Gesetzentwurf für Mindestlohn schwächt Tarifautonomie und schafft Einstiegsbarrieren am Arbeitsmarkt
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Gesetzentwurf für Mindestlohn schwächt Tarifautonomie und schafft Einstiegsbarrieren am Arbeitsmarkt Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur „Stärkung der Tarifautonomie“ Juni 2014 ren, dürfen nicht durch einen gesetzlichen Mindestlohn verdrängt werden. Das muss für Zusammenfassung bereits bestehende Tarifverträge ebenso wie Die Tarifautonomie in Deutschland stellt eine für zukünftige Tarifvereinbarungen gelten. Erfolgsgeschichte dar. Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie haben sich in den zurücklie- Der Gesetzentwurf sieht aber nicht einmal genden Jahrzehnten immer wieder bewährt für bereits bestehende und bis zum Ende der und als anpassungs- und wandlungsfähig Übergangsfrist am 1. Januar 2017 noch zu- erwiesen. Ein wichtiges Beispiel ist die Un- stande kommende Tarifverträge einen hin- terstützung bei der Bewältigung der Folgen reichenden, die Tarifautonomie wahrenden der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009. Schutz vor. Denn nach der Übergangsrege- Die Tarifvertragsparteien haben verantwor- lung ist Voraussetzung dafür, bestehende tungsvoll Unternehmen und Arbeitnehmer oder bis zum 1. Januar 2017 abgeschlosse- geholfen, die Folgen der Krise für den Ar- ne Tarifverträge von der Geltung des Min- beitsmarkt abzufedern. destlohns nur dann auszunehmen, wenn die entsprechenden Vereinbarungen nach dem Es ist Aufgabe und Verantwortung des Staa- AEntG durch Rechtsverordnung erstreckt tes, die Tarifautonomie zu bewahren und werden. Dies setzt bundesweit geltende Ta- Arbeitgebern ebenso wie Gewerkschaften rifverträge über Mindestentgelte voraus. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit durch Noch nicht einmal alle geltenden Mindes- einen gesetzlichen Rahmen an die Hand zu tentgeltsätze in Tarifverträgen beruhen aller- geben, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer dings auf bundesweiten Vereinbarungen. wissen, woran sie sind und was für sie gilt. Daher bedarf es sowohl für die Zukunft, wie für bestehende Tarifverträge einer Vorschrift, Der Gesetzentwurf der Bundesregierung die den Vorrang von Tarifvereinbarungen zum „Tarifautonomiestärkungsgesetz“ erfüllt gegenüber gesetzlichen Festsetzungen ge- diese Vorgaben nicht. Der Mindestlohn so- nerell sicherstellt. wie die übrigen Änderungen im Tarifver- tragsgesetz (TVG) und Arbeitnehmer- Für zukünftige Anpassungen des Mindest- Entsendegesetz (AEntG) werden die Tarifau- lohns muss ein Weg gefunden werden, diese tonomie schwächen und den Arbeitsmarkt Anpassungen staatsfern zu gestalten. Tarif- erheblich belasten. Der vorgelegte Gesetz- verhandlungen und Tarifvereinbarungen dür- entwurf bedarf daher an vielen Stellen der fen durch die Arbeit der im Gesetzentwurf Korrektur. vorgesehenen Mindestlohnkommission nicht übermäßig beeinträchtigt werden. Die Min- Um die Tarifautonomie zu schützen, muss destlohnkommission darf nicht zum Deck- ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn Tarif- mantel für neue staatlich gesetzte Eingriffe in verträgen Vorrang einräumen. Entgeltverein- die Tarifautonomie werden. barungen, die auf Tarifvereinbarungen basie-
Beratungen in der Kommission sind keine den junge Menschen vor, in und besonders Tarifverhandlungen. Die Tätigkeit der Kom- nach einer Ausbildung in der Möglichkeit er- missionsmitglieder hat mit Tarifautonomie heblich beschränkt, zur Berufsorientierung nichts zu tun. Die Kommission ist keine Praktikumsverhältnisse zu vereinbaren. Kommission der Tarifpartner, sondern eine Kommission der Bundesregierung. Die Der Gesetzentwurf bedroht schließlich die Kommission kann weder den Ausgangsmin- Arbeitsvertragsgestaltung sowie in Tarifver- destlohn festsetzen noch kann sie über Aus- trägen und Betriebsvereinbarungen geregel- nahmen nach Branchen und Regionen oder te Sachverhalte, wie zum Beispiel die Ar- über Differenzierung nach Qualifikation und beitszeitflexibilität in Deutschland. So haben Dauer der Beschäftigung entscheiden. Daher Arbeitszeitkonten in der Krise 2008/2009 darf der Mindestlohn nicht Gegenstand von wesentlich dazu beigetragen, den Abbau von Abstimmungen in dieser Kommission wer- Personal zu vermeiden. Arbeitszeitflexibilität den. Für die zukünftigen Anpassungen kann ist für den Produktions- und Dienstleistungs- es zum Schutz der Tarifautonomie nur einen standort Deutschland unverzichtbar, um Be- Maßstab geben: Die Tarifentwicklung der schäftigung zu sichern und attraktiv für die jeweiligen zurückliegenden Jahre. Diese Ta- Eröffnung neuer Beschäftigungschancen zu rifentwicklung ist Ausdruck dessen, was in bleiben. Sicher ist es nicht gewollt, diese Ar- echten Tarifverhandlungen vereinbart wird. beitszeitflexibilität in Frage zu stellen. Die Nur so lässt sich verhindern, dass die staat- konkreten Regelungen im Gesetzentwurf lich eingesetzte Mindestlohnkommission ein begründen aber genau diese Gefahr. Präjudiz für zukünftige Tarifverhandlungen setzt. Ebenso werden durch den Entwurf Aus- schlussfristen, die Rechtssicherheit und Auch die im Gesetzentwurf vorgesehene Rechtsklarheit für das Arbeitsverhältnis be- jährliche Anpassung des Mindestlohns be- deuten, Stücklohnvereinbarungen und ande- droht die tarifautonome Festsetzung von Ar- re übliche und typische Regelungen in Frage beitsentgelten. Die Mehrheit der Tarifverträ- gestellt. Das ist nicht Aufgabe eines Mindest- ge dauert schon heute über einen längeren lohns und ist auch nicht