Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie!
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Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv © Shutterstock Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie! 90.000 Beschäftigte arbeiten in der deutschen als Dienstleister für die großen Fleischkonzer- Fleischindustrie. Diese Zahl hat sich seit den ne tätig sind. Meist handelt es sich um mobile 90ern kaum verändert. Die Menge der geschlach- Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa, die hier teten Tiere ist jedoch enorm angestiegen, der unter menschenunwürdigen Bedingungen ausge- Umsatz der Branche hat sich seit der Jahrtausend- nutzt werden. wende verdoppelt. Sechs große Unternehmen Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften beherrschen den deutschen Markt. Deutschland kämpfen seit Jahren gegen diese Zustände an. ist nach China und den USA der weltweit größte Doch erst als sich im Zuge der Corona-Pandemie Schweinefleischproduzent. 2020 Tausende Beschäftigte mit dem SARS-Cov2- Um billiges Fleisch exportieren zu können, Virus infizierten, rückte ihre Situation in den importiert Deutschland billige Arbeitskraft: Mehr Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Wir sagen: als zwei Drittel der Beschäftigten sind bei Sub Jetzt ist die Zeit, dieses unerträgliche System ein unternehmern angestellt, die über Werkverträge für alle mal zu beenden! www.dgb.de
© Shutterstock Das System der organisierten Verantwortungslosigkeit Das Werkvertragssystem der deut- Unterkunft seiner Frau verstecken, um nicht Arbeitskräfte überwiegend aus Osteuropa schen Fleischindustrie ist ein Horror- auf der Straße schlafen zu müssen. rekrutieren. Stammbeschäftigte sind in film. Jetzt ist die Zeit, ihn zu beenden. Zwei Tage später wandte er sich tele- vielen großen Fleisch- und Wurstfabriken in fonisch an eine der DGB-Beratungsstellen der Minderheit. »Kaum hatte ich das eine Schwein zerteilt, von »Faire Mobilität«. Bekomme ich meinen Seit den 1990er Jahren gingen in einem da war schon das nächste an der Reihe«, ausstehenden Lohn? Bin ich überhaupt kran- rasanten Konzentrationsprozess massiv berichtete der Beschäftigte eines Zerlege- kenversichert? Wo kann ich wohnen? Fragen, Arbeitsplätze verloren. Zugleich wurden betriebes. »Damit ich die Säge schneller aus die sich stellen, wenn ein Werkvertrags-Be- Tausende neuer Arbeitskräfte in Mittel- und dem Tier lösen konnte, habe ich sie kurz von schäftigter in der deutschen Fleischindustrie Osteuropa angeworben. Mit der EU-Oster- unten angefasst, um sie hochzuheben.« Opfer eines Arbeitsunfalls wird. weiterung, der Dienstleistungsfreiheit und Dabei durchtrennte die Säge seinen Schutz- Fälle wie dieser sind keine Seltenheit. der Arbeitnehmerfreizügigkeit wurde das handschuh und das letzte Glied des kleinen Die skandalösen Zustände, die das Werk- immer einfacher. Fingers fast vollständig. Die eigentliche vertrags- und Subunternehmerunwesen Im September 2015 unterzeichneten die Horrorgeschichte begann aber erst danach. hervorbringt, mit dem die Konzerne ihre sechs größten Konzerne der Fleischindustrie Nachdem seine Wunde notdürftig Profite maximieren, sind seit Jahrzehnten be- eine Selbstverpflichtungserklärung »für verbunden war, verließ er die Fabrik und kannt. Doch erst mit der Corona-Pandemie attraktivere Arbeitsbedingungen«. Danach versuchte, einen