Yoga-Lehrer (IST-Diplom) - Leseprobe
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Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom) Studienheft Grundlagen des Yoga Autorin Annette Bach Annette Bach ist Sport- und Freizeitpädagogin, Ayurvedatherapeutin sowie Yogalehrerin und betreibt seit 2004 ein eigenes Studio. Für das IST-Studieninstitut ist sie als Dozentin und Autorin im Bereich Wellness & Gesundheit tätig.
Auszug aus dem Studienheft 2 3. Der praktische Weg, die acht Stufen des Yoga Lernorientierung Hier beziehen wir uns explizit auf Kapitel 2 der Yoga-Sutra von Patan- jali, weil die acht Stufen Grundlage aller Yoga-Schulen sind. Es ist das Kernstück und die Grunderziehung des Yoga-Schülers, die im Unter- richt vorgelebt wie transportiert werden sollen. 3.1 Die acht Stufen des Yoga Yoga wird traditionell in acht Stufen oder Glieder, Ashtanga genannt, unterteilt. Die einzelnen Glieder sind miteinander verbunden und jedes einzelne umfasst zahlreiche Facetten, die durch das Studium der Schriften und durch Übung enthüllt werden. Sie führen schrittweise zu den höchs- ten Bewusstseinsstufen und einem spirituellen Leben. Die Übungen wer- den immer mehr verinnerlicht (vgl. Kap. „Die acht Stufen des Yoga“). Die ersten fünf Glieder, Yama, Niyama, Asana, Pranayama und Pratyahara, werden als Disziplinen (Sadhana) des Yoga bezeichnet. Man sollte ihnen mit ungemindertem Bemühen und in einem Geist der Losgelöstheit von den Reizen der Welt nachgehen. Sie bringen Geist und Sinne zur Ruhe und bereiten den Boden für Dharana, Dhyana und Samadhi, die als die Errungenschaften des Yoga betrachtet werden. Die höheren Bewusstseinszustände, die durch Dharana, Dhyana und Samadhi hervorgerufen werden, führen zu spiritueller Weisheit. Sie brin- gen auch eine ganze Reihe übernatürlicher Kräfte (Siddhis), die von dem jeweiligen Meditationsobjekt abhängen. Einige dieser Fähigkeiten, wie etwa Hellsichtigkeit, Hellhörigkeit oder Gedankenlesen, bleiben noch im Rahmen menschlicher Erfahrungen. Andere scheinen außergewöhnlich, wie etwa die Überwindung von Hunger und Durst oder die Fähigkeit, sich leicht oder schwer, klein oder groß zu machen. Die Siddhis sind ein Hinweis darauf, dass sich der Yogi auf dem richtigen Weg befindet. Doch er bleibt nicht in ihnen verhaftet, da sie nicht sein höchstes Ziel darstellen. Wenn die Seele frei ist von der Verwobenheit mit der Natur, kann sie zu ihrem ursprünglichen, reinen Zustand zurück- kehren. Der Yogi hat die Eindrücke und Begierden, die tief in seinem Bewusstsein verankert sind, ausgelöscht. Er hat die Kette von Ursache und Wirkung durchbrochen und steht damit außerhalb der Zeit. Vergangenheit und Zukunft haben keine Bedeutung mehr für ihn, denn er lebt in der ewigen Gegenwart. © 03/2011 – IST-Studieninstitut 39 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
3 3. Der praktische Weg, die acht Stufen des Yoga Er kann zwischen Bewusstsein und Seele unterscheiden. Er erkennt, dass das Bewusstsein mit dem Geist, dem Intellekt und den Sinnen zusammen- wirkt, damit er seine Aufgaben in der Welt erfüllen kann. Die Meditation ist ganz auf das Selbst gerichtet, und der daraus folgenden höchsten religiösen Erfahrung entströmen Tugend und Erleuchtung. Das wahre Selbst enthüllt sich in seiner leuchtenden Reinheit. Dieser uner- schütterliche Zustand wird die letztendliche Befreiung (Kaivalya) genannt. „Wenn die Sonne und der Mond untergegangen sind und das Feuer nicht mehr brennt und die Worte schweigen, welches Licht hat dann der Mensch?“ Er sagt: „Tatsächlich ist die Seele sein Licht, denn mit der Seele als dem Licht verharrt und bewegt sich der Mensch, verrichtet seine Arbeit und kehrt zurück.