Besser gleich: Update für die Außen- und Entwicklungspolitik - MÄDCHENBERICHT 2021 - Plan ...

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MÄDCHENBERICHT 2021

Besser
 gleich:
Update für die Außen-
und Entwicklungspolitik
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Titelfoto: Plan International

2                               PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021
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Inhalt

Zusammenfassung4

1.		   Einleitung6

2.		Der internationale Rahmen für eine gleichstellungsorientierte Entwicklungszusammenarbeit
     und humanitäre Hilfe9

3.		   Konzeptionelle Kriterien: gendertransformative Grundsätze12

4.		   Gleichstellungsansätze in der Entwicklungszusammenarbeit16
4.1.   Genderansatz und Gleichstellungsstrategie in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit 16
4.2.   Mädchen und junge Frauen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit                  19
4.3.   Empfehlungen für die Entwicklungszusammenarbeit                                       22
4.4.   Zusammenfassung                                                                       25

5.		   Gleichstellungsansätze in der humanitären Hilfe26
5.1.   Genderansatz und Gleichstellungsstrategie in der deutschen humanitären Hilfe 27
5.2.   Empfehlungen für die humanitäre Hilfe                                        31
5.3.   Zusammenfassung                                                              33

6.		   Finanzielle Mittel für Gleichstellungsansätze34
6.1.   Finanzielle Mittel für Maßnahmen mit Gleichstellungsorientierung   34
6.2.   Finanzielle Mittel für die Förderung von Mädchen und jungen Frauen 36
6.3.   Empfehlungen zur Finanzierung                                      37

7.		   Zusammenfassung der Empfehlungen38

8.		   Anhang: Literatur- und Dokumentenverzeichnis40
8.1.   Liste der ausgewerteten Dokumente           40
8.2    Literatur                                   41

PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021                                          3
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Zusammenfassung
Nach Schätzungen des Weltwirtschaftsforums wird                                   Zentrale Ergebnisse
es noch etwa 100 Jahre dauern, bis weltweit Gleich-
stellung von Frauen und Männern erreicht ist.1 Die                                Entwicklungszusammenarbeit
COVID-19-Pandemie wird diese Entwicklung aller                                    Die untersuchten Ansätze und Strategien der deutschen
Voraussicht nach weiter verzögern, wenn sie nicht sogar                           Entwicklungszusammenarbeit spiegeln die Verankerung
bewirkt, dass Fortschritte der vergangenen Jahre wieder                           von Geschlechtergerechtigkeit in internationalen
umgekehrt werden. So wird geschätzt, dass durch die                               Abkommen wider. Insbesondere das „Übersektorale
Schulschließungen 11 Millionen mehr Mädchen weltweit                              Konzept zur Gleichstellung der Geschlechter“ mit
nicht mehr an die Schulen zurückkehren könnten, mit                               seinem gendertransformativen Ansatz kann so eine
verheerenden Auswirkungen auf ihre Zukunft.2 Auch in                              Grundlage für eine gleichstellungsorientierte Entwick-
anderen Bereichen birgt die COVID-19-Pandemie die                                 lungspolitik darstellen.
Gefahr, dass bestehende Geschlechterungleichheiten
wieder verschärft werden.                                                         Dieser gendertransformative Ansatz wird jedoch nicht
                                                                                  konsequent in allen Gleichstellungsdokumenten, wie
Um diesen Entwicklungen entgegenzutreten, ist es aus                              dem Gender Aktionsplan (GAP) II und den dazuge­
der Sicht von Plan International notwendig, dass die                              hörigen Roadmaps, verfolgt. Insbesondere im Rahmen
deutsche humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammen-                               des aktuellen Reformprozesses „BMZ 2030“ besteht
arbeit im Rahmen ihrer Außen- und Entwicklungspolitik                             Handlungsbedarf.
einen dezidiert gendertransformativen Ansatz verfolgt.
Hierbei gilt es grundsätzliche Fragen nach der Verteilung                         Mädchen und junge Frauen werden in der Entwick-
von Ressourcen und Macht zu stellen und gemeinsam                                 lungszusammenarbeit noch nicht ausreichend als spe-
mit Mädchen und Frauen in all ihrer Diversität darauf                             zifische Zielgruppe und Akteur:innen adressiert. Dies gilt
hinzuwirken, Geschlechtergerechtigkeit weltweit zu                                insbesondere für Bereiche der Entwicklungszusammen-
erreichen. Die Bundesregierung hat sich durch interna-                            arbeit, in denen das Thema Gleichstellung nicht schon
tionale Abkommen, wie der Konvention zur Beendigung                               länger verankert ist. Darüber hinaus werden Jungen
aller Formen von Diskriminierung gegenüber Frauen                                 und junge Männer kaum als gleichstellungspolitische
(CEDAW), dazu verpflichtet, die Gleichstellung von                                Akteur:innen adressiert.
Frauen und Männern zu erreichen. Dies gilt auch für die
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe und                               Humanitäre Hilfe
wurde mit der Agenda 2030 noch einmal bestärkt. Als                               In den Grundlagendokumenten der deutschen humani-
Vorbilder gehen Staaten wie Schweden, Kanada oder                                 tären Hilfe des Auswärtigen Amts ist ein Genderansatz
Frankreich bereits mit einem feministischen Ansatz in                             bislang nur punktuell zu erkennen. Allerdings zeigen
ihrer Außen- und Entwicklungspolitik voran.                                       aktuell veröffentlichte Gleichstellungsdokumente, dass das
                                                                                  Auswärtige Amt gegenwärtig eine erhöhte Aufmerksam-
Dieser Mädchenbericht untersucht, inwieweit Ge-                                   keit auf eine Geschlechterperspektive (nicht nur) in der
schlechtergleichstellung in der deutschen Entwicklungs-                           humanitären Hilfe richtet. Dabei zeigt sich in erster Linie
zusammenarbeit und humanitären Hilfe verankert ist.                               ein bedarfsorientierter Ansatz, der auf eine Berücksichti-
Dabei wird der Genderansatz, also das grundlegende                                gung von geschlechtsbezogenen Bedarfen ausgerichtet
Verständnis von Gender und Geschlechtergerechtigkeit,                             ist, ohne in einem gendertransformativen Sinne explizit
sowie dessen strategische Implementierung anhand                                  gesellschaftliche Gendernormen und Geschlechterver-
von Grundlagen- und Gleichstellungsdokumenten                                     hältnisse zu reflektieren.
untersucht. Ergänzt wurde die Analyse durch Interviews
mit Vertreter:innen aus dem Auswärtigen Amt und dem                               Mädchen und junge Frauen werden dabei wie in der
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit                              Entwicklungszusammenarbeit nicht explizit als eine
und Entwicklung.                                                                  eigene Zielgruppe mit spezifischen Bedarfen und Inter-
                                                                                  essen adressiert.

