Frauengesundheit im europäischen Vergleich - RKI
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Frauengesundheit im europäischen Vergleich KAPITEL 10
▶▶ Die mittlere Lebenserwartung von Frauen liegt in Deutschland mit 83,3 Jahren nahe am Durch- schnitt der 28 EU-Mitgliedstaaten (83,6 Jahre). ▶▶ Die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Krank- heiten ist bei Frauen in den letzten 15 Jahren in allen 28 EU-Mitgliedstaaten zurückgegan- gen, Deutschland liegt mit 323 Todesfällen pro 100.000 Einwohnerinnen leicht über dem EU- Durchschnitt. ▶▶ Knapp 44 % der Frauen in den 28 EU-Mitglied- staaten sind übergewichtig (inkl. Adipositas), in Deutschland liegt der Anteil bei rund 43 %. ▶▶ Beim Anteil der Frauen mit monatlichem Rausch- trinken steht Deutschland mit 19 % an zweiter Stelle der 28 EU-Mitgliedstaaten. ▶▶ Der Anteil der Frauen, die gesundheitsförderlich körperlich aktiv sind, ist in Deutschland mit 22 % mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt der 28 EU-Mitgliedstaaten.
Frauengesundheit im europäischen Vergleich | Kapitel 10 347 10 Frauengesundheit im europäischen Vergleich 10.1 Einleitung 10.1.1 Was bringt der Blick nach Europa? Infobox 10.1.1.1 Gesundheit und Krankheit sind stark beeinflusst Europa, die Europäische Union und die von Lebenswelten, kulturellen und sozialen Ein- WHO-Euro-Region flüssen, die sich zwischen den Geschlechtern, Die geografische Region Europa umfasst ein Ge- aber auch zwischen den Mitgliedstaaten der biet im westlichen Teil Eurasiens, in dem über 740 Europäischen Union (EU) (siehe Infobox 10.1.1.1) Millionen Menschen leben. Für Analysen zur Ge- unterscheiden. Vor diesem Hintergrund wird sundheit in Europa stehen vor allem Informatio- mit diesem Kapitel die Betrachtung der Frauen- nen für die Europäische Union (EU) und die Euro- gesundheit in Deutschland um eine europäische päische Region der Weltgesundheitsorganisation Perspektive ergänzt. (WHO), die sogenannte WHO-Euro-Region, zur Die großen gesundheitspolitischen und Verfügung. gsundheitsökonomischen Herausforderungen, Die Europäische Union entwickelte sich aus meh- vor denen die europäischen Sozialstaaten stehen, reren Vorgängerorganisationen. Die heutige EU verlangen nach evidenzgestützten Entscheidungen. wurde am 1. November 1993 mit zwölf Mitglied- Deshalb wird es zunehmend wichtiger, für Analy- staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frank- sen und evidenzgestützte Politikberatung interna- reich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, tional vergleichbare Daten nutzen zu können, die Niederlande, Portugal, Spanien und Vereinigtes Königreich) gegründet. Seitdem ist die Zahl der wichtige Aspekte der Bevölkerungsgesundheit und Mitgliedstaaten durch Aufnahme von Bulgarien, der Versorgungsstrukturen in den Mitgliedstaaten Estland, Finnland, Kroatien, Lettland, Litauen, der EU abbilden. So zeigen zahlreiche Untersu- Malta, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, chungen, dass sich Erkrankungsraten, Prävalen- Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zy- zen und Sterberaten bestimmter Krankheiten, die pern auf 28 gewachsen. Im Jahr 2019 wurde die Lebenserwartung und das Gesundheitsverhalten Einwohnerzahl der EU auf 513,5 Millionen ge- zwischen Ländern innerhalb der EU deutlich unter- schätzt [5]. Nach dem Austritt des Vereinigten Kö- scheiden [1, 2]. Bedingt durch die Heterogenität nigreichs am 31.01.2020 umfasst die EU 27 Mit- der einzelnen Gesundheitssysteme, gibt es auch gliedstaaten mit einer Einwohnerzahl von 446 Unterschiede in der Gesundheitsförderung, der Millionen. Da sich dieser Bericht auf den Zeit- raum vor dem Brexit bezieht, ist das Vereinigte Prävention und der Versorgung in den einzelnen Königreich in die Auswertungen eingeschlossen. EU-Mitgliedstaaten [3]. Gleichzeitig sehen sich die EU-Mitgliedstaaten Die WHO-Euro-Region erstreckt sich vom Atlan- jedoch vor ähnliche Herausforderungen gestellt. tik bis zum Pazifik. Sie umfasst 53 Staaten und eine Bevölkerung von ungefähr 900 Millionen. Zu diesen gehören der demografische Wan- Das WHO-Regionalbüro für Europa ist für die öf- del, die damit einhergehende Zunahme chroni- fentliche Gesundheit in der Europäischen Region scher Erkrankungen und der Anspruch, gesund- der WHO zuständig, es ist eines von insgesamt heitsförderliches Verhalten zu unterstützen und sechs Regionalbüros in der Welt [6]. gesundheitsfördernde Lebenswelten zu gestalten [4]. Der Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaa- ten ermöglicht es den Akteurinnen und Akteu- politische Lösungen und Maßnahmen eines Landes ren des Gesundheitswesens, nationale Trends zur Reduktion vergleichbarer gesundheitlicher Pro der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung sowie bleme können Impulse für andere Länder geben. Ergebnisse von Maßnahmen zur Gesundheitsför- Die folgenden Abschnitte beschreiben zunächst derung und Krankheitsversorgung in europäische die verfügbaren Datenquellen und setzen das Thema Entwicklungen einzuordnen [1]. Der Vergleich von Frauengesundheit in den Kontext der europäischen Gesundheitsdaten soll auch dazu anregen, vonein- Gesundheitspolitik. Im Anschluss werden ausge- ander zu lernen („mutual learning“). Erfolgreiche wählte Aspekte der Frauengesundheit vergleichend
348 Kapitel 10 | Frauengesundheit im europäischen Vergleich dargestellt. Dabei werden Gemeinsamkeiten, für das Bildungswesen (ISCED) zurückgegriffen. Unterschiede und – sofern entsprechende Daten Dabei werden die Bildungsangaben zu drei Qua- verfügbar sind – auch Trends in Bezug auf den lifikationsniveaus verdichtet: einfache, mittlere Gesundheitszustand, das Gesundheitsverhalten und höhere berufsqualifizierende Bildung. Die und die Gesundheitsversorgung von Frauen in den ISCED-Klassifikation wurde im EHIS verwendet, Mitgliedstaaten der EU beleuchtet. Im Fazit wer- um nationale Bildungsabschlüsse auch internati- den die Daten und Informationen dieses Kapitels onal vergleichbar zu machen [11]. In Deutschland noch einmal zusammengefasst. Sie können einen erfolgt die Durchführung des EHIS im Rahmen des Beitrag dazu leisten, die Lebensbedingungen von Gesundheitsmonitorings am Robert Koch-Institut Frauen in der EU und auch in Deutschland gesund- (RKI) [12, 13]. Daneben werden Daten aus EU-SILC heitsförderlicher zu gestalten. verwendet. Bei beiden Befragungen handelt es sich um regelmäßige bevölkerungsweite Datenerhebun- gen, bei denen die Vergleichbarkeit zwischen den 10.1.2 Datenquellen zur Gesundheit in einzelnen Ländern mit im Fokus steht. der Europäischen Union Zudem werden für das folgende Kapitel weitere Daten des Statistischen Amtes der Europäischen Die Verantwortung für Gesundheitspolitik liegt Union (Eurostat) herangezogen, z. B. zu Todesur- bei den einzelnen Mitgliedstaaten, die EU kann sachen. Für den Abschnitt zu Krebserkrankungen jedoch die jeweilige Gesundheitspolitik durch die wurde vor allem das European Cancer Informa- Bereitstellung vergleichender Daten zur Gesund- tion System (ECIS) verwendet. Es enthält aktuelle heit für Europa unterstützen [2]. Für den Gesund- Schätzungen zu Neuerkrankungen und Todesfäl- heitssektor wurden dazu die Europäischen Kern- len an Krebs in der EU [14]. Für den Vergleich von indikatoren für Gesundheit entwickelt (European europäischen Gesundheitsdaten im Bereich