Gehirngesundheit Ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose - MS Brain Health
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Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Gehirngesundheit Ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose George Pepper Helmut Butzkueven Suhayl Dhib-Jalbut Gavin Giovannoni Eva Havrdová Jeremy Hobart Gisela Kobelt Maria Pia Sormani Christoph Thalheim Anthony Traboulsee Timothy Vollmer Die Aktivitäten und Begleitunterlagen von MS Brain Health wurden finanziert mit Mitteln von AbbVie, Actelion Pharmaceuticals, Celgene und Sanofi Genzyme sowie Bildungszuschüssen von Biogen, F. Hoffmann-La Roche, Merck KGaA und Novartis, die jeweils keinen inhaltlichen Einfluss hatten
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Über diesen Leitfaden Dieser kurze Leitfaden möchte Menschen mit Multipler Sklerose (MS) auf verständliche Weise erklären, wie sie ihr Gehirn möglichst gesund halten und von medizinischen Fachkräften den höchsten Pflegestandard verlangen können. Wir erläutern darin, wie Menschen mit MS die in dem Bericht Gehirngesundheit: Die Zeit drängt bei Multipler Sklerose ausgesprochenen Empfehlungen in die Praxis umsetzen können. Der vorliegende Leitfaden wie auch der Bericht wurden von einer internationalen Gruppe von Experten verfasst, die sich täglich intensiv mit der Realität des Lebens mit MS befassen. Die Gruppe aus MS-Erkrankten, Vertretern von Patientenorganisationen, Ärzten, Wissenschaftlern, MS- Pflegekräften und Gesundheitsökonomen empfiehlt folgende therapeutische Strategie: Führen einer Gehirn-gesunden Lebensweise mit Behandlung anderer Erkrankungen (Seite 3) Überwachung der Krankheitsaktivität zur Kontrolle des Therapieerfolgs (Seite 4) Eine informierte Entscheidungsfindung aller Beteiligten (Seiten 5–6) Dringliche Überweisung an einen Neurologen sowie frühzeitige Diagnose (Seite 6) Frühzeitige Behandlung mit einer verlaufsmodifizierenden Therapie (DMT), sofern angemessen (Seite 7) Verstehen der zentralen Rolle der Gehirngesundheit in allen Phasen der Krankheit (Seiten 8–9). Obwohl MS bis heute nicht heilbar ist, ist es unser Ziel, daran erkrankten Menschen zu helfen, ihre Krankheit in den Griff zu bekommen und optimistisch nach vorne zu schauen und ihre lebenslange Gehirngesundheit zu maximieren. Was können Sie tun, nachdem Sie diesen Leitfaden gelesen haben? Alle Menschen mit MS Befassen Sie sich eingehender mit der Gehirngesundheit bei MS und führen Sie ein „Gehirn- gesundes“ Leben. Erklären Sie Ihrem Arzt, was Ihnen wichtig ist und was Sie sich von der Behandlung erhoffen. Stellen Sie so lange Fragen, bis Sie sich verstanden und gut informiert fühlen. Beobachten Sie Ihre MS, indem Sie in einem Tagebuch Dinge wie Symptome, Nebenwirkungen und andere Krankheiten festhalten, die Ihre Gesundheit und Ihr allgemeines Wohlbefinden beeinträchtigen. Informieren Sie sich eingehend über Ihre MS, damit Sie gemeinsam mit Ihrem behandelnden Arzt Entscheidungen über die Art Ihrer Behandlung treffen können. Neu diagnostizierte Menschen Lassen Sie sich umgehend an einen Neurologen (vorzugsweise an einen MS-Spezialisten mit Zugang zu Diagnoseeinrichtungen) überweisen. Beginnen Sie Ihre DMT-Therapie – falls angemessen – so bald wie möglich. Menschen mit schubförmig verlaufender MS Besprechen Sie die Kontrolle Ihrer MS mit bildgebenden Untersuchungen des Gehirns wie der Kernspintomografie (MRT) und lassen Sie sich erklären, was die Ergebnisse in Ihrem Fall bedeuten. Besprechen Sie auf jeden Fall die Möglichkeit einer fortlaufenden Krankheitsaktivität, auch wenn es Ihnen gut geht. 2
