Ge- heimnis CAMERATA BERN - Lorenza Borrani
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Geheimnis CAMERATA BERN Lorenza Borrani – Leitung 1. Violine Lorenza Borrani Hyunjong Reents-Kang Sonntag, 16. Mai 2021— 11.00 Uhr und 17.00 Uhr Daniel Meller Zentrum Paul Klee Simone Roggen Cordelia Hagmann Franz Schubert Streichquartett Nr. 15 in in G-Dur D 887, 2. Violine Michael Brooks Reid Fassung für Streichorchester arrangiert Christina Merblum-Bollschweiler von Lorenza Borrani Sibylla Leuenberger Michael Bollin 1. Allegro molto moderato 2. Andante un poco mosso Viola Anna Puig Torné 3. Scherzo (Allegro vivace) – Trio (Allegretto) Alejandro Mettler 4. Allegro assai Friedemann Jähnig Cello Thomas Kaufmann Martin Merker Aufgrund der aktuell geltenden Schutzbestimmungen zu COVID-19 wird die- Kontrabass Käthi Steuri ses Konzert mit einem verkürzten Programm ohne Pause gespielt. Das Kon- zert um 17 Uhr wird live auf der Website der CAMERATA BERN gestreamt. Anstelle der Konzerteinführung vor Ort bieten wir auf unserer Website einen Podcast mit SRF-Musikredaktor Benjamin Herzog an – auch zum Nachhören. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen! Ihre CAMERATA BERN 3
Private Öffentlichkeit Im kammermusikalischen Schaffen Schu- berts nimmt die Gattung des Streich- quartetts den grössten Raum ein. Inso- fern darf man sein letztes Werk in dieser Während Beethovens kompositorische Gattung als eine Art Krönung seines Wer- Experimente den Rückhalt überwiegend kes betrachten – nicht, weil sich Schu- adliger Mäzene und Auftraggeber erfah- Zum Programm bert bewusst gewesen wäre, dass es sein ren haben und spätestens seit den Rasu- letztes sein würde, sondern weil es die mowsky-Quartetten op. 59 professionelle volle kompositorische Höhe seines langen Musiker erforderten, haben Schuberts Weges vom originellen Klassizisten zum frühe wie späte Werke einen deutlich Avantgardisten in der Nachfolge Beetho- persönlicheren Zuschnitt. Das bedeutet Finis coronat opus – das Ende umwobenen Spätstil zu bescheinigen – so vens demonstriert. Anders als das schwer keineswegs, dass sie sich durch einen krönt das Werk bei Purcells Funeral Music, Pergolesis auf seinen Schultern lastende kammer- überschaubaren technischen Anspruch Spätwerken haftet der Nimbus des Ge- Stabat mater, Mozarts Requiem oder musikalische «Erbe» des über die Gren- wie im 18. Jahrhundert als «Hausmusik» heimnisvollen an, gleichgültig in welcher Mendelssohns F-Moll-Quartett –, auch zen Österreichs und Deutschlands hinaus an «Kenner und Liebhaber» wenden wür- Kunstform. Jedoch gerade in der Musik, wenn oft vieles dafür spricht, dass sie wirkenden Beethoven – und in unmit- den: Schuberts späte Quartette, in ihrem dieser an sich schon abstrakten Kunst, ihren bevorstehenden Tod nicht ahnen telbarer Nachbarschaft zu ihm – ist die konzertanten Zuschnitt, sind nun ganz treibt die Rede vom mysteriösen Spätstil konnten. Auch Franz Schubert, seit 1823 Kammermusik Schuberts von Beginn an eindeutig für «Kenner und Könner», worin ihre Blüten. Es bleibt unklar, inwieweit chronisch krank und mit nur 31 Jahren ge- den privaten und halböffentlichen Zirkeln sich das Bedürfnis nach anspruchsvoller Komponistinnen und Komponisten sich storben, gehört in diese Reihe «frühver- des grossstädtischen Bürgertums in Wien Kammermusik widerspiegelt, die sich in jeweils bewusst waren, am Ende ihres storbener Spätwerkler». In seinen letzten verpflichtet. den 1820er Jahren aufgrund der politi- schöpferischen Lebens angekommen zu drei Lebensjahren komponierte er wie schen Einschränkungen in Wien im Zuge sein, und entsprechende