Gebrochene Versprechen - düstere Zukunft
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GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 1 Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft Bezahlen indigene Völker und der Amazonas den Preis für den Rohstoffhunger der Welt?
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 2 Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für verfolgte Minderheiten und indigene Völker einsetzt. Sie dokumentiert Menschenrechtsver- letzungen, informiert und sensibilisiert die Öffentlichkeit und nimmt die Interessen der Betroffenen gegenüber Behörden und Entscheidungsträgern wahr. Sie unterstützt lokale Bemühungen zur Stärkung der Menschenrechte von Minderheiten und indigenen Völkern und arbeitet national sowie internatio- nal mit Organisationen und Personen zusammen, die ähnliche Zielsetzungen verfolgen. Die GfbV hat sowohl beratenden Status beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) der UNO als auch beim Europarat. Carmen Santana Dos Santos ist Praktikantin der GfbV im Bereich Kampagnen & Projekte. Sie studierte „Mehrsprachige Kommunikation“ an der Zürcher Fachhochschule (ZHAW) und hat einen M.A.S. in „Peace and Conflict Transformation“ der Universität Basel. Herausgeberin: Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz, Schermenweg 154, CH-3072 Ostermundigen, Tel. 031 939 00 00, E-Mail: info@gfbv.ch, Web: www.gfbv.ch, Spen- denkonto: BEKB: IBAN CH05 0079 0016 2531 7232 1 Redaktion: Carmen Santana Dos Santos
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 3 Glossar ANA Agência Nacional de Águas Staatliche Wasserbehörde ANEEL Agência Nacional de Energia Elétrica Brasilianische Elektrizitätsbehörde Koordinationsstelle für isolierte Indi- CII Coordenadoria de Índios Isolados gene Allgemeine Koordinationsstelle für Coordenadoria Geral de Índios Isolados e CGIIRC isolierte und vor kurzem kontaktierte Recém Contatados Indigene CIMI Conselho Indigenista Missionário Missionsrat für Indigene Eletrobrás Eletrobrás Hauptenergieversorger Brasiliens FUNAI Fundação Nacional do Indio Nationale Stiftung der Indigenen Instituto Brasileiro do meio Ambiente e IBAMA Brasilianische Umweltbehörde dos Recursos Naturais Renováveis Brasilianische NGO, die sich mit indige- ISA Instituto Socioambiental nen Völkern in Brasilien befasst Integración de la Infrastructura Regional Initiative zur regionalen Infrastruktur- IIRSA en América del Sur integration in Südamerika Brasilianisches Konsortium, Konzessi- NESA Norte Energia S.A. onsinhaber von Belo Monte OEA Organização dos Estados Americanos Organisation Amerikanischer Staaten Nationales Programm zur Beschleuni- PAC Programa de Aceleração do Crescimento gung des Wachstums Reducing Emissions from Deforestation and Reduzierung von Emissionen aus Ent- REDD Degradation waldung und Walddegradierung RIMA Relatório de Impacto Ambiental Umweltverträglichkeitsprüfung/-studie SPI Serviço de Proteção ao Índio Dienst zum Schutz der Indigenen TI Terra Indígena Indigenenreservat UHE Usina Hidroelétrica Wasserkraftwerk
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 4 Vorwort Während Jahrhunderten erlebten die indigenen Völker in Brasilien - wie in vielen anderen Ländern auch - Unterdrückung, Ausbeutung, Vertreibung, manchmal gar Ausrottung ganzer Gemeinschaften und Völker und die Zerstörung ihrer kulturellen Identität. In den letzten Jahrzehnten aber keimte verschiedentlich Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Richtung Selbstbestimmung auf: Am 14. April 1961 wurde der grosse Park für die Kayapo-Indigenen, der Nationalpark Xingù (Parque Indígena do Xingu), ins Leben gerufen. In einer Aufbruchsphase nach Überwindung der jahrzehntelangen Militärdiktatur sprach Brasilien 1988 den Indigenen durch die Annahme der Verfassung deutlich mehr Rechte zu und erteilte ihnen Landrechte im Sinne der Demarkierung ihrer traditionellen Lebensräume – ein Meilenstein in der Indigenenpolitik Brasi- liens. Mehr als 20 Prozent der Amazonasregion wurde in der Folge demarkiert. 2002 ratifizierte Brasilien die Indigenenkonvention ILO 169 und verpflichtete sich damit zur Anerkennung der in dieser Konvention festgelegten Indigenenrechte. Im September 2007 unterstützte Brasilien schliesslich das umfassendste Rechtswerk auf internationaler Ebene, die Erklärung der Rechte indigener Völker der Vereinten Nationen, und erklärte sich damit bereit, die Indigenenrechte umfassend zu verwirklichen. Diese Hoffnungen erwiesen sich als falsch: Die brasilianische Regierung bremst in den letzten Jahren den Demarkierungsprozess und damit ein Kernstück der von der Verfassung garantierten Rechte. Im Amazo- nasregenwald wird ein Staudamm nach dem anderen bewilligt, ohne das Einverständnis der betroffenen indigenen Völker einzuholen. Die verfassungsmässig garantierte Anhörung der Indigenen bei Projekten entwickelt sich zu einem Feigenblatt für eine rasche Umsetzung wirtschaftlich fragwürdiger Unternehmen, Im Rahmen der Bekämpfung der Armut – und im Interesse der Wirtschaft und Grossgrundbesitzer - möchte die Regierung den artenreichen und als Ursprung sowie Heim vieler indigener Völker dienende Amazonas in ein riesiges Industriezentrum verwandeln, was massive Auswirkungen auf die indigenen Völker, die Ar- tenvielfalt und das lokale sowie das weltweite Klima haben wird. Die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens der letzten zwei Jahrzehnte ist beeindruckend. Euphorisch plant die brasilianische Regierung, fast jeden Fleck dieses riesigen Landes in landwirtschaftliche Produktion umzuwandeln, möglichst jedes Mineral aus dem Boden zu holen, aus vielen Flüssen Strom zu erzeugen und jedes Stück Wald, das geschützt werden soll, über den Kohlenstoffmarkt in bare Münzen zu verwandeln. Dies führt paradoxerweise zur Zerstörung dessen, was man eigentlich schützen möchte: Dem Lebensraum Amazonas. Der wirtschaftliche Fortschritt darf nicht auf Kosten der indigenen Bevölkerung gehen, die dieses Land während Jahrtausenden nachhaltig genutzt hatten, bevor das Land kolonialisiert wurde und den Namen Brasilien erhielt. Er darf auch nicht auf Kosten des grössten Regenwaldgebiets gehen und damit die welt- weite Klimaerwärmung anheizen. Brasilien ist mächtig geworden und muss damit mehr Verantwortung übernehmen: Die wirtschaftliche Entwicklung muss in Einklang mit den Bedürfnissen der Betroffenen und der Natur vorangetrieben werden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker sieht im völkerrechtlich abgestützten Konzept des freien, informierten und vorherigen Einverständnisses (FIVE) der betroffenen indigenen Völker ein interessantes Instrument, sodass die Konflikte um Landbesitz, Landnutzung und Selbstbestimmung gemindert oder gar zu gelöst werden können. Es sieht vor, dass sämtliche Projekte, die das Leben der Indigenen betreffen, mit ihnen ausgehandelt werden und dass ihr Einverständnis dafür gesucht wird. Dies hätte zur Folge, dass schaden- mindernde Massnahmen diskutiert und umgesetzt werden und dass Kompensationen und Beteiligungen am Gewinn ausgehandelt werden. Es bedeutet, dass die bisher vom Schaden betroffenen Menschen am Nutzen beteiligt werden. Es bedeutet aber auch, dass der Staat sich bereit zeigt, ein mögliches Nein der betroffenen Menschen zu akzeptieren. Davon ist Brasilien noch weit entfernt.