1
    World Economic Forum (2019): Global Gender Gap Report 2020: http://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2020.pdf
2
    UNESCO (2020): Addressing the gender dimensions of COVID-related school closures. ED/2020/IN3.1 REV: https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000373379

4                                                                     PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021
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Finanzierung                                               Politikfeldern berücksichtigt wird, sondern das gesamte
Gemessen an den absoluten Beträgen war Deutschland         internationale Handeln auf dieses Ziel hin ausgerichtet wird.
im Jahr 2019 größter Geber von öffentlichen Entwick-
lungsgeldern (Official Development Assistance/ODA)         Für eine solche feministische Außen- und Entwicklungs­
mit Gleichstellungsorientierung. Anteilig an der nach      politik muss ein gendertransformativer Ansatz in der
Sektoren aufteilbaren bilateralen ODA betrachtet ergibt    Entwicklungszusammenarbeit erweitert und vertieft
sich jedoch ein anderes Bild. Hier rangiert Deutschland    sowie systematisch umgesetzt beziehungsweise für die
im internationalen Vergleich nur auf dem 15. Platz und     humanitäre Hilfe etabliert werden. Entsprechend müssen
damit im Mittelfeld. 44 Prozent der bilateral sektoralen   in der Entwicklungszusammenarbeit systematische
ODA entfielen auf Maßnahmen, die Gleichstellung im         Gleich­stellungsansätze gestärkt beziehungsweise in der
Nebenziel berücksichtigen, und nur gut 2 Prozent wur-      humanitären Hilfe entwickelt werden. Geschlechterge-
den für Maßnahmen ausgegeben, die auf Gleichstellung       rechtigkeit muss als Ziel in allen Sektoren berücksichtigt
als Hauptziel ausgerichtet sind. Mit diesem geringen       werden und darf nicht nur auf ausgewählte Bereiche
Mittelanteil für spezifische Gleichstellungsmaßnahmen      beschränkt bleiben. Die spezifischen Lebensrealitäten,
liegt Deutschland im internationalen Gebervergleich        Bedarfe und Interessen von Mädchen und jungen Frauen
sogar im unteren Feld. In absoluten Zahlen und im zeit-    müssen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
lichen Verlauf sind die deutschen Mittel für Maß­nahmen    und in der deutschen humanitären Hilfe durchgehend
mit Gleichstellung als Hauptziel seit 2010 sogar nur       berücksichtigt werden.
marginal gestiegen.
                                                           Eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik
Zentrale Empfehlungen                                      bedarf entsprechender Finanzierung. 85 Prozent der
                                                           deutschen ODA-Gelder müssen für Maßnahmen einge-
Das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit muss ins            setzt werden, die Gleichstellung als Nebenziel stärken.
Zentrum der Außen- und Entwicklungspolitik gerückt         Langfristig sollen 20 Prozent Maßnahmen gewidmet
werden. Das bedeutet, dass eine Perspektive der            sein, deren Hauptziel explizit die Stärkung der Rechte
Geschlechtergerechtigkeit nicht nur in ausgewählten        von Mädchen und Frauen ist.

                                                                                                                           Foto: Plan International

PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021                                                                  5
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1. Einleitung
Mädchen und Frauen sind im alltäglichen Leben,                                             Grund dafür ist auch die noch in fast allen Ländern
in allen sozialen, politischen und wirtschaftlichen                                        vorherrschende geschlechterdifferenzierte Machtver­
Bereichen nicht gleichgestellt. Benachteiligungen,                                         teilung und ein Rollenverständnis, dass Hausarbeit und
Diskriminierung und Gewalt treffen Mädchen und                                             Kinderbetreuung Frauensache sei. Mädchen und junge
Frauen aller Altersgruppen, aller sozialen und öko-                                        Frauen sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sexuali-
nomischen Schichten, weltweit in friedlichen wie                                           sierte Gewalt zu erleben, gegen ihren Willen ver­heiratet
in Krisenzeiten. Sie sind in besonderem Maße von                                           zu werden und dauerhaft die Schule verlassen zu
Armut, kriegerischen Auseinandersetzungen und                                              müssen. Damit wird ihre Chance auf ein selbstbestimm-
von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen.                                             tes Leben minimiert. Die Gleichstellung von Mädchen
In vielen Ländern sind es dabei oft Mädchen und                                            und Jungen, von jungen Frauen und Männern, gleiche
junge Frauen, die besondere Benach­teiligungen                                             Beteiligungs- und Einflussmöglichkeiten, Freiheit und
und Gefähr­dungen erfahren. Sie haben sowohl                                               Selbstbestimmung weltweit sind aber ein Schlüssel für
aufgrund ihres Alters als auch aufgrund ihres                                              nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung. Für
Geschlechts spezifische Risiken, Bedarfe und                                               die Sicherung eines gleichen Zugangs aller Menschen
Interessen. So schätzt das Weltwirtschaftsforum,                                           zu sozialen, ökonomischen und politischen Ressourcen
dass es allgemein bei gleich­bleibenden Anstren-                                           sowie einer gleichberechtigten Teilhabe und Mitbestim-
gungen zur Gleich­stellung der Geschlechter noch                                           mung auf allen Ebenen sind die Entwicklung egalitärer
etwa 100 Jahre dauert, bis weltweit Gleichstellung                                         Geschlechterleitbilder und strukturelle Veränderungen
erreicht wird. Im Bereich der wirtschaftlichen                                             notwendig.
Gleich­stellung (257 Jahre) wird dieser Prozess
sogar noch deutlich länger brauchen.3 Egalitäre                                            Plan International setzt sich daher als politisch unab­
Geschlechter­leitbilder, die auch Veränderungen im                                         hängige Organisation der Entwicklungszusammenarbeit
Rollenbild von Jungen und Männern beinhalten,                                              und humanitären Hilfe dafür ein, dass Mädchen und
sind noch eher selten die Grundlage für die Aus-                                           Jungen, junge Frauen und Männer weltweit die glei-
handlung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen.                                             chen Rechte und Chancen haben, ihre Bedarfe und
                                                                                           Interessen berücksichtigt werden und ihre körperliche
Durch die COVID-19 Pandemie und die Maßnahmen,                                             Autonomie gesichert ist und legt dabei einen beson-
die getroffen werden, um die Ausbreitung zu bremsen,                                       deren Fokus auf Mädchen und junge Frauen. Deshalb
haben sich soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten                                      verfolgt Plan das Ziel, alle Projekte und Programme in
weltweit vertieft. Mädchen und junge Frauen sind in                                        der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe
allen Aspekten ihres Lebens davon besonders betroffen.                                     gendertransformativ und partizipativ zu gestalten. Das
Während der Schulschließungen, von denen weltweit                                          bedeutet, dass Plan mit seiner Arbeit über die Verbes-
circa 1,5 Milliarden Kinder und Jugendliche betroffen                                      serung von Lebensbedingungen von Mädchen und
sind4, werden Mädchen häufig in die Pflicht ge­nommen,                                     jungen Frauen hinausgeht. Ziel gendertransformativer
zum Einkommen beizutragen oder im Haushalt zu                                              Programmarbeit ist es, ungleiche Machtverhältnisse zu
helfen und auf ihre Geschwister aufzupassen, anstatt für                                   verändern, damit die Rechte von Mädchen und jungen
die Schule zu lernen.5 Nach Schätzungen der UNESCO                                         Frauen sowie die Gleichberechtigung aller Kinder,
könnten bis zu 11 Millionen Mädchen weltweit nicht                                         Jugendlichen und Erwachsenen unabhängig von ihrer
mehr an die Schulen zurückkehren.6                                                         Geschlechtsidentität und anderen Merkmalen, wie Be-
                                                                                           hinderung, Hautfarbe, ethnischer Herkunft oder sexueller
                                                                                           Orientierung gesichert sind.

3
    World Economic Forum (2019): Global Gender Gap Report 2020: http://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2020.pdf
4
    UNESCO (2020): Responding to COVID-19 and beyondThe Global Education Coalition in action. ED/GEC/2020/02: https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000374364
5
    Plan International (2020): Halting Lives - The impact of COVID-19 on girls and young women: https://plan-international.org/publications/halting-lives-impact-covid-19-girls
6
  UNESCO (2020): Addressing the gender dimensions of COVID-related school closures. ED/2020/IN3.1 REV: https://www.ungei.org/sites/default/files/2021-04/Addres-
sing%20the%20gender%20dimensions%20of%20COVID-related%20school%20closures.pdf

