FREIGÄNGER - Ein neuer Betreuungsverein stellt sich vor - UNABHÄNGIGE ZEITSCHRIFT DES VEREINS RGM RECHT UND GERECHTIGKEIT IM MASSNAHMENVOLLZUG
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FREIGÄNGER 2021-01 UNABHÄNGIGE ZEITSCHRIFT DES VEREINS RGM RECHT UND GERECHTIGKEIT IM MASSNAHMENVOLLZUG Ein neuer Betreuungsverein stellt sich vor BERATUNG UND BETREUUNG FÜR UNTERGEBRACHTE IM MASSNAHMENVOLLZUG UND DEREN ANGEHÖRIGE
INHALT LIEBE LESER MASSNAHMENVOLL ZUG PORTRAIT 04 05 08 EDITORIAL STATUS QUO VORSTAND & Impressum einer Baustelle Stellt sich vor 2 02 • 21
? OBMANN KOLUMNE R ÄT S E L 12 14 15 INTERVIEW SPITZE FEDER KREUZWORTR ÄTSEL Mag. Raoul Warnung von Scriba & Sudoku Man darf auch fragen wie oft „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ von einer Polizei provoziert wird... Scriba Kolumnist FREIGÄNGER 3
EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, Sie halten ein Exemplar der ersten Aus- gabe des „Freigängers“ in Ihren Händen. Mit dieser neuen Zeitschrift wollen wir, der Verein Recht und Gerechtigkeit im Maßnahmenvollzug (RGM), Sie mit Informationen und Nachrichten versor- gen, die für Sie als Untergebrachte im Maßnahmenvollzug interessant sein könnten. Diese Ausgabe ist in erster Linie der Vorstellung des Vorstands des neuen Vereins gewidmet, damit Sie ein Bild davon bekommen, wer sich außerhalb der Anstaltsmauern für Ihre Interessen, Sorgen und Bedürfnisse einsetzt. Für die zukünftigen Ausgaben ist es mir ein persönliches Anliegen, dass in dieser Zeitschrift vor allem jene Themen behandelt werden, die Sie im Vollzugs- alltag betreffen. Daher meine Bitte: Tei- len Sie uns mit, worüber Sie gerne mehr lesen würden! Mit den besten Grüßen, Raoul Warnung Vereinsobmann Impressum & Offenlegung gem. § 25 MedienG Medieninhaber, Herausgeber und medienrechtlich verantwortlich: RGM Recht und Gerechtigkeit im Maßnahmenvollzug, Schelleingasse 19/6, 1040 Wien, Telefon 01 943 50 83, E-Mail: freigaenger@rgmwien.at, ZVR: 1 995 866 493 • Layouterin: Julia Hofer • Druck: Offlimit, Arbei- tergasse 1, 2232 Deutsch Wagram • Fotos: wenn nicht anders genannt von Adobe Stock • Bankverbindung: BAWAG: IBAN AT68 1400 0046 1095 0588 • Vorstand: Obmann Mag. Raoul Warnung, Schriftführer Ing. Gerhard Klösch, Schriftführerin-Stv. Nathalie Szabo, Kassier Thomas Ehrenberger, Kassier-Stv. Mag.a Nina Ladinigg Vereinszweck: Der Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist, bezweckt die Schaffung und den Betrieb einer Anlauf- und Be- treuungsstelle für Untergebrachte im österreichischen Maßnahmenvollzug gemäß § 21 Abs. 1 und 2 StGB. Genauso, auch wenn momentan von geringerer Bedeutung, ist der Verein Anlauf- und Betreuungs-stelle von Untergebrachten gemäß §§ 22 und 23 StGB. Der Verein dient auch als Anlauf- und Beratungsstelle für Angehörige, Freunde und Bekannte von Untergebrachten sowie für entlassene Untergebrachte. Erklärtes Ziel des Vereins ist es auch, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die menschenrechtliche Problematik des präventiven Freiheits- entzugs zu schaffen. 4 02 • 21
MASSNAHMENVOLL ZUG Status quo MA SSN A HM EN V OL L Z U G einer Baustelle In den 1970er Jahren wurde der Maßnahmenvollzug noch als Vorzeigemodell gefeiert, wird er nun für die Justiz zu einem immer größer werdenden Problem. Dazu beigesteuert haben verschleppte Reformen, die steigende Anzahl der Einweisungen und die dadurch überfüllten Anstalten. T E X T: J U S T I N A K A I S E R FREIGÄNGER 5