der Core Health Indicators, ECHI-Indikatoren) [7]. übertragbaren Krankheiten wird auf Daten des Zurzeit umfasst diese Liste 88 Indikatoren. Von Europäischen Zentrums für die Prävention und diesen liegen für 67 Indikatoren Daten aus inter- die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) mit Sitz in nationalen Datenquellen vor. Die verbleibenden Stockholm zurückgegriffen. Das ECDC analysiert 21 Indikatoren befinden sich konzeptuell bzw. hin- und bewertet mithilfe des europäischen Überwa- sichtlich der Datenquellen noch in der Entwick- chungssystems TESSy Daten aus europäischen lung. Für 44 der 67 aktuell verwendeten Indika- Ländern zu 52 meldepflichtigen übertragbaren toren ist eine Stratifikation nach Geschlecht mög- Krankheiten und Krankheitsausbrüchen sowie zu lich [8]. Ein Viertel der ECHI-Indikatoren speist sonstigen Bedrohungen der öffentlichen Gesund- sich aus der europaweiten Gesundheitsbefragung heit. Darüber hinaus wurden vergleichende Daten EHIS (European Health Interview Survey) [2, 9]. zur Gesundheit genutzt, die von der Organisation Für einige ECHI-Indikatoren werden Daten über für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- das Gesundheitsmodul der EU-Befragung zu Ein- lung (OECD) zur Verfügung gestellt werden. Die kommen und Lebensbedingungen (European Sta- OECD umfasst 36 Mitgliedstaaten aus den Regio- tistics of Income and Living Condition, EU-SILC) nen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Nord- erhoben [10], andere werden aus den amtlichen und Südamerika sowie Europa und Asien. Statistiken der EU-Mitgliedstaaten und aus zahl- Grundsätzlich ist beim Vergleich von Daten reichen weiteren Datenquellen gespeist. (z. B. aus EHIS) aus verschiedenen Ländern zu Für die nachfolgenden Betrachtungen zur Frauen berücksichtigen, dass sich diese Ergebnisse von gesundheit im europäischen Vergleich wurden zum nationalen Auswertungen unterscheiden können. großen Teil ECHI-Indikatoren herangezogen. Der So liegen die international vergleichbaren Daten EHIS ist damit eine Hauptdatenquelle für das teilweise in anderen Alterskategorien vor als nati- Kapitel. Ausgewertet werden die Daten der zwei- onale Daten. In diesem Kapitel werden die EHIS- ten Welle des EHIS, die in den meisten Ländern im Daten von Personen ab 15 Jahren verwendet. Um Jahr 2014 durchgeführt wurde. Für die Darstellung die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, kann es von Gesundheitsvariablen stratifiziert nach Bildung darüber hinaus erforderlich sein, nationale Daten wird auf die Internationale Standardklassifikation (z. B. durch Altersstandardisierung) zu bearbeiten.
Frauengesundheit im europäischen Vergleich | Kapitel 10 349 Auch dadurch können sich Unterschiede zu den für Frauen in der WHO-Euro-Region („Strategy on Ergebnissen internationaler Auswertungen erge- women’s health and well-being in the WHO Euro- ben, etwa bei Sterblichkeitsraten. Die Anwendung pean Region“) [18]. In der Strategie wird betont, unterschiedlicher statistischer Verfahren bei der dass Geschlecht eine wesentliche Determinante von Datenverarbeitung kann ebenfalls zu Unterschie- Gesundheit ist. Gender Mainstreaming ist dabei ein den zwischen nationalen und internationalen wichtiges Instrument, um dem Ziel der Geschlech- Ergebnissen führen, z. B. bei der Anwendung von tergerechtigkeit Schritt für Schritt näher zu kom- unterschiedlichen Methoden zur Berechnung der men. Notwendige Aktivitäten sollen u. a. in Form Lebenserwartung. Die Ergebnisse dieses Kapitels von nationalen Gesundheitsstrategien etabliert wer- können deshalb von anderen Abschnitten dieses den. Dies spiegelt die Tatsache wider, dass die Ver- Berichts abweichen. antwortung für Gesundheitspolitik in Europa bei den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten liegt. Zeitgleich erschien 2016 der WHO-Euro-Bericht „Women’s 10.1.3 Frauengesundheit und health and well-being in Europe: beyond the mor- europäische Gesundheitspolitik tality advantage” [19]. Der Bericht liefert den Hinter- grund für die Strategie. Er informiert über Krank- Zahlreiche Berichte und Aktionspläne zur Frauen- heitslast, Lebenserwartung und gesundheitliche gesundheit sind in den letzten Jahren auf europä- Versorgung von Frauen in der WHO-Euro-Region. ischer Ebene erarbeitet worden. Sie decken unter- Dabei stellt er die Bedeutung wirtschaftlicher, sozia schiedliche Themenschwerpunkte und Regionen ler und umweltbezogener Determinanten heraus, ab, z. B. die EU mit 28 Mitgliedstaaten (EU28) oder ebenso wie die Auswirkungen von Geschlechterdis- die WHO-Euro-Region, zu der 53 Staaten gehören kriminierung und Geschlechterstereotypisierung (siehe Infobox 10.1.1.1). Im Jahr 2001 verabschiedete auf die Gesundheit von Frauen. das WHO-Regionalbüro für Europa (WHO-Euro) Der Bericht hat einen engen Bezug zur Agenda einen Strategischen Aktionsplan zur Frauenge- 2030 der Vereinten Nationen mit ihren 17 Zielen sundheit in Europa und unterstrich die Notwendig- für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Develop- keit einer Lebenslaufperspektive, der Partizipation ment Goals, SDGs) [20]. Fortschritte in den Zielen von Frauen, einer verbesserten Gesundheitsversor- für nachhaltige Entwicklung „Geschlechtergerech- gung und der verstärkten Berücksichtigung der tigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Frauengesundheit in der Gesundheitsforschung Mädchen erreichen” (SDG5) sowie „Ungleichheit [15]. Der Bericht der Generaldirektion Gesundheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern” und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kom- (SDG10) gelten als wesentliche Voraussetzung für mission (DG Santé) aus dem Jahr 2009 fokussiert das Erreichen des Ziels „Ein gesundes Leben für auf Frauengesundheit in Europa im Vergleich mit alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Männern, beinhaltet jedoch auch Vergleiche der Wohlergehen fördern“ (SDG3). Frauen in einzelnen EU-Mitgliedstaaten [16]. Die Gleichstellung von Frauen und Männern Im Jahr 2015 legte das WHO-Regionalbüro für ist eines der Ziele der EU. Mit Rechtsvorschriften, Europa einen kurzen Bericht zur Frauengesund- der Rechtsprechung und Änderungen der Verträge heit vor: „Beyond the mortality advantage. Investi- ist es nach und nach gelungen, diesem Grund- gating women’s health in Europe“ [17]. Der Bericht satz Nachdruck zu verleihen und ihn in der EU informiert über die wichtigsten Gesundheitspro- anzuwenden [21]. Das Europäische Parlament und bleme von Frauen in der Region, einschließlich der Rat haben 2006 das Europäische Institut für Unterschieden in der Gesundheitsversorgung, und Gleichstellungsfragen mit Sitz in Vilnius (Litauen) hebt die Bedeutung von Geschlecht und sozioöko- geschaffen, dessen Aufgabe es ist, die Gleichstel- nomischen Determinanten für die Frauengesund- lung von Frauen und Männern aktiv zu fördern. In heit in der WHO-Euro-Region hervor. Er diente den letzten Jahrzehnten und bis heute gibt es zahl- der Vorbereitung einer regionalen Strategie für reiche Aktivitäten und Rechtsvorschriften, die gro- die Gesundheit von Frauen. Im Jahr 2016 verab- ßen Einfluss auf die Gleichstellungspolitik in den schiedete das WHO-Regionalbüro für Europa eine Mitgliedstaaten haben – zum Nutzen für Frauen Strategie zur Gesundheit und zum Wohlbefinden und Männer in der EU [21].
