SOZIALPOLITIK UND COVID-PANDEMIE IN FRANKREICH - FES PARIS - Bibliothek ...
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FES PA R IS SOZIALPOLITIK UND COVID-PANDEMIE IN FRANKREICH Soziale Schieflage trotz umfassender Mobilisierung des sozialstaatlichen Instrumentariums Von Michaël Zemmour Juli 2020 Während in China die Covid-Epidemie bereits im ersten EINKOMMENSVERLUSTE UND HÖHERE Quartal einen Einbruch der Konjunktur verursachte, haben in LEBENSHALTUNGSKOSTEN: Frankreich die gesundheitspolitischen Maßnahmen ab März DIE KRISE HAT SICH UNTERSCHIEDLICH zu massiven Einbußen der französischen Wirtschaft geführt, AUF DIE HAUSHALTE AUSGEWIRKT sei es direkt aufgrund der behördlichen Schließung zahlrei- cher Betriebe und Geschäfte oder indirekt aufgrund der frei- Während der Ausgangssperre in Frankreich wurden die willigen Einstellung oder Drosselung der Produktion durch die Haushalte besonders von einem Rückgang der Erwerbsein- Unternehmen aus Gründen des Gesundheitsschutzes sowie kommen sowie einem Anstieg der Ausgaben zur Deckung bedingt durch einen nachlassenden Konsum. Die verfügbaren des Grundbedarfs betroffen. Der Rückgang der Erwerbsein- Schätzungen beziffern den Rückgang des monatlichen Brut- kommen wurde entweder durch den Verlust des Arbeitsplat- tosozialproduktes während des Lockdown (»confinement«) zes, die Verringerung der Arbeitsstunden oder durch eine auf etwa 32 Prozent.1 Als Reaktion auf diese Krise hat die Lohnsenkung für Angestellte oder Beschäftigte im informel- französische Regierung auf das bestehende sozialstaatliche len Sektor verursacht. Bei Selbstständigen ist er eine direkte Instrumentarium zurückgegriffen: den Beschäftigungsschutz Folge des Rückgangs der Umsätze. Der Anstieg der Ausgaben und die sozialen Sicherungsnetze. Diese haben sich als wirk- für den Grundbedarf wurde hauptsächlich durch den Anstieg sam erwiesen, um die Mehrheit der Haushalte vor den un- der Ausgaben für Lebensmittel verursacht: Die Schließung mittelbaren finanziellen Folgen der Krise zu schützen. So der von den Arbeitgebern subventionierten Kantinen sowie betrug der Rückgang der Haushaltseinkommen während der der Schul- und Universitätsmensen erhöhte die Ausgaben zwei Monate der Ausgangssperre (17. März – 11. Mai 2020) für die täglichen Mahlzeiten. Ebenso hat der Anstieg der Le- nur etwa zwölf Prozent.2 Auf der anderen Seite hat die Krise bensmittelpreise (+ 3,7 % im Vergleich zum Vorjahresmonat aber auch die Schwächen des französischen Sozialsystems für Lebensmittel, sowie gar + 17,8 % für Frischwaren3) und offengelegt: Personen, die nur unzureichend durch die re- wahrscheinlich auch die Knappheit an Billigprodukten (Aus- gulären Sicherungsinstrumente abgedeckt sind (Beschäftigte verkauf dieser Produkte in den Supermärkten, Schließung mit sehr kurzen Arbeitsverträgen, Selbstständige und junge von Lebensmittelmärkten) zu einem Anstieg der Ausgaben Menschen unter 25 Jahren), wurden von der Krise beson- geführt. Zudem stiegen die Ausgaben für Gas, Wasser, Strom ders stark erfasst; die staatlichen Hilfsmaßnahmen für diese und Telekommunikation. Gruppen kamen zu spät und waren unzureichend. Mit dem absehbaren Anstieg der Arbeitslosigkeit und dem Auslaufen Angesichts dieser Einwirkungskanäle der Krise auf die Haus- der Ansprüche auf Arbeitslosengeld könnte sich die soziale haltseinkommen ist auch nachvollziehbar, warum ein Teil der Krise in Frankreich im Laufe des Sommers verschärfen. Bevölkerung nicht direkt von den unmittelbaren Folgen der Krise betroffen war. Der Einkommensrückgang aufgrund des Lockdowns der Wirtschaft wurde weitgehend – allerdings nicht für alle gleichermaßen – durch die Kurzarbeiterregelung (Chômage partiel) abgefedert, die beeinflusst durch die