FRIEDENSZEITUNG - Schweizerischer Friedensrat

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FRIEDENSZEITUNG - Schweizerischer Friedensrat
FRIEDENSZEITUNG                                                                                     NR. 38 SEPTEMBER 2021

1    Das afghanische Fiasko im Krieg gegen den Terror              16   Der Zivildienst kann den Zivilschutz nicht retten
6    Jakob Kellenberger: Kann man Frieden üben?                    20   Seidenstrasse: Romantik oder Neokolonialismus?
10   Kolumbien: Friedensabkommen gefährdet                         24   Nagasaki-Tag: Die atomare Kette durchbrechen
13   Ruag und Mowag in Brasiliens Favelas                          26   Anmerkungen zum sicherheitspolitischen Bericht

Afghanistan, Irak, Syrien, Mali – und wie weiter?

Gescheiterter Krieg gegen den
Terror ohne Ende
Am 11. September 2021 jährt sich der     nicht nur gescheitert, sondern sogar kon-     und Regierungen seit Beginn dieses Jah-
Al-Kaida-Angriff auf die Twin-Tower in   traproduktiv. Auch die nachgeschobenen        res sowie erbärmliche und kleinkarierte
New York zum zwanzigsten Mal. Einen      Ziele, zerfallene oder diktatorisch regier-   Debatten über die Rettung und Aufnah-
Monat zuvor Mitte August sind die        te Staaten zu stabilisieren und dort Frei-    me ehemaliger afghanischer Ortskräfte
damals von der Macht vertriebenen        heit, Menschenrechte und Demokratie           der westlichen Interventionstruppen und
Taliban wieder in Kabul einmarschiert.   durchzusetzen, wurden verfehlt.               von Flüchtlingen. Und andernorts wird
Eine Bilanz des gescheiterten ‹Krie-                                                   der gescheiterte ‹Krieg gegen den Terro-
ges gegen den Terrorismus› und seine     Keine selbstkritische westliche               rismus› einfach fortgesetzt.
weltweiten Folgen.                       Bilanz der letzten 20 Jahre                       In Afghanistan fand die erste, bislang
                                         Doch selbst nach der schmachvollen Nie-       längste und in jeder Hinsicht (Opferzah-
         / Andreas Zumach /              derlage der Nato-Staaten in Afghanistan,      len, finanzielle Kosten und andere ein-
                                         die Mitte August dieses Jahres mit der        gesetzte Ressourcen) aufwendigste und
Seit den vom islamistischen Al-Kaida-    Rückeroberung der Hauptstadt Kabul            folgenreichste Schlacht dieses Krieges
Netzwerk verübten Anschlägen vom 11.     durch die Taliban besiegelt wurde, findet     statt. Seine heisse Phase begann am 7.
September 2001 gegen Ziele in den USA    keine ehrliche, selbstkritische Bilanz der    Oktober 2001 mit Luftschlägen der USA
beteiligt sich die grosse Mehrheit der   letzten 20 Kriegsjahre statt. Stattdessen     gegen Stellungen des Al-Kaida-Netz-
194 UNO-Staaten – auch die Schweiz –     gab es nur gegenseitige Schuldzuwei-          werks in Afghanistan. Ende Dezember
an dem vom damaligen US-Präsidenten      sungen über die eklatanten Fehleinschät-      2001 waren die Al-Kaida-Strukturen in
George Bush ausgerufenen ‹Krieg gegen    zungen der Lage in Afghanistan und das        dem Land am Hindukusch weitgehend
den Terrorismus›. Sei es mit militäri-   Versagen aller westlichen Geheimdienste       zerschlagen und das Taliban-Regime in
schen Mitteln, mit logisti-                                                                         Kabul gestürzt. Die Regie-
schen, geheimdienstlichen                                                                           rungen in Wa­shington und
und finanziellen Beiträgen                                                                          anderen westlichen Haupt-
oder zumindest mit politi-                                                                          städten feierten den ersten
scher Unterstützung.                                                                                Sieg im ‹Krieg gegen den
    Doch trotz dieser star-                                                                         Terrorismus›.