350 Kapitel 10 | Frauengesundheit im europäischen Vergleich 10.2 Gesundheitliche Situation von 10.2.1 Lebenserwartung und gesunde Frauen im europäischen Vergleich Lebensjahre Im Folgenden wird die gesundheitliche Situation Die durchschnittliche statistische Lebenserwar- von Frauen in Europa anhand ausgewählter Indi- tung bei Geburt hat in den letzten Jahrzehnten katoren beschrieben. Für die vergleichende Dar- sowohl für Frauen als auch für Männer in den stellung der 28 EU-Mitgliedstaaten wurde, wenn 28 Mitgliedstaaten der EU nahezu kontinuierlich möglich, auf die EU-weit abgestimmten ECHI- zugenommen [22]. Diese Zunahme spiegelt einen Indikatoren zurückgegriffen, ergänzt um Angaben Rückgang der Sterblichkeit in allen Altersgrup- aus der WHO-Euro-Region und Daten der OECD. pen wider und wird einer Reihe von Faktoren, wie Vier Bereiche werden betrachtet: zunächst die z. B. einer Verbesserung des Lebensstandards, des Lebenserwartung und die gesunden Lebensjahre, Gesundheitsverhaltens, des Bildungsniveaus sowie danach die Selbsteinschätzung der Gesundheit. Es der medizinischen Versorgung zugeschrieben. folgen Informationen zu Prävalenzen ausgewählter Im Jahr 2018 erreichte die mittlere Lebenserwar- körperlicher und psychischer Erkrankungen im tung bei Geburt im Durchschnitt der 28 EU-Mit- europäischen Vergleich. Die Auswahl der Erkran- gliedstaaten 83,6 Jahre bei Frauen und 78,3 Jahre kungen und der Indikatoren folgte den Prinzipien bei Männern. In allen Mitgliedstaaten der EU leben weite Verbreitung und hohe Public-Health-Rele- Frauen länger als Männer, wobei sich die geringsten vanz, thematische Vielfalt und Datenverfügbarkeit. Unterschiede zwischen den Geschlechtern mit 3,1 Sie wird gestützt durch die Ergebnisse der Studie Jahren in den Niederlanden, die höchsten mit 9,8 Global Burden of Disease und lehnt sich an die Jahren in Litauen finden [23]. Die höchste Lebens- Themenauswahl im ersten Teil des Berichtes an erwartung für Frauen ist mit 86,3 Jahren in Spa- (siehe Kapitel 2.1). Die Auswahl bleibt exempla- nien zu beobachten, die niedrigste mit 78,6 Jahren risch. in Bulgarien (Abb. 10.2.1.1). Deutschland liegt mit Abbildung 10.2.1.1 Mittlere Lebenserwartung von Frauen bei Geburt in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2018 Datenbasis: Nationale Mortalitätsstatistiken (Eurostat-Datenbank [23]) Spanien Frankreich Italien Zypern Malta Luxemburg Finnland Portugal Griechenland Slowenien Schweden Irland Österreich Belgien EU28 Niederlande Deutschland Vereinigtes Königreich Dänemark Estland Tschechien Polen Kroatien Slowakei Litauen Lettland Ungarn Rumänien Bulgarien 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 Lebenserwartung (Jahre)
Frauengesundheit im europäischen Vergleich | Kapitel 10 351 83,3 Jahren im Mittelfeld [23]. In den zehn Jahren Jahren etwas über dem Wert für Männer mit 63,4 von 2008 bis 2018 ist die Lebenserwartung von Jahren. Die höchste Lebenserwartung ohne größere Frauen in den EU-Mitgliedstaaten um insgesamt gesundheitliche Einschränkungen ergibt sich mit 1,3 Jahre gestiegen. 73,4 Jahren für Frauen in Malta (Abb. 10.2.1.2). Auch Verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen, in Deutschland liegen die gesunden Lebensjahre für wie etwa die Anhebung des Renteneintrittsalters, Frauen mit 66,3 Jahren über dem EU-Durchschnitt. wie sie von der Europäischen Kommission gefor- In Lettland sind sie mit 53,7 Jahren am geringsten. dert wird [24], werfen die Frage auf, ob die dazu- In den letzten zehn Jahren ist der EU-Durchschnitts- gewonnenen Lebensjahre in guter Gesundheit ver- wert für gesunde Lebensjahre bei Frauen um 1,7 bracht werden. Der Indikator „Gesunde Lebens- Jahre gestiegen. In den einzelnen Ländern verliefen jahre“ (Healthy Life Years, HLY) gibt Aufschluss die Entwicklungen jedoch unterschiedlich. Aufgrund darüber, wie viele Jahre eine Person erwartungs- methodischer Änderungen in der Erhebung gesund- gemäß in guter gesundheitlicher Verfassung leben heitsbedingter Einschränkungen im Jahr 2015 ist für wird. Dazu werden die Daten zur Lebenserwar- Deutschland kein direkter Vergleich mit Ergebnissen tung und Befragungsdaten zu Einschränkungen aus vorherigen Jahren möglich [25]. im täglichen Leben durch Gesundheitsprobleme herangezogen. Bei der Interpretation und vor allem beim internationalen Vergleich dieser Daten ist zu 10.2.2 Subjektive Gesundheit berücksichtigen, dass die subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes in verschiedenen Län- Ein häufig genutzter übergreifender Indikator dern von kulturellen Aspekten und anderen Rah- für die Gesundheit ist die subjektive Gesundheit menbedingungen beeinflusst wird. (siehe Kapitel 2.1.2). Er liefert, ergänzend zu dem Der EU-Durchschnittswert für gesunde Lebens- über medizinische Befunde definierten objektiven jahre bei Geburt lag im Jahr 2018 für Frauen mit 63,8 Gesundheitszustand, wichtige Informationen für Abbildung 10.2.1.2 Gesunde Lebensjahre bei Frauen in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2018 Datenbasis: EU-SILC und nationale Mortalitätsstatistiken (Eurostat-Datenbank [23]) Malta Schweden Irland Spanien Bulgarien Italien Deutschland Griechenland Frankreich Polen EU28 Belgien Tschechien Zypern Ungarn Vereinigtes Königreich Luxemburg Rumänien Dänemark Litauen Kroatien Portugal Niederlande Österreich Slowakei Finnland Estland Slowenien Lettland 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Gesunde Lebensjahre
352 Kapitel 10 | Frauengesundheit im europäischen Vergleich die Beschreibung der Gesundheit von Personen 8 von 10 Frauen (83,5 %) ihre Gesundheit als gut und Bevölkerungsgruppen. Die Befragten machen oder sehr gut. Frauen in Deutschland liegen mit dabei Angaben zur persönlichen Einschätzung einem Anteil von 63,8 % leicht unter dem europäi- ihres Gesundheitszustands. Neben vorhandenen schen Durchschnitt (Abb. 10.2.2.1). Krankheiten und Beschwerden spiegelt die sub- Auffällig sind Unterschiede in der altersspezi- jektive Gesundheit folglich insbesondere das per- fischen Verteilung des Indikators (Abb. 10.2.2.2). sönliche Wohlbefinden wider [26]. Für nationale Geben im Durchschnitt 86,6 % der 16- bis Auswertungen stehen verschiedene Datenquellen 44-jährigen Frauen in den 28 EU-Mitgliedstaaten für Informationen zur subjektiven Gesundheit an, sich in einem guten oder sehr guten Gesund- zur Verfügung. Die im Folgenden verwendeten heitszustand zu befinden (Deutschland: 83,8 %), so Daten aus EU-SILC für Deutschland lassen sich sinkt der Anteil bei den 45- bis 64-jährigen Frauen aufgrund methodischer Unterschiede nicht direkt auf 65,1 % (Deutschland: 57,9 %) und bei den 65- damit vergleichen. bis 74-Jährigen weiter auf 47,9 % (Deutschland: Insgesamt schätzen 67,2 % der Frauen und 49,3 %). In der Gruppe der 75-Jährigen und Älteren 72,3 % der Männer in der EU ihren Gesundheits- liegt der Wert schließlich bei 29,2 % (Deutschland: zustand als gut oder sehr gut ein [23]. Der niedrigste 31,5 %). Dabei muss berücksichtigt werden, dass es Anteil an Frauen, die ihren Gesundheitszustand als sich um eine subjektive Einschätzung handelt, die gut oder sehr gut einschätzen, zeigt sich in Litauen vielfältigen sozialen und kultur- sowie lebensalters- und Lettland mit 40,1 % bzw. 39,6 %. Portugal ist der spezifischen Einflüssen unterliegt, was die interna- einzige westeuropäische EU-Staat, in dem weniger tionale Vergleichbarkeit der Ergebnisse begrenzt [1]. als die Hälfte der befragten Frauen über eine gute oder sehr gute Gesundheit berichten. In Irland, dem Land mit dem höchsten Wert, empfinden mehr als Abbildung 10.2.2.1 Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand (gut oder sehr gut) bei Frauen ab 16 Jahren in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2017 Datenbasis: EU-SILC (Eurostat-Datenbank [23]) Irland Zypern Schweden Italien Malta Vereinigtes Königreich Niederlande Spanien Griechenland Belgien Luxemburg Dänemark Österreich Finnland EU28 Rumänien Frankreich Deutschland Slowakei Bulgarien Slowenien Tschechien Kroatien Polen Ungarn Estland Portugal Litauen Lettland 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Anteil (%)