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 5 Mit diesem Bericht möchte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) aufzeigen, wie verheerend sich der heutige Trend auf die indigenen Völker sowie auf den Amazonas auswirken würde und warum es wichtig ist, dass die Rechte der Indigenen umgesetzt werden. Ferner schlägt die GfbV Massnahmenbereiche vor, wie Brasilien diese Rechte umsetzen könnte. Damit könnte Brasilien aufzeigen, dass wirtschaftliche Entwick- lung und die Rechte der betroffenen Völker durchaus vereinbar sind und einen grossen Schritt in Richtung fortschrittlicher, menschenrechtskonformer Politik gehen. Bern, Juni 2012 Christoph Wiedmer Geschäftsleiter Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 6 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 8 2. Allgemeine Informationen 10 3. Rechtliche Grundlagen der Indigenenpolitik 11 3.1 Die brasilianische Verfassung und das Indigenenstatut 11 3.2 Das oberste Gericht 12 3.3 Die Indigenenschutzbehörde FUNAI 13 3.4 Internationales Recht 15 3.4.1 Übersicht 15 3.4.2 Deklaration über die Rechte indigener Völker 15 3.4.3 ILO-Konvention 169 15 3.4.4 Freies, Informiertes, Vorheriges Einverständnis - FIVE 16 4. Indigene in Amazonien 18 4.1 Indigene 18 4.2 Indigene mit Erstkontakt 20 4.3 Isolierte Indigene 21 5. Wirtschaftliche und politische Bedrohungen 26 5.1 Übersicht 26 5.2 Wirtschaftliche Entwicklung 27 5.2.1 Initiative zur regionalen Infrastrukturintegration in Südamerika (IIRSA) 27 5.2.2 Nationales Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) 29 5.3 Strassenbau 30 5.4 Staudämme 31 5.4.1 Aktuelle Situation 31 5.4.2 Geplante Staudämme 32 5.4.3 Staudamm Belo Monte 34 5.4.4 Teles Pires 43 5.5 Abholzung 45 5.6 Bodenschätze 48
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 7 5.6.1 Mineralienreichtum 48 5.6.2 Erdöl und -gas 50 5.6.3 Gold 51 5.7 Politische Prozesse 52 5.7.1 Demarkierung der Indigenenreservate 52 5.7.2 Waldgesetz 52 5.8 Landwirtschaft 54 5.8.1 Übersicht 54 5.8.2 Rinderzucht 54 5.8.3 Soja 54 5.8.4 Zuckerrohr 55 5.8.5 Palmöl 55 5.9 Globaler Kohlenstoffmarkt 56 6. Gesellschaftliche Bedrohung 58 7. Schlusswort und Lösungsansätze 60 Anhang Literaturverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Gesetzesartikel
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 8 1. Einführung Wachstum ist die Zauberformel, mit der die brasili- de Folgen für die Menschen vor Ort, insbesondere anische Regierung das Land seit Jahren entwickelt. leiden darunter die indigene Bevölkerung und ihre Seit der Einführung des exportorientierten Wachs- Umwelt. Der Hunger nach Bodenschätzen, getrie- tumsmodells mit Beginn der Amtszeit des damali- ben durch die grosse Nachfrage in den sogenannt gen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva im Jahr entwickelten Ländern und in den aufstrebenden 2003 hat sich die Wirtschaftsleistung des Landes Märkten China und Indien, lässt die Preise für Roh- fast verdoppelt. 40 Millionen Brasilianerinnen und stoffe steigen. Nun lohnt sich der Rohstoffabbau Brasilianer sind in den vergangenen Jahren in die auch in entferntesten Regionen des Regenwaldes. Mittelschicht aufgestiegen, ungefähr 20 Millionen Hunderte von Gesuche für die Mineralschürfung konnten sich aus der totalen Armut befreien. wurden bereits eingereicht und zum Teil vom Mi- Dafür wird ein enormer Preis bezahlt: Die ökologi- nisterium für Bergbau bewilligt. Einige dieser Be- schen Probleme werden immer grösser. Die Leidtra- willigungen wurden sogar in Indigenenreservaten genden sind insbesondere die Indigenen, die be- erteilt, was bis zum heutigen Tag illegal ist. Dies reits seit der Kolonisierung des Kontinents in ihrer geschah alles ohne das Wissen oder die Einwilli- Existenz durch Krankheiten, Versklavung, Enteig- gung der indigenen Völker, welche die rechtmässi- nung ihres Landes, Entwaldung und Ausbeutung gen Nutzer dieser Gebiete sind. der Bodenschätze bedroht werden. Viele indigene Auch neue Siedlungsgebiete und Anbauflächen für Gemeinschaften sind im Laufe der Zeit ganz oder die Landwirtschaft weiten sich aus. Riesige Flächen teilweise verschwunden oder haben sich in die Tie- im Amazonaswald werden niedergebrannt und als fen des Regenwaldes zurückgezogen. Im heutigen Sojaplantagen und Grasland für Vieh genutzt. Das Brasilien leben noch 817‘000 indigene Menschen, Volk der Xikrin am Fluss Catete ist beispielswei- was weniger als einem halben Prozent der gesam- se vollständig von intensiv genutzten Landwirt- ten Bevölkerung entspricht1. Viele der traditio- schaftsflächen umzingelt. nellen Lebensräume oder Rückzugsgebiete werden Besorgniserregend ist zudem die Entwicklung der mit oder ohne Erlaubnis der zuständigen Behörden brasilianischen Gesetzgebung. Während Brasi- ausgebeutet und zerstört. lien mit der Verfassung von 1988 einen grossen Das brasilianische Entwicklungsprogramm, das Schritt in Richtung modernen Indigenenschutz sogenannte Programm zur Beschleunigung des unternahm, demontiert seither das Parlament den Wachstums (PAC), das die brasilianische Regierung menschenrechtlichen Schutz der Indigenen und zur Bekämpfung der Armut entwickelte, umfasst deren Lebensraum. Ein Beispiel ist der Entwurf riesige Infrastrukturbauten. Geplant sind neue des Waldgesetzes, das eine massive Zunahme der Staudämme, ein enormer Ausbau der Nutzung von Abholzung und eine Amnestie für Waldgesetzes- Rohstoffen, Erdöl und Erdgas sowie der Bau von brecher zur Folge haben wird. Äusserst besorgnis- Strassen. Ausserdem sind Projekte im Bereich städ- erregend ist der Gesetzesentwurf PL 1610/1996 tischer und sozialer Infrastruktur in ganz Brasilien zur Regelung der Demarkierung der Indigenenre- geplant. servate. Wenn dieser angenommen wird, würde er Nun nimmt diese Entwicklung eine neue Dimension die Tore zum kommerziellen Rohstoffabbau auch in an: Seit 2011 werden die umstrittenen Staudämme Indigenenreservaten öffnen. Gemäss der brasilia- Belo Monte und Teles Pires im Bundesstaat Pará nischen Nichtregierungsorganisation Instituto So- gebaut. Es bestehen zudem Pläne für bis zu 258 cioambiental (ISA) wurden bis ins Jahr 2010 1‘338 weitere Staudämme im Amazonasgebiet2. Schürfgenehmigungen in den Reservaten erteilt. Nicht nur die Wasserkraftwerke haben verheeren- 10‘348 entsprechende Anfragen sind in Bearbei- __________ 1 Vgl. http://www.funai.gov.br 2 Vgl. Movimento dos Atingidos por Barragens (2008): Hidréletricas no Rio Madeira: Energia para qué? E para quem?, http:// www.mabnacional.org.br/publicacoes/cartilha_riomadeira_miolo_2ed.pdf, Seite 7.