Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie!

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Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie!
Arbeitnehmerfreizügigkeit
                                                                     sozial, gerecht und aktiv
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                 Für faire Arbeitsbedingungen
                 in der Fleischindustrie!
                     90.000 Beschäftigte arbeiten in der deutschen    als Dienstleister für die großen Fleischkonzer-
                 Fleischindustrie. Diese Zahl hat sich seit den       ne tätig sind. Meist handelt es sich um mobile
                 90ern kaum verändert. Die Menge der geschlach-       Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa, die hier
                 teten Tiere ist jedoch enorm angestiegen, der        unter menschenunwürdigen Bedingungen ausge-
                 Umsatz der Branche hat sich seit der Jahrtausend-    nutzt werden.
                 wende verdoppelt. Sechs große Unternehmen                Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften
                 beherrschen den deutschen Markt. Deutschland         kämpfen seit Jahren gegen diese Zustände an.
                 ist nach China und den USA der weltweit größte       Doch erst als sich im Zuge der Corona-Pandemie
                 Schweinefleischproduzent.                            2020 Tausende Beschäftigte mit dem SARS-Cov2-
                     Um billiges Fleisch exportieren zu können,       Virus infizierten, rückte ihre Situation in den
                 importiert Deutschland billige Arbeitskraft: Mehr    Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Wir sagen:
                 als zwei Drittel der Beschäftigten sind bei Sub­     Jetzt ist die Zeit, dieses unerträgliche System ein
                 unternehmern angestellt, die über Werkverträge       für alle mal zu beenden!