Frauengesundheit im europäischen Vergleich | Kapitel 10 353 Abbildung 10.2.2.2 zu [19]. Wenngleich in allen Ländern der WHO- Selbsteingeschätzter Gesundheitszustand (gut oder sehr Euro-Region nicht-übertragbare Erkrankungen das gut) bei Frauen im Durchschnitt der 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28) und in Deutschland nach Alter, 2017 Krankheitsgeschehen dominieren, haben in eini- Datenbasis: EU-SILC (Eurostat-Datenbank [23]) gen Staaten (u. a. Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion in Zentralasien) auch Infektionskrank- Anteil (%) 90 heiten noch große Bedeutung, z. B. Durchfall- und 80 Atemwegserkrankungen [19, 27]. Darüber hinaus hat die durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 70 verursachte Pandemie verdeutlicht, mit welcher 60 Geschwindigkeit sich Krankheitserreger innerhalb kurzer Zeit weltweit verbreiten können und dass 50 auch in Europa von Infektionskrankheiten weiterhin 40 ein erhebliches Gesundheitsrisiko ausgehen kann. Im Folgenden werden exemplarisch Daten zu drei 30 der genannten nicht-übertragbaren Krankheiten dar- 20 gestellt und ein Beispiel aus dem Bereich der Infek- tionskrankheiten (Tuberkulose). 10 Herz-Kreislauf-Erkrankungen 16 − 44 45− 64 65 −75 > 75 Der Oberbegriff der Herz-Kreislauf-Erkrankun- Altersgruppe (Jahre) gen (kardiovaskuläre Erkrankungen) umfasst die Deutschland EU28 Krankheiten des Herzens und der Blutgefäße. In fast allen EU-Mitgliedstaaten sind Herz-Kreislauf- 10.2.3 Körperliche Gesundheit Erkrankungen die häufigste Todesursache für Frauen [23]. Auch in Deutschland stehen Herz- Einen bedeutenden Teil der Krankheitslast der Kreislauf-Erkrankungen für Frauen mit Abstand Bevölkerung in der WHO-Euro-Region stellen chro- an erster Stelle [28]. Dennoch wird das Erkran- nische körperliche Erkrankungen dar. Das zeigen kungsrisiko von Frauen häufig unterschätzt (siehe auch die Ergebnisse der Studie Global Burden of auch Kapitel 2.1.3). Disease. Gemessen an den in Krankheit verbrachten In den EU-Mitgliedstaaten bestehen deutliche und an den verlorenen Lebensjahren (sogenannte West-Ost-Unterschiede in der Herz-Kreislauf- Disability-Adjusted Live Years, DALYs) zeigt sich, bedingten Sterblichkeit von Frauen. Die anhand dass in der WHO-Euro-Region die ischämischen der neuen Europastandardbevölkerung altersstan- Herzerkrankungen die größte Krankheitslast bei dardisierten Sterberaten reichen hier von 157 pro Frauen aller Altersgruppen verursachen. Diese wer- 100.000 Einwohnerinnen in Frankreich bis zu 934 den gefolgt von weiteren chronischen körperlichen pro 100.000 Einwohnerinnen in Bulgarien (Abb. Erkrankungen wie Schlaganfall, Rückenschmerzen 10.2.3.1). Deutschland liegt mit 323 Herz-Kreislauf- und Kopfschmerzen [27]. Diabetes mellitus steht bedingten Todesfällen pro 100.000 Einwohnerin- an sechster Stelle, Brustkrebs an zehnter Stelle der nen leicht über dem EU-Durchschnitt (304 pro Krankheiten mit der größten Krankheitslast für 100.000 Einwohnerinnen). Frauen in der WHO-Euro-Region. Betrachtet man Seit 2001 ist ein Rückgang der Sterberaten durch nur die Sterblichkeit, dominieren Herz-Kreislauf- Herz-Kreislauf-Krankheiten bei Frauen in allen Mit- Erkrankungen und Krebserkrankungen als Todes- gliedstaaten der EU zu verzeichnen. Der stärkste ursachen für Frauen [27]. Rückgang wurde in Griechenland, Dänemark und Die meisten der genannten chronischen Erkran- Großbritannien beobachtet. Die geringste Abnahme kungen treten im höheren Lebensalter häufiger auf. zeigt sich in Slowenien, Ungarn, Bulgarien und Aufgrund besserer Möglichkeiten der Früherken- Litauen [23]. nung und Behandlung sowie des steigenden Anteils Daten aus EHIS Welle 2 erlauben erstmals eine älterer Menschen in der Bevölkerung nehmen die vergleichende Betrachtung von Herz-Kreislauf- absoluten Erkrankungszahlen in den letzten Jahren Erkrankungen in den 28 Mitgliedstaaten der EU [23].
354 Kapitel 10 | Frauengesundheit im europäischen Vergleich Abbildung 10.2.3.1 Altersstandardisierte Sterblichkeit durch Krankheiten des Kreislaufsystems bei Frauen in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2016 (neue Europastandardbevölkerung) Datenbasis: Nationale Mortalitätsstatistiken (Eurostat-Datenbank [23]) Bulgarien Rumänien Litauen Lettland Ungarn Kroatien Slowakei Estland Tschechien Polen Slowenien Österreich Deutschland Griechenland EU28 Malta Zypern Finnland Schweden Portugal Italien Irland Luxemburg Niederlande Belgien Vereinigtes Königreich Dänemark Spanien Frankreich 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1.000 pro 100.000 Einwohnerinnen Hier geben im europäischen Durchschnitt 1,1 % der Krebserkrankungen Frauen an, in den letzten zwölf Monaten einen Herz- Krebserkrankungen sind die zweithäufigste Todes- infarkt erlitten zu haben oder von chronischen Folgen ursache für Frauen in der EU. Laut Eurostat ent- eines Infarkts betroffen zu sein (Deutschland: 0,9 %). fiel im Jahr 2016 fast ein Viertel aller Todesfälle Der Anteil derer, die eine koronare Herzerkrankung bei Frauen auf bösartige Neubildungen (22,9 %) oder Angina pectoris berichten, liegt mit 3,1 % in [23]. 590.543 Frauen starben an Krebserkrankun- Deutschland leicht unter dem Durchschnitt der gen. Dabei sind die altersstandardisierten Sterbe- EU-Mitgliedstaaten (3,4 %). Über dem Durchschnitt raten für Frauen deutlich niedriger als für Männer findet sich Deutschland hinsichtlich des Anteils der (200,5/100.000 bzw. 343,3/100.000). Erklärt wird Frauen, bei denen nach eigenen Angaben ein hoher dies mit der stärkeren Verbreitung von Krebsrisi- Blutdruck besteht (EU28: 22,3 % bzw. Deutsch- kofaktoren bei Männern, z. B. Rauchen und Alko- land: 27,9 %) und die von einem Schlaganfall oder holkonsum (siehe auch Kapitel 2.2.4, 2.2.5) [29]. dessen chronischen Folgen berichten (EU28: 1,3 % In den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sind bzw. Deutschland: 1,5 %). Aufgrund unterschied die altersstandardisierten Krebssterberaten bei licher Altersgruppen und Gewichtung lassen sich Frauen sehr unterschiedlich. Sie reichen von diese Ergebnisse nicht direkt mit Ergebnissen 155,8 Krebstodesfällen je 100.000 Einwohnerin- aus nationalen Berichten auf Basis der Daten aus nen in Spanien bis zu 269,3/100.000 in Ungarn EHIS Welle 2 vergleichen. Da die Gesundheits [14]. Deutschland liegt mit 207,7/100.000 nahe berichterstattung (GBE) in Deutschland üblicher- am EU-Durchschnitt (siehe auch Kapitel 2.1.4). weise andere Indikatoren verwendet, um Herz- Die Überlebensraten von Krebspatientinnen Kreislauf-Erkrankungen abzubilden, sind Verglei- (und -patienten) sind in den EU-Ländern aller- che mit Daten aus anderen GBE-Publikationen dings heute höher denn je. Das wird auf die breite nur eingeschränkt möglich. Umsetzung von Früherkennungsprogrammen