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Durch eine positive, gesunde Lebensführung kann Ihr Gehirn weitgehend gesund bleiben Ein gesundes, gut funktionierendes Gehirn spielt bei Menschen mit MS eine wichtige Rolle. Mit diesen sechs positiven Schritten können Sie dafür sorgen, dass Ihr Gehirn unabhängig von Ihrer MS- Diagnose so gesund wie möglich bleibt. Bleiben Sie körperlich möglichst aktiv Eine schnellere Verarbeitung von Informationen und der Erhalt von Hirnvolumen sind die positiven Wirkungen von Sport und Bewegung.1,a Dies legt nahe, dass Menschen mit MS durch einen möglichst aktiven Lebensstil ihre Gehirngesundheit erhalten können. Achten Sie auf Ihr Gewicht Fettleibige Menschen haben i.d.R. mehr MS-Läsionen (Entzündungsherde) als Menschen, die auf ein gesundes Gewicht achten.2 Bleiben Sie geistig aktiv Werden Bildungsmaßnahmen, Lesen, Hobbys und künstlerische oder kreative Freizeitbeschäftigungen ein Leben lang gepflegt, können sie vor kognitiven Beeinträchtigungen bei MS schützen.3–7 Verzichten Sie auf das Rauchen Bei Menschen mit MS ist das Rauchen von Zigaretten mit einer geringeren Gehirnmasse2 sowie höheren Schubraten8, erhöhter Behinderungsprogression8,9, vermehrten kognitiven Problemen10 und einer verringerten Überlebensrate11 gegenüber Nichtrauchern verbunden. Achten Sie auf Ihren Alkoholkonsum Bedenkliche Alkoholspiegel stehen in Verbindung mit einer verringerten Überlebensrate von Menschen mit MS.11 Nehmen Sie andere, von Ihrem Arzt verordnete Medikamente weiter ein Wenn Sie andere Krankheiten haben, sollten Sie selbst Verantwortung für deren Kontrolle und Bewältigung übernehmen, d. h. auch für die Einnahme verordneter Medikamente. Befunde wie hoher Blutdruck, hohe Cholesterinwerte, Herzerkrankungen und Diabetes können den Verlauf von MS negativ beeinflussen. Was können Sie tun? Führen Sie ein „Gehirn-gesundes“ Leben, d. h. sorgen Sie für Sport und Bewegung, achten Sie auf Ihr Gewicht, bleiben Sie geistig aktiv, rauchen Sie nicht, achten Sie auf Ihren Alkoholkonsum und nehmen Sie Ihre Medikamente wie verordnet ein. Zwar ist ein geringfügiger altersbedingter Verlust von Hirngewebe auch bei gesunden Erwachsenen normal, bei Menschen a mit MS kann dieser Verlust jedoch schneller verlaufen (siehe Seiten 8–9). 3
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Eine regelmäßige Überwachung spielt bei der Bewältigung von MS eine zentrale Rolle Die Überwachung von MS als Nachweis des Behandlungserfolgs ist ein wesentlicher Aspekt bei der Maximierung der lebenslangen Gehirngesundheit. Ähnlich wie bei der regelmäßigen Inspektion und Wartung Ihres Autos sollte auch der für Ihre Behandlung zuständige Arzt bei der Überwachung Ihrer MS nach einem Plan vorgehen – und Angaben über Sie und Ihre Krankheit in ein Logbuch eintragen und diese mit Ihnen besprechen. Rückfälle und eine Behinderungsprogression deuten auf eine Krankheitsaktivität hin – gehen Sie positiv damit um, indem auch Sie sie beobachten. Überlegen Sie sich, ein MS-Tagebuch mit Ihren eigenen Angaben zu Ihrer Gesundheit und Ihrem allgemeinen Wohlbefinden wie Symptome (Abbildung 1)12,13, Nebenwirkungen und andere Krankheiten zu führen, damit Ihr Arzt ein umfassendes Bild Ihrer Krankheit erhält. Depression Angstzustände Schlafstörungen Kognitive Probleme Vertigo Schmerzhafter Verlust an Sehschärfe