MASSNAHMENVOLL ZUG S eit der Strafrechtsre- form 1975 gibt es in Österreich ein Maß- nahmenrecht, Einführung war durch den Behand- die Probleme des Maßnahmenvollzugs Steigende Zahlen bei lungs- und Heilungsgedanken im Strafvollzug geprägt. Die Entwick- lung galt als ein Meilenstein zu den Unterzubringenden einem modernen und auch huma- nen Strafvollzug und es wurden dafür neue behandlungsorientierte eine Todesdrohung, um eingewie- tant bei 260 Menschen, stieg Vollzugseinrichtungen gegründet. sen zu werden. Gedacht war, dass danach die Anzahl rasant an. Ein Seitdem umfasst das Strafgesetz- der Maßnahmenvollzug die Psych- Grund dafür ist die Verabschie- buch drei verschiedene Maßnah- iatrie entlastet, die Gesellschaft dung des Unterbringungsgesetzes, men, die in den Paragrafen §§ 21–23 vor einigen wenigen gefährlichen welches die Voraussetzung einer ausgeführt sind. Menschen schützt und diesen Einweisung von Menschen gegen Für geisteskranke und geistig durch Behandlung und Therapie ihren Willen in die Psychiatrie abnorme Täter, wie es im Gesetzes- hilft. Mittlerweile stellt das Maß- erschwerte. Der Nebeneffekt war, text heißt, besteht die Möglichkeit nahmenrecht jedoch eine Belas- dass psychisch Erkrankte, die nach § 21, in einer Anstalt für geistig tung des Justizsystems dar, psy- straffällig wurden, im Maßnah- abnorme Rechtsbrecher unterge- chisch Erkrankte werden als menvollzug landeten. Statt das bracht zu werden. Dabei unterschei- Verbrecher gebrandmarkt und Gesundheitssystem ist nun das det der Paragraf zwei Gruppen, landen für mehrere Jahre in den Justizsystem für diese Menschen unzurechnungsfähige geistig Mühlen des Justizsystems. zuständig. abnorme Rechtsbrecher und die, Von derzeit 8.403 Insassen*in- die zum Tatzeitpunkt zurechnungs- ZUNAHME DER nen sind 1.351 Menschen im Maß- fähig waren, die Tat aber aufgrund UNTERGEBRACHTEN nahmenvollzug. Eine Studie vom der psychischen Erkrankung Aber was führte zu den Problemen Institut für Rechts- und Kriminal- begangen haben. Ebenfalls unterge- des Maßnahmenvollzugs? Lag bis soziologie zeigt, dass in einem bracht werden Alkohol- und Sucht- Anfang der 90er Jahre die Anzahl Zeitraum von 2001 bis 2012 die giftabhängige sowie gefährliche der Untergebrachten recht kons- Anzahl an Untergebrachten mas- Rückfalltäter, die in diesem Artikel nicht weiter im Fokus liegen. SCHÄRFSTE SANKTION DES STRAFRECHTS S TAN D D ER U NTERGEBR ACHTEN Nach mehr als drei Jahrzehnten GEMÄ SS § 21 A BS. 1 S TGB des Maßnahmenvollzugs ist die J E W E I L S AM 1. JÄ N N E R E I N E S JA H R E S Euphorie von damals nicht mehr Quelle: www.justiz.gv.at spürbar. Denn es darf dabei nicht vergessen werden, dass es sich 410 408 beim Maßnahmenvollzug um die 450 403 390 schärfste Sanktion handelt, die 370 400 unser Strafrecht kennt. 346 342 Die Insassen und Insassinnen 323 316 312 302 350 können unbegrenzt und präventiv 278 festgehalten werden, wenn 300 befürchtet werden kann, dass eine 247 245 Person „unter dem Einfluß (…) 218 250 einer geistigen oder seelischen Abartigkeit“ eine Tat begeht. Als 200 Anlass dafür genügt bereits eine Tat, die mit einer ein Jahr über- steigenden Freiheitsstrafe bedroht 2000 2004 2008 2005 2006 2009 2002 2003 2001 2007 2010 2012 2013 2014 2011 ist, so reicht beispielsweise bereits 6 01 • 21