Frauengesundheit im europäischen Vergleich | Kapitel 10 355 und verbesserte Behandlungsmethoden zurück- Parallel zum Absinken der Sterberaten stieg die geführt [29]. Neuerkrankungsrate von Brustkrebs in der EU. Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung Über 400.000 neue Fälle werden in den EU-Mit- bei Frauen in der EU und die häufigste Krebsto- gliedstaaten jedes Jahr diagnostiziert [29]. Abbil- desursache. 16,2 % aller Todesfälle durch Krebs bei dung 10.2.3.2 zeigt, dass die altersstandardisierte Frauen entfielen im Jahr 2016 auf Brustkrebs [23]. Neuerkrankungsrate in nordwestlich gelegenen Geschätzt wird, dass fast 96.000 Frauen in der EU Ländern – Belgien (199,8), Luxemburg (189,5), Nie- an Brustkrebs verstarben. Der Mittelwert der Brust- derlande (183,0) – oftmals höher liegt als in den krebssterblichkeit in den Mitgliedstaaten der EU südöstlichen/östlichen Ländern (Rumänien, Polen, liegt bei 32,9/100.000 (Abb. 10.2.3.2). Für einige Bulgarien) mit einer Neuerkrankungsrate von unter Mitgliedsländer wurden etwas höhere Raten ermit- 100/100.000 Einwohnerinnen. Deutschland liegt telt: 40,4/100.000 in Kroatien und 40,3/100.000 in mit 150,4/100.000 nahe am EU-Durchschnitt. Irland (Deutschland: 36,5/100.000). Gemeinsam Diese beiden parallelen Entwicklungen deuten ist den Ländern der EU, dass die Sterberaten an auf eine Erhöhung der Überlebensraten aufgrund Brustkrebs in den letzten zehn Jahren zurückge- von früherer Diagnose und besserer Behandlung gangen sind oder sich stabilisiert haben [29]. Eine hin [29]. Auswertungen von Registerdaten belegen Ausnahme bildet Kroatien, wo die Sterblichkeitsrate dies für 29 europäische Länder [30] und weltweit [31]. bei Brustkrebs seit dem Jahr 2000 gestiegen ist. Nach Daten der OECD haben alle westeuropäischen Kroatien weist aktuell die höchste Sterblichkeitsrate Länder eine 5-Jahres-Überlebensrate bei Brustkrebs aller EU-Länder auf. von mindestens 80 % erreicht. In mehreren zentral und östlich gelegenen Ländern überleben weniger Abbildung 10.2.3.2 Altersstandardisierte Neuerkrankungsraten (Schätzungen für 2018) und Sterberaten (2016) an Brustkrebs in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28) (neue Europastandardbevölkerung) Datenbasis: Neuerkrankungsraten: ECIS [14]; Sterberaten: Nationale Mortalitätsstatistiken (Eurostat-Datenbank [23]) Belgien Luxemburg Niederlande Frankreich Vereinigtes Königreich Schweden Italien Malta Finnland Irland Dänemark Deutschland Ungarn EU28 Zypern Tschechien Spanien Österreich Griechenland Kroatien Slowenien Portugal Lettland Slowakei Estland Litauen Bulgarien Polen Rumänien 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 Sterbefälle je 100.000 Einwohnerinnen Neuerkrankungen Sterbefälle Neuerkrankungen
356 Kapitel 10 | Frauengesundheit im europäischen Vergleich Frauen, obwohl die Überlebensraten auch dort in for Research on Cancer (IARC) handelt. Nationale den letzten Jahren angestiegen sind [29]. Schätzungen können abweichen. Außerdem kann Mit Blick auf alle Krebstodesfälle bei Frauen steht es Unterschiede durch die Altersstandardisierung Lungenkrebs an zweiter Stelle in der EU (15,3 % aller geben, Eurostat verwendet für Sterberaten die soge- Krebstodesfälle) [23]. In den letzten zehn Jahren ist nannte neue Europastandardbevölkerung (ESP). die Mortalität durch Lungenkrebs bei Frauen in den EU-Mitgliedstaaten um 18 % gestiegen (altersstan- Diabetes mellitus dardisierte Raten, 2006 – 2016). Hinsichtlich der Sowohl in Deutschland als auch in der EU ist Dia- Neuerkrankungen bei Frauen steht Lungenkrebs betes mellitus eine der häufigsten Stoffwechsel in der EU derzeit an dritter Stelle der häufigsten erkrankungen, ein weiterer Anstieg der Krankheits- Diagnosen mit 9,6 % aller Fälle [14]. last wird weltweit erwartet (siehe Kapitel 2.1.5). Im In Deutschland herrscht die gleiche Reihenfolge: EHIS wurde das Vorliegen einer Diabetes-Erkran- Bei den Todesfällen steht Lungenkrebs an zweiter kung (außer Schwangerschaftsdiabetes) in den Stelle (nach Brustkrebs), bei den Neuerkrankun- zwölf Monaten vor der Befragung erhoben. Im gen an dritter Stelle (nach Brust- und Darmkrebs). Durchschnitt ergibt sich für die 28 EU-Mitgliedstaa- Die höchsten Neuerkrankungs- und Sterberaten an ten eine Diabetesprävalenz von 6,8 % für Frauen Lungenkrebs finden sich bei Frauen in Dänemark und 7,1 % für Männer (jeweils ab 15 Jahren) (Abb. und Ungarn. Hauptrisikofaktor für Lungenkrebs ist 10.2.3.3). der Tabakkonsum (siehe Kapitel 2.1.4). Das Erkran- Erwartungsgemäß zeigt sich ein starker Anstieg kungsrisiko wird aber auch von anderen Umwelt- der Häufigkeit von Diabetes mellitus mit zuneh- faktoren beeinflusst, wie z. B. der Luftverschmut- mendem Alter. Die Prävalenz des selbstberich- zung in Innenräumen [19]. teten Diabetes bei Frauen variiert im Vergleich An zweiter Stelle der häufigsten Krebsneu der EU-Mitgliedstaaten in der Gruppe der 15- bis erkrankungen bei Frauen in der EU steht Darm- 64-Jährigen zwischen 2,1 % in Schweden und krebs mit 12,0 %. Frauenspezifische Krebsarten, wie 8,2 % in Frankreich. Deutschland liegt mit einer Gebärmutterkörperkrebs (5,7 %), Eierstockkrebs 12-Monats-Prävalenz von 2,7 % in dieser Alters- (3,2 %) und Gebärmutterhalskrebs (2,4%) folgen gruppe unter dem EU-Durchschnitt von 3,7 %. Bei an vierter, achter bzw. zwölfter Stelle. Insgesamt den 65-jährigen und älteren Frauen beträgt die Prä- liegen die geschätzten Neuerkrankungsraten an valenz im Durchschnitt 16,6 %. Frauen in Griechen- Krebs in den nördlichen EU-Ländern (Dänemark, land (24,5 %) und der Slowakei (22,9 %) weisen Irland, Belgien, Vereinigtes Königreich, Nieder- in dieser Altersgruppe die höchsten Prävalenzen lande) und in Ungarn mehr als 10 % über dem EU- auf, Deutschland befindet sich mit 17,3 % knapp Durchschnitt von 484,6 Fällen/100.000 Einwohne- über dem EU-Durchschnitt. Die niedrigsten Prä- rinnen (Deutschland: 504,6 Fälle/100.000 Einwoh- valenzen werden aus Schweden (10,5 %) und Däne- nerinnen). In Ost- und Südosteuropa, aber auch mark (9,5 %) berichtet. Aufgrund unterschiedlicher in Portugal und Spanien liegen sie darunter [14]. Altersgruppen und Gewichtung lassen sich diese Die berichteten Unterschiede in den Inzidenz Ergebnisse jedoch nicht direkt mit Ergebnissen aus raten einzelner Länder (wie auch Schwankungen nationalen Berichten auf Basis der Daten aus EHIS im zeitlichen Verlauf) spiegeln nicht nur Unter- Welle 2 vergleichen. schiede in der tatsächlichen Anzahl von neu auf- Die Abweichungen zwischen den EU-Mitglied- tretenden Krebserkrankungen wider. Sie sollten staaten können zum einen auf landesspezifische auch vor dem Hintergrund von Unterschieden Unterschiede hinsichtlich verschiedener sozio und Veränderungen in den nationalen Politikan- demografischer und Lebensstilfaktoren zurückge- sätzen bzgl. der Krebsfrüherkennung sowie Unter- führt werden, die als Risikofaktoren für Diabetes schieden bei der Qualität der Krebsüberwachung gelten. Darüber hinaus bestehen Unterschiede in und -berichterstattung interpretiert werden [29]. der Gesundheitsversorgung und damit möglicher- Abweichungen zu den in der nationalen GBE dar- weise auch in der Diagnosehäufigkeit, da Arztkon- gestellten Neuerkrankungs- und Sterberaten ent- sultationen und routinemäßige Untersuchungen stehen u. a. dadurch, dass es sich bei den ECIS- des Blutzuckers in den einzelnen Ländern unter- Daten um Schätzungen der International Agency schiedlich häufig durchgeführt werden.
