Agrarkonzerne und Big Data - kritischer-agrarbericht.de
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Der kritische Agrarbericht 2019 Agrarkonzerne und Big Data Auswirkungen der Digitalisierung in der Landwirtschaft auf kleinbäuerliche Erzeugerinnen und Erzeuger sowie Landarbeiterinnen und Landarbeiter weltweit von Lena Michelsen und Jan Urhahn Viele Unternehmen der Agrar- und Lebensmittelindustrie preisen die Digitalisierung der Landwirt- schaft als das neue Wundermittel, um nicht nur den Hunger zu beenden, sondern auch den Verlust der Biodiversität sowie den Klimawandel einzudämmen. Eine kritische Betrachtung kommt bislang zu kurz: Wer sind die zentralen Akteure im Digitalisierungsgeschäft? Was bedeutet die Digitalisie- rung explizit für kleinbäuerliche Erzeugerinnen und Erzeuger sowie Arbeitende in Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie weltweit? Inwieweit und mit welchen politischen Maßnahmen kann die Digitalisierung für den Umbau hin zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft genutzt werden? Der folgende Beitrag gibt Antworten auf diese Fragen und kommt zu dem Schluss, dass die Di- gitalisierung nur dann zu einer selbstbestimmten, sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährung beitragen kann, wenn es zu einem Umdenken in allen beteiligten Politikfeldern kommt. Die Agrarindustrie argumentiert, dass mithilfe digi- die Entstehung nationaler Digitalkonzerne fördern. taler Technik im Ackerbau Pflanzenkrankheiten oder So heißt es im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU Schädlinge frühzeitig erkannt und mit geringeren und SPD: »Dort, wo erforderlich, werden wir das Kar- Pestizidmengen bekämpft werden könnten. Farm- tellrecht modernisieren, um exzellente regulatorische managementsysteme sollen Verwaltungsabläufe für Rahmenbedingungen für die deutsche und europäi- Landwirte erleichtern und die digital gestützte prä- sche Digitalwirtschaft zu schaffen. [...] Unser Ziel sind zisere Ausbringung von Dünger soll dazu beitragen, starke deutsche und europäische Akteure der Plattfor- Nährstoffüberschüsse im Boden zu minimieren. Doch mökonomie, deshalb wollen wir vorhandene Hemm- hinter den gebetsmühlenartig in Aussicht gestellten Ef- nisse abbauen.«¹ Diese Stärkung der Plattformökono- fizienzsteigerungen und Nachhaltigkeitsversprechen mien wird sich langfristig auch auf den Agrarsektor geht es im Kern um das massenhafte Sammeln und auswirken. Auswerten von Daten: Sämtliche Details über Höfe und Anbauverfahren sowie über Verbraucherinnen Hardware und Software und Verbraucher sowie Tätige in der Landwirtschaft werden gespeichert. Hersteller von landwirtschaft- Ein zentraler Bereich der Digitalisierung in der Land- lichen Inputs und Landmaschinen wie Bayer oder wirtschaft ist die »Hardware«: Melkroboter, autonom John Deere, aber neuerdings auch Internetkonzerne fahrende Traktoren, Sensoren an Landmaschinen, die wie Amazon und Google sind dabei, sich die Hoheit relevante Informationen über Pflanzengesundheit, über die landwirtschaftlichen Daten anzueignen. Böden und Wasserqualität sammeln, oder mithilfe Durch Unternehmenszusammenschlüsse konso- von künstlicher Intelligenz programmierte Drohnen. lidieren die genannten Akteure ihre Dominanz im Letztere können beispielsweise tief über Felder fliegen jeweiligen Sektor sowie über entscheidende Knoten- und dabei unerwünschte Unkräuter ausfindig machen punkte in der Agrarlieferkette. Die Bemühungen der und direkt besprühen, wodurch Treibstoff eingespart Konzerne werden durch politische Entscheidungs- und die Menge ausgebrachter Agrargifte reduziert träger unter anderem in Deutschland unterstützt, die werden soll. So wird in Japan bereits ein Drittel des vor allem die Vorteile der Digitalisierung betonen und Reisanbaus mit Drohnen überwacht. 86