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 9 tung, obwohl das Gesetz noch nicht verabschiedet wurde (siehe Kapitel Bergbaugesetz)3. Neben diesen gesetzgeberischen Entwicklungen richtet sich auch die Realpolitik der Regierung klar gegen die Interessen der indigenen Völker und wirkt sich verheerend auf den Schutz ihres Le- bensraumes aus. Invasionen von Siedlern, Goldwä- schern und Wilderern wird kein Einhalt geboten. In vielen Konfliktzonen ist der Staat nicht präsent. Neue Indigenenreservate werden kaum mehr aus- gewiesen. Die Gewalt an indigenen Menschen ist besorgniserregend hoch. Brasilien kann stolz sein auf die kulturelle Vielfalt, die sich in diesem riesigen Land gebildet hat. Dazu gehören die kaum mehr vorhandenen indigenen Völker, die noch vollständig ohne Kontakt mit an- deren Gruppen oder in freiwillig gewählter Isolati- on leben. Unbeeinflusst von der „Aussenwelt“ hat sich bei ihnen eine jahrhundertealte Kultur entwi- ckelt, die es um jeden Preis zu schützen gilt. Da diese Gemeinschaften besonders gefährdet sind, gilt ihnen ein besonderes Augenmerk. Brasilien hat sich nicht nur der Bekämpfung der Armut verschrieben. Durch die Ratifizierung der Indigenenkonvention ILO 169 und durch die Zu- stimmung zur UNO-Deklaration über die Rechte der indigenen Bevölkerung hat sich Brasilien auch dem Schutz der Indigenen verpflichtet. Diesen Zuge- ständnissen müssen nun Taten folgen. Der Schutz der indigenen Bevölkerung muss weiterentwickelt werden, die zugesprochenen Territorien müssen vollständig ausgewiesen und die Mitbestimmung der indigenen Bevölkerung muss garantiert wer- den. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) stellt in diesem Bericht ein Konzept vor, das zur Lösung vieler Konflikte beitragen könnte: Das Recht der indigenen Bevölkerung auf ihr freies, informiertes und vorheriges Einverständnis bei allen Aktivitäten Dritter, die sie oder ihre Lebensweise beeinflussen. __________ 3 Vgl. Veríssimo, Adalberto et al. (2011): Protected Areas in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/ban- co_imagens/pdfs/10381.pdf, Seite 76.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 10 2. Allgemeine Informationen Brasilien ist das weltweit fünftgrösste Land und rei, der Kautschukboom und die Diskriminierung verfügt über eine Fläche von 8‘511‘950 km². Die hatten diese Zahl im Laufe der folgenden Zeit grosse ethnische Vielfalt entstand durch Durch- massiv verringert. Seit 28 Jahren ist die indigene mischung der ursprünglichen indigenen Bevölke- Bevölkerung erstmals wieder am Wachsen. Nun be- rung Brasiliens mit portugiesischen Siedlern und mit verschleppten afrikanischen Sklaven. Später auch Immigranten aus Europa, dem Nahem Osten und Asien hinzu. Zu den indigenen Völker zählen laut offiziellen Statistiken der FUNAI noch unge- fähr 817‘000 Menschen4. Dies entspricht ca. 0.4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Sie leben in Ge- meinschaften in den Reservaten und in Städten. In Brasilien wurden bis ins Jahr 2011 643 Indige- nenreservate demarkiert, die insgesamt eine Flä- che von 1‘154‘999km², knapp 28-mal die Fläche der Schweiz, einnehmen5. Im 16. Jahrhundert, zur Zeit der portugiesischen Kolonisation, lebten schätzungsweise noch 1‘000 indigene Gemeinschaften und je nach Schätzun- gen und Quelle zwischen ein bis zehn Millionen Abbildung 2: Situierung Amazonien (Quelle: Imazon8) indigene Personen in ganz Brasilien6. Gewaltsame Konflikte, gezielte Tötungen, Krankheiten, Sklave- drohen die neuen wirtschaftlichen Entwicklungs- projekte erneut die Existenz der indigenen Völker. Das brasilianische Amazonasgebiet erstreckt sich auf einer Fläche von 4‘200‘000 km², das heisst es bedeckt die Hälfte des Landes9. Von dieser Flä- che stehen ungefähr 43 Prozent unter Schutz: 49.4 Prozent ist Naturschutz und 50.6 Prozent sind Indigenenreservate. Diese Schutzgebiete leiden zunehmend unter Übergriffen wegen schlechter Verwaltung und unzureichenden Kontrollen seitens der Regierung. Abbildung 1: Brasilien (Quelle: muz7 ) __________ 4 Vgl. http://www.funai.gov.br 5 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsinthe- BrazilianAmazon.pdf, Seite 13. 6 Vgl. http://www.funai.gov.br 7 Quelle: http://www.muz-online.de/america/brasilien1.html 8 Quelle: http://www.imazon.org.br/mapas/amazonia-legal/view 9 Auch bekannt unter der Bezeichnung „Amazonien“ - in Brasilien wird dieses Gebiet auch Amazônia Legal genannt. In die- sem Bericht werden die Begriffe Amazonien und Amazonasgebiet als Synonyme verwendet.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 11 3. Rechtliche Grundlagen der Indigenenpolitik 3.1 Die brasilianische Verfassung und 231 der brasilianischen Verfassung ermöglicht eine das Indigenenstatut Demarkierung der Siedlungsgebiete von isolierten Indigenen, ohne zuvor direkt mit ihnen in Kontakt Nach Überwindung der Militärdiktatur erhielt der getreten zu sein. Früher hatte der brasilianische brasilianische Staat am 5. Oktober 1988 eine neue Staat eine indigene Gruppe und deren Gebiet erst Verfassung. Neben fortschrittlichen Elementen für dann anerkannt, wenn die Gemeinschaft kontaktiert eine moderne Menschenrechtspolitik enthielt sie wurde und eine Volkszählung erfolgt war. Werden auch progressive Paragraphen zu den Rechten der heute konkrete Hinweise gefunden, dass isolierte Indigenen. Die Paragraphen 231 und 232 unter- Indigene in einer Region leben, wird der Demarkie- teilen die indigene Bevölkerung in drei Gruppen: rungsprozess durch die Mitarbeiter der Indigenen- integrierte, teil-integrierte und isolierte indigene schutzbehörde FUNAI initiiert und durchgeführt. Gemeinschaften. Die Verfassung bezieht sich auf Das Sammeln von Hinweise und Spuren, die darauf den Schutz der indigenen Gemeinschaften und de- hinweisen, welches konkrete Gebiet von den In- ren traditionellem Leben. Zusätzlich bildet sie die digenen genutzt wird, kann einige Jahre dauern. Grundlage für die Errichtung indigener Reservate. Gleichzeitig werden von der FUNAI an strategisch Auch in Bezug auf die isolierten Indigenen verbes- wichtigen Punkten wie etwa an Flussmündungen, serte sich die Verfassung, denn sie werden nicht spezielle Überwachungsposten eingerichtet, um mehr per se kontaktiert, sondern ihre freiwillige den Lebensraum der isolierten Indigenen vor dem Isolation wird respektiert. Zutritt von Unbefugten zu schützen. Parallel zur progressiven Verfassung ist jedoch auch das veraltete Indigenenstatut vom Jahr 1973 immer noch in Kraft, welches den Grundsatz des Zivilgesetzbuches von 1916 widerspiegelt. Es ent- spricht nicht mehr den Bestimmungen der Verfas- sung und den Forderungen der indigenen Völker. Eine verfassungsangepasste Neuregelung ist aber seit geraumer Zeit im Parlament blockiert. Das alte Indigenenstatut wurde noch unter der Militärdik- tatur geschrieben und deklariert die Indigenen als unmündige Personen, was verschiedenste interna- tionale und nationale Richtlinien verletzt. Des Weiteren schreibt der Artikel 1 des Statuts vor, dass die indigene Bevölkerung auf harmonische und fortschrittliche Weise in die brasilianische Ge- sellschaft integriert werden soll10. Die Verfassung von 1988 gibt aber den Indigenen ausdrücklich kulturelle Autonomie und widerspricht damit dem Statut. Dies ergibt ein unübersichtliches nationa- les Rechtsgefüge auf Kosten der betroffenen Ge- meinschaften. Die gesetzlichen Grundlagen zum Schutz der iso- lierten Indigenen sind damit im Prinzip gegeben, jedoch mangelt es an deren Umsetzung. Der Artikel __________ 10 Übersetzung des Portugiesischen: Art.1º Esta Lei regula a situação jurídica dos índio ou silvícolas e das comunidades indí- genas, com o propósito de preservar a sua cultura e integrá-los, progressiva e harmonicamente, à comunhão nacional – FUNAI: LEI Nº 6.001 - DE 19 DE DEZEMBRO DE 1973, http://www.funai.gov.br/quem/legislacao/estatuto_indio.html
