Geschichte des Gerichtes und der Burg Rettenberg - Von R. Harb

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Geschichte des Gerichtes und der Burg Rettenberg
Von R. Harb

Zu den Burgruinen des mittleren Inntales zählt auch Rettenberg, gelegen auf einem kleinen ebe-
nen Plateau im Bereich des Kolsassberges. Diese Burg gab einem ganzen Gericht, das bis zum
Jahre 1825 bestand und in der Folge mit dem Landgericht Hall vereinigt wurde, den Namen.
Die frühe Geschichte des Gerichtes und der Burg Rettenberg ist in Zusammenhang mit dem Ge-
richt Rottenburg zu sehen. Aus diesem wurde es herausgelöst, wohl auch deshalb, weil durch die
Bevorzugung der Freundsberger deren Einflußbereich über Schwaz hinausging und in der Bil-
dung des Gerichtes Freundsberg seinen Niederschlag fand, diese neue Gerichtsbildung hatte aber
auch zur Folge, daß der territoriale Zusammenhang zwischen den beiden noch verbliebenen rot-
tenburgischen Gebieten nicht mehr gegeben war. Allerdings verblieb die Blutgerichtsbarkeit
beim Gericht Rottenburg. Auf diesen Umstand verweisen immer wieder die schriftlichen Quel-
len. So heißt es im Jahr 1517 in einem Schreiben an den Pfleger von Rettenberg »... das beyde
gericht albeg zu einander gehört haben mit dem hochgericht, dann wann ain malefizig person
im gericht Rettenberg betreten wirdet, das dieselb albeg durch den richter oder Verwalter dessel-
ben gerichts der herrschaft Rotemburg mues uberantburten...«'. Und im Prozeßbuch des Jah-
res 1681 sagt der Pfandinhaber: »Das Gericht Rettenberg hat die Formierung der Inquisitiv- und
Informativprozesse durchzuführen, den weiteren Schub an das Gericht Rottenburg«2.
Ein »iudex de Rettenberch« wird erstmals in einer Amtsrechnung vom Jahre 1315 genannt, eine
weitere Angabe ergibt sich aus dem Salinenamtsbuch von ca. 13 30. In dieser Zeit war ein gewisser
Henricus de Watens Richter. In diesen ersten Nachrichten über das Gericht Rettenberg geht die
Bezeichnung des Gerichtes nach der auf dem Kolsassberg liegenden Burg noch nicht eindeutig
hervor, auf jeden Fall stand der Richter von Rettenberg im Dienste der Herren von Rottenburg.
Um 1345 berichtet eine Urkunde vom Hof zu »Platten am Tulverperg« (heute Kleinvolderberg),
daß er »in Cholsasser pharre und in des hofmeisters gericht von Rottenburch« liege.3 Erst das
Feuerstättenverzeichnis des Jahres 1427 bestätigt die Zugehörigkeit der »Obleyen Volres daz
dorf, Volraer perg, Vegels, Wattens und Wattenperg, Cholsaz und Cholsazer perg zum Gericht
Rettenberg«4. Damit umfaßt das Gericht den größten Teil der alten Großpfarre Kolsass, lediglich
die Gemeinden Weer, Pill und Weerberg wurden dem ebenfalls neu geschaffenen Gericht
Freundsberg zugeteilt und der Weererbach bildete die Grenze zwischen beiden Gerichten, wie er
heute noch die Bezirksgrenze zwischen Schwaz und Innsbruck-Land darstellt.
Mehr noch als die Anfänge des Gerichtes Rettenberg sind die der gleichnamigen Burg ins Dunkel
der Geschichte gehüllt. Die heute noch sichtbaren Ruinen stammen nicht von der ersten Burgan-
lage, sondern stellen die Reste des im Spätmittelalter unter Florian Waldauf errichteten Baues
dar. Die älteste Burganlage von Rettenberg entstand wahrscheinlich weiter südlich auf dem weit-