Arzt zu finden. Mit seinen im Frühjahr 2020 gerieten sie in den Blick wurden Tausende – oft zuvor bei ausländi- mangelhaften Deutschkenntnissen an einem einer breiteren Öffentlichkeit. Die Politik schen Briefkastenfirmen angestellte – Be- Freitagnachmittag war dies ein aussichts- stand unter Handlungsdruck wie nie zuvor. schäftigte in deutsche sozialversicherungs- loses Unterfangen. Übers Wochenende Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) pflichtige Arbeitsverhältnisse übernommen. bekam er starke Schmerzen. Erst am Montag will nun ein Verbot der Werkverträge und Ein Ende der Missstände bedeutete das schaffte er es ins Krankenhaus, mithilfe der Leiharbeit in Schlachthöfen. aber nicht. Subunternehmen unterlaufen einer Kundin in einer Apotheke, wo er sich Eine Handvoll Unternehmen beherrscht weiter den Mindestlohn: Es werden weniger hilfesuchend gemeldet hatte. Es folgten die den Markt. Die wichtigsten heißen Tönnies, Stunden bezahlt, als tatsächlich gearbeitet sofortige Operation und eine zweitägige Vion, Westfleisch, Danish Crown, Müller. In wird, Kosten für Werkzeug und Schutzklei- stationäre Behandlung. Als er mit einer ihren Schlachthöfen, Zerlege- und Fleisch- dung illegal vom Lohn abgezogen oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus der verarbeitungsbetrieben arbeiten oft mehrere Umkleide- und Wegezeiten innerhalb der Klinik entlassen wurde, war sein Bett in hundert oder tausend Menschen. Aber Betriebe nicht vergütet. Wer selbst kündigt, der Arbeiterunterkunft bereits durch einen nur eine Minderheit der Arbeitenden sind wartet oft vergeblich auf seinen letzten neuen Beschäftigten belegt. Der Mann dort direkt angestellt – der größte Teil hat Lohn, ebenso wie auf Austrittspapiere und wurde angewiesen, das Zimmer sofort zu Arbeitsverträge bei Fremdfirmen, die über Arbeitszeugnisse. Und weil der Großteil der räumen und musste sich zwei Nächte in der Werkverträge eingebunden sind und ihre Beschäftigten weiter in zweifelhaften Werk-
verträgen bei Subunternehmern angestellt 2020 ist klar: Tönnies und die anderen die skandalösen Zustände in der deutschen ist, bleiben ihnen elementare demokratische Schlachtereien hatten ihre Chance – und Fleischindustrie zu beenden. Dies wird nur Rechte über Interessenvertretungen im haben sie verspielt. Selbstverpflichtungen und mit klaren, unmissverständlichen Gesetzen Betrieb verwehrt. Selbstkontrolle sind kein geeignetes Mittel, und scharfen Sanktionen möglich sein. Das System der Werkverträge Schlachtung und Fleischverarbeitung werden im Rahmen Beschäftigten. Mehrheitlich sind das in Deutschland sozialver- von »Werkverträgen« an Subunternehmen ausgelagert. Diese sicherungspflichtig beschäftigte osteuropäische Kolleg*innen, erledigen dann ihr »Werk« – also fast die komplette Schlacht die mit Versprechungen eines »Rundum-Pakets« von Be- hofproduktion – auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers, schäftigung, Transport und Unterbringung nach Deutschland mit dessen Maschinen und Infrastruktur, aber mit eigenen angeworben werden. Subunternehmen Schlachtung Auftrag Rekrutierung D Subunternehmen Zerlegung Auftrag Rekrutierung D Deutscher Schlachthof Arbeits vertrag D Verarbeitung Auftrag Subunternehmen Rekrutierung D Verwaltung Ausmaß In fast allen großen deutschen Schlachtbetrieben liegt Kolleg*innen beherrschen oft nicht die deutsche Sprache, der