deut- 1 Dies entspricht allein für den Zeitraum der Ausgangsperre fünf Prozent des jährlichen BIP. Vgl. Observatoire français des conjonc- tures économiques (OFCE) (2020): « Évaluation au 20 avril 2020 de l’impact économique de la pandémie de COVID-19 et des mesures 3 Institut national de la statistique et des études économiques de confinement en France », Policy Brief Nr. 66, April 2020; https:// (INSEE) (2020): »En mai 2020, les prix à la consommation aug- www.ofce.sciences-po.fr/pdf/pbrief/2020/OFCEpbrief66.pdf. mentent de 0,2 % sur un an« [Im Mai 2020 stiegen die Verbrau- cherpreis um 0,2 % im Jahresvergleich], Informations rapides 2 Ebd. Nr. 135; https://www.insee.fr/fr/statistiques/4497087. 1
FES PA R IS schen Erfahrungen während der Finanzkrise 2008 entstanden DIE LOGIK DES FRANZÖSISCHEN SOZIAL ist. Dagegen wurde auf die durch besondere Ausgabenbelas- STAATES ZEIGT SICH AUCH IN DER KRISE: tungen noch verschärften sozialen Härten für einkommens- SOZIALVERSICHERUNGSPFLICHTIG schwache Haushalte nur partiell und verspätet reagiert. BESCHÄFTIGTE WAREN GUT GESCHÜTZT … Die wichtigste und schon sehr früh angekündigte Reaktion GUTE EINKOMMENSABSICHERUNG FÜR der Regierung auf die Covid-Krise war die Einrichtung einer RENTNER, ÖFFENTLICHE BEDIENSTETE Kurzarbeitsregelung. Das OFCE5 schätzt, dass fünf Millionen UND BESCHÄFTIGTE IM HOME-OFFICE Arbeitnehmer_innen (20 % aller Erwerbstätigen) in den zwei Monaten der Ausgangssperre in Kurzarbeit waren. Anknüp- Altersrenten, einschließlich der Renten von Personen, die fend an eine bereits bestehende Regelung zur punktuellen nach dem März 2020 in den Ruhestand getreten sind, waren Unterstützung von Unternehmen hat sich die – auch als »Teil- nicht von direkten Einkommensverlusten betroffen. Das öf- arbeitslosigkeit« (chômage partiel) bezeichnete – Kurzarbeit fentliche Rentensystem mit Leistungszusage (keine automa- in Frankreich zum wichtigsten Instrument bei der Bewälti- tische Anpassung der Renten an die Einkünfte) und der sehr gung der Krise entwickelt, wobei dieses Instrument – sicher- geringe Anteil kapitalgedeckter Renten schützt die große lich beeinflusst durch das deutsche Beispiel aus den Jahren Mehrheit der französischen Rentner und Rentnerinnen davor, 2008/2009 - zum einen die Unternehmen finanziell unter- dass sich ein negative Entwicklung der Konjunktur direkt in stützt und zum anderen die Beschäftigung und die Fach- Einkommensverlusten niederschlägt. kenntnisse in den Unternehmen hält. Beschäftigte des öffentlichen Dienstes (etwa ein Fünftel der Die Kurzarbeit garantiert den Beschäftigten 70 Prozent ihres Erwerbstätigen) haben ebenfalls ihr volles Gehalt bezogen Bruttogehalts sowie eine Befreiung von den Sozialversiche- (einschließlich Zulagen), unabhängig davon, ob sie zur Arbeit rungsbeiträgen – ihnen bleiben somit 84 Prozent ihres Net- gingen (z. B. Pflegekräfte oder Polizist_innen), im Homeoffice togehalts bzw. bis zu 100 Prozent für Beschäftigte, die nur arbeiteten oder gar nicht arbeiten mussten. Einige wenige einen Mindestlohn beziehen. Das Kurzarbeitergeld wird zu Unternehmen haben sich dafür entschieden, an ihre Mit- zwei Dritteln vom Staat und zu einem Drittel von der Arbeits- arbeiter_innen auch ohne staatliche Beihilfen die volle Ver- losenversicherung finanziert und deckt Bruttolöhne bis zum gütung auszuzahlen, um weiterhin Dividenden an ihre Aktio- 4,5-fachen des Mindestlohns ab – kann also sehr hoch aus- när_innen ausschütten zu können, ohne dass dies öffentlich fallen. Kurzarbeit muss von den Unternehmen beantragt und hinterfragt wurde. Das französische Observatorium für Kon- vom Arbeitsministerium genehmigt werden. Ursprünglich junkturentwicklung OFCE schätzt, dass von den 23 Millionen wurde