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 12 3.2 Das oberste Gericht Das oberste Bundesgericht (Supremo Tribunal Fe- deral, STF) ist unter anderem für verfassungsrecht- liche Fragen zuständig und befasst sich auch mit Entscheiden, welche die Indigenen betreffen. Eine wichtige Entscheidung, die sich teilweise negativ auf die Indigenen auswirkt, wurde am 19. März 2009 getroffen. Die Indigenen des Gebiets Raposa do Sol kämpften jahrelang für eine Demarkierung und alleinige Nutzung ihres Gebiets. Den Status als indigenes Reservat hatte der ehemalige Präsi- dent Luiz Inácio Lula da Silva im Jahr 2005 zuge- sprochen, aber eine Gruppe von Reisbauern wehr- ten sich dagegen und reichten einen Antrag beim obersten Gericht ein, wobei sie die Aufhebung der legalen Anerkennung des Territoriums durch die Regierung forderten. Das Gericht lehnte die Kla- ge der Reisbauern ab und erteilte den Indigenen das alleinige Nutzungsrecht der Reservate, machte jedoch gleichzeitig klar, dass die nationale Souve- ränität und das öffentliche Interesse über diesem Recht stehen. Im Falle von militärischen Einrich- tungen, Gesundheits- oder Bildungsinstitutionen, von Strassenbau, Dämmen oder anderen alternati- ven Methoden von Energieproduktion und Bergbau müsse das Parlament entscheiden, ob diese Pro- jekte auch in den Reservaten durchgeführt werden können oder nicht. Zurzeit ist ein Gesetzesentwurf in der Vernehm- lassung, der diese Entscheidung gesetzlich regeln soll. Zwar ist dabei eine Anhörung der Indigenen vorgesehen, nicht aber ihr Mitbestimmungsrecht.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 13 3.3 Die Indigenenschutzbehörde FUNAI ansprucht wird. Der daraus folgende Bericht muss vom Präsidenten der FUNAI bestätigt werden. Die- Die Nationale Stiftung der Indigenen (Fundação ser veröffentlicht eine Zusammenfassung und lei- Nacional do Indio, FUNAI) ist eine nationale Or- tet diesen Report an das Justizministerium weiter. ganisation zum Schutz und zur Unterstützung der Indigenen in Brasilien. Sie hat ihren Hauptsitz in 2. Verlautbarung: Das Justizministerium gibt Brasilia und ist dem Justizministerium unterstellt. nach Erhalt des Vorgangs innerhalb von 30 Tagen Bis zur neuen Verfassung war das Hauptziel die- die Grösse des indigenen Gebietes bekannt. ser Behörde die Integration der Indigenen in die 3. Demarkierung: Es folgt die tatsächliche Ver- Mehrheitsgesellschaft. Danach hat die FUNAI ihre messung und Abgrenzung des indigenen Territo- Strategie geändert und unter anderem eine eigene riums. Koordinationsstelle (CII) für in freiwilliger Abge- 4. Zulassung: Der Präsident oder die Präsidentin schiedenheit lebende Völker und eine eigene Ab- der Republik bestätigt mit der Unterschrift die De- teilung für isolierte und vor kurzem kontaktierte markierung. Völker (CGIIRC) eingerichtet. Die Hauptaufgabe der 5. Eintrag im Grundbuch: Nach der Zustimmung CGIIRC ist die Lokalisierung der isolierten Indige- durch den Präsidenten oder die Präsidentin wird nen, ohne jedoch Kontakt mit ihnen aufzunehmen. das indigene Territorium in einem Notariat offiziell Die FUNAI ist heute zuständig für die Durchfüh- registriert12. rung aller Massnahmen zugunsten der indigenen Der ganze Prozess kann sich endlos in die Län- Gemeinschaft Brasiliens und muss sicherstellen, ge ziehen, wenn die nicht-indigene Bevölkerung dass die Gesetze, die Verfassung und das veralte- Einspruch erhebt. Ein weiteres Problem besteht te Indigenenstatut eingehalten werden. Seit Ende darin, dass in vielen Indigenenreservaten illegal 2009 wirkt die FUNAI nicht mehr als Vormund der Minen erschlossen werden und Wald gerodet so- indigenen Völker, sondern verfügt über Kompe- wie Gold geschürft wird, obwohl es die Aufgabe tenzen, die Indigenen im Namen der Regierung der FUNAI wäre, die Grenzen der demarkierten zu schützen und ihre Rechte zu garantieren. Des Gebiete zu schützen und derartige Aktivitäten zu Weiteren müsste die FUNAI die Indigenen über verhindern. Als Folge davon erscheint die FUNAI Projekte, die sie betreffen, informieren und mit ih- immer wieder in einem schlechten Licht. Obwohl nen eine gemeinsame Lösung möglicher Konflikte viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FUNAI finden. Diese Aufgabe wird aber gemäss Indigenen einen ausgezeichneten Einsatz für die Indigenen unzureichend wahrgenommen11. leisten, hat sich die FUNAI zunehmend zu einem Eine zentrale Aufgabe der Behörde ist die Demar- Instrument der Regierung entwickelt, um ihre Ent- kierung und die Durchsetzung der Grenzen der In- wicklungspolitik gegenüber der indigenen Bevöl- digenenreservate. Die Demarkierung – der Prozess kerung durchzusetzen. Sie ist keine Institution der Überführung des traditionellen Nutzgebietes der indigenen Bevölkerung. So wurde zum Beispiel indigener Gemeinschaften in ein Indigenenreser- Megaron Txucarramãe13 , ein Häuptling der Kayapo vat – vollzieht sich in Brasilien in mehreren recht- im Xingu-Gebiet, der für die FUNAI als regionaler lich vorgeschriebenen Schritten: Koordinator arbeitete, aufgrund seiner Opposition 1. Identifizierung: Eine Arbeitsgruppe der FUNAI gegen den Belo Monte-Staudamm entlassen14. identifiziert die Region, die von den Indigenen be- Die FUNAI geniesst immer weniger Vertrauen bei __________ 11 Vgl. Ricardo, Beto / Ricardo, Fany (2011): Povos Indígenas No Brasil 2006/2010, Instituto Socioambiental, São Paulo, Seite 92. 12 Vgl. ISA: Demarcation Process, http://pib.socioambiental.org/en/c/terras-indigenas/demarcacoes/como-e-feita-a-demar- cacao-hoje 13 Megaron Txucarramãe ist der Häuptling des Stammes der Kayapo und einer der wichtigsten Indigenenführer Brasiliens. Er ist der Neffe des Indignenhäuptlings Raoni, der vor 20 Jahren mit Unterstützung des Sängers Sting eine internationale Kampagne gegen den Belo Monte Staudamm lancierte. 1982 war er der erste indigene Präsident der FUNAI. 14 Vgl. Plattform Belo Monte (01.12.2011): Índios besetzen Fuani und fordern Rückkehr von Kazike Megaron, http://plattform- belomonte.blogspot.com/2011/12/indios-besetzen-nach-entlassung-von.html