“ (BRHADARANYAKA UPANISAD, IV. 3.6. – MEHTA 2000, S. 171) Nach MEHTA (2001, S. 169–170) gibt es folgende Stufen: 3.1.1 Yama Yama umfasst die ethischen Prinzipien von Gewaltlosigkeit (ahimsa), Wahrhaftigkeit (satya), Nichtstehlen (asteya), Enthaltsamkeit (brahmaca- rya) und Aufgabe von Gewinnsucht (aparigraha). Diese Prinzipen rechten Lebens sind universell und bilden die Grundlage für Yoga. Die Essenz von Yama liegt darin, keinem Lebewesen in Gedanken, Worten und Taten etwas zuleide zutun. Die Begriffe können nur annähernd übersetzt werden. Für jeden von ihnen gibt es eine ganze Reihe von Bedeutungen, die sich verändern, je nachdem in welchen Lebensumständen man sich befindet und wie weit man spirituell fortgeschritten ist. 3.1.2 Niyama Dies sind persönliche Regeln, die man beachten sollte. Sie bestehen aus Reinheit von Körper und Geist (sauca), Zufriedenheit (santosa), Selbst- sucht (tapas), Studium des Selbst (svadhaya) und Hingabe aller Gedanken und Handlungen an Gott (isvarapranidhana). Niyama bringt Disziplin in das tägliche Leben. © 03/2011 – IST-Studieninstitut 40 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
4 3. Der praktische Weg, die acht Stufen des Yoga 3.1.3 Asana Dies sind die Yoga-Stellungen. Asanas sollen stabil (sthira) und angenehm (sukham) sein. Beständiges und langes Üben ist notwendig, um Meister- schaft und Perfektion zu erlangen. Körper und Geist bewegen sich im Einklang und gehen ganz im Unendlichen auf. Alle Dualitäten des Geistes verschwinden. Patanjali erwähnt keine Asanas mit Namen, sondern setzt deren Kenntnis stillschweigend voraus. Einige der Stellungen werden in den verschiedenen Kommentaren zu seinem Werk und in anderen Yoga- Texten vorgestellt. Es wird überliefert, dass es 840 000 Asanas gibt, entspre- chend dem vollen Potenzial an Bewegungen, zu denen der Mensch fähig ist. In Indien starb die systematische und korrekte Praxis der Asanas nach Patanjali aus. In den vergangenen Jahren hat B.K.S. Iyengar daran gearbei- tet, die Vielfalt und Tiefe der Asanas wieder bekanntzumachen. 3.1.4 Pranayama Pranayama ist die Kunst des Atmens im Yoga. Sie besteht aus der Regu- lierung und Verfeinerung von Einatmung, Ausatmung und Anhalten des Atems. Lernt man, den Lebensatem zu kontrollieren und zu kanalisieren, gelangt man zu einer introspektiven Betrachtungsweise, die das Tor zu spirituellem Wissen öffnet. Die Übung von Pranayama sollte erst dann begonnen werden, wenn man eine gewisse Fertigkeit in den Asanas gewon- nen hat. Der Atem setzt sich aus der grobstofflichen Luft und dem Prana zusammen, der alles durchdringenden Lebenskraft im Universum. Der Prana ist die Verbindung zwischen dem menschlichen Organismus und dem Kosmos. Prana ist Energie und in allen traditionellen Yoga-Schriften wird ernsthaft davor gewarnt, das Üben von Pranayama ohne Anleitung oder ohne ausreichende Vorbereitung zu beginnen. 3.1.5 Pratyahara Pratyahara ist das Zurückziehen der Sinne von der äußeren Welt in das innere Selbst. Äußere Störungen und Ablenkungen gelangen nicht mehr über die Schwelle der inneren Welt. 3.1.6 Dharana Dharana ist die ununterbrochene Konzentration, bei der der Geist bestän- dig auf einen bestimmten Punkt oder Gegenstand gerichtet ist. Um diese Fähigkeit zu erlangen, bedarf es beharrlicher Übung. © 03/2011 – IST-Studieninstitut 41 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
