Gesucht wird: eine Sprache für Fertigungsanweisungen
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Round-Table-Gespräch zu Industrie 4.0: Wettbewerbsfähig produzieren Gesucht wird: eine Sprache für Fertigungsanweisungen Industrie 4.0 – selten gibt es Schlagwörter, die so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zu Recht, denn es geht um die Produktionstechnik von morgen. Im Round-Table-Gespräch der elektro AUTOMATION wurde klar, dass Industrie 4.0 von der Allgegenwärtigkeit der Informationen lebt sowie dem Schulter- schluss von IT- und Automatisierungstechnik. Eine der Herausforderungen ist es, eine gemeinsame Sprache für Fertigungsanweisungen zu entwickeln, auf deren Basis Produktionsanlagen flexibel einsetzbar sind – bis hinab zur Losgröße Eins. Klar ist auch, dass Industrie 4.0 Ländergrenzen überwinden muss – und dass noch einige Jahre an Entwicklungsarbeit vor uns liegen. Bilder: elektro AUTOMATION/Balluff (Logistik)
ROUND TABLE TRENDS INTEGRATED MANUFACTURING / INDUSTRIE 4.0 elektro AUTOMATION: Die Komplexität von Produkten und Fertigungsverfahren beziehungsweise -abläufen nimmt zu, gleichzeitig sollen kundenindividuelle Wünsche bis hi- nab zur Losgröße Eins realisierbar sein. Damit ist zu er- warten, dass Steuerungsarchitekturen, die an zentraler Stelle Prozesse verwalten, in Schwierigkeiten kommen – Industrie 4.0 will hier Abhilfe schaffen. Zieht man eine Analogie zu einer großen Stadt mit ihren Bewohnern und der Infrastruktur, spielt die Intelligenz der Bewoh- ner eine entscheidende Rolle. Liegt die Lösung für die Industrie also darin, Produkte ‚intelligent‘ zu machen? Zühlke (DFKI): Ja – auch wenn ich nicht von intelligen- ten Produkten reden würde, smarte Produkte trifft es besser. Die Probleme mit einer zentralen Steuerung las- sen sich leichter lösen, wenn es gelingt, mehr Auto- nomie in den unteren Steuerungsebenen zu erreichen. Der Vorteil ist, dass dann nicht mehr alle Abläufe in der zentralen Steuerung vorgedacht werden müssen. Bei unerwarteten Ereignissen kann also bereits auf den da- runter liegenden Ebenen entschieden werden, wie am Was bringt dem Anwender die Industrie 4.0? Zur Diskussion rund um diese Frage besten darauf zu reagieren ist. nahmen Gerd Hoppe, Roland Bent und Hondo Santos (auf der linken Seite) sowie Prof. Detlef Zühlke, Markus Sandhöfner und Jürgen Gutekunst (auf der rechten) die Santos (Balluff): Das eröffnet uns zudem den Schritt Einladung der Redaktion der elektro AUTOMATION zum Round-Table-Gespräch an. weg von einzelnen Wertschöpfungsketten hin zu Wert- schöpfungsnetzwerken. Das bietet ein enormes Poten- zial – insbesondere in der Logistik. über eine ausreichende Teilintelligenz verfügen, um sich sinnvoll miteinander zu vernetzen – und entsprechend Bent (Phoenix Contact): Um Komplexität zu beherr- den Bedürfnissen konfigurieren. schen, muss diese heruntergebrochen werden – auto- nome Teilsysteme, die für sich selbst Entscheidungen Sandhöfner (B&R): Diese Vernetzung zu ermöglichen, treffen können und mit ihrer Umgebung interagieren, ist die große Herausforderung bei der Umsetzung von sind dabei ein wesentliches Element. Damit lässt sich Industrie 4.0. Verdeutlichen lässt sich das am Beispiel der Vergleich sogar noch weiter ziehen: In der Stadt be- der Navigation im Straßenverkehr: Moderne Systeme wegen sich nicht nur ‚intelligente‘ Menschen, auch die werden künftig über die Erfassung der Mobilfunksig- Infrastruktur ist ‚intelligent‘ – beispielsweise Verkehrs- nale der Verkehrsteilnehmer – und damit