mit dem Koalitions- Zeitraum als ein Jahr. In einigen Tarifverträ- vertrag vereinbar, der die Einführung eines gen reicht dieser Zeitraum sogar über zwei Mindestlohns, aber nicht die Infragestellung Jahre hinaus. Daher sollte sich der Gesetz- des deutschen Arbeitsrechts im Übrigen, an- geber auch insoweit daran orientieren, was gekündigt hat. tariflich gelebte Praxis ist. Es ist notwendig, den Zeitraum für die Anpassung auf mindes- Der Beschluss der Bundesregierung umfasst tens zwei Jahre anzuheben. neben dem Mindestlohngesetz Änderungen im Recht der AVE von Tarifverträgen nach Für junge Menschen ohne ausreichende dem TVG und im AEntG. Diese Änderungen Qualifikation und mit großen Vermittlungs- können den Charakter der AVE in Deutsch- hemmnissen wird der Einstieg in Arbeit land nachhaltig verändern und sind geeignet, durch den Mindestlohn erheblich erschwert die Erstreckung von Tarifverträgen erheblich werden. Bei diesen Beschäftigten wird mit zu erleichtern. Das schwächt die Tarifauto- einem Mindestlohn i.H.v. 8,50 € die Bereit- nomie und geht deutlich über den Koalitions- schaft beeinträchtigt, eine Ausbildung aufzu- vertrag und die in ihm enthaltenen Ankündi- nehmen. Nicht ausbildungsfähigen jungen gungen zur Änderung des Tarifrechts hinaus. Arbeitnehmern, für deren Integration in den Folge kann sein, dass die Bereitschaft, sich Arbeitsmarkt die Betriebe ein hohes Maß an durch Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbän- finanziellen und ideellen Ressourcen einset- den oder Gewerkschaften der privatautonom zen, wird eine Chance zur Bewährung in Be- vermittelten Bindung an Tarifverträge zu un- schäftigung verbaut. Mit der angeordneten terwerfen, abnimmt und dass die Akzeptanz Geltung des Mindestlohns auch für weite von Tarifverträgen und damit der Tarifauto- Teile von Praktikumsverhältnissen, die vom nomie in Deutschland insgesamt gefährdet Koalitionsvertrag nicht erfasst werden, wer- wird. Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 2
Das Ziel von AVE und AEntG ist nicht die derichtlinie der EU in Artikel 3 Absatz 2, Ausschaltung von Wettbewerb und Flexibili- zweiter Fall akzeptiert. tät. Zu Recht sehen daher das TVG wie das 2. Präjudizierung von Tarifverhandlun- AEntG für den Einsatz von AVE und Rechts- gen vermeiden verordnung Hürden vor, die dem Missbrauch beider Instrumente Grenzen setzen können. Für die zukünftigen Anpassungen des Min- Diese Hürden dürfen in ihrer Substanz nicht destlohns muss ein Weg gefunden werden, angetastet werden. AVE und AEntG sollen diese Anpassungen staatsfern so zu gestal- soziale Verwerfungen bekämpfen helfen, sie ten, dass sie Tarifverhandlungen und Tarif- sind kein Instrument für Mindestwettbe- vereinbarungen möglichst wenig beeinträch- werbsstandards, die vom Staat diktiert wer- tigen. den. a) Mindestlohn staatsfern anpassen I. Mindestlohngesetz (Art. 1) Die im Entwurf vorgesehene Mindestlohn- Das Mindestlohngesetz, das das bisherige kommission darf nicht zum Deckmantel für neue staatliche Eingriffe in die Tarifautono- Mindestarbeitsbedingungengesetz ablösen mie werden. Ihre Tätigkeit hat mit der Tarif- soll, stellt einen schwerwiegenden Eingriff in autonomie nichts zu tun. Sie darf daher auch die Tarifautonomie dar. Es bedarf einer gro- kein Ort von Tarifverhandlungen werden. Sie ßen Zahl von Änderungen, um bestehende ist keine Kommission der Tarifpartner, son- Tarifverträge, geltende Arbeitsverträge und dern der Bundesregierung. Die Kommission Arbeitsmarktchancen nicht übermäßig zu setzt weder den Ausgangsmindestlohn fest behindern. noch kann sie über Ausnahmen nach Bran- 1. Tarifautonomie schützen chen und Regionen oder über Differenzie- rungen nach Qualifikation oder Dauer der Ein gesetzlicher Mindestlohn darf bestehen- Beschäftigung entscheiden. de Tarifverträge während ihrer Laufzeit nicht verdrängen. Tarifvertragliche Abweichungen Um den Schaden für die Tarifautonomie müssen während der Übergangsfrist bis zum durch den gesetzlichen Mindestlohn nicht 31. Dezember 2016 und auch künftig unein- noch zu vergrößern, darf der Mindestlohn geschränkt fortgelten können. Tarifvereinba- daher nicht Gegenstand von Abstimmungen rungen dürfen nicht durch einen gesetzlichen in dieser Kommission sein. Um staatsferne Mindestlohn verdrängt werden. Anpassungen zu gewährleisten, kann Maß- stab nur die Tarifentwicklung der jeweiligen Die Bedingung, in das AEntG aufgenommen zurückliegenden Jahre sein. Sie ist Ausdruck zu werden, wird den Schutz bestehender dessen, was in echten Tarifverhandlungen Vereinbarungen im Ergebnis in Frage stel- vereinbart ist. Die staatlich eingesetzte Min- len, weil vielfach eine Erstreckung der Tarif- destlohnkommission sollte so wenig wie verträge nach geltendem AEntG unmöglich möglich ein Präjudiz für künftige Tarifver- ist. So verlangt das AEntG bundesweite Ta- handlungen setzen. Nur unter besonderen rifverträge über Mindestentgeltsätze. Viele Bedingungen wie in der Krise 2008/209 soll- der betroffenen repräsentativen Tarifverträge te die Kommission mit einer Zweidrittelmehr- sind regional oder für unterschiedliche Bun- heit nach unten vom Mindestlohn abweichen desländer oder als Haustarifverträge abge- können. schlossen. Daher bedarf es sowohl für die Zukunft, wie für bestehende Tarifverträge Auch die im Gesetzentwurf vorgesehene einer Vorschrift, die den Vorrang von Tarif- jährliche Anpassung des Mindestlohns be- vereinbarungen gegenüber gesetzlichen droht die tarifautonome Festsetzung von Ar- Festsetzungen generell sicherstellt. beitsentgelten. Die Mehrheit der Tarifverträ- ge läuft schon heute über einen längeren Die Aufnahme in das AEntG ist auch nicht Zeitraum als ein Jahr. In einigen Tarifverträ- durch das Europarecht geboten, weil die gen reicht dieser Zeitraum sogar über zwei Übergangsregelung nur für Tarifverträge mit Jahre hinaus. In dieser Frage sollte sich der repräsentativen Gewerkschaften gelten soll. Gesetzgeber daher an dem orientieren, was Dieses Kriterium wird sogar von der Entsen- tariflich gelebte Praxis ist. Eine Anpassung Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 3