 1 Stolz, O.: Politisch-historische Landesbeschreibung von Tirol, Wien 1926, S. 221
 2 Vergleiche Anmerkung 1
 3 Vergleiche Anmerkung 2, S. 220
 4 Tiroler Landesarchiv: Cod. 12
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hin sichtbaren Seppenhausbichl in der Zeit des Landesfürsten Meinhard II. und war Gerichts-
burg für die ganze Schranne der Pfarre Kolsass. Anfang der siebziger Jahre wurden im Bereich
dieser Burg Alt-Rettenberg archäologische Untersuchungen durchgeführt. Mauerreste, Ge-
brauchsgegenstände und schön ausgeführte Ofenkacheln kamen zum Vorschein. Aus der Gra-
bung konnte auch festgestellt werden, daß im Verlauf der Jahrhunderte mindestens neun größere
Umbauten vorgenommen wurden, die sich an den Fugen, Fenstervermauerungen und verschie-
denen Mauerkonstruktionen ablesen ließen.5 In dieser Burg befand sich wahrscheinlich auch die
älteste St.-Anna-Kapelle. Dieser waren Güter im Gericht Rettenberg wie auch in Weer und
Schwaz zinspflichtig. Die Zinse waren am Tage des hl. Martin fällig. Am jeweiligen Sonntag vor-
her wurde der Zinstermin in den Kirchen von Wattens, Volders und Kolsass verkündet. Die Natu-
ralien mußten zwischen Ostern und Pfingsten in die Burg gebracht werden6. In der Zeit des
Markgrafen Ludwig von Brandenburg und seiner Gemahlin Margarethe, genannt die Maul-
tasch, lebten im Gericht Rettenberg im Jahr 1359 im gesamten 1009 Personen7. Aus dieser Zeit
stammt auch ein Schriftstück, das meldet, daß besagter Markgraf und sein Gemahl das Gericht
und Schloß Rettenberg um 3024 Mark Perner guter Meraner Münz an Conrad Khumersprugger,
Jägermeister im oberen Bayern, versetzten8. Damals war die Burg jedoch noch rottenburgischer
Besitz und die genannte Maßnahme dürfte nur von kurzer Dauer gewesen sein. Markgraf Ludwig
war auch dafür bekannt, daß er ziemlich willkürlich als absoluter Herrscher über fremdes Eigen-
tum, besonders des ihm unbotmäßigen Adels, verfügte, wenn er an Geldmangel litt, sich jedoch
mit den Betroffenen bald wieder aussöhnte, wenn er ihrer kriegerischen Hilfe bedurfte9.
Der letzte Rottenburger, wie viele seiner Vorgänger mit Namen Heinrich, empörte sich gegen den
jungen Tiroler Landesfürsten Friedrich, der in die Geschichte unter dem Namen »mit der leeren
Tasche« eingegangen ist. Friedrich konnte den Aufstand, dem sich einige Adelige angeschlossen
hatten, niederwerfen und die meisten Schlösser des Rottenburgers erobern, darunter auch die
oberhalb von Rotholz stehende Stammburg, die seitdem Ruine blieb. Heinrich von Rottenburg
mußte sich schließlich dem Herzog auf Gnade unterwerfen und die meisten seiner Herrschaften
— darunter auch Rettenberg — an ihn herausgeben. Bald darauf starb er. Mit ihm erlosch sein
Geschlecht, das sehr oft die Würde des Hofmeisters der Landesfürsten bekleidet hatte. Der letzte
Amtsmann der Rottenburger war Peter von Clamm, der in einer Baurechnung vom Jahre 1407
genannt wird10. Im Jahre 1411 übernahm Hanns von Emps die Pflegschaft für Rettenberg11. Ge-
gen Erlegung von 8000 Gulden übergab der Landesfürst im Jahre 1419 Schloß und Gericht Ret-
tenberg Graf Eberhard von Kirchberg und seiner Gemahlin Agnes, geb. Gräfin von Wertenberg,
der Witwe des letzten Rottenburgers12.
Bis Ende des 15. Jh.s hatten die Kirchberger Gericht und Schloß inne. Sie verzichteten 1492 frei-

 5 Tiroler Tageszeitung 1973, Nr. 133, S. 15
 6 Tiroler Landesarchiv: Urbar 152/2
 7 FB 3557, Beschreibung der Pfandschaften 1702
 8FB1472, S.69
 9Bracharz, E.: Die Burgen im unteren Inntal. In: Schlern-Schriften, Bd. 239, 1966, S. 18
10 Tiroler Landesarchiv: Cod. 94, fol. 55
11 Vergleiche Anmerkung 9, S 19
12 FB 2099, S. 1302
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willig darauf. Kaiser Maximilian überließ Ritter Florian Waldauf von Waidenstein Schloß und
Herrschaft Rettenberg gegen eine Pfandsumme von 9000 Gulden13. In die Übergangszeit ver-
weist ein Prozeßakt vom Jahre 1491, der durch den damaligen Richter Michael Ratsch angelegt
wurde. Der Angeklagte war Peter Arnold vom Volderberg, der sich wegen wiederholter Rauf-
händel in Hall und an der Volderer Brücke, wo er mit verkleideten Gesellen Bauern aus Weer und
Terfens bedroht und angegriffen hatte, verantworten mußte. Im ausführlichen Prozeßakt findet
sich auch eine Stelle, die besagt, daß der Angeklagte wohl gebunden vor den Richter gebracht
wurde, aber das Recht hatte, einen Verteidiger zu beanspruchen »... der hat im auch begert ainen
redner zu erlauben, ist im vergunt«, und vor dem Richter seiner Fesseln entledigt wurde »damit
er frey im rechten steen und sich verantwurten möcht«14. Durch den letzten Kirchberger Grafen
Philip wurde das ältest erhaltene Inventar der Schloßkapelle zu Ehren der hl. Anna angelegt. Am
Pfingstmonat 1492 wurden verzeichnet: ein rotes Meßgewand, ein altes gelbes seidenes Meßge-
wand, ein vergoldeter Kelch mit Patene, ein altes kleines Meßbuch, ein Weihrauchfaß, zwei Op-
ferkännchen, zwei Messingleuchter, zwei Korporale, ein Weihbrunnkessel, einige Altarbücher
und einige Gebrauchsgegenstände15.
Schon unter den letzten Rottenburgern war die Burganlage Rettenberg ziemlich vernachlässigt
worden, die Verfallserscheinungen setzten sich in der Zeit der Kirchberger fort, daher entstand
in der Zeit Florian Waldaufs in den Jahren um 1500 das neue Schloß. Eine der besten Beschrei-
bungen darüber vermeldet: »Auf dem Hügel führte er ein ganz neues prächtiges Schloß drey
Stock hoch, sehenswürdig auf. Viele Fenster verzierte das Gebäude mit Eisengitter verstärkt.
Und umfangte das Schloß in die vier Eck mit einer dicken Ringmauer etwas von dem Gebäude
entfernt, in welcher Mauer mehrere nach der Bau und Geniekunst angebrachte Schußlöcher oder
Mauerscharten, wie bey einer Festung, das Ansehen vergrößerte, um dem Feind die Spitze bey
dem damaligen Faustrechte zu bieten. Diese vier Mauren aber verstärkte er an allen vier Ecken
jede mit ein halbrundt Thurn, und ob darauf mit Gübl Spitz, welche das anschauende Aug des
bei der Landstraße unten vorbeygehendt Wanderer Martialisch ergözet und unvermuthet Run-
dung ziehet. Alle Mauren sind aus Stein aus dem herumliegendt Gebürge genommen, gehauet
und aufgebaut worden, welche seine Gerichtsbauren und Unthertanen umsonst zuführen und
gleichsam robotten mußten. Rückwerts aber gegen Mittag Südenseite verschanzte er den Ein-
gang und die Pforte des Schlosses mit einer aufgehängten Fall oder ziehbrücke. Ein hocher Thurn
überragte das ganze Gebäude dieses edlen Rittersitzes und ober der Pforte zeigte sich dem Auge
des annahenden Gastes das in Stein ausgehauente Wappen des Herrn Stifter von Waldauf. In-
ner der Ringmauer des schönen Schlosses aber erblickte man einen hoch geräumig Hof so ein
Exercier oder Samlplatz gleichet, um vielleicht in der Stille durch Hilfe seiner bewaffneten Ge-
richts Unterthanen und Kriegskenecht jeden Zufall des damaligen herrschenden Faustrechtes zu
vereiteln. In dem untern Theil des Schlosses aber oder dessen Grundes versteckt sich in die dunkle
Tiefe der Erde finstere Gewölbe, Keller und fürchterliche Keuchen und Gefängnisse, weil dieses
Schloß zugleich das Gerichtsschloß wäre, allwo alle Handlungen, Ehehafft-Thädingen (Ge-