sie nur in den Sektoren genehmigt, die ihre Tätigkeiten Beschäftigten im öffentlichen und privaten Sektor während nach Ansicht der Regierung nicht fortsetzen konnten. Doch der Ausgangssperre etwa acht Millionen an ihrem Arbeits- schon sehr bald diente diese Regelung neben der Entlohnung platz4 und weitere acht Millionen im Homeoffice gearbeitet der Beschäftigten, die ihre Tätigkeiten aufgrund behördlicher haben. Diese Beschäftigten haben daher weiter ihr volles Ge- Schließung nicht fortsetzen konnten, auch zur Lohnfortzah- halt bekommen. lung für Beschäftigte in Sektoren, in denen die Geschäfts- tätigkeit gedrosselt werden musste, sowie für Beschäftigte Bereits bewilligte Transfereinkommen (Sozialhilfe, Arbeitslo- von Arbeitgebern, die meinten keinen Gesundheitsschutz für sengeld, Familienzulagen) wurden in vollem Umfang weiter ihre Beschäftigten gewährleisten zu können. Faktisch waren gewährt; allerdings ist davon auszugehen, dass die Empfän- damit von der Kurzarbeiterregelung alle Arbeitnehmer_innen ger_innen dieser Leistungen trotzdem von der Krise betroffen mit einer vertraglichen Beziehung zum Arbeitgeber, unabhän- wurden. So hatten Arbeitslose während der Ausgangssperre gig von der Art des Vertrags, abgedeckt. fast keine Möglichkeit, eine neue Anstellung zu finden, und Personen, für welche die Sozialleistungen einen erheblichen Eine zweite Maßnahme der französischen Regierung zur Kri- Teil ihrer Einnahmen ausmachen, waren am stärksten von den senbewältigung, die schon vor Beginn der Ausgangssperre höheren Lebensmittelpreisen sowie dem Verlust von Einkom- ergriffen wurde, betraf die Krankenversicherung: Schutzbe- men aus dem Austausch von Dienstleistungen und aus der dürftige Menschen sowie Personen, die aufgrund von Schul- informellen Wirtschaft betroffen. schließungen ihre Kinder betreuen mussten, wurden – zu- sätzlich zu den tatsächlich Erkrankten – krankgeschrieben und erhielten 50 Prozent ihres Gehalts von der Krankenver- sicherung und 40 Prozent vom Arbeitgeber; der Rest konn- te – abhängig vom geltenden Tarifvertrag – ebenfalls vom Arbeitgeber übernommen werden. Diese Regelung, die rund 1,6 Millionen Beschäftigte betraf,6 wurde dann im Mai 2020 mit der Kurzarbeit zusammengeführt. 4 OFCE (2020): « Évaluation au 20 avril 2020 de l’impact économi- que de la pandémie de COVID-19 et des mesures de confinement en France », Bruno Ducoudré et Pierre Madec, Policy Brief Nr. 67, 5 Ebd. Mai 2020; https://www.ofce.sciences-po.fr/pdf/pbrief/2020/ OFCEpbrief67.pdf 6 Ebd. 2
Mit dieser kombinierten Nutzung von Arbeitslosenversiche- Die Selbstständigen – eine sehr heterogene Gruppe, welche rung und Krankenversicherung orientierte sich die französi- die freien Berufe, Handwerker_innen, Gewerbetreibende sche Antwort auf die Krise vor allem am Modell der Sozialver- und Solo-Selbstständige umfasst – sind meist weder durch sicherung: Löhne und Gehälter werden unter Bezug auf ein die Arbeitslosenversicherung noch durch die Kurzarbeitsre- Referenzgehalt ersetzt und der Schutz ist eng an den Status gelung abgesichert. Der Staat hat zwar eine Sonderbeihilfe als Arbeitnehmer gebunden. Darüber hinaus konnte die Re- für Selbstständige gewährt (1.500 Euro), die durch weitere gierung diese Regelungen bereits ab der ersten Märzhälfte Zuschüsse der Regionen ergänzt wurde, aber diese Beihilfen umsetzen, da sie sich auf schon bestehende Regelungen stüt- schließen insbesondere Personen aus, die erst kürzer als ein zen und diese in einigen Fällen sogar über ihren eigentlichen Jahr selbstständig sind – meist genau diejenigen Selbststän- Zweck hinaus anwenden konnte. digen, die auch keine Ansprüche auf Arbeitslosenunterstüt- zung haben. Insgesamt profitierte damit rund ein Drittel der