des Mindestlohns in Abständen von einem b) Jungen Menschen bei Beschäftigung Jahr wäre ein weiterer gravierender Eingriff helfen in die tarifautonome Gestaltung der Arbeits- bedingungen. Es ist notwendig, den Zeit- Der Entwurf sieht in § 22 Abs. 2 vor, dass raum für die Anpassung auf mindestens zwei Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr i.S.d. Jahre anzuheben. § 2 Abs. 1 und 2 JArbSchG, die noch keine Berufsausbildung haben, vom gesetzlichen b) Geschäftsstelle überflüssig Mindestlohn ausgenommen werden. Diese Eine eigenständige Geschäftsstelle zu schaf- Altersgrenze ist zu niedrig. Sie muss zumin- fen, ist überflüssig. Hierfür ist ein Sekretariat dest auf die Vollendung des 21. Lebensjah- völlig ausreichend. Aufgaben der Geschäfts- res angehoben werden. stelle sollen sein: die Sitzungskoordination, Haushaltsplanung, Vergabe von Gutachten, Ziel der Regelung soll es ausweislich der Bereitstellen einer Hotline, Auswerten der Gesetzesbegründung sein, keinen Anreiz zur Hotline-Anfragen etc. Hierfür sind insgesamt Arbeit statt Ausbildung zu setzen. Das Alter elf Mitarbeiter vorgesehen. Die Personal- der Ausbildungsanfänger beträgt jedoch und Sachkosten werden sich laut Stellung- durchschnittlich 19,8 Jahre. Um die Bereit- nahme des Normenkontrollrates auf gut 1 schaft – gerade junger Menschen mit Ver- Mio. Euro jährlich belaufen. Diese Aufgaben mittlungshemmnissen – nicht zu mindern, kann ohne Probleme durch ein nachgeord- eine Berufsausbildung aufzunehmen, sollte netes Sekretariat ohne wissenschaftlichen daher jungen Menschen nicht der Anreiz ge- Unterbau übernommen werden. geben werden, stattdessen ein vermeintlich attraktiveres Arbeitsverhältnis zu Mindest- 3. Einstieg in Arbeit nicht verbauen lohnbedingungen aufzunehmen. Insbeson- Ein Mindestlohn darf den Einstieg in Arbeit dere Jugendliche aus bildungsfernen Haus- nicht verschließen. Daher muss durch ge- halten könnten einer zu einem Mindestlohn setzliche Differenzierungen für Langzeitar- bezahlten, unqualifizierten Tätigkeit den Vor- beitslose, Menschen, die noch nie gearbeitet zug gegenüber einer beruflichen Ausbildung haben, und v. a. für junge Menschen ohne geben. Für Jugendliche bis zum 21. Lebens- ausreichende Qualifikation eine Lösung ge- jahr müssen daher sachgerechte Ausnah- funden werden, die keine Fehlanreize setzt. meregelungen gelten, die einen erfolgrei- Der vorgesehene § 22 erfüllt diese Voraus- chen Start ins Berufsleben nicht gefährden. setzungen nicht. Die aktuelle Beschäftigtenstatistik der Bun- a) Langzeitarbeitslosen Chancen erhal- desagentur für Arbeit (BA) belegt, dass im- ten mer mehr junge Menschen erst mit Mitte o- Um den Arbeitsmarktzugang nicht zu behin- der Ende 20 eine Ausbildung beginnen. Die dern, sollte für Langzeitarbeitslose und Men- Zahl der Jugendlichen, die bereits im Alter schen, die noch nie gearbeitet haben, der zwischen 15 und 19 Jahren eine Berufsaus- Mindestlohn wenigstens für die ersten zwölf bildung starten, ist dagegen in den vergan- Monate nicht gelten. Wer schon heute we- genen 13 Jahren stark gesunken. Absolvier- gen schwerwiegender Vermittlungshemm- ten im Jahr 2000 noch mehr als 843.000 nisse keinen Zugang zum Arbeitsmarkt fin- junge Männer und Frauen zwischen 15 und det, wird ohne Abweichungsmöglichkeiten 19 Jahren eine Ausbildung, so waren es Mit- vom Mindestlohn noch schwerer zu vermit- te 2013 nur noch knapp 525.000. Fast ver- teln sein. Dies ist mit dem Ziel nicht zu ver- doppelt hat sich dagegen die Zahl der beruf- einbaren, Arbeitslose in den Arbeitsmarkt zu lichen Späteinsteiger in diesem Zeitraum: integrieren und ihnen damit ein selbst erwirt- Mitte 2013 absolvierten nach BA-Angaben schaftetes Einkommen, Wertschätzung und knapp 113.000 Menschen zwischen 25 und soziale Kontakte zu ermöglichen und eine 29 Jahren eine Ausbildung; im Jahr 2000 geordnete Tagesstruktur zu verschaffen. waren es nur knapp 54.000. Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 4
Entsprechendes gilt für nicht ausbildungsfä- ist darüber hinaus zu erwägen, die entspre- hige Jugendliche. Muss ein Unternehmen chende Klarstellung gesetzlich nicht im Zu- diese erst mit großem Aufwand und unter sammenhang mit Praktikumsverhältnissen, erheblichen Anstrengungen dazu befähigen, sondern im dritten Absatz des § 22 im Zu- einen Arbeitstag über Wochen durchzuhal- sammenhang mit Ausbildungsverhältnissen ten, geht dies nicht zu Mindestlohnbedin- zu treffen. gungen. Diese Gruppe wird für 8,50 Euro d) Praktika nicht behindern kaum einen Arbeitsplatz finden. Folge wird ein deutlicher Anstieg der Jugendarbeitslo- Der Mindestlohn wird nicht nur eine Gefahr sigkeit sein. für bestehende Arbeitsverhältnisse darstel- len, sondern auch Personen schaden, die c) Einstiegsqualifizierungen bewahren noch gar nicht in Arbeit sind. Mit der ange- Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf ordneten Geltung des Mindestlohns auch für Ausnahmen vom Mindestlohn für solche jun- weite Teile von Praktikumsverhältnissen, die gen Menschen definiert, denen beim