5 3. Der praktische Weg, die acht Stufen des Yoga 3.1.7 Dhyana Dhyana ist Meditation. Die Konzentrationsdauer wird erhöht, sodass sich der Geist vollkommen in den Gegenstand der Konzentration vertieft und unentwegt darüber kontempliert. Subjekt und Objekt kommen einander sehr nahe. 3.1.8 Samadhi Dies ist der transzendente Zustand jenseits der Meditation, bei dem alle psychologischen Vorgänge aufhören, da das Bewusstsein vollkommen in der Seele aufgeht. Es ist ein Zustand von Wahrheit und Seligkeit. Jede Yoga-Praxis findet ihren Höhepunkt in Samadhi, doch wird dieser Erfahrungszustand nur selten erreicht. Es gibt verschiedene Ebenen von Samadhi, die entsprechend der spirituellen Entwicklung immer subtiler werden. Der Gipfel wird als „samenloser Samadhi“ beschrieben, bei dem keine Eindrücke von Handlungen und Wünschen im Geist mehr vorhan- den sind. Dies wird auch kaivalya oder die Absonderung von der Seele von der Materie genannt. Der Yogi hat seine Reise zurück zu Quelle und Substanz der Schöpfung vollendet und ist befreit. Die ersten fünf Glieder, Yama, Niyama, Asana, Pranayama und Pratyahara, werden als Disziplinen (Sadhana) des Yoga bezeich- net. Man sollte ihnen mit ungemindertem Bemühen und in einem Geist der Losgelöstheit von den Reizen der Welt nachgehen. Sie bringen Geist und Sinne zur Ruhe und bereiten den Boden für Dhara- na, Dhyana und Samdhi, die als die Errungenschaften des Yoga betrachtet werden. Die höheren Bewusstseinszustände, die durch Dharana, Dhyana und Samdhi (Samyama = Zusammenhalt) hervorgeru- fen werden, führen zu spiritueller Weisheit. Sie bringen auch eine ganze Reihe übernatürlicher Kräfte (Siddhis*), die von dem jeweiligen Meditationsobjekt abhängen. Einige dieser Fähigkeiten, wie etwa Hellsichtigkeit, Hellhörigkeit oder Gedankenlesen, bleiben noch im Rahmen menschlicher Erfahrung. Andere scheinen außergewöhnlich, wie etwa die Überwindung von Hunger und Durst oder die Fähigkeit, sich leicht oder schwer, klein oder groß zu machen. 2 Siddhis: Vollkommenheit, perfekte Leistung. Spirituelle Vollkommenheit, d. h. die makellose Übereinstimmung mit der höchsten Realität, das Leben aus dem befreiten Zustand (moksha). Paranormale Kräfte, speziell die acht großen Fähigkeiten, die sich aus vollkommener Meister- schaft ergeben. (FEUERSTEIN 2008, S. 661). © 03/2011 – IST-Studieninstitut 42 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
6 3. Der praktische Weg, die acht Stufen des Yoga Die Siddhis sind ein Hinweis darauf, dass sich der Yogi auf dem richtigen Weg befindet. Doch er bleibt nicht in ihnen verhaftet, da sie nicht sein höchstes Ziel darstellen. Wenn die Seele frei ist von der Verwobenheit mit der Natur, kann sie zu ihrem ursprünglichen, reinen Zustand zurück- kehren. Der Yoga hat die Eindrücke und Begierenden, die tief in seinem Bewusstsein verankert sind, ausgelöscht. Er hat die Kette von Ursache und Wirkung durchbrochen und steht deshalb außerhalb der Zeit. Vergangenheit und Zukunft haben keine Bedeutung mehr für ihn, denn er lebt in der ewigen Gegenwart. Er kann zwischen Bewusstsein und Seele unterscheiden. Er erkennt, dass das Bewusstsein mit dem Geist, dem Intellekt und den Sinnen zusammenwirkt, damit er seine Aufgaben in der Welt erfüllen kann. Die Meditation ist ganz auf das Selbst ausgerichtet, und der daraus fol- genden höchsten religiösen Erfahrung entströmen Tugend und Erleuch- tung. Das wahre Selbst enthüllt sich in seiner letzten Reinheit. Dieser unerschütterliche Zustand wird die letzte Befreiung (kaivalya) genannt. © 03/2011 – IST-Studieninstitut 43 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
7 3. Der praktische Weg, die acht Stufen des Yoga Lernkontrollfragen zu Kapitel 3 ? Aufgabe 20: Nennen Sie die ersten zwei Stufen. Aufgabe 21: Nennen Sie die zwei Kernstufen für den Unterricht. Aufgabe 22: Nennen Sie die letzten Stufen, die nach innen wirken. Aufgabe 23: Was bedeutet Samyama? Aufgabe 24: Was bedeutet Siddhis? Aufgabe 25: Was bedeutet moksha? Aufgabe 26: Was bedeutet kaivalya? © 03/2011 – IST-Studieninstitut 44 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
Studienheft Atemschule im Yoga: Pranayama Autorin Annette Bach