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 14 den indigenen Gemeinschaften. Diese verlangen daher seit geraumer Zeit eine nationale Indige- nenorganisation, in der sie die Führung und Ent- scheidung selbst übernehmen und für ihre Rechte einstehen können.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 15 3.4 Internationales Recht tion (siehe Anhang) beziehen sich auf das Selbst- bestimmungsrecht der indigenen Bevölkerung, und 3.4.1 Übersicht der Artikel 8 legt fest, dass ihre Kultur und Lebens- Seit Jahrzehnten setzen sich die Indigenen für weise respektiert werden muss. die Anerkennung ihrer Rechte ein. Die zentralen Forderungen sind: 3.4.3 ILO-Konvention 169 • Das Recht auf Selbstbestimmung Die ILO-Konvention 169 ist die einzige interna- • Das Recht auf ihr Land tionale Norm, die den Indigenen rechtsbindend • Das Recht, ihr Land und Ressourcen selber zu Schutz und Anspruch auf eine Anzahl an Grund- nutzen oder die Nutzung anderer kontrollieren zu rechten garantiert. Diese Konvention ist am 5. können. September 1991 in Kraft getreten. Brasilien un- terzeichnete sie am 25. Juli 2002 und verpflichtet Während die Rechte der indigenen Völker in kaum sich damit, die 44 Artikel der grundlegenden Rech- einem Land umfänglich garantiert werden, macht te der Indigenen in ihre nationale Gesetzgebung die Rechtsentwicklung auf internationaler Ebene aufzunehmen und durchzusetzen16. Fortschritte, wie in den folgenden Unterkapiteln aufgezeigt wird. So haben bisher 22 Länder die In- In Bezug auf die Infrastrukturprojekte und Wirt- digenenkonvention der Arbeitsorganisation (Inter- schaftsprojekte in Brasilien geben die Artikel 6, national Labour Organization) ILO 169 ratifiziert. 7 und 15 Rahmenbedingungen vor, wie die Regie- Zudem hat im 2007 die Vollversammlung der Ver- rung mit den Indigenen umgehen müsste, um sie einten Nationen die Deklaration zu den Rechten in die Pläne einzubeziehen. der Indigenen Völker angenommen. Im Februar Am 2. März 2012 hat die Expertenkommission der 2012 erstellte die UNO Richtlinien für den Um- ILO einen Bericht zur Umsetzung dieser Konventi- gang mit isolierten Völkern. Sie heben hervor, dass on veröffentlicht17, in der sie Brasilien auffordert das Land der isolierten Völker unantastbar sei und „die erforderlichen Massnahmen zur Durchführung dass keine Rechte auf Ressourcen-Ausbeutung auf von Konsultationen der betroffenen indigenen Völ- ihrem Territorium erteilt werden dürfen. Bei der ker gemäss Artikel 6 und 15 der Konvention 169 Durchsetzung dieser Verpflichtungen besteht bei zum Bau des Wasserkraftwerks Belo Monte zu tref- der brasilianischen Regierung wie bei den meisten fen, bevor mögliche schädliche Auswirkungen die- anderen Ländern grosser Nachholbedarf. ses Projekts irreversibel sind und in Absprache mit den indigenen Völkern zusammen zu arbeiten, um 3.4.2 Deklaration über die Rechte indigener festzustellen, ob die Prioritäten der indigenen Völ- Völker ker respektiert werden. Zudem soll die brasiliani- Am 13. September 2007 hat die Generalversamm- sche Regierung Massnahmen zur Risikobegrenzung lung der Vereinten Nationen die Deklaration der planen und die betroffene Bevölkerung angemes- Rechte für Indigene Völker (UNDRIP15) angenom- sen entschädigen18.“ men. Brasilien hat der Deklaration zugestimmt, Auch die Interamerikanische Kommission für die unter anderem einen universellen Rahmen an Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Mindeststandards in den Bereichen Überleben, Staaten (IACHR) hat die brasilianische Regierung Würde, Wohlergehen und Rechte der Indigenen aufgrund der Nicht-Einhaltung der ILO-Konvention fordert. Nun sollte Brasilien die Verpflichtungen in 169 wegen des Kraftwerks Belo Monte kritisiert. die brasilianische Gesetzgebung aufnehmen. Die Brasilien reagierte verärgert und setzte ihren finan- Deklaration garantiert den indigenen Völkern ex- ziellen Beitrag an die Organisation Amerikanischer plizit als Kollektiv und auch den Individuen alle Staaten aus. Auf regionaler Ebene scheint die ILO- Menschenrechte. Die Artikel 3 und 4 der Deklara- __________ 15 UNDRIP = United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples. 16 Vgl. ILO (2011): Convention Nr. C169, http://www.ilo.org/ilolex/cgi-lex/ratifce.pl?C169. 17 Vgl. ILO (2012): Informe de la Comisión de Expertos en Aplicación de Convenios y Recomendaciones, http://www.politi- caspublicas.net/panel/images/stories/docs/2012-informe-ceacr-oit-pueblos-indigenas.pdf 18 Vgl. Plattform Belo Monte (05.03.2012): Belo Monte verletzt die ILO-Konvention 169, http://plattformbelomonte. blogspot.com/2012_03_01_archive.html
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 16 Konvention dagegen auf breitere Unterstützung zu nach Vereinbarung einer gerechten und fairen stossen: Die Bundesanwaltschaft des Staates Pará Entschädigung stattfinden, wobei nach Möglich- hat beispielsweise mehrfach Beschwerde einge- keit eine Option auf Rückkehr bestehen muss.21“ reicht gegen die Bewilligungsverfahren der Stau- Der aktuelle FUNAI-Präsident Márcio Meira hat an dämme und dabei auf die mangelnde Umsetzung einem Treffen mit Indigenenvertretern zum Was- der Konvention 169 aufmerksam gemacht. serkraftwerk Belo Monte im Januar 2012 ausge- 3.4.4 Freies, informiertes, vorheriges Einver- sagt, dass die FUNAI nicht wisse, wie man eine ständnis - FIVE solche Anhörung und die Miteinbeziehung der In- Ein zentrales Instrument zur Durchsetzung der digenen durchführen müsste22. Rechte der Indigenen ist das freie, informierte und vorherige Einverständnis (FIVE19). Das heisst, wenn Dritte im Gebiet eines indigenen Volkes aktiv werden wollen, müssen diese das Einverständnis der betroffenen Bevölkerung einholen. Dazu müs- sen vorgängig ernsthafte Verhandlungen über das geplante Projekt geführt werden. Mit Hilfe dieses Konzeptes können schadenminimierende Massnah- men, Kompensationen für die Beeinträchtigung und eine Gewinnbeteiligungen ausgehandelt wer- den. Damit bietet das FIVE eine Chance für eine nachhaltige Entwicklung für die betroffene Be- völkerung. Industrielle oder Infrastrukturprojekte müssten damit einen stärkeren Beitrag für die lo- kale, nachhaltige Entwicklung leisten, wollen sie eine Chance für die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung erhalten. Vor dem Bau der Wasserkraftwerke Belo Monte und Teles Pires sowie den meisten anderen Bauvorha- ben in Amazonien wurden die Indigenen vor Ort nicht oder ungenügend über die Projekte infor- miert und einbezogen. Der Artikel 10 der UNO-Re- solution 61/29520, dem Brasilien zugestimmt hat, schreibt Folgendes vor: „Indigene Völker dürfen nicht zwangsweise aus ihrem Land oder ihren Gebieten ausgesiedelt wer- den. Eine Umsiedlung darf nur mit freiwilliger und in Kenntnis der Sachlage erteilter vorheriger Zu- stimmung der betroffenen indigenen Völker und __________ 19 Der Ausdruck „FIVE“ ist auch unter dem englischen Akronym FPIC (Free, Prior and Informed Consent) bekannt. 