GEMEINSAME BETREUUNG DES KINDES NACH DER SCHEIDUNG MIT BESONDEREM BLICK AUF DEN KINDESUNTERHALT

Die Seite wird erstellt Franz Reichert
 
WEITER LESEN
Eingereicht von

GEMEINSAME                              Simone Katzmayr

BETREUUNG DES
                                        Angefertigt am
                                        Institut für Umweltrecht

KINDES NACH DER
                                        Beurteiler / Beurteilerin
                                                    in     a    in
                                        Univ-Prof. Mag. Dr.
                                        Erika Wagner

SCHEIDUNG MIT                           Mai 2020

BESONDEREM BLICK
AUF DEN
KINDESUNTERHALT

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magistra der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        jku.at
                                        DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig
und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und
Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen
als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten
Textdokument identisch.

Ort, Datum

Unterschrift

19. Mai 2020                                                                      2/41
Abkürzungsverzeichnis

ABGB              allgemeines bürgerliches Gesetzbuch
Abs               Absatz
Art               Artikel
BGBl              Bundesgesetzblatt
Bsp               Beispiel
bspw              beispielsweise
B-VG              Bundesverfassungsgesetz
bzgl              bezüglich
bzw               beziehungsweise
DRM               Doppelresidenzmodell
E                 Entscheidung
EMRK              Europäische Menschenrechtskonvention
FaBo+             Familienbonus Plus
Gem               gemäß
idF               in der Fassung
iHv               in Höhe von
iVm               in Verbindung mit
KindNamRÄG 2013   Kindschafts-und Namensrechts-Änderungsgesetz
                  2013
KindRÄG 2001      Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001
mAn               meiner Ansicht nach
MMn               meiner Meinung nach
OGH               Oberster Gerichtshof
Rsp               Rechtsprechung
Sog               sogenannte
stRsp             ständige Rechtsprechung
Ua                unter anderem
Va                vor allem
VfGH              Verfassungsgerichtshof

19. Mai 2020                                                     3/41
Inhaltsverzeichnis

I.    Einleitung ............................................................................................................... 6
II.   Obsorge ................................................................................................................. 7
III. Doppelresidenz ...................................................................................................... 8
A.    Begriffsdefinition und Abgrenzung .......................................................................... 8
B.    Verbreitung des DRM ............................................................................................. 9
C.    DRM in der Rechtssystematik .............................................................................. 10
Die Entscheidung des VfGH (9.10.2015, G 152/2015-20) ........................................... 11
D.    Voraussetzungen des DRM.................................................................................. 15
E.    Internationale Verbreitung .................................................................................... 19
IV. Kindesunterhalt im Allgemeinen ........................................................................... 20
A.    §231 ABGB .......................................................................................................... 20
B.    Unterhaltsbedarf................................................................................................... 22
C.    Art der Unterhaltsgewährung................................................................................ 23
D.    Unterhaltsbemessungsgrundlage und Unterhaltshöhe ......................................... 24
V.    Betreuungsrechtliches Unterhaltsmodell der Rechtsprechung.............................. 24
A.    Drei Betreuungsmodelle ....................................................................................... 24
1.    Betreuung im üblichen Ausmaß ........................................................................... 25
2.    Betreuung im unüblichen Ausmaß........................................................................ 25
3.    Gleichteilige Betreuung, Betreuungsrechtliches Unterhaltsmodell ........................ 26
B.    Anwendungsvoraussetzungen für das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell .... 27
1.    Gleichwertige Betreuungsleistungen .................................................................... 27
2.    Gleich hohes Einkommen .................................................................................... 28
3.    Gleichwertige Naturalleistungen ........................................................................... 32
C.    Konsequenz des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells ................................. 33
D.    Kritik am betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell ................................................ 33
1.    Unzulässige Rechtsfortbildung? ........................................................................... 33
2.    Eklatantes „Umspringen“ von der Prozentabzugsmethode zum
      betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell?............................................................. 34
E.    Die Transferleistungen im betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell ..................... 35
1.    Familienbeihilfe .................................................................................................... 35
a)    OGH 1 Ob 158/15i ............................................................................................... 35
(1) Kritik Gitschthaler: ................................................................................................ 36
(2) Kritik Neuhauser:.................................................................................................. 36

19. Mai 2020                                                                                                                         4/41
(3) Kritik Tews: .......................................................................................................... 37
(4) Schwimann/Kolmasch .......................................................................................... 37
b)    4 Ob 8/19h ........................................................................................................... 37
(1) Kritik Gitschthaler ................................................................................................. 38
2.    Familienbonus Plus .............................................................................................. 39
VI. Schlussbemerkung ............................................................................................... 39
VII. Literaturverzeichnis .............................................................................................. 40

19. Mai 2020                                                                                                                      5/41
I. Einleitung

In der österreichischen Gesellschaft lässt sich in den letzten Jahren ein Wandel
hinsichtlich der Betreuung der Kinder während aufrechter Ehe und auch nach
der Scheidung erkennen.
Lange Zeit war es üblich, dass während der Ehe eine traditionelle
Rollenverteilung gelebt wurde, nach der es Aufgabe der Frau war, den Haushalt
zu erledigen und sich um die Kinder zu kümmern. Die Aufgabe des Mannes war
es hingegen die Familie finanziell abzusichern.
Da auch immer mehr Frauen nach einer beruflichen Karriere strebten und
dadurch nicht mehr die Kinderbetreuung alleine bewerkstelligen konnten, kam
es dazu, dass vielfach Eltern ihre Kinder gemeinsam betreuten, um eine
Gleichberechtigung von Mann und Frau im Berufsleben gewährleisten zu
können.
Nach der Scheidung war und ist es zum Teil auch immer noch üblich, dass der
Mutter die Obsorge für die Kinder zukam und der Vater zu Unterhaltszahlungen
verpflichtet wurde.
Doch durch den Umstand, dass viele Eltern während aufrechter Ehe die Kinder
gemeinsam betreuten, tendierten viele Eltern dazu, dies auch nach der
Scheidung      weiterhin   so   zu   praktizieren.   Dadurch   erlebte   das   sog
Doppelresidenzmodell (DRM) in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung
und wird als Betreuungsmodell immer beliebter.
Aufgrund nicht vorhandener gesetzlicher Grundlagen in der österreichischen
Rechtsordnung für das DRM, herrschte diesbezüglich lange Zeit große
Rechtsunsicherheit. Auch wenn es zu diesem Thema aktuell eine bereits
gefestigte Rechtsprechung gibt, wird der Ruf nach einer gesetzlichen Regelung
immer lauter, um die noch immer bestehenden Unklarheiten aus dem Weg zu
räumen.
Nicht nur als neuartiges Betreuungsmodell brachte das DRM Änderungen in der
Rechtsprechung, auch auf das Unterhaltsrecht hatte es weitreichende
Auswirkungen. Ging man zuvor bei Haushaltstrennung von einer Betreuung
durch den einen Elternteil und von der Geldunterhaltspflicht des anderen aus,
so wurden die Gerichte nun mit der Frage konfrontiert, ob es bei gleichteiliger
Betreuung nicht einer anderen Regelung bedürfe.

19. Mai 2020                                                                         6/41
Da dieses Betreuungsmodell in der gerichtlichen Praxis zu zahlreichen offenen
Fragen führte, möchte ich in meiner Diplomarbeit klären, unter welchen
Voraussetzungen eine gemeinsame Betreuung des Kindes nach der Scheidung
zulässig ist und welche Auswirkungen diese auf den Kindesunterhalt hat.
Zu Beginn meiner Diplomarbeit möchte ich die Obsorge in ihren Grundzügen
erläutern, da diese eine wichtige Grundlage für das nähere Verständnis des
DRM darstellt.
Nachfolgend erläutere ich den Begriff des DRM und grenze es zu anderen
Betreuungsmodellen ab. Dabei gehe ich auch auf die Stellung des DRM in der
österreichischen Rechtsordnung ein und beschäftige mich mit der Rsp des
VfGH. Desweiteren erörtere ich die Voraussetzungen des DRM und die
Verbreitung dieses Modells in anderen Ländern.
Darauf aufbauend behandle ich die Auswirkungen des DRM auf den
Kindesunterhalt, wobei ich zuvor die Grundlagen des Unterhaltsrechts
erläutere. Neben der diesbezüglichen Rsp setzte ich mich auch mit Kritiken und
Meinungen aus der Lehre auseinander.