ken internationalen Betei-
ligung: Gemessen an dem                                                                            Es war vorhersehbar
vor 20 Jahren öffentlich                                                                           In der aktuellen Debatte seit
proklamierten ersten Ziel,                                                                         der Rückkehr der Taliban
die Bedrohung durch isla-                                                                          an die Macht in Kabul wird
mistisch     gerechtfertigten                                                                      vielerorts behauptet, dieser
Terrorismus aus der Welt
zu schaffen, ist dieser Krieg                                                                                   Fortsetzung Seite 2
FRIEDENSZEITUNG - Schweizerischer Friedensrat
Fortsetzung von Seite 1                            gründeten Afghanistan-Archivs in Basel        Al-Kaida und die Taliban. Dostum und
                                                   (siehe Kasten auf Seite 5). Die Anschläge     die von ihm geführte Nordallianz sowie
Ausgang der militärischen Intervention             vom 11. September mit über 3000 To-           andere Milizen und Warlords waren die
in Afghanistan sei nicht vorhersehbar ge-          ten – so die Warner damals – waren ein        wichtigsten Verbündeten der US-ame-
wesen. Doch «das ist falsch, er war vor-           Verbrechen gegen die Menschheit, und          rikanischen und britischen Truppen in
hersehbar», wie die Kolumnistin Bettina            zur Verfolgung der Täter, Hintermänner        der Kriegsphase bis Ende 2001. Obwohl
Gaus Mitte August im deutschen Nach-               und Financiers dieses Verbrechens sei         die Verstösse dieser Warlords gegen
richtenmagazin Spiegel völlig zu Recht             der koordinierte Einsatz aller verfüg-        Menschen- und Frauenrechte jenen der
feststellte. Als Korrespondentin in Ost-           baren nationalen und internationalen          Taliban kaum nachstehen.
und Zentralafrika hatte Gaus bereits in            polizeilichen und juristischen Mittel er-         Sie hatten/haben kein Interesse an
den 1990er-Jahren die ähnlich geschei-             forderlich. Aber ein Krieg sei die falsche    rechtsstaatlichen Strukturen und einer
terte Militärintervention westlicher Staa-         Antwort, zumal ein Krieg als Rachefeld-       funktionierenden Zentralregierung in
ten im Bürgerkrieg in Somalia beobach-             zug, wie er von US-Präsident Bush am          Kabul, sondern waren/sind auf Erhaltung
tet. Diese Intervention war von ähnlicher          12. September 2001 angekündigt wurde.         ihrer lokalen/regionalen Macht bedacht
kolonialer Arroganz und in weitgehender                                                          und auf den ungestörten Profit aus dem
Unkenntnis der Verhältnisse in Somalia             ‹Naive Pazifisten und Besserwisser›           Drogenanbau. Auch bei der Afghanistan-
betrieben wie die Intervention am Hin-             Doch diese Warner wurden damals ver-          Konferenz in Bonn, auf der Anfang De-
dukusch.                                           höhnt als «naive Pazifisten» und «ver-        zember 2001 eine Übergangsregierung
    Zu Recht erinnerte Gaus in ihrer               bohrte Ideologen», oder ihnen wurde           sowie freie Wahlen vereinbart wurden,
Spiegel-Kolumne daran, dass «es auch               – insbesondere im seinerzeit von einer        wurden die Interessen dieser Warlords in
bereits vor 20 Jahren durchaus Leute               rot-grünen Koalition regierten Deutsch-       viel zu starkem Masse berücksichtigt. In
gab, die mit guten Argumenten» – weil              land – «mangelnde Solidarität» mit den        den folgenden 19 Jahren taten die Inter-
in Kenntnis der Geschichte, Kultur und             verbündeten USA vorgeworfen. Wer              ventionsmächte nichts, um den Einfluss
innenpolitischen Verhältnisse in Afgha-            heute an diese Warnungen von damals           dieser Warlords zurückzudrängen.