Einstieg vom Koalitionsvertrag nicht erfasst werden, in eine Ausbildung geholfen werden muss. werden junge Menschen, vor, in und beson- Die Anknüpfung allein an Maßnahmen, die ders nach einer Ausbildung in der Möglich- nach § 54a SGB III gefördert werden, ist je- keit erheblich beschränkt, zur Berufsorientie- doch zu eng. rung Praktikumsverhältnisse zu vereinbaren. Spiegelbildlich zur betrieblichen Einstiegs- Auch wenn der Zeitraum für Orientierungs- qualifzierung gemäß § 54a SGB III müssen praktika gegenüber dem Referentenentwurf vergleichbare Förderprogramme der Wirt- von vier auf sechs Wochen erhöht wurde, schaft vom Mindestlohn ausgenommen wer- wird das der besonderen Bedeutung von den. Unternehmen und Verbände engagie- „Orientierungspraktika“ nicht gerecht. Insbe- ren sich dafür, ausbildungsschwache oder sondere fehlt es an einer Ausnahme für frei- benachteiligte Jugendliche so zu fördern, willige Praktika, die nach der Ausbildung o- dass sie trotz bestehender Schwierigkeiten der auch nach dem Studium Hilfestellung bei eine Berufsausbildung erfolgreich absolvie- der Berufsfindung geben sollen. Nur jeder ren können. In der betrieblichen Praxis be- vierte Bachelor-Studierende an Universitäten stehen dazu unterschiedliche Modelle. Diese ist laut Studienqualitätsmonitor mit den Pra- dürfen durch einen Mindestlohn nicht ge- xisbezügen seines Studiums zufrieden. Viele fährdet werden. Studierende kompensieren daher diese Defi- zite durch freiwillige Praktika zur Orientie- Unter Berücksichtigung der unterschiedli- rung im, aber auch nach dem Studium. Auch chen Ausgestaltung der einzelnen Förder- nicht verpflichtende Praktika sind ein wichti- programme sollte die Ausnahmeregelung ges Instrument, um jungen Menschen Einbli- daher dahingehend ergänzt werden, dass cke in die betriebliche Praxis zu geben und Teilnehmer an Einstiegsförderprogrammen, die Berufsfindung zu erleichtern. die zu einer Berufsbildung hinführen sollen, aufgrund eines Tarifvertrages, in Betrieben Sollte ein Bedarf gesehen werden, einfache eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers im Abgrenzungskriterien von Praktika und Ar- Geltungsbereich und nach Maßgabe eines beitsverhältnissen zu entwickeln, könnte der Tarifvertrages oder im Rahmen von Projek- Vorschlag der EU-Kommission für einen ten, die die Voraussetzungen des § 54a SGB Qualitätsrahmen für Praktika herangezogen III erfüllen aber die staatliche Förderung werden. Dieser sieht eine Begrenzung der nicht in Anspruch nehmen, vom Anwen- Dauer von Praktika auf sechs Monate vor. dungsbereich des Gesetzes ausgenommen Zumindest wenn das Praktikum nicht länger werden. als sechs Monate dauert, sollte dementspre- chend eine Vermutung dafür gelten, dass es Um die Bedeutung entsprechender Pro- sich um ein Praktikum zur Orientierung han- gramme gerade für die Ausbildung bzw. die delt. Ausbildungsvorbereitung zu unterstreichen, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 5
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor- schung (IAB) gibt an, dass im Durchschnitt Die Zahl der dual Studierenden steigt stetig. 600.000 Praktika pro Jahr absolviert werden. Zur Zeit studieren über 64.300 Studierende Dazu gehören neben Schulpraktika und in mehr als 1.000 verschiedenen dualen Pflichtpraktika während des Studiums gera- Studiengängen, an denen sich knapp 40.000 de auch freiwillige Praktika. Die Unterneh- Betriebe beteiligen (Stand 2013). Die Ten- men, die solche Praktika anbieten, investie- denz ist weiter steigend. ren in diese ein hohes Maß an Zeit und Geld. f) Abiturientenprogramme Der Vorteil erster Erfahrungen mit berufli- chen Anforderungen für junge Praktikanten Ebenfalls klar gestellt werden muss die Aus- liegt auf der Hand. Um solche Praktika nicht nahme sog. Abiturientenprogramme für Füh- unattraktiv zu machen, müssen sie vom Min- rungsnachwuchskräfte, die in einem die Aus- destlohn ausgenommen werden. Würden und Fortbildung integrierenden Qualifizie- solche „Orientierungspraktika“ wie Arbeits- rungsgang auf Prüfungen vorbereiten. Dies verhältnisse behandelt, könnten viele Unter- könnte dadurch erfolgen, dass im Mindest- nehmen sie künftig nicht mehr anbieten. lohngesetz direkt und nicht erst in der Be- gründung klargestellt wird, dass die Teil- e) Duale Studiengänge ausnehmen nehmer an einem Qualifizierungsgang, der Einer Klarstellung bedarf es auch hinsichtlich auf eine Fortbildungsprüfung nach § 53 BBiG der Behandlung Studierender in dualen Stu- vorbereitet, keine Praktikanten im Sinne des diengängen. Solche Studiengänge werden § 26 BBiG sind, sondern in den Ausnahme- zunehmend von staatlichen wie auch von katalog von § 22 Abs. 2 übernommen wer- privaten Hochschulen angeboten. In beiden den. Das Mindestlohngesetz hat als wesent- Fällen bedarf es einer Klarstellung, dass liches Ziel, „Arbeitnehmer und Arbeitnehme- Studierende dieser Studiengänge vom Min- rinnen vor unangemessen niedrigen Löhnen destlohn nicht erfasst werden. zu schützen“. In dem Qualifizierungsgang steht eindeutig die Qualifizierungsaufgabe im Zu unterscheiden ist hier zwischen den aus- Vordergrund, nicht die Arbeit von Arbeitneh- bildungs- und praxisintegrierten Studiengän- mern. Es wäre sachfremd und mit den Zielen gen. Während die dual Studierenden in aus- des Mindestlohngesetzes nicht vereinbar, sie bildungsintegrierten Studiengängen bis zum der Mindestlohnpflicht zu unterwerfen. Abschluss ihrer dualen Berufsausbildung g) Saisonarbeit angemessen regeln nach BBiG bzw. HWO im Betrieb als Auszu- bildende gelten und damit unter die Aus- Die Saisonarbeit