II. Obsorge

Die Obsorge beinhaltet gem § 158 Abs 1 ABGB neben der Pflege und
Erziehung auch die Vermögensverwaltung und die gesetzliche Vertretung des
Kindes.
§ 177 ABGB gibt Aufschluss darüber, wer mit der Obsorge betraut ist. Gem Abs
1 sind beide Eltern mit der Obsorge betraut, wenn sie bereits bei Geburt des
Kindes verheiratet sind bzw ab dem Zeitpunkt der Eheschließung, wenn diese
erst nach der Geburt erfolgt.1
Bei Auflösung der Ehe oder der häuslichen Gemeinschaft bleibt gem § 179 Abs
1 ABGB die Obsorge beider Eltern aufrecht. Den Eltern steht es aber frei vor
Gericht zu vereinbaren, dass einer von ihnen allein mit der Obsorge betraut
sein soll. Soll jedoch die Obsorge beider auch weiterhin aufrecht bleiben, so
muss gem § 179 Abs 2 ABGB vor Gericht vereinbart werden, in welchem

1
 Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe und Lebensgemeinschaft rechtliche Folgen der
Ehescheidung und Auflösung einer Lebensgemeinschaft (2019) 196ff.

19. Mai 2020                                                                     7/41
Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Der Elternteil, der das Kind
hauptsächlich betreut wird als Domizilelternteil bezeichnet. Man spricht hierbei
auch vom sog Heim erster Ordnung.2
Treffen die Eltern keine Vereinbarung, so hat das Gericht nach § 180 ABGB
über die Obsorge zu entscheiden. Zuerst hat das Gericht nach Abs 1 eine
vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung zu treffen, man spricht hier
auch von der Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung. In dieser Phase
wird ein Elternteil für einen Zeitraum von sechs Monaten mit der Obsorge
betraut,       dem   anderen   Elternteil   wird   ein   ausreichendes      Kontaktrecht
eingeräumt.
Erst im Anschluss an diese Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung ist
vom Gericht endgültig über die Obsorge zu entscheiden. Für den Fall, dass
beide Eltern mit der Obsorge betraut werden, muss festgelegt werden, in
wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird.3
Diese Verpflichtung der Festlegung des hauptsächlichen Betreuungsortes, sei
es durch eine Vereinbarung der Eltern selbst oder durch Festlegung des
Gerichtes, stellt eines der zentralen Probleme in Bezug auf die Zulässigkeit des
sog DRM dar.

III. Doppelresidenz

A. Begriffsdefinition und Abgrenzung

Für den Begriff DRM gibt es keine Legaldefinition, jedoch haben sich diverse
Definitionen in der Literatur entwickelt, die im Kern dasselbe aussagen. Unter
DRM ist demnach zu verstehen, dass die Kinder nach der Scheidung oder
Auflösung der häuslichen Gemeinschaft von beiden Elternteilen gleichermaßen
betreut werden.4 Dies ist unabhängig von der Obsorge zu sehen, es ist somit
grundsätzlich irrelevant ob alleinige oder gemeinsame Obsorge besteht.5

2
  Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe und Lebensgemeinschaft rechtliche Folgen der
Ehescheidung und Auflösung einer Lebensgemeinschaft (2019) 196ff.
3
  Hinteregger, Familienrecht (2017) 234f.
4
  Schoditsch, Grundfragen des Doppelresidenz-Modells, ÖJZ 2019 H 18, 801 (801).
5
  Gitschthaler, Unterhaltsrecht (2015) RZ 88

19. Mai 2020                                                                               8/41
Das DRM wird teilweise in der Literatur auch als Wechselmodell bezeichnet,
dies wegen des Wechsels zwischen den beiden Wohnstätten der Eltern, in
denen das Kind abwechselnd lebt. Aber auch Begriffe wie Pendelmodell,
Paritätsmodell oder Wandelmodell kommen vor. In Österreich hat sich aber die
Bezeichnung als DRM etabliert.6
Abzugrenzen ist das DRM einerseits vom Residenzmodell und andererseits
vom Nestmodell.
Beim Residenzmodell wird das Kind von einem Elternteil allein betreut, dem
anderen Elternteil steht ein Kontaktrecht nach § 187 Abs 1 ABGB zu. Das
Residenzmodell ist das Standardmodell, das auch vom österreichischen
Gesetzgeber vorgesehen ist.7
Das Nestmodell unterscheidet sich vom DRM insofern, als die Betreuungsorte
nicht wechseln, sondern das Kind einen festen Wohnsitz hat in dem es
abwechselnd von einem Elternteil betreut wird, während der andere abwesend
ist. Hierbei handelt es sich um eine Sonderform des DRM, da auch hier eine
gemeinsame Betreuung praktiziert wird.8
Auch wenn sich das Residenzmodell auf den ersten Blick scheinbar leicht vom
DRM abgrenzen lässt, ergeben sich hier in der Praxis doch häufig
Schwierigkeiten. So ist es nicht immer sofort klar, ob bloß extensiver Kontakt im
Rahmen des Kontaktrechts ausgeübt wird und somit das Residenzmodell
einschlägig ist, oder ob darüber hinaus bereits schon gleichwertige Betreuung
vorliegt und daher das DRM anzuwenden ist.

B. Verbreitung des DRM

In den letzten Jahren wuchs das Interesse getrennt lebender Familien an dem
DRM.
Ausschlaggebend für die Beliebtheit dieses Modells sind va die positiven
Effekte der gemeinsamen Betreuung für die Beteiligten (Vater, Mutter, Kind).
Nachfolgend wird davon ausgegangen, dass, wie es im Rahmen des

6
  Raunigg/Willmann, Doppelresidenz: Wechselmodell - Paritätsmodell - Pendelmodell -
Wandelmodell, EF-Z 2010 H 6, 245 (245).
7
  Schoditsch, Grundfragen des Doppelresidenz-Modells, ÖJZ 2019 H 18, 801 (801).
8
  Sünderhauf, Wechselmodell (2013) 57.

19. Mai 2020                                                                          9/41
Residenzmodelles häufig vorkommt, die Mutter das Kind betreut und der Vater
lediglich sein Kontaktrecht ausübt. Selbstverständlich ist dies auch umgekehrt
möglich, der Einfachheit halber jedoch auf diese Konstellation bezogen:
         Väter können durch das DRM im Leben des Kindes präsenter sein als
          bei   bloßer    Ausübung        des    Kontaktrechts   im   Rahmen     des
          Residenzmodelles. Es wird somit eine stärke Bindung zwischen Vater
          und Kind gewährleistet.9
         Mütter werden aufgrund der Mitbetreuung durch den Vater entlastet.
          Mütter,   die   ihr   Kind   alleine    betreuen   schränken   meist   ihre
          Erwerbstätigkeit ein, um der Betreuung des Kindes angemessen
          nachgehen zu können. Durch das DRM wird es für die Mutter erleichtert
          ihre Erwerbstätigkeit wie gewohnt auszuüben.10
         Kinder fühlen sich oftmals durch die Scheidung verpflichtet sich für einen
          Elternteil zu entscheiden. Das DRM ermöglicht es dem Kind mit beiden
          Elternteilen annähernd gleich viel Zeit zu verbringen.11

C. DRM in der Rechtssystematik

In der österreichischen Rechtsordnung findet sich keine Regelung in Bezug auf
das DRM, obwohl es in den letzten Jahren häufig praktiziert wurde.
Dadurch, dass das DRM gesetzlich nicht vorgesehen ist, stellt sich die Frage,
ob ein solches Modell zulässig ist bzw ob es mit jenen Regelungen des ABGB,
welche die Festlegung eines hauptsächlichen Betreuungsortes nach der
Scheidung bzw Auflösung der häuslichen Gemeinschaft vorsehen                      zu
vereinbaren ist. Denn hat man das Modell der Doppelresidenz vor Augen, bei
dem beide Eltern das Kind betreuen, und somit keine hauptsächliche Betreuung
durch einen Elternteil gegeben ist, stellt sich die Frage, wie sich dies auf die
Verpflichtung der Festlegung eines hauptsächlichen Betreuungsortes nach den
§§ 179 Abs 2 und 180 Abs 2 ABGB auswirkt.
Aufschluss darüber gibt die Entscheidung des VfGH G 152/2015-20.