nistan – «vor der Intervention gewarnt             erinnert, handelt sich häufig den Vor-
hatten». In der Schweiz war es zum Bei-            wurf der Besserwisserei ein. Derartige        2. Zentralistischer Ansatz
spiel Paul Bucherer, Leiter des 1975 ge-           Vorwürfe tragen dazu bei, die überfällige     Bei der Bonner Konferenz wurde auf
                                                   Debatte über die wesentlichen Gründe          Drängen der USA und gegen anfänglich
                                                   des Scheiterns der Afghanistan-Inter-         erhebliche Bedenken anderer Teilneh-
                                                   vention auch weiterhin zu verhindern.         merstaaten Hamid Karsai als Präsident
FRIEDENSZEITUNG                                        Gerne wird auch die Moralkeule aus-       einer Übergangsregierung bestimmt
                                                   gepackt und den Skeptikern und Kriti-         – ohne Rücksicht auf die realen Ver-
   Herausgegeben vom Schweizerischen               kern des Militäreinsatzes vorgehalten,        hältnisse in Afghanistan. Dort existierte
   Friedensrat SFR, Gartenhofstr. 7, 8004          die in den letzten 20 Jahren in Afghanis-     noch nie eine funktionierende Zentralre-
   Zürich, Telefon +41 (0)44 242 93 21,            tan erreichten Verbesserungen der Le-         gierung. Die Macht lag immer und liegt
   info@friedensrat.ch, www.friedensrat.ch         bensbedigungen für Frauen und Mäd-            weiterhin bei lokalen und regionalen
   PC-Konto 80-35870-1 SFR Zürich.                 chen, im Bildungssystem oder in der           Stammesführern, Warlords etc. Selbst
   Redaktion/Layout: Peter Weishaupt.              allgemeinen Menschenrechtslage seien          wenn Karsai nicht oder weniger korrupt
   Mitarbeit: Jakob Kellenberger, Manu-            ihnen egal. Denn diese Verbesserungen         gewesen wäre, hätte dieses zentralisti-
   el Müller, Nicola Goepfert, Helmut              wären ohne die vorherige Zerschlagung         sche Modell nicht funktioniert. Die USA
   Köllner, Marionna Schlatter, Stop Femi-         der Al-Kaida-Strukturen und den Sturz         deckten Karsais massive Wahlfälschung
   zid, Helena Nyberg, Ruedi Epple, Ruedi
                                                   des Taliban-Regimes mit militärischen         im Vorfeld seiner Wiederwahl zum Prä-
   Tobler, Ralf Willinger, Andrea Zellhuber,
   Andreas Zumach.
                                                   Mitteln im Zeitraum von Anfang Okto-
                                                   ber bis Ende Dezember 2001 nicht mög-
   Korrektur: Liliane Studer.
                                                   lich gewesen.
   Bilder: Titelseite: Kichka; Seite 3: Kriki;         Doch selbst wer diese These vertritt,
   Seite 7: Caspar Hedberg; Seite 11: Nadi-
                                                   sollte endlich bereit sein zu einer scho-
   ne Siegle; Seite 13/14: Bruno Itan; Seite
   20,21,23: Helmut Köllner; Seite 25: Du-         nungslosen, selbstkritischen Aufarbei-
   nant-Museum; Seite 32: Jürgen Budday.           tung all der Fehler und Versäumnisse der
   Druck: Mattenbach AG, Winterthur
                                                   Interventionsstaaten, die schliesslich die
                                                   Rückkehr der Taliban an die Macht be-
   Auflage: 2000 Ex., September 2021
                                                   günstigt haben, nach der möglicherweise
   Die FRIEDENSZEITUNG erscheint                   alle in den letzten knapp 20 Jahren erziel-
   vierteljährlich jeweils im März, Juni,          ten Fortschritte und Verbesserungen für
   September und Dezember. Sie geht an
                                                   die Menschen in Afghanistan wieder zu-
   die Mitglieder des SFR, der Abopreis ist
   im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Einzel­
                                                   nichte gemacht werden:
   abo: Fr. 50.–. ISSN 1664-4492
                                                   1. Warlords
                         PERFOR MANCE
                                                   An erster Stelle steht die Kumpanei mit
                                                   General Abdul Rashid Dostum von der           Andreas Zumach ist UNO-Korrespondent ver-
                                neutral
                             Drucksache            Nordallianz und anderen Warlords und          schiedener Zeitungen und regelmässiger Autor der
No. 01-19-795947 – www.myclimate.org
© myclimate – The Climate Protection Partnership   Kriegsverbrechern im Bodenkrieg gegen         FRIEDENSZEITUNG. Er lebt in Berlin.