6                                                                             PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021
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Um das Ziel einer geschlechtergerechten Welt erreichen                               In diesem Bericht wird untersucht, inwieweit Gleich-
zu können, bedarf es aus Sicht von Plan International                                stellungsansätze8 in der deutschen Entwicklungs­
eines gendertransformativen Ansatzes in der deutschen                                zusammenarbeit und in der deutschen humanitären
Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe.                                    Hilfe verankert sind und dabei Mädchen und junge Frauen
Das heißt, Geschlechtergerechtigkeit muss ein zentrales                              berücksichtigt werden. Dazu wurden internationale
Ziel der Außen- und Entwicklungspolitik sein. Dazu                                   Rahmendokumente für Gleichstellungsansätze in der
bedarf es einer systematischen Verankerung. In diesem                                Entwicklungspolitik und der humanitären Hilfe betrachtet
Sinne setzt feministische Außen- und Entwicklungs-                                   (Kapitel 2), die gendertransformativen Grundsätze der
politik an der ungerechten Verteilung wirtschaftlicher,                              Arbeit von Plan International dargestellt (Kapitel 3) und
politischer und gesellschaftlicher Macht weltweit an. Die                            auf dieser Grundlage die Regierungsstrategien in der
Vision feministischer Außen- und Entwicklungspolitik ist,                            deutschen Entwicklungszusammenarbeit (Kapitel 4) und
dass alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter,                                 der deutschen humanitären Hilfe (Kapitel 5) analysiert.
sexueller Orientierung, Behinderung und ethnischer oder                              Dazu wurden Grundlagen- und Gleichstellungsdoku­mente
sozialer Herkunft gleichberechtigt und friedlich leben                               aus diesen beiden Handlungsfeldern ausgewertet und
können und die gleichen Chancen auf ein sicheres und                                 durch Expert:inneninterviews ergänzt9.
selbstbestimmtes Leben haben.
                                                                                     Im BMZ findet aktuell im Rahmen des „BMZ
Feministische Außen- und Entwicklungspolitik unter-                                  2030“-­­Prozesses eine Umstrukturierung statt.
stützt die Überwindung von stereotypen Geschlechter-                                 Das bedeutet, die analysierten Dokumente werden in
rollen, bekämpft die Akzeptanz geschlechtsbezogener                                  naher Zukunft von neuen Grundsatz- und Strategie-
und sexualisierter Gewalt und zielt auf die Veränderung                              dokumenten abgelöst. Dies wurde bei der Analyse
gesellschaftlicher Strukturen, die Frauen und Mädchen                                und dem Verfassen von Empfehlungen berücksichtigt.
benachteiligen. Sie basiert auf einem intersektionalen                               Die Empfehlungen sind daher auch als Beitrag zu den
Verständnis und berücksichtigt damit, dass Menschen                                  Diskussionen rund um das neue Qualitäts­merkmal
von Benachteiligungen und Gewaltverhältnissen je                                     „Menschenrechte, Geschlechtergleich­stellung und
nach ihrer sozialen Positionierung unterschiedlich und                               Inklusion“ und seiner Widerspiegelung in den Kern- und
mehrfach betroffen sein können, und dass historisch                                  Initiativthemen sowie Sektor- und Länderstrategien
gewachsene patriarchale, rassistische und anderweitig                                zu betrachten. Eine zusammenfassende Darstellung
diskriminierende Strukturen, die sich gegenseitig be­                                finanzieller Mittel für einen solchen feministischen Ansatz
dingen, überwunden werden müssen.                                                    in der Entwicklungspolitik und der humanitären Hilfe
                                                                                     schließt sich daran an (Kapitel 6). Schließlich werden
Die Ansätze feministischer Außen- und Entwicklungs-                                  Forderungen für eine feministische Außen- und Entwick-
politik haben in den letzten Jahren an Dynamik ge-                                   lungspolitik mit spezifischem Fokus auf Mädchen und
wonnen, vor allem im Rahmen der Maßnahmen zur                                        junge Frauen formuliert (Kapitel 7).
Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustain-
able Development Goals – SDGs) und der Um­setzung
der UN-Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit, die
ihren Ursprung in der UN-Resolution 1325 aus dem
Jahr 2000 hat. Schweden und Kanada waren die
ersten Länder, die sich zu einer feministischen Außen­
politik bekannt haben. Später folgten Frankreich, die
Nieder­lande, Mexiko und Spanien. Auch die deutsche
Bundesregierung hat den Zusammenhang zwischen
Geschlechtergleichstellung, dem Schutz der Menschen-
rechte, nachhaltiger Entwicklung und der Wahrung von
Frieden und Sicherheit betont.7

7
 Grußwort von Außenminister Heiko Maas zur Eröffnung der Veranstaltung Women, Peace and Security Focal Points Network, URL: https://www.auswaertiges-amt.de/
de/newsroom/maas-rede-frauen-frieden-sicherheit/1894654
8
    Gleichstellungsansatz wird hier verstanden als Genderansatz und dessen Implementierungsstrategie.
9
 Untersucht wurden ausschließlich strategische Dokumente des BMZ und des Auswärtigen Amtes, d.h. s fand keine Untersuchung von einzelnen Programmen und
Projekten statt. Daher werden keine Aussagen über den Beitrag von Programmen/Projekten zur Gleichstellung der Geschlechter gemacht. Vielmehr geht es darum,
den in den Ministerien verankerten Genderansatz und dessen strategische Umsetzung in den Häusern zu erfassen und auf dieser strategisch, konzeptionellen Ebene
Empfehlungen auszusprechen.

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Besser gleich: Update für die Außen- und Entwicklungspolitik - MÄDCHENBERICHT 2021 - Plan ...
Foto: Plan International

8   PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021
Besser gleich: Update für die Außen- und Entwicklungspolitik - MÄDCHENBERICHT 2021 - Plan ...
2. Der internationale Rahmen für eine
    gleich­stellungsorientierte Entwicklungs­
    zusammen­arbeit und humanitäre Hilfe
Internationale Abkommen verpflichten Deutschland, den        Unterscheidungen nicht explizit erwähnt, doch galt
Rechten von Mädchen und Frauen zur Durch­setzung             es international immer als selbstverständlich, dass die
zu verhelfen. Insbesondere zwei sich gegenseitig             CEDAW Konvention ohne jegliche Alters­grenzen
ergänzende UN-Konventionen bilden den internatio­            gültig ist.
nalen Rechtsrahmen, der die Rechte von Mädchen und
jungen Frauen schützen soll: Das Übereinkommen zur           In den 1990er Jahren rückten strukturelle Ungleich­
Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau          heiten und Geschlechterverhältnisse zunehmend in den
(Convention Against all Forms of Discrimination against      Blickpunkt internationaler Politik. Geschlechterungleich-
Women, CEDAW) von 1979 und die Kinderrechts­                 heit wurde immer stärker als Folge sozialer, wirtschaft-
konvention (Convention on the Rights of the Child,           licher und kultureller Strukturen und Machtverhältnisse
CRC) von 1989. Diese internationalen Rahmen­                 betrachtet. Im Gegensatz zum „Women and Develop-
dokumente bieten klare Ansatzpunkte für eine wirksame        ment“ Ansatz wurde im „Gender and Development“
Entwicklungs­politik und humanitäre Hilfe mit dem Ziel       Ansatz die Notwendigkeit struktureller Veränderungen
der Geschlechtergerechtigkeit und dem besonderen             von Geschlechterverhältnissen und Geschlechter-
Schutz sowie der besonderen Förderung und Stärkung           rollen betont. In diesem Sinne wurde auf der Vierten
von Mädchen und jungen Frauen.                               Weltfrauen­konferenz 1995 die Aktionsplattform von
                                                             Peking verabschiedet. Bis heute ist sie das umfassendste
Der Fokus auf Mädchen und Frauen fügt sich ein in            globale Konzept für Gleichstellungspolitiken und die
internationale Bemühungen um Gleichstellung und              Stärkung von Mädchen und Frauen. In der Aktions­
Geschlechtergerechtigkeit. Seit den 1960er und 1970er        plattform ist auch das Prinzip des Gender Mainstreaming
Jahren wurde Frauenförderung auf internationaler Ebene       als strategischer Ansatz neben spezifischer Frauen­
als Instrument der Bekämpfung von Benachteiligung            förderung erstmals international verankert worden.
und Diskriminierung anerkannt (VENRO 2010). Die
zentrale Rolle von Frauen in sozialen und wirtschaft­        In der Pekinger Aktionsplattform wird außerdem in
lichen Entwicklungsprozessen und für das Überleben           einem separaten Handlungsfeld die Situation von
von Familien wurde zum entwicklungspolitischen Thema         Mädchen spezifisch behandelt. Es wird anerkannt, dass
(„Women in Development“).                                    Kindheit und Jugend von der Zeit des Erwachsenen­
                                                             lebens getrennt als spezifische Lebensphase zu
Die CEDAW Konvention wurde 1979 verabschiedet und            betrachten sind, und dass sich viele Bedarfe, Interessen
ist seither das wichtigste völkerrechtliche Menschen-        und Gefährdungen von Mädchen und jungen Frauen
rechtsinstrument für Frauen. Es verpflichtet Vertrags-       von jenen erwachsener Frauen unterscheiden (UN
staaten zur rechtlichen und faktischen Gleichstellung        1995). Die Aktionsplattform ruft deshalb Regierungen,
von Frauen und Mädchen in allen Lebensbereichen, ein-        Geberländer und -institutionen und die Zivilgesellschaft
schließlich der Privatsphäre. Der Staat darf nicht gegen     auf, speziell auf Mädchen und junge Frauen gerichtete
den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen und muss            Formen der Diskriminierung zu beenden – insbesondere
aktiv dafür sorgen, die Gleichstellung der Geschlechter      in den Themenfeldern Gesundheit, Ernährung, Bildung –
in der gesellschaftlichen Realität zu erreichen. Er ist      und sicher zu stellen, dass Mädchen und junge Frauen
verpflichtet, eine aktive Politik zur Beseitigung der Dis-   in allen Bereichen ihre Potentiale und Interessen voll
kriminierung von Frauen zu verfolgen (BMFSFJ 2020).          verwirklichen können. Die Plattform ruft auch dazu auf,
Artikel 1 der Konvention definiert jegliche Unterschei-      Daten nach Geschlecht und Alter differenziert zu analy-
dung, Ausschluss oder Einschränkung auf Grund des            sieren, um auf dieser Grundlage Politiken und Program-
Geschlechts als Diskriminierung. Zwar werden Mädchen         me zu formulieren und Entscheidungen für eine bessere
und junge Frauen sowie altersbasierte Bedarfe und            Zukunft für Mädchen und junge Frauen zu treffen.