Beschäftig- ten des Privatsektors vom Einkommens- und Beschäftigungs- Personen, die schon vor März keinen Anspruch auf Arbeits- schutz durch Kurzarbeit oder Krankenversicherung. Diese losengeld hatten oder nicht innerhalb der letzten zwei Jahre Haushalte erlitten nur eine mäßige Einbuße ihrer Nettoein- sechs Monate lang Beiträge eingezahlt hatten, konnten nicht kommen (16 Prozent im Fall von Kurzarbeiter_innen mit mitt- wieder in die Arbeitslosenversicherung aufgenommen wer- lerem Lohn, noch weniger im Fall von Angestellten mit Min- den oder ihre Tätigkeit aufgrund der wirtschaftlichen Lage destlohn). Da die Menschen im selben Zeitraum auch nicht einfach wieder aufnehmen, um neue Ansprüche auf Arbeits- im normalen Umfang konsumieren konnten, erscheint die- losengeld zu erwerben. Einige dieser Betroffenen konnten ser geringe Einkommensverlust verkraftbar. Im Durchschnitt zumindest Sozialhilfe beantragen. mussten die französischen Haushalte, die durch Arbeitsplatz- erhaltung, Telearbeit und Kurzarbeit geschützt waren, also Schließlich sind in der Regel auch Personen unter 25 Jahren keine großen Einkommenseinbußen hinnehmen und konnten sowie ein Großteil der Ausländer_innen mit Wohnsitz in teilweise sogar Ersparnisse erzielen.7 Frankreich von der Sozialhilfe ausgeschlossen. Wenn sie nicht durch einen Arbeitsvertrag geschützt waren oder ihre An- sprüche auf Arbeitslosenunterstützung schon ausgeschöpft … WÄHREND DIE SCHUTZMASSNAHMEN FÜR hatten, standen diese Menschen unter Umständen ohne jeg- PREKÄR BESCHÄFTIGTE UND SELBSTSTÄNDIGE liches Einkommen da. UNZUREICHEND WAREN Im Gegensatz dazu hat die Krise die unzureichende Absiche- VERSPÄTETE UND UNZUREICHENDE HILFEN rung derjenigen Erwerbstätigen offengelegt, die nicht zum FÜR DIE BEDÜRFTIGSTEN HAUSHALTE unmittelbaren Kern der Arbeitnehmer_innenschaft gehören. Diese Erwerbstätigen sind weder durch die üblichen Rege- Die Kurzarbeit hat längst nicht alle Erwerbstätigen geschützt lungen (Rente, Arbeitslosigkeit, Mindestlohn) geschützt noch – vor allem nicht die Selbstständigen – und konnte auch nicht können sie von Kurzarbeit profitieren. die besonderen Ausgaben ausgleichen, die auf einkommens- schwache Haushalte zukamen. Die auf diesen Personenkreis Also ausgerechnet die Menschen, die ohnehin am häufigsten bezogenen Maßnahmen zum Schutz vor den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit betroffen sind, wurden nicht durch Kurz- der Krise kamen zu spät und waren unzureichend. Zu Beginn arbeit geschützt: Zeitarbeiter_innen, deren Beschäftigung der Krise wurden lediglich Maßnahmen zur Sicherung der be- auslief, sowie Angestellte mit sehr kurzen befristeten Verträ- stehenden Situation ergriffen wie der Aufschub von Mieträu- gen waren nicht mehr durch ihre Arbeitsverträge geschützt mungen oder der Aufschub der Leistungszahlungen der Ar- und machten im März und April den Großteil der neuen Ar- beitslosenunterstützung und Sozialhilfe für Personen, deren beitslosen aus8. Ansprüche im März, April oder Mai ausgelaufen waren. Der zweite Teil der vor der Covid-Krise beschlossenen Reform der Arbeitslosenversicherung, die am 1. April in Kraft treten und die Bedingungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld 7 OFCE (2020): « Évaluation au 20 avril 2020 de l’impact économi- que de la pandémie de COVID-19 et des mesures de confinement verschärfen sollte, wurde ebenfalls verschoben. Aber diese en France », Policy Brief Nr. 66, April 2020; https://www.ofce. eher bescheidenen Maßnahmen boten kaum Unterstützung sciences-po.fr/pdf/pbrief/2020/OFCEpbrief66.pdf für Haushalte, die mit einem Arbeitsplatzverlust oder erhöh- 8 Es hat nur sehr wenige Kündigungen gegeben, da alle Arbeitneh- ten Ausgaben konfrontiert waren. mer_innen