13 Staffier, J.: Tirol und Vorarlberg, I. Band, Innsbruck 1842, S. 623
14 Tiroler Landesarchiv: HS 5179
15FB9525.S. 35
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                                          »r f

Abb. 1: Die im Jahr 1556 verfaßte Ansicht von Kolsass und dem Schloß Rettenberg zeigt wohl am besten
die Schloßanlage, wie sie in der Zeit des Ritters Florian Waldauf entstanden war (Foto: Liselotte
Zemmer-Plank).
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richtstage), Gerichts-Stritte, Klagen und Rechtssachen vernommen und das Criminelle ausgeübt
wurde«16. Etwa 50 Jahre später entstand das Schwazer Bergwerksbuch, die darin befindliche
Zeichnung des Schlosses Rettenberg zeigt wohl am besten den Originalbestand der Waldauf-
schen Burg, die für ihre Zeit zum Modernsten des Burgenbaues zählte (Abb. 1). Das einzeln ste-
hende Wohngebäude hatte große Räume und viel Licht in diesen, die viereckige Anlage, nachge-
bildet nach italienischen Vorbildern, konnte großzügig verwirklicht werden, sie besaß auch
kegelförmig überdachte Rondelle und Mauertürmchen. Es wurden aber auch mittelalterliche
Details übernommen: Ringmauer, Zugbrücke mit Graben, die Zinnenbekrönung des Wohn-
baues. Diese wohl, um dem Bau wehrhaften Charakter zu geben. In Wirklichkeit hätte Retten-
berg sicherlich einem großangelegten Angriff nicht widerstehen können.17 Innerhalb der Ring-
mauer, mit dieser eng verbunden, ist der Bauernhof, der als einziger Teil der großen Burganlage
die Jahrhunderte überdauerte (Abb. 2). Verschiedene Untersuchungen haben sogar ergeben, daß
das Mauerwerk des Bauernhauses älter als das des Schlosses ist. Das Schloß wurde um 1500 gänz-
lich neu erbaut, nirgends konnten Spuren eines früheren Baues festgestellt werden. Es könnte
auch möglich sein, daß Florian Waldaufsein neues Schloß neben den schon bestehenden Bauern-
hof auf unbebauten Boden erbauen ließ und die mittelalterliche Burganlage nur auf dem schon
im Eingangskapitel erwähnten Seppenhausbichl stand. Diesbezügliche schriftliche Mitteilungen
fehlen. Um 1506 war der Schloßbau fertig. Der Weihbischof Konrad Reichard von Brixen konse-
krierte die der hl. Anna geweihte Schloßkapelle18. Ritter Florian Waldauf wählte Schloß Retten-
berg für sich und seine Gemahlin, die Gewerkentochter Barbara Mitterhofer aus Schwaz, zur
Wohnstätte. Damals erlebte das Schloß seine größte Zeit.
Florian Waldaufzählte zu den engsten Mitarbeitern des Kaisers Maximilian in Tirol. Er stammte
aus dem Bauernstand, aus dem kleinen Dorf Asch in Osttirol. Später wurde er Schreiber bei Hof,
er wußte aber auch im Feld seinen Mann zu stellen und war ein tapferer Haudegen im kaiserlichen
Heer. Als solcher kämpfte er in Flandern mit Maximilian und geriet mit diesem auch 1488 in
Brügge in Gefangenschaft. Durch seine tapfere Haltung wurde er von Maximilian in den Adel
»von Waidenstein« erhoben und in Stuhlweißenburg in Ungarn zum Ritter geschlagen. Florian
Waldauf war ein sehr frommer Mensch. Als er im Zug seiner vielen Reisen mit dem Kaiser auf
dem Meer in Seenot geriet, machte er das Gelübde, zu Ehren der Mutter Gottes und aller Heiligen
eine reiche Stiftung zu tätigen, wenn er und der Kaiser mit dem Leben davonkämen. Als dies der
Fall war, ließ er im nördlichen Seitenschiff der Haller Pfarrkirche 1501 die »Heilige Kapelle zu
Unserer Lieben Frau«, heute kurz Waldauf kapeile genannt, errichten und in den folgenden Jah-
ren reich ausstatten. Vom ehemaligen Altar sind die Flügel erhalten geblieben. Sie sind beiderseits
bemalt und stellen an der Außenseite den Stifter, beschützt vom heiligen Florian und begleitet
von Kaiser Maximilian, und seine Gattin Barbara, begleitet von Heiligen, dar. Die Innenflügel
zeigen Szenen aus dem Marienleben. Die beiden Tafeln gehören zum Besten, was in spätgotischer
Zeit in Tirol gemalt wurde und stammen von Marx Reichlich, einem Schüler des berühmten Mi-