Weinanfälle/Emotionen Teilweiser Verlust des Visus Sprechstörungen Doppelbilder Schluckstörungen Abbildung 1. Gehen Sie positiv Störungen der Sexualfunktion Muskelsteife und vor. Achten Sie auf diese schmerzhafte Symptome12,13, insbesondere die Tremor Muskelverkrampfungen (Spasmen) grün markierten, und führen Sie Blasenfunktionsstörungen ein MS-Tagebuch, um die darin Ungeschicklichkeit vermerkten Punkte bei Ihrem Darmprobleme nächsten Termin mit Ihrem Arzt besprechen zu können. Gleichgewichtsprobleme Reproduziert und adaptiert mit Genehmigung von Oxford PharmaGenesis aus Giovannoni G. et al. Brain health: time matters in multiple sclerosis (Gehirngesundheit: Temperaturempfindlichkeit Schmerzen Fatigue Belastungsintoleranz Die Zeit drängt bei Multipler Sklerose), © 2015 Oxford PharmaGenesis Ltd. MS-Krankheitsaktivität schadet grundsätzlich dem Gewebe im Gehirn und im Rückenmark, selbst wenn sie nicht unmittelbar zu einem Schub führt (siehe Seiten 8–9, Abbildung 2). Läsionen (akute Entzündungsherde) und der Verlust von Hirngewebe geben Auskunft über Schübe und die Behinderungsprogression.14 Neue Läsionen sollten folglich bei MRT-Untersuchungen des Gehirns ermittelt werden. In manchen Kliniken lässt sich der Verlust von Hirngewebe anhand einer mittlerweile fast überall verfügbaren Software überwachen. Eine regelmäßige ärztliche Überwachung der Krankheitsaktivität kann früh darauf hinweisen, dass die MS nicht gut auf die Behandlung anspricht. Dabei ist der Zeitablauf ausschlaggebend. Der klinische Nachweis bzw. der Nachweis der MRT-Untersuchung, dass die Krankheitsaktivität schlecht kontrolliert ist, sollte ein Gespräch über die Möglichkeit der Umstellung auf eine DMT auslösen, die eine andere Wirkung auf den Körper ausübt. 4
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Was können Sie tun? Führen Sie ein MS-Tagebuch und halten Sie darin Dinge wie Symptome, Nebenwirkungen und andere Krankheiten fest, die Ihre Gesundheit und Ihr allgemeines Wohlbefinden beeinträchtigen. Zeigen Sie diese Informationen Ihrem Arzt. Besprechen Sie Strategien, wie Sie Ihre MS am besten in den Griff bekommen, wie z. B. durch Führen eines Gehirn-gesunden Lebens und die Einnahme von DMT-Medikamenten und Medikamenten zur Reduzierung von Symptomen. Erkundigen Sie sich bei Ihrem behandelnden Arzt, wie Ihre MS voraussichtlich überwacht werden soll. Besprechen Sie einen Zeitplan für die Durchführung regelmäßiger MRT- Untersuchungen, die Aufschluss darüber geben, wie aktiv Ihre Krankheit ist. Lassen Sie sich die Ergebnisse Ihrer klinischen Untersuchungen und MRT-Untersuchungen eingehend von den für Ihre Behandlung zuständigen medizinischen Fachkräften erläutern. Erkundigen Sie sich, ob die Umstellung auf eine andere DMT angemessen ist, wenn Ihre MS nicht gut auf die Behandlung anspricht oder wenn unangenehme Nebenwirkungen bei Ihnen auftreten. Sie tragen maßgeblich zu den Entscheidungen bzgl. Ihrer Behandlung bei Die Entscheidung über den Behandlungsbeginn oder den richtigen Zeitpunkt für die Umstellung auf eine andere DMT sollte eine informierte, von Ihnen und Ihrem Arzt gemeinsam gefällte Entscheidung sein. Sie sollten Ihre Wertvorstellungen, Bedürfnisse, Einschränkungen, Behandlungsziele sowie Ihren Lebensstil und den voraussichtlichen Krankheitsverlauf offen mit Ihrem Arzt besprechen können. Mögliche Gesprächsthemen sind Berufsleben, Familienplanung, andere, Ihnen wichtige Lebensstilfaktoren, Ihre Risikoeinstellung und Gefühle beim Spritzen