Agrarpolitik und soziale Lage Neben der genannten Hardware ist ein wichtiges von Transaktionen jeglicher Art, gewissermaßen ein Themenfeld bei der Digitalisierung in der Landwirt- digitaler Kontoauszug für Transaktionen zwischen schaft die Entschlüsselung, Rekonstruktion und Ver- Computern. Diese Transaktionen werden von sog. änderung der DNA von Pflanzen und Nutztieren – die »Minern« übertragen, zu einem Datenblock verknüpft »Software«. Schon heute können hoch qualifizierte und schließlich zu einer Blockchain hinzugefügt. Biologen ebenso wie Biohacker ohne fachliche Ex- Agrar- und Lebensmittelunternehmen sowie wichtige pertise einen Computer an einen DNA-Synthesizer Finanzinstitutionen glauben, dass sie ihre Transak- anschließen. In nur wenigen Schritten können digita- tionskosten durch die Verwendung von Blockchains lisierte Genome oder einzelne Gensequenzen aus ei- um 20 bis 40 Prozent senken können. Denn alle Teil- ner Datenbank heruntergeladen werden, sodass sich nehmenden des Netzwerks haben zeitgleich Zugang zu die reale Gensequenz, Basenpaar um Basenpaar, in den Informationen und die Vermögenswerte können dem DNA-Synthesizer rekonstruieren und verändern dezentral ohne zwischengeschaltete Instanzen über- lässt. Diese Gensequenzen können im Folgenden in tragen werden. Gleichzeitig ist der Energieverbrauch ein Bakterium, einen Schmetterling oder ein Gersten- der Technologie heutzutage absurd hoch – eine einzi- korn eingeführt werden. Mit den neuen Gentechnik- ge Bitcoin-Transaktion schluckt die Energie, die ein verfahren wie CRISPR/Cas9 können einzelne geneti- durchschnittlicher US-amerikanischer Haushalt in ei- sche Merkmale einfach, günstig und präzise heraus- ner Woche verbraucht. Das Schürfen von Bitcoins ver- geschnitten, ersetzt und an anderer Stelle eingefügt braucht jährlich so viel Energie wie ganz Nigeria (ein werden. (Zu diesen neuen Gentechnikverfahren siehe Land mit 186 Millionen Menschen) oder Kolumbien.² auch die Beiträge im Gentechnikkapitel in diesem Kri- In der Agrarlieferkette kommen Blockchains schon tischen Agrarbericht.) heute zum Einsatz: Anfang 2018 nutzten das Agrar- Ebenfalls auf der Software-Seite der Digitalisierung handelsunternehmen Louis Dreyfus und der Lebens- spielt synthetische Biologie (SynBio) eine zunehmend mittelhersteller Shangdong Bohi Industry gemeinsam wichtige Rolle in der Herstellung von Lebensmitteln. mit den Finanzdienstleistern ING, Société Générale Mit SynBio werden in Kombination mit Big-Data- und ABN-AMRO eine Blockchain-Plattform für die Plattformen, Robotertechnologien und künstlicher Verhandlung und Organisation einer Sojabohnenlie- Intelligenz entweder bestehende biologische Systeme ferung aus den USA nach China. Laut Louis Dreyfus optimiert oder komplett neue entwickelt. Auf die- hat die Nutzung der Blockchain sowohl die Dauer als se Weise werden (neue) biochemische Systeme mit auch die Kosten für den Transport enorm verringert. Eigenschaften und Fähigkeiten »ausgerüstet«, die so Theoretisch könnten Blockchains erweitert werden. in der Natur bisher nicht vorkommen. Mit SynBio- Große Einzelhandelsunternehmen