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Besser gleich: Update für die Außen- und Entwicklungspolitik - MÄDCHENBERICHT 2021 - Plan ...
Die gezielte Aufmerksamkeit, die der Situation von                                  Auswirkungen von Kriegen und Konflikten, beispiels­
Mädchen und jungen Frauen auf der Weltfrauenkonferenz                               weise die Unterstützung von Überlebenden sexualisierter
und in der Aktionsplattform von Peking zuteil­wurde,                                Gewalt, die Verfolgung von Täter:innen, Maßnahmen
war unter anderem ein Ergebnis der Diskussionen                                     gegen Frauen- und Menschenhandel und internationale
und Verhandlungen, die wenige Jahre zuvor zur Ver-                                  Friedenseinsätze.
abschiedung der UN-Kinderrechtskonvention geführt
hatten. Sie bereiteten die Grundlage für eine sensiblere                            Auch in der humanitären Hilfe als einem der spezifi-
Wahrnehmung von Kindheit und Jugend als spezifische                                 schen Handlungsfelder der Außenpolitik gibt es inter-
Lebensphasen. Seit 1989 schreibt die UN-Kinderrechts-                               national schon lange Gender (Mainstreaming) Ansätze
konvention die Anerkennung von Kindern als Träger:in-                               und Forderungen nach einer Gleichstellungsperspektive.
nen von Menschenrechten fest (OHCHR 1989). Zu den                                   Eine zentrale Grundlage ist das „Gender Handbook for
Grundprinzipien der Konvention gehören das Recht auf                                Humanitarian Action“, das 2006 (komplett überarbeitete
Nichtdiskriminierung (Artikel 2), das Recht auf Leben                               Neuauflage 2018) vom Inter-Agency Standing Commit-
und Entwicklung des Kindes (Artikel 6), das Recht auf                               tee (IASC) für die Koordinierung von humanitärer Hilfe
vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls (Arti-                                  veröffentlicht wurde, um Akteur:innen der humanitären
kel 3) und das Recht auf Gehör und Berücksichtigung                                 Hilfe zu unterstützen, durchgängig in Problemanalysen,
der Meinung des Kindes (Artikel 12) (BMFSFJ, 2020).                                 Planungsmodalitäten und Maßnahmen geschlechts-
Neben dem klaren Bekenntnis gegen Diskriminierung                                   bezogene Gefährdungen und Bedarfe zu berücksich-
auf der Grundlage des Geschlechtes werden Mädchen                                   tigen (IASC 2018). Das Handbuch bezieht sowohl die
in der Kinderrechtskonvention explizit im Zusammenhang                              gültigen internationalen Rahmendokumente wie die
mit den Themen sexuelle Ausbeutung und Mädchen-                                     CEDAW-Konvention ein als auch die Handlungsanwei-
handel genannt, unter anderem im entsprechenden                                     sungen von internationalen Organisationen wie UNHCR
Fakultativ­protokoll der Konvention. Außerdem gibt es                               oder Internationales Rotes Kreuz/Roter Halbmond,
einzelne Stellungnahmen des Kinderrechtsausschus-                                   insbesondere auch zum Thema Gewalt gegen Mädchen
ses10 zu Themen, von denen Mädchen und junge                                        und Frauen in humanitären Notsituationen.
Frauen in besonderer Weise betroffen sind oder die
Gleich­berechtigung direkt aufgreifen, zum Beispiel                                 In der 2015 verabschiedeten Agenda für nachhaltige
General Comment 1 über die Ziele von Bildung, General                               Entwicklung (Agenda 2030) wird schließlich die staat-
Comment 4 über Jugendgesundheit oder General                                        liche Verantwortung für gerechte Bedingungen für
Comment 18 über die Beseitigung negativer kultureller                               Mädchen und junge Frauen betont und die zentrale
Einstellungen und Praktiken.11                                                      Rolle von Geschlechtergerechtigkeit für eine nach­
                                                                                    haltige Entwicklung hervorgehoben: Alle Menschen
Im Jahr 2000 verabschiedete der Sicherheitsrat der                                  sollen gesund und gewaltfrei aufwachsen, lernen und
Vereinten Nationen nach jahrelangen Diskussionen                                    sich bilden können und so die Möglichkeiten entwickeln
über Genderperspektiven in Krisenprävention, Konflikt­                              können, sich uneingeschränkt von Diskriminierung
bewältigung und Wiederaufbau sowie über die Rolle                                   verwirklichen zu können. Geschlechtergleichstellung
internationaler Organisation in Friedenseinsätzen die                               ist einerseits direkt im nachhaltigen Entwicklungsziel
Resolution 1325 zur Rolle von Frauen in Friedens- und                               (SDG) 5 „Geschlechtergleichstellung erreichen und alle
Sicherheitsprozessen (BMFSFJ 2011). Diese Resolution                                Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen“
UNSCR 1325 betont die zentrale Rolle von Frauen in                                  verankert und andererseits mit vielen weiteren nach­
den Themenfeldern zivile Krisenprävention, Konflikt­                                haltigen Entwicklungszielen verknüpft. SDG 5 umfasst
lösung und Friedenskonsolidierung sowie humanitäre                                  die Beseitigung von Diskriminierung und Gewalt, Teil-
Nachkriegseinsätze und Wiederaufbaumaßnahmen.                                       habe und Chancengleichheit, sexuelle und reproduktive
Neun weitere UN-Sicherheitsratsresolutionen zum                                     Gesundheit, Rechte über Vermögen und Eigentum,
Themenkomplex „Frauen, Frieden, Sicherheit“ wurden                                  Gleich­stellungspolitik, und fordert die Anerkennung von
in den darauffolgenden Jahren verabschiedet. Sie                                    unbezahlter Pflege- und Hausarbeit. Gleichstellung ist
behandeln einzelne Aspekte geschlechtsbezogener                                     über SDG 5 hinaus in neun weiteren SDGs verankert.