ist ausdrücklich im Koaliti- nahme des § 22 Abs. 3 fallen, sind Teilneh- onsvertrag genannt. Eine angekündigte Lö- mer in praxisintegrierten Studiengängen im sung für die Saisonarbeit ist dem Gesetz- Rahmen der betrieblichen Praxisphase we- entwurf nicht zu entnehmen. Diese muss der als Auszubildende noch als Personen in ergänzt werden. einem sonstigen Ausbildungsverhältnis im 4. Klarstellungsbedarf bei Berechnung Sinne des § 26 BBiG noch als Arbeitnehmer des Mindestlohns beschäftigt. Gemäß § 1 Abs. 2 beträgt die Höhe des Die Vertragsverhältnisse dieser dual Studie- Mindestlohns ab dem 1. Januar 2015 brutto renden sind Vertragsverhältnisse eigener 8,50 Euro je Zeitstunde. Art, die nicht speziell geregelt sind. Durch die a) Stücklohnvereinbarungen Immatrikulation stehen die Studierenden grundsätzlich in einem Vertragsverhältnis mit In der Begründung des Gesetzentwurfs wird der Hochschule bzw. Berufsakademie, in zwar festgestellt, dass die „Vereinbarung von dem auch die Praxisphasen geregelt sind. Stücklöhnen und Akkordlöhnen zulässig Sie müssen daher im Sinne von § 22 Abs. 3 bleibt, wenn gewährleistet wird, dass der vom Mindestlohn ausgenommen werden. Mindestlohn für die geleistete Arbeitsstunde Dies wird aber durch die aktuelle Gesetzes- erreicht wird.“ Diese Begründung kann aber formulierung nicht klargestellt. so verstanden werden, dass unabhängig Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 6
vom Ergebnis der Arbeitsleistung zumindest destlohn angerechnet werden können. Es durchschnittlich immer der Mindestlohn zu darf dabei keinen Unterschied machen, ob gewähren ist, selbst wenn die angemessene solche Leistungen fortlaufend ratierlich oder Mindestleistung nicht erreicht wird. Das wür- zu bestimmten Zeitpunkten in einer Summe de dazu führen, dass Stücklohnvereinbarun- gewährt werden. gen tatsächlich leer liefen. c) Entgeltumwandlung rechtssicher ma- Der Stücklohn setzt gerade die angemesse- chen ne Nutzung der eigenen Arbeitskraft voraus. In § 3 des Gesetzentwurfs muss eindeutig Dabei spielt eine durchschnittliche Arbeits- klargestellt werden, dass Entgeltumwand- leistung sicherlich eine Rolle, darf aber nicht lung nach § 1a des Betriebsrentengesetzes so verstanden werden, dass mit einer nicht gegen die Vorgabe zur Unabdingbar- Durchschnittsbetrachtung jede Stücklohnre- keit des Mindestlohns verstößt. Die bisher gelung geklärt und gesichert wäre. nur in der Gesetzesbegründung vorgesehe- ne Klarstellung zur weiter möglichen Entgelt- Schon heute kann der Arbeitgeber Stücklöh- umwandlung nach dem Betriebsrentenge- ne nur nach billigem Ermessen (vgl. § 315 setz reicht hierfür nicht aus. Es besteht die BGB) festsetzen. Das widerspricht dem Min- Gefahr, dass Vereinbarungen über Entgelt- destlohn nicht, wenn ein durchschnittlicher umwandlung für unwirksam erklärt werden. Arbeitnehmer bei durchschnittlicher Leistung Das würde gerade Geringverdiener von der die festgesetzte Stücklohnzahl erreichen effizienten und kostengünstigen Form der kann. Dabei handelt es sich um ein im Ar- kapitalgedeckten Altersvorsorge ausschlie- beitsrecht übliches Instrument der Entgeltbe- ßen. Dabei ist nach dem Alterssicherungsbe- stimmung. Seine Zulässigkeit muss durch richt der Bundesregierung 2012 der Verbrei- eine Ergänzung des § 1, zumindest aber ei- tungsstand der betrieblichen Altersvorsorge nen eindeutigen Hinweis in der Gesetzesbe- bei Geringverdienern ohnehin deutlich unter gründung, klargestellt werden. dem Durchschnitt. In dieser Gruppe eine stärkere Verbreitung der betrieblichen Al- Die in vielen Branchen vereinbarten Stück- tersvorsorge zu erreichen, ist eine der gro- löhne, Akkordlöhne, Provisionen oder ver- ßen Herausforderungen der Sozialpartner. gleichbare umsatzbezogene Lohnformen Diese darf nicht durch vermeidbare Verunsi- dürfen nicht grundsätzlich in Frage gestellt cherung, wie es bei einer fehlenden gesetzli- werden. Es bietet sich an, in § 1 einen Hin- chen Klarstellung für die Entgeltumwandlung weis auf § 315 BGB zu ergänzen. der Fall wäre, konterkariert werden. b) Anrechnung von Sonderleistungen 5. Arbeitszeitflexibilisierung erhalten Ebenfalls muss gesetzlich klargestellt wer- Die Regelung von Arbeitszeitkonten im Ge- den, dass bei der Bestimmung des Mindest- setzentwurf kann so verstanden werden, lohns Sonderzahlungen des Arbeitgebers, z. dass sämtliche Arbeitsverhältnisse erfasst B. Einmalzahlungen, auf den Mindestlohn- werden. Dann würde – ohne dass dies Teil anspruch angerechnet werden können. Alles des Koalitionsvertrages ist – mit dem Gesetz andere führt zu Rechtsunsicherheit und kann in alle vereinbarten Regelungen zur Arbeits- sogar die Tarifbindung der Unternehmen in zeit eingegriffen. Das Arbeitszeitkonto müss- Frage stellen. te innerhalb eines Zeitraums von zwölf Mo- naten hinsichtlich des Mindestlohnanteils am Daher muss in § 1 des Gesetzentwurfes Arbeitseinkommen ausgeglichen werden. klargestellt werden, dass im laufenden Ka- lenderjahr aufgrund eines Rechtsanspruchs Arbeitszeitkonten sind ein unverzichtbarer des Arbeitnehmers zu erbringende Zahlun- Standortvorteil. Das hat sich erst in der Krise gen oder geldwerte Leistungen des Arbeit- 2008/2009 eindrücklich gezeigt. Arbeitszeit- gebers (z.B. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld), kontenregelungen finden sich zumeist in Ta- deren Zahlung nicht von einer Arbeitsleis- rifverträgen und Betriebsvereinbarungen. tung des Arbeitnehmers abhängt, die von Dies sichert einen angemessenen Ausgleich einer Normalleistung abweichen, als Arbeits- unterschiedlicher Interessen bereits heute entgelt gelten und auf den gesetzlichen Min- hinreichend. Ohne eine gesetzliche Klarstel- Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 7