sowie andere Krankheiten, für die Sie behandelt werden, darunter Nebenwirkungen infolge der Medikamente, die Sie derzeit einnehmen. Ein Gespräch über den relativen Komfort wie auch Wirksamkeit, mögliche Nebenwirkungen und spezifische Sicherheitskontrolle der DMT ist ebenfalls wichtig. Wenn sich Menschen mit MS über ihre Krankheit und ihre Behandlung gut informiert fühlen15 und ein gutes, offenes Vertrauensverhältnis mit ihrem Arzt haben16,17, setzen sie ihre Behandlung i.d.R. eher fort – und erleiden im Allgemeinen weniger schwere Schübe.18 Eine proaktive Zusammenarbeit mit Ihrem medizinischen Team, die auf einem guten Informationsfluss beruht, ist demzufolge ein wichtiger Aspekt des erfolgreichen Managements Ihrer MS. 5
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Was können Sie tun? Nehmen Sie teil an der Entscheidungsfindung zusammen mit Ihren medizinischen Fachkräften. Verdeutlichen Sie ihnen, was Ihnen wichtig ist, und stellen Sie Fragen, bis Sie sich ausreichend informiert fühlen. Notieren Sie sich vorbereitend zu Ihren Sprechstundenterminen Ihre Fragen zu Themen wie Ihre Symptome, voraussichtlicher Krankheitsverlauf und Therapieoptionen. Erklären Sie Ihren medizinischen Fachkräften, was Ihnen wichtig ist, z. B. Ihre Familie und Ihr Zuhause, Ihre Arbeit und Hobbys, und was Sie sich von der Behandlung erwarten. Ziehen Sie zur Gesprächsvorbereitung auch andere Quellen zu Hilfe. Ihre MS- Patientenorganisationen vor Ort können Ihnen möglicherweise helfen. Nehmen Sie bereits verordnete DMT weiterhin ein. Die Zeit drängt bei neu diagnostizierten Menschen Frühzeitige Diagnose ermöglicht eine frühzeitige Behandlung Um die lebenslange Gehirngesundheit zu maximieren, müssen Behandlung und Management der MS möglichst früh ansetzen – und dazu ist eine frühzeitige Diagnose erforderlich. Im Allgemeinen wendet sich eine Person, deren Symptome mit MS im Frühstadium vergleichbar sind, an ihren Hausarzt/Arzt in der Primärversorgung oder an ein Krankenhaus. Sobald ein Verdacht auf MS besteht, muss der betroffene Patient dringend an einen Neurologen – einen Facharzt für Erkrankungen des Nervensystems – überwiesen werden. MS ist eine komplexe Erkrankung. Ein Neurologe mit MS als Schwerpunkt und sein Team sind die beste Anlaufstelle für eine Diagnose und einen integrierten Pflege- und Behandlungsansatz. Auf MS spezialisierte Neurologen verfügen über eine umfassende Erfahrung mit dem Langzeit-Management von MS wie auch über profunde Kenntnisse bzgl. der neuesten Diagnosekriterien, Behandlungsoptionen und Überwachungsverfahren. MS-Pflegekräfte gehören in vielen Einrichtungen zum Kern des Teams. Sie können Wissen, Selbstbewusstsein und Bewältigung der Krankheit verbessern helfen19 und emotionale Unterstützung leisten20. Menschen mit MS schätzen sie sehr.21 Dank der MRT-Befunde lässt sich MS heute früher als zuvor diagnostizieren.22 Eine Diagnose kann heute mindestens 10-mal schneller als in den frühen 1980er Jahren gestellt werden23, und rund 20 % aller Betroffenen können bereits nach nur einem Schub und ersten MRT-Untersuchungen eine zuverlässige Diagnose erhalten.24 Bei den übrigen 80 % sorgen weitere MRT-Untersuchungen und klinische Untersuchungen für eine möglichst schnelle Diagnosestellung. Eine frühzeitige Diagnose bedeutet, dass Menschen mit MS und ihre medizinischen Fachkräfte umgehend mit Behandlung und Management der Krankheit beginnen können. Was können Sie tun? Lassen Sie sich bei MS-Verdacht umgehend an einen Neurologen überweisen, vorzugsweise an einen MS-Spezialisten oder an eine MS-Spezialklinik. Fordern Sie Zugang zu Diagnoseverfahren wie MRT-Untersuchungen. Bleiben Sie im Kontakt mit Ihrem MS-Team zwecks fortlaufender Überwachung, falls Sie nicht gleich eine Diagnose erhalten. 6