könnten mit Le- Verfahren werden z. B. neue Eigenschaften in Algen bensmittelherstellern kooperieren und ihnen Präfe- oder Hefen eingeführt. Damit kann etwa der Duft von renzen der Kundinnen und Kunden weitergeben. Das Rosen, der Geschmack von Zitrusfrüchten, die Süße hätte perspektivisch Folgen für die landwirtschaftliche von Stevia oder die aufputschende Wirkung von Kof- Erzeugung: So könnte die Art des verwendeten Saat- fein künstlich hergestellt werden. Nutzpflanzen wie gutes, die genaue Einstellung etwa von Sämaschinen Vanille, Safran und Zimt werden meistens auf kleinen und die Lagerhaltung im Agrarhandel an die Informa- Parzellen in Ländern angebaut, die besonders von tionen aus der Blockchain angepasst werden. den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Daher machen sich viele der verarbeitenden Unternehmen Zentrale Akteure und weitere Fusionswellen Sorgen um die verlässliche Versorgung mit den Roh- stoffen und steigen vermehrt auf die Herstellung im Eine Reihe von Unternehmen möchte in der Digita- Labor um. Mithilfe von SynBio und anderen Verfah- lisierung der Landwirtschaft insbesondere durch den ren der Gentechnologie werden auch Praktiken ent- Aufbau von zentralen Plattformen und damit vor wickelt, um Fleisch, Milchprodukte oder Tierhäute allem mit dem Sammeln und Auswerten von Daten künstlich im Labor zu produzieren und so lebende neue Geschäftsmodelle aufbauen. Zum einen springen Tiere zu ersetzen. »traditionelle« Agrarkonzerne aus dem Saatgut- und Pestizidbereich, der Lebensmittelherstellung, dem Blockchains in der Agrarindustrie Lebensmitteleinzelhandel oder Landmaschinenun- ternehmen auf den Zug auf. Konzerne wie Bayer ge- Neue Formen der Finanztechnologie spielen bei der ben offen zu, dass sich durch die Digitalisierung bzw. Digitalisierung eine wichtige Rolle, vor allem Block- durch die sog. Präzisionslandwirtschaft ihre Verkaufs- chains und Kryptowährungen. Blockchains sind die zahlen bei Pestiziden verringern könnten. Aber durch technologische Grundlage für Kryptowährungen wie das Angebot von Dienstleistungen in Form von Da- Bitcoin und bezeichnen elektronische Datenbanken tenaufbereitung über eine übergreifende digitale Platt- 87
Der kritische Agrarbericht 2019 form lassen sich in Zukunft große Gewinne einstrei- torisch betrachtet hatte das Agribusiness aufgrund der chen. Auf der anderen Seite treten neue Akteure auf hohen Transaktionskosten bislang noch ein geringes das Spielfeld: Digitalkonzerne wie Google, Amazon Interesse an Kleinbäuerinnen und -bauern und deren oder der chinesische Konzern Alibaba kooperieren Ackerflächen. Das könnte sich nun ändern: Während zunehmend mit Agrarkonzernen und großen Ver- der Fokus großer Agrarkonzerne bisher auf Großbe- mögensverwaltungsgesellschaften wie Blackrock und trieben mit Massenproduktion lag, erlauben ihnen digi- finanzieren so die kostspieligen Unternehmenszusam- tale Technologien, ihre Algorithmen auf jede Betriebs- menschlüsse oder andere Investitionen. größe anzupassen. Neuartige Techniken wie Drohnen Mit der Digitalisierung wird voraussichtlich eine können nun auch kleinteilige Parzellen bearbeiten. nie dagewesene vertikale Integration und Kooperation Mit riesigen Maschinen war das bislang nicht möglich. entlang der gesamten Agrarlieferkette vonstattenge- Wird die bäuerliche Erzeugung (gezwungenerma- hen. Im digitalen Zeitalter haben die größte Macht jene ßen) Teil von den – voraussichtlich nur wenigen – di- Konzerne