20 Die Arbeitsgruppe in Bezug auf die indigene Bevölkerungen war neben dem ständigen Forum über indigene Angelegenhei- ten und dem Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten indigener Völker eines der drei Organe der Vereinten Nationen, das sich ausschliesslich mit der Situation der indigenen Völker befasst. Im 1985 fing die Arbeitsgruppe bereits mit der Erarbeitung der UNO-Erklärung der Rechte der indigener Völker an, die dann erst im 2007 von der UNO-Versammlung verabschiedet wurde. 21 Vgl. UN: Resolution ohne Überweisung an einen Hauptausschuss, www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/ Declaration(German).pdf, Seite 16-25. 22 Vgl. Xingu Vivo: Problemas continuam sem respostas após reunião com presidencia da Funai, dizem indígenas (26.01.2012), http://www.xinguvivo.org.br/2012/01/26/problemas-continuam-sem-respostas-apos-reuniao-com-presidencia-da-funai-di- zem-indigenas.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 17 Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat sich intensiv mit der Umsetzung des FIVE-Konzeptes beschäftigt. In einer Studie zur Anwendung des FIVE im Kongobecken kam die GfbV zu folgenden Schlüssen: • FIVE ist auf alle Projekte anzuwenden, welche die indigene Bevölkerung und deren Le- bensraum betreffen. • Alle relevanten Informationen müssen vor den Aktivitäten bekannt gegeben werden. • Die Informationen müssen so aufgearbeitet sein, dass sie objektiv sind, transparent ver mittelt werden und von den indigenen Gemeinschaften verstanden werden. • Eine breite Konsultation unter Berücksichtigung sämtlicher Betroffenengruppen muss durchgeführt werden. • In den Verhandlungen darf keinerlei Druck oder Manipulation gegen die Betroffenen aus geübt werden. • Die Betroffenen haben das Recht, „Ja“ zu sagen. • Die Betroffenen habe das Recht, „Wie“ zu sagen und solange zu verhandeln, bis sie ein verstanden sind. • Die Betroffenen haben aber auch das Recht, „Nein“ zu sagen. • Zentrale Aspekte der Verhandlungen sind: Schadensmindernde Massnahmen, Einrich- tung von Schutzgebieten, Kompensation für Schäden und Beteiligung am Mehrwert, der durch das Projekt generiert wird. • Am Ende der Verhandlungen entscheiden die Betroffenen, ob sie ihr Einverständnis ge- ben oder nicht. • FIVE ist nicht ein einmalig einzuholendes Einverständnis. Es muss während des gesam- ten Projektes weiter verhandelt werden. Insbesondere muss der Informationsfluss und der ständige Einbezug der indigenen Gemeinschaften gewährleistet sein. Bei neuen Informationen, oder falls sich Informationen als falsch erweisen sollten, können die Ge- meinschaften ihr Einverständnis auch wieder zurückziehen23. __________ 23 Lewis, Jerome et al. (2008): Free, Prior and Informed Consent and Sustainable Forest Management in the Congo Basin, http://assets.gfbv.ch/downloads/fpic_congo_report_english.pdf
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 18 4. Indigene in Amazonien 4.1 Indigene zend Personen, zum Teil aber auch in grösseren Laut dem Zensus von 2010 des brasilianischen Ins- Siedlungen mit bis zu 30‘000 Menschen zusam- titut für Geographie und Statistik (IGBE) gibt es in menleben27. Sie sprechen ungefähr 180 verschie- Brasilien 817‘000 indigene Menschen, von denen dene indigene Sprachen. Gemäss ISA leben im 315‘000 auf dem Land und 502‘000 in den Städten Amazonien 173 indigene Gemeinschaften in 405 wohnen24. Ungefähr 13 Prozent der Fläche Brasi- Indigenenreservaten, die etwa 22 Prozent des bra- liens wurde für die indigene Bevölkerung demar- silianischen Amazonasgebiets ausmachen28. Der kiert. Die meisten Indigenen leben in Amazonien, Regenwald ist nicht nur der Lebensraum der indi- das die Bundesstaaten Amazonas, Acre, Amapá, genen Menschen, sondern er versorgt sie auch mit Pará, Rodônia, Roraima, Tocantis, Mato Grosso und Nahrung, Medizin und fast allen Materialien, die einen Teil von Maranhão umfasst. sie benötigen. Insbesondere für die Spiritualität und das traditionelle Leben ist der Amazonaswald Die indigene Bevölkerung ist in Brasilien am stärks- mit den vielen heiligen Orten fundamental für das ten von Armut betroffen25. Armut und Landraub langfristige Überleben der indigenen Völker und haben mehr als die Hälfte von ihnen in die Elends- ihrer Lebensweise. viertel der städtischen Ballungszentren getrieben. 326‘375 indigene Menschen leben in extremer Ar- Die Entstehung der Indigenenreservate geht bis in mut und rund 64‘000 indigene Familien sind auf die frühen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zurück. die Unterstützung von einem Sozialhilfeprogramm Die Verfassung von 1988 hatte zur Folge, dass viele der Regierung (Bolsa Família) angewiesen26. neue Reservate verwirklicht wurden. Die Gründung Heute gibt es noch ungefähr 235 indigene Völker neuer Reservate hat in letzter Zeit auf besorgniser- und je nach Schätzungen zwischen 150‘000 und regende Weise abgenommen. Die folgende Tabelle 350‘000 Indigene im Amazonasgebiet, die zum Teil beschreibt den aktuellen Stand der Demarkation in kleinen Gemeinschaften, weniger als ein Dut- indigener Reservate. Situation Anzahl Grösse (ha) In Identifizierung 134 9‘964 Mit eingeschränkter Nutzung von Nicht-Indigenen 5 842‘022 Total 139 851‘986 Deklariert 69 5‘059‘374‘452 Ausgewiesen 23 138‘665 Anerkannt 30 5‘549‘675 In das Grundbuch eingetragen SPU/CRI29 400 98‘289‘838 Total in Brasilien 677 111‘523‘636 Tabelle 1: Indigenenreservate in Brasilien (Stand Juli 201130) ________ __ 24 Vgl. Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (2012): http://ibge.gov.br/indigenas/graficos.html 25 Vgl. Ministério do Desenvolvimento Social e Combate à Fome: O perfil da Extrema Pobreza no Brasil com base nos dados pre- liminares do universo do Censo 2010, http://www.mds.gov.br/saladeimprensa/noticias/2011/maio/arquivos/11.05.02_Nota_ Tecnica_Perfil_A.doc 26 Vgl. ISA: Cresce número de famílias indígenas beneficiadas pelo Programa Bolsa Família (31.05.2011), http://pib.socioambiental.org/en/noticias?id=102996 27 Vgl. Ricardo/Ricardo (2011): Povos Indígenas No Brasil 2006/2010, Instituto Socioambiental: São Paulo, Seite 16. 28 Viele Indigenenreservate sind noch nicht als solche deklariert worden und besitzen daher auch noch keinen Schutz von der Regierung. 29 SPU Serviçio de Patrimônio da União (Staatseigentumsedienst)/ CRI Cartórios de Registro de Imóveis (Grundbuch). 30 Vgl. Ricardo, Beto / Ricardo, Fany (2011): Povos Indígenas No Brasil 2006/2010, Instituto Socioambiental: São Paulo, Seite 90.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 19 Abbildung 3: Indigenenreservate in Brasilien (Quelle: © FUNAI31 ) Legende Gelbe Fläche: Indigenenreservate Rote Fläche: Rohstoffabbaugesuche in Indigenenreservaten Grüne Fläche: Indigenenreservate im Demarkierungsprozess __________ 31 Quelle: http://www.funai.gov.br/ultimas/e_revista/iconografia/fotos/mapao.htm