Auszug aus dem Studienheft 9 4. Die Theorie des Prana und Pranayama 4. Die Theorie des Prana und Pranayama Kapitel 4 4.1 Was ist eigentlich Prana? 4.2 Allgemeine Bemerkungen zum Üben von Pranayama 4.4 Das Konzept der Vayus 4.5 Das Konzept der Gunas 4.6 Das Konzept der Bandhas 4.7 Finger-Mudras im Pranayama 4.8 Einiges zu den Rhythmen 4.9 Die Atemmechanik und Pranayama 4.10 Die acht klassischen Pranayamas (Kumbhakas) der Hatha-Pradipika 4.10.1 Surya Bhedana (HYP II, 48–50) 4.10.2 Ujjayi (HYP II, 51–53) 4.10.3 Sitkarin (HYP II, 54–56) 4.10.4 Sitali (HYP II, 57–58) 4.10.5 Bhastrika (HYP 11, 59–67) 4.10.6 Bhramarin (HYP II, 68) 4.10.7 Murccha (HYP II, 69) 4.10.8 Plavini (HYP II, 70) 4.10.9 Kevala (HYP II, 72–76) 4.10.10 Zur Pädagogik der Pranayamas 4.11 Übungen zur Vorbereitung von Pranayama © 08/2011 – IST-Studieninstitut 68 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
10 4. Die Theorie des Prana und Pranayama Lernorientierung Nach der Bearbeitung des Kapitels erhalten Sie eine ausgiebige Anleitung und Übersicht mitsamt Übungen über Pranayama sowie verschiedene Vergleiche von unterschiedlichen Lehrern zu den vielfältigern Atemtechniken im Yoga. Dieses Kapitel ist der große Leitfaden der führenden Yoga-Schulen in Deutschland und wurde von der erfahrenen Lehrerin Anna TRÖKES aufgearbeitet und geschrieben. Einleitung zu Pranayama von Anna TRÖKES „Wenn man die Atemenergie außen oder innen anhält, dann erscheint Einleitung am Ende ein Zustand, der Ruhe genannt wird, und durch die Energie des Friedens offenbart sich der göttliche Frieden.“ ViJnana Bhairava Tantra, Vers 27 (nach der Übersetzung von Bettina BAUMER) Dieser Teil entstand ursprünglich auf der Grundlage einer vierwöchigen Weiterbildung, die Jutta PINTER-NEISE und ich im Mai 1993 bei Boris TATZKY in Aix-en-Provence gemacht haben. Einziges Thema der täglichen Stunden war Pranayama. Wir hatten beide im Rahmen unserer Weiterbil- dung in der „Academie de Yoga de l‘Energie“ von 1986 bis 1989 in Evry bei Paris und in dem Pranayama-Seminar im Kontaktstudium des BDY 1991 bereits die Methodik und Didaktik des Unterrichts von Boris TATZKY kennen und schätzen gelernt. Das ließ uns unsere eigenen Erfahrungen während der Ausbildung vergessen, die von dem Eindruck geprägt waren, dass es scheinbar unmöglich ist, die vielschichtigen und schwierigen Pra- nayamas, die uns durch die Quellentexte überliefert sind, im Rahmen so einer Ausbildung zu lehren bzw. zu unterrichten. In den folgenden Jahren machte ich mir viele Überlegungen bezüglich der Methodik und Didaktik des Ausbildungsfachs Pranayama, was dazu führte, dass ich aus allen Quellen schöpfte, die nur brauchbare Anregungen lie- ferten. © 08/2011 – IST-Studieninstitut 69 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
11 4. Die Theorie des Prana und Pranayama Hinsichtlich der Vorbereitung ist da vor allem die Arbeit mit Bewegungs- abläufen zu nennen, wie man sie sowohl im Vini-Yoga als auch im Yoga der Energie findet. Sehr sinnvoll erschien mir außerdem die Einbeziehung einiger Aspekte aus der Spiraldynamik zur Verbesserung des Sitzens und der gesamten Körperhaltung während des Übens. Neu dazu kam eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Atemtypen. Eine weitere Quelle der Anregung bleiben die typischen Visualisationen (Sonne/Mond) und Energielenkungen des Yoga zur Verdeutlichung der in der Hatha- Pradipika angegebenen Wirkungen. Anna TRÖKES Pranayama-Lehrer TATZKY hat in Indien bei Dhirendra BRAHMACHARI (New Delhi), T. K. V. DESIKACHAR (Madras), bei Pattabhi JOIS und einigen tibetischen Meistern gelernt, ist aber bezüglich Prana- yama vor allem von dem Tantriker BRAHMACHARI geprägt. Dieser war jahrelang der geehrte Lehrer von Indira GANDHI und wurde