9
  Sünderhauf, Wechselmodell (2013) 30.
10
   Sünderhauf, Wechselmodell (2013) 30.
11
  Sünderhauf, Wechselmodell (2013) 30.

19. Mai 2020                                                                            10/41
Die Entscheidung des VfGH (9.10.2015, G 152/2015-20)

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat einen Antrag auf Aufhebung
der folgenden Bestimmungen beim VfGH gestellt12:
         § 177 Abs 4 erster Satz ABGB idF BGBl I 15/2013: «Sind beide
          Elternteile mit der Obsorge betraut und leben sie nicht in häuslicher
          Gemeinschaft, so haben sie festzulegen, bei welchem Elternteil sich das
          Kind hauptsächlich aufhalten soll.»13,
         § 179 Abs 2 ABGB idF BGBl I 15/2013: «Im Fall einer Obsorge beider
          Eltern nach Auflösung der Ehe oder der häuslichen Gemeinschaft haben
          diese vor Gericht eine Vereinbarung darüber zu schließen, in wessen
          Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. »14 und
         § 180 Abs 2 letzter Satz ABGB idF BGBl I 15/2013: «Wenn das Gericht
          beide Eltern mit der Obsorge betraut, hat es auch festzulegen, in wessen
          Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. »15

Begründet wurde dieser Antrag damit, dass durch die Festlegung des
hauptsächlichen Betreuungsortes eine Privilegierung eines Elternteiles erfolge
und dies das Recht auf Achtung des Familienlebens gem Art 8 EMRK, das
Diskriminierungsverbot gem Art 14 EMRK, das Gleichbehandlungsgebot gem
Art 7 B-VG und auch das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von
Kindern (BGBl. I 4/2011) verletze. Der VfGH wurde dadurch vor die Frage
gestellt,      ob   die   Verpflichtung   der   Festlegung    des   hauptsächlichen
Betreuungsortes überhaupt verfassungskonform ist.16
Der VfGH stellte daraufhin fest, dass der Antrag zwar zulässig, aber
unbegründet ist.17
Denn die Bestimmungen bilden zwar einen Eingriff in das Recht auf Achtung
des Familienlebens nach Art 8 EMRK, doch stellt hierbei die Sicherstellung des
Kindeswohles ein legitimes Ziel des Gesetzgebers dar. Die Festlegung eines
hauptsächlichen Betreuungsortes dient insofern dem Kindeswohl, als dem Kind

12
   VfGH 09.10.2015, G 152/2015.
13
   §177 Abs 4 ABGB
14
   §179 Abs 2 ABGB
15
   §180 Abs 2 ABGB
16
   VfGH 09.10.2015, G 152/2015.
17
   VfGH 09.10.2015, G 152/2015.

19. Mai 2020                                                                          11/41
dadurch eine gewisse Klarheit und Sicherheit gewährt wird. Auch wenn dieser
Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens ein legitimes Ziel verfolgt,
müsse er darüber hinaus auch verhältnismäßig sein. Die Verhältnismäßigkeit
wäre laut VfGH jedenfalls nicht gegeben, wenn die Verpflichtung zur Festlegung
eines hauptsächlichen Betreuungsortes eine gleichteilige Betreuung gänzlich
ausschließen würde, da es sehr wohl auch Fälle gibt, in denen dem Kindeswohl
nur durch eine gleichteilige Betreuung entsprochen werden kann.18
Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch keine Stellungnahme des OGH zu
diesem Thema gab, setzte sich bereits die Literatur damit auseinander.19
Kathrein20 hielt eine gleichteilige Betreuung nicht durch das Gesetz als
ausgeschlossen, sondern erachtete es vielmehr als zulässig, die Festlegung
des hauptsächlichen Betreuungsortes als bloß nominelle Verpflichtung
anzusehen. Dies jedoch nur in solchen Fällen, in denen eine gleichteilige
Betreuung dem Kindeswohl besser entspricht.
Dieser Ansicht folgte auch der VfGH und legte die Bestimmungen im Einklang
mit Art 8 EMRK daher so aus, dass die Festlegung eines hauptsächlichen
Betreuungsortes eine gleichteilige Betreuung nicht ausschließt, sofern es dem
Kindeswohl entspricht. Die Verpflichtung zur Festlegung eines hauptsächlichen
Betreuungsortes wird vielmehr so verstanden, dass sie zur Anknüpfung für
diverse        andere   Rechtsfolgen,    darunter     ua    zur    Bestimmung        des
Hauptwohnsitzes, erforderlich ist.21
Angesichts dessen beurteilt der VfGH den Eingriff in das Recht auf Achtung des
Familienlebens als verhältnismäßig, somit liegt nach seinem Verständnis auch
kein Verstoß gegen Art 8 EMRK vor. Aus denselben Gründen ergibt sich, dass
die angeführten Bestimmungen des ABGB auch nicht gegen Art 1 BVG über die
Rechte von Kindern, den Gleichheitsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot
des Art 14 EMRK verstoßen, somit verfassungskonform sind.22
Es besteht somit auch nach diesem Erkenntnis die Pflicht bei gleichteiliger
Betreuung einen hauptsächlichen Betreuungsort festzulegen. Damit erklärt der

18
   VfGH 09.10.2015, G 152/2015.
19
   VfGH 09.10.2015, G 152/2015.
20
   Kathrein, Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 (FN, ÖJZ 2013 H 5, 197
(204).
21
   VfGH 09.10.2015, G 152/2015.
22
   VfGH 09.10.2015, G 152/2015.

19. Mai 2020                                                                               12/41
VfGH die gleichteilige Betreuung und somit das DRM für zulässig, falls dies
dem Kindeswohl am besten entspricht.23

Dieses Erkenntnis fand in Literaturkreisen aber nicht nur Anklang sondern
erweckte       auch    Kritiker. So    hatte   Khakzadeh-Leiler24 mMn            zu   Recht
festgehalten, dass aus einer wörtlichen und systematischen Interpretation der
betreffenden Bestimmungen hervorgeht, dass der Gesetzgeber hier gerade
kein DRM vorgesehen hat.
Darüber hinaus sprechen auch die Materialien zum KindRÄG 2001 dafür, dass
sich der Gesetzgeber bewusst gegen eine Regelung des DRM entschieden hat.
In diesen Materialien legte er das Residenzmodell mit dem Grundsatz des
Heimes erster Ordnung fest, ohne das DRM als Ausnahmefall anzuführen.25
Auch im KindNamRÄG 2013 wurde an dieser Ansicht nichts geändert, womit
sich auch hier der Gesetzgeber neuerlich indirekt gegen die Einführung eines
DRM aussprach.
Khakzadeh-Leiler26 kritisiert nicht die Zulässigkeit des DRM als solche, sondern
vielmehr den Lösungsweg, den der VfGH gewählt hat. Ihrer Ansicht nach hätte
der VfGH vielmehr die betreffenden Bestimmungen aufheben müssen.
Zu Recht weist Schoditsch27 in Bezug auf das rezente Erkenntnis auch auf ein
verfassungsrechtliches Problem hin: Der VfGH wurde durch das B-VG als
negativer Gesetzgeber konzipiert, mit der Kompetenz verfassungswidrige
Gesetze aufzuheben. Im Erkenntnis hebe der VfGH nach Ansicht Schoditschs
allerdings nicht ein verfassungswidriges Gesetz auf, vielmehr erzeuge er selbst
eine neue Regelung. Die Erzeugung von Gesetzen ist aber nicht dem VfGH
oder       sonstigen    Gerichten     vorbehalten,     sondern      ausschließlich      dem
Gesetzgeber, dem Parlament.
Letztlich habe aber der VfGH und OGH das DRM eigenhändig eingeführt und
somit Recht geschaffen. Hierbei könne nicht mehr von einem negativen
Gesetzgeber gesprochen werden. Vielmehr übernehme der VfGH und OGH

23
   VfGH 09.10.2015, G 152/2015.
24
   Khakzadeh-Leiler, Doppelresidenz eines Kindes kann zulässig sein, EF-Z 2016 H 1, 35 (38).
25
   Khakzadeh-Leiler, Doppelresidenz eines Kindes kann zulässig sein, EF-Z 2016 H 1, 35 (38).
26
   Khakzadeh-Leiler, Doppelresidenz eines Kindes kann zulässig sein, EF-Z 2016 H 1, 35 (38).
27
   Schoditsch, Grundfragen des Doppelresidenz-Modells, ÖJZ 2019 H 18, 801 (803).