MASSNAHMENVOLL ZUG siv zugenommen hat. Die Anzahl der Gruppe der zurechnungsunfä- higen Untergebrachten stieg im genannten Zeitraum um 80 Pro- zent (von 271 auf 492 Personen). Nicht ganz so stark, aber doch deutlich stiegen auch die Unter- bringungen von Zurechnungsfähi- gen, nämlich von etwa 300 auf über 500 Personen. Diese Zunahme liegt einerseits daran, dass mehr Personen eingewiesen wurden, und anderseits verlän- gerte sich die Unterbringungs- dauer auch, und zwar in beiden Gruppen um etwa rund einein- Es kommen nicht alle Untergebrachten in halb Jahre. Diese Kombination den dafür vorgesehen Anstalten unter sondern aus vielen Einweisungen und werden in der Psychiatrie aufgenommen langjähriger Anhaltung bewirkt, dass das System mittlerweile an seine Grenzen stößt. Daher kom- zwischen 220 und 230 Euro pro GESCHEITERTE men nicht mehr alle Unterge- Tag verursachen (im Vergleich REFORMVORHABEN brachten in den dafür vorgesehen liegt ein Strafhäftling durch- Einige Reformvorhaben gab es im Anstalten unter, sondern werden schnittlich bei 127 Euro). 2010 Zusammenhang mit dem Maß- auch in der Psychiatrie aufgenom- stellte der Rechnungshof so fest, nahmenvollzug bereits, realisiert men. Die Kosten, die das verur- dass 20 Prozent der Gesamtkos- wurde jedoch keine, obwohl die sacht, trägt aber das Justizsystem. ten des Strafvollzugs auf den Maß- Kritik an den Zuständen nicht Die Kosten liegen hier zwischen nahmenvollzug entfielen, der zum abbricht. In der Amtszeit von 330 bis 660 Euro pro Tag, wäh- damaligen Zeitpunkt zehn Pro- Minister Wolfgang Brandstetter rend Maßnahmeninsassen und zent alle Insassen und Insassin- machte der Maßnahmenvollzug -insassinnen in der Justizanstalt nen ausmachte. negative Schlagzeilen durch die Zustände in der Justizanstalt Stein, ein verfaulter Fuß war Antreiber. 2015 entstand so ein Reform- S TAN D D ER U NTERGEBR ACHTEN papier einer Expertenkommis- GEMÄ SS § 21 ABS. 2 S TGB sion, die 93 Vorschläge erarbei- J E W E I L S A M 1. JÄ N N E R E I N E S JA H R E S tete. Zur Umsetzung kam es aber Quelle: www.justiz.gv.at nie aufgrund des medienwirksa- men Mordes einer Frau durch 443 442 434 einen psychisch kranken Mann 428 410 405 am Brunnenmarkt in Wien. Der 450 385 darauffolgende Justizminister 354 400 Josef Moser kündigte Anfang 2018 334 eine Reform an, auch zur Umset- 318 350 zung dieses Vorhabens kam es 288 nicht, nachdem die Expertenre- 261 300 gierung die Amtsgeschäfte über- 247 226 nahm als der Regierung von ÖVP 207 250 und FPÖ über aufgrund der Ibiza- 200 Affäre das Misstrauen ausgespro- chen wurde. Nach diesen Anläu- fen sollen nun unter der Justizministerin Alma Zadić end- 2000 2004 2008 2005 2006 2009 2002 2003 2001 2007 • 2010 2012 2013 2014 2011 lich Veränderungen. FREIGÄNGER 7
Der Vorstand stellt sich vor HE R ZL I CH ES WIL L KOM M E N Das Herzstück eines gemeinnützigen Vereins sind die Menschen, die die Vereinstätigkeiten mit viel Engagement, Empathie und Herzlichkeit ehrenamtlich ausführen. 8 01 • 21
