Gender in der stationären Altenpflege und -betreuung - Universität ...

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Gender in der stationären
Altenpflege und -betreuung

          Abschlussbericht zum Forschungsprojekt
             Elisabeth Reitinger, Erich Lehner
                       Oktober 2010

 Soziales Kompetenzzentrum RUM, Humanocare Management
 IFF – Interdisziplinäre Fakultät für Forschung und Fortbildung
      Abteilung für Palliative Care und OrganisationsEthik
               Alpen-Adria Universität Klagenfurt

Gefördert von der Österreichischen Forschungsgesellschaft (FFG)
     im Rahmen des Bridge Programms und dem Land Tirol
              Projektlaufzeit März 2009 – Juli 2010

                 Angela Sommerhoff: Brücken bauen
INHALT

1     HINTERGRUND UND PROJEKTGESCHICHTE          3

2     GENDER MULTIDIMENSIONAL                    4

3     FORSCHUNGSLEITENDE FRAGEN                  5

4     FORSCHUNGSDESIGN UND ERHEBUNGSMETHODEN     6

5     ERGEBNISSE UND INTERPRETATION              9

5.1     Spannungsfelder BewohnerInnen            9

5.2     Spannungsfelder Familie                 12

5.3     Spannungsfelder Betreuungssituationen   15

5.4     Spannungsfelder Leitung                 18

6     ZENTRALE SCHLUSSFOLGERUNGEN               22

7     LITERATUR                                 25

8     DOKUMENTATION ZUR ABSCHLUSSPRÄSENTATION   27

8.1     PowerPoint-Präsentation                 27

8.2     Fotos                                   31

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1 Hintergrund und Projektgeschichte
Die Betreuung und Pflege alter unterstützungsbedürftiger Frauen und Männer
gewinnt als gesellschaftliche Herausforderung an Bedeutung. Demografische
Entwicklungen zeigen, dass die Lebenserwartung immer weiter ansteigt und der
Anteil alter Menschen weltweit zunimmt. Damit steht unsere Gesellschaft vor der
Aufgabe, den Lebensweg der immer älter werdenden Frauen und Männer bis zuletzt
in Würde und unter Achtung der Individualität jedes einzelnen Menschen zu
begleiten. Wenn wir den Blick auf pflegebedürftige Menschen in Institutionen und an
ihr Lebensende wenden, dann werden soziale und ethische Fragen besonders
deutlich (vgl. Bockenheimer-Lucius 2007, Pleschberger 2005).
Gender als integrierte Kategorie ist unser Leben lang präsent und wirksam.
Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse bestimmen unser Leben von der
Geburt bis zum Tod mit. Die „Fremde Welt Pflegeheim“ (Koch-Straube, 1997) ist eine
Frauenwelt. Sowohl die BewohnerInnen von Altenpflegeeinrichtungen als auch die
Betreuung von alten Menschen ist in erster Linie weiblich geprägt. Professionelle
Betreuende und pflegende Angehörige sind vorwiegend Frauen (Badelt, Österle
2001; ÖBIG 2005). Fragen nach Gender, Geschlechterverhältnissen, Weiblichkeits-
und   Männlichkeitsbildern,   sozialen   Strukturen   aufgrund   von   Geschlechter-
zugehörigkeit kommen damit auch in dieser Lebenswelt große Bedeutung zu. Die
Auseinandersetzung mit geschlechterkritischen Fragen der Betreuung und Pflege
Hochaltriger und insbesondere in der stationären Altenbetreuung und –pflege
gewinnt demgegenüber im deutschsprachigen Raum erst in den letzten Jahren an
Aufmerksamkeit (vgl. Backes 2004; Gröning 2005; Appelt, Heidegger, Preglau, Wolf,
2010; Lehner 2010; Beyer 2008, Windisch 2008; Reitinger und Beyer 2010).
In Österreich war die Lebenserwartung von Frauen im Jahr 2008 um 5,4 Jahre höher
als die der Männer. Sowohl biologische als auch soziale Erklärungsfaktoren werden
dafür in der internationalen Literatur genannt (BM f. Frauen und Öffentlicher Dienst
2010, S. 25f). Mit Blick auf Pflege und Pflegebedürftigkeit zeigt sich, dass rund 2/3
der PflegegeldbezieherInnen weiblich sind, 79% der pflegenden Angehörigen Frauen
sind und der Frauenanteil der Beschäftigen in Alten- und Pflegeheimen in Österreich
82% beträgt (BM f. Frauen und Öffentlicher Dienst 2010, S. 282f). Das hat
Auswirkungen auf die soziale Lage von Frauen im Alter. „Soziale Probleme im Alter
sind de facto zum überwiegenden Teil Probleme alter und hochbetagter Frauen“

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(Backes und Clemens 2008, S.89). Gleichzeitig können wir davon ausgehen, dass
sowohl das Gesundheits- als auch das Pflegesystem von männlichen Werten
geprägt sind.
Vor diesem Hintergrund stellen sich besonders in der stationären Altenbetreuung und
–pflege Fragen in Bezug auf Gender, die sehr konzentrierte Aufmerksamkeit
benötigen. In der transdisziplinären Zusammenarbeit zwischen dem Sozialen
Kompetenzzentrum Rum, Humanocare, Tirol und der IFF – Palliative Care und
OrganisationsEthik, Alpen-Adria Universität Klagenfurt in Wien gelang es, sich
diesen Themen mit der nötigen Achtsamkeit, sozialen Verbindlichkeit und
Konsequenz zu widmen. Aufbauend auf einem Grundverständnis von Gender fassen
wir   nun    in    diesem   abschließenden      Bericht   die   Fragestellungen    der
Forschungsarbeiten, die methodischen Vorgehensweisen, den Projektprozess und
die zentralen Ergebnisse zusammen. Für das Vertrauen in der Zusammenarbeit, die
gemeinsamen Zeiten in Vorbereitung, Durchführung und Diskussionen in Tirol und
Wien möchten wir an dieser Stelle allen Beteiligten und UnterstützerInnen des
Projekts herzlich danken.

2 Gender multidimensional
Geschlecht wird in den Sozialwissenschaften als soziale Kategorie bezeichnet.
Gemeint ist damit, dass Menschen sich nicht immer gemäß ihren Fähigkeiten und
Bedürfnissen entwickeln und verhalten, sondern eher gemäß Zuschreibungen und
Anforderungen der Position, die ihnen beispielsweise aufgrund des Geschlechtes
zugewiesen      wird.   Menschen   entwickeln   ihr   Geschlecht   innerhalb   sozialer
Verhältnisse. Die klassische Definition von Candace West und Don H. Zimmerman
beschreibt dies folgendermaßen: „Das Herstellen von Geschlecht (...) umfasst eine
gebündelte Vielfalt sozial gesteuerter Tätigkeiten auf der Ebene der Wahrnehmung,
der Interaktion und der Alltagspolitik, welche bestimmte Handlungen mit der
Bedeutung versehen, Ausdruck weiblicher oder männlicher  zu sein.“ (West,
Zimmerman 1987, S. 14; übersetzt v. Gildemeister, Wetterer 1992, S.237) Gender ist
demnach keine vorausliegende Wesenheit, vielmehr wird einer Tätigkeit innerhalb
eines bestimmten Kontextes mit einer Bedeutung versehen, die es zu weiblichem
und männlichem Tun macht.

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Gender im Sinne von Geschlechterverhältnisse wird auf verschiedenen Ebenen
wirksam. Eine erste Dimension umfasst die Ebene der Strukturen. Auf dieser Ebene
stellen sich die Fragen, wie sind Frauen und Männer beteiligt und welche Rollen,
Funktionen und Einflussmöglichkeiten nehmen sie ein? Nach welchen Regeln und
Handlungsabläufen sind sie in diese Rollen und Funktionen gekommen? Eine
weitere Dimension stellen die konkreten Interaktionen dar. Die leitende Frage ist, wie
in den alltäglichen Interaktionen Geschlechterverhältnisse in den Alltagssituationen
(re-)produziert werden. Eine dritte Dimension bildet die Kultur bzw. die einer
Institution innewohnenden Symbole. Welche Bilder von Männern und Frauen sind
handlungsleitend? Was wird von Männern und Frauen erwartet? Schließlich kommt
in der vierten Dimension das Individuum in den Blick: Welche Identität entwickelt ein
Individuum innerhalb dieser Rahmenbedingungen? Wie gestalten sich innerhalb
dieser Umwelten seine Bedürfnisse?