 Der Ausschuss für die Rechte des Kindes ist ein UN-Vertragsorgan. Er überwacht die Einhaltung der Kinderrechtskonvention, durch die periodischen Berichte der
10

Unterzeichnerstaaten und gibt Empfehlungen und Stellungnahmen ab.
11
  Der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen (Committee of the Rights of the Child - CRC)) verfasst regelmäßig sogenannte „General Comments“, Allgemeine
Bemerkungen, zu verschiedenen Bestimmungen und Themenbereichen der Konvention. Er trägt damit dazu bei, die Artikel der Kinderrechtskonvention der Vereinten
Nationen (KRK) auf der Grundlage der Rechtsentwicklung und Praxiserfahrung zu interpretieren. „General Comments“ haben die Qualität von Rechtsgutachten und bieten
den Vertragsstaaten und deren Organen konkrete Unterstützung bei der Interpretation und Umsetzung der Konvention. Vgl. https://www.kinder-und-jugendrechte.de/
kinderrechte/internationale-vereinbarungen/vn-kinderrechtsausschuss/

10                                                                      PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021
Auf Ebene der Europäischen Union formuliert gegen-                                      Die internationalen Rahmendokumente rufen Re-
wärtig der EU-Aktionsplan für die Gleichstellung (GAP) III                              gierungen und internationale Akteur:innen dazu auf,
die Agenda für Gleichstellung und Stärkung von Frauen                                   ausreichende Investitionen in die Realisierung von
in der Außen- und Entwicklungspolitik (EU-Kommission/                                   Frauen- und Mädchenrechten zu tätigen. Allerdings
Hoher Vertreter 2020). Der Aktionsplan fasst gleich­                                    gab es in der Vergangenheit nie eine valide umfassende
stellungspolitische Ziele in den unterschiedlichen Hand-                                Datengrundlage, um Investitionen in ihrer Gesamtheit
lungsfeldern der Außen- und Entwicklungspolitik in ei-                                  nachvollziehen und überprüfen zu können.
nem politischen Rahmen zusammen. Die thematischen
Schwerpunktbereiche sind Schutz vor jeglicher Form                                      Während es also einen vielgestaltigen internationalen
geschlechtsbezogener Gewalt; Förderung der sexuellen                                    Rahmen für Gleichstellungspolitiken gibt, offenbaren
und reproduktiven Gesundheit und der damit verbunde-                                    sich Schwächen in Bezug auf eine spezifische Be-
nen Rechte; Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen                                  rücksichtigung von Mädchen und jungen Frauen. So
Rechte und der Selbstbestimmung von Mädchen und                                         werden Mädchen und junge Frauen teilweise nicht als
Frauen: Förderung von gleichberechtigter Teilhabe und                                   eigene Rechtssubjekte mit spezifischen Gefährdungen,
Übernahme von Führungspositionen, Umsetzung der                                         Bedarfen und Interessen aufgrund ihres Alters und ihres
Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit, Bewältigung                                  Geschlechts wahrgenommen. Stattdessen werden sie
der Herausforderungen und Nutzung der Chancen, die                                      entweder bei Kindern, Heranwachsenden und Jugend-
der grüne und der digitale Wandel bieten. Dem Handeln                                   lichen oder bei Frauen „mitgemeint“. Die besonderen
der EU und auch einzelnen Maßnahmen soll ein Ver-                                       Lebenslagen, Risiken und Bedarfe von Mädchen und
ständnis für Mehrfachdiskriminierungen zugrunde liegen                                  jungen Frauen sind, teilweise mangels Daten, oft nicht
und die „besonderen Schwierigkeiten von Mädchen                                         sichtbar, so dass bei der Entwicklung von Interventionen
und älteren Frauen“ sollen berücksichtigt werden.                                       die Ursachen und Zusammenhänge der Lebensrealitäten
Junge Menschen werden als „Triebfedern des Wandels“                                     von Mädchen nicht adressiert werden (UNICEF u.a.
verstanden, so dass die Förderung bürgerschaftlichen                                    2020). Die spezifischen und langanhaltenden Aus­
Engagements junger Frauen und die Notwendigkeit                                         wirkungen von Menschenrechtsverletzungen an Mäd-
der Förderung des Zugangs zu Führungspositionen                                         chen und jungen Frauen und ihre spezifische Situation
besonders betont werden. Weiterhin werden Mädchen                                       werden auch in Genderanalysen, geschlechtsbezogenen
und junge Frauen explizit genannt in Bezug auf den                                      Handlungsansätzen und Gleichstellungsstrategien und
thematischen Schwerpunktbereich wirtschaftliche und                                     Herangehensweisen nicht immer deutlich.14 Mädchen
soziale Rechte sowie bei den Themen Bildung, Gesund-                                    und junge Frauen werden somit nicht durchgängig als
heit, Digitalisierung und Gewaltschutz.                                                 Akteur:innen und Gestalter:innen von Gesellschaft wahr-
                                                                                        genommen und gefördert, solange der Blick nicht auch
Der Aktionsplan enthält die Verpflichtung, dass „bis                                    explizit auf ihre spezifischen Lebensrealitäten gelenkt
2025 mindestens 85 Prozent aller neuen Maßnahmen                                        wird.
im Außenbereich als Hauptziel oder wesentliches Ziel
die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung                                    Dabei steht die besonders starke und geschlechtsbe-
der Rolle von Frauen und Mädchen aufnehmen.“12                                          zogene Betroffenheit von Mädchen und jungen Frauen
Für das Handlungsfeld der humanitären Hilfe legt der                                    von globalen, regionalen und nationalen Entwicklungen
EU-Aktionsplan besonderen Wert auf geschlechts- und                                     mittlerweile außer Frage. In der COVID-19 Pandemie
altersspezifisches Handeln in allen Maßnahmen, das                                      beispielweise sind Mädchen und junge Frauen sowohl in
durch den Einsatz des humanitären Gleichstellungs-/                                     Bezug auf ihren Zugang zu Bildung und Arbeit besonders
Altersmarkers der Kommission unterstützt werden soll.13                                 betroffen, sie tragen aber auch ein erhöhtes Risiko
Außerdem sollen in der Umsetzung des GAP III humani-                                    für Zwangsehen, leisten mehr unbezahlte Haus- und
täre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedens-                                    Sorgearbeit und haben einen schlechteren Zugang zu
förderung im Rahmen des Nexus-Ansatzes verknüpft                                        reproduktiver Gesundheit sowie ein erhöhtes Risiko,
und die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen                                       sexua­lisierte Gewalt im öffentlichen Raum und im sozialen
Akteur:innen nachdrücklich gefördert werden.                                            Nahraum zu erfahren (Plan International 2020).

12
   Im „Außenbereich“ umfasst das auswärtige Handeln der EU in allen außenpolitischen Maßnahmen und Sektoren. Für die Einstufung von Maßnahmen gemäß ihres
Hauptziels oder wesentlichen Ziels wird das Bewertungssystem des OECD DAC für die Gleichstellung der Geschlechter angewandt. In diesem Sinne bedeutet „erheb-
lich“ (Marker 1), dass die Gleichstellung der Geschlechter ein wichtiges, aber nicht das vorrangige Ziel der Maßnahme ist, während mit „hauptsächlich“ (Marker 2) die
Gleichstellung als Hauptziel der Maßnahme gekennzeichnet wird.
13
     Vgl. URL: https://ec.europa.eu/echo/files/policies/sectoral/gender_age_marker_toolkit.pdf
14
  Beispielsweise werden im General Comment 14 der CEDAW Konvention, der sich mit weiblicher Genitalverstümmelung befasst, Mädchen kein einziges Mal explizit
genannt, obwohl sie erwiesenermaßen häufiger von FGM betroffen sind als erwachsene Frauen.

PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021                                                                                                               11
3. Konzeptionelle Kriterien:
                               gendertransformative Grundsätze
Foto: Plan International

                           12                    PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021
Durch die vielfältigen internationalen Abkommen be-     stellungsdokumente aus diesen beiden Handlungs­
steht auch für die Bundesregierung die Verpflichtung,   feldern ausgewertet und durch Expert:inneninterviews
Gleichstellungsansätze in der deutschen Entwicklungs-   ergänzt. In den Blick genommen wurden dabei sowohl
zusammenarbeit und humanitären Hilfe zu verankern.      der Genderansatz (die inhaltliche Ausrichtung) als auch
Um zu untersuchen, inwieweit das der Fall ist, wurden   die Gleichstellungsstrategie (die strategische Implemen-
für diesen Mädchenbericht Grundlagen- und Gleich­       tierung).

                                                        Während der Genderansatz die grundsätzliche Aus-
                                                        richtung, wie beziehungsweise mit welcher Zielrichtung
                                                        Geschlechterfragen in der Entwicklungszusammen-
                                                        arbeit und humanitären Hilfe berücksichtigt werden,
                                                        darstellt, beschreibt eine Gleichstellungsstrategie, wie
                                                        systematisch ein Genderansatz in den Handlungsfeldern
                                                        der Außen- und Entwicklungspolitik im Hinblick auf die
                                                        konkrete Umsetzung implementiert werden soll. Eine
                                                        systematische Gleichstellungsstrategie beruht auf analy-
                                                        tischen Problembeschreibungen (Genderanalysen) sowie
                                                        einer Analyse von möglichen geschlechtsbezogenen
                                                        Auswirkungen aller Handlungsansätze und Maßnahmen
                                                        (Gender Impact Assessment) und formuliert auf dieser
                                                        Grundlage konkrete Gleichstellungsziele, geschlechts-
                                                        bezogene Handlungsansätze und eine konkrete Imple-
                                                        mentierungsstrategie (Bergmann/Pimminger 2004).

                                                        Als Genderansatz wiederum lassen sich ein Bedarfs-
                                                        ansatz, ein Akteur:innenansatz und ein gendertrans-
                                                        formativer Ansatz unterscheiden15. Ein Bedarfsansatz
                                                        versteht Mädchen und Frauen in erster Linie als eine
                                                        der besonders benachteiligten beziehungsweise vul-
                                                        nerablen Gruppen und zielt auf die Berücksichtigung
                                                        geschlechtsbezogener Bedarfe und auf einen gleichen
                                                        beziehungsweise bedarfsgerechten Zugang zu Maßnah-
                                                        men und Unterstützungsangeboten16. Ein Akteur:innen-
                                                        ansatz hebt demgegenüber Frauen insbesondere als
                                                        Akteur:innen (beispielsweise in ihrer Rolle als Familien-
                                                        versorger:in und Aufrechterhalter:in gemeinschaftlicher
                                                        Strukturen) hervor. Unterschiede zwischen Frauen und
                                                        Männern sollen berücksichtigt und Frauen als Ak-
                                                        teur:innen einbezogen werden, insbesondere auch um
                                                        Maßnahmen effizienter und wirksamer zu gestalten17.

                                                        15
                                                          Nach Olivius (2016), die auf Grundlage von Fallstudien im Feld der humanitären
                                                        Hilfe zwischen „basic needs approach“, „instrumentalist approach“ und „moderni-
                                                        zation approach“ unterscheidet.
                                                        16
                                                           Im entwicklungspolitischen Feld gibt es eine lange Auseinandersetzung
                                                        mit dem Verständnis von Bedarfen von Frauen sowie mit gendergerechten
                                                        Planungsprozessen (vgl. bspw. Moser 1993). Dabei hat sich für entwicklungs­
                                                        politische Genderansätze ein Verständnis durchgesetzt, das zwischen praktischen
                                                        geschlechtsbezogenen Bedarfen und strategischen, auf Gleichstellung orientierte
                                                        Interessen unterscheidet. Diese zu verbinden ist ein Anliegen insbesondere von
                                                        gendertransformativen Ansätzen.
                                                        17
                                                          Kritisch diskutiert wird dass sich internationale Organisationen oder Regie-
                                                        rungen auf Akteur:innenansätze beziehen bei der Integration von Frauen in
                                                        Wirtschaftskreisläufe und Entwicklungspolitik, um sich die geschlechtsbezogene
                                                        Arbeitsteilung und Gendernormen zunutze machen, ohne notwendigerweise
                                                        wirtschaftliche und soziale Verhältnisse geschlechtergerecht zu transformieren
                                                        (vgl. bspw. Wichterich 2007).

PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021                                                                                 13
Ein gendertransformativer Ansatz schließlich betont,
dass ein Verständnis von Gendernormen und gesell-             • V
                                                                 erbesserung der Situation (praktische
schaftlichen Geschlechterverhältnissen nicht nur für            Bedarfe) und der sozialen Position
eine bedarfsgerechte Berücksichtigung von Frauen und            (strukturelle Ziele) von Mädchen und
Mädchen notwendig ist, sondern auch für die Förderung           jungen Frauen
von sozialem Wandel zu geschlechtergerechteren                	Ein gendertransformativer Ansatz verbessert
Gesellschaften.                                                 den Lebensalltag und die soziale Stellung von
                                                                Mädchen und jungen Frauen in der Gesell-
Plan International setzt sich in seinem weltweiten En-          schaft.
gagement für Kinder und Jugendliche für das Ziel der
Geschlechtergerechtigkeit ein und verfolgt dabei einen        •	
                                                                Aktivierung von Jungen und Männern als
gendertransformativen Ansatz. Das bedeutet, dass die            Akteure für Geschlechtergerechtigkeit und
Programme und Projekte darauf ausgerichtet sind, die            Stärkung positiver Männlichkeitsleitbilder
grundlegenden Ursachen von Geschlechterungerechtig­           	Ein gendertransformativer Ansatz arbeitet mit
keit und bestehende Machtverhältnisse sichtbar zu               Jungen und jungen Männern zusammen, damit
machen und zu verändern. Damit geht der gendertrans-            auch sie sich für die Gleichstellung von Mäd-
formative Ansatz von Plan über die Verbesserung von             chen und jungen Frauen einsetzen, aber auch
Lebensbedingungen von Mädchen und Frauen hinaus                 für sie selbst ein positives Männlichkeitsbild
und zielt auf die Verbesserung ihrer sozialen und gesell-       erreicht wird.
schaftlichen Position ab sowie auf die Verwirklichung
ihrer Rechte. Plan hat sich daher zum Ziel gesetzt, dass      • B
                                                                 erücksichtigung einer intersektionalen
alle Programme und Projekte in diesem Sinne gender-             Perspektive
transformativ sein sollen und dafür eigens einen Marker       	Ein gendertransformativer Ansatz nimmt
entwickelt, der das gendertransformative Potenzial von          Mädchen und Jungen, junge Frauen und
Programmen und Projekten misst. Dieser beruht auf               Männer in ihrer Vielfalt wahr.
den folgenden sechs gendertransformativen Grund­
sätzen:                                                       • S
                                                                 chaffung von gleichstellungsfördernden
                                                                Rahmenbedingungen (Gesetzeslage,
                                                                Politiken, Institutionen)
                                                              	Ein gendertransformativer Ansatz schafft ein
     •	
       Überwindung von schädlichen                              positives Umfeld, das dazu beiträgt, Mädchen
       Geschlechter­rollen und Entwicklung von                  und junge Frauen zu unterstützen und
       egalitären Geschlechterleitbildern                       Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen.
     	Ein gendertransformativer Ansatz versteht und
       adressiert, wie Gendernormen Kinder und
       Jugendliche mit lebenslangen Konsequenzen
       beeinflussen.                                        Den Analysen und Empfehlungen des Mädchenberichts
                                                            liegt ein gendertransformatives Verständnis im Sinne
     • S
        tärkung der Handlungsfähigkeit und                 dieser sechs Grundsätze zugrunde. Eine gendertrans-
       Empowerment von Mädchen und jungen                   formative Perspektive muss auf der strategischen, also
       Frauen                                               der Projektebene übergeordneten Ebene konzeptionell
     	Ein gendertransformativer Ansatz stärkt Mäd-         und praktisch verankert sein. Nur so kann sichergestellt
       chen und junge Frauen in Entscheidungs­              werden, dass alle Programme und Projekte effektiv auf
       prozessen, die sie selbst betreffen, im Rahmen       die Veränderung von Gendernormen und Geschlechter-
       von Familie, Gemeinschaft und Kommune, aber          verhältnissen zielen und Mädchen und Frauen Chancen
       auch darüber hinaus auf nationaler, regionaler       auf wirkliche soziale, politische und ökonomische Teil­
       und internationaler Ebene.                           habe eröffnen.