FRIEDENSZEITUNG 38/21                                                                                                                          2
FRIEDENSZEITUNG - Schweizerischer Friedensrat
Editorial

                                                                                          Sommerlochtheater um eine
                                                                                          Frauendienstpflicht

                                                                                          Seit dem 1. August versucht eine Gruppe jun-
                                                                                          ger Leute aus der Westschweiz, inzwischen
                                                                                          von einigen weniger bekannten Politiker­I­nnen
                                                                                          unterstützt, einen seit zehn Jahren geplanten
                                                                                          Vorstoss für einen allgemeinen Bürgerdienst
                                                                                          endlich zu konkretisieren, indem sie, wie heute
                                                                                          verbreitet, zuerst einmal Unterschriftensamm-
                                                                                          lerInnen sowie Geld für eine entsprechende
                                                                                          Volks­initiative sucht, um bei etwas Echo mit
                                                                                          der Sammlung, professionell aufgegleist durch
                                                                                          einschlägige Kampagnenorganisationen, be-
sidenten 2009 und verhinderten, dass die   4. Pakistans anhaltende                        ginnen zu können. Im Wesentlichen geht es
UNO diese Wahlen annullierte.              Unterstützung für die Taliban                  den Initiant­Innen darum, die militärische und
                                           Die Taliban («Koranschüler») sind Af-          männliche Wehrpflicht zu einem «allgemeinen
3. Tatenlos gegen die                      ghanen, die nach der sowjetischen In-          Dienst an der Gemeinschaft» auszuweiten,
Drogenökonomie                             vasion in ihrem Land Ende 1979 in              sprich, eine Dienstpflicht für Frauen und Be-
Mit Ausnahme einer kurzen Phase zwi-       das Nachbarland Pakistan flohen. Dort          teiligungsmöglichkeiten für AusländerInnen
schen 1996 und 2001, in der die Tali-      wurden sie in Islamschulen ausgebildet         einzuführen. Wir berichteten 2019 in der De-
ban den Anbau und die Verarbeitung         und nach dem Abzug der sowjetischen            zember-Ausgabe darüber.
von Opium untersagten und mit zum          Besatzungs­truppen vom pakistanischen
Teil drastischen Mitteln (Abflämmen        Geheimdienst zurück in ihre Heimat ge-         Es geht diesen Leuten zwar nicht darum,
von Opiumfeldern) auch unterbanden,        schickt. 1994 gründeten sie sich im süd-       unbedingt mehr Frauen zum Dienst in der
kamen in den letzten 50 Jahren bis zu      afghanischen Kandahar als Terrororga-          Armee zu animieren, vielmehr sind sie aus
90 Prozent des weltweit konsumierten       nisation. 1996 bis zu ihrem Sturz Ende         irgendwelchen unbekannten Gründen der
Heroins aus Afghanistan. Drogenwirt-       2001 stellten sie die Regierung in Kabul.      Meinung, dass die Frauen zu einem obrigkeit-
schaft macht über 60 Prozent des Brutto­   Von Beginn an und bis heute erhalten           lich verordneten Dienst an der Gemeinschaft
nationalproduktes aus. Solange diese       sie finanzielle und logistische Unter-         verpflichtet werden müssen. Anstatt die
Rahmenbedingungen weiter bestehen          stützung von der Regierung und dem             männliche Wehrpflicht infrage zu stellen, sol-
und jährlich viele Milliarden Drogengel-   Geheimdienst Pakistans und konnten             len alle Schweizer Frauen – wie hier lebende
der in das Land fliessen, kann in Afgha-   während des Krieges mit den Interven-          Ausländer – für den Staat irgendwelche nicht
nistan nichts besser werden.               tionstrupppen der Nato pakistanisches          näher definierten Dienste leisten. Dass damit
    Denn alle Akteure, die kein Inte­      Territorium als Rückzugs- und Ruhe-            das schweizerische Milizsystem oder das an-
resse an einem funktionierenden Staat,     raum nutzen. Gegen diese durchgehen-           geblich gestörte Gemeinschaftsgefühl der
sondern nur an der Sicherung ihrer je-     de Unterstützung der Taliban durch             Willensnation gerettet werden könnte, gar so
weiligen Pfründe und Machtpositionen       Pakistan in den 20 Jahren des ‹Krieges         etwas wie eine Wehrgerechtigkeit zwischen
haben, können sich mit den Einnahmen       gegen den Terror› haben die USA und            Männern und Frauen geschaffen würde, lässt
aus den Drogengeschäften Waffen kau-       ihre Nato-Verbündeten, aber auch Russ-         sich aus den verschwurbelten Ausführungen
fen, ihre Milizen finanzieren und von      land und China nie ernsthaft etwas un-         mit dem besten Willen nicht herauslesen.
