Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge)
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Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) ZUSAMMENFASSUNG tischer Canyons). Sie führten eher zur voll- Bereits vor 100 Jahren erfolgte eine syste- ständigen Verstopfung der Profile und zur matische wissenschaftliche Bearbeitung der Ausbildung von Bypässen. So können auch Eisriesenwelt (ERW) im Rahmen einer Expe- die verwinkelten Labyrinthe erklärt werden. dition der Akademie der Wissenschaften. Ein karbonatreicher Ton „Heller Höhlen- Danach wurde es relativ ruhig um die geo- ton“, der in vielen kalkalpinen Höhlen häu- wissenschaftliche Erforschung der ERW, fig ist und deren Charakter deutlich prägt, obwohl sie bis 1985 mit 42 km die längste fehlt in der ERW. Höhle Österreichs war. Dieser Beitrag basiert Die heutigen Höhleneingänge stellen Ver- auf einer Kartierung von Raumformen so- schnitte der deutlich älteren Höhle mit der wie geologischen und sedimentologischen geologisch jungen Hangoberfläche des Beobachtungen, was eine Interpretation der Salzachtals dar. Das Wasser floss im Schau- Entstehung dieser Höhle ermöglicht. höhlenteil bergauf, dieser war Teil eines zu- Die meisten Teile sind vorwiegend horizon- mindest 140 m tiefen Siphons. Die aus tal und zwischen 1650 und 1800 m See- Fließfacettenlängen und Gangquerschnitten höhe entwickelt, wobei großräumige ermittelten ehemaligen Durchflussmengen Gänge mit Querschnitten über 100 m² von während Hochwässern lagen in der Größen- kleinräumigeren Labyrinthen flankiert wer- ordnung von 100 m³/s. Dies, die Fließ- den. Obwohl das Gestein vorwiegend richtung und die Lage am Südrand der Kalk- gebankter Dachsteinkalk ist, sind Schicht- alpen legen eine Speisung durch Flüsse aus fugen für die Anlage der Gänge unbe- den Zentralalpen nahe. deutend, und fast alle Gangabschnitte sind störungsgebunden. Einige Teile im Norden Lukas Plan und Osten sind im Dachsteindolomit aus- ABSTRACT Karst- und Höhlen-Arbeitsgruppe am gebildet. Genetic interpretation of Eisriesenwelt Naturhistorischen Museum Wien Die ERW ist durch fließendes Wasser vor- (Tennengebirge) Museumsplatz 1/10/4 wiegend unter (epi)phreatischen Bedingun- Already one hundred years ago, systematic 1070 Wien gen nahe dem ehemaligen Vorflutniveau scientific investigations of Eisriesenwelt lukas.plan@nhm-wien.ac.at entstanden. Ein Vergleich mit anderen (ERW) succeeded in the frame of an ex- Höhlen und Entstehungsmodellen macht pedition of the Academy of Sciences in Eva Kaminsky eine Bildung im Oberen Miozän bis Pliozän Vienna. Subsequently only little geoscientific eva.kaminsky@nhm-wien.ac.at (vor grob 5 Millionen Jahren) wahrschein- research was carried out in ERW, although lich. Vadose Passagen bzw. eine Über- with 42 km, it was the longest cave in Au- Tanguy Racine prägung durch vadose Gerinne sind selten. stria until 1985. The present report is Institut für Geologie, Universität Innsbruck Fließfacetten ergeben relativ konsistent eine based on mapping of cave passage Innrain 52 generelle Paläofließrichtung während der morphologies, as well as geological and 6020 Innsbruck (epi)phreatischen Phase nach Nordosten. sedimentological observations, which allows tanguy.racine@student.uibk.ac.at Viele Abschnitte zeigen Spuren ehemaliger for an interpretation of the cave develop- Sedimentverfüllung wie paragenetische ment. Gabriella Koltai Deckenkarren, Sedimentreste an den Wän- Most parts are fairly horizontal and deve- gabriella.koltai@uibk.ac.at den und Sinterböden über ehemaligen loped between 1650 and 1800 m a.s.l., Sedimentfüllungen. Die Sedimente hatten whereby large passages with cross-sectional Eingelangt: 7.4.2021 aber nur in wenigen Gängen Auswirkungen areas greater than 100 m² are flanked by Angenommen: 8.5.2021 auf die Querschnitte (Ausbildung paragene- extensive mazes of smaller dimensions. Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021 117
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Although the rock is predominantly bedded Dachstein lime- These sediments, however, affected passage morphology stone, bedding planes had little control on the development (development of paragenetic canyons) only in a few galleries. of the passages, with almost all sections being guided by They more likely led to a complete blockage of the profiles faults. Several parts in the north and east were and the formation of bypasses. This can also explain the com- formed in Dachstein dolomite. plex mazes. Carbonate-rich clay deposits, common in other The ERW cave system was formed by flowing water pre- cave systems of the Northern Calcareous Alps and clearly dominantly under (epi)phreatic conditions, close to the defining their character, are absent in ERW. former base level. A comparison with other caves and spe- The present cave entrances represent intersections of the leogenetic models makes a formation in the Upper Miocene clearly older cave with the geologically young slope surface to Pliocene (roughly 5 million years ago) probable. Vadose of the Salzach valley. The water flowed uphill in the show- passages or passages overprinted by vadose streams are rare. cave part and this was part of a siphon at least 140 m deep. Scallops indicate a fairly consistent general palaeo-flow The former flow rates during floods determined from scallop direction toward the northeast during the (epi)phreatic phase. lengths and channel cross sections were in the order of Many passage profiles exhibit traces of prior sediment infill, 100 m³/s. This, the direction of flow and the location at the such as paragenetic ceiling channels, sediment remains in southern rim of the Northern Calcareous Alps suggest a wall niches and flowstone floors above former sediments. feeding by rivers from the Central Alps. EINLEITUNG Die Eisriesenwelt (ERW, 1511/24) im Tennengebirge in Österreich. Es liegen umfangreiche Untersuchun- und die Dachstein-Mammuthöhle (DMH, 1547/9) gen zum Höhleneis und seiner Entwicklung vor (Spötl stellen die ersten hochalpinen Riesenhöhlen dar, die et al., 2020). Erstaunlich ist, dass im Gegensatz zur Anfang der 1910er-Jahre auf Längen von etlichen Kilo- DMH bisher wenig über die Morphologie und Ent- metern erkundet und dokumentiert wurden (Klappa- stehung der ERW publiziert wurde. Die diesbezügliche cher & Haseke-Knapczyk, 1985; Plan & Herrmann, Literatur beschränkt sich großteils auf die Ergebnisse 2010). einer Expedition der Akademie der Wissenschaften in Bis dahin kannten die Forscher auf dem Gebiet der Wien vor 100 Jahren, diverse Beobachtungen und Österreichisch-Ungarischen Monarchie ausgedehnte Überlegungen von