bzw. Sektoren, die über die meisten Infor- gitalen Plattformen, dann bestimmen diese faktisch, mationen verfügen. Ganz vorne dabei sind die Land- was angebaut wird, welches Saatgut, welche Dünge- maschinenunternehmen: So investiert John Deere seit mittel und welche Pestizide verwendet werden und 2001 in Big-Data-Plattformtechnologien und schloss welche Maschinen am besten zum Einsatz kommen. in den vergangenen Jahren mit den wichtigsten Saat- Mit der Kontrolle der digitalen Plattformen durch gut- und Pestizidunternehmen Geschäfte ab: mit Syn- wenige Großkonzerne sowie deren Bevorzugung von genta, Dow und DuPont (heute Corteva Agriscience), industriellem Saatgut würden sich nicht nur die Wahl- Bayer und Monsanto (heute Bayer) und BASF. möglichkeiten für Bauern und Bäuerinnen verringern, AGCO, die Nummer vier der Landmaschinenin- auch Abhängigkeiten würden wachsen. Außerdem dustrie, kam John Deere sogar zuvor, als es schon 1994 sind auch Informationen über die kleinen Parzellen Massey-Ferguson übernahm,³ eine Landmaschinen- bäuerlicher Erzeuger von Bedeutung, weshalb die firma, die bereits 1982 begann, Felddaten zu digitalisie- Verwalter der Megaplattformen sich zunehmend auch ren. 2014 schloss AGCO sein erstes Datenabkommen für kleinbäuerliche Produktionssysteme interessieren. mit DuPont, gefolgt von getrennten Abkommen mit Mit dem Einsatz neuer Technologien können so auch Bayer, Monsanto und BASF im darauffolgenden Jahr. das bäuerliche Wissen und die Praxis faktisch ent- 2017 kaufte AGCO eine der wichtigsten auf Daten wertet werden und verloren gehen. spezialisierten Tochtergesellschaften von Monsanto, Nicht nur die Kleinbauern und -bäuerinnen, son- während der Konzern sein Geschäftsfeld gleichzeitig dern auch die Landarbeiterinnen und Landarbeiter auf landwirtschaftliche Drohnen und Joint Ventures werden immer stärker überwacht. So setzt Cargill etwa mit einer Vielzahl von landwirtschaftlichen Daten- Drohnen zur Überwachung von Palmölplantagen in Start-ups ausdehnte. Malaysia ein. Cargill gibt vor, dies in erster Linie zu Durch diese eingekaufte Expertise können die tun, um sicherzustellen, dass keine illegale Abholzung Landmaschinenhersteller nun mit Hilfe von Sensoren geschieht. Tatsächlich wird aber auch die Arbeit der an den verkauften Traktoren jeden Quadratzentime- Landarbeiter kontrolliert.⁵ ter des Ackers überwachen. Sie wissen genau, welches Ein weiterer Punkt betrifft den Verlust von Arbeits- Saatgut verwendet wird, welche Düngemittel und Pes- plätzen durch digitale Technik: Die Landwirtschaft tizide ausgebracht werden und wie die Qualität des zählt zu den Bereichen, in denen menschliche Arbeits- Bodens ist. Und am Ende der Anbausaison ernten die kräfte besonders davon bedroht sind, durch Roboter Maschinen die Ackerfrüchte und kennen das Ergebnis und andere technische Instrumente ersetzt zu werden. der eingesetzten Inputs somit ebenfalls genau. Die auf Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz von synthetischer dem Betrieb gesammelten Daten können wiederum Biologie beispielsweise bei Geschmacks- und Duftstof- mit Markt- und Wetterdaten kombiniert werden. Die fen: Nach Schätzungen der ETC Group beliefern etwa aktuelle Dynamik deutet darauf hin, dass in wenigen 20 Millionen kleinbäuerliche Familien sowie Arbeite- Jahren Fusionen zwischen den »Bayers« dieser Welt rinnen und Arbeiter in Ländern des globalen Südens auf der einen Seite und AGCO, John Deere oder ande- 95 Prozent des Marktes für Aromastoffe und Gewürze ren Landmaschinenherstellern auf der anderen Seite wie Safran, Zimt und andere.