V O R S TA N D Das Leben hinter Gittern wird auch heute noch von vielen Klischees begleitet, die es Betroffenen oft zusätzlich erschweren, ihren Weg zurück in unsere Gesellschaft zu fin- den. Dazu gesellt sich nicht selten ein Mangel an Informationen, der mitunter zu weiteren Ressentiments führt. Die dringend notwendige (gesellschafts-)politische Debatte über unseren Umgang mit Straf täter*innen bedarf verlässlicher Informationen und der Garantie RGM – Recht und Gerechtigkeit im Maßnahmenvollzug einer sachlichen Diskussion, die die Argumente aller Seiten darstellt. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, „Das Leben der RGM gemeinsam mit der gesam- ten Redaktion dieses Magazins hinter Gittern wird auch heute noch nachkommen möchte. von vielen Klischees begleitet.“ Ich bin vor drei Jahren auf der Website für ehren- amtliche Tätigkeiten der Stadt Wien auf das Thema gestoßen und wollte das sofort machen. Im Studium bekommt man den Maßnahmenvollzug nur ganz am Rande mit. Ich dachte mir: super, ehrenamtlich und auch juristisch, sodass ich auch mein Know-how einsetzen kann. Dann habe ich recht schnell meinen ersten Besuch in einer Justizanstalt gehabt und mei- nen ersten Klienten besucht. Das Thema interessiert mich, weil es die Leute im Maßnahmenvollzug ganz besonders schwer haben. Sie sind Straftäter und noch dazu psychisch krank, was sie zu einer besonders schutzbedürftigen Gruppe macht, die keine Lobby hat. Deswegen wollte ich mich da einbringen. Erfahren Sie mehr über Obmann Mag. Raoul War- nung im Interview. Mag. Raoul Warnung, Obmann „Das Thema interessiert mich, weil es die Leute im Maßnah menvollzug ganz besonders schwer haben.“ FREIGÄNGER 9
Nathalie Szabo, Schriftführer-Stv. „Mich interessiert das persönliche Schicksal jeder und jedes Einzelnen.“ Mein Name ist Nathalie Szabo und ich stu- diere Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Strafjustiz und Kriminalwissenschaften an der Universität Wien. Seit einiger Zeit setze ich mich intensiv mit dem Thema Maßnahmenvollzug, dessen Reali- tät und den Geschichten derer, die betroffen sind, auseinander. Mich interessiert das per- sönliche Schicksal jeder und jedes Einzelnen. Ich habe früh die Erfahrung gemacht, dass Rebellion und Disziplin nahe beieinanderlie- Da ich weiß, was Unterstützung wert sein gen, man bei Recht nicht immer von Gerechtig- kann, sehe ich meine Hauptaufgaben in der keit sprechen kann und der Lebensweg nur sel- Begleitung sowie der direkten Zusammen- ten gerade verläuft. arbeit mit Betroffenen und ihren Familien. Gerhard Klösch, Schriftführer „Menschen am Rande der Gesellschaft sind die Ziel gruppe meiner Aktivitäten.“ Nach einem erfüllten Leben als Ehemann, Familienvater und Unternehmer nutze ich die Zeit meiner Pension nun als Erwachse- nenvertreter und Sekretär des Vereines RGM. Menschen am Rande der Gesell- schaft sind die Zielgruppe meiner Aktivi- täten. Die Menschenrechte müssen für alle gelten und auf alle angewandt werden. Es ist die Nagelprobe auf die Kultur einer Gesellschaft, ob die, die zu schwach sind ihr Recht zu fordern, es auch bekommen. 10 01 • 21