3 Forschungsleitende Fragen
Entsprechend diesem mehrdimensionalen Verständnis von Gender beschäftigten
uns   auch     im   Rahmen   des    Forschungsprojektes     unterschiedliche   Fragen.
Grundsätzlich setzten wir uns das Ziel, die Perspektiven von Frauen und Männern in
den unterschiedlichen beteiligten Rollen zu versammeln. Das bedeutet, dass wir
sowohl   mit    Bewohnerinnen      und   Bewohnern,   mit   An-   und   Zugehörigen,
Professionellen und Leitungskräften ins Gespräch kommen wollten. Diesen
Gesprächen und Gruppendiskussionen lagen folgende Fragen zugrunde:
♦ Wie können Bewohner und Bewohnerinnen im Sozialen Kompetenzzentrum Rum
 als Frauen und Männer sensibel wahrgenommen werden?
Auf Basis der Lebensgeschichten, der aktuellen Lebenssituationen, der Beziehungen
zu An- und Zugehörigen, der Betreuungsverhältnisse und Zukunftswünsche
erforschten wir, wie es gelingen kann, Bewohnerinnen und Bewohner auch in ihren
individuellen Geschlechterrollen sensibel wahr zu nehmen.
♦ Welche Möglichkeiten der Verbesserung der Betreuung, Pflege und Begleitung
 ergeben sich durch die Reflexion von Geschlechterrollen und Geschlechterbildern?
In Gesprächen und Gruppendiskussionen mit Professionellen erfragten wir
Betreuungssituationen, in denen Geschlechterzugehörigkeit und entsprechende
soziale Interaktionseffekte als bedeutsam erlebt werden. Darauf aufbauend luden wir

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dazu ein, die eigenen Geschlechterrollenbilder zu reflektieren und arbeiteten
gemeinsam mit den AkteurInnen im Haus an alternativen Handlungsmöglichkeiten.
♦ Wie kann die Kommunikation über geschlechterspezifische Themen innerhalb der
 Organisation erhöht werden?
Geschlechtersensible Kultur ist immer auch verbunden mit einem erhöhten
Bewusstsein unterschiedlicher Beteiligter in Organisationen. Ein Anliegen des
Forschungsprojekts war daher, gemeinsam mit den verantwortlichen Leitungskräften
Themen zu identifizieren, die für das gesamte Haus von Bedeutung sind und diese in
handlungsrelevante Schlussfolgerungen zu übersetzen. Den Gesprächen in der
Steuergruppe kamen dafür ein zentraler Stellenwert zu.

4 Forschungsdesign und Erhebungsmethoden
Das Projekt „GendAlt“ startete im März 2009 mit vorbereitenden Gesprächen
zwischen den Mitgliedern des Forschungsteams einerseits und in Kooperation mit
den Mitgliedern der PartnerInnenorganisation Soziales Kompetenzzentrum Rum
andererseits. Im Anschluss an diese Treffen wurden die gewählten Methoden
nochmals überprüft und die in der Forschungsbewilligung der FFG aufgelisteten
Auflagen im Rahmen von Projektmanagementsitzungen, die überwiegend telefonisch
erfolgten, besprochen.
Für den 5. Mai 2009 wurde ein erstes Projekttreffen, ein kick-off-meeting, im Sozialen
Kompetenzzentrum     Rum    vereinbart.   An   diesem    Treffen   wurde   auch   eine
Steuergruppe gebildet, in der alle wesentlichen organisatorischen und strategischen
Entscheidungen für dieses Projekt getroffen werden sollten. In dieser Steuergruppe
kooperierten Peter Gohm, operativer Geschäftsführer, Mag. Barbara Mißmann,
Verwaltungsleiterin und Angelika Feichtner MSc, Pflegedienstleiterin vom Sozialen
Kompetenzzentrum Rum und die ForscherInnen Dr. Elisabeth Reitinger und Dr. Erich
Lehner von der IFF Palliative Care und OrganisationsEthik.
Als Erhebungsmethoden wurden zunächst Interviews mit BewohnerInnen und mit
Angehörigen sowie Workshops mit MitarbeiterInnen zum Thema Gender gewählt.
Interviews mit Führungskräften sollten die Datenerhebung abrunden. Sowohl die
Interviews als auch die Workshops wurden mit Hilfe der Dialog-Konsens-Methode
und auf Basis der Erkenntnisse zu transdisziplinärer Interventionsforschung (vgl.
Reitinger, Heimerl und Krainer, Reitinger 2008) durchgeführt. Nach einer Auswertung

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dieser ersten Interviews wurde in einem zweiten Gesprächsdurchgang mit den
interviewten Personen ein weiteres Interview im Sinne einer kommunikativen
Validierung durchgeführt. In dieser zweiten Gesprächsreihe sollte das von den
ForscherInnen Verstandene den untersuchten Personen präsentiert und validiert
werden. Anliegen dieser kommunikativen Validierung war es, einen Konsens
zwischen den ForscherInnen und den untersuchten Personen über die von den
untersuchten Personen geäußerten Ansichten und Überzeugungen zu Gender
herzustellen (vgl. Steinke 1998, 124).
Über den Sommer wurden die Interviewleitfäden und Workshopdesigns in
Kooperation zwischen den ForschungspartnerInnen entwickelt. Ende August erfolgte
in   Kooperation     mit   dem     Haus      Gustav   Klimt,   Kuratorium    Wiener
Pensionistenwohnhäuser,      ein    erster   Gesprächsdurchgang,    um      so   die
Erhebungsinstrumente auf ihre Verständlichkeit und Brauchbarkeit hin zu überprüfen.
Auf Basis dieser    vorbereitenden Arbeiten wurde im September 2009 die erste
Erhebungsphase im Sozialen Kompetenzzentrum in Rum durchgeführt. Die
Datenerhebung wurde in drei Phasen durchgeführt. Alle Beteiligten wurden vor den
jeweiligen Gesprächen um ihr schriftliches Einverständnis gefragt. Die folgenden
Abschnitte geben einen Überblick über die drei Erhebungsphasen und die jeweiligen
Gespräche und Gruppendiskussionen.

Vorerhebungen in Wien: 17. – 26. August 2009
2 Interviews mit BewohnerInnen: 1 Frau, 1 Mann
2 Interviews mit Angehörigen: 1 Frau, 1 Mann
3 Interviews mit Professionellen/ Führungskräften: 2 Frauen, 1 Mann
Insgesamt Vorerhebungsphase: 7 Interviews mit 4 Frauen und 3 Männern

Erhebungsphase 1 in Rum, Tirol: 9. – 11. September 2009
9 Interviews mit 9 BewohnerInnen: 6 Frauen, 3 Männer
5 Interviews mit 5 Angehörigen: 5 Frauen
2 Interviews mit 2 Professionellen/Führungskräften: 2 Frauen
2 Gruppendiskussionen mit Workshopcharakter mit jeweils 7 Professionellen: 7
Frauen
Insgesamt Erhebungsphase 1: 16 Interviews mit 13 Frauen und 3 Männern,
2 Gruppendiskussionen mit jeweils 7 Professionellen

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Erhebungsphase 2 in Rum, Tirol: 15. – 18. Dezember 2009
11 Interviews mit 11 BewohnerInnen: 7 Frauen, 4 Männer
4 Angehörige: 4 Frauen
8 Interviews mit 8 Professionellen/ Führungskräften: 6 Frauen, 2 Männer
1 Gruppendiskussion als „Fall“-besprechung: 8 Professionelle, 7 Frauen, 1 Mann
1 Beobachtung beim Mittagessen
Insgesamt Erhebungsphase 2: 23 Interviews mit 17 Frauen und 6 Männern,
1 Gruppendiskussion mit 8 Professionellen