kompositori- ein Besessener: die Grosse C-Dur-Sinfo- der Restauration wieder stärker ins Priva- sche Konsequenzen zeitigten. In Bachs nie, die beiden Klaviertrios, die letzten te verlagert. Kunst der Fuge oder Lili Boulangers Pie drei Klaviersonaten, die Deutsche Messe, Jesu mag man eine Ahnung davon spüren. schliesslich den letzten Liederzyklus, der Fortsetzung Seite 6 Erhaltene Skizzen und Fragmente zu wei- postum kurzerhand als Schwanengesang teren Werken verweisen jedoch ebenso gedruckt wurde. häufig auf eine ungebrochene Kreativität. Die Nachwelt tendiert dazu, selbst früh- verstorbenen «Heroen» einen geheimnis 4 5
Finale der Großen Fuge op. 133) unter Schuppanzigh am 21. März 1826 sass Schubert im Publikum. Schuberts «Ro- Zwiespalt: Konvention samunde»-Quartett, das Schuppanzigh und Phantasie «In Liedern habe ich wenig Neues ge- sinfonische Dimensionen, die eine brei- gewidmet ist, erfuhr durch dessen Quar- Wie sich zeigt, scheint der März für Schu- macht, dagegen versuchte ich mich in te Öffentlichkeit adressieren; formale tettformation seine Uraufführung bereits bert und das Streichquartett ein bedeu- mehreren Instrumental-Sachen, denn ich Klarheit, die der übersprudelnden me- im März 1824. Möglicherweise wurde das tungsvoller Monat gewesen zu sein. Viele componirte 2 Quartetten für Violinen, Vio- lodischen und harmonischen Phantasie im zitierten Brief angekündigte, jedoch der genannten Werke fanden hier ihre Ur- la u. Violoncelle u. ein Octett, u. will noch Schuberts kreative Grenzen setzt; und erst im Juni 1826 komponierte Quartett in aufführung, jedoch scheinen sie ästhe- ein Quartetto schreiben, überhaupt will eine Konzentration auf motivisch-thema- G-Dur (D 887) bereits am 8. März 1827 in tisch, zumal in den zwiespältigen Zeiten ich mir auf diese Art den Weg zur grossen tisch gebundene Prozesse, welche dem der Wohnung Franz Lachners privat auf- der 1820er Jahre, weniger der Leichtigkeit Sinfonie bahnen. Das Neueste in Wien ist, Variantenreichtum seiner melodischen geführt. Und wahrscheinlich erklang der des Frühlingsbeginns als dem rauen Ton dass Beethoven ein Concert gibt, in wel- Einfälle strukturellen Rückhalt geben Kopfsatz auch in Schuberts einzigem öf- des namensgebenden Kriegsgottes Mars chem er seine neue Sinfonie, drei Stücke und ihnen ihr dramatisches Potential ab- fentlichen Konzert im Wiener Musikverein zu huldigen. aus der neuen Messe und eine neue Ou- ringen. Einen wichtigen Impuls neben vom 26. März 1828, das kaum zufällig am verture produciren lässt. Wen Gott will, so Beethovens erneutem Auftauchen in der Jahrestag von Beethovens Tod stattfand Allen Werken dieser Periode gemeinsam bin auch ich gesonen, künftiges Jahr ein Öffentlichkeit – am 7. Mai 1824 mit der Ur- und seinen Ruf als ernstzunehmender ist Schuberts Versuch, die Gattungskon- ähnliches Concert zu geben.» aufführung der 9. Sinfonie sowie seit März Komponist abseits der bereits allgemein ventionen einer strengen und konzisen 1825 mit den späten Quartetten – bildet beliebten Klavierlieder zementierte. motivisch-thematischen Prozessualität Der ambitionierte Zugriff von Schuberts die Rückkehr von Ignaz Schuppanzigh und Vielstimmigkeit mit seiner eigenen späten Kammermusikwerken wird durch nach Wien im Jahr zuvor. Neigung zu lyrisch-melodischer Kantabi- den vielzitierten Brief an Josef Kupelwie- lität und expressiv angereicherter Harmo- ser vom 31. März 1824 verstehbar: Die zu Schuppanzigh kündigte an, seine 1804 nik zusammenzubringen. Doch während diesem Zeitpunkt entstehenden Streich- erstmals organisierten öffentlichen Quar- die beiden vorherigen Quartette sich auf quartette