16 Mader Ignaz: Rittergeschichte oder Lebensbeschreibung des hochgebornen Herrn Florian Waldauf von
   Waidenstein, Hall 1823, S. 288-291
17 Vergleiche Anmerkung 9, S. 27
18 Tiroler Bote 1821, S. 288
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Abb. 2: Das innerhalb der Mauer befindliche, teilweise mit ihr verbundene Bauernhaus weist älteres Mauer-
werk als die übrige Burganlage auf. Es stand wahrscheinlich schon vor der Waldaufschen Burg — und ist
heute noch der am besten erhaltene Teil der ganzen Anlage (Foto: Rudolf Harb).

chael Pacher19. In der Kapelle fanden auch zahlreiche Reliquien, die Florian Waldauf anläßlich
seiner Dienstreisen erworben hatte und die zuerst in der Schloßkapelle zu Rettenberg aufbewahrt
wurden, neue Aufstellung. Die Übertragung der Reliquien in feierlicher Prozession von Schloß
Rettenberg nach Hall soll den schriftlichen Nachrichten zufolge eine kaum glaubliche Menge von
40.000 Personen angelockt haben und von zahlreichen Prälaten und Priestern aus Tirol, Schwa-
ben und Bayern begleitet worden sein20. Aus jener Zeit existiert auch noch eine von Ritter Florian
Waldauf von Waidenstein selbst verfaßte Aufzeichnung über die der Schloßkapelle von Retten-
berg entnommenen Reliquien21. Für die Pfarrkirche von Kolsass erwirkte Florian Waldauf dem
Friedhof die Vorrechte des Campo Santo in Rom (Abb. 3). Die diesbezügliche Ablaßbulle wurde
von Papst Julius II. am 15. Februar 1508 ausgestellt. Geweihte Erde wurde von Rom nach Kolsass
gebracht und anläßlich eines feierlichen Aktes auf dem neu erweiterten Friedhof ausgestreut.22
Jahrhundertelang erinnerte ein Fresko über dem Portal der Kolsasser Kirche an dieses Ereignis.
Es stellte einen Ritter dar, der vor dem Papst kniete und ein Schreiben erhielt. Im Vordergrund
stand ein mit Erde gefüllter Koffer. Die Erklärung des Freskos gab eine Tafel an. Leider mußte

19 Egg, E.: Von Augsburg nach Verona, Innsbruck 1962, S. 230
20 FB 3449, S. 4
21 FB 8714, Nr. 23
22Tinkhauser, G.: Beschreibung der Diözese Brixen, 2. Band, Innsbruck 1879, S. 652
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Abb. 3: Ritter Florian Waldauf machte der Pfarrkirche zu Kolsass zahlreiche Schenkungen. Wahrscheinlich
erhielt sie in den letzten Lebensjahren des Rettenberger Schloßbesitzers einen neuen Flügelaltar, von dem
allerdings nur die heute die Apsis der Kirche zierende Madonna mit dem Kind erhalten blieb (Foto: Denkmal-
amt).
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das Fresko einer späteren Kirchenrenovierung weichen23. Oft weilte Kaiser Maximilian auf
Schloß Rettenberg. Ihn lockte auch das herrliche Jagdgebiet. In dem auf Geheiß des Kaiser ange-
legten »Gejaidbuch« werden alle für die Jagd geeigneten Gebiete und Reviere im Gericht Retten-
berg genannt. Demnach eigneten sich besonders die im hintersten Weertal gelegenen Almgebiete
von Nafing und Grafens, Sag und Tagetlaner neben dem Kolsassberg und Wattenberg für die
Hirschj agd von Schloß Rettenberg aus. »Und die vorgeschrieben fünf hirschgej aid im gericht Re-
tenberg mag ein landesfürst der jedes ein tags vom sloß Retenberg aus bejagen und dasselbs wider
zu herberg sein«, heißt es im Jagdbuch des Kaisers. Dieses gibt auch die »Gembsengejaid im ge-
richt Retenberg« an, empfiehlt aber »die vorgemelten zwai gembsgejaid Grafens am Hylpolt und
in Mels mag ein landesfürst der jedes ains tags vom sloß Fridperg oder Volders aus bejagen und
daselbs wider herberg haben« 24 .
Ritter Florian Waldauf starb bereits Anfang des Jahres 1510. Es waren ihm nur wenige Jahre ver-
gönnt gewesen, auf seinem neuen Schloß zu wohnen. Er wurde in der Gruft der von ihm gestifte-
ten Marienkapelle der Haller Pfarrkirche bestattet. Mit seinem Tod endete die große Zeit für das
Schloß Rettenberg. Es folgte sein ältester Sohn Johann. Seine Ehe mit Margarethe Stöcklin blieb
kinderlos25. Lange Zeit — bis in das frühe 20. Jh. — erinnerte eine alte Ofenkachel in der Stube des
Schloßhofbauern an »Hanns Ritter zue Waidenstein«26. Johann von Waidenstein scheint das
Schloß und Gericht zeitweise fremden Händen übergeben zu haben, wie aus Prozeßakten wider
Georg Mayer »Inhaber von Schloß Rettenberg« vom Jahre 1524 hervorgeht, da dieser mit dem
Ort Pfunds in Verbindung gebracht wird27.
Sicherlich ging das Jahr 1525, das Jahr des Bauernaufstandes, auch im Gericht Rettenberg nicht
spurlos vorüber. Es fehlen aber genauere Aufzeichnungen von Ausschreitungen der Bauern. Es
ist lediglich verzeichnet, daß am 15. Mai dieses Jahres die Bauern der Gerichte Thaur und Retten-
berg an der Volderer Brücke zusammentrafen und eine Reihe von Beschwerdeartikeln schriftlich
niederlegten28. Johann von Waidenstein verkaufte Schloß und Herrschaft Rettenberg im Jahre
1528. Oswald Freiherr zu Wolkenstein erwarb beides um 14.000 Gulden29. Im Jahre 1535 über-
trug König Ferdinand die Pfandschaft den Freiherrn Simon und Hans von Wolkenstein30.
»Gewöhnliche« Dingstätten befanden sich im Gericht Rettenberg in Kolsass, Wattens und Vol-
ders, wobei gerade in der frühen Zeit des Gerichtes Rettenberg dem Pfarrdorf Kolsass große Be-
deutungzukam. Eine Urkunde des Stiftes St. Georgenberg-Fiecht vom Jahre 1440 berichtet über
einen Vorfall, der dem damaligen Richter Hans Protmann vom Brixner Bischof Georg übertra-
gen wurde. »Er sei eines Tages zu Kolsass an der rechten Amptstat an den Rechten gesessen den
Stab in der Hand anstatt des Edlen Herrn Graf f Eberharten zu Chirchberg seines gnädigen Herrn