Überblick über gesamte Erhebungen
♦ 46 Interviews mit 25 Frauen (9 davon 2x) und 9 (3 davon 2x) Männern, d.h. 34
Gespräche mit Frauen und 12 Gespräche mit Männern
♦ 3 Gruppendiskussionen mit insgesamt 15 Professionelle,
♦ 1 Beobachtung beim Mittagessen

Alle Gespräche wurden mittels digitalem Aufnahmegeräts aufgezeichnet bzw.
wurden während der als Workshops durchgeführten Gruppendiskussionen und bei
der Beobachtung auch Notizen auf Flip-Charts und in ein entsprechendes Notizbuch
vorgenommen. Die Aufnahmen wurden transkribiert und im Zeitraum von Jänner bis
März 2010 in einem ersten Schritt anonymisiert ausgewertet. Auf Basis einer
Grobauswertung fassten wir relevante Themen zusammen. Diese stellten wir sowohl
im interdisziplinären Forschungsteam der IFF als auch im Steuerteam des Projekts
vor und diskutierten diese ersten Ergebnisse im Zeitraum von März bis Mai 2010.
Diese Diskussion und Validation der Ergebnisse ergänzten wir um eine Feinanalyse
ausgewählter   Interviews   und   Gruppendiskussionen   mittels    des   qualitativen
Auswertungsprogramms atlas-ti. Die im Bericht aufscheinenden einzelnen Zitate aus
den Gesprächen und Gruppendiskussionen entstammen dieser Feinanalyse. Anfang
Juni 2010 veranstaltete das Soziale Kompetenzzentrum Rum, Humanocare
Management in Zusammenarbeit mit dem IFF-Team eine Abschlusspräsentation, zu
der sowohl alle Beteiligten des Forschungsprojekts als auch Mitarbeitende und
BewohnerInnen des Hauses sowie ihre Angehörigen eingeladen wurden. Externe
Gäste aus Politik, der Heimanwaltschaft und anderen Häusern vervollständigten die
Runde. Auf Basis der Ergebnispräsentation konnten vertiefende und weiterführende
Gespräche geführt werden. Diese fließen in die Formulierung der in diesem Bericht
zusammengefassten Maßnahmen mit ein. Die Präsentationsunterlagen sowie Fotos
von der Abschlussveranstaltung finden sich am Ende des Berichts.

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5 Ergebnisse und Interpretation

5.1   Spannungsfelder BewohnerInnen

Für Frauen und Männer ist auch im Altenheim die Rolle, die Beruf und Familie in
ihrem Leben gespielt haben, die Basis ihres Selbstempfindens. Eine Bewohnerin
bekennt offen:
„Naa, i bin schon gern Hausfrau gwesen.“ (Bewohnerin I-B11, 177),
und sagt weiter:
„Es isch halt eine Familie zu haben, des is halt / und dass alles klappt und alls in Ordnung
isch, des is was Schönes.“ (Bewohnerin I-B11, 181)

Eine weitere Bewohnerin antwortet spontan auf die Frage, worauf sie als Frau stolz
ist in ihrem Leben:
„Dass i viel geschaffen han.“ (Bewohnerin I-B22, 342)
In den Passagen davor und danach beschreibt sie, wie sie sich um ihre Kinder
bemüht hat, dass sie Krankheiten überstanden, etwas lernten und keine
Schlüsselkinder wurden.

Für Männer war hingegen der Beruf viel stärker im Zentrum ihres Lebens. Als
Beispiel für männliches Selbstempfinden kann ein Bewohner gelten, der im ersten
Interview (I-B5) seinen Lebenslauf erzählt. Seine Familie und seine Kinder
erscheinen als ein Punkt in diesem Lebenslauf von den Kriegsgeschehen über
Berufstätigkeit und Familiengründung bis hin zu Pension und seinem Eintritt ins
Altenheim. Der Teil über die Familie erscheint jedoch weder emotional noch
strukturell als das Zentrale. Im zweiten Interview bedauert er zunächst, dass er nicht
zu Hause sein kann. Das Haus ist die assoziative Brücke zu seinem Beruf, von dem
er sehr berührt und emotional erzählt, ehe er wieder auf die Betreuungssituation zu
sprechen kommt. (Bewohner I-B13)

Im Zusammenhang mit der Lebensgeschichte steht auch die innere Bereitschaft,
Abhängigkeit und Hilfe von anderen Personen – den PflegerInnen - anzunehmen.
Sowohl bei Frauen als auch bei Männern gibt es eine Gruppe, denen die Annahme
dieser Hilfe schwer fällt, jedoch aus unterschiedlichen Beweggründen. Eine Pflegerin
beschreibt die Frauen dieser Gruppe folgendermaßen:

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„Ja, das muascht du so machen und die haben ihre Linie von dahoam, und die habn immer
ihre Ordnung ghabt, die habn immer ihr System ghabt. […] Wenn du den Weg nit so
machscht, wie sie ihn vorgibt, dann dirigiert sie di sofort um.“ (Professionelle I-P8, 130)

Diese Frauen waren es gewohnt zumindest im Bereich des Haushalts, der Pflege
und Versorgung zu bestimmen und wollen dies auch im Altenheim, wo sie versorgt
werden. Wir haben sie Expertinnen der Fürsorge genannt. Anderen Frauen fällt es
leicht sich versorgen zu lassen. Sie sind froh, gut versorgt zu werden.
„Also die Therapeutinnen und die Pflegerinnen san alle durch die Bank guat. Und i bin so
froh, dass i da gelandet bin, weil i hätt mi in der Wohnung nicht mehr aufhalten können.“
(Bewohnerin I-B19, 15),

sagt eine zufriedene Bewohnerin. Es gibt jedoch auch jene Gruppe von Frauen, die
gelernt haben, sich einzufügen. Ihnen fällt es auch jetzt im Altenheim nicht schwer,
sich einzufügen.

Männern fällt es im Allgemeinen leichter, Versorgung anzunehmen. Eine Pflegerin
formuliert die Unterschiede:
„Des tuat a Mann net, zumindescht net so. Weil der wurde immer dirigiert von einer Frau, so
sieh i. Und a Frau, die hat ihre / wenn die Vase net da steht, an Mann isch des egal. Dem
isch des egal, wie oder was. A Frau kann da sehr / wenn da des Bild net so isch. Wohl, oan
Mann habn mir ghabt, doch doch doch, oan Mann habn mir ghabt. Aber der war dann lang
alloan und der hat da schon a seine bestimmten Dinge, der war schon a sehr sorgfältig. Aber
an Großteil der Männer isch des net, des is ihnen egal, ob der Stuhl da steht oder ob / Die
Frauen sein sehr genau, genau in bestimmten Dingen. Du muascht des Unterhemd genau
einisteckn, wia sie’s jahrelang gmacht habn. I moan, des is a richtig so, man geht eh auf des
ein. Aber an Mann isch des egal. Der lasst sich anziagn, der lasst sich / der gibt dir koane
Anweisungen. Selten. Zumindescht die Männer, die mir habn. Mir habn drei.“ (Professionelle
I-P8, 130)

Dieser Gruppe von Männern fällt es leicht versorgt zu werden, da sie während ihres
ganzen Lebens gelernt haben, Fragen der Versorgung und Fürsorge Frauen zu
überlassen.

