
                                                                                                             Anteil (%)
362    Kapitel 10   |   Frauengesundheit im europäischen Vergleich

      Darüber hinaus gibt es einen Zusammenhang              bei der Betrachtung der nachfolgenden Ergebnisse
      zwischen formalen Bildungsabschlüssen und              zu berücksichtigen ist [61].
      der Stellung in der Arbeitswelt (berufsbezogene            Die Ergebnisse aus EHIS Welle 2 liefern ver-
      Belastungen und Ressourcen) sowie zur Einkom-          gleichbare Daten für die EU zu Übergewicht und
      menssituation [26].                                    Adipositas. Sie basieren auf dem aus Selbstangaben
          Das im Durchschnitt – und in einigen Ländern       errechneten BMI, der entsprechend der WHO-Klas-
      sehr – geringe Niveau gesundheitsförderlicher kör-     sifikation eingeordnet wird. Nach diesen Berech-
      perlichen Aktivität von Frauen sollte auch mit Blick   nungen waren zum Zeitpunkt der Befragung 43,7 %
      auf den Indikator interpretiert werden. Der Fokus      der Frauen (ab 15 Jahren) in den EU-Mitgliedstaa-
      liegt hier eher auf sportlichen Aktivitäten in der     ten von Übergewicht (inkl. Adipositas) betroffen.
      Freizeit. Im EHIS werden darüber hinaus arbeits­       Mit 57,3 % ist der Anteil der Männer mit Überge-
      bezogene und transportbezogene körperliche Akti-       wicht (inkl. Adipositas) erheblich höher [23]. Adi-
      vitäten abgefragt. Auch hier liegen die Länderergeb-   positas tritt hingegen bei Frauen (15,3 %) und Män-
      nisse zum Teil weit auseinander. Die EHIS-Daten        nern (15,6 %) in der EU etwa gleich häufig auf. Im
      zeigen, dass mäßig anstrengende oder schwere           internationalen Vergleich zeigt sich für Frauen die
      Tätigkeiten bei der Arbeit deutlich häufiger von       höchste Prävalenz für Übergewicht (inkl. Adiposi-
      Frauen der unteren und mittleren Bildungsgruppe        tas) wie auch für Adipositas in Malta (53,9 % bzw.
      ausgeübt werden [23, 59].                              23,2 %). Mit 35,4 % war der Gesamtanteil von Frauen
                                                             mit einem zu hohen BMI in Italien am geringsten
                                                             (Abb. 10.3.2.1). Der Gesamtwert für Deutschland –
      10.3.2 Übergewicht und Adipositas                      43,2 % Frauen mit Übergewicht (inkl. Adipositas) –
                                                             liegt nur leicht unter dem EU-Durchschnitt (43,7 %).
      Der zunehmende Anteil übergewichtiger Men-                 Für die Entwicklung der Übergewichts- bzw.
      schen ist von großer Relevanz für Public Health        Adipositasprävalenz bei Frauen und Männern in
      in Deutschland, der EU und Europa, aber auch           den EU-Mitgliedstaaten liegen aktuell keine ver-
      weltweit [1, 60]. Die stärkste Ausprägung von          gleichbaren Zahlen über mehrere Zeitpunkte
      Übergewicht wird als Adipositas bezeichnet.            vor. Für Deutschland zeigen Ergebnisse aus dem
      Besonders Adipositas gilt als Risikofaktor für         Mikrozensus auf der Basis von Selbstangaben zu
      zahlreiche Gesundheitsstörungen und Krankhei-          Körpergröße und -gewicht jedoch eine deutliche
      ten wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-       Zunahme vor allem in der Prävalenz von Adiposi-
      und bestimmte Krebserkrankungen [61]. Folglich         tas bei erwachsenen Frauen (3,6 Prozentpunkte in
      führt sie zu erheblichen Belastungen nicht nur         der Zeit von 1999 bis 2017) [63]. Die Adipositasprä-
      für betroffene Personen, sondern auch für das          valenzen variieren zudem nach sozialen Merkma-
      Gesundheitssystem. Übergewicht und Adiposi-            len: Bei Frauen der unteren Bildungsgruppe liegt
      tas können anhand des Body Mass Index (BMI)            häufiger eine Adipositas vor als in der oberen Bil-
      bestimmt werden. Für eine Zuordnung der BMI-           dungsgruppe. Dieser Unterschied lässt sich sowohl
      Werte wird die Klassifikation der WHO verwen-          in Deutschland (siehe Kapitel 2.2.3) [61] als auch im
      det: Untergewicht: BMI < 18,5 kg/m², Normal­           Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten beobachten
      gewicht: BMI 18,5 – 24,9 kg/m², Übergewicht            (19,4 % bzw. 10,4 %) . Besonders ausgeprägt sind
      (inkl. Adipositas): BMI ≥ 25,0 kg/m² und Adiposi-      die Unterschiede in Zypern, Österreich und Luxem-
      tas: BMI ≥ 30,0 kg/m² (siehe Infobox 2.2.3.1) [62].    burg. In diesen Ländern ist Adipositas bei Frauen
         Die Ermittlung des BMI ist entweder über die        der unteren Bildungsgruppe mehr als dreimal so
      Messung von Körpergröße und -gewicht oder über         häufig wie bei Frauen mit hoher Bildung [23]. Auch
      Selbstangaben zu diesen Werten möglich. Für die        bei der Entstehung und dem Persistieren von Über-
      nationale Berichterstattung in Deutschland liegen      gewicht und Adipositas wird angenommen, dass
      Messwerte vor, sie werden in Kapitel 2.2.3 vor-        der Einfluss der Bildung über die Verfügbarkeit
      gestellt. Für internationale Vergleiche muss auf       von Wissen und Handlungskompetenzen vermit-
      Selbstangaben zum Gewichtsstatus zurückgegrif-         telt ist, über Teilhabechancen, den Umgang mit
      fen werden. Selbstangaben tendieren jedoch zu          Belastungen und schließlich auch über die Ein-
      einer Unterschätzung der tatsächlichen Werte, was      kommenssituation [64].
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