Höhlenforschern sowie zwei und großräumige Höhlensysteme vorwiegend aus Dissertationen, in denen die ERW nur am Rande dem Mittelsteirischen, dem Klassischen und dem behandelt wurde. Mährischen Karst (Saar & Pirker, 1979). Bald wurden In diesem Artikel werden einleitend die bisherigen Modelle zur Entstehung dieser gewaltigen, in den Untersuchungen und Modellvorstellungen zur Genese Nördlichen Kalkalpen (NKA) gelegenen Höhlensyste- der ERW zusammengefasst. Der Hauptteil befasst me aufgestellt, die auch auf die damaligen Vorstellun- sich mit morphologischen und sedimentologischen gen der alpinen Landschaftsentwicklung Einfluss hat- Beobachtungen und Daten, die während sechs Be- ten und rege diskutiert wurden (z.B. Bock, 1913, Plan fahrungstagen im Herbst 2020 und Frühjahr 2021 & Herrmann, 2010). gemacht wurden. Ziel ist die Interpretation dieser Die Eisriesenwelt, die oft als größte Eishöhle der Welt Daten entsprechend den aktuellen speläogenetischen gehandelt wird, ist die besucherstärkste Schauhöhle Modellvorstellungen, um neue Einblicke in die Entste- und mit 42 km Länge das neuntlängste Höhlensystem hungsgeschichte der ERW geben zu können. BISHERIGE UNTERSUCHUNGEN Die Entdeckung und Erforschung der ERW ist in bohrung des Gesteins durch unter Druck stehendes, Klappacher & Haseke-Knapczyk (1985) ausführlich rasch fließendes und Geröll führendes Wasser“ ange- zusammengefasst. Anfänglich (Machatschek, 1921) nommen, was Bock (1913: 82) als Eforation bezeich- wurde die Entstehung analog zur DMH gesehen und net. Für eine umfangreiche wissenschaftliche Erfor- Bocks (1913) „Höhlenflusstheorie” eins zu eins ange- schung organisierte die Akademie der Wissenschaften wendet. Dabei wurde von einer Bildung durch große vom 30.3. bis 8.4.1921 eine großangelegte Expedition. Wassermengen im Bereich des Vorflutniveaus ausge- Die Ergebnisse wurden in sieben Fachrichtungen gangen. Neben der Korrosion wurde auch eine „Aus- gegliedert in mehreren Speläologischen Jahrbüchern 118 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Abb. 1: Die störungsgebundene 0,25 km lange Gerade Kluft wurde genetisch unterschiedlich interpretiert. Fig. 1: Several differing interpretations have been proposed regarding the origin of the 0.25 km-long, fault-controlled Gerade Kluft. Foto: Tanguy Racine Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021 119
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) publiziert (bzw. leicht gekürzt in Angermayer et al., und meinte, dass diese „durch Wasserwirkung in keiner 1926). Im zweiten Teil (Oedl, 1922) ist ein Plan von Wal- Weise erklärbar” sei. Die Phase der Wasserführung sah ter Freiherr v. Czoerning und Robert Oedl (For- er im Mittelmiozän bzw. Pliozän und jedenfalls schon schungsstand 1920) veröffentlicht, wo die meisten vor den Eiszeiten beendet. Spätere offene (also vadose) Teile bis zum Tropfsteindom und Teile der Seitenla- Gerinne nutzten die vorhandenen Gänge nur ab- byrinthe, nicht aber die Teile hinter dem Poldischluf schnittsweise und schnitten sich in diese ein wie z.B. dargestellt wurden. Im Rahmen dieser Expedition im Canyonlabyrith. Die Herkunft der quarzreichen wurden auch geologische Beschreibungen gemacht: Sedimente deutete er wie Pia (1923) als zentralalpin. Pia (1923) stellte fest, dass die meisten Teile der ERW Lehmann (1922a) erkannte weiters, dass die heutigen im undeutlich geschichteten Dachsteinkalk angelegt Eingänge durch Verschnitt mit dem jüngeren Salzach- sind, der mit 25 bis 45° in Richtungen um NNW ein- tal entstanden und dass durch diese kein Wasser aus- fällt. Nur beim Fledermausgang und beim Steinmann getreten ist. Dazu spekulierte er: „Das Wasser könnte S vom Oedl-Dom seien Linsen aus Dachsteindolomit bei genügendem Druck sogar von S her in die damalige aufgeschlossen. Weiters machte er Gefügemessungen Höhle hinein- und in dem Vorläufer der Posselthalle an den Harnischflächen, die fast ausschließlich Seiten- emporgedrungen sein. Wahrscheinlich ist ein solcher verschiebungen darstellen. Er erkannte, dass fast alle Druck aber nicht” (Lehmann, 1922a: 121). Gänge störungsgebunden sind und die Schichtung Ähnlich wie in der DMH sah Biese (1926; siehe auch keinen Einfluss auf deren Anlage hat. Für die meisten Plan & Herrmann, 2010) seine „Gebirgsdrucktheorie” Teile nahm Pia eine Erweiterung durch Wasser an. auch in der ERW bestätigt. Dabei ging er davon aus, Eine Ausnahme sah er in der Geraden Kluft, die er als dass Hohlräume aufgrund des vom überlagernden „klaffende tektonische Spalte“ deutete, die später vom Kalkgestein ausgeübten Drucks verbrechen, wenn die Wasser überprägt wurde (1923: 60; Abb. 1). Er be- Überlagerung wenige 100 m überschreitet. Biese schrieb Augensteinsedimente, die ehemals manche (1926: 39) räumte aber ein, dass manche Gänge, wie Teile (z.B. Krapfenlabyrinth) bis zur Decke erfüllten, z.B. der Wassergang, auch durch Eforation entstanden sowie die daraus bestehenden kugeligen Konkretio- sein könnten. Wenige Jahre später veröffentlichte er nen, die als „Krapfen” bezeichnet wurden. Er nahm eine umfassende Zusammenschau etlicher Höhlen allerdings an, dass die Augensteinsedimente nicht aus europäischen Karstgebieten (Biese, 1933). Für durch das Wasser während der Höhlenentstehung die ERW gab er eine ausführliche Beschreibung der abgelagert wurden, sondern später durch Schächte seit 1921 entdeckten Teile (bis Robertversturz und vom Plateau eingespült wurden. Weiters stellte er fest, Diamantenreich II samt einiger Seitenlabyrinthe). Er dass die wechselhafte Geschichte von Sedimentation, argumentierte vehement gegen die Höhlenfluss- teilweiser Zementation bzw. Sinterbildung und teil- theorie samt Eforation und postulierte ein Genese- weiser Wiederausräumung Ähnlichkeiten mit der modell, in dem Verbruchvorgänge und vadose Wässer Dachstein-Rieseneishöhle (1547/17) hat. die größte Bedeutung haben. Lehmann (1922a), ebenfalls ein Teilnehmer der Ex- In einem Vortrag stellte Gustave Abel Vergleiche mit pedition, gab eine ausführliche Beschreibung der den Flusshöhlen des Klassischen und des Mährischen Morphologie und Eisführung. Er versuchte auch, eine Karsts an und schloss, dass auch die ERW ähnlich Gesetzmäßigkeit zwischen der Anzahl und Verteilung entstanden ist, wobei er der mechanischen Erosion der Schlote und Schächte zu finden und Versturzvor- besondere Bedeutung zukommen ließ (Abel, 1952). Er gänge zu berechnen. Neben den vom Versturz über- nahm an, dass das Pitschenbergtal am Plateau des prägten Teilen identifizierte er etliche „Druckstollen”, Tennengebirges im Tertiär ein aus den Zentralalpen die bei ihrer Entstehung gänzlich wassergefüllt waren gespeistes