Es gibt allerdings auch eine Gruppe von Männern, denen es sehr schwer fällt
pflegebedürftig zu sein. Für manche stellt die Abhängigkeit von Frauen ein
zusätzliches Problem dar:
„Ganz als erschtes fallt mir ein, dass es von Bewohnern, von Männern, immer wieder
geäußert wird, dass sie sich nicht gedacht haben, amol so von einer Frau abhängig zu sein
oder von Frauen. Oder dass es so bei Körperpflegesituationen, dass des andersch
demütigend empfunden wird von Männern als von Frauen. Und a, wenn man Grenzen
aufzoagn muss oder Grenzen ziehen muss, dass von Männern des immer wieder mal

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geäußert wird, von einer Frau haben sie sich so was no nie sagn lassn müssn. Also des isch
ganz deutlich, ja. … Und i kann mir schon vorstellen, also mir haben einen Bewohner ghabt,
der war da beim Bundesheer offensichtlich in höherer Position. Der hat sich unendlich
schwer getan mit den 20-, 25-jährigen Pflegerinnen, wenn die ihm gsagt haben, des geht
jetzt net und des kann er jetzt net machen. Also der hat sich da ganz schwer was sagn
lassn.“ (Professionelle I-P2, 60)

Frauen und Männer im Altenheim unternehmen auch eine Fülle von Aktivitäten in
eigener Verantwortung, um für sich selbst zu sorgen, um sich zu beschäftigen und
auch um fit zu bleiben. Diese Aktivitäten reichen vom täglichen Eincremen, über
Teilnahme an diversen Angeboten bis hin zu täglichen Spaziergängen. Eine Frau ist
stolz darauf, wie sehr sie sich pflegt und bittet die interviewende Person während des
Interviews ihre Wange zu berühren, damit sie spürt wie weich diese ist, trotz ihrer 70
Jahre. (I-B8, 450) Eine Angehörige schildert die Aktivitäten ihrer Mutter:
„Also ganz begeischterscht isch sie vom Singen oder des Gedächtnistraining. Weil die das
Gedächtnistraining leitet, die bringt immer je nach Jahreszeit entweder Kaschtanien und da
gibt sie nacha so Therapiemöglichkeiten mit die Kaschtanien wegen der Beweglichkeit. Oder
sie macht im Kreis Blätter und wenn überhaupt schon die Äpfel sind. Und jetzt Weihnachten
isch sie mit selba gebackene Keksl, aba mit an ganz an schönen Ambiente. Also sie lasst
sich imma irgendetwas einfallen und fordert dann a im Form von einen Gedächtnistraining -
des gfallt ihr a recht guat. Und die Bewegung mit Musik mag sie gern. Na, i schau auch im
Haus - des is allerdings, glaub i, ehrenamtlich - a Frau, die die Klangschalentherapie macht.
Und das genießt sie ja sehr. Und das isch ja a toll, gell. Ja. „So viel bringt’s ma eigentlich net,
aba sie isch so was von liab.“ Die haßt Elisabeth. Sagt sie: „Die isch so einmalig.“ Und sie
gfreut sich halt imma, wenn sie kommt, net. Und nacha sag i: „Ja, spürscht nix. Bischt
lockerer?“- „Wohl, wohl.“ Das ischt sie schon. Und ma merkt a dann, dass sie no frischer
isch. Aba da wartet sie halt imma - einmal in der Woche glaub i oder alle 14 Tog kommt die
Elisabeth. Und da schaut sie nacha schon, dass sie eben da die Therapie machen kann mit
die Klangschalen. Und was haben Sie denn? Ach ja, eine nette Frisörin ham sie auch im
Haus. Die eigentlich mit jeden guat umgehen kann.“ (I-A8, 174)

Eine andere Bewohnerin entdeckt im Alter noch ihr Talent zum Malen. Sie ist
erstaunt und in ihrem Selbstgefühl positiv bestärkt über diese Entdeckung. Auch ist
sie im Interview sehr dankbar, dass sie im Altenheim die Möglichkeit dazu gefunden
hat. Sie sagt:
„Das ist interessant, dass man dann im Alter noch draufkommt, was man eigentlich kann.“
(Bewohnerin I-B6, 164)

Die große Bedeutung, die Bewegung hat, kommt in der folgenden Passage zum
Ausdruck:
„Also was Bewegung anbelangt, dafür sorge ich und mach viel Bewegung, denn des is
einfach sehr wichtig. Wenn manche des richtig bedenken, dann würden sie a bissl mehr
gehen. ____ tun halt viel liegen und schlafen, und des is net immer s’Beste. Man muss sich
a a bissl anstrengen. Es lohnt sich. …“ (Bewohnerin I-B11,189)

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In all den angebotenen Aktivitäten werden Frauen und Männer eingeladen, immer
wieder kommen auch gemischte Gruppen zustande. Es fällt jedoch auf, dass Frauen
die Angebote des Hauses eher annehmen als Männer.

Eine wesentliche Frage ist, mit wem Männer und Frauen Beziehungen im Heim
eingehen? Die Grundstruktur des Kontaktes unter den BewohnerInnen gibt die
Beobachtung einer Mitarbeiterin wieder:
 „Ja, vielleicht ein Charakteristikum ist vielleicht, wenn i jetzt grad die Frühstückssituation, es
gibt einen, wie soll i sagen, einen großen langen Tisch, da sitzen nur Frauen. Und auffallend
is in der Früh, dass sie so fast um die gleiche Zeit kommen, also da sitzen dann mehrere
Frauen an dem Tisch. Wenn i mir des jetzt vorstell’ - oder - und die Männer, ja, es gibt einen
Herrn, der sitzt einzeln an nam Tisch, da habn wir gsagt, des muss so sein, weil der andere
Männer net vertragt. Der andere - da sitzen zwei Männer an nam Tisch und des immer, also
dass die einmal gemeinsam sitzen a net, ja. An dem Tisch sitzen auch drei Herren, wobei da
die Partnerin dabei ist, die sind immer unterschiedlich. Also des is jetzt für mich, weil Sie mi
jetzt so konkret fragen, auffallend. Also wenn i rauf kumm, dann sieh i - wenn, dann sitzen
Frauen beisammen, Männer einzeln. Des is auch beim Kaffeetrinken am Nachmittag, außer
Mittag. Aber gut, Mittag, da is afach um 12 Uhr die Mittagszeit oder auch auf 12 Uhr das
Mittagessen. Aber wirklich auffallend ist es beim Frühstück, dass sie vereinzelt und net - weil
in etwa waß ma ja, wann ma aufsteht. Aber bei den Frauen ist es wirklich auffallend.“
(Professionelle I-P3, 98)

Diese Beschreibung, die von vielen anderen Aussagen unterstützt wird, macht
deutlich, dass im Altenheim Frauen vor allem die Gemeinschaft von Frauen suchen
und auch bevorzugt mit Frauen Beziehung aufnehmen. Männer erscheinen hier eher
als Einzelgänger. In einem Workshop wurde noch hinzugefügt, dass diese Männer
auch deshalb allein sitzen, da die Gefahr besteht, dass sie, wenn sie
zusammenkommen, aggressiv werden.

Heterosexueller Kontakt ist selten aber möglich. Eine Bewohnerin erzählt von ihrer
Beziehung zu einem Mann im Heim, der dann leider gestorben ist.
„ … ein Patient, den wir nachher kennen glernt haben, wo wir befreundet dann sind gwesen,
wo ma immer nausgfahren sind mit dem Rollstuhl, […]. Aber er lebt nimmer.“ (Bewohnerin I-
B11, 109)

5.2   Spannungsfelder Familie

Familien, Verwandte und An- und Zugehörige spielen sowohl für die BewohnerInnen
als auch für die Mitarbeitenden und die Leitungskräfte eine zentrale Rolle im Lebens-
und Betreuungsalltag. In den unterschiedlichen Gesprächen hat sich gezeigt, dass
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die Hauptbezugspersonen der BewohnerInnen weiblich sind. Mehr Frauen – Töchter
und PartnerInnen – bleiben in engem Kontakt, wenn eine alte Frau, ein alter Mann,
ins soziale Kompetenzzentrum Rum übersiedelt. In einigen Gesprächen sind uns
Situationen begegnet, in denen Töchter oder (Ehe-)partnerinnen täglich zu Besuch
kommen, mit ihren Verwandten Ausflüge machen, sie beim Essen unterstützen oder
andere Hilfen im Alltag sind.
„Super, ja, die Tochter kommt jeden Tag.“ (Bewohnerin I-B12)

„In da Früh aufstehen und halt möglichst hinausgehen. Mia machen imma Wanderungen….
Meine Tochter, die kommt jeden Tag und des ist wichtig.“ (Bewohnerin I-B18)

Aus einer häuslichen Pflegesituation heraus verändern sich die Beziehungen durch
einen Umzug in das Haus. Entspannung wird beobachtet, besonders Mutter-Tochter
Beziehungen und ihre Veränderungen werden auch bewusst reflektiert. Entlastung
erfolgt für Angehörige auf der alltagspraktischen Ebene genauso wie im Gefühl der
Sicherheit, dass durch das Leben im Haus eine stabile Betreuungssituation
gewährleistet werden kann.