auserwählt, die ersten Kosmonautenteams der damaligen UdSSR zu trainieren. Auf ihn geht die Lesart der Pranayamas, Sitkarin, Bhastrika, Bhramarin teilweise von Murccha und Plavini zurück. Sie scheint auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnlich und speziell, erweist sich aber als sehr praktikabel und logisch, vor allem, wenn man die ganze Reihe der Pranayamas hinterei- nander übt. Dann erschließt sich erst ihr innerer Zusammenhang und der Aufbau der ganzen Reihe, wie sie in der Hatha-Pradipika beschrieben ist. Hinsichtlich der Konzepte von Prana und Pranayama stütze ich mich vor allem auf Informationen, die ich auf Seminaren von Uwe BRÄUTIGAM und in langen Diskussionen mit ihm gewinnen konnte. Die Textausgaben des Basistextes Hatha-Yoga-Pradipika, auf den ich mich immer wieder bezi- ehe, sind die von Tara MICHAEL (Sorbonne/Paris) und DIGAMBARJI und KOKARJE (Kaivalyadhama-lnstitut/Lonlavla). Die deutsche Übersetzung wird zurzeit noch von Uwe BRÄUTIGAM überarbeitet und steht deshalb noch nicht zur Verfügung. Anna TRÖKES hat seit dem ersten Erscheinen dieses Studienheftes sechs Gruppen in ein- bis zweijährigen Ausbildungs- und Weiterbildungsgrup- pen in Pranayama unterrichtet. Das hat dazu geführt, dass aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Stoff und aufgrund der Rückmeldung der Teilnehmer ihr methodisch-didaktisches Vorgehen mehrfacher Veränderung bedurfte, die sich in der Überarbeitung in diesem Kapitel niedergeschlagen hat. Dieses Pranayama-Kapitel spiegelt eine Möglichkeit der Annäherung an Pranayama wider. Es ist nicht die einzige Möglichkeit, dieses Thema anzu- gehen und in die Praxis umzusetzen, sondern eine unter mehreren gül- tigen. Sie ist gedacht als Unterrichtsunterlage und Anregung für Seminare in der Yoga-Lehrausbildung und zur Wiederholung und Vertiefung des Stoffes für die Studenten. © 08/2011 – IST-Studieninstitut 70 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
12 4. Die Theorie des Prana und Pranayama 4.1 Was ist eigentlich Prana? Der Sanskritbegriff „Prana“ (m.) kann wörtlich mit „Leben“ übersetzt wer- den (vgl. FEUERSTEIN 1998). Vor allem aber sammeln sich unter diesem Namen eine Fülle von älteren und neueren, teilweise recht unterschied- lichen Konzepten und Theorien, die sich damit beschäftigen, was eigent- lich die Kraft ist, die etwas Lebendiges von etwas Totem unterscheidet. Sie existieren seit Tausenden von Jahren. Da sie aus der Beobachtung und Erfahrung entwickelt wurden, sind sie immer wieder der erweiterten Erkenntnis angepasst und differenziert worden. Allgemein lässt sich sagen, dass Prana-Konzepte untersuchen, wie sich diese Kraft im Menschen erfahren lässt sowie ob und wie man sie beeinflussen, mehren und lenken kann. Die Kraft wird häufig mit dem Begriff „Lebens- energie“ oder „Bioenergie“ bezeichnet. Auch findet man die Bezeichnung „kosmische Energie“, die darauf hinweist, dass damit der „göttliche Funke“ gemeint ist, der allem Manifestierten innewohnt. Die erste Erwähnung des Begriffs Prana findet sich im Rig-Veda (ca. 1 200 v. Chr.) und er bezeichnet hier den Atem, den Hauch (vgl. BRÄUTIGAM 1993). Im Atharva-Veda (ca. 1 000 v. Chr.) wird Prana mit dem Urgrund, mit Brahman, gleichgesetzt und gibt damit der vorherrschenden Einheitsidee Ausdruck. Es finden sich aber auch Hinweise auf die Vayus Prana, Apana, als Aspekte der einen Lebensenergie. Bereits ausführlich diskutiert wird das Wesen von Prana in den Upanishaden, besonders in der Chandogya-Upanishad (4.3 und 5.1) und der Kauitaki-Upanishad (2.1–5, 2.12–14, 3.2 f. und 4).1 Im Tantrismus (ab 500 n. Chr.) repräsentiert Prana den Shakti-Aspekt, also die Urkraft oder Energie, mittels der das reine Bewusstsein (Shiva) sich zu manifestieren vermag. Damit ist Prana Energie, die sich in unterschied- licher Form verdichtet und in allen Elementen vom Feinen zum Groben enthalten ist: Im Göttlichen, im Mentalen (= Manas, d. h. alles das, was wir mit Geist und Gefühl umschreiben), im Atem, im Körper, in den Tieren, Pflanzen und Mineralien und sogar noch in jeder Plastiktüte. Sie ist die Urkraft, die „Vibrationskraft“ (Spanda), die dadurch, dass sie sich immer weiter verdichtet, die manifestierte Welt hervorbringt. 