Anteil eigener Beschäftigter unter 50 Prozent, es gibt sind selten gewerkschaftlich organisiert und stehen in einem »Stammbelegschaften«, die gerade mal zehn Prozent ausma- besonderen Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Arbeitgebern. chen. Faktisch sind ihre Möglichkeiten zur Durchsetzung von ver- Die meist in Mittel- und Osteuropa angeworbenen letzten Arbeits- und Sozialrechten stark eingeschränkt. Zweck des Modells Die Reduzierung von Arbeitsplätzen bei der Stammbe- antwortung, können das Personal mit äußerster Flexibilität legschaft auf ein Minimum drückt Lohnkosten und Sozial- einsetzen und entledigen sich ihrer Fürsorgepflicht. Beleg- beiträge. Auftraggeber entziehen sich so ihrer Personalver- schaften werden gespalten, Solidarisierung wird verhindert. Schein-Werkverträge Die »Werkverträge« sind in der Fleischindustrie in der Arbeit nach dessen Weisungen und in dessen Interesse. Sie Regel vorgetäuscht. Die Subunternehmer erbringen kein ei- arbeiten mit den Maschinen des Auftraggebers, sind in dessen genständiges Werk, sondern agieren wie Personaldienstleister. zeitliche Taktung eingebunden und üben von ihm vordefinierte Ihre Beschäftigten werden dem Auftraggeber zur Verfügung Tätigkeiten aus. Damit sind in vielen Fällen wesentliche Merk- gestellt, in dessen Betrieb eingegliedert und verrichten ihre male eines Werkvertrages nicht erfüllt.
© Shutterstock »Dieses Ausbeutungssystem muss durchbrochen werden« Elwis Capece Unterbringung der Beschäftigten. Wir prangern das als Gewerk- Geschäftsführer der Gewerk schaft seit vielen Jahren an. Trotzdem hat sich bislang die Politik schaft NGG Mannheim- nur wenig dafür interessiert. Heidelberg und Mittelbaden- Nordschwarzwald Wie sieht es mit den Hygienestandards an den Arbeits plätzen aus? Diese Standards betreffen den Umgang mit dem Fleisch. Ob Prekäre Arbeit, pre- Arbeits- und Gesundheitsschutz auf dem aktuellen Stand sind und © NGG kärer Gesundheitsschutz: so eingehalten werden, wie es unter Pandemiebedingungen er- Die Corona-Ausbrüche forderlich wäre – das halten wir für fragwürdig. Kontrollen fanden unter Schlachthof-Beschäftigten sind eine Folge des Ge- bisher eher oberflächlich statt. Mit dem Verweis auf Hygienevor- schäftsmodells der Fleischindustrie. Ein Gespräch mit Elwis schriften wurde Behörden wiederholt der Zugang zu Betrieben Capece, NGG Mannheim-Heidelberg und Mittelbaden-Nord- erschwert. Und die vorhandenen Hygienezertifikate sagen über die schwarzwald realen Arbeitsbedingungen und Belastungen der Menschen nicht viel aus. Jetzt wird es Zeit, der kompletten Fleischindustrie einen Im Frühsommer 2020 sind Tausende Corona-Infektionen un- Totalcheck zu verordnen – aber nicht in Form von Selbstkontrolle! ter Beschäftigten von Fleischbetrieben bekannt geworden. Was stimmt mit der Branche nicht? Gibt es eine Chance, dass sich jetzt grundsätzlich etwas Das kommt nicht überraschend. Diese Corona-Ausbrüche sind ändert? eine Folge des Werkvertragssystems in der Fleischindustrie. Die Intensiver öffentlicher Druck kann etwas bewirken. Das war in der großen Fleischkonzerne in Deutschland arbeiten zum großen Teil Vergangenheit noch anders. Vor sieben Jahren hatten wir in Birken mit Subunternehmern, die Arbeiter aus Mittel- und Osteuropa feld eine Protestaktion. Eine Gruppe ungarischer Beschäftigter anwerben und hier zu prekären Bedingungen beschäftigten. Die