„Das was dahoam schon … ma wird oft amal ungeduldig, sag i jetzt. Net amal aggressiv,
sondern ungeduldig, wenn man so ständig mit jemanden zammenarbeitet. Und des fallt da
ganz weg. Ma kommt entspannt her. Ma kann freundlich sein.“ (Tochter I-A10)

Aus der Perspektive der Bewohnerinnen sind Kinder als familiäre Bezugspersonen
im Vordergrund, wohingegen für männliche Bewohner (Ehe-)partnerinnen wichtiger
sind.
„Alle Tag kimmt mei Frau... Und so san mir eben beinander.“ (Bewohner I-B5)

Das ist insofern auch verständlich, als keine der Bewohnerinnen, die wir in den
Gesprächen trafen, noch in einer Ehe oder Partnerschaft leben. Zumeist sind die
jeweiligen Partner bereits verstorben, in anderen Situationen sind Ehen auch
geschieden worden.
Zu beobachten ist auch, dass Männer, die zu Besuch kommen, eher in größeren
Abständen und damit punktuell kommen, Frauen eher kontinuierlich und in näherem
Kontakt bleiben.
„Mein Schwiegersohn, der kummt jeden Sonntag, der bringt mir oft a Jausn oder sonscht
irgendwas.“ (Bewohnerin I-B12)

Die Kontinuität kann vor allem dort beobachtet werden, wo das Bedürfnis nach Nähe
groß ist, und dieses Bedürfnis auf einer – und auch sehr unterschiedlich

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verlaufenden – Beziehungsgeschichte basiert. In konfliktreichen Beziehungen
kommen Frauen immer wieder auch sehr punktuell zu Besuch und vermeiden in
manchen Situationen sogar den Kontakt zur/m Verwandten.

„Wobei i sagen muss, teilweise hab i’s a so gmacht, wo i genau gwusst hab, sie isch an dem
Tag net da, geh i genau zu der Zeit her, dass i sie nit sehn muss oder sie mi nit sehn
muss.“(Angehörige I-A6)

Familienkonflikte begegneten uns aus den unterschiedlichen Perspektiven. Immer
wieder sind es die Geschichten, über die zunächst geschwiegen wird, die sich dann
als schwierige und enttäuschende herausstellen. Umgangsformen mit konflikthaften
Situationen in den Familien sind entweder Rückzug (z.B. der Umzug in das Soziale
Kompetenzzentrum Rum als Aussteigen aus einem Konflikt über Wohnsituation), der
Abbruch von Kontakten oder auch Schuldgefühle.
In der Frage, weshalb weibliche Angehörige die Rolle als Pflegende und auch als
Besuchende im Haus eher übernehmen, dominieren traditionelle Weiblichkeits- und
Männlichkeitsbilder. Diese werden auch in den nächsten Generationen beobachtet.

„Aber mei Mutter hat zum Beispiel auch ihre Schwiegermutter gepflegt. Also des isch, waaß i
net, in der Natur von der Frau, dass sie oanfach die Opferrolle spielt. Weil im Prinzip, es gibt
sicher die Gedanken vom Mann, nur der Mann würde nie seinen Beruf aufgeben, um seine
Angehörigen zu Hause zu pflegen. Also bleibts nachher immer wieder an der Frau hängen,
also sprich an der Schwiegertochter.“ (Angehörige I-A11)

„Na, mei Mann geht kaum her. Also das isch nur, wenn er was bringen muss. Oder wenn mia
amal einen Ausflug machen. (…) Aba schonscht kommt’s immer zu uns. Weil er eben
erdrückt die Atmosphäre.“ (Angehörige I-A8)

„Weil der Enkelin macht des überhaupt nix aus, aber der Enkel, in dem Moment, wie er im
Rollstuhl war und schon daheim. (…) Hat er in fünf Minuten, so wie halt mi a, des Gleiche
gfragt. Die hat immer wieder gsagt, na Opa. Aber der Enkel hat des net gschafft. Der hat no
oft gsagt, Opa, des hascht mi ja grad gfragt. Also total verschieden.“(Angehörige I-A5)

Für die Situationen in den Familien ist es auch wichtig, wie der Umzug ins Haus
erfolgt ist. Ist die Entscheidung freiwillig von der Betroffenen, von dem Betroffenen
getroffen worden, gelingt die Eingewöhnung in das Haus am leichtesten. Auch die
familiären Konflikte bleiben in diesen Situationen in einem für alle ertäglichen
Ausmaß. Erfolgt der Wechsel in die stationäre Betreuung und Pflege nach einer
langen Phase der häuslichen Versorgung im familiären Umfeld, sind Umstellungen
schwieriger und Schuldgefühle wahrscheinlich. Auch wenn die Situationen von
außen betrachtet schon lange als sehr anstrengend und schwer zu ertragen

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erscheinen, ist es für (zumeist weibliche) Angehörige nicht leicht, die Mutter, den
Vater oder Partner in das Haus übersiedeln zu lassen. In diesen Situationen ist das
Verständnis von Seiten der Betroffenen und die Einsicht der Notwendigkeit des
Umzugs sogar manchmal leichter. Am schwierigsten sind Situationen, in denen
aufgrund einer Krisensituation, z.B. eine plötzliche dramatische Verschlechterung
des Gesundheitszustandes, ein Wechsel in die stationäre Betreuung notwendig wird.
Hier kommt es zu Entscheidungs- Abschieds- und Trauerprozessen, die sehr rasch
erfolgen müssen und regelmäßig von allen Beteiligten als Überforderung erlebt
werden.

5.3   Spannungsfelder Betreuungssituationen

In vielen unterschiedlichen Gesprächen wuchs die Erkenntnis, dass Gender im
Altenheim vor allem als Sexualität präsent ist. Der Beginn des Workshops kann
diesbezüglich als exemplarisch gelten. Die Aufforderung an die Gruppe war,
Geschichten aus der Betreuungssituation in Zusammenhang mit Gender zu
erzählen. Gleich die erste Geschichte, die dann auch den weiteren Workshop
dominierte, begann folgendermaßen:
„Wir haben einen neuen Bewohner bekommen. Ich hab mich bei ihm vorgestellt, das war am
ersten Tag. Seine Frau sitzt dabei. I geh hin und sag Grüß Gott, i bin die [N.N.]. I stell mi bei
den Bewohnern immer mit Vornamen vor. Und sag, ja, es is ganz schwierig, uns alle kennen
zu lernen, und zum Spaß hab i gsagt, gegen Abend kennen wir uns dann schon. Und da
grinst er ganz verschmitzt, und die Augen leuchten auf, seine Frau sitzt daneben, und er
sagt, i weiß no net, ob i jemand kennen lerne, kommen Sie zu mir herein in mein
Schlafzimmer, in mein Bett, und dann kennen wir uns.“ (WS-P1, 29)

In der weiteren Folge wird auch die Gewalttätigkeit des Bewohners thematisiert. Die
Struktur dieser Gesprächsituation ist paradigmatisch für viele Gespräche. Innerhalb
einer zweigeschlechtlichen Dichotomie, kommt bei vielen Pflegerinnen auf die offene
Frage nach Gender zunächst das andere Geschlecht, die Männer, in den Blick. Sehr
oft wird die Sorge geäußert, dass es für die Männer zu wenig Angebote gibt. Danach
wird dann sehr schnell männliche Sexualität und/oder ihre Aggression thematisiert. In
keinem der Interviews kam Gender als Dynamik innerhalb der Gruppe der Frauen
zur Sprache. Diese eher sexualisierte Sicht findet sich auch bei den BewohnerInnen.