mit laufenden Arbeitsverträgen unter die Kurzarbeits- regelung fielen. Der deutliche Anstieg der Arbeitslosigkeit im März (+ 7 %) und der extreme Anstieg im April (+ 23 %) sind vor In den ersten Wochen der Krise wurden Menschen, die in allem darauf zurückzuführen, dass diejenigen, die bereits länger Notlagen geraten waren, zunächst von den Gemeinden un- arbeitslos waren, keine Arbeit mehr finden konnten, sowie auf terstützt, die entsprechende Nothilfen gewährten. Diese wa- diejenigen, die nach Ablauf ihrer Verträge neu arbeitslos gewor- denen waren. Vgl. Ministère du Travail (2020): « Focus sur les de- ren jedoch von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich, mandeurs d’emploi inscrits à Pôle emploi en avril 2020 », da sie vom Engagement und den finanziellen und praktischen 28.5.2020; https://dares.travail-emploi.gouv.fr/dares-etudes-et- Möglichkeiten der jeweiligen Gemeinde abhingen. In ähnli- statistiques/tableaux-de-bord/le-marche-du-travail-pendant-le- covid-19/focus-sur-les-demandeurs-d-emploi/article/focus-sur- cher Weise haben die Studierendenwerke in Not geratene les-demandeurs-d-emploi-inscrits-a-pole-emploi-en-avril-2020 3
Studentinnen und Studenten auf Antrag finanzielle Unter- FAZIT: DAS SOZIALE NETZ FUNKTIONIERTE, stützung gewährt. ABER NICHT FÜR ALLE Eine allgemeine staatliche Unterstützung für einkommens- Es ist es verfrüht, die sozialen Auswirkungen der Krise zu be- schwache Haushalte kam jedoch erst sehr spät: Im April wur- ziffern. In der Zeit der Ausgangssperre berichtete die Presse de für Haushalte, die Sozialhilfe beziehen, eine außerordent- ausführlich über soziale Schieflagen, wie sie vor allem darin liche Beihilfe in Höhe von 150 Euro plus 100 Euro pro Kind sichtbar wurden, dass immer mehr Personengruppen zu den angekündigt. Letztere erhielten auch Wohngeldbezieher_in- kommunalen Essensausgaben drängten, sowie in der beson- nen mit Kindern. Da junge Menschen unter 25 Jahren von deren Notlage der Studierenden. diesen Beihilfen ausgeschlossen waren, erhalten sie Mitte Juni eine Beihilfe in Höhe von 200 Euro, sofern sie Wohngeld be- Die Krise hat insbesondere die durch die jüngsten Reformen ziehen und nicht studieren. Trotz wiederholter Forderungen verschärften Bedingungen für Ansprüche auf Arbeitslosen- wurden allerdings keine Hilfsmaßnahmen vorgesehen für Per- geld und den fehlenden Sozialversicherungsschutz für be- sonen, die durch die Krise bedingt mit der Zahlung ihrer Miete dürftige junge Menschen unter 25 Jahren deutlich gemacht. in Rückstand geraten waren. Zwar hat die Regierung angekündigt, dass sie in diesen bei- den Bereichen Änderungen des Sozialrechts in Erwägung Während die Ausgaben für Kurzarbeit auf 24 Milliarden Euro zieht, ohne jedoch die Reform der Arbeitslosenversicherung geschätzt werden und sich im Durchschnitt auf fast 2.000 zurück zu nehmen oder den unter 25-Jährigen einen An- Euro pro Person und Monat belaufen, umfassen die Sofort- spruch auf Sozialhilfe einzuräumen. maßnahmen für einkommensschwache Haushalte ein Ge- samtbudget von weniger als 1,5 Milliarden Euro bei nur sehr Schließlich ist zu erwarten, dass durch die Reduzierung der geringen Ausgaben pro Person, von denen noch dazu kein vom Staat übernommenen Kosten für Kurzarbeit ab dem Cent vor dem Ende der Ausgangssperre am 11. Mai ausge- 1. Juni (15 Prozent der Kosten müssen ab dann von den Unter- zahlt wurde. nehmen selbst getragen werden) und aufgrund von Liquidi- tätsproblemen der Unternehmen die Arbeitslosigkeit stark Die französische Sozialpolitik hat somit zu einer widersprüch- ansteigen wird. Darüber hinaus verlieren am 1. Juni Arbeits- lichen Situation geführt: Die meisten französischen Haushalte lose, die ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld im März, April waren während der Krise gut geschützt; die ärmeren oder oder Mai ausgeschöpft hätten, ihren Versicherungsschutz weniger gut abgesicherten Haushalte (junge Menschen, Zeit- und können dann nur noch Sozialhilfe beantragen. Daher arbeiter_innen, bedürftige Familien) erhielten hingegen we- könnten sich die sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise niger oder erst viel später Unterstützung als z. B. die ärmeren in Frankreich, die in den ersten beiden Monaten der Covid- Haushalte in den USA.9 Krise noch stark abgefedert waren, bereits im Sommer deut- lich verschärfen. AUTOR Michaël Zemmour ist Wirtschaftswissenschaftler, Dozent an der Universität Paris Panthéon Sorbonne und Wissenschaftler am Forschungsinstitut LIEPP (Sciences Po). KONTAKT Friedrich-Ebert-Stiftung e. V. 41 bis, bd. de la Tour-Maubourg 75007 | Paris | France www.fesparis.org fes@fesparis.org Eine gewerbliche Nutzung der von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) herausgegebenen Medien ist ohne schriftliche Zustimmung durch die 9 Baker, S. R. / Farrokhnia, R. A. / Meyer, S. / Pagel, M. / Yannelis, C. FES nicht gestattet (2020): Income, Liquidity, and the Consumption Response to the 2020 Economic Stimulus Payments, NBER Working Paper Nr. Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht 27097, National Bureau of Economic Research. notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung. 4
Das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Frankreich wurde Weitere Publikationen des Pariser Büros der Friedrich-Ebert- 1985 in Paris eröffnet. Seine Tätigkeit zielt darauf ab, un- Stiftung: terhalb der Ebene des Austauschs und der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen Deutschlands und Frankreichs Hervé Le Bras und Achille Warnant eine Vermittlerfunktion im deutsch-französischen Verhält- Ungleiches Frankreich nis zu erfüllen. Dabei steht im Mittelpunkt, Entscheidungs- Radiografie der sozioökonomischen und regionalen trägern aus Politik und Verwaltung sowie Akteuren der Disparitäten Zivilgesellschaft Gelegenheit zu geben, sich zu Themen von beiderseitigem Belang auszutauschen und die Proble- Laurent, Éloi me und Herausforderungen, die die jeweils andere Seite Kommunen und sozial-ökologische Wende zu bewältigen hat, kennenzulernen. Deutsche und franzö- Erfahrungen aus Frankreich sische Partner der FES können dadurch zu gemeinsamen Positionen insbesondere zur europäischen Integration ge- Bréchon, Pierre langen und bei der Formulierung von Lösungen für die Die Werte der Franzosen jeweils eigenen Probleme auf vorhandene Kenntnisse und Entwicklungen, die Anlass zu Optimismus geben Erfahrungen des Nachbarlandes zurückgreifen. Langjährige Paris, 2020 Veranstaltungsreihen sind die Deutsch-französischen Stra- tegiegespräche (« Cercle stratégique ») über aktuelle außen- Rossignol, Laurence; Fourtic, Yseline und sicherheitspolitischen Themen, Jahreskonferenzen zu Politische Parität in Frankreich aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen (»Deutsch-Franzö- Was ein Gesetz kann - und was nicht sischer Wirtschaftsdialog«) und das Deutsch-französische Paris, 2020 Gewerkschaftsforum. Guillou, Antoine Eine wirksame und gerechte CO2-Steuer Paris, 2020 Gliniasty, Jean de Die Russlandpolitik Präsident Macrons Paris, 2020 Rémi Lefebvre Gelbwesten und politische Repräsentation Paris, 2019 Fourquet, Jérôme; Manternach, Sylvain Die »Gelbwesten« Ein Zeichen der gesellschaftlichen Spaltung Frankreichs Paris, 2019 Finchelstein, Gilles Profil der Anhänger von La République en Marche Paris, 2019 Finchelstein, Gilles Profil der Anhänger der Sozialistischen Partei Paris, 2019 5
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