in a- und d-Moll (genannt «Ro- tettkonzerte fortsetzen zu wollen. Damit Liedzitate stützten, die ihre Popularität samunde» D 804 und «Der Tod und das ist eine wesentliche Voraussetzung für teilweise erklären mögen, ist das letzte Mädchen» D 810) sowie das Oktett F-Dur Schuberts neuen virtuoseren Quartettstil Quartett deutlich unzugänglicher: «wild, (D 803) stellen jedoch keinesfalls blosse gegeben, der sich auch – wie die eigen- bunt, formlos», urteilte die spätere Kritik. Vorstudien zur Sinfonik dar, sondern zei- tümlich expressive Innerlichkeit – in Beet- gen das veränderte soziologische Format hovens nur kurze Zeit später entstande- Fortsetzung Seite 8 kammermusikalischer Werke jener Zeit: nen letzten Quartetten widerspiegelt: Bei der Uraufführung von Beethoven B-Dur- Quartett op. 130 (mit dem ursprünglichen 6 7
Die unvermittelten Dur-Moll-Kontraste sowie die zahlreichen Streichermanie- ren, wie häufige Pizzicati sowie der «ver- len wechseln Staccati mit raumgreifen- «Heimlich im Stillen hoffe ich wohl selbst schwenderisch(e) Gebrauch» des Tremo- den Legato- und Unisono-Passagen. Das noch etwas aus mir machen zu können, los, überlagern bisweilen die zweifellos Im Zentrum des Satzes steht eine kon- mittlere Couplet, in der ungewöhnlichen aber wer vermag nach Beethoven noch vorhandenen melodischen Qualitäten. trollierte Steigerung ins «tonal Boden- Tonart cis-Moll, erweist sich schon in sei- etwas zu machen?» Und noch nach dem Bereits im Kopfsatz des G-Dur-Quartetts, lose» (Carl Dahlhaus), bevor die wieder nem reibungsvollen Tritonus-Verhältnis Erleben der Uraufführung von Beetho- irreführend als Allegro molto moderato geheimnisvoll zurückhaltende Reprise zur Grundtonart G-Dur als exzentrisch. vens B-Dur-Quartett op. 130 im März 1826 bezeichnet, zeigt sich das melodische Schuberts formalem «Expansionstrieb» Die Hektik dieses aufreibenden Finales komponierte Schubert ganze drei Monate Ausschweifen, die subtil variierte Wie- (Hans- Joachim Hinrichsen) endlich Ein- wird einzig durch eine resignative Episo- überhaupt nichts. Mit der Fertigstellung derholung, das ausgreifend harmonische halt gebietet. Geradezu bescheiden lied- de im fast schon konventionellen e-Moll des G-Dur-Quartetts im Juni desselben Mäandern. Die Themen erweisen sich als haft und melancholisch schliesst sich durchbrochen, das erlösende Dur am Jahres scheint er sämtliche Unsicher- hochkomplexe, gleichsam gebrochene das Andante un poco mosso an, doch ein Ende strahlt weniger hell leuchtend als heiten überwunden und eine nachhalti- Gebilde, deren Eigenheiten variativ aus- chromatischer Abstieg mündet in einen bezwingend grell. ge kompositorische Lösung gefunden zu gebreitet, über weite Strecken entfaltet ersten Fortissimo-Ausbruch, punktierte haben, die einen spürbaren, fruchtbrin- und so in ihren Einzelheiten umfassend Rhythmen bestimmen diese ungeheuer- Es bleibt Schuberts Geheimnis, wie er es genden Impuls für seine letzten Werke «exponiert» werden. Trotz der formalen liche Kon trastpassage, bevor abermals verstand, die Gattungskonventionen des abseits des Streichquartetts zu geben Strenge der Gattung bleibt Schuberts geheimnisvolle Tremoli zur Liedweise zu- Streichquartetts auf eigene, zugleich zu- vermochte: Finis coronat opus fürwahr. Personalstil in jeder Faser präsent: durch rückführen. Scharf akzentuierte Tremoli kunftsbringende Art neu ausgereizt zu die melodisch gebundene Chromatik, dra- neben schattenhaften Tanzmotiven be- haben, ohne vor der unmittelbar präsen- Sascha Wegner matische Rhythmen und eine monumen- stimmen auch das Scherzo, durchkreuzt ten Gattungsrevolution Beethovens zu re- tale formale Ausdehnung. mit einem surreal wirkenden Trio (Alle- signieren. Schon als 18-Jähriger bekann- gretto) im Zentrum. Variantenreichtum te er seinem Freund Joseph von Spaun: bestimmt auch den Schlusssatz, ein for- mal ins Sonatenhafte erweitertes Ron- do: Nicht eine Themenwiederkehr gleicht der anderen, auch wenn es sich am Ende nur um subtile harmonische Transposi- tionen handelt. In galoppierenden Trio- 8 9