14                                                 PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021
Abbildung 1

        Genderansatz

                                                                                        = strategische Implementierung des Genderansatzes
                                                                                                                                            Gleichstellungsstrategie
        Bedarfsansatz
        Betont Mädchen und Frauen als eine der besonders benachteiligten bzw.
        vulnerablen Gruppen und zielt auf die Berücksichtigung geschlechtsbezogener
        Bedarfe und auf einen gleichen bzw. bedarfsgerechten Zugang zu Maßnahmen
        und Unterstützungsangeboten.

        Akteur:innenansatz
        Betont Mädchen und Frauen als Akteur:innen und zielt auf ihre Einbeziehung
        ab, insbesondere auch um Maßnahmen effizienter und wirksamer zu gestalten.

        Gendertransformativer Ansatz
        Betont, dass ein Verständnis von Gendernormen und gesellschaftlichen
        Geschlechterverhältnissen nicht nur für eine bedarfsgerechte Berücksichtigung
        von Frauen und Mädchen notwendig ist, sondern auch für die Förderung von
        sozialem Wandel zu geschlechtergerechteren Gesellschaften.

        Plans Grundsätze für
        eine gendertransformative
        Programmarbeit
         1.
                  Überwindung von schädlichen Geschlechterrollen und Entwicklung
                  von egalitären Geschlechterleitbildern

         2.       Stärkung der Handlungsfähigkeit und Empowerment von Mädchen
                  und jungen Frauen

         3.       Verbesserung der Situation (praktische Bedarfe) und der sozialen
                  Position (strukturelle Ziele) von Mädchen und jungen Frauen

         4.       Aktivierung von Jungen und Männern als Akteure für Geschlechter­
                  gerechtigkeit und Stärkung positiver Männlichkeitsleitbilder

         5.       Berücksichtigung einer intersektionalen Perspektive

         6.       Schaffung von gleichstellungsfördernden Rahmenbedingungen
                  (Gesetzes­lage, Politiken, Institutionen)

PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021                                                                                                                   15
4. Gleichstellungsansätze
    in der Entwicklungs­zusammenarbeit

4.1. Genderansatz und                                                             Der Ansatz ist verbindlich für die Institutionen der
                                                                                  staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Ziel entwick-
Gleich­stellungsstrategie                                                         lungspolitischen Handelns im Sinn dieses Konzepts
in der deutschen Entwicklungs­                                                    ist es, Benachteiligungen von Mädchen und Frauen
                                                                                  zu beenden, Geschlechterhierarchien abzubauen und
zusammenarbeit                                                                    einen Machtausgleich zu erreichen, wie auf der Über-
                                                                                  sichtsseite des BMZ ausgeführt: Der „Gender-Ansatz
Frauenrechte und Gleichstellungsansätze haben eine                                der deutschen Entwicklungspolitik [stellt] das Verhältnis
lange Geschichte in der Entwicklungszusammenarbeit                                zwischen den Geschlechtern in den Mittelpunkt: Nur
der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind ein Grund-                               wenn das Bewusstsein und Handeln von Männern,
prinzip sowohl staatlicher als auch nichtstaatlicher Ent-                         Frauen und Menschen mit weiteren Geschlechts­
wicklungszusammenarbeit. Um den Genderansatz und                                  identitäten verändert wird, lässt sich eine gerechtere
die bisherige Gleichstellungsstrategie der deutschen                              Ver­teilung von Macht, Verantwortung und Ressourcen
Entwicklungszusammenarbeit des Bundesministeriums                                 erreichen“.19 Die Strategie basiert auf einem Verständ-
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung                                nis von „Mehrfach-Diskriminierungen“ aufgrund von
(BMZ) vor dem Hintergrund der derzeitigen Reform des                              Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, Haut-
BMZ („BMZ 2030“) nachzuzeichnen, wurden Grund­                                    farbe, sexueller Orientierung, Behinderung und Alter, die
lagendokumente des BMZ ausgewertet und ein Hinter-                                überwunden werden sollen.
grundgespräch mit einer Vertretung des BMZ geführt.
Die Liste der ausgewerteten Dokumente findet sich im
Anhang.

Im Jahr 2014 wurde der Genderansatz des BMZ als
ein gendertransformativer Ansatz in einem übersekto-
ralen Konzept klar verankert. Es wurde eine dreigleisige
Heran­gehensweise für die deutsche Entwicklungs-
zusammenarbeit festgelegt, die aus Gender Main-
streaming, Empowerment und Politikdialog besteht
(BMZ 2014). Unter Empowerment werden „spezifische
Vorhaben, die zu einer deutlichen Stärkung von Frauen-
rechten beitragen“, verstanden. Die Berücksichtigung
der „unterschiedlichen Lebenslagen und Interessen“
von „Frauen, Männern und Menschen mit anderen
Geschlechts­identitäten“ in allen entwicklungspolitischen
Strategien, Programmen und Projekten entspricht dem
Leitbild des Gender Mainstreaming. Drittens sollten bei
Regierungsverhandlungen und -konsultationen und im
politischen Dialog zu verschiedenen Sachgebieten und
mit anderen Gebern „Gender-Fragen und Frauenrechte
                                                                                                                                              Foto: Plan International

verstärkt berücksichtigt“ werden.18

18
     URL: https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/frauenrechte-und-gender/gender-ansatz-59366
19
     URL: https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/frauenrechte-und-gender/gender-ansatz-59366

16                                                                     PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021
In Bezug auf die operative Implementierung des Ansat-          Das übersektorale Konzept wurde im „Entwicklungs-
                     zes findet sich ein Auftrag zum Gender Mainstreaming           politischen Aktionsplan zur Gleichberechtigung der
                     in allen Aspekten der Entwicklungszusammenarbeit, der          Geschlechter 2016 – 2020“ (GAP II) konkretisiert und
                     sich an alle Beteiligten richtet: „Alle beteiligten Akteure    Schwerpunkte für die Umsetzung wurden formuliert.
                     sind beauftragt, die Gleichberechtigung der Geschlechter       Insbesondere wurden Herausforderungen und Poten-
                     als Querschnittsaufgabe in der Planung, Struktur,              tiale für die Umsetzung des dreigleisigen Ansatzes der
                     Steuerung, Durchführung sowie in der Berichterstattung         Genderstrategie in der konkreten Entwicklungszusam-
                     und Auswertung von Vorhaben zu berücksichtigen.“               menarbeit festgehalten (BMZ 2016). Neun thematische
                     (BMZ 2014). Instrumente dafür sind verpflichtende              Schwerpunkte und sieben übergreifende Handlungs­
                     Genderanalysen und die übersektorale Klassifizierung           felder wurden darin festgelegt. In jedem Schwerpunkt
                     nach dem OECD-DAC Gender Policy Marker („GG-­                  wurden strategische Ziele formuliert, die während
                     Kennung“). Der Marker wird als statistische Größe für          der Laufzeit des GAP II erreicht werden sollten (siehe
                     die Qualitätssicherung, aber auch als Steuerungsinstru-        Abb. 2). In den thematischen Schwerpunkten und über-
                     ment verortet. Auch die Notwendigkeit gendersensiblen          greifenden Handlungsfeldern ist allerdings nicht immer
                     Monitorings wird betont. Als Voraussetzungen für die           zu erkennen, wie der gendertransformative Ansatz des
                     Umsetzung des Konzeptes werden politischer Wille,              BMZ (d.h. Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen
                     politische und Organisationskultur, Rechenschafts-             Normen und Geschlechterstereotypen und Abbau
                     pflicht, Transparenz und Beschwerdemöglichkeiten               struktureller Ungleichheiten) umgesetzt werden soll.
                     sowie Gender­kompetenzen und Wissensmanagement
                     genannt (BMZ 2014).