der lokalen Ebene bis hin zur Regierung    ternommen.
in Kabul nach Belieben Polizisten, Sol-                                                   Unter dem Deckmantel «Gleichstellung der
daten, Verwaltungsbeamte oder Politker     Irak – die zweite Schlacht                     Geschlechter» gab es in diesem Sommerloch
bestechen. Doch gegen diese Drogen-        Im Unterschied zur militäischen Inter-         auch noch andere Wortmeldungen, so aus Of-
ökonomie haben die Interventionsstaa-      vention in Afghanistan stimmten beim           fizierskreisen, die offensichtlich Angst haben,
ten nie ernsthaft etwas unternommen.       völkerrechtswidrigen Krieg der USA             dass sich tendenziell immer weniger junge
    Und dies, obwohl in Afghanistan tä-    und Grossbritanniens gegen den Irak            Männer, trotz Rückbau der Dienstpflicht, zum
tige Entwicklungs- und Nichtregierungs-    im Frühjahr 2003 noch nicht einmal die         Militär melden oder bei ihm bleiben. Angeb-
organisationen mehrfach detaillierte       Ausgangsbegründungen. Die Behaup-              lich fehlen bis in zehn Jahren um die 20’000 bis
Programme vorgeschlagen haben, um          tung der Regierungen Bush und Blair,           30’000 Kämpfer. Das VBS wälzt darum nicht
die Kleinbauern, die bislang vom Opium-    der irakische Diktator Saddam Hussein          nur Ideen, dass der Zivilschutz durch Zivil-
anbau lebten, bei der Umstellung auf an-   betreibe eine «operative Kooperation»          dienstler alimentiert werden sollte (siehe Seite
dere Produkte zu unterstützen und ihnen    mit dem Terrornetzwerk von Al-Kaida,           16), sondern denkt über eine «Bürgerdienst-
dafür das gleiche Einkommen zu garan-      war ebenso eine Lüge wie die Behaup-           pflicht mit freier Wahl der Dienstart und weit
tieren. Die Umsetzung dieser Vorschläge    tung, er verfüge über Massenvernich-           gefassten Einsatzbereichen» oder gar über
hätte einen Promille-Bruchteil der Aus-    tungswaffen. Die von Bush und Blair            eine allgemeine Sicherheitsdienstpflicht nach.
gaben für den Afghanistankrieg gekostet,   kurz vor Kriegsbeginn nachgeschobe-            Im Prinzip durchaus in Ordnung, sofern bitte
die allein für die USA von 2001 bis Ende   ne Rechtfertigung, man wolle den Ira-          «Dienstpflicht» vergessen und das freiwillige
2020 bereits über zwei Billionen (2000                                                    Engagement staatlich gefördert wird. Aber
Milliarden) Dollar betrugen.                                        Fortsetzung Seite 4   nur dann.                       Peter Weishaupt

3                                                                                                     FRIEDENSZEITUNG 38/21
FRIEDENSZEITUNG - Schweizerischer Friedensrat
Fortsetzung von Seite 3                     nen. In Afghanistan verüben IS-Kader         kritisiert. Die Bundesregierung in Berlin
                                            seit 2019 gezielt Angriffe auf die schii-    lässt die Nutzung von Ramstein für diese
kern die Demokratie bringen, scheiterte     tische Minderheit der Hazara. Damit          Morde zu und verstösst damit nicht nur
ebenso wie in Afghanistan.                  eskaliert auch in Afghanistan – ähnlich      ebenfalls gegen das Völkerrecht, sondern
    Und zudem bereiteten die USA in         wie zuvor im Irak und in Syrien – der        auch gegen die deutsche Verfassung. Es
ihrer achtjährigen Besatzungszeit mit       innerislamische Konflikt zwischen Sun-       ist davon auszugehen, dass diese Droh-
der völligen Vertreibung von Sunniten       niten und Schiiten.                          nenmorde an den Zielorten und bei den
aus Positionen in Regierung, Verwal-                                                     Angehörigen der Ermordeten als eine
tung, Militär und Polizei sowie der Be-     Mali – die vierte Schlacht                   besonders feige Handlung wahrgenom-
waffnung zunächst schiitischer Milizen      Mali ist ebenfalls zum Schlachtfeld im       men werden und daher den Hass auf die
gegen sunnitische Aufständische (sowie      Krieg gegen den Terrorismus geworden,        USA/den Westen verstärken sowie isla-
ab 2006 umgekehrt) den Boden für das        seit zunächst die Tuareg im Norden Ende      mistischer Radikalisierung und Terror-
Entstehen der nach Al-Kaida nächsten        2012 die regulären Streitkräfte des Lan-     bereitschaft Vorschub leisten.