1 Eine sehr gute Zusammenfassung findet sich in MEHLIG, J. (Hrsg.): Die Weisheit des alten Indiens. Bd. 1, C.H. Beck Verlag, 1987, S. 239–256 unter dem Stichwort Prana. © 08/2011 – IST-Studieninstitut 71 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
13 4. Die Theorie des Prana und Pranayama Im 20. Jahrhundert schreibt AUROBINDO: „Die Vitalitat (das Prinzip, dem die alten indischen Denker den Namen Vayu oder Prana gaben) ist der Lebens-Stoff, der substanzielle Wille und die Energie im Kosmos, die sich in determinierter Form, Aktion und bewusster Dynamik des Wesens auswirkt.“ Prana ist das, „was ununterbrochen überall ist“ (vgl. DESIKACHAR 1991), „die Nabe im Lebensrad“ (Prasna-Upanishad), es ist die alles durchdrin- gende geistige Kraft. „Im Yoga-Sutra wird der Prana entsprechend dem Dualismus der Samkhya- Philosophie bereits zweifach gesehen: Als statische Energie ist er immer während vorhanden, als dynamische Energie durchdringt er die Materie, ist die Grundlage allen Lebens.“ (DISTELBARTH 1985) In letzter Zeit wird Prana außerdem vermehrt im Zusammenhang mit dem physikalischen Energiebegriff gesehen, der in den vergangenen Jahr- zehnten ja eine ungeahnte Ausdehnung erfahren hat (vgl. dazu CAPRA 1984, 1986). Oft meint der Begriff „Prana“ in der Yoga-Literatur oder im Unterrichtsgebrauch aber auch einfach nur Atem. Alle diese Definitionsversuche lassen ahnen, dass Prana etwas ist, was sich nur erfahren lässt und wohl am besten über seinen Zustand (fließend, blo- ckiert, zerstreut, zentriert usw.) beschrieben werden kann. Die wesentliche Funktion, über die der Mensch Prana erfahren und beein- flussen kann, ist seine Atmung. Außerdem kann er über Bewegung, über die Nahrung und seine mentalen und spirituellen Aktivitäten auf seine Lebensenergie Einfluss nehmen. Die Techniken des Pranayama nehmen ebenso wie die der Mudras Einfluss auf die Urkraft. Sie soll wieder zu ihrem Ursprung (shiva) zurückgeführt werden, um die Konditioniertheit und Bedingtheit der Schöpfung zu über- winden und erneut die ganze Potenzialität der Schöpfung zur Verfügung zu haben. © 08/2011 – IST-Studieninstitut 72 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
14 4. Die Theorie des Prana und Pranayama Begriffsdefinition Pranayama Pranayama ist ein Kompositum aus Prana und Ayama. Definition Ayama heißt strecken, ausdehnen, ausweiten, aber auch Regelung und Zügelung. BLITZ definiert es als das „Nicht-Zerstreuen“ (vgl. BLITZ 1988), TATZKY als das „freie Fließen“. IYENGAR spricht von „rhythmischer Kon- trolle (ayama) des Atems“. BAUMER/DESHPANDE definieren es als „Kon- trolle der Atemtätigkeit durch Rhythmisierung und Verlangsamung“ (vgl. KARL 1997). Im YogayAjnavalkya heißt es: „Pranayama ist das Zusammen- treffen von Prana und Apana“ (VI, 2.) (vgl. DESIKACHAR 2000) Es geht also darum, den Atem und damit die Lebensenergie auszudehnen, zum freien Fließen zu bringen und sie mittels spezieller Techniken, z. B. der Rhythmisierung, zu regeln, damit sie sich nicht zerstreut. In Verbindung mit Mudra und Bandha soll mittels Pranayama die Kundalini geweckt und Prana zum Aufsteigen veranlasst werden. Als Methode steht an erster Stelle die Arbeit mit dem Atem. Der intelligente, dem individuellen Zustand des Übenden entsprechende Gebrauch von Pranayama soll eine Harmonisierung der Energie und damit des ganzen Menschen auf allen Ebenen bewirken. © 08/2011 – IST-Studieninstitut 73 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