23 Arnold, L.: Schloß Rettenberg. In: Tiroler Heimatblätter V, S. 303
24 FB 1638, S. 16 und S. 92
25 Vergleiche Anmerkung 9, S. 19
26 Vergleiche Anmerkung 23, S. 305
27 W 2134, Nr. 20
28 FB 13181, S. 70
29 FB 2098. Burglechner: Schlösser und Ansitze in Tirol 1609, S. 524
30 Vergleiche Anmerkung 13, S. 626
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und von Geschäft wegen des edlen und vesten Ulrichs des Sülliz Pflegers zu Rettenberg. Da seien
vor ihm erschienen der ersam geistlich H. Caspar Kröpfl zu St. Jörgenberg und Hans Leo von
Baumkirchen, Bevollmächtigte des Abtes, und haben ihm drei Männer vorgeführt, um sie zu ver-
nehmen. Diese haben dann unter einem Eide ausgesagt, sie wissen nicht, daß das Kloster die
Brücke von Recht wegen machen lassen müsse, oder dafür etwas habe. Einer dieser Männer habe
ferner ausgesagt, er sei zu Innsbruck in der großen Stube dabei gewesen, als Abt Nikolaus und
Wolfgang dort gegenwärtig waren, von wegen Bruggen zu sprechen. Was sie gesprochen, wisse
er nicht. Aber Herzog Friedrich selig sei zornig durch die Thür hinaus gegangen und habe gespro-
chen: .macht die Pruken und schlagt einen zol darauf'.«31 Es handelte sich bei dieser Verhand-
lung um einen Streitfall die Schwazer Innbrücke betreffend.
Sehr oft mußte das Gericht Rettenberg auch bezüglich Waldangelegenheiten entscheiden. Die
früheste Nennung eines Waldstreites fällt in das Jahr 1483 und betrifft die Waldung des Pfann-
hauses zu Hall im Voldertal32. Eine ausführliche Waldbeschreibung über die im Gericht Retten-
berg befindlichen »Amts- und Gemainwaldungen angefangen den 14. 7. 1598« stammt aus der
Zeit um 1600. Sie nennt zahlreiche Alm- und Flurnamen und bezeichnet auch die Heimhölzer,
die zu den einzelnen Bauernhöfen gehörten33. In einem Waldbuch der Herrschaft Rettenberg aus
der Zeit um 1640 wird der Waldmeister ermahnt, fleißig aufzupassen, daß keiner der Schmelzer,
denen Wälder verliehen wurden, das Holz »weder auf dem Stock noch im Astach, noch an der
Lend oder am Wasser« verkauft, sondern allein zu seiner Notdurft verbraucht34.
In der Zeit der Gegenreformation war es auch Aufgabe des Rettenberger Richters, die religiösen
Pflichten der Bewohner des Gerichtes zu überprüfen. So wurde der Richter zu Rettenberg am
21. Juni 1582 angewiesen, die Beichtsäumigen zu sich zu berufen und zu ermahnen, daß sie bis
zum 25. Juli desselben Jahres ihre Osterbeichte verrichteten und dies durch Beichturkunden
bezeugten35.
Anfang des 17. Jh.s wurden Schloß und Herrschaft Rettenberg an Freiherrn Erasmus von Lan-
dau als Pfand weitergegeben, 1610 an den Hofsekretär Johann Dücker von Haslau und 1611 an
dessen Witwe36.
Die ältest erhaltene Guts- und Steuerbeschreibung des gesamten Gerichtes Rettenberg stammt
aus dem Jahre 1627 (Abb. 4). Sie wurde von Mathias Marpeck verfaßt. Gesondert werden die
Güter in Wattens, Watten- und Vögelsberg, Volders, Groß- und Kleinvolderberg sowie in Kol-
sass angegeben und insgesamt 298 Häuser genannt. Die Gutsbeschreibung erfaßt auch die im Ge-
richt gelegenen Almen. Von allen der Herrschaft Rettenberg grundrechtbaren Gütern waren die
Grundzinse am Sonntag nach dem Fest der Hl. Drei Könige zu bezahlen. Sie machten etwa 500
Gulden aus. Das Getreide war jeweils zu Kathreini fällig. Die ca. 153 Star Gerste, 275 Star Roggen
und 450 Star Hafer mußten in Rettenbergermaß (1 Haferstar in Rettenberg = 31.704 Liter und