⁶ Wenn die Herstellung die vertikale Konzentration im Agrarbereich auf eine in Zukunft zunehmend vom Feld ins Labor verlegt neue Stufe heben könnten.⁴ wird, wäre die Existenzgrundlage all dieser Erzeuger noch stärker bedroht als bisher. Folgen für die Kleinbauern und Landarbeiter Insgesamt ist anzunehmen, dass die Digitalisierung in der Landwirtschaft den negativen Strukturwandel Die Folgen für bäuerliche Kleinerzeugerinnen und in ländlichen Regionen beschleunigen wird. Die Klein- -erzeuger weltweit können vielfacher Natur sein. His- bäuerinnen und -bauern werden weiter an den Rand 88
Agrarpolitik und soziale Lage gedrängt, wenn sie sich die digitalen Technologien schaft arbeiten, diskutiert werden muss, ist: wie und nicht leisten und mit den industriellen Großbetrieben vor allem von wem werden die gesammelten Daten in punkto billige Produktion und Vermarktung nicht verwaltet. Hier ist zu klären, ob es überhaupt sinn- mithalten können. Kurz: Die bereits Marginalisierten voll ist, wenige übergreifende digitale Plattformen mit werden weiter marginalisiert. sämtlichen landwirtschaftlichen Daten bereitzustellen oder ob Bauern und Bäuerinnen nur proaktiv ausge- Chancen der Digitalisierung wählte Daten von ihren Höfen teilen sollten. Wenn es nur wenige digitale Plattformen im landwirtschaftli- Technologien sind per se weder schlecht noch gut. chen Bereich geben soll, muss sichergestellt werden, Es kommt in erster Linie darauf an, wessen Interes- dass die Daten nicht von einer Handvoll Großkonzer- sen durch deren Einführung bedient werden, wie und ne, sondern demokratisch kontrolliert werden. Dies von wem die Technologien entwickelt und genutzt könnte etwa über einen Treuhandvertrag geregelt werden und wer die Kontrolle über die Daten hat. Di- werden. Darüber hinaus muss auch die Kontrolle über gitale Technologien sollten so eingesetzt werden, dass die Plattformen demokratisch geregelt werden. sie Kleinerzeugerinnen und -erzeugern, Arbeitenden Bei der Entwicklung von neuen Technologien soll- in der Landwirtschaft und den Verbraucherinnen und ten nicht nur die Interessen industrieller Betriebe, Verbrauchern zugute kommen. Dafür gibt es vielfäl- sondern besonders die Bedürfnisse kleinbäuerlicher tige Möglichkeiten: Kleinbauern und -bäuerinnen Erzeugerinnen und Erzeuger sowie deren finanzielle könnten sich den erleichterten Informationsaustausch Möglichkeiten beachtet werden. Dies sollte politisch zunutze machen und sich vermehrt untereinander etwa durch die Einrichtung beratender zivilgesell- über Apps zu agrarökologischen Anbaumethoden schaftlicher Gremien sichergestellt werden. Diese soll- oder den Umgang mit bestimmten Pflanzenkrankhei- ten dann neue Technologien vor deren Einführung be- ten beraten, indem sie Fotos hochladen und Erfahrun- werten und Maßnahmen zur Regulierung erarbeiten, gen teilen. Dieser Austausch – auch über Kontinente damit ein Missbrauch ausgeschlossen werden kann. hinweg – ist vor dem Hintergrund gemeinsamer He- Hierbei ist es ebenso wichtig abzuschätzen, welche rausforderungen im Zuge der Anpassung an die Fol- Effekte auf gesamte Gesellschaften zu erwarten sind. gen des Klimawandels, wie beispielsweise vermehrte Das Vorsorgeprinzip sollte hier Anwendung finden. Dürren, sehr sinnvoll. An anderen Orten können lokale Gemeinschaften Drohnen und Satellitenbilder nutzen, um Fälle von Folgerungen & Forderungen Landraub oder Abholzung zuverlässiger zu dokumen- tieren, als dies bisher möglich war, und so leichter ■ Bisher werden in der öffentlichen Debatte mögliche rechtliche Schritte einleiten zu können. So setzen Frau- negative Auswirkungen der Digitalisierung in der en der indigenen Guajajara-Community etwa Droh- Landwirtschaft auf Kleinbauern und -bäuerinnen nen ein, um ihr Land zu überwachen.