Terrororganisation «Islamischer Staat».     des vertrieben und einen eigenen Staat
Auch die Folterverbrechen der US-           ausriefen und in der Folge islamistische     Krieg ohne völkerrechtliche Grundlage
amerikanischen Soldaten und Geheim-         Milizen auf die Hauptstadt Bamako im         Die völkerrechtliche Grundlage fehlt
dienstler in Abu Ghraib und anderen         Süden vorrückten. Möglich wurden die         nicht nur für die Drohneneinsätze der
Gefängnissen schürten den Hass auf die      militärischen Erfolge nur dank tausen-       USA, sondern für den gesamten ‹Krieg
USA und dienten dem IS und anderen          der Fremdenlegionäre aus Libyen, die         gegen den Terrorismus›. Zum einen
islamistischen Terrororganisationen zur     nach dem Sturz von Herrscher Muam-           konnten sich die Mitgliedsstaaten der
Mobilisierung neuer Anhänger.               mar Gaddafi im März 2011 unter Mit-          UNO trotz jahrelanger Verhandlungen
                                            nahme ihrer zuvor von den USA, Frank-        nicht auf eine gemeinsame Definition
Syrien – die dritte Schlacht                reich und Grossbritannien gelieferten        von Terrorismus einigen. Deshalb gibt
Der schnelle, höchst erfolgreiche mi-       Waffen nach Mali zogen. Die seit 2013 in
litärische Vormarsch, bei dem der IS        Mali etablierten zivil-militärischen Mis-
ab März 2014 mithilfe der Waffen, die       sionen der UNO (MINUSMA) und der
die USA zwischen 2003 bis zum Ende          EU (EUCAP und EUTM) sowie die pa-
der Besatzungszeit 2011 in den Irak         rallel dazu agierende französische Anti-
gepumpt hatten, zunächst weite Teile        terror-Operation «Barkhane» stehen vor
Iraks und danach fast 60 Prozent des        sehr ähnlichen Problemen wie jene, die
syrischen Territoriums eroberten, kam       nach dem 11. September 2001 in Afgha-
für die Regierungen und Militärs in den     nistan geschaffen wurden. Auch in Mali
westlichen Hauptstädten damals fast         ist das Scheitern absehbar.
ebenso ‹überraschend› wie die Rücker-
oberung Kabuls durch die Taliban im         Völkerrechtswidriger Drohnenkrieg
August dieses Jahres. Ab 2016 bekämpf-      Parallel zu der auf bestimmte Länder
ten die USA und ihre Verbündeten, aber      konzentrierten militärischen Terroris-
auch Russland den IS in Syrien.             musbekämpfung mit herkömmlichen
    Zu den Widersprüchen gehört hier –      Mitteln (bemannte Kriegsflugzeuge, Bo-
wie mit Blick auf Pakistans Rolle bei der   denstreitkräfte, Spezialtruppen) führen
Unterstützung –, dass die USA nichts        die USA seit mindestens 2004 auch einen
unternahmen gegen die Unterstützung         Krieg mit bewaffneten Drohnen. Die
des IS durch verbündete Staaten wie         Einsätze rich(te)ten sich nicht nur gegen
Saudiarabien und dem Nato-Partner           Ziele in Afghanistan, Irak und Syrien,
Türkei. Mehr noch: die Regierungen          sondern auch in Pakistan und anderen
Obama und Trump unterstützten selber        Ländern. Zentrale Leitstelle für die welt-
vermeintlich gemässigte, in Opposition      weiten Drohneneinsätze ist die US-Luft-
zum Assad-Regime stehende islamis-          waffenbasis Ramstein im deutschen Bun-
tische Milizen in Syrien, die ihrerseits    desland Rheinland-Pfalz.