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Eine frühzeitige DMT-Behandlung kann die Krankheitsaktivität senken Menschen mit schubförmig verlaufender MS, die ihre Behandlung in Form einer verlaufsmodifizierenden Therapie (DMT) frühzeitig im Krankheitsverlauf beginnen, haben i.d.R. bessere Langzeitchancen als bei einer Behandlungsverzögerung.25 Verschiedene DMT wirken sich unterschiedlich auf den Körper aus und haben unterschiedliche Vorteile und mögliche Nebenwirkungen. Aus diesem Grund sollten Sie die Wahl der für Sie am besten geeigneten DMT (Themenvorschläge siehe Seiten 5–6) wie auch Vorschläge für ein Gehirn-gesundes Leben (siehe Seite 3) mit Ihrem Arzt besprechen. Was können Sie tun? Erkundigen Sie sich bei Ihrem Arzt, ob der Beginn einer DMT-Therapie angebracht ist und welche Optionen Ihnen zur Verfügung stehen. 7
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Hintergrund: MS aus der Perspektive der Gehirngesundheit Bei MS befällt das körpereigene Immunsystem irrtümlicherweise das Gewebe im Gehirn, Rückenmark und Sehnerv (das Zentrale Nervensystem) und schädigt es. Zwar ist ein geringfügiger altersbedingter Verlust von Hirngewebe auch bei gesunden Erwachsenen normal, bei Menschen mit MS kann dieser Verlust jedoch schneller verlaufen (Abbildung 2a).26,27 Für viele Menschen, die mit dieser Krankheit leben, bedeutet dies körperliche Behinderungen, Müdigkeit (Fatigue) und kognitive Probleme (z. B. Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisverlust und Schwierigkeiten, Dinge neu zu erlernen). MS wird am häufigsten bei Erwachsenen im Alter von 20-40 Jahren diagnostiziert. Die genauen Symptome der Multiplen Sklerose können je nach Ort der Gewebeschäden im Zentralen Nervensystem von Patient zu Patient unterschiedlich sein. Außerdem können die Entzündungsherde (auch „Läsionen“ genannt) bei vielen Menschen mit MS die Nervenfunktionen merklich beeinträchtigen und verstärkt zu körperlichen Störungen und Ausfällen (auch „Schübe“ genannt) führen. Alle Läsionen tragen zu einem Gewebeverlust bei, auch wenn sie nicht zwangsläufig einen Schub bewirken (Abbildung 2b). Das Gehirn ist ein erstaunlich flexibles Organ. Beim Erlernen neuer Fähigkeiten, wie z. B. einer Fremdsprache oder eines Musikinstruments, kann es neue Gehirnareale für diese Aufgaben mobilisieren. Wenn also Teile des Gehirns beschädigt sind und ausfallen, können die zuvor von dem beschädigten Bereich geleisteten Aufgaben auf neue Bereiche übertragen werden. Somit können neue Bereiche des Gehirns aktiviert werden, um die von der MS verursachten Schäden des Hirngewebes zu kompensieren.28,29 Die Fähigkeit des Gehirns, sich immer wieder neu anpassen zu können, bezeichnet man als neurologische Leistungsreserven; je mehr neurologische Leistungsreserven das Gehirn hat, umso gesünder ist es. Mittlerweile ist jedoch bekannt, dass MS auch dann aktiv sein kann, wenn es dem Patienten ansonsten gut geht. Wissenschaftlichen Forschungen zufolge führt nur ca. jede zehnte Läsion zu einem Schub30,31, wobei auch andere, weniger auffällige Schäden auftreten können.32 Selbst wenn sich keine neuen oder sich verschlimmernden Symptome einstellen, kann das Gehirn einen Teil seiner