lung würde die vorgesehene Regelung zu Mindestlohngesetzentwurf für alle Arbeitsver- erheblicher neuer Bürokratie führen und da- träge und Tarifverträge faktisch in Frage mit mittelbar Arbeitszeitkonten generell in stellt. Frage stellen. 7. Auftraggeberhaftung überprüfen Es bedroht Arbeitszeitkonten im Kern, wenn Vom Koalitionsvertrag nicht umfasst und für den Mindestlohnanteil, der in jedem Ar- nicht angekündigt ist die für den Mindestlohn beitsentgelt enthalten ist, faktisch ein Zwei- in § 13 vorgesehene Regelung zur Auftrag- Konten-System eingeführt werden müsste. geberhaftung. Eine Auftraggeberhaftung, Je nach Höhe des vereinbarten Arbeitsent- nach der der Unternehmer für die Vergabe gelts würde dieses „zweite Arbeitszeitkonto“ von Werk- und Dienstleistungen wie ein Bür- ganz unterschiedlich befüllt und wieder ganz ge haftet, der auf die Einrede der Vorauskla- unterschiedlich abgebaut werden müssen. ge verzichtet hat – und zwar nicht nur für Das ist überhaupt nicht praktikabel und wäre seinen eigenen Vertragspartner, sondern für die Arbeitszeitflexibilität und damit für die auch für jeden weiteren Vertragspartner die- Arbeitsplatzstabilität in Deutschland eine Ka- ses Vertragspartners (Nachunternehmer), tastrophe. § 2 darf tariflichen und betriebs- wäre unkalkulierbar, lebensfremd und unver- verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur hältnismäßig. Daraus könnte sich eine nicht Führung solcher unverzichtbaren Instrumen- abzuschätzende, völlig intransparente und te der Arbeitszeitflexibilisierung nicht wider- nicht kontrollierbare Haftungskette der ge- sprechen. Die Regelung zu Arbeitszeitkonten samten Wirtschaft untereinander ergeben. muss sich daher danach richten, wie sie im Betrieb oder Unternehmen gilt. In § 2 Abs. 2 Auch wenn es so nicht gemeint sein sollte, muss klar gestellt werden, dass für die Ver- wäre sogar vom Wortlaut eine Auslegung einbarung von Arbeitszeitkonten die beim möglich (wenn auch widersinnig), nach der Arbeitgeber des Arbeitnehmers geltenden sich die Haftung auf den Lohn jedes Arbeit- tariflichen oder betrieblichen Bestimmungen nehmers des beauftragten Unternehmens Anwendung finden. erstreckt. Aber selbst bei einer engen Ausle- gung stellt sich die Folgefrage, wer unmittel- Die in § 2 Abs. 2 vorgesehene monatliche bar, mittelbar oder irgendwie kausal an der Begrenzung der Zuführung von Mehrleistun- Auftragsdurchführung beteiligt ist. gen auf 50 Prozent der vertraglich vereinbar- ten Arbeitszeit lässt unberücksichtigt, dass Völlig unklar ist außerdem, welche Prüfpflich- es im Verlauf eines Jahres Konjunkturverläu- ten bzw. Prüfrechte sich aus der Haftung für fe geben kann, die in einzelnen Monaten hö- die Auftraggeber ergeben. Soweit der Auf- here Einstellungen erfordern, während in traggeber Personaldaten, Arbeitsverträge anderen Monaten kein oder nur ein geringer und Entgeltabrechnungen anfordern muss, Bedarf an Mehrleistungen erforderlich ist. um sein Haftungsrisiko einschätzen zu kön- nen, ist dies bereits aus datenschutzrechtli- 6. Ausschlussfristen sichern chen sowie wettbewerbsrechtlichen Ge- § 3 muss so ergänzt werden, dass tarifver- sichtspunkten äußerst problematisch. tragliche Ausschlussfristen unbeschränkt und arbeitsvertragliche Ausschlussfristen Eine Auftraggeberhaftung findet sich zwar nach Maßgabe der bisherigen Rechtspre- auch im AEntG. Ein Vergleich zu diesem chung möglich bleiben. Ausschlussfristen, Gesetz ist allerdings nicht angemessen, weil die sich in fast allen Tarif- oder Arbeitsver- die schon heute bestehende Haftung nach trägen finden, müssen unbeschränkt auch dem AEntG nur bezüglich bestimmter Bran- künftig möglich bleiben, um ihre rechtsbe- chen gilt. In diesen Fällen ist die Beauftra- friedende Wirkung zu erhalten. Alles andere gung regelmäßig auf ein ganzes Projekt (z.B. würde Unternehmen vor unübersehbare im Bau) oder auf eine Dauerbeziehung (Ge- Rechtsunsicherheit stellen und einen Eingriff bäudereinigung) gerichtet. Der Wortlaut von in die Tarifautonomie bedeuten. Schon heute § 13 umfasst jedoch jeden denkbaren Werk- gibt es individualvertraglich keine Aus- und Dienstvertrag – auch einmalige und schlussfrist, die kürzer als drei Monate dau- anonyme Geschäfte des täglichen Alltags. ern darf. Es ist unverständlich, dass dies der Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 8
Der für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit 9. Dokumentationspflicht nicht praxis- vorgesehene Entlastungsbeweis bietet zu tauglich wenig Rechtssicherheit. Es bleibt unklar, wann von einer positiven Kenntnis bzw. grob Die vorgesehene Aufzeichnungspflicht in fahrlässigen Unkenntnis auszugehen ist und § 17 Abs. 1 wird für alle Unternehmen, un- welcher Prüfungsmaßstab gelten soll. Insbe- abhängig davon, ob sie bei der Lohnhöhe sondere stellt sich die Frage, wie der Arbeit- vom Mindestlohn betroffen sind oder nicht, geber seiner nach dem Gesetzentwurf not- erhebliche Bürokratiekosten verursachen. wendigen aktiven Nachweispflicht nach- Für geringfügig Beschäftigte nach § 8 Abs. 1 kommen soll. Zudem sind den Auftraggebern SGB IV ist nunmehr nicht nur die Dauer, häufig die gesamten Beteiligten in einer nicht sondern auch der Beginn und das Ende zu selten sehr langen und kaum überschauba- erfassen. Dies stellt einen massiven zusätz- ren Zuliefererkette nicht bekannt und ihrem lichen Verwaltungsaufwand dar und belastet Einflussbereich