Positions- und oder Energieversorgungssysteme, die mit den Men- Geschwindigkeitsdaten – die adaptive Ermittlung der schen interagieren. Übertragen auf Industrie 4.0 führt besten Route ermöglichen. In der Automatisierung ar- dies zu einem intelligenten Produktionsumfeld, in dem beiten wir bereits an Vergleichbarem, wozu die beteilig- Betriebsmittel sowie Logistik- und Geschäftsprozesse ten Systeme miteinander kommunizieren müssen – mit dem Ziel, es dem Anwender so einfach wie möglich zu machen, seine Produktion zu steuern. Hoppe (Beckhoff Automation): Die Analogie zur DIE TEILNEHMER DES Stadt erlaubt allerdings auch andere Interpretationen. In ROUND-TABLE-GESPRÄCHS ihr bewegen sich natürlich viele Individuen – aber ohne ein Mindestmaß an vorheriger Planung und Bereitstel- · Roland Bent, Geschäftsführer Marketing lung der Infrastruktur führt das nur zu den bekannten und Entwicklung, Problemen der Megacities. Etwa dazu, dass sie im Ver- Phoenix Contact GmbH & Co. KG kehr ertrinken; hier funktionieren selbstregelnde Prozes- · Jürgen Gutekunst, Geschäftsbereichsleiter se nicht gut und die Freiheit des Einzelnen besteht dann Networking/Systeme, Balluff GmbH darin, mit dem existierenden Missstand so gut es geht zurechtzukommen. Gleichwohl ist in diesem Fall ein Na- · Gerd Hoppe, Corporate Management, vigationssystem ein klassisches Beispiel dafür, dem An- Beckhoff Automation GmbH wender softwaregestützt situativ die beste Lösung an- Intralogistik als · Markus Sandhöfner, Geschäftsleitung, zubieten – in Teilansätzen sind solche Ansätze auch Trendsetter B&R Industrie-Elektronik GmbH schon in Produktionsanlagen verwirklicht. (Bild links): · Hondo Santos, Director Logistics, Mit dem Internet der Balluff GmbH elektro AUTOMATION: Vorauszusetzen ist natürlich in je- Dinge und selbst- · Prof. Detlef Zühlke, Forschungsbereich dem Fall eine Produktionsanlage, mit der sich die ge- regelnden Systemen Innovative Fabriksysteme, stellte Aufgabe auch lösen lässt – hinsichtlich des Ver- wurden hier einige Ide- Deutsches Forschungszentrum für kehrs ist das ja typischerweise in einer Megacity nicht en schon aufgegriffen, Künstliche Intelligenz (DFKI) gegeben. Wenn es zudem Umsetzungen in Teilen bevor es den Begriff schon gibt, was bringt uns Industrie 4.0 an Neuem? Industrie 4.0 gab. elektro AUTOMATION 12/2013 21
TRENDS ROUND TABLE INTEGRATED MANUFACTURING / INDUSTRIE 4.0 Hoppe (Beckhoff Automation): Industrie 4.0 be- Bent (Phoenix Contact): Man wird darüber hinaus auch schreibt keine revolutionäre, ganz andere Art der Pro- den Begriff des ‚intelligenten‘ Produktes genereller fas- duktionstechnik – sondern das Grundwesen dieses An- sen müssen: Eine wesentliche Zäsur wird sein, dass das satzes besteht in der Allgegenwärtigkeit von Informa- Produkt künftig über seinen gesamten Lebenszyklus Teil tionen. In klassischen Systemen wird ja in strikten Pro- der Prozesse des Gesamtsystems wird. Schon mit seiner duktionshierarchien von oben nach unten geplant und digitalen Entwicklung im CAD-System werden bereits ausgeführt. Fehlende Informationen aus den untersten Daten erzeugt, die sich dazu verwenden lassen, die ent- Produktionsebenen bringen darin das übergeordnete sprechenden Produktionsmittel zu entwickeln, zu simu- Planungssystem in Schwierigkeiten. Die Anwendung lieren und zu testen. Auf diese Weise wird parallel zur der Smart-Technologien – und damit der Informations- physischen Welt die Datenwelt immer weiter ausgebaut. austausch zwischen den beteiligten Systemen – soll es Ein komplexeres