31 Pockstaller, P.: Chronik der Benediktiner-Abtei St. Georgenberg, Innsbruck 1874, S. 104 f.
32 Tiroler Landesarchiv: HS 3648
33 Tiroler Landesarchiv: HS 3687
34 Tiroler Landesarchiv: HS 3802, fol. 250-253
35 Tiroler Bote 1876, S. 785
36 Vergleiche Anmerkung 9, S. 20
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Abb. 4: Guts- und Steuerbeschreibung des Gerichtes Rettenberg von Mathias Marpeck, 1627 (Foto: Liselotte
Zemmer-Plank).
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entsprach einem Kornstar im Gericht Freundsberg37) gegeben werden. Schließlich waren die
Nahrungsmittel (Fleisch, Hühner und Eier) zwischen Ostern und Sonnwend abzuliefern, aller-
dings konnten sie weitgehend schon durch Geld ersetzt werden, wie es auch bei den Tagschichten
der Fall war »ain Tagwerch im Puechanger oder dafür vier Kreuzer«38.
Ins Jahr 1627 verweist auch eine Urkunde des Tiroler Landesfürsten Leopold, die sich ähnlich
mehrerer vorher geschriebener auf das Verhältnis der Kolsassberger zum Schloß Rettenberg be-
zog. Laut Urkunde vom Jahre 1448 waren die Kolsassberger zu persönlichen Diensten auf das
Gerichtsschloß verpflichtet, dafür aber von Steuern befreit. Sie genossen die Stellung von Burg-
friedern. Deshalb war es schon des öfteren zu Schwierigkeiten mit den Pflegern der Burg und mit
den anderen Obleyen des Gerichtes gekommen39.
Das Schloß auf dem Kolsassberg war schon längst nicht mehr die prächtige Anlage aus der Zeit
des Ritters Florian von Waldauf, als die es sich im Schwazer Bergbuch noch präsentiert. Die zahl-
reichen Besitzerwechsel hatten sich nachteilig ausgewirkt. Im Jahre 1649 erwarben die Herren
von Fieger Schloß und Herrschaft Rettenberg pfandweise um 24.300 Gulden40. Das Pfandver-
hältnis hörte mit 1. Juli 1791 auf, als die Gräfinnen Juliana und Justina von Fieger das Schloß
und die Herrschaft Rettenberg als unbedingtes Eigentum kaufweise an sich brachten41.
Da die Grafen von Fieger ihren Wohnsitz auf Schloß Friedberg bei Volders hatten, wurde dem
Schloß Rettenberg wenig Aufmerksamkeit geschenkt und der Verfall stellte sich bald ein. Zudem
wurde der Gerichtssitz von Schloß Rettenberg nach Volders verlegt. Das Pfleghaus in Volders
wird in einem Akt über die Hinrichtung eines Unschuldigen im Jahre 1703 genannt, die Verlegung
hatte aber sicherlich schon früher im Verlauf des 17. Jh.s stattgefunden42. Der in der Zeit Maria
Theresias für Volders erstellte Kataster verzeichnet die Rettenbergische »Pflegsbehausung« und
das Gerichtsdienerhäusl, beide »Ihro hochgräflichen Gnaden Johann Carl Anton, Maria Graf
Fieger Freiherrn zu Friedberg und Pfandsinhaber der Herrschaft Rettenberg« gehörend43.
Im 17. Jh. war auch insofern eine Verlagerung in den westlichen Teil des Gerichtes festzustellen,
weil die Gemeinden Wattens und Volders eigene Kuratien erhielten und daher weniger von der
Pfarre Kolsass abhängig waren44. Das Pfarrwidum von Kolsass betrifft ein Schreiben an den Ge-
richtsschreiber von Wattens vom 13. Februar 1613, aus dem hervorgeht, daß es bei Neuinstallie-
rung eines Pfarrers zu Kolsass Sitte war, daß die Dorfbewohner am Aschermittwoch dessen Wi-
dum stürmten und allerlei Unfug trieben. Der Richter des Gerichtes Rettenberg erhielt nun den
strengen Befehl, unter Androhung hoher Strafen diesen Brauch abzustellen und auch von der
Kanzel aus dagegen predigen zu lassen45.

37 Rottleuthner, W.: Die alten Localmaße und Gewichte, Innsbruck 1883
38 FB 3687. Guts- und Steuerbeschreibung des Gerichtes Rettenberg 1627
39U2170
40 FB 2074, Nr. 13. Beschreibung des Gerichtes Rettenberg im Jahre 1802
41 Vergleiche Anmerkung 13, S. 626
42 Vergleiche Anmerkung 9, S. 20
43 Tiroler Landesarchiv: Cat. 19 / 17, Nr. 248 und Nr. 137
44 Vergleiche Anmerkung 22, S. 651
45 Zeitschrift des Ferdinandeums 1903, dritte Folge, S. 283
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Abb. 5: Rettenberg im Jahre 1819, Aquarell von Johann Wieser (Foto: Liselotte Zemmer-Plank).