Frauengesundheit im europäischen Vergleich | Kapitel 10 357 Abbildung 10.2.3.3 12-Monats-Prävalenz des bekannten Diabetes mellitus (ohne Schwangerschaftsdiabetes) bei Frauen ab 15 Jahren in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2014 Datenbasis: EHIS Welle 2 [23] Frankreich Griechenland Portugal Ungarn Tschechien Malta Bulgarien Slowakei Kroatien Polen EU28 Italien Deutschland Spanien Slowenien Finnland Estland Lettland Rumänien Litauen Belgien Zypern Vereinigtes Königreich Niederlande Österreich Luxemburg Schweden Dänemark Irland 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Anteil (%) Neben den Altersunterschieden zeigen sich in (Verhaltensprävention) die gesundheitsförderliche allen EU-Mitgliedstaaten erhebliche Variationen Gestaltung von Lebenswelten noch stärker in den nach dem Bildungsgrad der Frauen. So ist in der Vordergrund rücken (Verhältnisprävention). Durch unteren Bildungsgruppe durchgängig eine höhere die Schaffung gesundheitsförderlicher Rahmen Diabetesprävalenz zu beobachten als in der mitt- bedingungen können alle Bildungsgruppen erreicht leren und oberen Bildungsgruppe [23]. Solche Bil- werden [34]. Der Setting-Ansatz zur Verhältnisprä- dungsunterschiede im Auftreten von Diabetes mel- vention in Lebenswelten wurde mit dem 2015 in litus werden mittlerweile durch zahlreiche sozial- Kraft getretenen Gesetz zur Stärkung der Gesund- epidemiologische Studien belegt [32, 33, 34] und heitsförderung und der Prävention (Präventions weisen auf einen verstärkten Bedarf an Aufklärung gesetz, PrävG) in Deutschland deutlich gestärkt. und Präventions-, Früherkennungs- und Versor- gungsmaßnahmen in bestimmten Bevölkerungs- Tuberkulose gruppen hin. Die Tuberkulose ist eine der fünf häufigsten Todes- Hohe Diabetesprävalenzen und gleichzeitig die ursachen für Frauen zwischen 20 und 59 Jahren größten Differenzen zwischen Frauen der unteren weltweit [35]. Es wird geschätzt, dass im Jahr 2017 und oberen Bildungsgruppe lassen sich in Griechen- etwa 3,2 Millionen Frauen an Tuberkulose erkrankt land (16,9 % bzw. 3,5 %), Tschechien (16,7 % bzw. sind [36]. Betrachtet man die WHO-Euro-Region, so 2,7 %) und der Slowakei (15,4 % bzw. 2,0 %) beob- haben Infektionskrankheiten insgesamt und auch achten. In Deutschland liegt der Unterschied bei die Tuberkulose eine geringere Bedeutung. Nur 8,1 Prozentpunkten. Um das Ausmaß der gesund- etwa 3 % der weltweiten Tuberkulose-Fälle entfal- heitlichen Ungleichheit beim Diabetesrisiko nach- len auf die WHO-Euro-Region [36], wobei es große haltig zu verringern, sollte neben bereits laufenden Unterschiede innerhalb der Länder gibt. So zeigen Präventionsstrategien für eine gesunde Lebensweise die Daten der Studie Global Burden of Disease, dass
358 Kapitel 10 | Frauengesundheit im europäischen Vergleich Abbildung 10.2.3.4 Neuerkrankungen an Tuberkulose bei Frauen ab 15 Jahren in 30 Staaten der EU/EEA* (Fälle je 100.000 Einwohnerinnen), 2017 Datenbasis: TESSy [37] Rumänien Litauen Lettland Bulgarien Portugal Polen Estland EU/EEA Spanien Malta Vereinigtes Königreich Kroatien Frankreich Belgien Österreich Ungarn Irland Deutschland Italien Luxemburg Slowenien Schweden Tschechien Norwegen Zypern Niederlande Dänemark Finnland Slowakei Griechenland Island 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 *European Economic Area Fälle je 100.000 Einwohnerinnen der Anteil der Atemwegserkrankungen und Tuber- Frauen laut ECDC-Report bei 4,8/100.000. Generell kulose an der gesamten Krankheitslast bei Frauen ist ein langjähriger Abwärtstrend der Häufigkeit von in einigen Ländern in Zentralasien zwischen 8 % Tuberkulose in Europa zu verzeichnen [37]. und 14 % liegt, im Rest Europas hingegen zwischen Ob die eingedrungenen Tuberkulose-Bakterien 1 % und 2 % [27]. vom Immunsystem erkannt und abgetötet werden Tuberkulose gehört zu den meldepflichtigen oder eine Erkrankung an Tuberkulose auslösen, Infektionskrankheiten in Europa. Erkrankungs- wird von zahlreichen Faktoren bestimmt [38]. Zu fälle, die in der EU und den EEA-Staaten (Euro- diesen gehört z. B. das Alter zum Zeitpunkt der pean Economic Area) auftreten, werden an das Infektion oder eine geschwächte Abwehrlage [39]. ECDC gemeldet und im europäischen Überwa- Auch das Geschlecht spielt bei Erwachsenen eine chungssystem TESSy erfasst. Im Jahr 2017 sind in Rolle. So unterscheiden sich Frauen und Männer Europa schätzungsweise 21.000 Frauen (und mehr hinsichtlich der Inzidenz und Prävalenz von Tuber- als 34.000 Männer) neu an Tuberkulose erkrankt kulose, aber auch bei den Krankheitsverläufen und (30 Länder). Rumänien ist am stärksten betroffen: bei den Sterberaten [40]. Die Gründe für die unter- 22 % der Neuerkrankungsfälle von Frauen wurden schiedliche Empfänglichkeit von Frauen und Män- aus Rumänien gemeldet. Im Durchschnitt gab es nern für diese Erkrankung sind noch nicht abschlie- in Europa 8,0 Neuerkrankungen bei Frauen pro ßend geklärt. Die biologischen Merkmale haben 100.000 Einwohnerinnen im Jahr 2017. Die län- außerdem Einfluss auf die Genauigkeit der Dia- derspezifischen Neuerkrankungsraten reichten von gnostik (Sputum-Mikroskopie), sodass die Tuber- 3,0/100.000 in Island bis 45,3/100.000 in Rumä- kulose bei Frauen in manchen Ländern unterdiag- nien (Abb. 10.2.3.4). Für Deutschland lag die Rate für nostiziert wird [40].