hatte, nachdem man ihnen die Mietkosten vom Lohn abgezogen Leute werden auf viel zu engem Raum in Mehrbettzimmern mit hatte, nicht mehr genug Geld, um nach Ungarn zurück zu fahren. Stockbetten untergebracht. Es ist klar, dass solche Wohnverhält- Daraufhin haben sie vor dem Fleischwerk kampiert. Müllerfleisch nisse die Ausbreitung von Infektionskrankheiten begünstigen. hat dann fix das Portemonnaie aufgemacht, damit die Arbeiter Zunehmend rückt aber auch die Situation an den Arbeitsplätzen in schnell das Land verlassen. Kurz darauf war das politische Interesse den Fokus der Betrachtung. an den Missständen in der Branche dann wieder verschwunden. Aufgrund des »Tönnies-Skandals« ist jetzt viel mehr öffentli- Die Unternehmen sagen, sie seien für die Wohnsituation cher Druck entstanden. Der ist auch weiterhin nötig. Die Fleisch nicht verantwortlich. Ist das glaubhaft? industrie muss in die Verantwortung genommen werden – auch Offiziell sagen die Fleischunternehmer, sie haben damit nichts zu was den Umgang mit den Tieren angeht. Wir brauchen klare tun, weil die Beschäftigten sich selbst um ihre Unterkunft küm- gesetzliche Mindeststandards für Unterkünfte und Arbeitsbedin- mern – wohnen sei schließlich Privatsache. Das ist zynisch, denn gungen. Hier darf es keine Sonderregelungen und Ausweichmög- natürlich gibt es langjährige Geschäftsbeziehungen zwischen Auf- lichkeiten mehr geben. Die Gesetze und Verordnungen müssen traggebern, Subunternehmen und den Vermietern der Unterkünfte. aber auch wirksam kontrolliert und mit Sanktionen belegt werden. Was fehlt, sind rechtlich verbindliche Mindeststandards für die Nur so kann dieses Ausbeutungssystem durchbrochen werden.
Auch mobile Beschäftigte haben ein Recht auf Gute Arbeit! Anja Piel Stammbelegschaften geraten durch den preislichen Unterbietungs- Mitglied des Geschäfts wettbewerb immer stärker unter Druck. führenden Bundesvorstandes Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben diesen des Deutschen Gewerk inakzeptablen Verhältnissen schon lange den Kampf angesagt. Wir schaftsbundes unterstützen gemeinsam mit »Faire Mobilität« die Kolleginnen und Kollegen vor Ort und setzen uns für auskömmliche Tariflöhne und bessere Arbeitsbedingungen ein. Dazu gehört auch, dass wir für Mit der Corona-Pandemie sichere arbeits- und sozialrechtliche Rahmenbedingungen eintreten © DGB ist uns allen auf schmerzliche und den massenhaften Einsatz von offenen und verdeckten Werk- Weise vor Augen geführt verträgen, das Subunternehmerunwesen und sonstige systemati- worden, dass es besonders verwundbare Berufsgruppen in unserer sche Umgehungsstrategien beenden wollen. Die Ankündigung der Gesellschaft gibt, von deren Tätigkeit unser alltägliches Wirtschafts- Bundesregierung, mit diesen Missständen endlich aufräumen zu leben und Konsumverhalten in starkem Maße geprägt ist. Neben wollen und Schlupflöcher zu schließen, von denen Subunternehmen Berufsgruppen wie Pfleger*innen und Saisonarbeitskräften sind und Lieferketten jahrelang profitierten, begrüßen wir. Insbesondere auch Beschäftigte in der Fleischindustrie verstärkt in den Fokus der das strikte Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der gesam- öffentlichen Aufmerksamkeit geraten. Deutlich wurde, dass viele ten Fleischbranche, also Schlachtung, Zerlegung und Fleischver- von Ihnen massiv von der aktuellen Krise bedroht sind. Das gilt