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 20 4.2 Indigene mit Erstkontakt Die Indigenen mit Erstkontakt haben erst seit kur- zem Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft. Gemäss ISA gibt es in Brasilien sieben indigene Völker mit Erstkontakt. Die Erfahrungen der Indigenen mit Erstkontakt zeigen exemplarisch die Gefahren für die in Isolation lebenden Völker auf: Gemäss Survival International hatten zum Beispiel die Zo‘é den Erstkontakt zu Aussenstehenden im Jahr 1987, als Missionare eine Basis in ihrer un- mittelbaren Umgebung errichteten. Die Zo‘é infi- zierten sich daraufhin an Krankheiten, gegen die sie nicht immun waren. Die Missionare hatten nicht mit einer solchen Situation gerechnet und wussten sich nicht mehr zu helfen. Sie baten die FUNAI um Hilfe, die darauf ein Team zur gesund- heitlichen Versorgung zu den Zo‘é schickte, worauf sich die Lage stabilisierte. Jahre später wurde ihr Territorium offiziell von der Regierung anerkannt, ein Gesundheitsposten wurde erstellt und ihr Ge- biet wurde unter Schutz gestellt. Daraufhin muss- ten die Missionare das Gebiet verlassen32. Ähnlich geht es den Korubo. Sie wurden im 1996 zum ersten Mal kontaktiert. Diese Gruppe besteht aus 27 Personen. Gemäss ISA wurde jeweils eine Person jeder Familie mindestens einmal in die Stadt begleitet, um dort medizinische Betreuung und Medikamente zu bekommen. Denn viele der Korubos leiden unter Malaria und anderen Krank- heiten. Heute gibt es noch 27 Korubos. __________ 32 Vgl. Survival International: Die Zo’é, http://www.survivalinternational.de/indigene/zoe/erster-kontakt
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 21 4.3 Isolierte Indigene 90 isolierten Gruppen in Brasilien. Von einigen dieser Gruppen gibt es nur Anhaltspunkte durch Gemäss dem brasilianischen Missionsrat für Indi- Fotos, die man aus der Luft aufnehmen konnte und gene (CIMI) gibt es weltweit mehr als 150 indige- über Spuren, die man im kaum zugänglichen Ur- ne Völker, die in freiwilliger Isolation33 leben. Die wald fand. Die FUNAI bestätigt 28 isolierte Völker meisten davon leben im dicht bewaldeten Ama- in Brasilien36. zonas, in Neuguinea sowie auf den Inseln Anda- manen und Nikobaren. In Südamerika rechnet man Die Bezeichnung „in (freiwilliger) Isolation“ ent- mit 127 isolierten Völkern in sieben Ländern: In stand, weil viele Angehörige dieser Völker Überle- Brasilien leben ungefähr 90 isolierte Völker, 23 in bende von gewalttätigen Übergriffen sind und sich Peru, 13 in Bolivien, 6 in Paraguay, 5 in Venezuela, nach verheerenden Erfahrungen mit der Zivilisation 4 in Ecuador und 2 in Kolumbien34. wieder zurückzogen. Beispielsweise wurden in der Abbildung 4: Isolierte Völker weltweit (Quelle: Wikipedia35 ) Blütezeit des Kautschukbooms gegen Ende des 19. Es gibt unterschiedliche Informationen über die Jahrhunderts in Amazonien knapp 90 Prozent der Anzahl der isoliert lebenden Indigenen in Brasi- Indigenen als Sklaven gehalten oder sie wurden lien, weil es unter anderem ein kompliziertes Un- Opfer brutaler Gewalttaten. Die zweite, respekti- terfangen ist, die Daten zu erheben. Das Institut ve dritte Gewaltwelle erreichte Amazonien in den Coordenaçao Geral de Índios Isolados e Recém Con- Jahren 1920 und 1960, wobei viele indigene Ge- tatados (CGIIRC) der FUNAI beispielsweise weiss meinschaften nicht überlebten. Zum Beispiel hat zurzeit von mindestens 28 verschiedenen isolier- der Unternehmer Antonio Mascarenhas Junquei- ten Völkern im brasilianischen Amazonasgebiet. ra 1963 aus einem gemieteten Flugzeug das Volk Die NGO Instituto Socioambiental rechnet sogar Cinta Larga (Breite Gürtel) mit Dynamit beworfen, mit 46 Gemeinschaften, und gemäss dem Indige- weil ihn die Indigenen beim kommerziellen Gum- nenmissionsrat gibt es Anzeichen von mindestens mizapfen störten. Einige Tage nach der Bombar- __________ 33 Isolierte Völker sind ethnische Gruppen, die gar nicht, nur geringfügigen oder nur kurz Kontakt mit anderen Menschen in der Mehrheitsgesellschaft eines bestimmten Landes haben oder hatten. 34 Loebens, Guenter Francisco/Neves, Lino Joao de Oliveira (2011): Povos Indígenas Isolados na Amazônia: A luta pela sobre- vivencia: Conselho Indígenista Missionário, Seite 41. 35 Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Uncontacted_peoples.svg&filetimestamp=20100507170210. 36 Vgl. ISA: Índios Isolados, http://pib.socioambiental.org/pt/c/no-brasil-atual/quem-sao/Indios-isolados.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 22 dierung schickte er eine Gruppe Söldner vor Ort, doch an den Grenzgebieten der Reservate oder um die Überlebenden auf brutalste Art und Weise ausserhalb solcher Schutzzonen und verfügen zu töten37. über keinen speziellen Schutz. Solche traumatischen Erlebnisse prägten die Über- Die isolierten Indigenen leben ein reichhalti- lebenden von indigenen Gruppen, die sich deshalb ges, kulturelles Leben mit einem ganzheitlichen Abbildung 5: Siedlung von Indigenen in freiwilliger Isolation (Quelle: © Gleison Miranda) dafür entschieden haben, ein Leben in Isolation Wissen über die Flora und Fauna. Dieses Leben zu führen. Man nimmt an, dass ein Leben in voll- ist durch die gegenwärtige Entwicklung massiv ständiger Isolation jedoch nicht möglich ist, weil bedroht: Der Bau von Staudämmen oder Stras- die meisten Völker Kontakte zu ihren unmittelba- sen, aber auch die Suche und Förderung von ren Nachbarn pflegen, um mit ihnen gelegentlich Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas, Gold und anderen Gegenstände und Nahrungsmittel zu tauschen. Bodenschätzen lockt viele Menschen in ihre un- Durch diesen Tauschhandel verfügen einige isolier- mittelbare Umgebung. Unter solchen Umständen te Völker unter anderem über Waffen aus Metall, ist es den indigenen Völkern nicht möglich, ihre Kochgeschirr und Metallteile, beispielsweise aus traditionelle Lebensform weiterzuführen. Schiffswracks. Auf den veröffentlichten Fotos von In den letzten Jahren erteilte die Regierung Bra- Überflügen zu Studienzwecken oder zum Schutze siliens Baubewilligungen für die Wasserkraftwer- der Isolierten sind diese Gegenstände teilweise ke Santo Antônio und Jirau am Fluss Madeira, sichtbar. Belo Monte am Fluss Xingu und Teles Pires am Die die Abbildung auf der folgenden Seite zeigt Fluss Teles Pires, obwohl bekannt ist, dass in de- auf, in welchem Gebiet es Beweise oder Indizien ren Umgebung isoliert lebende Gruppen leben. von isolierten Völkern gibt. Einige dieser Völker Gemäss der FUNAI leben beispielsweise rund 70 leben in einem Indigenenreservat, viele leben je- Kilometer vom Staudamm Belo Monte entfernt __________ 37 Vgl. Survival International: Warum verstecken sie sich?, http://www.survivalinternational.de/artikel/3129-warum-verste- cken-sie-sich.