Lorenza Borrani, Als Kammermusikerin hat Borrani mit Künstlern wie Kristian Bezuidenhout, Leitung und Violine András Schiff, Pierre-Laurent Aimard, Janine Jansen und Daniel Hope zusam- «... feurig und hypnotisch, aber auch zart und flüssig.» mengearbeitet, und sie spielt oft im Borrani studierte bei Alina Company, (Sydney Arts Guide, November 2016) Duo mit Alexander Lonquich. Lorenza Piero Farulli, Zinaida Gilels und Pavel B orrani ist eine der Gründerinnen von Vernikov an der Scuola di Musica di Fie- Spunicunifait, das sich der Aufführung sole und absolvierte den Aufbaustudi- Lorenza Borranis inspirierende Konzert- Zu Lorenza Borranis Engagements als und Aufnahme von Mozarts Streich- engang an der Kunstuniversität Graz bei programme, oft vom Konzertmeister- Leiterin und Violinistin gehören Tour- quintetten verschrieben hat. Die Gruppe Boris Kuschnir. Sie ist Professorin für pult aus geleitet, und ihre inklusive He- neen mit dem Australian Chamber Or- nimmt derzeit für das Label Alpha auf, Violine an der Scuola di Musica di Fieso- rangehensweise ans Musizieren werden chestra 2016 und 2019, wo Borrani ihre und es sind Auftritte bei der Salzburger le und hat seit 2019 eine Gastprofessur von den weltbekannten Orchestern an- eigene Bearbeitung von Prokofjews Vio- Mozartwoche und in der Londoner Wig- an der Royal Academy of Music in Lon- erkannt und geschätzt. Neben ihrer Or- linsonate Nr. 1 uraufführte. 2020 war sie more Hall geplant. don inne. chestertätigkeit ist sie eine engagierte Artist in Residence beim Norwegischen Kammermusikpartnerin. Kammerorchester, und in der gleichen Lorenza Borrani spielt auf einer Santo Saison kehrte sie zum Orchestre Phil- Serafino Violine, die 1745 in Venedig ge- Im Alter von 25 Jahren wurde Lorenza harmonique de Radio France zurück. In baut wurde. Borrani zur Leiterin des Chamber Or- der Saison 20/21 debütiert sie bei der chestra of Europe ernannt. Ihre Zusam- Camerata Bern und dem Mozarteumor- menarbeit mit Nikolaus Harnoncourt chester Salzburg. und Lorenzo Coppola inspirierte ihre Liebe und Kenntnis der historischen Die kommenden Saisons führen Loren- Aufführungspraxis. Ihre Begegnungen za Borrani wieder in den Norden, wo sie mit Lorin Maazel und der Symphonica mit dem Schwedischen Kammerorches- Toscanini sowie Claudio Abbado und ter, der Vasteras Sinfonietta und dem dem Orchestra Mozart, prägten ihre Scottish Chamber Orchestra debütieren musikalischen Ideen und Interessen. Als wird. Im Jahr 2022 ist Borrani Artist in Solistin arbeitete sie mit Trevor Pinnock, Residence des Orchestra della Toscana. Yannick Nézet-Séguin und Bernard Hai- Borrani ist eine der Mitbegründerinnen tink zusammen. von Spira mirabilis, einem Labor für die Erarbeitung und Aufführung von Or- chester- und Kammermusikrepertoire aller Epochen, das ohne Dirigent und Leiter arbeitet. Zu ihren jüngsten Pro- jekten gehörten Beethovens Symphonie Nr. 9, Fragmente aus Mozarts «Così fan tutte» und die Uraufführung von Colin Lorenza Borrani Matthews «Spiralling» in Aldeburgh. © Frank Stewart 10 11
Impressum Redaktion CAMERATA BERN Gestaltung diff. Kommunikation AG, Bern Danke
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