neurologischen Leistungsreserven aufbrauchen, um aufgetretene Schäden auszugleichen (Abbildung 2c). Sind die Leistungsreserven vollkommen aufgebraucht, kann das Gehirn nicht mehr auf neue Areale zugreifen, weshalb die Symptome der MS sich mit größerer Wahrscheinlichkeit verschlimmern (Abbildung 2d). Neurologische Leistungsreserven sind wertvolle Ressourcen, die bei einem gut funktionierenden gesunden Gehirn eine große Rolle spielen. Die vorausgegangenen Abschnitte dieses Leitfadens enthielten Informationen darüber, wie Sie die Maximierung Ihrer lebenslangen Gehirngesundheit unabhängig von Ihrer MS-Diagnose positiv angehen können. Was können Sie tun? Vergessen Sie nicht, dass die MS-Krankheitsaktivität fortlaufend sein kann, selbst wenn es Ihnen gut geht, und dass dies Ihrer Gehirngesundheit schaden kann. Erkundigen Sie sich bei Ihrem Arzt nach der Art der geplanten Überwachung Ihrer MS, damit Sie wissen, ob die Krankheit aktiv ist (siehe Seite 5). Diskutieren Sie mit Anderen, darunter auch Ihrem Arzt, warum neurologische Leistungsreserven und Gehirngesundheit wichtig sind. 8
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose a Verlust von Ein geringfügiger Verlust von Hirngewebe ist auch bei gesunden Erwachsenen normal, bei Menschen mit MS Hirngewebe verläuft dieser jedoch üblicherweise schneller b Neue Läsionen treten auf; Neue bei allen ist ein Gewebeverlust Läsionen (weiß) die Folge, bei manchen Schübe (orange) c Neurologische Leistungsreserven werden Neurologische aufgebraucht, wenn das Gehirn den Leistungsreserven Gewebeverlust auszugleichen versucht d Schübe sind ein akutes Eine Behinderungsprogression ist dann Auftreten von wahrscheinlicher, wenn die neurologischen Symptomen Leistungsreserven komplett aufgebraucht sind Zunehmende Behinderung Symptome Dauer Abbildung 2. Die MS-Krankheitsaktivität führt zum Verlust von Hirngewebe, das wertvolle neurologische Reserven aufbraucht. a. Die MS-Krankheitsaktivität führt zu Läsionen und anderen, weniger auffälligen Schäden, die den Verlust von Hirngewebe stärker als üblich beschleunigen. b. Alle Läsionen führen zu einem Gewebeverlust; treten Nervenfunktionsstörungen durch eine Läsion auf, kann dies auch zu einem Schub (einem Anfall mit sich verschlimmernden Symptomen und Beeinträchtigungen) führen. c. Das Gehirn braucht seine neurologischen Leistungsreserven auf, wenn es die zuvor von beschädigten Gehirnarealen geleisteten Aufgaben auf neue Gehirnareale überträgt. (Neurologische Leistungsreserven spielen eine große Rolle bei einem gut funktionierenden gesunden Gehirn.) d. Die Symptome einer MS verschlimmern sich i.d.R. erst dann, wenn alle neurologischen Leistungsreserven aufgebraucht sind. Reproduziert und adaptiert mit Genehmigung von Oxford PharmaGenesis aus Giovannoni G. et al. Brain health: time matters in multiple sclerosis (Gehirngesundheit: Die Zeit drängt bei Multipler Sklerose), © 2015 Oxford PharmaGenesis Ltd. 9
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Literaturverzeichnis 1. Prakash RS et al. Aerobic fitness is associated with 17. Remington G et al. Facilitating medication adherence gray matter volume and white matter integrity in in patients with multiple sclerosis. Int J MS Care multiple sclerosis. Brain Res 2010;1341:41–51. 2013;15:36–45. 2. Kappus N et al. Cardiovascular risk factors are 18. Bunz TJ et al. Clinical and economic impact of associated with increased lesion burden and brain five-year adherence to disease-modifying therapies atrophy in multiple sclerosis. J Neurol Neurosurg in a commercially insured multiple sclerosis Psychiatry 2016;87:181–7. population. Value Health 2013;16:A109. 