                    www.dgb.de
Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie!
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                 Das System der organisierten
                 Verantwortungslosigkeit
                     Das Werkvertragssystem der deut-           Unterkunft seiner Frau verstecken, um nicht     Arbeitskräfte überwiegend aus Osteuropa
                 schen Fleischindustrie ist ein Horror-         auf der Straße schlafen zu müssen.              rekrutieren. Stammbeschäftigte sind in
                 film. Jetzt ist die Zeit, ihn zu beenden.           Zwei Tage später wandte er sich tele-      vielen großen Fleisch- und Wurstfabriken in
                                                                fonisch an eine der DGB-Beratungsstellen        der Minderheit.
                 »Kaum hatte ich das eine Schwein zerteilt,     von »Faire Mobilität«. Bekomme ich meinen            Seit den 1990er Jahren gingen in einem
                 da war schon das nächste an der Reihe«,        ausstehenden Lohn? Bin ich überhaupt kran-      rasanten Konzentrationsprozess massiv
                 berichtete der Beschäftigte eines Zerlege-     kenversichert? Wo kann ich wohnen? Fragen,      Arbeitsplätze verloren. Zugleich wurden
                 betriebes. »Damit ich die Säge schneller aus   die sich stellen, wenn ein Werkvertrags-Be-     Tausende neuer Arbeitskräfte in Mittel- und
                 dem Tier lösen konnte, habe ich sie kurz von   schäftigter in der deutschen Fleischindustrie   Osteuropa angeworben. Mit der EU-Oster-
                 unten angefasst, um sie hochzuheben.«          Opfer eines Arbeitsunfalls wird.                weiterung, der Dienstleistungsfreiheit und
                 Dabei durchtrennte die Säge seinen Schutz-          Fälle wie dieser sind keine Seltenheit.    der Arbeitnehmerfreizügigkeit wurde das
                 handschuh und das letzte Glied des kleinen     Die skandalösen Zustände, die das Werk-         immer einfacher.
                 Fingers fast vollständig. Die eigentliche      vertrags- und Subunternehmerunwesen                  Im September 2015 unterzeichneten die
                 Horrorgeschichte begann aber erst danach.      hervorbringt, mit dem die Konzerne ihre         sechs größten Konzerne der Fleischindustrie
                      Nachdem seine Wunde notdürftig            Profite maximieren, sind seit Jahrzehnten be-   eine Selbstverpflichtungserklärung »für
                 verbunden war, verließ er die Fabrik und       kannt. Doch erst mit der Corona-Pandemie        attraktivere Arbeitsbedingungen«. Danach
                 versuchte, einen Arzt zu finden. Mit seinen    im Frühjahr 2020 gerieten sie in den Blick      wurden Tausende – oft zuvor bei ausländi-
                 mangelhaften Deutschkenntnissen an einem       einer breiteren Öffentlichkeit. Die Politik     schen Briefkastenfirmen angestellte – Be-
                 Freitagnachmittag war dies ein aussichts-      stand unter Handlungsdruck wie nie zuvor.       schäftigte in deutsche sozialversicherungs-
                 loses Unterfangen. Übers Wochenende            Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)       pflichtige Arbeitsverhältnisse übernommen.
                 bekam er starke Schmerzen. Erst am Montag      will nun ein Verbot der Werkverträge und        Ein Ende der Missstände bedeutete das
                 schaffte er es ins Krankenhaus, mithilfe       der Leiharbeit in Schlachthöfen.                aber nicht. Subunternehmen unterlaufen
                 einer Kundin in einer Apotheke, wo er sich          Eine Handvoll Unternehmen beherrscht       weiter den Mindestlohn: Es werden weniger
                 hilfesuchend gemeldet hatte. Es folgten die    den Markt. Die wichtigsten heißen Tönnies,      Stunden bezahlt, als tatsächlich gearbeitet
                 sofortige Operation und eine zweitägige        Vion, Westfleisch, Danish Crown, Müller. In     wird, Kosten für Werkzeug und Schutzklei-
                 stationäre Behandlung. Als er mit einer        ihren Schlachthöfen, Zerlege- und Fleisch-      dung illegal vom Lohn abgezogen oder
                 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus der       verarbeitungsbetrieben arbeiten oft mehrere     Umkleide- und Wegezeiten innerhalb der
                 Klinik entlassen wurde, war sein Bett in       hundert oder tausend Menschen. Aber             Betriebe nicht vergütet. Wer selbst kündigt,
                 der Arbeiterunterkunft bereits durch einen     nur eine Minderheit der Arbeitenden sind        wartet oft vergeblich auf seinen letzten
                 neuen Beschäftigten belegt. Der Mann           dort direkt angestellt – der größte Teil hat    Lohn, ebenso wie auf Austrittspapiere und
                 wurde angewiesen, das Zimmer sofort zu         Arbeitsverträge bei Fremdfirmen, die über       Arbeitszeugnisse. Und weil der Großteil der
                 räumen und musste sich zwei Nächte in der      Werkverträge eingebunden sind und ihre          Beschäftigten weiter in zweifelhaften Werk-
Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie!
verträgen bei Subunternehmern angestellt           2020 ist klar: Tönnies und die anderen       die skandalösen Zustände in der deutschen
ist, bleiben ihnen elementare demokratische    Schlachtereien hatten ihre Chance – und          Fleischindus­trie zu beenden. Dies wird nur
Rechte über Interessenvertretungen im          haben sie verspielt. Selbstverpflichtungen und   mit klaren, unmissverständlichen Gesetzen
Betrieb verwehrt.                              Selbstkontrolle sind kein geeignetes Mittel,     und scharfen Sanktionen möglich sein.

   Das System der Werkverträge
       Schlachtung und Fleischverarbeitung werden im Rahmen             Beschäftigten. Mehrheitlich sind das in Deutschland sozialver-
   von »Werkverträgen« an Subunternehmen ausgelagert. Diese             sicherungspflichtig beschäftigte osteuropäische Kolleg*innen,
   erledigen dann ihr »Werk« – also fast die komplette Schlacht­        die mit Versprechungen eines »Rundum-Pakets« von Be-
   hofproduktion – auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers,           schäftigung, Transport und Unterbringung nach Deutschland
   mit dessen Maschinen und Infrastruktur, aber mit eigenen             angeworben werden.

                                                                                                                      
                                                                 Subunternehmen
                                                                                                                            
                                 Schlachtung       Auftrag                              Rekrutierung
                                                                       D
                                                                                                           
                                                                 Subunternehmen                                                  
                                  Zerlegung        Auftrag                              Rekrutierung
                                                                       D                                          Deutscher
           Schlachthof                                                                                         Arbeits­ 
                                                                                                                   vertrag
              D                 Verarbeitung       Auftrag
                                                                 Subunternehmen
                                                                                        Rekrutierung
                                                                       D
                                                                                                                    
                                 Verwaltung

   Ausmaß

       In fast allen großen deutschen Schlachtbetrieben liegt           Kolleg*innen beherrschen oft nicht die deutsche Sprache,
   der Anteil eigener Beschäftigter unter 50 Prozent, es gibt           sind selten gewerkschaftlich organisiert und stehen in einem
   »Stammbelegschaften«, die gerade mal zehn Prozent ausma-             besonderen Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Arbeitgebern.
   chen.                                                                Faktisch sind ihre Möglichkeiten zur Durchsetzung von ver-
       Die meist in Mittel- und Osteuropa angeworbenen                  letzten Arbeits- und Sozialrechten stark eingeschränkt.