15 4. Die Theorie des Prana und Pranayama 4.2 Allgemeine Bemerkungen zum Üben von Pranayama Nach PATANJALI wirkt Pranayama auf den Zustand unseres Atems ein, und zwar unseres bewussten Atems (II, 49/50). Pranayama ist immer bewusstes, willkürliches Atmen, denn wenn der Wille und die Achtsamkeit fehlen (oder auch nur nachlassen), stellt sich sofort wieder der spontane Atem ein. Üben wir Pranayama, so sind wir mit unserem Atem. Allerdings ver- bleiben wir zu ihm in einer psychischen Distanz, also im Zustand des Zeugen, des Beobachters. Wir üben uns in „passiver Konzentration“ (vgl. EBERT 1986, S. 82), um dem Atem bei aller Beeinflussung genügend Spiel- raum zu lassen, sich wieder zu regulieren, was zu einer Reihe von Anpas- sungsprozessen der Atemregelung führt. Vorbedingung für Pranayama sind vor allem die Körperbeherrschung und Körpererfahrung, die durch das Üben von Asanas und Karanas erlernt werden können (weitere Aus- QV führungen dazu im Kapitel „Zur Pädagogik der Pranayamas“). Pranayama besteht aus vier Phasen: dem Ausatmen = Recaka (in der Folge AA), dem Einatmen =Puraka (EA) und den Pausen in der Atemleere (IL) und in der Atemfülle (vl). Man kann auf diese vier Phasen einwirken, indem man: die Kehle verengt (z. B. bei Ujjayi) oder die Nasenlöcher verengt und/ oder schließt (= Desa, das ist der Ort des Einwirkens und der Konzen- tration), den Einatem und/oder Ausatem verlängert (= Kala, das sind die Zeitver- hältnisse) und/oder dieses Einwirken mehr oder weniger oft wiederholt (= Sakhya, d. h. die Wiederholung und damit die tatsächliche Übungsdauer). Ziel der Konzepte von Pranayama ist: im Hatha-Yoga das Erwecken der Kundalini und das Aufsteigen von Prana in der Susumna-Nadi; generell im Yoga der Zustand, der mit citta vr(i)tti nirodha beschrieben wird, also das StilIwerden aller Aktivitäten des Geistes (besser des Men- talen). Es heißt bei PATANJALI, dass erst bei völliger Stilllegung aller Mentalen Aktivitäten, der Mensch in der Lage sei, das wahre Wesen der Erscheinungen zu erkennen, da seine Wahrnehmung dann nicht mehr durch die ständige Flut der Sinneseindrücke und die Prägungen des Ego © 08/2011 – IST-Studieninstitut 74 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
16 4. Die Theorie des Prana und Pranayama getrübt ist. Aus dieser Inaktivität der vr(i)ttis resultiert Samadhi, ein Zustand, in dem das mentale Bewusstsein ganz mit dem verschmilzt, worauf es sich konzentriert hat und so zu einem inneren (immanenten) Verständnis dieses wie auch immer gearteten Konzentrationsobjektes gelangt. Um zu diesem Ziel zu gelangen, müssen wir uns zuerst von etwas befreien: von Svasa Prasvasa, also der Unregelmäßigkeit, Rauheit und eventu- ell sogar Gestörtheit des Atems. Ein solcher Atem ist Ausdruck für die Bewegtheit der Aktivitäten des Mentalen. Der Atem soll jedoch in einen Zustand kommen, der mit den Begriffen dirgha, d. h. lang und regel- mäßig, und suksmah, d. h. fein, gekennzeichnet ist (Pat. Y. S. II,50). Dirghasuksmah beschreiben die Qualität des Atems, die benötigt wird, um mit Pranayama beginnen zu können. Von Mala (wörtl. Schlacke), das sind sowohl physische wie auch psy- chische Verunreinigungen. Pranayama in Verbindung mit den Mudras dient also dazu, uns zu reinigen.