Aus dem 17. und 18. Jh. stammen eine Reihe von Urkunden und Schriftstücken die sich mit den
Grenzen des Gerichtes Rettenberg auseinandersetzen. Eine Beschreibung des »Forsts zu Kolsaß«
von 1613 deckt sich nur zum Teil mit den Grenzen des Gerichtes Rettenberg, zum Teil greift sie
auf die benachbarten Gerichte Freundsberg und Sonnenburg über46. Bezüglich der nördlichen
Grenze des Gerichtes war sie durch den Innfluß als natürliche gegeben, auch gegen Osten bildete
ein größerer Bach, der Weerbach, eine natürliche Grenze, mehr Schwierigkeiten und Unklarhei-
ten herrschten im Westen gegen das Gericht Sonnenburg und im südlichen Berggebiet vor. Im
Jahre 1659 wurde die Grenze gegen das Gericht Sonnenburg von der Mündung des Aschbaches

46 Tiroler Landesarchiv: Cod. 538
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in den Inn bis zum Navisjoch auf das genaueste verzeichnet, was besonders für den Teil zwischen
dem Aschbach westlich der Volderer Brücke über den Kleinvolderberg nach Windegg und wieder
herunter zum Volderer Bach notwendig war. Durch eine Reihe von genauen Flurbezeichnungen
und »Marchstainen« wurde diese Grenze fixiert47. Eine Änderung ergab sich im innersten Gebiet
des Wattentales in der Almregion Lizum. Laut Urkunde vom 15. Juni 1424 gehörte »die alben,
die da gelegen ist zum Lizumb« zum Schonznerhof zu Auf fenstein in Navis und wurde schon da-
mals an Leute aus dem Watten- oder Volderberg verpachtet. In Akten und Urkunden auch noch
des 16. und 17. Jh.s wird die Alm Lizum als zum Gericht Steinach gehörig betrachtet, auch des-
halb, weil sie in den Wirtschaftsbereich des Navistales einbezogen war. Die Vergebung der Alm
an Bauern aus dem Gericht Rettenberg lockerte aber allmählich den Zusammenhang mit dem
Gericht Steinach. Im Kataster des Jahres 1628 wird bereits vermerkt, daß die Alm nicht mehr an
das Gericht Steinach versteuert werde, der Kataster des Jahres 1775 verweist die Alm Lizum ein-
deutig zum Gericht Rettenberg48.
Kaum ein anderer Gerichtsschreiber und Pflegsverwalter des Gerichtes Rettenberg ist so in die
Geschichte eingegangen wie Matthias Edmund Steckh. In den Verfachbüchern von 1696-1703
wird er immer wieder genannt. Für seine Verdienste erhob ihn Kaiser Leopold I. in den erblichen
Adelsstand unter gleichzeitiger Vermehrung seines Wappens und Verleihung der Prädikate von
Malschein und Steckhofen. Ende des 17. Jh.s hatte das Gericht Rettenberg seinen Sitz im Pfleg-
haus in Volders, wo auch Steckh mit seiner Familie wohnte. Vier Kinder aus seiner Ehe mit Anna
Maria Kremer sind in Volders geboren, wie die Taufbücher angeben. Für das St.-Johannes-
Gotteshaus zu Volders scheint Steckh eine große Vorliebe gehabt zu haben. Er ließ dort ein großes
Wandgemälde im Chorraum malen und stiftete zudem einen höheren Betrag für
Monatsmessen49. Das Wandgemälde wurde leider im Zuge der letzten Kirchenrenovierung ent-
fernt. Steckh war ein tragisches Schicksal beschieden. Es war beim bayrischen Einfall im Jahre
1703. Tirol war durch die sträflichste Sorglosigkeit der Landesstellen völlig ungerüstet. Man hör-
te von den Bauern nichts als Vorwürfe und Drohungen, und gar oft blieb es nicht dabei. Auf dem
Marsch gegen Hall kamen die rebellischen Bauern nach Volders. Sie stürmten das Haus des Rich-
ters und erschlugen ihn vor den Augen seiner Familienangehörigen, mit denen er das Essen ein-
nehmen wollte. Der siebzehnjährige Johann Jakob Schwarz, der älteste Sohn des Besitzers der
Papiermühle in Wattens, wollte ihm zu Hilfe eilen, wurde dabei aber von einem wütenden Bauern
aus Kolsass von hinten niedergeschossen50.
Die Güterbeschreibung des Jahres 1746 unterscheidet im Gericht Rettenberg die Obleyen Vol-
ders, Groß-Volderberg, das Dorf Wattens, den Watten- und Vögelsberg, Kolsass und Kolsass-
berg. Sie zählt alle der Herrschaft grundrechtbaren Güter und Grundstücke auf und verzeichnet
auch die Handwerksbetriebe. So gab es um die Mitte des 18. Jh.s im Gericht Rettenberg 10
Schmieden, 6 Mühlen, 3 Sägewerke und 10 Wirtstavernen51.
47 Tiroler Landesarchiv: HS 763, fol. 45
48 Vergleiche Anmerkung 1, S. 227
49 Wieser, H.: Das alte Wandgemälde in der Pfarrkirche zu Volders. In: Tiroler Heimat 1929, S. 158
50 Steiner, J.: Zwei schuldlose Todesopfer ungezügelter Volkswut im Jahre 1703. In: Tiroler Heimatblätter
   1948, S. 90
51 Tiroler Landesarchiv: Cat. 19/1
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Die genaueste Beschreibung des Gerichtes Rettenberg im gesamten stammt aus dem Jahr 1802.
Sie gibt die genaue Einwohnerzahl mit 2956 Personen (1427 männlich und 1529 weiblich) in den
sechs Gemeinden an. Die meisten Leute lebten von Ackerbau und Viehzucht. So gab es laut Vieh-
zählung dieses Jahres 148 Pferde, 5 Mastochsen und 6 Zugochsen, 370 Kühe und 430 Kälber. Ein
Erwerb konnte auch durch die verschiedenen Handwerks- und Fuhrgewerbe gefunden werden.
Zudem bestand in Wattens die Papierfabrik. Im ganzen Gericht bestanden eine Pfarre (Kolsass)
und die zwei Kuratien (Volders und Wattens). Schließlich gab es vier Schulen52.
Wie überall im Land wurden die Wehrpflicht und das Aufgebot zur planmäßigen Verteidigung
des Landes auch im Gericht Rettenberg durch die Landwehrpflicht geregelt. Die Rettenberger
Schützen, später als Rettenberger Sturmkompagnie genannt, kämpften in den Jahren 1703,1797
bis 1813 und 1848 Seite an Seite mit den Schützen aus den anderen Gerichten. Besonders im
Kriegsjahr 1797 taten sich die Rettenberger hervor. In den ersten Apriltagen dieses Jahres kämpf-
ten die Rettenberger Schützen unter dem Sensenschmied Anton Reinisch aus Volders in Spinges
in Südtirol gegen die von Süden her anrückenden Franzosen. Von den 103 Gefallenen dieser
Kämpfe entfallen 23 auf Landstürmer des Gerichtes Rettenberg. Zu den tapfersten zählten die
Gebrüder Haider vom Kolsassberg und Anton Reinisch, der im Alter von 34 Jahren in diesem
erbitterten Gefecht, von elf Bajonettstichen durchbohrt, fiel.
Im Jahr 1809 war Andreas Angerer, Wieselerwirt von Volders (heute Gasthaus Jagerwirt),
Schützenmajor der Rettenberger. Er zählte zu den besonderen Vertrauten Andreas Hofers und
Josef Speckbachers. Angerer kommandierte die Rettenberger erstmals bei der Erstürmung des
Volderer Klosters, das von starken bayrischen Kräften besetzt war, am 11. April. Unter Führung
Angerers kämpften die Rettenberger später wiederum an der Volderer und Haller Brücke, im Mai
und im August auch am Bergisel. Der Durchzug der Bayern und Franzosen in den kriegerischen
Monaten dieses Jahres brachte den Dörfern im Gericht Rettenberg Verdruß und Schaden. Der
große Brand von Wattens am 22. April aber entstand nicht durch Kriegshandlungen, sondern
durch Unvorsichtigkeit. 29 Wohnhäuser wie auch die alte gotische Laurentiuskirche fielen dem
verheerenden Brand zum Opfer. An die Ereignisse vom Jahre 1809 erinnert das im Jahr 1959 er-
richtete große Kreuz auf dem Kreuzbühel im westlichen Ortsbereich von Wattens53.
Nach dem Tod der Gräfinnen Justina und Juliana von Fieger übernahm Viktor Freiherr von der
 Lochau, der einem aus Preußen eingewanderten Geschlecht entstammte, durch den Vertrag mit
den Fiegerschen Erben und als Miterbe am 6. November 1798 die Herrschaft Rettenberg zum vol-
 len Eigentum um den Preis von 25.000 Gulden. Die Gerichtsbarkeit ließ er durch bestellte Richter
 ausüben, bis das Gericht Rettenberg im Jahre 1825 durch den Staat übernommen und mit dem
 Landgericht Hall vereinigt wurde54.
Schloß Rettenberg war in der Zeit, als die Grafen Fieger von Volders die Besitzer waren, vollends
vernachlässigt worden. Der Abbruch des ehemaligen Gerichtsschlosses setzte 1810 ein, als Pfar-
rer Ruef von Kolsass alle eisernen Fenstergitter, die Eisentüren und Balken herausreißen ließ und