   Zweck des Modells

       Die Reduzierung von Arbeitsplätzen bei der Stammbe-              antwortung, können das Personal mit äußerster Flexibilität
   legschaft auf ein Minimum drückt Lohnkosten und Sozial-              einsetzen und entledigen sich ihrer Fürsorgepflicht. Beleg-
   beiträge. Auftraggeber entziehen sich so ihrer Personalver-          schaften werden gespalten, Solidarisierung wird verhindert.

   Schein-Werkverträge
       Die »Werkverträge« sind in der Fleischindustrie in der           Arbeit nach dessen Weisungen und in dessen Interesse. Sie
   Regel vorgetäuscht. Die Subunternehmer erbringen kein ei-            arbeiten mit den Maschinen des Auftraggebers, sind in dessen
   genständiges Werk, sondern agieren wie Personaldienstleister.        zeitliche Taktung eingebunden und üben von ihm vordefinierte
   Ihre Beschäftigten werden dem Auftraggeber zur Verfügung             Tätigkeiten aus. Damit sind in vielen Fällen wesentliche Merk-
   gestellt, in dessen Betrieb eingegliedert und verrichten ihre        male eines Werkvertrages nicht erfüllt.
Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie!
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                 »Dieses Ausbeutungssystem muss durchbrochen
                 werden«
                                                      Elwis Capece                          Unterbringung der Beschäftigten. Wir prangern das als Gewerk-
                                                      Geschäftsführer der Gewerk­           schaft seit vielen Jahren an. Trotzdem hat sich bislang die Politik
                                                      schaft NGG Mannheim-­                 nur wenig dafür interessiert.
                                                      Heidelberg und Mittel­baden-
                                                      Nordschwarzwald                   Wie sieht es mit den Hygienestandards an den Arbeits­
                                                                                        plätzen aus?
                                                                                           Diese Standards betreffen den Umgang mit dem Fleisch. Ob
                                                       Prekäre Arbeit, pre-                Arbeits- und Gesundheitsschutz auf dem aktuellen Stand sind und
© NGG