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Die Formen, in denen Wünsche und Bedürfnisse von BewohnerInnen und
Angehörigen geäußert werden, werden von Professionellen und Führungskräften als
klar geschlechterspezifisch wahrgenommen. So werden bei Frauen eher
Äußerungen des „Jammerns“ beschrieben, im Darstellen der eigenen Bedürftigkeit
und Not und auch des kontinuierlicheren „immer wieder“. Auch die Haltung „nur nicht
zur Last fallen“, aus der heraus gar keine Wünsche formuliert werden, wird als
weibliche beobachtet. Im Gegensatz dazu treten männliche Bewohner und
Angehörige dezidierter auf und fordern, machen Vorwürfe und werden zum Teil auch
recht vehement.
„Frauen,…die kommen oft in einer großen Verzweiflung, …es ist immer so ganz a große Not
im Vordergrund und emotional sehr gut ausgedrückt, diese Not. Und Männer kommen dann
eher, indem sie massive Vorwürfe machen … oder sie hauen auf den Tisch, jetzt im
wahrsten Sinne des Wortes.“ (Führungskraft I-F2)

„Während die Frau sagt, na bitte, würdescht du? Vielleicht eher. Wenn man so in der
dienenden,… und überrascht isch, dass sie jetzt was bekommt und empfangt. Vielleicht dass
dort der Mann eher fordernd isch und das is selbstverständlich und i zahl jetzt dafür und du
hascht des jetzt zu tun, so.“(Professionelle I-P7)

„Also sie können generell sehr fordernd sein, und des isch vielleicht so wieder eher des
frauenmäßige, des unterschwellige Fordernde, was man manchmal erlebt (…) Und bei
manche kimmt’s aber a sehr vorsichtig oder gar nit oder sehr, mhm, ja, wir wollen ja nit zur
Lascht fallen. Des is a so, des hört ma a relativ oft.“ (Professionelle WS-P3)

Umso ungewohnter scheint es für Professionelle zu sein, wenn weibliches Verhalten
sehr klar fordernd auftritt. Die Zuschreibung „aggressiv“ wird hier für eine Frau
gewählt, doch die Wahl dieses Begriffs erfolgt sehr vorsichtig.

„Es gibt dann schon a die echten Kämpferinnen, die oanfach wirklich beißen und wollen,
unbedingt. Das sein meischtens amol sehr fordernde Frauen, also generell fordernde
Frauen, die wissen, was sie wollen…. I moan, sie isch a wirklich immer wahnsinnig fordernd,
aber eben grad gegenüber anderen Heimbewohnern kann ma echt scho aggressiv sagen.“
(Professionelle WS-P3)

Auf der anderen Seite ist es spannend, die Umgangsformen der Professionellen mit
diesen unterschiedlichen Verhaltensweisen der BewohnerInnen und Angehörigen zu
reflektieren. Generell erleben sich weibliche Professionelle aber auch weibliche
Angehörige in komplexen Beziehungsgeflechten, in denen sie Balancen suchen. So
geht es immer wieder um die Frage, wie die unterschiedlichen Bedürftigkeiten in
Ausgleich gebracht werden können. Das eigene Selbstverständnis v.a. auch von
weiblichen pflegenden Angehörigen nährt sich aus der sinnstiftenden Rolle, für
andere da sein zu können. Leichter scheint es, sich gegen weibliche Forderungen
abzugrenzen, wenn Überforderung droht. Im Umgang mit männlichen Forderungen
kommt es zu einem Spannungsverhältnis zwischen professioneller Haltung, die

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Grenzen erlaubt und sogar notwendig macht und traditioneller Gender-Rolle, die
einen weiblichen Widerspruch gegen einen männlichen Wunsch nicht vorsieht.

„Vor allem, man muss wirklich mit klarer deutlicher Stimme mit ihm reden. Man muass ihm
einfach an Widerpart entgegenbringen. Man darf sich nix gfallen lassen, weil des würd er
wahrscheinlich gnadenlos ausnützen. Also wenn man so das kleine Mäuschen spielen
würde, des wär für ihn natürlich ideal.“ (Professionelle WS-P1)

Umgekehrt scheinen sich männliche Pflegende in fordernden Situationen gut
abgrenzen zu können. Aus der männlichen Rolle heraus sind auch andere
Verhaltensweisen möglich. Bewohnerinnen und Bewohner reagieren offensichtlich in
manchen Situationen auf männliche Pflegende anders als auf weibliche.

„Ja. Und als Mann, des hab i jetzt den Eindruck, kannscht dir viel mehr erlauben. Als
pflegender Mann kannscht dir viel mehr erlauben als wia wenn du als Frau pflegscht und vo
mir aus, woaß i net, die oane nervt di und du sagscht halt als Frau, maa, was tuascht denn
scho wieder? Sagt des a Mann, kann, … woaß i net, macht des ganz an andern Touch.“
(Angehörige I-A11)

Auf der Ebene der Teams gibt es unter den Mitarbeiterinnen eine grundsätzliche
Präferenz für gemischte Teams. Dieser Wunsch besteht, obwohl negative
Erfahrungen bestehen und auch angesprochen werden.
„der [Mann] nimmt sich einfach, i woaß net, ja, Dinge heraus aufgrund seiner Männlichkeit“
(Professionelle I-P7, TS 323).

Für den Vorzug gemischter Teams sind drei Gründe maßgeblich. Da ist zum einen
der Blick auf die PatientInnen:
„Also ich denke, eine Durchmischung, geschlechterspezifisch, ist grundsätzlich gut. Egal,
welche Berufsgruppe. Ich denke vor allem in der Pflege, das seh ich auch hier immer wieder
im Arbeitsablauf, ist es notwendig, dass es beide Geschlechter gibt, weil da a ganz einfach
Wünsche der Betreuten vorhanden sind. Es gibt Bewohnerinnen und Bewohner, die sich
durchaus nur vom selben Geschlecht waschen lassen, zB Körperpflege, die ______. Die
wollen sich nicht nackt dem anderen Geschlecht zeigen, präsentieren. Es gibt aber den
umgekehrten Fall, die genau das wollen. Also da denke ich, ist es auf jeden Fall nicht nur für
das Team selbst, sondern auch die Befriedigung der Bedürfnisse, der Anforderungen
unserer Bewohner wichtig, dass wir beide Geschlechter haben im Personal, im
Pflegepersonal.“ (Führungskraft I-F1, 205)

Darüber hinaus wirkt sich die männliche Präsenz positiv für ein Team aus. Es sind
vor allem zwei Aspekte ausschlaggebend.
„Also i denk mir, auf jeder Station, also im Altenheim auf jeder Station _____ Auf jeden Fall
zwei Männer. Rein fürs Klima und a für die körperliche Entlaschtung.“ (Prfessionelle I-P6,
425)

Männer wirken sich positiv auf die Teamdynamik aus:

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„Na ja … Frauen … wissen sich jetzt net so zu schätzen, sondern die sehen halt immer nur /
ja, es is halt immer so a gewisses Konkurrenzdenken unter Frauen, ja, schwierig.
Schwieriger. I arbeit eigentlich a lieber mit Männern zsamm. Weil es is halt net so emotional
immer. Und ma kann gewisse Dinge sagen, ohne dass da jemand weiß Gott wie beleidigt
isch, während bei einer Frau isch des immer / net immer, aber es gibt halt, ja, schwieriger
find i, für mich.“(Professionelle I-P7, 407)

Schließlich bewirken Männer auch eine körperliche Entlastung:
„Ja, dass gewisse harte Arbeiten, Hebearbeiten und so, durch die Männer gmacht werden,
dass ma sich da a bissl sagen kann, das kann dann die Person schon besser, weil es is
eben viel Hebearbeit und so weiter a dabei, also harte körperliche Arbeit. Und weil a die
Frauen Männer gern sehen und mögen und in der Pflege haben, und ja, Yin-Yang a von der
Ausgewogenheit eher.“ (Professionelle I-P7, 384)

Professionelle      bevorzugen        auch       eine     BewohnerInnengruppe,           die
geschlechtsheterogen ist.
„Es ist schon auffallend, wenn in der Validationsgruppe ein Mann ist. Das ist markant.
Belebend. Es ist so. Dass ich immer wieder schaue, wenn es gelingt, dass er dazukommt,
weil es einfach ganz anders wird. Ich erlebe es dann - wie soll ich sagen? Aber weil Sie
sagen so die Wertschätzung. Nur die Frauengruppe … ich bekomme die Wertschätzung
sehr wohl von den Frauen, aber ich muss auch immer so schauen, dass die Gruppe gut
geht. Wenn ein Mann drinnen ist - der eine - da denke ich mir immer wieder … ich kann nicht
einmal sagen, dass es jetzt leichter wird, aber es hat einfach eine andere Dynamik in der
Gruppe. Das heißt, dass die Frauen sich jetzt irgendwie - ich kann auch nicht sagen, dass
sie sich jetzt mehr zusammenreißen - aber der Blick ist dann eher konzentriert auf ihn, wenn
er einmal was sagt. Es ist einfach anders.“ (I-P5, 60)

Solche Beobachtungen sind für manche Professionelle der Impuls, sich verstärkt um
Männer zu bemühen. Männer erscheinen dann umso mehr als das umworbene
Geschlecht, um die man sich besonders bemühen muss.