schon wegen praktischen gerade den eigentlich unbürokratischen Mi- Gegebenheiten entzogen. nijob. Besonders hart trifft es kleine und mitt- lere Unternehmen, denn diese haben häufig Daher bietet es sich an, die Vorschrift ganz keine detaillierte Arbeitszeiterfassung. Bis- zu streichen. Zumindest muss sie so be- lang sind Arbeitgeber in Branchen außerhalb schränkt werden, dass sie nicht generell eine des Entsendegesetzes nur verpflichtet, die Haftung für alles und für jeden begründet. über die gesetzliche werktägliche Höchstar- Hierzu bietet es sich an, § 13 so zu fassen, beitszeit hinausgehende Arbeitszeit zu er- dass nur für den jeweiligen Vertragspartner fassen (§ 16 Abs. 2 ArbZG). Auch wird ver- und Arbeitnehmer gehaftet wird, die unmit- kannt, dass das Arbeitszeitmodell der Ver- telbar in den Auftragsprozess eingebunden trauensarbeitszeit faktisch nicht mehr mög- sind. lich ist. Die Regelung sollte daher gestrichen 8. Übermäßige Sanktionen vermeiden werden. Sollte das nicht möglich sein, muss zumindest die Aufzeichnungspflicht für Mi- Die Voraussetzungen für einen Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge sind nijobber entfallen. zu weit. Ein Unternehmen, dem ein solcher Verstoß vorgeworfen wird, muss sich unter Zudem sind die Anforderungen des § 17 Ausschöpfung des Rechtswegs verteidigen Abs. 2, die für die Kontrolle der Einhaltung können, ohne dadurch gravierende wirt- des Mindestlohns erforderlichen Unterlagen schaftliche Nachteile zu erleiden. Es darf auch am Ort der Beschäftigung bereitzuhal- daher nicht bereits auf die bloße Belegung ten, völlig praxisuntauglich. Diese Unterlagen mit einer Geldbuße abgestellt werden. Der werden insbesondere bei kleinen und mittle- Verstoß muss zumindest rechtskräftig fest- ren Unternehmen regelmäßig beim Steuer- gestellt worden sein. Eine solche restriktive berater oder bei größeren Unternehmen am Handhabung entspricht auch den Grundsät- Standort der Personalabteilung geführt. zen der Unschuldsvermutung im deutschen Rechtssystem. II. Änderung des Arbeitsgerichtsgeset- zes (Art. 2) Erst recht muss dies für den Ausschluss- Die im Arbeitsgerichtsgesetz vorgesehenen grund des § 19 Abs. 1 S. 2 gelten, der be- Änderungen enthalten Regelungen, die nicht reits vor Durchführung eines Bußgeldverfah- nur die im Gesetzentwurf angeschnittenen rens vernünftige Zweifel genügen lässt, von Themen betreffen. Auch wenn es insoweit einer schwerwiegenden Verfehlung auszu- eine Ankündigung im Koalitionsvertrag nicht gehen. Mit dieser Regelung erhält die zu- gegeben hat, können wir diese Änderungs- ständige Behörde einen Ermessensspiel- vorschläge teilweise mittragen. raum, der auf einem unbestimmten Rechts- begriff basiert. So ist nachvollziehbar, dass künftig bei Fra- gen der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit die Kompetenzen der Überprüfung auf eine Instanz – nämlich das Landesarbeitsgericht – zusammengefasst werden. Das gilt ent- Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 9
sprechend für die Erwägung im Fall der Zu- Zukünftig soll es ausreichen, dass ein Tarif- sammenfassung der Kontrolle der Vorgaben vertrag in seinem Geltungsbereich „überwie- für die Erstreckung von Arbeitsentgelten gende Bedeutung erlangt“ oder dass die All- nach dem TVG und dies bei den Landesar- gemeinverbindlicherklärung „eine wirtschaft- beitsgerichten zu konzentrieren. liche Fehlentwicklung“ für die Branche ver- hindert. Dies stellt eine weitgehende syste- Ob es ein Schritt zu weniger Bürokratie ist, matische Änderung des geltenden Rechts das Verfahren der Überprüfung von der ins- dar und geht ebenfalls über den Koalitions- besondere betroffenen Verwaltungsgerichts- vertrag hinaus. barkeit auf die Arbeitsgerichtsbarkeit zu 1. Regelbeispiele ungenügend übertragen, muss die Zukunft zeigen. Es muss sichergestellt bleiben, dass auch künf- So sieht der Koalitionsvertrag vor, dass an tig der missbräuchlichen Nutzung von AVE die Stelle des bisherigen Erfordernisses ei- und AEntG entgegengewirkt wird. nes öffentlichen Interesses und des Nach- weises einer Tarifbindung von 50 %, für die III. Änderung des Verdienststatistikge- Erstreckung von Tarifverträgen durch Allge- setzes (Art. 4) meinverbindlichkeit ein besonderes öffentli- Die Änderung des Verdienststatistikgesetzes ches Interesse treten soll, das durch Regel- sieht u. a. vor, die Anzahl der befragten Un- beispiele beschrieben wird. Dem entspricht ternehmen von 34.000 auf 60.000 auszuwei- der Gesetzentwurf nicht. Entgegen dem Koa- ten. Im Ergebnis wären von dieser Erweite- litionsvertrag sieht er nur ein „einfaches“ öf- rung 26.000 kleine Betriebe mit weniger als fentliches Interesse vor. Das sendet ein fal- zehn sozialversicherungspflichtig Beschäftig- sches Signal aus und vermittelt den Ein- ten betroffen, die bisher von der (auskunfts- druck, die Tarifbindung und die Koalitions- pflichtigen) Befragung ausgenommen waren. freiheit seien beliebig disponibel. Auch das erste Regelbeispiel findet sich im Die damit verbundene bürokratische Belas- Koalitionsvertrag an keiner Stelle. Nach der tung insbesondere der kleinen Unternehmen Vereinbarung der Koalitionspartner sollte ist unverhältnismäßig und auch nicht durch vielmehr eine Tarifbindung von 50 % glaub- das richtige Ziel einer Evaluierung des flä- haft dargelegt werden müssen. Im Entwurf chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns heißt es demgegenüber, dass der Tarifver- gerechtfertigt. trag in seinem Geltungsbereich überwiegen- de Bedeutung erlangen müsse. Was über- Zielführend wäre eine Analyse