Produkt wird also eine Art digitales Ge- also ermöglichen, situativ zu reagieren. Der Einsatz dächtnis haben, das über den Lebenszyklus hinweg Zu- smarter Produkte ist dabei nur ein mögliches Szenario. griff auf eine Reihe von Informationen bietet. Abstrakt Entscheidend wird die Einbettung in bestehende Syste- gesprochen finden wir diese Daten dann in der Cloud. me sein. Es wird also eine Evolution geben hin zu intelli- genteren und damit autonomeren Teilsystemen – das elektro AUTOMATION: Speziell aus der Logistik kennen kann eine Vorrichtung innerhalb einer Maschine sein, wir ja bereits erste Umsetzungen unter dem Stichwort die Maschine selbst oder auch eine ganze Fertigungs- ‚Internet der Dinge‘, beispielsweise Förderanlagen, in de- linie oder Halle. In allen diesen Einheiten müssen wir nen Shuttles Wegstrecken selbst erkunden und mit Hilfe diese Smart-Technologien denken und daraus die richti- von Agentensystemen sich selbst organisieren. In Indus- gen Schlüsse ziehen. Nicht zuletzt können wir auf diese trie-4.0-Konzepten entsteht also die ‚Intelligenz‘ aus der Weise auch ressourcenschonender produzieren. Vernetzung aller Teilsysteme und dem Zugriff auf mög- lichst viele Informationen... Zühlke (DFKI): ...die jetzt online verfügbar und damit „Wir sind als Automatisierungs- nutzbar sind – das ist genau der Punkt. Ein Stau in einer anbieter ja nicht nur Enabler für Fertigungslinie lässt sich auf diese Weise zunächst ein- Industrie 4.0, als Anwender treibt mal umfahren, ohne direkt zu Folgeproblemen zu führen. uns das Thema auch selbst sehr Entscheidend ist dabei, dass wir die insgesamt wachsen- de Komplexität wieder reduzieren können – denn mit stark. Unser Ziel ist es, den Pro- komplexen Prozessen kann der Mensch schlecht umge- duktionsstandort Deutschland hen. In der Automatisierung führt dies allerdings dazu, wettbewerbsfähig zu halten – ins- dass sich zwar die Komplexität für den Anwender redu- besondere auch hinsichtlich einer ziert, die für die Automatisierungsingenieure aber steigt. Beides müssen wir zusammenbringen, in dem wir weni- sehr variantenreichen Fertigung – ger komplexe Subsysteme schaffen. zu den Kosten eines Massenproduktes. Industrie 4.0 wird uns hier mehr Flexibilität bringen, eine höhere Verfügbar- Gutekunst (Balluff): Man kann es auch umdrehen: Ge- rade bezüglich des Zugriffs auf möglichst viele Informa- keit der Maschinen und mehr Schnelligkeit, um auf die tionen müssen wir über neue Konzepte nachdenken – Anforderungen unserer Kunden zu reagieren.“ wie Industrie 4.0. Die Datenflut bei uns im Unternehmen Roland Bent, Geschäftsführer Marketing und Entwicklung, Phoenix Contact ist bereits jetzt so immens groß geworden, dass wir We- ge suchen, sie zu kanalisieren und wertschöpfend zu nutzen. Das fängt bei der Sensorik an – ein entscheiden- der Baustein ist an dieser Stelle die Identifikation, ins- „Industrie 4.0 ist ein Ansatz, besondere per RFID – und reicht über die interpretativen basierend auf der Verschmelzung Systeme bis hin zu fabrik- und unternehmensübergrei- fenden Konzepten. Mithin zu der Frage, wie wir selbst mit IT-Mechanismen, -Methoden unsere Lieferanten steuern – beziehungsweise unser und -Technologien die nächsten Kunde uns als Lieferant. Daraus können ganz neue Ge- Entwicklungsschritte in der Auto- schäftsmodelle entstehen. matisierungstechnik zu machen. elektro AUTOMATION: Um diese neuen Modelle zu reali- Dies ermöglicht uns ein integrier- sieren, ist dann aber wie erwähnt die Reduzierung der tes und einfacheres