19. Mai 2020                                                                                   13/41
hier die Rolle des Gesetzgebers: »Sie werden zu neuen Gesetzgebern im
Familienrecht«.28
Kritik gab es auch zu dem vom VfGH angewandten Prüfungsmaßstab, denn im
Erkenntnis führte der VfGH aus, dass die gleichteilige Betreuung von den Eltern
vereinbart oder vom Gericht festgelegt werden kann, wenn „dies aus der Sicht
des Gerichtes dem Kindeswohl am besten entspricht“29. Grundsätzlich ist in
§ 190 Abs 2 ABGB aber folgender Prüfungsmaßstab vorgegeben:
        §190 (1) Die Eltern haben bei Vereinbarungen über die Obsorge, die
        persönlichen Kontakte sowie die Betreuung des Kindes das Wohl des
        Kindes bestmöglich zu wahren.
        Abs (2) Die Bestimmung der Obsorge (§ 177 Abs. 2) und vor Gericht
        geschlossene Vereinbarungen nach Abs. 1 bedürfen zu ihrer
        Rechtswirksamkeit keiner gerichtlichen Genehmigung. Das Gericht hat die
        Bestimmung der Obsorge und Vereinbarungen der Eltern aber für
        unwirksam zu erklären und zugleich eine davon abweichende Anordnung
        zu treffen, wenn ansonsten das Kindeswohl gefährdet wäre.

Hiernach ist eine derartige Vereinbarung vom Gericht nur bei sonstiger
Gefährdung des Kindeswohls für unwirksam zu erklären. Beck30 sieht es nicht
bereits dann als zulässig eine von der Vereinbarung abweichende Anordnung
zu treffen, wenn diese für das Kindeswohl besser wäre, sondern eben erst –
wie in § 190 Abs 2 ABGB vorgesehen – wenn sonst das Kindeswohl gefährdet
wäre.
In diesem Erkenntnis wandte der VfGH einen neuartigen Prüfungsmaßstab an,
in dem das Gericht zu prüfen hat, ob die Vereinbarung der Doppelresidenz
durch die Eltern im konkreten Fall dem Kindeswohl am besten entspricht.
Dieses Vorgehen widerspricht jedoch dem Wortlaut des § 190 Abs 2 ABGB.31

MMn ist das Erkenntnis des VfGH nicht mit den Vorstellungen des
Gesetzgebers       in   Einklang     zu    bringen.     Es    sei   dahingestellt,     dass
Interpretationen immer einen gewissen Spielraum eröffnen, um den Inhalt
entsprechender Bestimmungen zu erweitern oder klarer abzugrenzen, jedoch
hat diese Interpretation durch den VfGH nach meinem Empfinden nichts mehr
mit einer Interpretation im herkömmlichen Sinne gemein. Vielmehr wird dadurch

28
   Schoditsch, Grundfragen des Doppelresidenz-Modells, ÖJZ 2019 H 18, 801 (803).
29
   VfGH 09.10.2015, G 152/2015.
30
   Beck, Doppelresidenz: Der Vorhang zu und alle Fragen offen?, iFamZ 2015 H 6, 264 (267).
31
   Beck, Doppelresidenz: Der Vorhang zu und alle Fragen offen?, iFamZ 2015 H 6, 264 (267f).

19. Mai 2020                                                                                  14/41
genau das ermöglicht, was der Gesetzgeber bewusst nicht geregelt hat. Denn
wie bereits oben angeführt, zeigen die Materialien zum KindRÄG2001, dass
das DRM zwar angedacht wurde, aber dennoch nur das Residenzmodell
gesetzlich verankert wurde. Es liegt hier mAn auch keine planwidrige Lücke vor,
die geschlossen werden müsste. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber bewusst
gegen das DRM entschieden.
Die Konsequenz dieses Erkenntnisses ist mMn, dass die konkreten
gesetzlichen Normen ihren „Wert“ verlieren. Obwohl das DRM im Gesetz nicht
geregelt ist, wird es dennoch von den Gerichten als zulässig erachtet, somit
scheint beinahe gleichgültig zu sein, was das Gesetz vorsieht. Das ist für mich
nicht      mit   dem    Verständnis     eines   funktionierenden      Rechtssystems   zu
vereinbaren.

Der VfGH leitet durch dieses Erkenntnis eine richterliche Rechtsfortbildung ein,
die der OGH fortführt.
Es besteht keine Bindung der Gerichte an eine verfassungskonforme
Normauslegung des VfGH. Dennoch schloss sich der OGH dem VfGH an und
betonte in seinen Entscheidungen die Zulässigkeit des DRM aufgrund einer
verfassungskonformen Interpretation der §§177 ff ABGB. Der OGH erachtete
wie der VfGH die Festlegung des hauptsächlichen Betreuungsortes zumindest
als nominellen Anknüpfungspunkt weiterhin bei gleichteiliger Betreuung für
notwendig. Er verpflichtete in weiterer Folge die Gerichte zur Einhaltung einer
speziellen Spruchformel. In der E 9 Ob 82/16y ordnete er explizit an, dass
Hinweise auf die mit der nominellen Anknüpfung verbundenen Rechte in den
Spruch aufzunehmen sind.32

D. Voraussetzungen des DRM

Nicht nur Richter wurden in den vergangenen Jahren immer häufiger mit dem
Thema Doppelresidenz konfrontiert, auch psychologische Sachverständige
waren dazu angehalten, sich mit diesem Modell näher auseinanderzusetzen.

32
     Schoditsch, Grundfragen des Doppelresidenz-Modells, ÖJZ 2019 H 18, 801 (802).

19. Mai 2020                                                                               15/41
Folgende Kriterien für eine gutachterliche Empfehlung der Doppelresidenz
wurden dabei ausgearbeitet:
                  räumliche Voraussetzungen,
                  elterliche Erziehungsfähigkeit,
                  elterliche Kooperation und elterliches Konfliktverhalten,
                  Eltern-Kind- Beziehungen,
                  Alter und Entwicklungsstand des Kindes
                  Wille des Kindes33

Eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass sich das DRM in der Praxis
umsetzen lässt ist eine zumutbare Entfernung zwischen den beiden
Wohnstätten der Eltern. Nur wenn die räumliche Distanz einen häufigen
Wohnortwechsel des Kindes ohne besondere Erschwernisse zulässt bietet sich
die Möglichkeit eines DRM überhaupt erst an.34 Ob es sich um eine zumutbare
Entfernung handelt, ist immer im Einzelfall zu entscheiden, festgeschriebene
Distanzen wären hierbei nicht zielführend.
Beim Kriterium der elterlichen Erziehungsfähigkeit ist erheblich, ob beide
Elternteile dem Kind eine angemessene Erziehung und einen dem Kindeswohl
entsprechenden Alltag gewährleisten können.35
Wesentlich ist auch die Kooperationsfähigkeit der Eltern. Es ist insb erforderlich,
dass die Eltern dazu in der Lage sind sich relevante Informationen über das
Kind gegenseitig mitzuteilen. Ebenso müssen beide Elternteile fähig sein nicht
die Entscheidungen des anderen im täglichen Leben anzuzweifeln und zu
bekämpfen. Insb fortwirkende Entscheidungen wie bspw die Anmeldung zu
einem Sportkurs sollten vom anderen Elternteil respektiert werden, damit das
Kind die Möglichkeit hat, den Kurs auch dann zu besuchen, wenn es sich beim
anderen Elternteil aufhält.36
Beim Kriterium der Eltern-Kind- Beziehung ist die Zeit vor der Scheidung oder
Auflösung der häuslichen Gemeinschaft ausschlaggebend. Es geht hierbei