Flusstal war (Abb. 2). Darin hätten sich (z.B. Wassergang, Fuchsgang). Für einen Teil der Höhle, Ponore entwickelt, die das Wasser in Höhlenflüssen einen Abschnitt im 1. Verbindungsstollen, schloss nach (N)W durch die ERW zu einem Vorläufer des Lehmann (1922a: 89) auf eine „eindeutige" Fließrich- heutigen Salzachtals leiteten. In der anschließenden tung nach SE, indem er die „Wandnischen” mit „Ufer- Diskussion gab es Zustimmung aber auch Ablehnung wirbeln“ – Formen die heute als Fließfacetten bezeich- zu seinem Modell. net werden – interpretierte. Diese richtungsweisende Koppenwallner (1963) vertrat die Theorie, dass die Methodik stammt von Vergleichen mit Formen in den großen Höhlensysteme am S-Rand der Salzburger Salzach- und Lammeröfen (Lehmann, 1922b). Bezüg- Kalkalpen das Resultat einer N-gerichteten Entwässe- lich der Bildung der Geraden Kluft schloss er sich Pia rung eiszeitlicher Gletscher seien, die den Bereich (1923) an (Anm.: obwohl Pias Beitrag später erschien, zwischen den Tauern und den NKA einnahmen. Auch bezog sich Lehmann [1922a: 93] ausdrücklich auf ihn) für die ERW schloss er dies nicht aus, wobei er in 120 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Analogie zur Tantalhöhle ein Bergauffließen des bracht worden sein“ könnten. Die phreatische Phase Wassers im Eingangsbereich für möglich hielt. ließ er im Oberpannon (grob vor 8 Millionen Jahren) Trimmel (1967) widersprach der Ansicht, dass sich die mit der Ausbildung der Längstäler im S der NKA enden ERW durch Wasser nahe dem Vorflutniveau gebildet und die Hauptentwicklung der Riesenhöhle stellte er hätte und nahm Gesteinsunterschiede wie Einlagerun- ins Mittelpannon. gen von Raibler Schichten an, für die er aber keine Audra (1994; großteils publiziert in Audra et al., 2002) Belege anführte. In der Geraden Kluft sah er einen „Ur- befasste sich in seiner Dissertation vorwiegend mit hohlraum”, der im Gegensatz zu Lehmann (1922a) dem Berger-Platteneck-Höhlensystem (1511/162) im schon vor den anderen Teilen als tektonische Spalte Bereich des Bergeralpls im NW des Tennengebirges. entstanden sei. Er räumte jedoch ein, dass die wissen- Die ERW wurde als typisches Beispiel für eine Höhle schaftliche Bearbeitung über 40 Jahre nach der Expe- des Riesenhöhlenniveaus kurz vorgestellt. Aufgrund dition der Akademie der Wissenschaften revisions- der Augensteine und der angenommenen NW-gerich- bedürftig sei und regte dazu die Gründung einer teten Paläofließrichtung (wie diese ermittelt wurde, ist Arbeitsgemeinschaft an. unklar) wurde eine Speisung durch Flüsse aus den In seiner Dissertation über die Karstgenese des Zentralalpen über Ponore am Rand von Poljen ange- Tennengebirges ging Toussaint (1971) auch auf die nommen. ERW ein und griff dabei die These Abels (1952) mit den Frisch et al. (2002) versuchten Augensteine und Tropf- Schwinden im Pitschenbergtal auf. Auch bezüglich der steine aus dem Steinernen Wald mittels kosmogener Geraden Kluft schloss er sich alten Vorstellungen an, Nuklide bzw. mit der Uran-Blei-Methode zu datierten. indem er meinte, sie sei „erst später tektonisch aufge- Es konnten zwar keine Alter ermittelt werden, aber rissen”. Von den Augensteinen nahm Toussaint (1971: eine Ablagerung vor dem Pleistozän für beide Proben 104) an, dass sie nicht nur von der Oberfläche über wahrscheinlich gemacht werden. Für das Riesen- Schächte eingewaschen worden sind, wie dies Pia höhlenniveau nehmen die Autoren aufgrund mor- (1923) und Winkler-Hermaden (1957) postulierten, phologischer Überlegungen ein obermiozänes bis sondern „ z.T. auch von „Höhlenflüssen" direkt einge- unterpliozänes Alter an. LAGE UND ANLAGE DER EISRIESENWELT Die ERW liegt am SW-Rand des Tennengebirges an der Höhenunterschied beträgt 442 m (+275 m, –167 m) Ostflanke des hier auf 510 m Seehöhe eingeschnitte- und die horizontale Erstreckung 2,23 km. nen Salzachtals. Im Süden erstreckt sich eine aus per- Vom Eingang in 1657 m Höhe steigt ein meist groß- moskythischen Wasserstauern (i.W. Werfener Schich- räumiger Gang 140 m empor. Der Gang weist Seiten- ten) und mitteltriassischen Kalken und Dolomiten auf- strecken auf, wobei eine davon zum Eingang II führt, gebauten Region, die als Werfener Schuppenzone der 200 m über dem Eingangsniveau liegt. Er ist groß- bezeichnet wird (Pestal et al., 2009). Die Entfernung flächig vereist, touristisch erschlossen und führt zur südlich gelegenen Grauwackenzone beträgt knapp 0,5 km nach NE zum Eispalast. Hier biegt der Haupt- über 10 km (Abb. 2). gang für 0,8 km nach E und wird nach dem U-Tunnel Eine ausführliche Beschreibung der altbekannten Teile – einem kurzen im Längsschnitt U-förmigen Gang- findet sich in Klappacher & Haseke-Knapczyk (1985). stück – Midgard genannt. In diesem bis zu 30 m brei- Einige seit 2009 entdeckte Teile sind in mehreren Arti- ten und oft über 10 m hohen, annähernd horizontalen keln der Zeitschrift Atlantis beschrieben, zuletzt Point- Gang nehmen ausgedehnte labyrinthische Teile ihren ner et al. (2017). Anfang, wobei die südlich gelegenen wie Maxilaby- Seit der ursprünglichen Vermessung, die in einem far- rinth und Krapfenlabyrinth in die Tiefe leiten (bis bigen Plan von Walter Czoernig-Czernhausen, Robert –110 m unter Eingangsniveau). Die nördlichen wie Oedl und Gustave Abel (um 1960) wiedergegeben ist, Röhrenlabyrinth, Asgard und Canyonlabyrinth reichen wird die Länge mit 42 km angegeben. Bei einer Neu- bis +270 m. Im letztgenannten führt der großräumige, vermessung in den 1970er Jahren unter der Leitung erst vor kurzem entdeckte Hochkogeltunnel weit nach von Albert Morocutti sen. wurden neue Teile gefun- Norden, wo er 1,5 km von den Eingängen entfernt den, aber nicht alle alten dokumentiert und nur 32 km relativ oberflächennahe endet (Pointner, 2016). Am erfasst. Zusammen mit den Neuentdeckungen und E-Ende des Midgards teilt sich der Hauptast: (1) Ein Nachvermessungen der letzten Jahre sind 38,3 km großräumiger Teil führt 0,4 km nach N, wo er im Dom zeitgemäß dokumentiert (Pointner et al., 2017). Der des Grauens an Verstürzen endet. (2) Die Verbindungs- Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021 121