3. Sumowski JF et al. Brain reserve and cognitive 19. De Broe S et al. The role of specialist nurses in reserve protect against cognitive decline over multiple sclerosis: a rapid and systematic review. 4.5 years in MS. Neurology 2014;82:1776–83. 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Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Weiterführende Literatur und Unterstützung MS Brain Health ruft zu einer radikalen Neuorientierung des Managements von MS auf, weil die Zeit in jeder Phase der Diagnose und Behandlung drängt. Bekunden Sie Ihre Unterstützung für die Initiative und sehen sich andere Informationen über Gehirngesundheit bei MS an unter www.msbrainhealth.org. Folgende Websites liefern Links zu zahlreichen MS-Patientenorganisationen, die Unterstützung und Informationen über das Leben mit MS liefern. Multiple Sclerosis International Federation (MSIF): www.msif.org/living-with-ms/find-ms-support-near-you/ European Multiple Sclerosis Platform (EMSP): www.emsp.org/members/ Anerkennungen Im vorliegenden Leitfaden erläutern wir, wie Menschen mit MS die in dem Bericht Brain health: time matters in multiple sclerosis (Gehirngesundheit: Die Zeit drängt bei Multipler Sklerose) (siehe auch: www.msbrainhealth.org/report) ausgesprochenen Empfehlungen in die Praxis umsetzen können. Mit Stand vom 22. August 2018 wurde der vollständige Bericht von den folgenden Organisationen befürwortet. Nach diesem Datum eingegangene Befürwortungen finden Sie auf www.msbrainhealth.org. Accelerated Cure Project for Multiple Sclerosis Multiple Sclerosis Australia ACTRIMS (Americas Committee for Treatment and Multiple Sclerosis Coalition Research in Multiple Sclerosis) Multiple Sclerosis Foundation (USA and Puerto Rico) American Association of Neuroscience Nurses Multiple Sclerosis International Federation Australian and New Zealand Association of Multiple Sclerosis Ireland Neurologists Multiple Sclerosis Research Australia BCTRIMS (Brazilian Committee for Treatment and Multiple Sclerosis Society (UK) Research in Multiple Sclerosis) Multiple Sclerosis Society Malaysia Consortium of Multiple Sclerosis Centers Multiple Sclerosis Society of Canada Czech Multiple Sclerosis Society (Unie ROSKA) Multiple Sclerosis Society of Greece ECTRIMS (European Committee for Treatment and Multiple Sclerosis Society of New Zealand Research in Multiple Sclerosis) Multiple Sclerosis Spain (Esclerosis Múltiple España) European Brain Council Multiple Sclerosis Trust (UK) European Multiple Sclerosis Platform National Multiple Sclerosis Foundation of the Francophone Multiple Sclerosis Society Netherlands (Nationaal MS Fonds) (Société Francophone de la Sclérose en Plaques) National Multiple Sclerosis Society (USA) German Multiple Sclerosis Society (Deutsche Multiple New Zealand MS Research Trust Sklerose Gesellschaft Bundesverband e.V.) Norwegian Multiple Sclerosis Federation (Multippel International Multiple Sclerosis Cognition Society Sklerose Forbundet) International Organization of Multiple Sclerosis Nurses PACTRIMS (Pan-Asian Committee for Treatment and International Society of Neuroimmunology Research in Multiple Sclerosis) Italian Multiple Sclerosis Association (Associazione Polish MS Society (Polskie Towarzystwo Stwardnienia Italiana Sclerosi Multipla) Rozsianego) Japan Multiple Sclerosis