5.4   Spannungsfelder Leitung

Eine Führungskraft formuliert eines der größten Spannungsfelder in der Betreuung
alter Menschen.
„I denk, dass Emotionalität abgewertet wird, also mit dem, was dabei darunter verstanden
wird, dass es koan hohen Stellenwert hat und dass es eigentlich zwoa Welten sind, zwoa
Weltbilder mit unterschiedlichen Sprachen. Also in der Geschäftsführerebene, sag i jetzt
einfach so, in der Leitungsfunktion, geht’s um Zahlen, und da geht’s um Fakten und a
sachliche Auseinandersetzung mit Zahlen. Und es geht sehr leicht, wenn man distanzieren
kann von diesen Betreuungssituationen. Pflegende können sich da nit so sehr entziehen
oder eigentlich gar net, und ihnen steht einfach dieses Zahlenvokabular gar net so sehr zur
Verfügung. Sie können nur des zum Ausdruck bringen, was sie erleben, empfinden und
wahrnehmen. Und es wird sehr verletzend wahrgnommen, wenn des von vornherein so
abgwertet wird, wo’s dann hoaßt, ja, ihr seid’s emotional.“ (I-F2, 64)

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Hinter diesen Sprachen stehen unterschiedliche Erfahrungsebenen. Die emotionale
Pflegesprache denkt in erster Linie in Beziehungskategorien. Was braucht der/die
andere und wie kann ich diesen Bedürfnissen gerecht werden, sind ihre leitende
Fragen. Sie ist von Frauen dominiert. Anders die Zahlensprache, hinter der ein
ökonomisches Gedankengebäude steht. Die Fragen, wie ist die Tätigkeit messbar,
begrenzbar und finanzierbar, stehen im Vordergrund. Dieser Bereich ist männlich
geprägt. Dazu kommt als dritte noch eine medizinische Fachsprache. Sie versucht
menschliche Befindlichkeit zu diagnostizieren, um es der Therapie zugänglich zu
machen. Auch dieser Bereich ist eher männlich geprägt. Wenngleich jede dieser
Sprachen einen notwendigen Bereich innerhalb des Altenheims bearbeitet, besteht
das größte Problem darin, dass es keine kommunikative Verbindung dieser Bereiche
gibt. Die Dominanz von Ökonomie und Medizin im Altenheim erscheint dann auch als
Dominanz von Männlichkeit über Weiblichkeit, obwohl in der „Frauenwelt Altenheim“
Frauen zumindest quantitativ dominieren.
„Es werden einfach meiner Meinung nach von vornherein einer Frau abgesprochen die
Fähigkeit, dass sie eine doch recht große Zahl von Mitarbeitern führen kann, dass sie sich
entsprechend durchsetzen kann, dass sie beurteilen kann, wie Entscheidungen zu treffen
sind. All dies wird meiner Meinung nach tendenziell einer Frau abgesprochen von dieser
Generation.“ (Führungsperson I-F1)

In der Frauenwelt „Altenheim“ ist Leiten eindeutig männlich qualifiziert. Sowohl
Vorgesetzte als auch MitarbeiterInnen und BewohnerInnen schreiben Männern eher
zu, Sicherheit und Entschiedenheit mitzubringen. Das heißt, Männer werden
selbstverständlich als Leitung gesehen, Frauen müssen sich demgegenüber immer
wieder rechtfertigen. Zwei Aussagen belegen diese Grundhaltung.
„A Bonus von vornherein aufgrund dessen, dass er a Mann isch, weil Leitung isch in vielen
Köpfen männlich. Also Vorschuss nit nur von Seiten derjenigen, die ihn fördern oder
einstellen würden, sondern a von den Mitarbeitern, Mitarbeiterinnen. Also i glaub, dass sich
sogar die Pflegenden eher a an einem Mann orientieren würden als an einer Frau, wenn sie
jetzt die Wahl hätten. I denk, wenn man’s so wirklich jetzt nebeneinanderstellen würde,
nachher hätte die Aussage von an Mann mehr Gwicht als von einer Frau.“ (Führungskraft I-
F2, 84)

„In der Zwischenzeit bin ich überzeugt davon, dass diese Generation, die heute hier wohnt,
oder der überwiegende Teil dieser Generation, der heute hier in diesem Haus wohnt, in
meiner Funktion als Hausdirektor einen Mann haben möchte. Weil der einfach die starke
Hand hat durchzugreifen, und er kann sich durchsetzen, und so eine Funktion kann halt nur
ein Mann, oder kann halt besser ein Mann ausführen als eine Frau. Also das, denke ich, bei
unserer heutigen Generation in diesem Alter ist sehr wohl diese Idealvorstellung im Kopf
vorhanden.“ (Führungskraft I-F1, 73)

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Ein weiterer Aspekt dieses männlich geprägten Bildes von Leitung ist, dass Frauen in
der     Leitung      viel        eher    die     Spannung       zwischen      Leitung      und
Beziehung wahrnehmen und thematisieren.
„Ja es vermischt sich so viel. Weil die Stationsleitung ist einerseits für alles verantwortlich,
andererseits ist die Zeit net gegeben. Du bischt ständig am Rechtfertigen, warum du für des
jetzt so viel Zeit brauchscht und für des Zeit brauchscht und für die Bewohner hat ma keine
Zeit mehr, für den, wo eigentlich am meischten Zeit brauchen solltescht.“ (Professionelle I-
P6, 93)

Auch wenn in Altenpflegeheimen ein Großteil der Mitarbeitenden weiblich ist, gibt es
nach wie vor das Phänomen, dass, je höher der hierarchische Status ist, die
Wahrscheinlichkeit zunimmt, Männer in diesen Positionen anzutreffen. Im sozialen
Kompetenzzentrum            in   Rum    ist    somit   die   Situation,   dass   die    beiden
Führungspositionen im Haus von Frauen übernommen werden, bemerkenswert.
Dass die geschäftsführende Rolle dann männlich besetzt ist, überrascht wiederum
weniger. In den Gesprächen haben sich unterschiedliche Phänomene gezeigt, die
vor dem Hintergrund von „doing profession“ und „doing gender“ diskutiert werden
können. Gerade für Leitungskräfte ergeben sich hieraus auch Widersprüche.
Es kann im Haus ein weiblicher Führungsstil beschrieben werden, der sich durch
eine hohe Solidarität mit den Mitarbeitenden auszeichnet. Die Führungspersonen
werden als leicht ansprechbar wahrgenommen und der Widerspruch zwischen
ökonomischer Rationalität und fürsorglichen Beziehungen wird gut balanciert.
„Auf der einen Seite ist mir wichtig eine ganz gute Vertrauensbasis zu haben zu Mitarbeitern.
Vom Führungsstil her würde ich meinen Führungsstil als kollegialen Führungsstil
bezeichnen. Die Mitarbeiter und die Stationsleitungen haben also wirklich maximale
Freiheiten und auch Entscheidungsfreiheiten.“ (Führungskraft I-F4)

Männer in den Leitungspositionen agieren in einer stärkeren Übereinstimmung von
Erwartungen an ihre Gender-Rolle mit den Erwartungen an ihre Berufsrolle. Das
Ausmaß der Widerspruchsbearbeitung wird dadurch geringer.
„A Bonus von vornherein aufgrund dessen, dass er a Mann isch, weil Leitung isch in vielen
Köpfen männlich. Also Vorschuss nit nur von Seiten derjenigen, die ihn fördern oder
einstellen würden, sondern a von den Mitarbeitern, Mitarbeiterinnen. Also i glaub, dass sich
sogar die Pflegenden eher a an einem Mann orientieren würden als an einer Frau, wenn sie
jetzt die Wahl hätten. I denk, wenn man’s so wirklich jetzt nebeneinanderstellen würde,
nachher hätte die Aussage von an Mann mehr Gwicht als von einer Frau.“
 (Führungskraft I-F2)

Als ein eher männliches Agieren wird das hierarchische Denken beschrieben. Die
starke Orientierung an Strukturen, die an Menschen angepasst werden müssen, ist
                                                                                             20
der umgekehrte Weg, den die befragten weiblichen Führungskräfte gehen, indem sie
Strukturen auf Basis der menschlichen Bedürfnisse entwickeln.