Engineering – Komplexität der Subsysteme ein Schlüssel zur erfolgrei- ein wesentlicher Vorteil bei der chen Nutzung von Industrie 4.0. Und um den Anwender automatisierten Zusammenstellung und Interaktion von zu entlasten, trifft das vor allem die Entwickler von Au- tomatisierungssystemen. In welcher Weise kann hier der Maschinen, Aggregaten und Anlagen. Damit können wir ebenfalls bereits genannte Zugriff auf die CAD-Daten Produkte sehr schnell in den Markt bringen – auch mit von Nutzen sein? Losgröße Eins – und dabei weltweit mit Partnern, Liefe- Hoppe (Beckhoff Automation): Die Daten im CAD- ranten und Kunden interagieren.“ System werden heute noch zu wenig genutzt. Klassisch Gerd Hoppe, Corporate Management, Beckhoff Automation ist etwa das Beispiel Hochregallager: Vor dessen Bau wird 22 elektro AUTOMATION 12/2013
TRENDS INTEGRATED MANUFACTURING / INDUSTRIE 4.0 der Durchsatz simuliert und auf dieser Basis die Investiti- „Dem Verbraucher öffnet sich über onsentscheidung gefällt. Nicht abgeleitet wird daraus aber die Bewegungssteuerung für die einzelnen Bediengeräte, Industrie 4.0 eine individuell auf ihn obwohl die dynamischen Abläufe ja bereits vorgedacht zugeschnittene Konsumwelt. Für sind. Vielmehr erhält derzeit noch ein Automatisierer die den Maschinenbauer, der das er- Aufgabe, in einem ganz anderen Engineering-Tool die möglichen will, spielt dabei die Wie- Bewegungssteuerung für einzelne Shuttles zu program- mieren. Dieser Bruch ist unsinnig – sinnvoller wäre es, da- derverwendbarkeit von Steuerungs- für ebenfalls die Daten aus der Simulation zu nutzen. Wir code eine entscheidende Rolle, um haben dafür den Begriff ‚Zero Engineering‘ geprägt, über die gewünschten Maschinenfunk- den sich auch bestimmte Engineering-Abläufe automati- tionen einfach und schnell realisie- sieren lassen. Die brillante Idee von Industrie 4.0 ist also, die Vernetzung nicht nur auf den Hersteller einer Ware ren zu können. Die Durchgängigkeit der Systeme und eine oder die Produktionstechnik zu beschränken, sondern offene Kommunikation sind dazu Voraussetzungen.“ auch die bislang sehr stark gegeneinander abgegrenzten Markus Sandhöfner, Geschäftsleitung, B&R Deutschland Domänen des Engineerings zu verschmelzen. Sandhöfner (B&R): Ziel muss es sein, Produkte auch in schränkung will Industrie 4.0 ja überspringen. Wir wollen der Losgröße Eins fertigen zu können. Das gelingt heute ja zu Systemen kommen, die zukünftig etwas leisten kön- nur in Teilbereichen, weil die Produktionsanlagen dafür nen, was wir heute noch nicht vorgedacht haben. So ent- nicht ausgelegt sind. Diese müssen also flexibler gestal- stehen Produktionssysteme, die in der Lage sein werden, tet werden – nicht nur hinsichtlich kleinerer Losgrößen, sich an zukünftige, heute noch unbekannte Anforderun- sondern insbesondere auch für Losgröße Eins. Passen gen – auch in Bezug auf die zu produzierenden Produkte wir dazu unsere Engineering-Abläufe nicht an, schlägt und Varianten – zu adaptieren. sich das aber in einer Explosion des Steuerungscodes nieder – was wir uns nicht leisten können, weil das so- Gutekunst (Balluff): Was bei CIM fehlte, war der Rück- wohl Entwicklungszeit als auch -kosten nach oben wärtspfad – konnte auf einer unteren Ebene etwas nicht treibt. Gefragt sind damit intelligente Konzepte, in de- gelöst werden, konnte es die Steuerung darüber auch nen sich bestehender Code wiederverwenden lässt und nicht. Es fehlte der wichtige Aspekt der Autonomie, der in denen Schnittstellen zwischen den Entwicklungstools