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) 270 000 Bergerhöhle Felsbruckenhöhle Eisriesenwelt Tantalhöhle Abb. 2: Geologie der Umgebung 260 000 der Eisriesenwelt. Die Legende Werfen weist nur die für diesen Beitrag relevanten Lithologien aus. Koordinaten: Österr. Bundes- meldenetz, M31; Hintergrund: Geologische Karte von Ober- österreich 1:200.000 (Krenmayr & Schnabel, 2006). Fig. 2: Geology of the surroun- dings of Eisriesenwelt. Only the lithological units that are relevant for the article are presented in the legend. Projected coordinate 430 000 440 000 450 000 system for Austria (M31); Juragesteine Dachsteinkalk Dachsteindolomit Wettersteinkalk background: geological map Gutensteiner/Steinalmkalk Werfener Schichten u.a. A Augensteinvorkommen of Upper Austria 1:200,000 (Krenmayr & Schnabel, 2006). stollen I und II sowie parallele Labyrinthe leiten zur Ge- Teil, dem Jenseits, 0,6 km an horizontaler Entfernung raden Kluft, die 0,25 km nach SE bis zur Mausefalle I überwunden. reicht. Von hier führen Gänge (Kirchendach, Tropf- Die großräumigen Teile sind vorwiegend zwischen steintunnel) mit mehreren Knicken generell nach NNE 1700 und 1800 m Seehöhe angelegt. Ausnahmen zum Tropfsteindom. In steil nach unten ziehenden Tei- bilden der Eingangsbereich, der Hochkogeltunnel und len (Stiller Dom, Mumiencanyon) wird mit –167 m der die Gänge im E der Höhle, die 50 m tiefer reichen. tiefste Punkt der ERW erreicht (Pointner et al., 2017). Großräumige, noch tiefere Teile sind die Neue Welt und Östlich der Mausefalle I führen etwas kleinräumigere der Tiefe Dom. Tiefe Schachtsysteme fehlen gänzlich. labyrinthische Teile (u.a. Poldischluf, Rutschtunnel) Schlote sind erst teilweise erforscht, wobei der höchste weiter nach E, wobei im überlagernden Dämonenla- am SE-Ende der Geraden Kluft liegt und zumindest byrinth der höchste Punkt der Höhle liegt (+275 m, 100 m Höhe erreicht (Pointner et al., 2017). Pointner et al., 2017). Im Lawinendom wird eine eher Die ERW ist heute weitgehend hydrologisch inaktiv. N-S-orientierte Folge von Gängen und Hallen ange- Nur wenige relativ unbedeutende Gerinne mit Nor- fahren. Gegen N ist bald das verstürzte Ende in der malschüttungen im 10er-Sekundenliter-Bereich treten Trümmerhalle erreicht. Gegen S werden via Narren- in einigen Schloten, Schächten und Canyons auf. berg, Poldidom und Gruberhalle bis zum tagfernsten Lokale Tropfwässer sind hingegen häufig. METHODIK Diese Studie beruht auf aktuellen Konzepten der 2007). Eine genaue Definition der verwendeten Begrif- Höhlenentstehung, die eine genetische Interpretation fe, Literaturverweise und methodische Details finden von Höhlen aufgrund der Raumformen (Kleinformen, sich in Plan & Xaver (2010). Hier soll nur eine kurze Gangquerschnitte und 3D-Anordnung der Höhle) un- Zusammenfassung gegeben werden. ter Berücksichtigung des Sedimentinhalts erlauben Von zentraler Bedeutung für die Rekonstruktion der (Klimchouk et al., 2000; Ford & Williams, 2007; Palmer, Paläohydrologie sind Fließfacetten (FF; englisch 122 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) scallops), da ihre Asymmetrie die Fließrichtung und Paragenetische Bypässe wiederum sind verwinkelte ihre Länge die Fließrichtung bzw. -geschwindigkeit Röhren, die einen Sedimentverschluss oder -siphon anzeigen. Weiters ergibt sich aus den Gangquer- umgehen. Strudeltöpfe (potholes) zeigen hohe Fließ- schnitten die Durchflussmenge bei Hochwässern geschwindigkeiten, sind aber nicht auf vadose Bedin- (Palmer, 2007). Höhlenkarren (rills, im Folgenden nur gungen beschränkt. Karren) sind Anzeichen für epiphreatische Bedingun- Weiters wurden Sedimentaufschlüsse grob im Gelän- gen, also für den Schwankungsbereich des Karstwas- de beschrieben. Für die Untersuchung der Mächtig- serspiegels. Paragenetische Canyons entstehen, wenn keit der Sedimentschichten kam ein handbetriebener an der Sohle ein wachsender Sedimentkörper lagert bis zu 3,5 m verlängerbarer Erdbohrer mit Spiralbohr- und das Profil nur nach oben erweitert wird. Daher kopf zum Einsatz. kann von einem später freigelegten Profil nicht die Zur Orientierung wurden der farbige Plan der alten Durchflussmenge abgeleitet werden. Paragenetische Vermessung, die Umzeichnung des Morocutti-Plans in Deckenkarren (ceiling channels, im Folgenden nur Klappacher & Haseke-Knapczyk (1985) sowie etliche Deckenkarren) zeigen, dass das Profil in einer späten Teilpläne aus dem Katasterarchiv der Karst- und Phase fast vollständig mit Sediment verfüllt war und Höhlen-Arbeitsgruppe am NHM verwendet. Der sich Kanäle zwischen dem Sediment und der Decke elektronische Polygonzug und Detailpläne der seit (oder überhängenden Wänden) ausgebildet haben. 2009 entdeckten Teile standen nicht zur Verfügung. MORPHOLOGISCHE UND GEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN Die besuchten Höhlenteile und die kartierten Raum- Hauptstrecken vom Eingang zum Dom des formen sind in Abb. 3a und 4 dargestellt. Grauens Vor allem die großräumigen Teile wie der Eisteil und Geologie der Midgard sind stark von Versturz geprägt, aber Die meisten Teile der Höhle sind im Dachsteinkalk der schon wenige 10er Meter hinter dem Eingang finden Lagunenfazies ausgebildet. Etliche Teile im E und teil- sich an der NW-Wand Lösungsformen, allerdings ohne weise im N sind im Dachsteindolomit entwickelt (Abb. eindeutig identifizierbare FF oder Karren. Deckenkar- 3a und 4), was teilweise bereits von Pia (1923) beob- ren gibt es erstmals an der E-Wand der Posselthalle achtet wurde. Interessant ist, dass sich beim Wechsel rund 150 m vom Eingang entfernt. Die ersten Karren von Kalk und Dolomit die Gangquerschnitte und -for- und FF treten im Wassergang auf. Diese kurze Parallel- men nicht signifikant ändern. Die Schichtfugen des strecke nach dem Wimur wurde schon von Lehmann Dachsteinkalks sind aber nicht besonders ausgeprägt (1922a) als Beispiel für einen Druckstollen genannt. und meist nur schwer zu erkennen. Die Lagerung Die FF zeigen ein höhleneinwärts- bzw. NE-gerichtetes stimmt mit der von Pia (1923) beobachteten überein, Paläofließen. Im weiteren Verlauf des Schau- bzw. wobei auch ein etwas steileres Einfallen nach W beob- Eisteils sind an einigen Stellen Karren und im Mörk- achtet wurde (Fallrichtung/Fallwinkel: 273/56). Als dom schön ausgebildete FF mit identen Fließrichtun- Initialfugen der Höhlenentstehung spielen die gen erhalten. Auch im stark versturzgeprägten Schichtfugen aber keine Rolle. Bei fast allen Gängen Midgard setzt sich dieses Bild mit einwärts bzw. hier können eine oder mehrere Störungen beobachtet wer- E-gerichteten FF fort. Vor und nach dem dazwischen den, die für die Anlage verantwortlich sind. Harnisch- gelegenen U-Tunnel sind an den schräg nach N anstei- flächen sind generell häufig, und teilweise sind auch genden Wänden besonders eindrucksvolle Karren vor- bis zu metermächtige Kataklasite aufgeschlossen. handen (Abb. 5). Deckenkarren finden sich hier nur im Fault gouges (Anreicherung von Tonpartikeln durch U-Tunnel und in der nach N ziehenden Fortsetzung Drucklösung entlang der Störung) erreichen Mächtig- vor und nach dem Frithjof-Oedl-Dom. Vor diesem und keiten von knapp über 10 cm (z.B. Frithjof-Oedl-Dom, nahe dem Geist genannten Stalagmiten zeigen FF Kirchendach). ein N-gerichtetes Paläofließen. Die Deckenform des In einigen Teilen (Kanonenröhre, Canyonlabyrinth, Irr- Lehmtunnels deutet auf eine paragenetische Erweite- garten, Regenkluft, Kirchendach, Diamantenreich I) rung nach oben. Dies passt auch zu langgestreckten gibt es Störungen (vorwiegend Seitenverschiebungen), FF an der Decke am Durchstieg zum Dom des Grauens, die die Lösungsmorphologie oder Speläotheme verset- die laut Palmer (2007: 148) auf eine ehemalige fast voll- zen und somit aktive Störungen darstellen (diese ständige Sedimentverfüllung hindeuten. Sie zeigen werden gesondert publiziert). ebenfalls ein N-gerichtetes Fließen. Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021 123