V O R S TA N D Thomas Ehrenberger, Kassier „Der Verein RGM bietet eine Plattform um Missstände aufzuzeigen.“ Auch Österreich ist verpflichtet die Menschen- rechte einzuhalten. Dies gilt auch für den Bereich des Massnahmenvollzugs. Wie sich in der Praxis zeigt ist das oftmals nicht der Fall. Der Verein RGM bietet eine Plattform um Missstände aufzuzeigen. Betroffene und Ange- hörige in Ihren Anliegen zu unterstützen. Als Ehrenamtlicher Mitarbeiter versuche ich eine Änderung im Massnahmenvollzugs zu bewir- ken und ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schaffen. Den jeder kann davon einmal direkt wie indirekt betroffen sein. Mag. a Nina Ladinigg, Kassier-Stv. „Ich habe immer schon mein Möglichs tes versucht, um mich für Gerechtig keit einzusetzen.“ Mein Name ist Nina Ladinigg, ich bin Gründungsmitglied und Juristin bei RGM und seit Kurzem auch stellvertretende Kassierin. Während des Studiums haben mich Straf- und Wohnrecht am meisten interessiert und ich habe immer schon mein Möglichstes versucht, um mich für Gerechtigkeit einzusetzen. Diese Einstel- lung passt gut zu meiner Tätigkeit bei RGM und meiner beruflichen Laufbahn mit dem Fokus auf Wohnrecht.Außerhalb des juris- tischen Bereichs lese ich sehr viel, mache gerne Sport und schaue oft Fußball (Sturm Graz und Liverpool). In coronafreien Zeiten reise ich außerdem sehr gerne. • FREIGÄNGER 11
„Ein erster Schritt“ Raoul Warnung ist Obmann des Vereins „RGM – Recht und Gerechtigkeit im Maßnahmenvollzug“. Mit dem Freigänger sprach er über den Verein und den aktuellen Reformvor- schlag der Bundesregierung zum Maßnahmenvollzug. T E X T: G R E G O R H A R T L E I B Hartleib: Warum braucht es Hartleib: Bestehen schon Pro- Leserbriefe veröffentlicht und einen Verein wie RGM? jektpläne bei RGM? auch für andere interessierte Per- Weil in dem Bereich Maßnahmen- Es gibt sozusagen drei Säulen des sonen Informationen enthalten vollzug irrsinnig viel im Argen Vereins: Erstens die Betreuung soll. Drittens versuchen wir, die liegt, wie mit den Leuten umge- von Untergebrachten, die kaum Situation langfristig zu bessern, gangen wird, die in dieses System oder nur sporadisch Besuch erhal- indem wir uns in den Gesetzge- kommen – und zum Teil kommst ten. Diese sollen von ehrenamtli- bungsprozess einbringen wollen, du sehr leicht hinein und sehr chen Mitarbeiter*innen Besuch mit den Justizsprecher*innen der schwer wieder hinaus. Es betrifft erhalten, damit eine Anbindung Parteien Kontakt aufnehmen wol- von Jahr zu Jahr immer mehr an die Außenwelt gegeben ist. len und uns so dafür einsetzen, Menschen, und meine Erfahrung Zweitens soll es eine eigene Zeit- auf einer rechtlichen Ebene die ist, dass die Leute – sowohl die schrift geben, die den Leuten eine Situation für untergebrachte Per- Untergebrachten selber als auch eigene Stimme geben möchte, sonen zu verbessern. Perspekti- die Angehörigen – einfach kom- visch ist geplant, einen Austausch plett überfahren werden. Sie wis- „Wir hoffen, von Angehörigen von Unterge- sen nicht: was ist das, was muss brachten zu ermöglichen, damit ich da tun, wie komme ich da wie- sie sich gegenseitig unterstützen der raus, wann komme ich da wie- der raus. Vor allem die Ange dem Thema können und wir uns auch austau- schen können. Wir hoffen, dem hörigen, die von draußen ein bisschen die Möglichkeit hätten, Maßnahmen- Thema Maßnahmenvollzug insge- samt eine breitere Aufmerksam- vollzug ins- Informationen zu sammeln, ste- keit verleihen zu können. hen einfach vor