Society RIMS (European Network for Rehabilitation in Multiple LACTRIMS (Latin-American Committee for Treatment Sclerosis) and Research in Multiple Sclerosis) RUCTRIMS (Russian Committee for Treatment and MENACTRIMS (Middle East North Africa Committee Research in Multiple Sclerosis) for Treatment and Research in Multiple Sclerosis) Shift.ms MexCTRIMS (Mexican Committee for Treatment and Swedish Neurological Association (Neuroförbundet) Research in Multiple Sclerosis) UK Multiple Sclerosis Specialist Nurse Association MS Nurses Australia Inc United Spinal Association Multiple Sclerosis Association of America The Work Foundation (UK) Multiple Sclerosis Association of Kenya 11
Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose Die Autoren Mr George Pepper Professor Jeremy Hobart Shift.ms, Leeds, Großbritannien Plymouth University Peninsula, Medizinische und Zahnmedizinische Fakultät, Plymouth, Professor Helmut Butzkueven Großbritannien Melbourne Brain Centre, Royal Melbourne Hospital, Universität Melbourne, Parkville, Dr. Gisela Kobelt Victoria, Australien European Health Economics, Mulhouse, Frankreich Professor Suhayl Dhib-Jalbut Medizinische Fakultät – Neurologie, RUTGERS Dr. Maria Pia Sormani Robert Wood Johnson Medical School, New Fachbereich Biostatistik, Universität Genua, Brunswick, New Jersey, USA Italien Professor Gavin Giovannoni Christoph Thalheim Queen Mary Universität London, Blizard Patientenvertreter Multiple Sklerose, Brüssel, Institute, Barts and The London School of Belgien Medicine and Dentistry, London, Großbritannien Professor Anthony Traboulsee Professor Eva Havrdová Medizinische Fakultät, Universität British Medizinische Fakultät – Neurologie, Karls- Columbia, Vancouver, British Columbia, Kanada Universität Prag, Tschechische Republik Professor Timothy Vollmer Medizinische Fakultät – Neurologie, Universität Colorado Denver, Aurora, Colorado, USA Danksagungen Der ausführliche Bericht, von dem dieses Dokument abgeleitet ist, wurde durch Fördermittel von F. Hoffmann-La Roche finanziert. Das Unternehmen hatte keinerlei Einfluss auf den Inhalt des Leitfadens. Die Aktivitäten und Begleitunterlagen von MS Brain Health wurden finanziert mit Mitteln von AbbVie, Actelion Pharmaceuticals, Celgene und Sanofi Genzyme sowie Bildungszuschüssen von Biogen, F. Hoffmann-La Roche, Merck KGaA und Novartis, die jeweils keinen inhaltlichen Einfluss hatten. Diese Publikation wurde unabhängig mit Unterstützung von Oxford PharmaGenesis Ltd verfasst und redaktionell bearbeitet. Die Autoren danken folgenden Personen für ihre Mitarbeit an dem Dokument in Form von Unterstützung und Beratung: Amy Bowen (MS Trust, Großbritannien), Linden Muirhead (MS Trust, Großbritannien), Dan Rattigan (MS Society, Großbritannien), Mitglieder des MS Advisory Council, Victoria, Australien, und denjenigen, die sich im Mai/Juni 2016 im Rahmen einer Online-Umfrage zu dem Thema äußerten. © 2016 Oxford PharmaGenesis Ltd. Brain health: a guide for people with multiple sclerosis (Gehirngesundheit: ein Leitfaden für Menschen mit Multipler Sklerose) ist lizenziert nach der Attribution- NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International Lizenz von Creative Commons, d. h. Namensnennung, Verwendung für nicht-kommerzielle Zwecke und Bearbeitung nicht erlaubt. Zur Ansicht dieser Lizenz siehe http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/. doi:10.21305/MSBH.002 12
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