33
   Khalili-Langer, Doppelresidenz und psychologische Begutachtung, iFamZ 2017 H 5, 356
(356).
34
   Khalili-Langer, Doppelresidenz und psychologische Begutachtung, iFamZ 2017 H 5, 356
(356).
35
   Khalili-Langer, Doppelresidenz und psychologische Begutachtung, iFamZ 2017 H 5, 356
(356).
36
   Khalili-Langer, Doppelresidenz und psychologische Begutachtung, iFamZ 2017 H 5, 356
(356f).

19. Mai 2020                                                                             16/41
darum, dass sich die Betreuungssituationen durch die Eltern vor und nach der
Scheidung ähneln sollten, um eine „Betreuungskontinuität“ zu wahren. Nur,
wenn auch vor der Scheidung zu beiden Elternteilen eine intensive Beziehung
bestand, und beide eine wichtige Ansprechperson für das Kind darstellten, soll
dies auch nach der Scheidung erhalten bleiben, und dies durch eine
Doppelresidenzregelung ermöglicht werden. Andernfalls ist von einer derartigen
Regelung abzuraten, da dies dazu führen würde, dass das Kind mit jenem
Elternteil, zu dem vor der Scheidung kaum eine intensive emotionale Bindung
bestand, nun mehr Zeit verbringen müsste und dafür weniger Kontakt zu ihrer
eigentlichen emotionalen Ansprechperson hätte. Dies ist vor allem dann der
Fall, wenn der eine Elternteil die meiste Zeit gearbeitet hat und kaum zu Hause
war, während der andere Elternteil fast gänzlich das Kind allein betreut hat und
dadurch zu diesem eine engere Bindung besteht. Insgesamt ist es also von
Bedeutung, dass die familiären Strukturen nach der Scheidung so gut wie
möglich jenen vor Auflösung des gemeinsamen Haushalts entsprechen. 37
Ausschlaggebend für das Funktionieren des DRM ist auch das Alter bzw der
Entwicklungsstand des Kindes. Auch wenn es keine generelle Altersgrenze
gibt, bei der man davon ausgehen kann, dass das Praktizieren der
Doppelresidenz      problemlos       möglich   ist,   wird   zumeist    im   Kreise      der
Entwicklungspsychologen das vierte bzw fünfte Lebensjahr des Kindes als
Untergrenze angesehen.38
Wie auch überall sonst im Kindschaftsrecht steht auch hier der Wille des Kindes
an oberster Stelle. Nur wenn das DRM dem Kindeswillen entspricht wird es
auch erfolgreich sein. Auch dieses Kriterium hängt stark vom Alter des Kindes
ab, denn je älter es ist, desto eindeutiger kann es seine Meinung dazu
äußern.39
MMn ist jedenfalls neben einer geringen räumlichen Distanz va eine
ausreichende      Kooperationsfähigkeit        der    Schlüssel     zum      Erfolg      des
Doppelresidenzmodelles.         Im     Gegensatz      zur    bloßen     Ausübung         des
Kontaktrechts durch den Geldunterhaltspflichtigen im Residenzmodell, bei dem
37
   Khalili-Langer, Doppelresidenz und psychologische Begutachtung, iFamZ 2017 H 5, 356
(357).
38
   Khalili-Langer, Doppelresidenz und psychologische Begutachtung, iFamZ 2017 H 5, 356
(357).
39
   Khalili-Langer, Doppelresidenz und psychologische Begutachtung, iFamZ 2017 H 5, 356
(357f).

19. Mai 2020                                                                                   17/41
durch die fixen Besuchszeiten kaum zusätzlicher Kommunikationsbedarf
zwischen den beiden Elternteilen besteht, ist es beim DRM häufig notwendig,
zusätzlich Kontakt zum anderen Elternteil aufzunehmen. Va um diverse
Alltagsentscheidungen adäquat regeln zu können, da es zu vermeiden gilt,
ständig das Kind als Boten einzusetzen. Nur wenn die Eltern ein gutes
Verhältnis zueinander haben, wird eine nahezu reibungslose Umsetzung
möglich sein.

Liegen die Voraussetzungen für die Ausübung des DRM vor, so können sich
durch diese Betreuungsform zahlreiche Vorteile ergeben, ua:
         »Intensive Emotionale Bindung der Kinder an beide Eltern
         Bessere psychische Entwicklung der Kinder
         Bessere soziale Situation der Kinder und Schulsituation
         Gleichmäßiger Kontakt zu beiden Eltern (infolge dessen auch besserer
          Kontakt zu Großeltern u.a. Verwandten)
         Zwei gleichwertige Zuhause (Lebensmittelpunkte)
         Bessere physische Gesundheit bei Eltern und Kindern
         Deeskalation zwischen den Eltern im Trennungskonflikt und Vermeidung
          oder Beendigung eines gerichtlichen Sorgerechtsstreits
         Vermeidung/ Reduktion von Loyalitätskonflikten des Kindes
         Verbesserung der Beziehung zw. den Eltern (Co-Parenting)
         Teilhabe der Kinder an den Ressourcen beider Eltern
         Reduktion der Doppelbelastung (Arbeit + Kinderbetreuung) durch
          Verteilung der Belastungen auf beide Eltern
         Ökonomische Besserstellung der Kinder durch Teilhabe an finanziellen
          Ressourcen beider Eltern und Erwerbsmöglichkeit beider Eltern
         Gleichberechtigte Geschlechterrollen als Vorbild
         Erlernen von Mobilität und Selbstorganisation der Kinder
         Zufriedenheit mit dem Betreuungsmodell und der familiären Situation bei
          Müttern, Vätern und Kindern«40

40
     Sünderhauf, Wechselmodell (2013) 599.

19. Mai 2020                                                                        18/41
Trotz dieser Vorteile können sich durch das DRM aber auch Nachteile ergeben,
so bspw:
              »Einschränkung der Elternmobilität (erforderliche Wohnortnähe)
              Organisatorischer Mehraufwand, um in zwei Wohnungen zuhause zu
               sein (Wohnungsausstattung und Gepäck)
              Verlust von Unterhaltsansprüchen (Betreuungs- u. Kindesunterhalt)«41

E. Internationale Verbreitung

Der Bedarf einer gesetzlichen Regelung des DRM in Österreich ist zweifelsfrei
gegeben, dies nicht nur aufgrund der stetig steigenden Beliebtheit dieses
Modells in der Gesellschaft, sondern auch um die Rechtssicherheit zu wahren.
Bereits im Oktober 2015 verabschiedete die parlamentarische Versammlung
des Europarates einstimmig die Resolution 2079, in der die Mitgliedstaaten
dazu aufgefordert werden, das DRM in ihre Gesetze aufzunehmen. In dieser
Resolution wird überdies gefordert, dass das DRM das Regelmodell nach der
Scheidung darstellen soll und nur bei gravierenden Fällen Ausnahmen vom
Grundsatz des DRM zur Anwendung kommen sollen, dies bspw bei
Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung.
Diese Resolution begründet aber keine Verbindlichkeit zur Umsetzung, sie stellt
bloß einen politischen Beschluss dar.42