einer Wand, weil gesamt eine sie nicht wissen, wie ihnen Hartleib: Wo soll der Verein tätig geschieht. Da finde ich es immens sein? breitere Auf- wichtig, dass es eine neutrale Bundesweit. Überall wo auch Ansprechperson oder Plattform Untergebrachte sind, wollen wir gibt, die sie aufklären kann, was zur Verfügung stehen. Eine euro- die Maßnahme ist und was man machen kann, wie man ihre Ange- merksamkeit paweite Vernetzung mit ähnlichen Organisationen ist ein möglicher hörigen unterstützen kann. Da ist meiner Meinung nach ein starker verleihen zu Schritt für die Zukunft. können.“ Bedarf an einem entsprechenden Hartleib: Der Name RGM ist auf Angebot gegeben. den Maßnahmenvollzug bezo- 12 01 • 21
INTERVIEW gen. Soll der Bereich des Straf- vollzugs gänzlich ausgeklammert werden? Der Schwerpunkt liegt sicherlich auf dem Maßnahmenvollzug. Grundsätzlich stehen wir auch den Bedürfnissen von „normalen“ Strafhäftlingen offen, wenn diese an uns herangetragen werden. Wenn wir etwas für diese tun kön- nen, werden wir uns auch für sie einsetzen. Hartleib: Es gab gerade ein Im Idealfall kann durch diese Organisationen bewirkt werden, Begutachtungsverfahren eines dass es überhaupt gar nicht so weit kommt, dass ein Betroffener Reformvorschlages zum Maßnah- unter dem Einfluss seiner Krankheit eine Straftat setzt. menvollzug, dem Maßnahmen- vollzugs-Anpassungsgesetz. Was ist das Dringendste, was im Maß- nahmenvollzug deiner Meinung Hartleib: Ziel der Reform ist eine Der Reformentwurf enthält nach geändert werden muss? Reform des Systems des Maß- nichts, was das Abstandsgebot Wenn ich mich für eine Sache ent- nahmenvollzugs, ohne eine Auf- besser verwirklichen würde. An scheiden muss – es gibt ja viele stockung der finanziellen Mittel der jetzigen Situation ändert sich Dinge – dann würde ich sagen, notwendig zu machen. Denkst daher nichts. Meines Erachtens dass man die Betreuungseinrich- du, dass eine höhere Finanzie- müssten Personen, die nach § 21 tungen, die sich um Menschen mit rung alternativlos ist? Abs. 1 StGB untergebracht sind, psychischen und psychiatrischen Definitiv. Ich kann an der Schraube ins Gesundheitssystem überführt Problemen kümmern, besser för- der Einweisungsvoraussetzungen und in Spitälern behandelt wer- dert und finanziert. So kann man drehen, dann kommen vielleicht den. Davon sind wir momentan es abfedern, dass es überhaupt zu ein paar Menschen weniger in den leider weit entfernt und das ändert einer Einweisung kommt, weil man Maßnahmenvollzug. Aber so wie sich durch den Reformvorschlag viele Einweisungen bedingt nach- es jetzt im Reformvorschlag drin- auch nicht. sehen könnte unter der Weisung, nen steht, kann ja jemand trotz- dass sich ein Mensch dort aufhält. dem eingewiesen werden, bei Hartleib: Würdest du denn Im Idealfall kann durch die einer Straftat, die mit einer Strafe sagen, dass die Reform schon tot Existenz solcher Organisationen von einem bis drei Jahren bedroht ist, bevor sie überhaupt durchge- bereits im Vorfeld bewirkt wer- ist, wenn ihm der Sachverständige führt wurde? den, dass es gar nicht so weit eine besondere Gefährlichkeit Die Justizministerin hat, glaube kommt, dass ein Betroffener unter zuschreibt. ich, selber gesagt, dass es sich hier dem Einfluss seiner Krankheit Wenn Richter