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Abb. 3a: Morphologische Hochkogel- Kartierung der Eisriesenwelt AS Asgard tunnel (West- und zentraler Teil). CG Canyongang Befahrene Teile im Kalk sind KR Kanonenröhre schwarz; die im Dolomit violett. KS Kreuzspalte Riesen- Nicht befahrene Teile sind grau. SH Schotterhalle schlund Plangrundlage: Umzeichnung WG Wassergang des Plans von Morocutti aus 2S 20-m-Schacht Klappacher & Haseke-Knapczyk th th (1985). Fig. 3a: Morphological map of N r in y ab rin Eisriesenwelt (western and central part). Parts which were visited and L where the host rock is limestone ges n are black; the ones in dolomite are La by magenta. Parts which were not Fuchsbau visited are in grey. Basemap 100 m la redrawn after the map by Morocutti, in Klappacher & CG Haseke-Knapczyk (1985). 2S - KS on AS Röhren- ny C a Steiler Gang KR labyrinth SH Kleines Eislabyrinth M i d g a r d U-Tunnel Mörkdom Eispalast i l t e Sturmsee Maxilabyrinth e n WG Schaubergergrund Karlschacht Wimur h l Henkelgang h ö a u E Eing. II Fließfacetten (unklare Richtung) c h Fließfacetten mit Paläofließrichtung Posselt- halle ? Höhlenkarren Asymmetrische Karren mit Paläofließrichtung S Bodenkolk / Strudeltopf Paragenetische Deckenkarren Eingang Paragenetischer Canyon 124 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) FG Fuchsgang FS Flugschacht Dom des Grauens LT Lehmtopf MF Mausefalle I SH Satanshalle SW Steinerner Wald ? 1V 1. Verbindungsstollen Lehm- tunnel ? Frithjof-Oedl-Dom Canyonschacht LT ? Hräswelgrs- n g Saal Geis n g te rgan g a g a g h m h m L e 11 m³/s L e Geist 34 m³/s M i d g a r d 2. Ve Fleder- rbind 1V ungs maus- stoll FG en gang ? DR SH ? D 1V SW Teilungshalle Krapfenlabyrinth Irrgarten Abb. 3b: Überblick der Tr Paläofließrichtungen. Großer h Fig. 3b: Overview of the Abgrund tu palaeoflow directions. G er ad FS ? e 36 m³/s K lu t Alter luf ? Gang ft nk ? ge MF Re E ? ? ? E Eingang E Fließrichtung in Hauptstrecke Fließrichtung in Nebenstrecke N Dämonen ? Fließrichtung unsicher Keine Indikatoren gefunden 200 m Fortsetzung Ostteil siehe Seite 126, Abb. 4 Teil wurde nicht befahren Continuation of the eastern section see page 126, Fig. 4 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021 125
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Tropfsteindom DR Diamantenreich DR 2 PS Poldischluf N SG Schwertergang Tiefer Dom DR 1 Stiller Dom 100 m Tropfstein- tunnel Trümmerhalle ? ch da en ch Alter Kir Gang ? ? ? ? Rutschtunnel Lawinendom Neue Welt PS SG Narrenberg ? Dämonenlabyrinth Poldidom Teufelsmauer Erwingang Gruberhalle Fließfacetten (unklare Richtung) Erbsenkeller Fließfacetten mit Paläofließrichtung Höhlenkarren Fließfacetten (unklare Asymmetrische Richtung) Karren mit Paläofließrichtung Fließfacetten mit Paläofließrichtung Bodenkolk / Strudeltopf s Höhlenkarren Paragenetische Deckenkarren t Asymmetrische KarrenCanyon Paragenetischer mit Paläofließrichtung i Bodenkolk / Strudeltopf e s Paragenetische Deckenkarren n Paragenetischer Canyon e Kyrlehalle J ? Sinterpardies Abb. 4: Morphologische Kartierung der Eisriesenwelt, Ostteil. Grieskar Fig. 4: Morphological map of Eisriesenwelt, eastern part. 126 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Abb. 5: Eindrucksvolles Relief von Höhlenkarren im Midgard östlich vom U-Tunnel. Foto: Tanguy Racine Fig. 5: Impressive rills in Midgard, east of the U-Tunnel. Seitenteile von Eingangsteil und Midgard Canyonlabyrinth konnten nur an einer Stelle N- bzw. aufwärts gerichtete FF beobachtet werden, wenn man Im vom Wimur ansteigenden Gang zum Eingang II von diversen komplex angeordneten kleinen Röhren wurden nach NE bzw. abwärts gerichtete FF beobach- absieht. Auch in der Verbindung zum Langen Laby- tet, die mit großer Wahrscheinlichkeit der phreati- rinth, N des 20-m-Schachts (E der Kreuzspalte) zeigen schen Phase zuzurechnen sind. Im Kleinen Eislaby- FF in dieselbe Richtung. Die weiter nach N abwärts rinth finden sich deutliche FF, die E-gerichtetes Flie- führenden Teile nach dem Canyongang sind im Dolo- ßen anzeigen. mit angelegt, und es wurden keine FF gefunden. Vom Röhrenlabyrinth (Abb. 6) wurde ein eher südli- Der am Ende des Midgards abzweigende Lehmgang cher Ast befahren, der parallel zum U-Tunnel verläuft. zeigt in seinem unteren Abschnitt nach NNE (auf- Hier zeigen FF ein E-gerichtetes Fließen. Im Steilen wärts) gerichtete FF und der Geistergang abwärts nach Gang und im untersten Teil des Asgards zeigen FF ein E zum Geist hin gerichtete. Deutliche N-gerichtete FF N- bzw. aufwärts gerichtetes Fließen (Abb. 7). Das Ge- finden sich auch in der abfallenden Röhre zum Lehm- stein (eventuell ein Dolomit) im höchsten Teil des As- topf und in den neuen Teilen dahinter. Der nach W zie- gards ist stark zerbrochen und verwittert, und es wur- hende Abschnitt des Lehmgangs und seine Fortset- den keine FF gesichtet. Keine eindeutige Richtung zei- zung hinter dem Hräswelgrs-Saal sind stark zerfressen gen FF am Beginn des vom 1. Versturz im Asgard nach und zeigen keine interpretierbaren FF. E abzweigenden Gangs. Im Gegensatz dazu steht die zwischen dem Steilen Verbindungsstollen bis Tropfsteindom Gang und dem Asgard ansetzende Kanonenröhre. Hier treten im Endabschnitt nur knapp 1 cm lange FF auf, Vom Midgard zweigen die beiden Verbindungsstollen die ein sehr schnelles (ca. 5 m/s) Fließen bergab Rich- Richtung Teilungshalle ab. Nur im südlichen (dem tung S anzeigen. Sie kommen aber auch an der Decke 1. Verbindungsstollen) und im parallelen Fuchsgang vor, was gegen ein frei abfließendes Gerinne spricht. zeigen FF ein E-gerichtetes Fließen, besonders ein- Im teilweise durch vadose Canyons überprägten drucksvoll in der Satanshalle. In ihr finden sich auch Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021 127