41
  Sünderhauf, Wechselmodell (2013) 600.
42
  Deutscher Bundestag, Fragen zum Wechselmodell,12.
(27.11.2019)

19. Mai 2020                                                                           19/41
Nachstehend ein Überblick über die internationale Verbreitung des DRM:
                     Staat                           Regelung zum DRM
          Schweden                        Gesetzlicher Regelfall
          Norwegen                        Gesetzlicher Regelfall
          Belgien                         Gesetzlicher Regelfall
          Frankreich                      Gesetzliche Alternative
          Deutschland                     Nicht gesetzlich verankert
          Italien                         Gesetzlicher    Regelfall     soweit    das
                                          Kindeswohl dem nicht entgegensteht
43
     Tabelle 1: Internationale Verbreitung

IV. Kindesunterhalt im Allgemeinen

A. §231 ABGB

Rechtsgrundlage für den Kindesunterhalt ist § 231 ABGB.
         § 231. (1) Die Eltern haben zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen
         angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner
         Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach
         ihren Kräften anteilig beizutragen.
         (2) Der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, leistet
         dadurch seinen Beitrag. Darüber hinaus hat er zum Unterhalt des Kindes
         beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der
         Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist oder mehr leisten müsste, als es
         seinen eigenen Lebensverhältnissen angemessen wäre.
         (3) Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich insoweit, als das Kind eigene
         Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse
         selbsterhaltungsfähig ist.

Voraussetzung          für   den    Unterhaltsanspruch         des    Kindes     gegen     den
Geldunterhaltspflichtigen           ist      neben       der     zumindest         teilweisen
Einkommenslosigkeit des Kindes, dass es noch nicht selbsterhaltungsfähig
ist.44

43
   Deutscher Bundestag, Fragen zum Wechselmodell,13f
(27.11.2019).
44
   Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht (2019) 111.

19. Mai 2020                                                                                     20/41
Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem Kind beginnt bereits ab Geburt
des unterhaltsberechtigten Kindes und endet             spätestens mit dem Tod des
Kindes,        beziehungsweise       schon          früher   bei   Erreichen     der
Selbsterhaltungsfähigkeit.45
Die Selbsterhaltungsfähigkeit wird grundsätzlich dann angenommen, wenn das
Kind die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder
zu erwerben imstande ist, es also in der Lage ist, seine gesamten
Lebensbedürfnisse angemessen aus eigenem Einkommen zu decken. 46 Der
Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit ist unabhängig vom Alter des Kindes.47
Nach § 231 Abs 1 steht nicht selbsterhaltungsfähigen Kindern ein Anspruch auf
angemessenen Unterhalt zu. Die Elternteile haben zur Deckung dieses
angemessenen Unterhalts anteilig beizutragen. 48
§ 231 Abs 2 ABGB besagt, dass jener Elternteil, der das Kind im Haushalt
betreut, bereits dadurch seinen Beitrag leistet. Die Betreuung des Kindes im
eigenen        Haushalt   wird   somit     vom       Gesetzgeber   als   vollwertiger
Unterhaltsbeitrag angesehen und einer Geldunterhaltsleistung gleichgestellt. 49
Die Haushaltstrennung der Eltern führe somit in dem Regelfall, den der
Gesetzgeber vor Augen hatte, dazu, dass sich zwei verschiedene Aufgaben
ergeben. Zum einen eine persönliche Betreuung, die jener Elternteil übernimmt,
der mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, und zum anderen die
Finanzierung der Aufwendungen die durch die persönliche Betreuung entstehen
durch den anderen Elternteil.50
In den Ausnahmefällen des § 231 Abs 2 Satz 2 ABGB ist der betreuende
Elternteil darüber hinaus auch noch zu Geldunterhalt verpflichtet.

45
   Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht (2019)112.
46
   OGH 12.01.1993, 4 Ob 502/93.
47
   Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht (2019)183.
48
   Schwimman/Kolmasch, Unterhaltsrecht (2019)111.
49
   Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht (2019)117.
50
   OGH 29.01.2002, 1Ob305/01m.

19. Mai 2020                                                                            21/41
B. Unterhaltsbedarf

Ausschlaggebend für das Ausmaß des Unterhaltsanspruches sind zum einen
die Leistungsfähigkeit der Unterhaltspflichtigen und zum anderen der Bedarf
des Kindes.
Durch den Unterhalt soll grundsätzlich der gesamte Lebensbedarf des Kindes
gedeckt werden. Welche konkreten Lebensbedürfnisse ein Kind hat, hängt va
vom Alter ab. Unterschieden wird hierbei zwischen Regel- und Sonderbedarf.51
Regelbedarf ist jener Bedarf, «den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in
Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern
an Nahrung, Kleidung, Wohnung und zur Bestreitung der weiteren Bedürfnisse,
wie etwa kulturelle und sportliche Betätigung, sonstige Freizeitgestaltung und
Urlaub hat.»52
Sonderbedarf       hingegen     ist    gekennzeichnet     durch    Außergewöhnlichkeit,
Dringlichkeit und Individualität. Dazu zählen ua besondere Ausbildungskosten
und medizinische Sonderkosten.53
Entscheidend für den Bedarf ist die Angemessenheit, der Bedarf muss hierbei
nicht nur in Hinblick auf die Lebensverhältnisse der Eltern angemessen sein,
sondern         auch      den         Anlagen,      Fähigkeiten,     Neigungen        und
Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes entsprechen.54
Jährlich werden mit 1. Juli für ein Jahr die Regelbedarfssätze festgeschrieben,
nachfolgend die aktuellen Bedarfssätze gültig von 01.07.2019 bis 30.06.2020:
                        Alter                             Betrag in €
          00-03 Jahre                            212,00
          03-06 Jahre                            272,00
          06-10 Jahre                            350,00
          10-15 Jahre                            399,00
          15-19 Jahre                            471,00
          19-28 Jahre                            590,00
55
     Tabelle 2: Regelbedarfssätze

51
   Limberg in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 231 RZ 2 und 3 (Version 1.06 Stand 1.10.2018).
52
   Gitschthaler, Unterhaltsrecht (2015) RZ 571.
53
   Limberg in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 231 RZ 7 (Version 1.06 Stand 1.10.2018).
54
   Limberg in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 231 RZ 5 (Version 1.06 Stand 1.10.2018).
55
    (27.11.2019).

19. Mai 2020                                                                                22/41
Beim Regelbedarf wird rein auf den Bedarf eines durchschnittlichen Kindes
einer bestimmten Altersgruppe abgestellt, die Leistungsfähigkeit der Eltern
hingegen wird außer Acht gelassen.56
Die Regelbedarfssätze sind für die Unterhaltsbemessung nicht von allzu großer
Bedeutung, sie sind eher als Kontrollgröße zu verstehen. Vielmehr wird die
Prozentwertmethode (hierzu siehe IV.D.) herangezogen.57

C. Art der Unterhaltsgewährung

Während aufrechter Ehe bzw häuslicher Gemeinschaft ist der Kindesunterhalt
grundsätzlich in Natura zu gewähren. Durch den Naturalunterhalt werden die
Bedürfnisse des Kindes unmittelbar durch Sach-oder Dienstleistungen gedeckt.
Unerheblich ist hierbei ob diese Leistungen durch den Unterhaltspflichtigen
selbst erbracht werden, oder ob er einen Dritten für die Erbringung bezahlt. 58
Nach der Scheidung oder Auflösung der häuslichen Gemeinschaft ist hingegen
Geldunterhalt      zu    leisten,    es    kommt       also    zur    Wandlung       des
Naturalunterhaltsanspruches in einen Geldunterhaltsanspruch des Kindes.59
Diese Wandlung ist darin begründet, dass es durch die Auflösung der
häuslichen Gemeinschaft für denjenigen Unterhaltspflichtigen, der nicht im
gemeinsamen Haushalt mit dem Kind lebt, erheblich schwieriger wird,
angemessene Naturalleistungen zu erbringen.60
Anspruchsberechtigt ist das Kind selbst.
Der Unterhalt ist gem § 1418 ABGB am Monatsersten fällig, da dieser dem
Unterhaltsberechtigten jeden Monat zur Verfügung stehen muss.61

56
   Gitschthaler, Unterhaltsrecht (2015) RZ 571.
57
   Limberg in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 231 RZ 6 (Version 1.06 Stand 1.10.2018).
58
   Limberg in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 231 RZ 16 und 17 (Version 1.06 Stand
1.10.2018).
59
   Neuhauser in Deixler-Hübner (Hrsg) Handbuch Familienrecht (2015) 388.
60
   Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht (2019) 197.
61
   Gitschthaler, Unterhaltsrecht (2015) RZ 36f.