52 FB 2074, Nr. 13
53 Fröhlich, F.: Die Rettenberger Sturmkompagnie im Freiheitskampf. In: Tiroler Tageszeitung 1959,
   Nr. 186, S. 2
54 Vergleiche Anmerkung 13, S. 626
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das hohe Dach und die Stiegen abbrechen ließ, um Baumaterialien für den Wiederaufbau von
Kirche und Häusern in Wattens zu haben55 (Abb. 5). Die Ruine des ehemaligen Wohngebäudes
kaufte ein kleiner Bauer aus dem Kolsasser Ortsteil Mühlbach. Er riß die hochragenden Burg-
mauern nieder und verkaufte die massigen Quadern als Bausteine. Die Reste der Schloßruine mit
den angrenzenden Feldern wurden schließlich dem schon viele Jahre auf dem Schloßhof als Be-
standsmann ansässigen Cassian Schweiger verkauft56. Die Bauernfamilie Schweiger lebt nun
schon in fünfter Generation auf dem Schloßhof, den außer dem Bauernhaus auch noch die ande-
ren Ringmauern umgeben, während vom Palas kaum mehr Spuren vorhanden sind. Vor einigen
Jahren hat man einen der Ecktürme mit dem kegelförmigen Dach wiederaufgebaut.

Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Rudolf Harb
Klockerbichl 5
6114Weer

55 Vergleiche Anmerkung 9, S. 26
56 Verfachbuch Hall 1831, fol. 28
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