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Abb. 6: Typisches Profil im Röhrenlabyrinth. Foto: Lukas Plan Fig. 6: Typical passage profile in the Röhrenlabyrinth. Abb. 7: Seitenröhre im Steilen Gang. Die Fließfacetten am Boden zeigen aufwärts gerichtetes Fließen und die Sinterdecke verweist auf eine ehemalige Füllung mit klastischem Sediment. Fig. 7: Side tube of Steiler Gang: the scallops at the floor show upward directed palaeo flow and the false flowstone floor indicates a former filling with clastic sediments. Foto: Lukas Plan 128 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Strudeltöpfe, die auf hohe Fließgeschwindigkeiten finden sich auch FF an der freiliegenden Gangsohle. hindeuten. Im südlich gelegenen labyrinthischen Irr- Auch im Diamantenreich I zeigen FF nach NE (ein- garten finden sich N-, E- und S-gerichtete FF. E der Tei- wärts). Sie sind aber mit 2-3 cm relativ klein, und auch lungshalle, im Fledermausgang, sind Deckenkarren Strudeltöpfe sprechen für hohe Fließgeschwindigkei- häufig, und der erste Teil ist als paragenetischer Can- ten. Im gesamten Abschnitt ab der Teilungshalle fin- yon ausgebildet. Nur im ersten Teil finden sich undeut- den sich auch immer wieder Karren. Der Endabschnitt liche FF, die eher ein E-gerichtetes Fließen anzeigen; bis zum Tropfsteindom ist im Dolomit ausgebildet. der mittlere Abschnitt ist im Dolomit entwickelt. Der kurze Abschnitt zwischen Teilungshalle und Gro- Tagferne Teile: Poldischluf bis Jenseits ßem Abgrund zeigt FF mit Richtung SW, also entgegen- gesetzt zu den bisherigen Richtungen, aber nach wie Südlich vom Kirchendach zweigen der Poldischluf und vor einwärts im Sinne der Hauptstrecke. Die recht- eine parallele Röhre ab, die in die tagfernen Höhlen- winklig dazu verlaufende Gerade Kluft sticht aufgrund teile leiten. Lediglich in der parallelen Röhre sind halb- ihres hochelliptischen Profils und des rund 250 m ge- wegs eindeutige, nach E (einwärts) zeigende FF zu er- radlinigen Verlaufs heraus. In den störungsgebunde- kennen. Jene im Rutschtunnel sowie W davon, W vom nen Profilen konnte bis 45 m Raumhöhe gemessen Poldischluf und im Schwertergang zeigen ebenfalls werden, und es sind große Harnischflächen ausgebil- diese Richtung, allerdings mit etwas Unsicherheit. An det. Auch hier zeigen FF ein einwärts- bzw. SE-gerich- zahlreichen Stellen sind Karren ausgebildet. W vom tetes Fließen. Deckenkarren an den Wänden im Be- Rutschtunnel zweigt das eher kleinräumige Dämonen- reich des Flugschachts belegen, dass dieser Teil zumin- labyrinth ab, das bis zu einem 7-m-Seilaufstieg befah- dest bis 10 m über dem heutigen Boden mit Sediment ren wurde. Hier finden sich zwar fast auf der gesamten verfüllt war. Trotzdem scheinen die Sedimente nur ge- Länge zahlreiche deutliche FF, aber sie lassen keine ringen Einfluss auf die Profilform gehabt zu haben, eindeutige Richtung ableiten. sondern führten nur zu einer nachträglichen Überprä- Die Teile zwischen Lawinendom und Sinterparadies gung der überhängenden Wandpartien. In der von der (am SW-Ende der Kyrlehalle) sind im Dolomit entwik- Geraden Kluft nach SSW abzweigenden Regenkluft fin- kelt (Abb. 8). Verstürze sind noch häufiger als in den den sich häufig Deckenkarren und nur im unteren Pro- Teilen im Kalkgestein, und es finden sich auch beacht- filbereich NNE-gerichtete FF, die allerdings vados ent- liche Hallen wie der Narrenberg, der Poldidom sowie standen sein könnten. die Gruber- und die Kyrlehalle. Die Wände, an denen Der alte Weg zur Mausefalle I zeigt kleine E-gerichtete Lösungsstrukturen erhalten sind, sind meist mit vielen FF und ist einer der wenigen Abschnitte mit einem Kolken unterschiedlicher Größe skulptiert und teils breiten paragenetischen Deckencanyon. Hingegen schwammartig zerfressen. FF, die generell in fast allen handelt es sich im anschließenden Gang wahrschein- Höhlen(teilen) im Dolomit fehlen, wurden auch in die- lich nicht um einen paragenetischen Canyon, da hier sem Bereich nicht gefunden. Karren wurden nur im wie in der Geraden Kluft die höchsten Profilteile ent- Erwingang entdeckt. An vielen Stellen konnten dage- lang der raumbestimmenden Störung verlaufen. gen Deckenkarren beobachtet werden; besonders Lediglich in einem kleinräumigen Parallelgang im Be- schön ausgebildet sind sie beim Narrenberg (Abb. 9). reich der Mausefalle I führte die Sedimentverfüllung Der südlichste und tagfernste Höhlenteil, das Grieskar, zu einer nach oben gerichteten Erweiterung des ge- ist wieder im Dachsteinkalk entwickelt. Während die samten Profils, womit hier ein paragenetischer Canyon langgestreckte Halle selbst stark zerbrochen und ver- vorliegt. Im Gang S des Kirchendachs finden sich sturzgeprägt ist, finden sich in nach N ziehenden Röh- Deckenkarren und kurze Parallelröhren an der Decke, ren und Rampen Karren und Deckenkarren. die auf eine ehemalige Sedimentverfüllung hindeuten. FF, die eindeutig eine Richtung nach N (einwärts) er- Abschätzung des Durchflusses kennen lassen, sind erst wieder im Kirchdach zu sehen, teilweise auf zehnermeterlangen Blöcken. Auf An drei Gangabschnitten mit wenig Versturzüberprä- diesen finden sich auch asymmetrische Karren bzw. gung wurde anhand der durchschnittlichen Längen Karren mit Übergängen zu FF, wie sie auch aus der von jeweils rund 15 FF und den Profilquerschnitten die DMH beschrieben wurden (Plan & Xaver, 2010). Wäh- Paläodurchflussmengen (während Hochwasserereig- rend das aus FF abgeleitete W- bzw. einwärts gerichte- nissen) grob abgeschätzt (Palmer, 2007). Am Weg zum te Fließen im anschließenden Gang nicht eindeutig ist, Frithjof-Oedl-Dom kurz vor dem markanten Stalagmi- zeigen die FF im Tropfsteintunnel sowie in kurzen Par- ten namens Geist misst das Profil 45 m², der Mittelwert allelstrecken wieder eindeutig nach N (einwärts). Hier der FF beider Wände ist 5 cm (Abb. 10). Daraus ergibt Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021 129