                                                  kärer Gesundheitsschutz:                 so eingehalten werden, wie es unter Pandemiebedingungen er-
                                                  Die Corona-Ausbrüche                     forderlich wäre – das halten wir für fragwürdig. Kontrollen fanden
                 unter Schlachthof-Beschäftigten sind eine Folge des Ge-                   bisher eher oberflächlich statt. Mit dem Verweis auf Hygienevor-
                 schäftsmodells der Fleischindustrie. Ein Gespräch mit Elwis               schriften wurde Behörden wiederholt der Zugang zu Betrieben
                 Capece, NGG Mannheim-Heidelberg und Mittelbaden-Nord-                     erschwert. Und die vorhandenen Hygienezertifikate sagen über die
                 schwarzwald                                                               realen Arbeitsbedingungen und Belastungen der Menschen nicht
                                                                                           viel aus. Jetzt wird es Zeit, der kompletten Fleischindustrie einen
                 Im Frühsommer 2020 sind Tausende Corona-Infektionen un-                   Totalcheck zu verordnen – aber nicht in Form von Selbstkontrolle!
                 ter Beschäftigten von Fleischbetrieben bekannt geworden.
                 Was stimmt mit der Branche nicht?                                      Gibt es eine Chance, dass sich jetzt grundsätzlich etwas
                     Das kommt nicht überraschend. Diese Corona-Ausbrüche sind          ändert?
                     eine Folge des Werkvertragssystems in der Fleischindustrie. Die       Intensiver öffentlicher Druck kann etwas bewirken. Das war in der
                     großen Fleischkonzerne in Deutschland arbeiten zum großen Teil        Vergangenheit noch anders. Vor sieben Jahren hatten wir in Birken­
                     mit Subunternehmern, die Arbeiter aus Mittel- und Osteuropa           feld eine Protestaktion. Eine Gruppe ungarischer Beschäftigter
                     anwerben und hier zu prekären Bedingungen beschäftigten. Die          hatte, nachdem man ihnen die Mietkosten vom Lohn abgezogen
                     Leute werden auf viel zu engem Raum in Mehrbettzimmern mit            hatte, nicht mehr genug Geld, um nach Ungarn zurück zu fahren.
                     Stockbetten untergebracht. Es ist klar, dass solche Wohnverhält-      Daraufhin haben sie vor dem Fleischwerk kampiert. Müllerfleisch
                     nisse die Ausbreitung von Infektionskrankheiten begünstigen.          hat dann fix das Portemonnaie aufgemacht, damit die Arbeiter
                     Zunehmend rückt aber auch die Situation an den Arbeitsplätzen in      schnell das Land verlassen. Kurz darauf war das politische Interesse
                     den Fokus der Betrachtung.                                            an den Missständen in der Branche dann wieder verschwunden.
                                                                                                Aufgrund des »Tönnies-Skandals« ist jetzt viel mehr öffentli-
                 Die Unternehmen sagen, sie seien für die Wohnsituation                    cher Druck entstanden. Der ist auch weiterhin nötig. Die Fleisch­
                 nicht verantwortlich. Ist das glaubhaft?                                  industrie muss in die Verantwortung genommen werden – auch
                    Offiziell sagen die Fleischunternehmer, sie haben damit nichts zu      was den Umgang mit den Tieren angeht. Wir brauchen klare
                    tun, weil die Beschäftigten sich selbst um ihre Unterkunft küm-        gesetz­liche Mindeststandards für Unterkünfte und Arbeitsbedin-
                    mern – wohnen sei schließlich Privatsache. Das ist zynisch, denn       gungen. Hier darf es keine Sonderregelungen und Ausweichmög-
                    natürlich gibt es langjährige Geschäftsbeziehungen zwischen Auf-       lichkeiten mehr geben. Die Gesetze und Verordnungen müssen
                    traggebern, Subunternehmen und den Vermietern der Unterkünfte.         aber auch wirksam kontrolliert und mit Sanktionen belegt werden.
                    Was fehlt, sind rechtlich verbindliche Mindeststandards für die        Nur so kann dieses Ausbeutungssystem durchbrochen werden.
Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie!
Auch mobile Beschäftigte haben ein Recht auf
        Gute Arbeit!
                                              Anja Piel                          Stammbelegschaften geraten durch den preislichen Unterbietungs-
                                              Mitglied des Geschäfts­            wettbewerb immer stärker unter Druck.
                                              führenden Bundesvorstandes             Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben diesen
                                              des Deutschen Gewerk­              inakzeptablen Verhältnissen schon lange den Kampf angesagt. Wir
                                              schaftsbundes                      unterstützen gemeinsam mit »Faire Mobilität« die Kolleginnen und
                                                                                 Kollegen vor Ort und setzen uns für auskömmliche Tariflöhne und
                                                                                 bessere Arbeitsbedingungen ein. Dazu gehört auch, dass wir für
                                                    Mit der Corona-Pandemie      sichere arbeits- und sozialrechtliche Rahmenbedingungen eintreten
© DGB