und Gutachter nur um einen ersten Schritt han- eine Straftat setzt. Da braucht es das entscheiden müssen, werden delt und es ein eigenes MVG geben einen massiven Mittelaufbau im sie im Zweifel für die Gefährlich- soll, so wie es die Arbeitsgruppe Gesundheitssystem. Das ist kein keit entscheiden. Deswegen wird Maßnahmenvollzug im Jahr 2015 rechtlicher Schritt, sondern ein sich in der Praxis nicht viel ändern. vorgeschlagen hat. Wenn die Mit- budgetärer. Das Gesundheitswe- Das ist ein strukturelles Problem tel nicht aufgestockt werden, wer- sen fällt in die Zuständigkeit der und nur zweitrangig ein rechtli- den aber auch umfangreichere Bundesländer, da muss der Bund ches. Deswegen bin ich überzeugt, Reformen nichts an der Situation die Länder finanziell unterstüt- dass es alternativlos ist, die Mittel ändern. Die Umsetzung des MVG zen, damit die Betreuung für diese im Gesundheitswesen zu erhöhen. wird nicht kostenneutral möglich leistbar wird. sein, das ist der Regierung aber Es kann nicht sein, dass das Hartleib: Bereits jetzt wird an vielleicht auch klar. Da ist schon Thema wie eine heiße Kartoffel dem Reformvorschlag kritisiert, meine Hoffnung, dass der Reali- vom Bund an die Länder und wie- dass das Abstandsgebot nicht tätssinn bei den handelnden Per- der zurückgegeben wird und die eingehalten werden kann, wie es sonen ausreichend vorhanden ist. Menschen durch den Rost fallen, nach menschenrechtlichen Stan- Die Reform ist somit meines weil für sie keine adäquate Betreu- dards jedoch notwendig wäre. Erachtens noch nicht tot, sondern ung da ist. Wie siehst du das? es ist ein erster Schritt. • FREIGÄNGER 13
DIE SPITZE FEDER Die Meinung des Kolumnisten deckt sich nicht zwangsläufig mit der Blattlinie. Kurier-Leser sind bekanntlich Bedürfnisse der Untergebrachten Kurier vom 30.07.2021: informiert. Und so durfte man vor wird dabei kaum Bedacht genom- „Abnorme Rechtsbrecher brau- einiger Zeit erfahren, dass auch im men. Den Vogel schießt eine chen Platz – 75 Mio. Euro Investi- Bereich Justiz die Steuergeld Aktion in der Josefstadt ab. Dort- tion in den Ausbau der Justiz millionen rollen. Sind mit Stand hin hat man einige „21-Einser“ anstalt Göllersdorf, 65 Mio. Euro 1. August 2021 1.351 Menschen im ausgelagert, um dann dem Gericht in den Ausbau der Justizanstalt Maßnahmenvollzug untergebracht, anlässlich einer „Anhörung“ Asten. Insgesamt 200 zusätzliche nimmt es nicht wunder, dass die schriftlich mitzuteilen, dass die Plätze (für nach § 21.1-Einge Justizanstalten aus allen Nähten Josefstadt weder in der Lage ist wiesene – Anm. des Verf.).“ platzen. Da muss dringend was Therapien anzubieten noch Aus- 200 zusätzliche Plätze, da geschehen. gänge zu organisieren. Alles auf bekommt man Angst. 140 Millio- Nun, man könnte einiges hin- Kosten von unwiederbringlicher nen, die man besser in die Qualität terfragen: Lebenszeit von Menschen. Die des Betreuungspersonals, durch- Was haben zum Beispiel gemäß Frage bleibt, ist das dumm, grau- aus auch des leitenden Personals, § 21.1 StGB in den Maßnahmen- sam oder beides? investieren könnte. Man könnte vollzug eingewiesene „geistig Man darf auch fragen, wie oft auch das Gutachter(un)wesen abnorme Rechtsbrecher*innen“ in „Widerstand gegen die Staats sanieren. Nicht mit höheren