„…dass Männer eher hierarchisch denken. Für Männer steht eher eine gewisse Struktur im
Vordergrund. Da versucht man dann Strukturen auf Menschen umzulegen.“
(Führungskraft I-F4)

„Das heißt aus meiner Begrifflichkeit, je höher ich oben angesiedelt werde, wird die Luft
immer dünner und ich habe dann ober mir niemanden mehr, dem ich irgendwelche
Entscheidungen oder andere Auslegungen als Rechtfertigung nach unten vermitteln kann. Je
weiter oben ich bin, habe ich einfach Entscheidungen zu treffen und auch dazu zu stehen.
Dort ist es in einer anderen Situation. Dort orientiert man sich eben an den Fakten der
Rahmenbedingungen.“ (Führungskraft I-F3)

Dieses    hierarchische     Denken      geht   einher     mit     der   Dominanz       der
Rahmenbedingungen, die ausschlaggebend sind dafür, wie Bedürfnisorientierung in
der stationären Altenpflege und –betreuung überhaupt umgesetzt werden kann.

Darüber wird ein allgemeiner Widerspruch deutlich, der in allen Organisationen der
stationären   Altenpflege    und      –betreuung   und    damit    auch       im   sozialen
Kompetenzzentrum Rum wirksam ist. Der formale Rahmen der Organisation, der
durch klare rechtliche und ökonomische Regeln vorgegeben ist und innerhalb dessen
sich Strukturen und Prozesse zur Erfüllung des gesellschaftlichen Auftrags der Sorge
um alte unterstützungsbedürftige Frauen und Männer bilden, steht den ganz
individuellen Lebensgeschichten und dem existenziellen Alltag der Betroffenen
gegenüber. Deutlich wird dieser Widerspruch insbesondere im Arbeitsfeld der
Pflegenden. Sie haben die konkrete Bedürfnisorientierung mit den strukturellen
Anforderungen zu balancieren und werden darin durch die Leitungskräfte – in die
eine oder andere Richtung hin unterstützt.
Beispielhaft für dieses Zueinander von Lebenswelt und Organisation ist die Frage
nach Entscheidung. Organisationen funktionieren gewöhnlich über Entscheidungen,
z.B. welche KundInnengruppe gewünscht wird oder nicht. Grenzen werden gesetzt
dort, wo Wünsche und Angebot nicht zusammenpassen. In der Lebenswelt der
pflege- und hilfsbedürftigen alten Frauen und Männer gibt es viele Entscheidungen
nicht (mehr), manches entscheidet sich, ohne dass es gewünscht wird, es passiert,
es geschieht. Oder, im Fall von Pflegegeschichten „man/frau schlittert hinein“. Dieses
Phänomen      spiegelt    sich   in   Organisationen     der    stationären    Altenpflege
und -betreuung wider.

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„Ich schlittere in eine Situation hinein, wo ich mir nicht von allem Anfang an Klarheit habe
über den Umfang, über die Aufgabe und Inhalt. Ich formuliere oder dann die Reaktionen sind
dann meistens so, dass man also einfach aus dem Defizit heraus argumentier. Und auch die
Situation aufgrund dessen, weil ich emotional so gebunden bin in diesem Hineinschlittern,
kann ich auch die Situation nicht loslassen.“ (Führungskraft I-F3)

Denn so wie einzelne Personen, oftmals Frauen, in Situationen kommen, in denen
sie keine andere Möglichkeit sehen, als die Pflege für eine/n Angehörig/n zu
übernehmen, kommen Organisationen der stationären Altenpflege und –betreuung
immer wieder in Situationen, in denen sie sich um Personen kümmern müssen, die
vielleicht gar nicht im Bereich der „Kernkompetenzen“ liegen. Und das dann noch
dazu mit sehr beschränkten Ressourcen. Die Überlegungen, wie es hier möglich ist,
einen besseren Stellenwert innerhalb der Gesellschaft zu erlangen, beschäftigen
Leitungskräfte, aber auch die Politik.
„Also wir haben Rahmenbedingungen, die einfach Rahmenbedingungen sind und wie kann
ich mich ganz klar abgrenzen, wo ich keinen Einfluss mehr habe auf die Ausweitung der
Rahmenbedingungen oder mir die Möglichkeiten genommen sind. Und trotzdem dass ich für
mich selber klar definiere und - da spreche ich jetzt für die Organisation -, dass die
Organisation sich für sich selber klar definiert: >Wir machen eine gute Arbeit, die
bestmöglichste Arbeit mit den zur Verfügung stehenden Mitteln
Frauen in ihren Stärken zu unterstützen und mit den vielleicht auftretenden Ängsten
vor Bedrohung umgehen zu können.
Für einen geschlechtersensiblen Umgang bedeutet dies, dass alle Frauen und
Männer mit ihren Kompetenzen und Bedürftigkeiten wahrgenommen werden können.
Dies ist insofern keine selbstverständliche Aufgabe, als jede/r von uns mit ihren und
seinen eigenen geschlechterspezifischen Lebenserfahrungen bestimmte vorgefasste
Bilder und Wertungen mit sich herumtragen, die in allen Interaktionen wirksam
werden. Anerkennung bedeutet also auch, sehen zu können, wo ich selbst
Verletzungen erfahren habe und blinde Flecken zutage treten, wenn ich mich mit der
eigenen Lebensgeschichte auseinander setze.
Anerkennungskultur bedeutet vor allem in den Leitungspositionen von stationären
Einrichtungen der Altenpflege und –betreuung, dass strukturelle Widersprüche
zwischen Ökonomie, Recht, Qualität und Menschlichkeit immer wieder aufs Neue
identifiziert und balanciert werden. Die Aufgabe, „Individualität zu organisieren“,
(Heimerl, Heller, Zepke, Zimmermann-Seitz 2007) erhält damit vor dem Hintergrund
einer        expliziten     Aufnahme            von      Geschlechtersensibilität        und
Geschlechtergerechtigkeit nochmals eine weitere Akzentuierung.

Altenbetreuung      und    -pflege      ringt   den    MitarbeiterInnen      ein   komplexes
Anforderungsprofil ab. Es finden sich in ihr viele herausfordernde Alltagssituationen,
die den BetreuerInnen vielfältige und multidimensionale Kompetenzen abverlangen
wie     Pflege,   Gerontopsychiatrie,     Palliative   Care,   Validation,    Hauswirtschaft,
Gefühlsarbeit, Medizin, Therapien, uvm.. Aufgrund der Ergebnisse dieses Forschung
möchten wir dieserFähigkeit eine zusätzliche Schlüsselqualifikation hinzufügen: die
Genderkompetenz. Sigrid Metz-Göckel und Christine Roloff verstehen unter Gender-
Kompetenz „das Wissen, in Verhalten und Einstellungen von Frauen und Männer
soziale Festlegungen im (privaten, beruflichen, universitären) Alltag zu erkennen und
die Fähigkeit, so damit umzugehen, dass beiden Geschlechtern neue und vielfältige
Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet werden.“ (Metz-Göckel, Roloff 2002, 8) Sie setzt
sich aus Wahrnehmen, Fühlen, Reflektieren, Wissen und Handeln zusammen.

Demgemäß sollten die MitarbeiterInnen des Sozialen Kompetenzzentrums Rum
zunächst lernen, die Dimension Gender in ihren vielfachen Facetten und
Wirkmächtigkeit im Alltag zu erkennen und in ihrem alltäglichen Handeln als

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