                                               ist uns allen auf schmerzliche    und den massenhaften Einsatz von offenen und verdeckten Werk-
                                               Weise vor Augen geführt           verträgen, das Subunternehmerunwesen und sonstige systemati-
        worden, dass es besonders verwundbare Berufsgruppen in unserer           sche Umgehungsstrategien beenden wollen. Die Ankündigung der
        Gesellschaft gibt, von deren Tätigkeit unser alltägliches Wirtschafts-   Bundesregierung, mit diesen Missständen endlich aufräumen zu
        leben und Konsumverhalten in starkem Maße geprägt ist. Neben             wollen und Schlupflöcher zu schließen, von denen Subunternehmen
        Berufsgruppen wie Pfleger*innen und Saisonarbeitskräften sind            und Lieferketten jahrelang profitierten, begrüßen wir. Insbesondere
        auch Beschäftigte in der Fleischindustrie verstärkt in den Fokus der     das strikte Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der gesam-
        öffentlichen Aufmerksamkeit geraten. Deutlich wurde, dass viele          ten Fleischbranche, also Schlachtung, Zerlegung und Fleischver-
        von Ihnen massiv von der aktuellen Krise bedroht sind. Das gilt          arbeitung, ist ein unverzichtbares Element, um die notwendigen
        nicht nur für die akute Gesundheitsgefährdung durch eine schnelle        Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten
        Verbreitung der Infektion, der sich viele Beschäftigte in Fleischerei-   durchzusetzen und Ausbeutung als Geschäftsmodell einen Riegel
        und Schlachtbetrieben ausgesetzt sehen, weil sie beispielsweise in       vorzuschieben. Dazu muss auch das Verbot konzerneigener Werk-
        überbelegten Sammelunterkünften unter unannehmbaren hygi-                vertragsunternehmen bzw. Leiharbeitsunternehmen gehören, damit
        enischen Zuständen wohnen müssen. Diese Missstände werden                bestehende missbräuchliche Praktiken nicht einfach in neuen Struk-
        oftmals noch verschärft durch prekäre Arbeitsverhältnisse auf            turen ihre heimliche Fortsetzung finden.
        Werkvertragsbasis und schlechte Arbeitsbedingungen, unter denen              Allerdings können die Maßnahmen nur ein Anfang sein: Damit
        viele der dort Beschäftigten ihrer Tätigkeit nachgehen.                  der Verdrängungswettbewerb in der Branche nicht länger auf dem
            Fakt ist aber: Diese Missstände sind nicht neu. Sie sind Kenn-       Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, fordern wir allgemein-
        zeichen eines Systems, das seit Jahren darauf ausgerichtet ist,          verbindliche Tarifverträge für alle Unternehmen der Branche. Zudem
        geltende arbeits- und sozialrechtliche Standards systematisch zu         benötige wir zwingende Standards und eine Mietobergrenze für
        unterlaufen und auf den Schultern einer besonders verwundbaren           Unterkünfte sowie ungehinderten Zugang von Gewerkschaften und
        Beschäftigtengruppe Rendite zu generieren. Häufig stammen diese          Beratungsstellen zu den Beschäftigten.
        Arbeitskräfte aus mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten der           Als Gewerkschaften wissen wir zugleich, dass Ausbeutung
        Europäischen Union und werden auf Grundlage undurchsichtiger             nicht vor Landesgrenzen halt macht. Deshalb brauchen wir ver-
        Werkverträge und mit Aussicht auf ein halbwegs geregeltes Ein-           bindliche, europäische Regelungen für die Branche und ein klares
        kommen gelockt. Was jedoch oftmals folgt, sind Bezahlungen weit          europäisches Bekenntnis dazu, dass mobile Beschäftigte in den
        unterhalb der Branchenstandards, missbräuchliches Einbehalten            Mitgliedsstaaten der EU auf faire Löhne und gute Arbeitsbedingun-
        von Teilen des Lohns in Form von Wuchermieten für Gemeinschafts-         gen vertrauen können. 
        unterkünfte, massive Arbeitszeitüberschreitungen, mangelnder
        Arbeits- und Gesundheitsschutz und eine De-facto-Entrechtung
        durch fehlende betriebliche Mitbestimmung. Unter dieser Aus-
        beutung leiden nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Auch die                                                  www.faire-mobilitaet.de

               Impressum
               V. i. S. d. P.: Anja Piel                         Redaktion: Ruxandra Empen, Livia Hentschel, Micha Klapp, Robert Spiller,
               Deutscher Gewerkschaftsbund                       Dominique John und Szabolcs Sepsi
               Bundesvorstand                                    Unterstützung von: Journalistenbüro work in progress,
               Henriette-Herz-Platz 2                            Satz und Layout: Dirk Braunheim
               10178 Berlin                                      Berlin, Juli 2020
Die Folgen des »Systems Werkverträge«

Schlechte Unterkunftsstandards und Mietwucher

    Mindeststandards für Unterkünfte von Arbeitnehmer*­                Beschäftigte zahlen in der Regel überhöhte Mieten für
innen sind in der Arbeitsstättenverordnung geregelt. Diese         einen Schlafplatz. Aufgrund ihrer prekären Abhängigkeits­
werden umgangen, indem mit den einzelnen Beschäftigten             situation ist es für sie nahezu aussichtslos, auf anderem Weg
Wohnraummietverträge – oft unter Einschaltung Dritter –            eine Wohnung zu finden. Durch dieses Modell werden die
­abgeschlossen werden. So entgehen sie einer Kontrolle durch       Beschäftigten zweifach ausgebeutet.
 Arbeitsschutzbehörden.