hinsichtlich wiegende Bedeutung meint, wird schluss- der Auswirkungen auf Arbeitslosigkeit und endlich weder durch die Begründung noch auf Beschäftigungschancen von Arbeitssu- durch andere Hinweise im Gesetzestext chenden mit unterdurchschnittlichen Qualifi- selbst ausreichend klar. Zumindest ebenso kationen sowie eine Abschätzung der Effekte unbestimmt ist das weitere Regelbeispiel des auf die wirtschaftliche Entwicklung. Entwurfs, wonach die AVE möglich ist, um die Wirksamkeit der tarifvertraglichen Norm- Es ist weder erkennbar noch geht es aus der setzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Gesetzesbegründung hervor, welchen Ein- Fehlentwicklungen abzusichern. Auch dies fluss eine genauere Kenntnis der Verdienst- ist kaum überprüfbar und kann alles und struktur von kleinen Unternehmen für Analy- nichts meinen. sen und Entscheidungen zum Mindestlohn haben könnte. Beide „Kriterien“ sind wirkungslose Placebos gegen das Risiko, dass die Allgemeinver- IV. Änderung des TVG (Art. 5) bindlicherklärung faktisch an die Stelle not- Artikel 5 sieht vor, dass ein Tarifvertrag auf wendiger Tarifbindung tritt. Der Attraktivität Antrag und mit Zustimmung des Tarifaus- der tariflichen Normsetzung und damit der schusses vom BMAS für allgemeinverbind- Attraktivität der Mitgliedschaft in Verbänden lich erklärt werden kann, wenn dies „im öf- wird mit einer solchen praktisch grenzenlos fentlichen Interesse geboten erscheint“. Das möglichen Tariferstreckung durch das In- bisherige Quorum von 50 % soll entfallen. strument der AVE geschadet. Daher besteht Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 10
das Risiko, dass eine solche Ausweitung wählt werden kann. Dies kann man als mit auch von Gerichten als Verletzung der nega- dem Koalitionsvertrag vereinbar sehen. tiven wie der positiven Koalitionsfreiheit ge- sehen wird. Eine gravierende Überschreitung des Koali- tionsvertrages liegt in der Umsetzung aber Das Erfordernis eines gemeinsamen Antrags darin, dass § 7 Abs. 1 Satz 3 gestrichen der tarifschließenden Parteien anstelle des wird. Im Ergebnis bedeutet dies, dass von bisher ausreichenden Antrags auch nur einer den in § 2 genannten allgemeinen Arbeits- Tarifvertragspartei ist vor diesem Hinter- bedingungen künftig alle über die Rechts- grund richtig und notwendig. verordnung erstreckt werden können. Das bedeutet eine massive Ausweitung der Er- Schließlich kann es nicht gewollt sein, dass streckungsmöglichkeiten durch Rechtsver- allein die Behauptung der antragstellenden ordnung. Diese Ausdehnung ist auch nicht Tarifvertragsparteien, die Regelbeispiele zu dadurch gerechtfertigt, dass die Rechtsver- erfüllen, den Anforderungen an eine ggf. ordnung zukünftig im Wesentlichen der ein- normverdrängende Erstreckung von Tarifver- zige Weg der Erstreckung ist. Vielmehr sollte trägen genügt. Die Verantwortung für die es für die Arbeitsbedingungen der § 2 Nr. 3 Prüfung der Voraussetzungen muss beim bis 7 dabei bleiben, dass die Erstreckung – Bundesministerium für Arbeit verbleiben. auch wenn sie über den Weg der Rechtsver- ordnung vorgenommen wird – künftig weiter- 2. Erstreckung von Sozialkassentarifver- hin zuvor von der Mehrheit der Mitglieder trägen des Tarifausschusses nach § 5 TVG gebilligt Wir halten es nicht für zwingend geboten, werden muss. einen allgemeinen Vorrang für spezifische 2. Erstreckung auf Zeitarbeitsverhältnis- Sozialkassentarifverträge gesetzlich abzusi- se chern. Der in den neuen Absätzen 1a und 4 formulierte generelle Grundsatz, dass allge- Ebenfalls über den Koalitionsvertrag hinaus- meinverbindliche Tarifverträge, wenn auch gehend wird die richtige Rechtsprechung des beschränkt auf die Fälle von Sozialkassen Bundesarbeitsgerichts ausgehebelt, dass anderen Tarifverträgen vorgehen, sollte Zeitarbeit von der Erstreckung des AEntG nochmals einer Prüfung im Gesetzgebungs- nur dort erfasst wird, wo die Zeitarbeitskraft verfahren unterzogen werden. in einem dem AEntG unterfallenden Betrieb V. Änderung des AEntG (Art. 6) eingesetzt wird. Diese gesetzliche Änderung würde dazu führen, dass es künftig nicht Wie im Koalitionsvertrag angekündigt, wird mehr auf die Zuordnung des „Entleihers“ zu das AEntG durch den Entwurf für alle Bran- einer bestimmten Branche ankommt, son- chen geöffnet. Die Umsetzung dieser Öff- dern allein auf die ausgeübte Tätigkeit abge- nung umfasst Elemente, die mit den Ankün- stellt wird. Der persönliche Geltungsbereich digungen im Koalitionsvertrag nicht zu ver- der erstreckten Tarifverträge wird damit in einbaren sind. Die vorgesehene Öffnung für fragwürdiger Weise über den sachlichen Gel- alle Branchen kann akzeptabel sein, wenn tungsbereich ausgedehnt und insoweit der beide Tarifpartner die Aufnahme in das Ent- sendegesetz anstreben. Tarifvertrag der Zeitarbeit einschließlich der vereinbarten Zuschlagstarife verdrängt. Von der Ankündigung einer solchen Öffnung ist aber die im Gesetzentwurf faktisch vorge- Ansprechpartner: sehene Ausdehnung der materiellen Inhalte einer solchen Erstreckung nicht umfasst. BDA | DIE ARBEITGEBER Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber- 1. Rechtsverordnung statt AVE verbände Der durch den Entwurf aufgezeigte Weg Arbeitsrecht lässt sich nachvollziehen, das AEntG für alle arbeitsrecht@arbeitgeber.de Branchen dadurch zu öffnen, dass künftig der Weg der Erstreckung alternativ über das Gesetz wie über die Rechtsverordnung ge- Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifautonomie („Tarifautonomiestärkungsgesetz“) Juni 2014 11
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