                     Abbildung 2
                     Thematische Schwerpunkte und übergreifende Handlungsfelder im Gender-Aktionsplan

                       Thematische                                                    Übergreifende
                       Schwerpunkte                                                   Handlungsfelder
                       •	Zugang zu Recht und Gerichtsbarkeit, politische und         •	Maßnahmen zur Umsetzung des Genderansatzes
                          wirtschaftliche Teilhabe, Mitbestimmung, Repräsentation
                       •	Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Ernährungs­       •	Zusammenarbeit mit Männern
                          sicherung
                       •	Gewalt gegen Frauen und Mädchen                             •	Überwindung der Mehrfachdiskriminierung
                       •	Bewaffnete Konflikte, Friedenssicherung und Flucht
                                                                                      •	Geschlechtergerechte Entwicklungsfinanzierung
                       •	Bildung
                       •	Erwerbsarbeit und wirtschaftliches Empowerment              •	Förderung von Genderkompetenz und Wissens­
                       •	Gesundheit, inklusive sexuelle und reproduktive                management
                          Gesundheit und Rechte (SRGR)
                       •	Wasser- und Sanitärversorgung                               •	Frauen- und Mädchenrechte und Sport
Quelle: (BMZ 2016)

                       •	Klimawandel, Katastrophenrisikomanagement und
                          nach­haltige Entwicklung                                    •	Stärkung von Frauenorganisationen

                     PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021                                                                17
Jährliche Umsetzungspläne („Road Maps“) der Jahre                                  häufig auf der Ebene des Haushalts oder der Gemein-
2017, 2018, 2019 boten während der Laufzeit des                                    den. Die für Gleichstellung notwendige strategische
Aktions­plans einen Überblick über die vorrangigen                                 Positionierung von Mädchen und Frauen, die den Griff
Maßnahmen und Aktivitäten sowie die angestrebten                                   nach wirtschaftlicher und politischer Macht erlauben
Wirkungen. Die Roadmaps stellten „Meilensteine“ –                                  würde, sowie die geschlechtergerechte Transformation
also Maßnahmen, durch die der Aktionsplan umgesetzt                                wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen
werden sollte – sowie „Leuchttürme“ – das heißt prio-                              werden weniger priorisiert. Die Notwendigkeit einer
ritäre Maßnahmen der deutschen Entwicklungszusam-                                  Veränderung von Institutionen und Strukturen im Sinne
menarbeit in der Umsetzung des GAP II – dar. Allerdings                            gleichstellungsfördernder Rahmenbedingungen wird nur
fand in den Roadmaps keine Berichterstattung über das                              gestreift. Insbesondere die Hebelwirkung, die gleich­
jeweilige Finanzvolumen einzelner Maßnahmen statt,                                 stellungsfördernde Rahmenbedingungen entfalten kann,
und auch ein direktes Monitoring der Zielerreichung wurde                          wird nicht betont.
durch die Roadmaps nicht erreicht. Der dreigleisige
Genderansatz (Empowerment, Mainstreaming, Politik-                                 Die Umsetzung des übersektoralen BMZ-Konzepts
dialog) wurde in den Roadmaps nicht aufrechterhalten.                              „Gleichberechtigung der Geschlechter in der deutschen
Insbesondere die „Verankerung von Gleichberechtigungs-                             Entwicklungspolitik“ und des „Entwicklungspolitischen
themen“ im Politikdialog bleibt während der Laufzeit des                           Aktionsplan zur Gleichberechtigung der Geschlechter
Aktionsplans weitgehend unklar, und es findet keine                                2016-2020“ waren nicht mit einem eigenen Budget
systematische Erfassung oder Berichterstattung über                                und/oder thematischen Zielgrößen für Investitionen in
Initiativen im Politikdialog statt.20 Zivilgesellschaft­liche                      Sektoren ausgestattet. Auch die vom BMZ veröffent-
Organisationen haben die Umsetzung des Aktions-                                    lichten Berichte zur Umsetzung des Aktionsplans (die
plans von Beginn an als langsam und unsystematisch                                 „Road­maps“) geben keinen Aufschluss über die in
kritisiert (VENRO 2016). Bis Mai 2021 wurde noch nicht                             diesem Rahmen aufgewendeten finanziellen Mittel.
öffentlich kommuniziert, ob eine Evaluierung des 2020
beendeten Aktionsplans zur Gleichberechtigung der                                  Im Rahmen der derzeitigen Reform des BMZ („BMZ
Geschlechter vorgesehen ist.                                                       2030“) findet eine institutionelle Veränderung der
                                                                                   Gleichstellungsstrategie in der Entwicklungszusammen-
Bei der Analyse der entwicklungspolitischen Gleich-                                arbeit statt: Geschlechtergerechtigkeit verliert seinen
stellungsansätze und der Berichte über durchgeführte                               eigenständigen Status als Querschnittskriterium und
Maßnahmen aus dem Blickwinkel der gendertrans­                                     wird künftig in das „Qualitätsmerkmal Menschenrechte,
formativen Kriterien, die Plan International formuliert hat,                       Geschlechtergleichstellung, Inklusion“ neben fünf an-
fallen Übereinstimmungen und Unterschiede auf. Eine                                deren Qualitätsmerkmalen integriert (BMZ 2020). Auch
deutliche Übereinstimmung ist bei der Notwendigkeit                                im Genderansatz deuten sich inhaltliche Veränderungen
der Überwindung von bestehenden Geschlechterrollen                                 an: Geschlechtergerechtigkeit ist weder ein eigenes
zu sehen. Allerding werden die Entwicklung von egalitären                          „Kernthema“ noch ein „Initiativthema“. So besteht das
Geschlechterleitbildern, insbesondere die Erarbeitung                              Risiko, dass die Gender-Strategie von 2014 hinfällig
eines positiven Männlichkeitsleitbildes mit Jungen und                             wird. Nach Auslaufen des Gender-Aktionsplans im Jahr
jungen Männern sowie das Thema geschlechtliche                                     2020 wurde keine Neuauflage initiiert. Da das Hinter-
Diversität, im BMZ Aktionsplan zwar erwähnt, haben                                 grunddokument zum Qualitätsmerkmal bis zum Frühjahr
aber in den aufgeführten Maßnahmen wenig Beachtung                                 2021 noch nicht vorliegt, ist bisher nicht abzusehen, in-
gefunden. Transformation von Geschlechterverhältnis-                               wiefern der dreigleisige Ansatz aus der Gender-­Strategie
sen wurde so weitgehend als Veränderungsaufgabe auf                                aufrechterhalten wird und in welcher Form das strate-
Seiten von Mädchen und Frauen und bei Strukturen, die                              gische Prinzip des Gender Mainstreaming in Zukunft
diese einschränken, verortet.                                                      verankert wird.

Auch die Stärkung der Handlungsfähigkeit von Frauen
und die Notwendigkeit einer gerechteren Verteilung von
Mitbestimmung und Verantwortung werden im BMZ
Gender-Konzept betont. Allerdings bleibt das Konzept,
aber auch die in den Roadmaps berichteten Maßnahmen,

20
     Die Notwendigkeit einer systematischen Erfassung war in der BMZ Gender-Strategie 2014 erwähnt worden (BMZ 2014).

18                                                                     PLAN INTERNATIONAL DEUTSCHLAND | MÄDCHENBERICHT 2021
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