Frauengesundheit im europäischen Vergleich | Kapitel 10 359 Tuberkulose ist eine Krankheit, die hauptsäch- 10.2.4 Psychische Gesundheit lich in Ländern mit niedrigem und mittlerem Ein- kommen auftritt. Neben biologischen Faktoren Neben der körperlichen Gesundheit werden Wohl- können sozioökonomische und kulturelle Fakto- befinden, Lebensqualität und Leistungsfähigkeit ren für die beobachteten Geschlechterunterschiede auch wesentlich von der psychischen Gesundheit verantwortlich sein [41]. Aufgrund ihrer sozialen beeinflusst (siehe Kapitel 2.1.7). Psychische Stö- Rolle gelten Frauen als weniger stark gefährdet rungen erhalten heute in vielen Ländern verstärkt für eine Ansteckung. Sie verbringen weniger Zeit Aufmerksamkeit. In der Europäischen Region der außer Haus als Männer, haben weniger soziale WHO wird eine Zunahme und erhebliche Belas- Kontakte und weniger berufliche Risikofaktoren tung durch psychische Störungen und Beeinträch- (z. B. arbeiten mehr Männer im Bergbau) [42]. tigen bei Frauen aller Altersgruppen berichtet [19]. Allerdings unterscheiden sich soziale Kontakte Unter den zehn Erkrankungen mit der größten und berufliches Risiko zwischen den Kulturen Krankheitslast bei Frauen aller Altersgruppen erheblich und erklären nicht ausreichend, warum in der WHO-Euro-Region sind zwei psychische weltweit weniger Frauen als Männer mit Tuber- Erkrankungen: die Alzheimer-Krankheit und die kulose gemeldet werden. Darüber hinaus gibt es Depression [27]. Länderspezifische Unterschiede Risikofaktoren, denen Frauen verstärkt ausge- in der erfassten Krankheitslast aufgrund psychi- setzt sind. Dazu zählt die Luftverunreinigung in scher Erkrankungen können vor allem auf Fakto- Innenräumen durch die in einigen Ländern weit ren wie Unterschiede in den Versorgungsstruktu- verbreitete Verwendung fester Brennstoffe zum ren, in der Erfassung und in der Berichterstattung Kochen. Der Konsum von Alkohol und das Rau- im Bereich der psychischen Gesundheit zurück- chen wurden ebenfalls als Risikofaktoren für die geführt werden [19, 47]. Entwicklung einer Tuberkulose-Infektion, -Erkran- EHIS Welle 2 ermöglicht es, aktuelle Daten zu kung und -Sterblichkeit ermittelt [43]. So erhöht Depressionen für Deutschland im EU-Vergleich Tabakrauchen das Risiko einer Tuberkulose um darzustellen. Die Teilnehmenden ab 15 Jahren wur- das Zwei- bis Dreifache. Schädlicher Alkoholkon- den u. a. gefragt, ob eine Ärztin oder ein Arzt in den sum erhöht das Tuberkulose-Risiko um das Drei- letzten zwölf Monaten eine Depression bei ihnen fache und ist auch ein starker Risikofaktor für eine diagnostiziert hat. Die durchschnittliche Häufigkeit schlechte Einhaltung der Tuberkulose-Behandlung einer selbstberichteten Depressionsdiagnose liegt [44]. Da Tabak- und Alkoholkonsum bei Frauen in den EU-Mitgliedstaaten demnach bei Frauen mit und Männern unterschiedlich ausfallen (siehe 8,8 % höher als bei Männern (5,3 %). Der Befund, Kapitel 2.2.4, 2.2.5), können diese Risikofakto- dass Depressionen bei Frauen deutlich häufiger ren auch zu den beobachteten Geschlechterun- diagnostiziert werden als bei Männern, ist interna terschieden bei Tuberkulose beitragen. tional zu beobachten [48]. Als Erklärungsansätze für Einige Studien deuten darauf hin, dass das Geschlechterunterschiede im Auftreten psychischer Fortschreiten der Krankheit und die Tuberkulose Erkrankungen werden biologische, psychische bedingte Sterblichkeit bei Frauen in ihren Fort- und soziale Aspekte diskutiert; darüber hinaus gibt pflanzungsjahren höher sind. Die Schwangerschaft es Hinweise auf Unterschiede in der ärztlichen erhöht das Risiko der Reaktivierung einer latenten Diagnosestellung [49–52] (siehe Kapitel 2.1.7). Tuberkulose-Infektion und die Entwicklung der Abbildung 10.2.4.1 gibt einen Überblick über die aktiven Krankheit und könnte somit zur erhöhten großen Unterschiede zwischen EU-Mitgliedstaaten Anfälligkeit von Frauen in diesen Lebensjahren bei- bzgl. des Anteils von Frauen, bei denen eine Depres- tragen [45, 46]. Vor dem Hintergrund der Gefahr sion diagnostiziert wurde. Die höchsten Prävalenzen wachsender Arzneimittelresistenzen bei Tuberku- zeigen sich in Portugal (17,2 %), Irland (13,4 %) und lose müssen geschlechtssensitive Präventionsmaß- Deutschland (12,1 %), die niedrigsten in Tschechien nahmen verstärkt werden, die die unterschiedli- (4,6 %), Bulgarien (4,2 %) und Rumänien (2,0 %). chen körperlichen, sozioökonomischen, kulturellen Aufgrund unterschiedlicher Altersgruppen und und Umweltfaktoren berücksichtigen. Gewichtung lassen sich diese Ergebnisse nicht direkt mit Ergebnissen aus nationalen Berichten auf Basis der Daten aus EHIS Welle 2 vergleichen.
360 Kapitel 10 | Frauengesundheit im europäischen Vergleich Abbildung 10.2.4.1 12-Monats-Prävalenz der selbstberichteten ärztlich diagnostizierten Depression bei Frauen ab 15 Jahren in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), 2014 Datenbasis: EHIS Welle 2 [23] Portugal Irland Deutschland Schweden Finnland Lettland Spanien Luxemburg Slowenien Vereinigtes Königreich Österreich Dänemark Niederlande EU28 Belgien Frankreich Italien Ungarn Malta Kroatien Litauen Griechenland Polen Estland Slowakei Zypern Tschechien Bulgarien Rumänien 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Anteil (%) Laut WHO spielen Depressionen vor allem für 10.3 Gesundheitsverhalten die Gesundheit älterer Frauen in der WHO-Euro- Region eine zunehmende Rolle [19]. Die EHIS- 10.3.1 Körperliche Aktivität Daten aus Welle 2 weisen diesbezüglich jedoch kein einheitliches Bild auf. Während der Anteil im Körperliche Inaktivität erhöht das Risiko für nicht- EU-Durchschnitt mit dem Alter steigt (6,3 % bei übertragbare Erkrankungen wie Herz-Kreislauf- den 15- bis 44-Jährigen und 11,1 % bei den 65-Jähri- Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 sowie gen und Älteren), lässt sich dieses Muster nicht in bestimmte Krebserkrankungen und reduziert die allen Mitgliedstaaten beobachten. So lag in 15 Län- Lebenserwartung und die Lebensqualität [53]. Vor dern die höchste Prävalenz bei den 65-Jährigen und dem Hintergrund der weiten Verbreitung einer Älteren, in neun Ländern (inkl. Deutschland) bei inaktiven Lebensweise hat körperliche Aktivität den 45- bis 64-Jährigen und in Dänemark, Finnland daher eine wichtige Bedeutung bei der Aufrecht und Schweden sogar bei den 15- bis 44-jährigen erhaltung von Gesundheit und Wohlbefinden Frauen [23]. In fast allen EU-Mitgliedstaaten, mit (siehe Kapitel 2.2.1). Aufgrund der erheblichen Ausnahme von Luxemburg und Finnland, waren Relevanz körperlicher Inaktivität für die Krank- die höchsten Anteile bei Frauen aus der unteren heitsentstehung hat die WHO im „Global Action Bildungsgruppe zu finden. Plan for the Prevention and Control of Non-Com- municable-Diseases 2013 – 2020“ als Ziel festge- legt, die Prävalenz unzureichender körperlicher Aktivität bis zum Jahr 2025 um 10 % zu verringern [54]. Vor diesem Hintergrund wurde die Strategie der Europäischen Region der WHO zur Bewe- gungsförderung (2016 – 2025) entwickelt, die zum