(s. Sodhana, Suddhi). Von Avidya, dem Nichtwissen, das uns von der Erfahrung der Lebens- energie (Prana) in uns trennt. Es trennt uns davon, dass wir den „gött- lichen Funken“ in uns erkennen und uns ganz mit dieser Energie verbinden. Erfahrbar wird die Energie mithilfe der Ausführung spezi- eller Asanas und Karanas (z. B. SuryaNamaskar, den Sonnengruß) und im Nachspüren durch die kontemplative Wahrnehmung ihrer Schwin- gung (Vibration = Spanda) im Inneren des Körpers. Es gilt aber nicht nur, etwas loszuwerden, was man zu viel hat, sondern auch das zu gewinnen, was man zu wenig hat. Die meisten Menschen unserer Kultur haben bedingt durch unsere Lebens- weise (Sitzkultur, Bewegungsmangel, Fehlernährung, Stress, etc.) ein Defi- zit an Muskelkraft, Atemkraft und Konzentrationsfähigkeit. Der Hatha-Yoga legt – der Grundbedeutung des Wortes hatha (= gewalt- Hatha-Yoga same Anstrengung) entsprechend – den Akzent im Allgemeinen deutlich auf die Entwicklung innerer Kraft, so wie es in vielen Traditionen (lyengar, Ashtanga, Sivananda etc.) deutlich wird. Durch das Üben kraftvoller Asa- nas gewinnt der Körper Struktur, Ausrichtung und Stärke. Aus dieser Stärke heraus kann er entspannt in seiner Spannkraft ruhen. Die Pranayamas dienen im Hatha-Yoga auf einer physischen Ebene auch dazu, Energie anzusammeln. Aus diesem Grund wird in vielen traditio- nellen Hatha-Schulen angestrebt, dass die Schüler eine Einatmung von 90–95 % der Einatemkapazität erreichen, um dann möglichst lange in der Atemfülle (Antara-Kumbhaka) zu verharren, was als ein Speichern von © 08/2011 – IST-Studieninstitut 75 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
17 4. Die Theorie des Prana und Pranayama Prana angesehen wird. Es heißt, dass wenn die Kundalini erwacht und Prana im zentralen Kanal aufsteigt, also das Bewusstsein sich zu entfalten beginnt, man vermehrt Energie und innere Kraft benötigt. Entfaltet es sich nämlich in einem schwachen Körper, kann dieser mit Krankheit oder anderen starken Irritationen des Wohlbefindens reagieren. Die Hatha- Yogins glauben, dass ein Mensch, der sich nur im Loslassen und Entspan- nen übt und in Körper und Geist eher träge ist, Samadhi nicht erreichen kann, denn er hat nicht genügend Spannkraft. Es wird davon ausgegangen, dass ein solcher Mensch nicht in der Lage wäre, den „Weg des Helden“ zu gehen, d. h. mit all seinen inneren Widerständen eben auch der Trägheit und Bequemlichkeit fertig zu werden und alle Hindernisse (Antarayas) zu überwinden, die ihm auf seinem Weg begegnen. Gefordert ist wahre Stärke, also nicht Stärke in Verbindung mit Anstren- gung, sondern mit der Fähigkeit, innerlich ganz entspannt zu bleiben. Vom Grobstofflichen zum Feinstofflichen Ein weiteres wesentliches spirituelles Ziel des Hatha-Yoga ist die Anre- gung, Bündelung und Fokussierung der Prana-Kraft. Alle Techniken dieses Yoga-Weges zielen darauf ab, die Energie zu lenken und sie zum Aufstieg über die c(H??)akras anzuregen (vgl. BRÄUTIGAM 1991). Tritt Prana bei seinem Aufstieg verstärkt in den Bereich eines Chakras ein, so beginnt es dieses über die normale Funktion hinaus zu beleben. Chakras können einerseits (auf einer horizontalen Ebene gewissermaßen) als energetische Knotenpunkte beschrieben werden, in denen die verschiedenen Aspekte des Menschen wie Körper, Geist, Seele usw. aufeinander treffen und mit- einander kommunizieren. Andererseits (auf einer vertikalen Ebene gewis- sermaßen) stellen sie Bewusstseinsebenen dar, die aufeinander aufbauen und sich gegenseitig bedingen bzw. ergänzen. Die Entfaltung all dieser Bewusstseinsstufen vom Grobstofflichen zum Feinstofflichen entwickelt das gesamte Potenzial des Menschen, sodass er gleichermaßen gut in seinem Alltag geerdet ist, tatkräftig am Leben teil hat, seine Gefühle zulassen kann, seine Intelligenz und Intuition stärkt und schließlich sich selbst als eingebettet in den großen kosmischen Zusam- menhang erfährt. © 08/2011 – IST-Studieninstitut 76 Leseprobe Yoga-Lehrer (IST-Diplom)
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