Industrie-4.0-Konzepte kennzeichnet. das Schreiben von Code vereinfachen und beschleuni- gen. Erste Schritte sind ja bereits gemacht, Informatio- Hoppe (Beckhoff Automation): Der CIM-Gedanke hat nen aus Simulationssystemen heraus direkt in echtzeit- allerdings dazu geführt, dass in der Werkzeugmaschinen- fähigen Code zu verwandeln. Das reduziert dann wie- industrie bereits eine integrierte homogene Umgebung derum die Komplexität nicht nur der Maschine selbst, existiert. Basierend auf den CAD-Daten eines Produktes sondern auch die ihrer Entstehung. kann über den daraus abgeleiteten NC-Datensatz dessen Entstehung vollautomatisch ablaufen. Diesen Gedanken elektro AUTOMATION: Ist das dann nicht die Wiederkehr müssen wir in der Industrie 4.0 aufnehmen und weiter- des CIM-Gedankens, des Computer Integrated Manu- entwickeln. facturings? elektro AUTOMATION: Was muss dazu mit Blick etwa auf Sandhöfner (B&R): Ja und nein, denn bei der CIM-Dis- Montageprozesse getan werden? kussion vor 20 Jahren ging man von einer zentralen Steuerung aus, die bereits vorgedacht und entsprechend Hoppe (Beckhoff Automation): Wir müssen eine Meta- strukturiert ist. Außer Acht gelassen wurde dabei, dass sprache entwickeln – eine Taxonomie und Ontologie bezie- Störungen auftreten können und hinsichtlich der Los- hungsweise eine Begriffswelt –, die es erlaubt, die Herstel- größe sprach man eher von hohen Stückzahlen. Diese lung eines Produktes so zu beschreiben, dass sich diese Aspekte greift aber Industrie 4.0 auf, was nicht zuletzt Informationen weltweit an vielen verschiedenen Maschinen hinsichtlich der Offenheit der beteiligten Systeme we- nutzen lassen. Das gibt es in dieser Form noch nicht, auch sentlich höhere Anforderungen stellt. wenn es in Teilbereichen beziehungsweise Branchen bereits Industrie-4.0-Inseln gibt. Bent (Phoenix Contact): CIM ist damals gescheitert, Dann lässt sich auch die Stück- weil die technischen Mittel nicht bereitstanden und die zahl Eins realisieren, ohne dass VIDEO-TIPP Komplexität zu hoch war. Entstanden ist daraus aber man dazu zunächst einen kom- auch unsere heutige Automatisierungspyramide mit ih- plexen Engineering-Prozess auf- rer hierarchischen Struktur. Industrie 4.0 verlässt diese setzen muss. Struktur komplett – es gibt keine Hierarchie in einer In- dustrie-4.0-Automatisierungs- oder -Kommunikations- elektro AUTOMATION: Damit nä- welt, was wiederum eine Grundvoraussetzung für den hern wir uns dann aber wieder Eine Zusammenfassung der Aufbau flexibler und adaptiver Systeme ist. Sobald eine dem eingangs erwähnten ‚smarten‘ Kernaussagen dieses Gespräches Hierarchie vorliegt, muss ich ein System vordenken – Produkt, dem ich über die digitale finden Sie im elektro AUTOMATION und sobald ich das mache, komme ich nicht über die Entwicklung analog zum NC-Code Video unter: Grenzen meines heutigen Wissens hinaus. Ich kann nur bereits sämtliche Informationen http://youtu.be/udVsuyCjeN4 das planen, was ich heute weiß – und genau diese Be- mitgebe, wie es zu fertigen ist... elektro AUTOMATION 12/2013 23