19. Mai 2020                                                                               23/41
D. Unterhaltsbemessungsgrundlage und Unterhaltshöhe

Bemessungsgrundlage            für    den   Kindesunterhalt       ist    grundsätzlich     das
tatsächliche Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen.62
Ungeachtet dessen, dass bei Festsetzung des Kindesunterhaltes immer auf die
Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist, kann in einer Vielzahl von
Fällen auf die von der Rsp entwickelten Prozentwertmethode zurückgegriffen
werden. Hierbei sind Prozentsätze in Abhängigkeit vom Alter festgelegt
worden.63

                                             Prozent des monatlichen
                      Alter
                                                 Nettoeinkommens
               00-06 Jahre              16%
               06-10 Jahre              18%
               10-15 Jahre              20%
               Ab 15 Jahre              22%
64
     Tabelle 3: Prozentsätze

V. Betreuungsrechtliches Unterhaltsmodell der Rechtsprechung

A. Drei Betreuungsmodelle

Die Rsp hat drei unterhaltsrechtliche Betreuungsmodelle entwickelt: Betreuung
im üblichen Ausmaß, Betreuung im unüblichen Ausmaß und etwa gleichteilige
Betreuung.       Letzteres     wird   wie   bereits    unter    III.    A.   ausgeführt,   als
Doppelresidenz bezeichnet.
Der Erläuterung der einzelnen Modelle ist vorauszuschicken, dass es hierbei
nicht darauf ankommt ob gemeinsame Obsorge besteht. Allein die tatsächliche
Betreuung ist entscheidend.65

62
   Kolmasch in Loderbauer (Hrsg), Kinder-und Jugendrecht (2016) 41.
63
   Gitschthaler, Unterhaltsrecht (2015) RZ 541.
64
    (27.11.2019).
65
   Gitschthaler, Unterhaltsrecht (2015) RZ 88.

19. Mai 2020                                                                                     24/41
1. Betreuung im üblichen Ausmaß

Von Betreuung im üblichen Ausmaß wird gesprochen, wenn ein Elternteil das
Kind hauptsächlich betreut und damit bereits seinen Unterhalt leistet und der
andere Elternteil bloß sein übliches Kontaktrecht ausübt und dadurch                         zu
Geldunterhaltsleistungen verpflichtet ist.
Die Betreuung durch den geldunterhaltspflichtigen Elternteil gilt als üblich, wenn
alle zwei Wochen an den Wochenenden Besuche stattfinden. Darüber hinaus
besteht in den Ferien die Möglichkeit von vier Wochen zusätzlichen
Besuchsrechts. In Tagen gerechnet ergibt sich somit ein Spielraum von 52 bis
80 Tagen pro Jahr. Betreut der geldunterhaltspflichtige Elternteil sein Kind
zwischen 52 und 80 Tagen pro Jahr so gilt diese Betreuung als üblich und hat
somit keine Änderungen an seiner Geldunterhaltspflicht zur Folge.66
Dieses Betreuungsmodell ist trotz des stark wachsenden Interesses an
gleichteiliger Betreuung immer noch sehr beliebt und sozusagen das
Standardmodell.

2. Betreuung im unüblichen Ausmaß

Betreuung im unüblichen Ausmaß liegt vor, wenn die Betreuung durch den
geldunterhaltspflichtigen Elternteil über das Ausmaß der üblichen Betreuung
hinausgeht. Aus dieser überdurchschnittlichen Betreuung folgt eine Reduktion
der Geldunterhaltspflicht. Zur Berechnung wird die sog Prozentabzugsmethode
herangezogen.67
Dieses Modell kommt zur Anwendung, wenn das Kind an mehr als 80 Tagen im
Jahr durch den geldunterhaltspflichtigen Elternteil betreut wird.
Es entwickelte sich eine 10%-Rechtsprechung bei der die Unterhaltspflicht um
10%        pro   zusätzlichen    Betreuungstag       in   der    Woche       reduziert    wird.
Ausgangspunkt sind hierbei aber nicht 80 Tage, sondern 52 Tage pro Jahr.68
Zum Beispiel betreut der geldunterhaltspflichtige Vater sein Kind im
Durchschnitt an 104 Tagen im Jahr sind von diesen 104 Tagen 52 Tage als
übliches Betreuungsausmaß abzuziehen. Die Differenz von 52 muss durch die

66
   Gitschthaler, Kinderbetreuung und Kindesunterhalt - ein Überblick, EF-Z 2018 H 1, 11 (11).
67
   Gitschthaler, Kinderbetreuung und Kindesunterhalt - ein Überblick EF-Z 2018 H 1, 11 (11).
68
   Gitschthaler, Kinderbetreuung und Kindesunterhalt - ein Überblick , EF-Z 2018 H 1, 11 (11f).

19. Mai 2020                                                                                      25/41
Anzahl der Wochen eines Jahres, demnach 52, dividiert werden. Das Ergebnis
beträgt 1, somit wird das Kind durch den Vater um einen Tag mehr als üblich
pro Woche betreut. Dieser Betreuungstag pro Woche, der über dem üblichen
Ausmaß           liegt,   führt   dann    zu       einer   10-prozentigen      Reduktion      der
Geldunterhaltspflicht. Relevant sind grundsätzlich ganze Tage, mitunter können
aber auch halbe Tage herangezogen werden. Außer Acht zu lassen sind
jedenfalls einzelne Stunden, die über das übliche Maß hinausgehen.69
Sinn dieser Rsp ist es, dem geldunterhaltspflichtigen Elternteil, der das Kind
überdurchschnittlich häufig betreut, durch eine Reduktion der Unterhaltspflicht
entgegen zu kommen.
Aber je höher die Anzahl der Betreuungstage pro Woche ist desto weniger
erscheint die 10%-Rechtsprechung als passend. In der E 5 Ob 2/12y wurde in
treffender Weise festgehalten, dass die 10%- Rechtsprechung tendenziell eher
eine Untergrenze signalisiert und nur als Richtschnur dient. Nähert sich die
Betreuungssituation aber einer gleichwertigen Betreuung an, wird diese
Abzugsmethode der Betreuung durch den Geldunterhaltspflichtigen nicht mehr
gerecht.         Daher     erfolgte    hier         eine   20-prozentige      Reduktion       der
Geldunterhaltspflicht pro zusätzlichem Betreuungstag.70
Die Anwendung der Prozentabzugsmethode im Falle der gleichteiligen
Betreuung durch beide Elternteile würde insofern nicht gerecht erscheinen, als
die Geldunterhaltspflicht eines Elternteiles aufrecht bliebe, obwohl beide
gleichwertige Betreuungsleistungen erbringen.

3. Gleichteilige Betreuung, Betreuungsrechtliches Unterhaltsmodell

Die        bei      der     Betreuung         im     unüblichen      Ausmaß        angewandte
Prozentabzugsmethode der Rsp ist wie bereits oben erwähnt bei gleichteiliger
Betreuung nicht zielführend. Um den Unterschieden dieser Betreuungsmodelle
gerecht zu werden, entwickelte die Lehre das sog betreuungsrechtliche
Unterhaltsmodell.
Hintergedanke hierbei ist, dass gem § 231 Abs 2 ABGB (wie bereits unter IV. A.
erläutert) dem hauptsächlich betreuenden Elternteil eine Unterhaltsbefreiung

69
     Gitschthaler, Kinderbetreuung und Kindesunterhalt - ein Überblick , EF-Z 2018 H 1, 11 (12).
70
     Gitschthaler, Kinderbetreuung und Kindesunterhalt - ein Überblick , EF-Z 2018 H 1, 11 (12).