⁷ Ebenso können sowie Landarbeiterinnen und Landarbeiter vor allem Kleinbauern und -bäuerinnen (lokale) Blockchains im globalen Süden zu wenig diskutiert. verwenden, um z. B. Zwischenhändler zu umgehen – ■ Die Digitalisierung in der Landwirtschaft verändert so bleibt der Gewinn in ihren Händen und gleichzeitig die gesamte Agrarlieferkette: Neue Akteure kommen wird Zeit gespart.⁸ Mithilfe von lokalen Blockchains ins Spiel und eine vertikale Integration wird voran- könnte auch die Sicherstellung von traditionellen und getrieben. Im Kern steht die Kontrolle über Agrar-, informellen Landnutzungsrechten von Individuen Markt- und Verbraucherdaten. und Kollektiven einfacher und transparenter verwal- ■ Vonseiten der Politik muss eine demokratische tet werden. Doch damit Kleinerzeuger tatsächlich von Kontrolle von digitalen Plattformen und der Daten den neuen Technologien profitieren können, müssen sichergestellt werden. strikte Rahmenbedingungen geschaffen werden, die ■ Bei der Entwicklung und Einführung neuer Techno- ihnen und ihren Organisationen den Zugang zu not- logien müssen zum einen die Bedürfnisse der Erzeu- wendigen Informationen und die Kontrolle über Da- gerinnen und Erzeuger berücksichtigt werden und ten gewährleisten und gleichzeitig die Macht großer zum anderen mögliche Effekte auf Gesellschaften Agrar- und Big-Data-Konzerne einschränken. geprüft werden. Hier gilt es, dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen. ■ Um die Macht großer (Agrar-)Konzerne einzuschrän- Politik und Zivilgesellschaft müssen ken, muss die Fusionskontrolle verschärft werden aktiv gestalten und die Entflechtung zu großer Konzerne muss Eine wichtige Frage, die gemeinsam mit der Zivilge- rechtlich möglich gemacht werden. sellschaft und mit den Menschen, die in der Landwirt- 89
Der kritische Agrarbericht 2019 Schließlich braucht es dringend eine Verschärfung system und gibt die zentralen Ergebnisse wieder. Die Studie kann der Fusionskontrolle in Deutschland sowie der Eu- bei INKOTA kostenlos (in der deutschen oder der englischen Fas- sung) bestellt werden und steht zum Download zur Verfügung: ropäischen Union (und langfristig auch im globalen https://webshop.inkota.de/node/1551. Maßstab), damit ohnehin große Digital- und Agrar- konzerne nicht ungehindert weiterwachsen und ihre Macht ausweiten und damit Instrumente geschaffen Das Thema im Kritischen Agrarbericht werden, um zu große Konzerne wirksam entflechten X Stig Tanzmann und Bernd Voß: Digitalisierung der Landwirt- schaft – Entwicklungspolitische und bäuerliche Perspektiven zu können. Hier gibt es aktuell große Baustellen: So auf die Zukunft der Landwirtschaft im globalen Süden und Nor- untersagen sowohl Bundeskartellamt als auch die den. In: Der kritische Agrarbericht 2018, S. 112–118. Wettbewerbskommission der Europäischen Union kaum eine Fusion und beachten die Effekte vertikaler Integration – also Fusionen von Unternehmen in vor- Anmerkungen oder nachgelagerten Produktionsstufen, beispielswei- Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 