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 23 eine oder mehrere Gruppen isolierter Indigene im henden sterben können. Jeglicher Kontakt mit der Indigenenreservat Koatinemo und in der Nähe des Zivilisation soll daher vermieden werden, es sei Baches Ipiaçava. Auch gibt es laut der FUNAI eine denn, sie selber suchen den Kontakt40. Gruppe Isolierter in unmittelbarer Nähe von nur Mit dem Bau der interozeanischen Strasse von Rio 30 Kilometern des Staudamms Santo Antônio. Dort Branco, der Hauptstadt des Bundesstaates Acre, leben sie im Indigenenreservat Katauixi/Jacareú- bis zur peruanischen Küste des Pazifischen Ozeans, ba. Ebenso gibt es Hinweise, dass sich in der Um- die in einer Entfernung von nur 300 Kilometern gebung des Wasserkraftwerks Teles Pires isolierte des Siedlungsgebiets isolierten Völker durchführt, Indigene aufhalten39. Abbildung 6: Situierung der brasilianischen isolierten Indigenen (Quelle: © FUNAI38) Legende Rotes Haus: Nachgewiesenes isoliertes Volk Blaues Dreieck: Indigene, die erst seit kurzem entdeckt wurden Gelber Punkt: Es wird vermutet, dass dort isolierte Indigene leben Grüne Fläche: Indigenenreservate, wo isolierte Indigene leben Blaue Fläche: Indigenenreservate Neben der Bedrohung durch die Infrastrukturpro- kam es auf peruanischem Staatsgebiet zu einer re- jekte sind die isoliert lebenden Indigenen auch gelrechten Invasion von ungefähr 60‘000 illega- durch Krankheiten wie die Grippe, gegen die sie len Holzfällern, Goldsuchern und Drogenhändlern. nicht immun sind, stark gefährdet. Die Erfahrung Diese dringen zurzeit entlang der Flussläufe des zeigt, dass bis zu zwei Drittel einer isoliert leben- Rio de las Piedras, des Rio Tauhamanu, Rio Madre den Gruppe nach dem Erstkontakt mit Aussenste- de Dios, Puru und Juruá bis in die entlegensten __________ 38 Quelle: www.funai.gov.br 39 Vgl. ISA, Braune Wiik, Flavio (1999): Xoklenghttp://pib.socioambiental.org/pt/povo/xokleng/975 40 Vgl. ISA, Braune Wiik, Flavio (1999): Xoklenghttp://pib.socioambiental.org/pt/povo/xokleng/975
GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft 24 Siedlungsgebiete der Isolierten ein. Seit der Ver- dreifachung des Goldpreises ist es in der Region zu einem regelrechten Goldrausch gekommen, berich- tet FUNAI-Mitarbeiter José Carlos Meirelles41. Allein in der peruanischen Stadt Puerto Maldona- do am Fluss Madre de Dios werden monatlich drei Tonnen Quecksilber an Goldsucher verkauft, wel- ches in die Zuflüsse des Amazonas gelangt und nicht nur das Wasser, sondern auch die gesamte Nahrungskette verseucht. So wurden nach Kont- rolluntersuchungen bei den Ashaninka-Indigenen42 Höchstwerte von Quecksilber im Blut gemessen43. Seit 1990 vergibt die peruanische Regierung auf- dem Siedlungsgebiet von isolierten Völker Konzes- sionen an Holzfirmen, die sich ausschliesslich auf die Abholzung von Mahagoni-Bäumen spezialisiert haben, die sie über die neu errichtete Strassenver- bindung zum Pazifik nach Übersee exportieren. Seit 2005 sind jedoch die meisten Mahagoni- Bestände auf peruanischer Seite abgeholzt. Dazu kommt, dass die peruanische Regierung für fast das gesamte peruanische Amazonasgebiet Konzes- sionen an multinationale Ölkonzerne vergeben hat. Davon sind auch die isolierten Gruppen betroffen. So wanderten in letzter Zeit immer häufiger isolier- te Völker aus Peru nach Brasilien. Dabei stiessen sie auf Gebiete, die bereits von anderen Personen bewohnt sind, was zu (bewaffneten) Konflikten führen kann. Dies führt oft zu Konflikten zwischen den Isolierten, Kautschukzapfern und Siedler die sich schon vor langer Zeit an den Flussläufen im Bundesstaat Acre niedergelassen haben. Denn iso- liert lebende Indigene kennen keine Landesgren- zen im Wald. Sie fühlen sich auch nicht als Bürger der Nationalstaaten. Ein binationales Schutzgebiet könnte diese Probleme lösen. Die GfbV unterstützt daher die lokalen Initiativen für ein binationales Territorium zwischen Peru und Brasilien, welches zum Schutz der Isolierten errichtet werden soll. Auf der unten stehenden Karte ist sichtbar, wo sich das binatinale Territorium befinden könnte. __________ 41 José Carlos Meirelles arbeitet seit 1971 für die FUNAI und ist bekannt für seine Pionierarbeit für die isolierten Indigenen in Brasilien. 42 Die Ashaninka-Indigenen befinden sich im östlichen Peru/westlichen Brasilien. 43 Mehr Information dazu unter: GfbV: Die Unsichtbaren (2012), http://www.gfbv.at/publikationen/bvbilder/bv01_2012.pdf
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