19. Mai 2020                                                                                        26/41
zukommt.       Bei     gleichteiliger    Betreuung     gibt   es     aber   einen     solchen
Domizilelternteil nicht. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, kann daher
das Unterhaltsprivileg des § 231 Abs 2 ABGB nicht nur für einen Elternteil
Anwendung        finden,     sondern      müssen     beide     gleichermaßen        von     der
                                                                71
Verpflichtung Geldunterhalt zu leisten, befreit werden.

B. Anwendungsvoraussetzungen für das betreuungsrechtliche
   Unterhaltsmodell

Nach Rsp des OGH erfordert die Anwendung des betreuungsrechtlichen
Unterhaltsmodells ganz allgemein eine nahezu gleichwertige Betreuung durch
beide Elternteile im zeitlichen Sinne. Darüber hinaus sind auch annähernd
gleichwertige Naturalleistungen erforderlich. Zusätzlich ist auch das Einkommen
der Eltern ein wichtiger Aspekt.72

1. Gleichwertige Betreuungsleistungen

Wann die Betreuungsleistungen tatsächlich als gleichwertig angesehen werden
wurde jedoch vom OGH in den letzten Jahren unterschiedlich beantwortet.
So nahm er in seiner E 4 Ob 16/13a vom März 2013 eine etwa gleichteilige
Betreuung an, wenn „kein Elternteil mindestens zwei Drittel der Betreuung
durchführt“, somit bei einem Verhältnis von 2:1.73
Auf diese E folgte Kritik aus der Literatur. Schwimann und Kolmasch74
wendeten diesbezüglich ein, «dass eine faire Lösung nicht darin liegen kann,
den Fall, in dem kein Elternteil geldunterhaltspflichtig ist, durch eine
nivellierende        Betrachtung        von   mehr     als    bloß     geringfügigen       […]
Betreuungsunterschieden möglichst weit auszudehnen.»
Bereits Ende 2015 ging der OGH in der E 8 Ob 69/15b von der ursprünglichen
Definition der gleichteiligen Betreuung wieder ab, und wandte bei einer

71
   Gitschthaler, Kinderbetreuung und Kindesunterhalt - ein Überblick, EF-Z 2018 H 1, 11 (12).
72
   Rohrer/Gruber, Das unterhaltsrechtliche Betreuungsmodell ÖJZ 2018 H 9 414 (418).
73
   Schoditsch, Grundfragen des Doppelresidenz-Modells, ÖJZ 2019 H 18, 801 (805).
74
   Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht (2019) 121f.

19. Mai 2020                                                                                      27/41
Betreuungsleistung im Ausmaß von 34% die Prozentabzugsmethode statt dem
betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell an.75
Im Jahr 2016 forderte der OGH in der E 4 Ob 206/15w ein Verhältnis von 4:3 an
Betreuungstagen um von einer annähernd gleichteiligen Betreuung ausgehen
zu können.76
In Bezugnahme auf die oben erwähnte Kritik aus der Literatur, hielt der OGH in
einer späteren E fest, dass «eine Differenz von einem Drittel zwischen den
jeweiligen Betreuungsleistungen einen nicht unbeträchtlichen Abstand zu einer
annähernd gleichteiligen Betreuung schafft.»77
Vereinzelt forderte der OGH völlig gleichwertige Betreuungsleistungen.
Begründet wurde dies aber nicht. 78
Wiederum ein Jahr später hält der OGH in seiner E 8 Ob 89/17x fest, dass von
gleichwertigen Betreuungsleistungen nur bei ganz geringfügigen Unterschieden
auszugehen ist, sie somit „nahezu gleichwertig“ sind.79
Letztlich wird es aber auf ein Verhältnis von 4:3 ankommen.80

Wie aber Gitschthaler81 bereits 2016 zutreffend festgehalten hat, sind immer die
konkreten Umstände entscheidend und es ist daher von fixen Prozentsätzen für
die Anwendung des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells abzusehen.

2. Gleich hohes Einkommen

Für die Anwendung des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodelles und damit in
weiterer Folge für den Entfall der Geldunterhaltspflicht, muss auch das
Einkommen in etwa gleich hoch sein. Von einem gleich hohen Einkommen ist
auch noch bei Unterschieden von nicht mehr als einem Drittel auszugehen.82
Einer anderen Beurteilung bedürfen jedoch Fälle, in denen zwar beide
Elternteile das Kind zu gleichen Teilen betreuen, aber über unterschiedlich

75
   Gitschthaler, gleichteilige Betreuung jedenfalls bei 4:3, EF-Z 2016 H 3, 151 (152).
76
   Gitschthaler, gleichteilige Betreuung jedenfalls bei 4:3, EF-Z 2016 H 3, 151 (152).
77
   OGH 23.02.2016, 4 Ob 206/15w.
78
   OGH 13.10.2016, 7 Ob 172/16v.
79
   Gitschthaler, Kinderbetreuung und Kindesunterhalt - ein Überblick, EF-Z 2018 H 1, 11 (12).
80
   Gitschthaler, Kinderbetreuung und Kindesunterhalt - ein Überblick, EF-Z 2018 H 1, 11 (12).
81
   Gitschthaler, fließende Grenzen gemeinsamer Betreuung, EF-Z 2016 H 2, 91 (92).
82
   Gruber, Gemeinsame Betreuung von Kindern und deren unterhaltsrechtliche Auswirkungen,
ÖRPfl 2019 H 1, 10 (13).

19. Mai 2020                                                                                    28/41
hohes Einkommen verfügen. Mit einem solchen Fall musste sich der OGH
erstmals in seiner E 1 Ob 158/15i auseinandersetzen.83
Demnach kommt trotz Einkommensdifferenzen das betreuungsrechtliche
Unterhaltsmodell          zur    Anwendung,         doch         steht       dem      Kind      ein
Restgeldunterhaltsanspruch gegen den leistungsfähigeren Elternteil zu. Dieser
Restgeldunterhaltsanspruch bezweckt einen Ausgleich dafür, dass das Kind die
Zeit, die es beim schlechter verdienenden Elternteil verbringt, nur an einem
geringeren      Lebensstandard        teilhaben         kann.    Durch       den     zusätzlichen
Geldunterhaltsanspruch wird es dem Kind ermöglicht, auch in der Zeit, die es
beim       schlechter     verdienenden    Elternteil         verbringt,    an      dem     höheren
                                                   84
Lebensstandard des anderen teilzuhaben.
Entscheidend für den Restgeldunterhaltsanspruch kann aber nach Neuhauser
nicht bloß das Einkommen an sich sein, da sonst andere relevante Umstände
außer Acht gelassen werden würden, bspw weitere Sorgepflichten für andere
Kinder des besserverdienenden Elternteils.85
Der OGH umgeht diese Problematik dadurch, dass er bei der Berechnung auf
die fiktive Unterhaltspflicht der Eltern abstellt. Er folgt dem Rechenansatz von
Neuhauser:
     1. Ermittlung der fiktiven Unterhaltsansprüche des Kindes gegenüber den
          Eltern nach der Prozentwertmethode
     2. Aufteilung        der   Familienbeihilfe        im      Verhältnis        dieser    fiktiven
          Geldunterhaltsansprüche        und       in     weiterer        Folge      Abzug     des
          entsprechenden Anteils bei jenem Elternteil, der die Familienbeihilfe
          nicht bezieht
     3. Halbierung der ermittelten Beträge
     4. Ermittlung der Differenz dieser beiden Beträge86

83
   Gitschthaler, Das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell bei Einkommensdifferenzen, EF-Z
2016 H 3, 15 (15).
84
   Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht (2019) 122.
85
   Neuhauser in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskommentar Band 1 §231 RZ 490
(2018).
86
   OGH 17.09.2015, 1 Ob 158/15i.

19. Mai 2020                                                                                           29/41
Sie können auch lesen