19. Legislatur- periode. S. 44 (www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/ se Landmaschinenhersteller und Saatgutunterneh- koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1). men – viel zu wenig. Völlig unter den Tisch fallen bei C. Malmo: One bitcoin transaction now uses as much energy der Fusionskontrolle außerdem soziale, ökologische as your house in a week. VICE Motherboard, November 2017 und menschenrechtliche Auswirkungen von Firmen- (https://motherboard.vice.com/en_us/article/ywbbpm/bit- zusammenschlüssen. Diese sog. außerökonomischen coin-mining-electricity-consumption-ethereum-energyclima- te-change). Ziele werden laut der Wettbewerbsbehörden sowie AGCO: Who We Are. History (www.agcocorp.com/about/agco- der meisten Wirtschaftspolitiker durch andere staat- history.html). liche Institutionen ausreichend geprüft. Eine Berück- Siehe hierzu auch den Teilbeitrag von Stig Tanzmann im Kriti- sichtigung von Folgen jenseits von Marktanteilen und schen Agrarbericht 2018, S. 112–116. »Cargill: Cargill issues new palm oil sustainability report.« Cargill Konsumentenwohlfahrt wird als starker politischer News, 6. April 2015 (www.cargill.com/story/cargill-issues-new- Eingriff wahrgenommen. Um im Sinne der Ernäh- palm-oil-sustainability-report). rungssouveränität sowie auch der Agenda 2030 eine »IFEAT: News from around the globe.« IFEATWORLD, Mai 2014 selbstbestimmte, sozial gerechte und ökologisch nach- (https://ifeat.org/wp-content/uploads/2017/03/2014_may_ haltige Landwirtschaft und Ernährung sicherzustellen, ifeat_world.pdf). T. Lazzeri: Guerreiras da floresta enfrentam madeireiros em sind auf diesem Gebiet noch dicke Bretter zu bohren. defesa de terra indígena. Repórter Brasil, März 2018 (https:// (Siehe hierzu auch den Beitrag von Maria Heubuch in reporterbrasil.org.br/2018/03/desmatamento-indigena- diesem Kritischen Agrarbericht, S. 56–60.) guerreiras-da-floresta-enfrentam-madeireiros-maranhao/). Die Ursachen von Hunger und Armut sowie von C. Cornish: Ag tech fundraising doubles as farmers seek disrupti- ve solutions. In: Financial Times, 8. Januar 2018 (www.ft.com/ ökologischen Krisen sind überaus komplex. Oft haben content/02950380-d6f2-11e7-a303-9060cb1e5f44). sie mit der Diskriminierung von marginalisierten Be- völkerungsgruppen, der Kriminalisierung von Akti- visten oder dem ungerechten Zugang zu und Kontrol- le über (natürliche) Ressourcen zu tun. Vieles davon hängt mit unfairen Machtverhältnissen in Gesellschaf- ten zusammen. Die Digitalisierung der Landwirtschaft Lena Michelsen bietet nun eine technische Lösung für ein viel komple- Referentin für globale Landwirtschaft und Welternährung beim INKOTA-netzwerk e.V. xeres Problem. Ähnlich wie das Narrativ rund um die Grüne Revolution krachend gescheitert ist, wird auch Chrysanthemenstraße 1–3, 10407 Berlin das neue Meganarrativ der Digitalisierung scheitern, michelsen@inkota.de wenn gegenwärtige Entwicklungen fortgeschrieben werden. Zeit für ein Umdenken! Jan Urhahn Hinweis Referent für globale Landwirtschaft und Dieser Beitrag basiert auf der 2018 von Pat Mooney verfassten und Welternährung beim INKOTA-netzwerk e.V. vom INKOTA-netzwerk, der ETC Group, GLOCON und der Rosa- Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Studie Blocking the chain – Chrysanthemenstraße 1–3, 10407 Berlin Konzernmacht und Big-Data-Plattformen im globalen Ernährungs- urhahn@inkota.de 90
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