arbeitung, ist ein unverzichtbares Element, um die notwendigen nicht nur für die akute Gesundheitsgefährdung durch eine schnelle Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten Verbreitung der Infektion, der sich viele Beschäftigte in Fleischerei- durchzusetzen und Ausbeutung als Geschäftsmodell einen Riegel und Schlachtbetrieben ausgesetzt sehen, weil sie beispielsweise in vorzuschieben. Dazu muss auch das Verbot konzerneigener Werk- überbelegten Sammelunterkünften unter unannehmbaren hygi- vertragsunternehmen bzw. Leiharbeitsunternehmen gehören, damit enischen Zuständen wohnen müssen. Diese Missstände werden bestehende missbräuchliche Praktiken nicht einfach in neuen Struk- oftmals noch verschärft durch prekäre Arbeitsverhältnisse auf turen ihre heimliche Fortsetzung finden. Werkvertragsbasis und schlechte Arbeitsbedingungen, unter denen Allerdings können die Maßnahmen nur ein Anfang sein: Damit viele der dort Beschäftigten ihrer Tätigkeit nachgehen. der Verdrängungswettbewerb in der Branche nicht länger auf dem Fakt ist aber: Diese Missstände sind nicht neu. Sie sind Kenn- Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, fordern wir allgemein- zeichen eines Systems, das seit Jahren darauf ausgerichtet ist, verbindliche Tarifverträge für alle Unternehmen der Branche. Zudem geltende arbeits- und sozialrechtliche Standards systematisch zu benötige wir zwingende Standards und eine Mietobergrenze für unterlaufen und auf den Schultern einer besonders verwundbaren Unterkünfte sowie ungehinderten Zugang von Gewerkschaften und Beschäftigtengruppe Rendite zu generieren. Häufig stammen diese Beratungsstellen zu den Beschäftigten. Arbeitskräfte aus mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten der Als Gewerkschaften wissen wir zugleich, dass Ausbeutung Europäischen Union und werden auf Grundlage undurchsichtiger nicht vor Landesgrenzen halt macht. Deshalb brauchen wir ver- Werkverträge und mit Aussicht auf ein halbwegs geregeltes Ein- bindliche, europäische Regelungen für die Branche und ein klares kommen gelockt. Was jedoch oftmals folgt, sind Bezahlungen weit europäisches Bekenntnis dazu, dass mobile Beschäftigte in den unterhalb der Branchenstandards, missbräuchliches Einbehalten Mitgliedsstaaten der EU auf faire Löhne und gute Arbeitsbedingun- von Teilen des Lohns in Form von Wuchermieten für Gemeinschafts- gen vertrauen können. unterkünfte, massive Arbeitszeitüberschreitungen, mangelnder Arbeits- und Gesundheitsschutz und eine De-facto-Entrechtung durch fehlende betriebliche Mitbestimmung. Unter dieser Aus- beutung leiden nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Auch die www.faire-mobilitaet.de Impressum V. i. S. d. P.: Anja Piel Redaktion: Ruxandra Empen, Livia Hentschel, Micha Klapp, Robert Spiller, Deutscher Gewerkschaftsbund Dominique John und Szabolcs Sepsi Bundesvorstand Unterstützung von: Journalistenbüro work in progress, Henriette-Herz-Platz 2 Satz und Layout: Dirk Braunheim 10178 Berlin Berlin, Juli 2020