operative Beziehungen zu Al-Kaida und           Verlässliche offizielle Informationen
dem IS unterhielten.                        über Umfang, Ziele und Opfer dieser
    Nach der weitgehenden Vertreibung       Drohneneinsätze gibt es nicht, da sie in
des IS aus den von ihm eroberten Regio-     Washington grösster Geheimhaltung un-
nen in Syrien verkündeten die Regierun-     terliegen. Für diese Einsätze gibt es kei-
gen in Washington wie in Moskau im          ne völkerrechtliche Grundlage und auch
Jahr 2018 erneut einen ‹Sieg› über den      keine rechtsstaatlichen Verfahren. Der
Terrorismus. Doch tatsächlich tauch-        US-Präsident, der mutmassliche Terro-
ten zehntausende IS-Kämpfer lediglich       risten auf Vorschlag der Geheimdienste
unter oder zogen unter Mitnahme ihrer       zum Abschuss freigibt, ist Staatsanwalt,
Waffen nach Libyen, Mali, Afghanistan,      Richter und Henker in einer Person.
in den palästinensischen Gaza-Streifen          Zu Recht werden diese Einsätze daher
und andere Konfliktländer und -regio-       als völkerrechtswidrige Drohnenmorde

FRIEDENSZEITUNG 38/21                                                                                                           4
FRIEDENSZEITUNG - Schweizerischer Friedensrat
es auch bis heute keine verabschiede-                         Experte warnte Ende 2001 vor der Entsendung
te Anti-Terrorismus-Definition. Zum                            bewaffneter UNO-Truppen nach Afghanistan
anderen enthält die Resolution 1263,
mit der der UNO-Sicherheitsrat am 12.            «Afghanen dulden keine ausländischen Soldaten»
September 2001 auf die Terroranschläge
vom Vortag reagierte, entgegen anders-      Die Entsendung einer bewaffneten             Bucherer verwies auf den «gros­sen Un-
lautenden Behauptungen kein Mandat          UNO-Truppe nach Kabul wäre nach              abhängigkeitswillen» der Afghanen, die
für den Einsatz militärischer Mittel.       Einschätzung eines führenden Afgha-          keine ausländischen Truppen in ihrem
Dennoch wird diese Resolution von           nistan-Experten höchst riskant. Zwar sei     Lande duldeten. Sowohl 1948 die Bri-
den Regierungen in Washington und           eine UNO-Präsenz zur Absicherung der         ten als auch in den 1980er-Jahren die
anderen Hauptstädten seitdem als völ-       politischen Neuordnung notwendig, sag-       sowjetischen Besatzer hätten immense
kerrechtliche Grundlage für den ‹Krieg      te der Leiter des Afghanistan-Archivs in     Verluste erlitten und seien letztlich ge-
gegen den Terrorismus› angeführt.           Bubendorf bei Basel, Paul Bucherer, der      scheitert. Die UNO-Beobachter müss-
    Dagegen gab es bis heute keinen         Nachrichtenagentur AFP. Dabei müsse es       ten dem Rechnung tragen und sich
ernsthaften Widerspruch irgendeines         sich jedoch um eine Beobachtermission        daher «äusserst diskret» verhalten. Zu
Landes. Denn die Regierungen aller          handeln. Allenfalls könnten UNO-Sol-         den Chancen der in Bonn vereinbarten
UNO-Staaten – egal ob demokratische         daten Einrichtungen der UNO und aus-         Übergangsregierung wollte sich Buche-
oder diktatorische, ob verbündet oder       ländische Botschaften in Afghanistan         rer, der seit 35 Jahren regelmässig nach
verfeindet mit den USA – haben die An-      absichern. Eine darüber hinausgehende        Afghanistan reist und dort Kontakte zu
schläge vom 11. September 2001 damals       «bewaffnete UNO-Präsenz wäre jedoch          allen Volksgruppen unterhält, nicht äus­
als einen heimtückischen Angriff und        eine Katastrophe», warnte der Schweizer,     sern. Dazu sei es noch zu früh, sagte er.