TRENDS ROUND TABLE INTEGRATED MANUFACTURING / INDUSTRIE 4.0 Englischen die Security. Denn die beteiligten Unterneh- men werden sich natürlich fragen, ob sie ihre Informa- tionen in solch einen Legostein legen sollen und was da- mit passiert. Nur auf diese Weise lässt sich allerdings ei- ne Plug&Play-Fertigung modular aufbauen. Ganz wichtig ist, dass wir hier schnell erste greifbare Ergebnisse zei- gen können. Bereits zur Hannover Messe 2014 wollen wir dazu als DFKI mit Industriepartnern eine Modellanla- ge realisieren. Denn nur so lässt sich zeigen, dass Indus- trie 4.0 keine ‚Blase‘ ist, sondern vielmehr eine langfristi- ge Strategie für die Produktionstechnik. Überwunden werden muss dazu auch der bereits thematisierte Bruch bei der Verbindung von virtueller und realer Welt. Unse- re Kollegen im Bereich des Product Lifecycle Manage- ments nutzen ja bereits wunderbare Objektwelten, in denen sich Parameter verändern lassen. Geht es aber in an den realen Betrieb, muss wieder eine SPS program- miert werden – das darf nicht sein! Hondo Santos ist als Director Logistics bei Balluff bereits mit ersten Umsetzun- Bent (Phoenix Contact): Automatisierungs- und IKT- gen der Industrie-4.0-Konzepte vertraut. Welt müssen eine gemeinsame Sprache finden – das ist Für ihn ergeben sich daraus vor allem die große Chance, die hinter Industrie 4.0 steckt. Denn neue Möglichkeiten, über die Unterneh- industriebranchenübergreifend ist hier ja ein Konsens mensgrenzen hinweg neue Prozesse zu gestalten, aus Wert- entstanden, eine gemeinsame Vision, die keiner alleine schöpfungsketten ganze Wertschöpfungsnetze zu gestalten. umsetzen kann. Aufgabe der von Bitkom, VDMA und ZVEI gegründeten Plattform Industrie 4.0 ist es deshalb, Hoppe (Beckhoff Automation): ...was aber nur funk- gemeinsam an der Umsetzung zu arbeiten. tioniert, wenn die Fertigungsmaschinen beziehungswei- se -anlagen das auch verstehen! An welcher Stelle die Santos (Balluff): Nur so werden wir auch in der Lage Fertigungshinweise liegen, spielt keine Rolle – wichtig sein, die vielen, bereits heute gespeicherten Informatio- ist, dass der Produktionsvorgang so beschrieben ist, nen sinnvoll zu nutzen. Denn bislang greifen wir Ver- dass die jeweils vorhandenen Maschinen und Anlagen gleichbares nur in Teilbereichen beziehungsweise punk- daraus selbstständig und autonom die notwendigen tuell bezogen auf bestimmte Aufgabenstellungen auf. Schritte extrahieren können. Derzeit gibt es dazu keine Industrie 4.0 muss uns dabei helfen, all diese Informatio- einheitliche Taxonomie – im Rahmen der Umsetzung nen sinnvoll zu nutzen – im Sinne der eingangs erwähn- von Industrie 4.0 müssen wir diese aber entwickeln. ten Wertschöpfungsnetzwerke. Und an der Unterneh- mensgrenze darf diese Vernetzung nicht aufhören. Sandhöfner (B&R): Das Ziel von Industrie 4.0 beinhal- tet auf diese Weise die Möglichkeit, zwischen unter- elektro AUTOMATION: Um die Ziele von Industrie 4.0 zu schiedlichen Wegen – zwischen Prozessen unterschiedli- erreichen, müssen wir uns also sowohl um eine standardi- cher Anbieter – wählen zu können. Das setzt einheitli- sierte Beschreibung von Fertigungsprozessen kümmern als che Daten voraus, die innerhalb der gesamten Prozess- auch sicherstellen, dass Aspekte der Security beachtet wer- kette verstanden werden. den. Da wir von einer Ethernet-basierenden Vernetzung ausgehen können, müsste an dieser Stelle doch OPC-UA Zühlke (DFKI): Hier fehlen uns in der Tat derzeit sowohl als Protokoll einige Aufgaben übernehmen können? eine Referenzarchitektur als auch wissenschaftliche Be- grifflichkeiten für viele Dinge. Rede ich beispielsweise mit Hoppe (Beckhoff Automation): Exakt das kann OPC- Kollegen aus der Informatik, finden sich dort teilweise UA leisten. Dazu lohnt es, sich kurz die Historie ins Ge- völlig andere Begrifflichkeiten als in der Produktionstech- dächtnis zu rufen. Wurden in der ersten Phase der Ma- nik. Hier sind wir alle gefordert, zusammenzukommen, schinen- und Produktionsautomatisierung