Gefälschte Arbeitszeiterfassung

    Arbeitnehmer*innen von Werkvertragsunternehmen                     Zahlreiche Fälle zeigen aber, dass sogar bei einer beste-
unterschreiben oft die vom Vorarbeiter manuell erfassten           henden elektronischen Arbeitszeiterfassung die Werkvertrags-
Arbeitszeiten, selbst wenn sie wissen, dass dadurch Arbeits-       konstruktion genutzt wird, um eine effektive Kontrolle der
stunden unterschlagen werden. Andernfalls droht ihnen eine         Arbeitszeiten zu umgehen. Die Subunternehmen verweisen
Kündigung. Eine allgemeine gesetzliche Pflicht zur elektro-        darauf, dass sie keinen Zugriff auf die elektronische Zeiter-
nischen Arbeitszeiterfassung, die dieser Praxis einen Riegel       fassung des auftraggebenden Betriebes haben. Auftraggeber
vorschieben würde, gibt es in Deutschland trotz Vorgaben des       verweisen wiederum darauf, dass die Arbeitszeiterfassung
Europäischen Gerichtshofes nicht.                                  ausschließlich den Subunternehmern obliege.

Aushebelung der betrieblichen Mitbestimmung

    Nur wenige der Betriebe in der Fleischbranche haben            Auftraggeberbetrieben geschwächt. Sie können nicht über den
einen Betriebsrat. In den Subunternehmen, die ausschließlich       Einsatz von Fremdfirmen mitbestimmen und nur eingeschränkt
mit ausländischen und stark von gewerkschaftlichem Einfluss        für Arbeitnehmer*innen von Werkvertragsunternehmen tätig
abgeschotteten Beschäftigten arbeiten, gibt es in der Regel        werden. Der durch Werkverträge erzeugte Druck auf Lohn und
keine Mitbestimmung. Durch den immer stärkeren Abbau               Arbeitsbedingungen schwächt die Verhandlungsposition der
von Stammbelegschaften werden auch Betriebsräte in den             Betriebsräte gegenüber ihrem Arbeitgeber.

Arbeitsschutz zweiter Klasse

    Obwohl das Arbeitsschutzrecht ein gleichwertiges Arbeits-      des auftraggebenden Betriebes eingebunden. Sie arbeiten
schutzniveau für alle Beschäftigten und eine Zusammenarbeit        zu schlechteren Bedingungen. Die Verantwortung für diese
von Auftraggeber und Werkvertragsunternehmen in dieser             Beschäftigten liegt überwiegend bei ihren Arbeitgebern. Doch
Hinsicht vorschreibt, sind Arbeitnehmer*innen von Werk-            die sind in der Praxis nicht in der Lage, dies auf dem Betriebs-
vertragsnehmern oftmals nicht in das Arbeitsschutz­system          gelände des Auftraggebers zu gewährleisten.

Niedriglöhne

    Tarifbeschäftigte in der Fleischindustrie in Italien ver-      für vermeintliche Fehler bei der Arbeit, Arbeitsmittel sowie
dienen 23 Euro, in Dänemark 25 bis 27 Euro pro Stunde. In          Abtretungsvereinbarungen über unangemessen hohe Mieten
Deutschland sind die Arbeitgeber nur selten bereit, Tarifverträ-   und Fahrtkosten.
ge abzuschließen. Auch wenn für Stammbeschäftigte Tarifver-            Durch niedrige Löhne werden massive Wettbewerbsvorteile
träge gelten, ist für Werkvertragsbeschäftigte der gesetzliche     erreicht. Deutschland steht bei der Schweinefleischproduktion
Mindestlohn die einzige Lohnuntergrenze. Sogar dieser wird         in Europa auf Platz 1, bei Rindfleisch auf Platz 2, bei Geflügel
gedrückt: durch betrügerische Arbeitszeiterfassungen, Abzüge       auf Platz 5. Die Kosten dafür tragen die Beschäftigten. 
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