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Abb. 8: Versturzgeprägtes Profil des im Dolomit entwickelten Erwingangs. Die Wände sind zerfressen und mit Hydromagnesit und Frostwork überzogen. Fig. 8: Profile of Erwingang, developed in dolomite and modified by collapse. The walls are corroded and covered with frostwork and hydromagnesite. Foto: Tanguy Racine Abb. 9: Paragenetische Deckenkarren im Dolomitgestein nahe der Biwakstelle beim Narrenberg. Foto: Lukas Plan Fig. 9: Paragenetic ceiling pendants in dolomite bedrock near the Narrenberg bivouac spot. 130 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Abb. 10: Gangprofil zwischen Midgard und Geist, wo anhand von FF (im Bereich der roten Ellipsen) und dem Gangquerschnitt der Paläodurchfluss berechnet wurde. Fig. 10: Gallery between Midgard and the stalagmite called Geist where the palaeo-discharge was calculated using scallops (at the red ellipses) and the cross section of the gallery. Foto: Tanguy Racine sich eine Fließgeschwindigkeit von 0,75 m/s bzw. ein diese drei Gangabschnitte gleichzeitig und parallel Durchfluss von 34 m³/s. In einem parallelen Fließweg, aktiv waren, ergibt sich ein Durchfluss von 81 m³/s. In dem Geistergang, sind die FF 4 cm lang (0,85 m/s) und zumindest einer weiteren großräumigen, parallel vom das Profil hat 13 m², was einen Durchfluss von 11 m³/s Wasser durchflossenen Strecke, dem Fledermausgang, ergibt. In der Geraden Kluft zwischen Flugschacht konnten keine FF gefunden werden. Da weitere und Regenkluft misst das Profil 60 m² und 6,5 cm lange Parallelstrecken wahrscheinlich sind, sind Paläodurch- FF ergeben 0,6 m/s und somit einen Durchfluss von flussmengen von 100 m³/s oder mehr zu erwarten. 36 m³/s. Zum Vergleich: Die jährlichen Hochwässer der Enns Unter der Annahme, dass Sedimente nicht große Teile bei Schladming liegen in diesem Bereich, und das Ein- der heute sichtbaren Profile verfüllt haben und dass zugsgebiet umfasst 649 km² (Land Steiermark, 2021). BEOBACHTUNGEN ZU DEN SEDIMENTEN angelegten Passagen in Form von hellgrauen Sanden, Klastische Sedimente die durch Vergrusung des Muttergesteins entstanden. Am häufigsten trifft man in der ERW auf Blockwerk Teilweise bilden sie vom Spritzwasser modellierte, her- verschiedenster Größe. Meist erfolgte der Decken- abhängende, wenige Zentimeter lange Zapfen und bruch nach der hydrologisch aktiven Phase, oft sind Spitzen (z.B. beim Narrenberg oder zwischen Kirchen- die Blöcke aber auch durch Lösung im (epi)phreati- dach und Tropfsteintunnel). schen Bereich überformt und abgerundet. Ebenfalls Generell gibt es im Vergleich zu anderen Riesen- autochthone Sedimente finden sich in den im Dolomit höhlen der NKA wenig allochthones Sediment. Vier Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021 131
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Stellen, wo größere Mächtigkeiten zu erwarten bis zum Fels erbohrt. Die obersten 5 cm bestehen waren, wurden untersucht: Am S-Ende des Irrgartens wieder aus dunkelbraunem Ton, der hier durch Frost ist durch Grabungstätigkeit ein 1,5 m hohes Profil aufgelockert ist. Darunter lagert ein 15 cm mächtiges aufgeschlossen; weitere 0,6 m bis zur Felssohle (oder Feinsand-dominiertes Gemisch aus Ton bis Feinkies einem größeren Stein) wurden erbohrt. Am Top und darunter ein grünlich-graues, etwas gröberes sind wenige Zentimeter dunkelbrauner leicht Sediment mit Augensteinen. rötlicher Ton aufgeschlossen. Darunter wechseln Am N-Ende des Kirchendachs, wo hinter einer Sedi- Lagen aus mittelbraunem Ton bis Silt und grünlich- mentböschung ein Schacht ansetzt, wurden 1,7 m bis bräunlich glimmerreichem Sand mit cm-großen zum Fels erbohrt. Hier ist der dunkelbraun-rötliche braunen Tonklasten. Nur in den untersten Dezime- Ton 0,5 m mächtig. Darunter kommt hellbraun-gräu- tern finden sich Grobsandkomponenten aus Augen- licher Silt bis Feinsand, und ab 1,2 m nimmt der Grob- steinen. anteil zu und bis 1 cm große Augensteine kommen vor. In einem Seitengang E der Mausefalle I wurde ein 20 m SW davon, in einer Kammer W vom Kirchendach, 30 cm tiefes Profil ergraben, und weitere 1,3 m wurden wurde an einer Böschung der mächtigste Sediment- Abb. 11: Rund 1 m mächtige Sinterlagen an der Decke des Fledermausgangs, die auf eine ehemalige Sedimentverfüllung hinweisen. Fig. 11: Flowstone layers about 1 m thick on the ceiling of Fledermausgang, indicating a former sediment fill. Foto: Lukas Plan 132 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) körper aufgefunden. Der dunkle Ton am Top ist hier (Abb. 11). Weiße Sinter, die jung wirken (aktiv oder knapp 10 cm mächtig und zu kompakten Ziegeln holozän), wurden im Asgard beobachtet. zerbrochen. Darunter sind 2,7 m an der Böschung Besonders erwähnt werden sollen die Speläotheme im aufgeschlossen und weitere 1,9 m wurden bis zum Fels Diamantenreich I und II. Dies sind mit Sediment ab- erbohrt. Es handelt sich um Wechsellagen aus mittel- gedichtete Gänge, in denen sich an Kalzit übersättigtes braunen und hellbraun-graufarbenen Schichten aus Wasser gesammelt hat. In unterschiedlichen Höhen Ton bis Feinsand. finden sich horizontale Kalzitränder (shelfstone) an Zusammen mit weiteren Aufschlüssen ergibt sich, dass den Wänden. Darunter bildeten sich spitze Kalzit- das älteste Sediment bräunlich, teilweise grünlich ist, kristalle mit einigen Zentimeter Länge aus. Inwieweit einen hohen Anteil an Augensteinen hat und eine bis zu mehrere Zentimeter lange Excentriques-artige schlechte Sortierung von Silt bis Kies aufweist. Die Kalzitgebilde ebenfalls unter Wasser gebildet wurden, Augensteine erreichen bis 4 cm Durchmesser, sind ist unklar. Im tiefsten Bereich des Diamantenreichs I aber meist unter 1 cm groß. Einige Dezimeter Mäch- ist hingegen eine Hohlkehle ausgebildet, die auf eine tigkeit erreichen die Augensteinsedimente im Steiner- spätere Ansammlung mit untersättigtem Wasser hin- nen Wald und am Beginn des Tropfsteintunnels. Teil- deutet. weise finden sich Sandkonkretionen, die aufgrund ih- Weiters finden sich im Diamantenreich I Kalzitplätt- rer kugeligen Form als Krapfen bezeichnet wurden chen (cave rafts) und ein raft cone. Diese kegelförmige und für das Krapfenlabyrinth namensgebend waren Anhäufung von cave rafts entsteht, wenn die auf der (Pia, 1923). An etlichen Stellen sind auch an den Wasseroberfläche treibenden cave rafts unter einer Wänden verkittete Sedimentreste (Silt bis Grobsand) Tropfstelle zu Boden sinken. Raft cones sind z.B. in der erhalten. Szemlo " -hegyi-barlang in Budapest häufig und werden Das jüngste Sediment ist ein rötlich-dunkelbrauner dort als Christbäume bezeichnet. Der im Diamanten- Ton am Top anderer Sedimente oder in Spalten an der reich I ist rund 30 cm hoch und unseres Wissens der Decke wie z.B. im Lehmgang. Auffallend ist, dass der einzige bisher aus Österreich beschriebene. karbonatreiche laminierte hellbraune Ton („Heller Eine weitere Besonderheit sind zwei miteinander Höhlenton“ nach Seemann, 1979: 227), der in der DMH verwachsene Sintertrommeln (shields) im mittleren meist die oberste Sedimentlage bildet, in der ERW Abschnitt des Lehmgangs. komplett fehlt. Über Untersuchungen an kryogenen Höhlenkarbo- naten wurde in Spötl et al. (2020) berichtet. In den im Dolomit ausgebildeten Teilen finden sich Speläotheme häufig Aragonitnadeln (frostwork) gemeinsam mit Häufig findet man massive fossile und vom Frost Hydromagnesit und eher kugeligen Aggregaten aus zerbrochene Sinter (Lehmann, 1922a; Spötl et al., Kalzit; besonders schön und großflächig am Narren- 2020). Die markantesten sind im Steinernen Wald, berg und im Erwingang. vor dem Geistergang sowie zwischen Poldidom und An einigen fault gouges bildeten sich Gipskristalle. Teufelsmauer. Teilweise bilden sie auch „falsche Einzelne Nadeln haben bis 4 cm Länge wie z.B. im Böden”, wenn das ehemals darunter lagernde klasti- Erbsenkeller. Weitere Fundpunkte sind an der über sche Sediment ausgeräumt wurde, besonders ein- 70 m aufgeschlossenen Harnischfläche N des Kirchen- drucksvoll an der Decke des Fledermausgangs dachs sowie im Irrgarten. INTERPRETATION UND DISKUSSION Riesen- und dem Quellhöhlenniveau (Knapczyk, 1985). Vergleich mit Beobachtungen aus anderen Am 19.12.2019 wurden die Höhlenteile bis zum Höhlen Stiegenhaus befahren, wobei morphologische und Bergerhöhle (1511/162) sedimentologische Beobachtungen gemacht wurden. Die Bergerhöhle – ein Teil des 30 km langen und Die Gänge haben Querschnitte bis wenige Zehner- 1291 m tiefen Berger-Platteneck-Höhlensystems – quadratmeter, und an zahlreichen Stellen zeigen FF liegt am NW-Rand des Tennengebirges (Abb. 2). Sie ein N-wärts gerichtetes Paläofließen. Ähnlich wie in hat ausgedehnte horizontale Teile in rund 900 bis der ERW sind Karren und Deckenkarren häufig und 1000 m Seehöhe und war namensgebend für das markante paragenetische Canyons selten. Bezüglich „Bergerhöhlenniveau“, ein Sub-Niveau zwischen dem der Sedimente ist der „Helle Höhlenton“, der von Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021 133
Plan, Kaminsky, Racine, Koltai / Genetische Interpretation der Eisriesenwelt (Tennengebirge) Seemann (1979) aus der DMH beschrieben wurde, fallend ist, dass dieser in der ERW fehlt, wie schon in nahezu allgegenwärtig, wobei beim Gletscherbruch bis Spötl et al. (2020) erwähnt. Ein in der DMH meist dar- zu 7 m davon aufgeschlossen sind. Es ist ein fein- unter lagernder dunkler rötlich-brauner Ton (Bethke, geschichteter Lehm mit hohem Karbonatanteil, der 2020) hat hingegen Ähnlichkeit mit den mancherorts als eiszeitliches Rückstausediment interpretiert wird aufgeschlossenen Feinsedimenten der ERW. Dies lässt (Audra et al., 2002; Plan & Xaver, 2010). Trotz intensiver die Interpretation zu, dass es während Eiszeiten in der Suche konnten keine Augensteinsedimente – auch DMH zum Rückstau von Schmelzwässern durch den nicht in den aktiven Gerinnen – gefunden werden. Traungletscher kam, wobei der „Helle Höhlenton“ ab- An einigen Tropfstellen sind jedoch Fremdgerölle in gelagert wurde. Hingegen reichte der Rückstau des Form bunter Ton- bis Feinsandsteine aufgeschlossen. Salzachgletschers nicht so weit hinauf, weshalb dieses Audra (1994) beschrieb ebenfalls Komponenten charakteristische Sediment in der ERW fehlt. Dies jurassischer Gesteine aus den Geröllen und keine stimmt mit der Rekonstruktion des hochwürmzeitli- Augensteine. chen Salzachgletschers überein, der nur knapp über Die Bergerhöhle unterstützt somit nicht das Bild einer den Eingang reichte (van Husen, 1987; Spötl et al., Speisung der einstigen Karstgrundwässer des Tennen- 2020). In deutlich tiefer liegenden Höhlen wie der gebirges durch Flüsse aus den Zentralalpen, schließt Bergerhöhle (aber auch z.B. im Alten Teil der Hirlatz- dies aber auch nicht aus. Die Gangquerschnitte höhle, 1546/7) ist dieses Sediment hingegen noch können auch durch eine autogene Speisung erklärt deutlich mächtiger als in der DMH. werden. Die Sedimente, die die Paragenese verur- sachten, wurden vollständig ausgeräumt. Der „Helle Deutung der Entstehung der ERW Höhlenton“ kommt aufgrund seines hohen Karbonat- anteils dafür nicht in Frage. Ob es sich dabei um Epiphreatische Entstehung Augensteine handelte, ist unklar. Generell wurde vom Die von uns festgestellte Bildung der meisten Höhlen- Erstautor beobachtet, dass diese in tiefer liegenden teile durch fließendes Wasser unter (epi)phreatischen Höhlen der zentralen NKA deutlich seltener sind als Bedingungen wurde auch von vielen bisherigen in Höhlen des Riesen- und vor allem des Ruinen- Autoren vertreten. Lediglich die Gerade Kluft wurde, Niveaus. angefangen mit Pia (1923) bis einschließlich Toussaint (1971), meist als tektonische Bildung (im Sinne Dachstein-Mammuthöhle (DMH, 1547/9) einer Zerrspalte) gedeutet. Dafür fanden wir keine Ausführliche Beobachtungen zur Morphologie und Hinweise, und es sind den Autoren auch keine solche eine genetische Interpretation finden sich in Plan & Beispiele aus den NKA bekannt (cf. Plan & Oberender, Xaver (2010). Im Vergleich zur ERW fallen einige 2016). Unterschiede auf, zumal 85 % der ausgedehnten phreatischen Teile in 1400 ± 150 m Seehöhe und somit Fließfacetten deutlich tiefer liegen. Fast alle beobachteten FF deuten auf eine generelle Schon Pia (1923: 60) fiel auf, dass die Schichtflächen Paläofließrichtung nach NE bzw. höhleneinwärts für die Anlage der Gänge in der DMH eine deutlich (Abb. 3b). Auch die FF in den Seitenlabyrinthen zeigen größere Rolle spielen als in der fast ausschließlich analoge Fließrichtung, was eine Interpretation der störungsgebundenen ERW, wo die Schichtung „auf Labyrinthe als paragenetische Bypässe erlaubt. Am den Verlauf der Gänge ganz ohne Einfluß zu sein augenscheinlichsten ist dies beim Röhrenlabyrinth scheint”. Ein weiterer Unterschied ist, dass in der DMH möglich, das als Umgehung des ehemals sediment- paragenetische Gänge bzw. Canyons häufig sind, wäh- erfüllten U-Tunnels gedeutet werden kann. rend nur wenige deutlich ausgebildete Beispiele in der Es ist allerdings unklar, wieso am Beginn des Dämo- ERW beobachtet werden konnten. Auch die Gestalt der nenlabyrinths keine eindeutige Richtung aus den zahl- Labyrinthe ist deutlich anders. In der DMH treten fast reichen FF abgeleitet werden kann. Eventuell floss das nur Schichtfugenlabyrinthe auf, in denen teilweise die Wasser hier je nach Wasserstand abwechselnd in die Fugen flächig erweitert wurden und oft nur unter- eine oder die andere Richtung. schiedlich große Pfeiler übrig blieben. Die Labyrinthe Die einzigen von diesem Befund abweichenden FF in der ERW haben eher den Charakter chaotisch an- finden sich im Kanonenrohr, die S- bzw. abwärts geordneter, vernetzter Röhren, die fast alle störungs- gerichtete Paläofließrichtungen anzeigen. Da dieser gebunden sind. Teil zwischen Steilem Gang und Asgard liegt, die Eines der jüngsten Sedimente in der DMH ist der für entgegengesetzte Richtungen aufweisen, und die viele Teile kennzeichnende “Helle Höhlenton”. Auf- FF ungewöhnlich klein sind, könnten sie aus einer 134 Die Höhle / 72. Jg. / Heft 1–4/2021
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