Die Folgen des »Systems Werkverträge« Schlechte Unterkunftsstandards und Mietwucher Mindeststandards für Unterkünfte von Arbeitnehmer* Beschäftigte zahlen in der Regel überhöhte Mieten für innen sind in der Arbeitsstättenverordnung geregelt. Diese einen Schlafplatz. Aufgrund ihrer prekären Abhängigkeits werden umgangen, indem mit den einzelnen Beschäftigten situation ist es für sie nahezu aussichtslos, auf anderem Weg Wohnraummietverträge – oft unter Einschaltung Dritter – eine Wohnung zu finden. Durch dieses Modell werden die abgeschlossen werden. So entgehen sie einer Kontrolle durch Beschäftigten zweifach ausgebeutet. Arbeitsschutzbehörden. Gefälschte Arbeitszeiterfassung Arbeitnehmer*innen von Werkvertragsunternehmen Zahlreiche Fälle zeigen aber, dass sogar bei einer beste- unterschreiben oft die vom Vorarbeiter manuell erfassten henden elektronischen Arbeitszeiterfassung die Werkvertrags- Arbeitszeiten, selbst wenn sie wissen, dass dadurch Arbeits- konstruktion genutzt wird, um eine effektive Kontrolle der stunden unterschlagen werden. Andernfalls droht ihnen eine Arbeitszeiten zu umgehen. Die Subunternehmen verweisen Kündigung. Eine allgemeine gesetzliche Pflicht zur elektro- darauf, dass sie keinen Zugriff auf die elektronische Zeiter- nischen Arbeitszeiterfassung, die dieser Praxis einen Riegel fassung des auftraggebenden Betriebes haben. Auftraggeber vorschieben würde, gibt es in Deutschland trotz Vorgaben des verweisen wiederum darauf, dass die Arbeitszeiterfassung Europäischen Gerichtshofes nicht. ausschließlich den Subunternehmern obliege. Aushebelung der betrieblichen Mitbestimmung Nur wenige der Betriebe in der Fleischbranche haben Auftraggeberbetrieben geschwächt. Sie können nicht über den einen Betriebsrat. In den Subunternehmen, die ausschließlich Einsatz von Fremdfirmen mitbestimmen und nur eingeschränkt mit ausländischen und stark von gewerkschaftlichem Einfluss für Arbeitnehmer*innen von Werkvertragsunternehmen tätig abgeschotteten Beschäftigten arbeiten, gibt es in der Regel werden. Der durch Werkverträge erzeugte Druck auf Lohn und keine Mitbestimmung. Durch den immer stärkeren Abbau Arbeitsbedingungen schwächt die Verhandlungsposition der von Stammbelegschaften werden auch Betriebsräte in den Betriebsräte gegenüber ihrem Arbeitgeber. Arbeitsschutz zweiter Klasse Obwohl das Arbeitsschutzrecht ein gleichwertiges Arbeits- des auftraggebenden Betriebes eingebunden. Sie arbeiten schutzniveau für alle Beschäftigten und eine Zusammenarbeit zu schlechteren Bedingungen. Die Verantwortung für diese von Auftraggeber und Werkvertragsunternehmen in dieser Beschäftigten liegt überwiegend bei ihren Arbeitgebern. Doch Hinsicht vorschreibt, sind Arbeitnehmer*innen von Werk- die sind in der Praxis nicht in der Lage, dies auf dem Betriebs- vertragsnehmern oftmals nicht in das Arbeitsschutzsystem gelände des Auftraggebers zu gewährleisten. Niedriglöhne Tarifbeschäftigte in der Fleischindustrie in Italien ver- für vermeintliche Fehler bei der Arbeit, Arbeitsmittel sowie dienen 23 Euro, in Dänemark 25 bis 27 Euro pro Stunde. In Abtretungsvereinbarungen über unangemessen hohe Mieten Deutschland sind die Arbeitgeber nur selten bereit, Tarifverträ- und Fahrtkosten. ge abzuschließen. Auch wenn für Stammbeschäftigte Tarifver- Durch niedrige Löhne werden massive Wettbewerbsvorteile träge gelten, ist für Werkvertragsbeschäftigte der gesetzliche erreicht. Deutschland steht bei der Schweinefleischproduktion Mindestlohn die einzige Lohnuntergrenze. Sogar dieser wird in Europa auf Platz 1, bei Rindfleisch auf Platz 2, bei Geflügel gedrückt: durch betrügerische Arbeitszeiterfassungen, Abzüge auf Platz 5. Die Kosten dafür tragen die Beschäftigten.
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