noch Infor- wobei wir erst am Anfang stehen. Aus wissenschaftlicher mationen mit Hilfe eines Kabels übertragen, folgten Sicht sind hier noch extrem viele Aufgaben zu lösen, was anschließend serielle Verbindungen. Dafür war ein Da- meiner Meinung nach auch noch nicht in zwei oder drei tenformat erforderlich, was zu vielen proprietären se- Jahren abgeschlossen ist – wir reden hier über eine Vision. riellen Protokoll-Varianten führte. Die Standardisie- rung begann dann mit den Feldbus-Systemen – ins- elektro AUTOMATION: Was sind denn die nächsten besondere CAN ist hier als Vorreiter zu nennen. Hier Schritte, die vorrangig angegangen werden müssen? wurden bereits Profile definiert, auf Basis derer sich Links: Geräte erkennen lassen und die Bedeutung der Daten www.balluff.com Zühlke (DFKI): Die neue Welt wird nur funktionieren, interpretieren lässt. Mit OPC-UA erfolgte dann sehr www.beckhoff.de wenn wir Standards schaffen! Nur so werden die Kom- früh der Schritt hin zu einem Protokoll, das auch eine www.br-automation.com ponenten einer Produktionsumgebung wie Lego-Bau- semantische Beschreibung ermöglicht – und darauf www.dfki.de steine per Plug&Play zueinander passen. Ein zweiter, wollen wir ja hinaus. OPC-UA bietet sich deshalb mit www.phoenixcontact.com wesentlicher Aspekt betrifft hinsichtlich der erforderli- der fortschreitenden Verbreitung der Ethernet-basie- chen offenen Netzwerke das Thema Sicherheit – im renden Kommunikation als Baustein an. 24 elektro AUTOMATION 12/2013
TRENDS INTEGRATED MANUFACTURING / INDUSTRIE 4.0 Sandhöfner (B&R): Ein großer Vorteil von OPC-UA ist sen – eine der brillanten Ideen hinter Industrie 4.0. In zudem, dass dort keine hohen Anforderungen an die Deutschland können wir dabei auf dem bestehenden her- Hardware gestellt werden – es ist also nicht notwendig, vorragenden Produktionsniveau aufbauen, das wir er- immer leistungsstarke PC-Prozessoren einzusetzen. Das reicht haben und damit als Vorstufe für Industrie 4.0 se- ist schließlich eine der Voraussetzungen, um einen brei- hen können. ten Einsatz von OPC-UA zu fördern, insbesondere auch in kleineren Einheiten. elektro AUTOMATION: Welche Bedeutung hat abschlie- ßend angesichts der vielen autonomen Abläufe in Indus- Zühlke (DFKI): Entsprechend dem OSI-Modell als Refe- trie-4.0-Konzepten die Frage, in welcher Form der renzmodell bietet OPC-UA für die Schichten 5 und 6 – Mensch dies überblicken und gegebenenfalls eingreifen also bezüglich Sitzung und Darstellung – im Moment kann? Welche Rolle können hier zukünftig MES-Lösun- den umfassendsten Dienst an. Ein Nachteil ist aber, dass gen spielen? OPC-UA derzeit sehr komplex ist – sowohl bezüglich der Struktur als auch der Laufzeitbedingungen. Zudem lie- Zühlke (DFKI): Hier sollten wir nicht den Fehler aus CIM- gen die Schwierigkeiten insbesondere in der Schicht 7, Zeiten wiederholen, von menschenleeren Fabriken zu spre- also der Anwendungsschicht. An dieser Stelle müssen chen. Wir brauchen den Menschen, er ist der einzige die Applikationen vernünftig miteinander kommunizie- wirklich intelligente Partner – ihn durch Vollautomatisie- ren und Dienste austauschen können, die zuvor in ir- rung ersetzen zu wollen, wäre völliger Unsinn. Sollte etwas gendeiner Form standardisiert worden sind. Hier sehe schief laufen, kann kein Algorithmus das Problem lösen; ich zwar schon Ansätze, aber noch keine Lösungen. wir können die Intelligenz des Menschen nicht ersetzen. elektro AUTOMATION: Wie könnten denn Lösungs- ansätze für die Schicht 7 