Hono- Justizanstalten verloren? Nichts. gewalt“ von einer Polizei provo- raren, sondern im Hinblick auf Sie wurden bezüglich des von ziert wird, die im Umgang mit Hippokrates. Und, und, und … ihnen gesetzten Deliktes als kranken Menschen allzu oft über- Wir sind eine Rachegesell- zurechnungsunfähig, also als fordert ist und auf diese Menschen schaft. Wir bauen noch mehr schuldunfähig erkannt. Irgendein professionell falsch zugeht. Gefängnisse, in denen noch mehr bestellter Gutachter hat eine psy- Man muss sich auch fragen, ob Medikamente eingesetzt werden. chische Krankheit attestiert und es nicht möglich wäre, statt auf Und das einzig wirksame Heil die Einweisung empfohlen. Im Teufel komm raus einzuweisen auf mittel gerät mehr und mehr in Gefängnis angekommen gibt es Basis entsprechender Settings Vergessenheit: die Liebe. erst einmal die Medikamenten- bedingt einzuweisen und ambu- Wer Menschen nicht liebt, hat keule, um einen einigermaßen lant an der Stabilisierung oder gar kein Recht, sie zu maßregeln. „ruhigen“ Aufenthalt zu garantie- Gesundung zu arbeiten. Denken Sie gerne darüber nach ren. War ursprünglich angedacht, Nun, das wären Überlegungen, und passen Sie gut auf sich auf, den Menschen zu therapieren und die einer Gesellschaft ein hohes herzlichst Ihr nicht zu bestrafen, warten einige Maß an Menschlichkeit abver- Scriba angeblich jahrelang auf einen Ein- langt. Doch lässt sich dies poli- zeltherapieplatz. Auf krankheits- tisch nicht in Kleingeld ummün- bedingte Besonderheiten und zen. Daher, wieder zurück zum 14 01 • 21
15 MASSNAHMEN 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 ENERGIESCHUB Auflösung Lösungswort: 6 3 2 8 7 5 1 8 5 2 9 4 5 9 6 2 4 3 1 8 7 9 4 7 6 1 3 2 4 1 8 5 7 9 3 6 2 9 4 1 6 8 2299 1155 66 44 7744 3 7 8 9 6 1 5 2 4 7 5 8 9 3 2 8 3 9 4 7 2 6 5 1 3 1 6 4 5 7 7 5 4 1 3 6 8 9 2 443366 2299 22 33 8 7 3 5 4 1 1 6 2 5 9 8 4 7 3 5 6 1 7 2 9 6 1 7 3 8 5 2 4 9 4 2 9 3 8 6 8855 4499 5544 66 99668877 9 2 5 7 1 4 3 6 8 4 8 3 6 2 9 7 1 5 77 9988 66 4455 11 99 88 2 9 4 1 6 3 2 8 7 5 33 11 7 6 3 1 8 5 2 9 4 5 9 6 2 4 3 1 8 7 5 8 2 9 4 7 6 1 3 6655 33 6688 3377 2 4 1 8 5 7 9 3 6 3 7 5 2 9 4 1 6 8 3 7 8 9 6 1 5 2 4 6 1 4 7 5 8 9 3 2 8 3 9 4 7 2 6 5 1 5522 66 88 33 77 88 8 2 9 3 1 6 4 5 7 7 5 4 1 3 6 8 9 2 2 9 6 8 7 3 5 4 1 1 6 2 5 9 8 4 7 3 4 3 8 5 6 1 7 2 9 99 11 9944 22 55 77 6 1 7 3 8 5 2 4 9 1 5 7 4 2 9 3 8 6 1 9 2 5 7 1 4 3 6 8 88 4433 99 2288 66 44 4 8 3 6 2 9 7 1 5 Auflösung 2 1 RÄTSEL R ÄT S E L ?
NEUERSCHEINUNG Oliver Scheiber zeigt auf, was einer modernen Oliver Schreiber Mut zum Recht - Plädoyer für einen modernen Rechtsstaat Justiz fehlt. Er berichtet aus seiner Erfahrung in Herausgeber: Falter Verlag Rechtsprechung und Justizpolitik, wo Schwächen 1. Edition (21. November 2019) bestehen und wie sie sich ausbessern ließen. Taschenbuch 19,90 € | E-Book 14,99 € | 232 Seiten ISBN-13 : 978-3854396604 Der Horizont seines Buchs reicht von Kunst und Lieferbar bei Amazon, RGM oder shop.falter.at Literatur bis zu Journalismus und Geschichte und zur Realität des Gerichtssaals. Ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Justiz, die ihren Anspruch nicht aufgeben darf, moderner, das heißt menschengerechter zu werden. MASSNAHMEN 16
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