Frauengesundheit im europäischen Vergleich | Kapitel 10 361 Ziel hat, alle Formen der Bewegung im gesamten (Abb. 10.3.1.1). Der Anteil liegt für Deutschland bei Lebensverlauf zu fördern [55]. 21,7 % und damit mehr als doppelt so hoch wie Bewegungsformen, die als gesundheitswirk- im europäischen Durchschnitt. Aufgrund unter- same körperliche Aktivität gelten, sollten zumin- schiedlicher Altersgruppen und Gewichtung las- dest eine mittlere Intensität aufweisen, wie z. B. sen sich diese Ergebnisse nicht direkt mit Ergeb- Joggen, Schwimmen, zügiges Spazierengehen, nissen aus nationalen Berichten auf Basis der Gartenarbeit oder das Toben mit Kindern [56]. Daten aus EHIS Welle 2 vergleichen. In fast allen Viele Formen körperlicher Aktivität, z. B. auch Ländern nimmt die Ausübung gesundheitsför- transportbezogene Aktivität wie Fahrradfahren derlicher körperlicher Aktivität mit dem Alter ab. und arbeitsbezogene Aktivität (berufliche und Lediglich für Österreich, Frankreich und Deutsch- außerberufliche Tätigkeiten), können gesundheits- land zeigen die Daten bei den 45- bis 64-Jährigen wirksam sein [57, 58] (siehe Kapitel 2.2.1). höhere Anteile als bei den jüngeren Frauen [23]. Eurostat verwendet für den Indikator „Gesund- Am wenigsten körperlich aktiv sind in allen Län- heitsfördernde körperliche Betätigung“ den Anteil dern Frauen ab 65 Jahren. derer, die mindestens einmal pro Woche Ausdauer In allen Ländern (außer Litauen) berichten aktivität und Muskelkräftigungsaktivität betreiben. Frauen der oberen Bildungsgruppe häufiger, Im Durchschnitt der 28 EU-Mitgliedstaaten berich- gesundheitsförderlich aktiv zu sein als Frauen aus ten dies 10,1 % der Frauen und 15,3 % der Männer den anderen Gruppen. Bildung hat einen Einfluss ab dem Alter von 15 Jahren. Auffällig sind hier die auf viele Aspekte von Gesundheit und Gesund- großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaa- heitsverhalten, u. a. durch Wissen und Hand- ten. So beträgt der Anteil von Frauen mit wöchent- lungskompetenzen, die mit dem Bildungsniveau licher gesundheitsförderlicher Aktivität in Rumä- verbunden sind. Sie können eine gesundheitsför- nien gerade einmal 0,2 %, während in Schweden derliche Lebensweise und den Umgang mit Belas- fast ein Drittel aller Frauen körperlich aktiv sind tungen und Gesundheitsproblemen unterstützen. Abbildung 10.3.1.1 Anteil von Frauen ab 15 Jahren in den 28 Mitgliedstaaten der EU (EU28), die mindestens einmal wöchentlich gesund- heitsförderliche körperliche Aktivität betreiben, 2014 Datenbasis: EHIS Welle 2 [23] Schweden Dänemark Finnland Deutschland Österreich Slowenien Luxemburg Vereinigtes Königreich Irland EU28 Ungarn Slowakei Spanien Lettland Frankreich Tschechien Italien Griechenland Litauen Portugal Zypern Estland Bulgarien Kroatien Polen Malta Rumänien 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Anteil (%)
362 Kapitel 10 | Frauengesundheit im europäischen Vergleich Darüber hinaus gibt es einen Zusammenhang bei der Betrachtung der nachfolgenden Ergebnisse zwischen formalen Bildungsabschlüssen und zu berücksichtigen ist [61]. der Stellung in der Arbeitswelt (berufsbezogene Die Ergebnisse aus EHIS Welle 2 liefern ver- Belastungen und Ressourcen) sowie zur Einkom- gleichbare Daten für die EU zu Übergewicht und menssituation [26]. Adipositas. Sie basieren auf dem aus Selbstangaben Das im Durchschnitt – und in einigen Ländern errechneten BMI, der entsprechend der WHO-Klas- sehr – geringe Niveau gesundheitsförderlicher kör- sifikation eingeordnet wird. Nach diesen Berech- perlichen Aktivität von Frauen sollte auch mit Blick nungen waren zum Zeitpunkt der Befragung 43,7 % auf den Indikator interpretiert werden. Der Fokus der Frauen (ab 15 Jahren) in den EU-Mitgliedstaa- liegt hier eher auf sportlichen Aktivitäten in der ten von Übergewicht (inkl. Adipositas) betroffen. Freizeit. Im EHIS werden darüber hinaus arbeits Mit 57,3 % ist der Anteil der Männer mit Überge- bezogene und transportbezogene körperliche Akti- wicht (inkl. Adipositas) erheblich höher [23]. Adi- vitäten abgefragt. Auch hier liegen die Länderergeb- positas tritt hingegen bei Frauen (15,3 %) und Män- nisse zum Teil weit auseinander. Die EHIS-Daten nern (15,6 %) in der EU etwa gleich häufig auf. Im zeigen, dass mäßig anstrengende oder schwere internationalen Vergleich zeigt sich für Frauen die Tätigkeiten bei der Arbeit deutlich häufiger von höchste Prävalenz für Übergewicht (inkl. Adiposi- Frauen der unteren und mittleren Bildungsgruppe tas) wie auch für Adipositas in Malta (53,9 % bzw. ausgeübt werden [23, 59]. 23,2 %). Mit 35,4 % war der Gesamtanteil von Frauen mit einem zu hohen BMI in Italien am geringsten (Abb. 10.3.2.1). Der Gesamtwert für Deutschland – 10.3.2 Übergewicht und Adipositas 43,2 % Frauen mit Übergewicht (inkl. Adipositas) – liegt nur leicht unter dem EU-Durchschnitt (43,7 %). Der zunehmende Anteil übergewichtiger Men- Für die Entwicklung der Übergewichts- bzw. schen ist von großer Relevanz für Public Health Adipositasprävalenz bei Frauen und Männern in in Deutschland, der EU und Europa, aber auch den EU-Mitgliedstaaten liegen aktuell keine ver- weltweit [1, 60]. Die stärkste Ausprägung von gleichbaren Zahlen über mehrere Zeitpunkte Übergewicht wird als Adipositas bezeichnet. vor. Für Deutschland zeigen Ergebnisse aus dem Besonders Adipositas gilt als Risikofaktor für Mikrozensus auf der Basis von Selbstangaben zu zahlreiche Gesundheitsstörungen und Krankhei- Körpergröße und -gewicht jedoch eine deutliche ten wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf- Zunahme vor allem in der Prävalenz von Adiposi- und bestimmte Krebserkrankungen [61]. Folglich tas bei erwachsenen Frauen (3,6 Prozentpunkte in führt sie zu erheblichen Belastungen nicht nur der Zeit von 1999 bis 2017) [63]. Die Adipositasprä- für betroffene Personen, sondern auch für das valenzen variieren zudem nach sozialen Merkma- Gesundheitssystem. Übergewicht und Adiposi- len: Bei Frauen der unteren Bildungsgruppe liegt tas können anhand des Body Mass Index (BMI) häufiger eine Adipositas vor als in der oberen Bil- bestimmt werden. Für eine Zuordnung der BMI- dungsgruppe. Dieser Unterschied lässt sich sowohl Werte wird die Klassifikation der WHO verwen- in Deutschland (siehe Kapitel 2.2.3) [61] als auch im det: Untergewicht: BMI < 18,5 kg/m², Normal Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten beobachten gewicht: BMI 18,5 – 24,9 kg/m², Übergewicht (19,4 % bzw. 10,4 %) . Besonders ausgeprägt sind (inkl. Adipositas): BMI ≥ 25,0 kg/m² und Adiposi- die Unterschiede in Zypern, Österreich und Luxem- tas: BMI ≥ 30,0 kg/m² (siehe Infobox 2.2.3.1) [62]. burg. In diesen Ländern ist Adipositas bei Frauen Die Ermittlung des BMI ist entweder über die der unteren Bildungsgruppe mehr als dreimal so Messung von Körpergröße und -gewicht oder über häufig wie bei Frauen mit hoher Bildung [23]. Auch Selbstangaben zu diesen Werten möglich. Für die bei der Entstehung und dem Persistieren von Über- nationale Berichterstattung in Deutschland liegen gewicht und Adipositas wird angenommen, dass Messwerte vor, sie werden in Kapitel 2.2.3 vor- der Einfluss der Bildung über die Verfügbarkeit gestellt. Für internationale Vergleiche muss auf von Wissen und Handlungskompetenzen vermit- Selbstangaben zum Gewichtsstatus zurückgegrif- telt ist, über Teilhabechancen, den Umgang mit fen werden. Selbstangaben tendieren jedoch zu Belastungen und schließlich auch über die Ein- einer Unterschätzung der tatsächlichen Werte, was kommenssituation [64].
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