aussehen, um auch Applikatio- „Die auch weltweit steigenden nen miteinander zu verbinden? Bedürfnisse erfordern produkti- Zühlke (DFKI): An diesen Aufgabenstellungen arbeiten ons- und logistikseitig ein erheb- derzeit einige Arbeitsgruppen. Dabei landen wir lich reaktiveres System. Industrie zwangsläufig wieder bei der Frage der Semantik, der 4.0 ist darauf ausgerichtet, diesen Metasprache, um Fertigungsprozesse beschreiben zu können. Das Schlimmste, was uns an dieser Stelle pas- Anforderungen zu begegnen, die sieren kann, ist, dass etwa jeder Sensorhersteller einen uns die Bedürfnisse des Marktes eigenen Dienst für eine bestimmte Aufgabe definiert – von Morgen stellen.“ gefordert ist hier also eine gewisse Standardisierung. Jürgen Gutekunst, Geschäftsbereichsleiter Networking/Systeme, Balluff Sandhöfner (B&R): Hinsichtlich der Semantik werden zudem neben allgemeinen auch branchenspezifische Lösungen zu erarbeiten sein, wie wir sie teilweise schon „Der Anwender wird in seinen Syste- kennen – etwa in Form der Weihenstephaner Standards men eine wesentlich größere Flexi- in der Getränkeabfüllung. Auf diese Weise lassen sich bilität und Agilität bekommen – und branchenspezifische Maschinengegebenheiten, Anla- genbedingungen und -zustände abdecken. damit auch die vom Markt geforder- ten immer kürzeren Lebenszyklen Bent (Phoenix Contact): Innerhalb der Plattform In- realisieren können. Industrie 4.0 dustrie 4.0 etabliert sich gerade eine Arbeitsgruppe liefert ihm dazu einen Baukasten, mit dem Ziel, eine Referenzarchitektur zu schaffen und Standardisierung sowie Normung voranzutrei- aus dem sich Fertigungsanlagen viel ben. Da verschiedenste Applikationen miteinander schneller zusammenstellen lassen.“ kommunizieren müssen, liegt noch viel Grundlagen- Prof. Detlef Zühlke, Forschungsbereich Innovative Fabriksysteme, DFKI arbeit vor den Beteiligten. Entscheidend ist aber, dass eine Institution geschaffen wurde, in der sich die Ent- wicklungen synchronisieren und harmonisieren lassen. Bent (Phoenix Contact): MES-Systeme werden eine Hoppe (Beckhoff Automation): Wir werden eine Ent- ganz zentrale Rolle in der Industrie 4.0 oder auf dem wicklung sehen weg von Datenstrukturen und Profilen hin Weg dahin spielen. Denn über sie lassen sich die relevan- zu dienstebasierenden Kommunikationsverfahren. Solche ten Daten aus einem Produktionsprozess der dienstorien- Dienste beschreiben dann beispielsweise die Möglichkeit, tierten Middleware kontextbezogen bereitstellen – und abzufragen, welche Informationsmöglichkeiten ein Ag- darauf kommt es an. Der Anwender muss darüber genau gregat, ein Sensor oder eine Steuerung bietet. Dieses die Informationen erhalten, die er in der spezifischen Si- Das Round-Table- Browsen, über das sich ein Dienst anstoßen lässt, führt tuation, die sein Eingreifen erfordert, auch benötigt. Gespräch wurde von dann dazu, dass man über verschiedene Industrien mit den Redakteuren der unterschiedlichen Ausprägungen hinweg viele Gemein- elektro AUTOMATION: Der Diskussionsstoff rund um das elektro AUTOMATION, samkeiten findet. Letztlich können sich auf diesem Weg Thema Industrie 4.0 wird uns also so schnell nicht aus- Andreas Gees und über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg Ma- gehen, die weitere Entwicklung bleibt spannend. Wir dan- Michael Corban, schinenaggregate und Anlagen zusammenschalten las- ken allen Teilnehmern für dieses Round-Table-Gespräch. co geleitet. elektro AUTOMATION 12/2013 25
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