eine Verletzung nationaler Souveränität     der international als einer der besten Af-
wahrgenommen, die eines Tages poten-        ghanistan-Kenner gilt.                       AFP-Meldung vom 6. Dezember 2001

                                          ziell auch ihr Land treffen könnten. Das       Uiguren ist zugleich ein Beispiel dafür,
                                          erklärt auch die sehr handfeste Unter-         wie der Terrorismusbegriff seit Beginn
                                          stützung und Kooperation, die die USA          des Krieges vor 20 Jahren von immer
                                          und dann auch die Nato während ihres           mehr Regierungen durch willkürliche
                                          Einsatzes in Afghanistan von eher geg-         Anwendung immer weiter entgrenzt,
                                          nerischen Staaten erfahren haben.              instrumentalisiert und missbraucht wird,
                                                                                         um gegen eine (tatsächliche oder ver-
                                          Alle vereint gegen den Terrorismus             meintliche) innenpolitische Opposition
                                          Iran hielt den US-Truppen in den ent-          oder aussenpolitische Gegner vorzuge-
                                          scheidenden Kriegswochen von Oktober           hen. Und zwar unabhängig davon, ob es
                                          bis Dezember 2001 im Länderdreieck             sich bei diesen um Muslime/Islamisten
                                          mit Afghanistan und Pakistan den Rü-           handelt oder nicht.
                                          cken frei. Zudem lieferte Iran mehrere             Ein aktuelles Beispiel ist der völker-
                                          hundert Männer an die USA aus, die von         rechtswidrige Krieg der Türkei gegen die
                                          der Bush-Administration der Terroris-          Kurden im eigenen Land, in Syrien und
                                          mus-Unterstützung verdächtigt wurden.          im Irak, den Präsident Erdogan stets mit
                                          Die Regierung in Moskau ermöglichte            dem Terrorismusvorwurf an die Kur-
                                          den Nachschub von Waffen und Mate-             den zu rechtfertigen sucht. In Damas-
                                          rial für die Nato-Truppen in Afghanistan       kus brandmarkt das Assad-Regime seit
                                          über russisches Gebiet.                        Beginn der innersyrischen Konflikte im
                                              China hat trotz aller seit Anfang des      März 2011 jegliche Oppositionsgrup-
                                          Jahrausends zunehmenden geostrategi-           pe oder Einzelpersonen konsequent
                                          schen Konkurrenz zu den USA den Af-            als ‹Terroristen›. Die Militärdiktatur in
                                          ghanistan-Einsatz nie kritisiert und auch      Ägypten greift ebenfalls gerne zu diesem
                                          im UNO-Sicherheitsrat immer alle dies-         Mittel, um ihr Vorgehen gegen innen-
                                          bezüglichen Resolutionen mitgetragen.          politische Gegner zu rechtfertigen. Und
                                          Denn die US-Präsenz in Afghanistan war         auch in Moskau hat die Regierung Putin
                                          für Peking auch eine Gewähr, dass über         inzwischen mehrfach unliebsame Kriti-
                                          die gemeinsame Grenze mit dem Nach-            ker dem Terrorismusverdacht ausgesetzt.
                                          barland keine Islamisten in die Grenzre-       In den USA sowie in den demokratisch
                                          gion Xinjiang einsickerten, Heimat der         verfassten Staaten in Europa oder in Aus-
                                          von Peking unterdrückten muslimischen          tralien wurden in den letzten 20 Jahren
                                          Minderheit der Uiguren.                        mit der Begründung der Terrorabwehr
                                                                                         Bürgerrechte eingeschränkt und Über-
                                          Terrorismus-Instrumentalisierung               wachungsmassnahmen verstärkt.
                                          Der Konflikt zwischen Peking und den

5                                                                                                   FRIEDENSZEITUNG 38/21
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