Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich! - Argumente und Handlungsfelder für Gemeinden und Städte - GERONTOLOGIE ...
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August 2021 Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich! Argumente und Handlungsfelder für Gemeinden und Städte
Impressum Herausgeberin Gesundheitsförderung Schweiz Autorin und Autor – Dominik Weber, Gesundheitsförderung Schweiz – Claudia Kessler, Public Health Services (PHS) Projektleitung Dominik Weber, Gesundheitsförderung Schweiz Redaktion Christa Rudolf von Rohr, Gesundheitsförderung Schweiz Folgende Fachpersonen trugen zur Entwicklung der Broschüre wesentlich bei (alphabetische Reihenfolge nach Nachname): – Renate Amstutz, Schweizerischer Städteverband – Tamara Estermann Lütolf, Dienststelle Gesundheit und Sport Kanton Luzern – Martin Flügel, Schweizerischer Städteverband – Claudia Hametner, Schweizerischer Gemeindeverband – Marianne Lüthi, Gesundheitsamt Graubünden – Delphine Maret Brülhart, Gesundheitsförderung Kanton Wallis, Label Commune en santé – Mathias Müller, Stadtpräsident Lichtensteig – Noëlle Poffet-Grosjean, Spitex Bas-Vallon – Irène Renz, Amt für Gesundheit Kanton Basel-Landschaft – Simon Stocker, bis Ende 2020 Stadtrat der Stadt Schaffhausen Ihnen und den Personen, die mit ihren Testimonials die Informationen illustrieren, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Fotonachweis Titelbild Gesundheitsförderung Schweiz / Peter Tillessen Auskünfte/Informationen Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04, office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch Originaltext Deutsch Bestellnummer 02.382.DE 08.2021 Download PDF www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen © Gesundheitsförderung Schweiz, August 2021
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 3 Inhaltsverzeichnis Einleitung 4 Das Wichtigste auf einen Blick 5 Warum lohnt sich die Gesundheitsförderung im Alter in den Gemeinden? 5 Welche Rolle spielen Gemeinden in der Gesundheitsförderung im Alter? 5 1 Warum lohnt sich die Gesundheitsförderung im Alter? 7 1.1 Die Gesellschaft wird älter 7 1.2 Erfolge stabilisieren, Herausforderungen reduzieren 7 1.3 Gesundheitsförderung im Alter wirkt 9 1.4 Gesund altern ist volkswirtschaftlich r elevant 10 1.5 Das Wichtigste in Kürze 12 2 Was können Gemeinden tun? 13 2.1 Politische und organisatorische Rahmenbedingungen gestalten ( Handlungsfeld 1) 14 2.2 Soziale Teilhabe und ein differenziertes Altersbild fördern (Handlungsfeld 2) 16 2.3 Gesundheitsförderliche Lebensbedingungen schaffen (Handlungsfeld 3) 19 2.4 Persönliche Ressourcen und gesundes V erhalten fördern (Handlungsfeld 4) 20 2.5 Das Wichtigste in Kürze 21 3 Wie fördern Schweizer Gemeinden die Gesundheit im Alter? 22 3.1 Merkmale der ausgewählten Beispiele 22 3.2 Gesundheitsförderung im Rahmen des Ansatzes der Gemeinwesenarbeit: das Städtchen L ichtensteig im Kanton St. Gallen 23 3.3 Ein ganzheitlicher und regionaler Ansatz zur Förderung der Gesundheit im Alter: das Bas-Vallon im Berner Jura 25 3.4 Unterstützung der Gemeinden durch die Kantone: der Ansatz des Kantons G raubünden in der Gesundheitsförderung im Alter 27 Quellenverzeichnis29
4 Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich Einleitung Die Gesundheitsförderung im Alter unterstützt äl organisationen älterer Menschen und organisierte tere Menschen bei einem ihrer grössten Anliegen: Freiwillige, darin wertvolle Impulse. Auf kantonaler dem Wunsch, so lange wie möglich autonom leben, Ebene sind besonders die Verantwortlichen von handeln und entscheiden zu können [1]. Eine gute kantonalen Aktionsprogrammen und Mitarbeitende Nachricht ist, dass sich die Gesundheit und Auto von kantonalen Organisationen angesprochen. nomie vieler älterer Menschen mit wirkungsvollen Massnahmen bis ins hohe Alter fördern beziehungs- Eine kurze Lesehilfe weise erhalten lassen. Die Übersichtsgrafik auf Seite 6 vermittelt ein Sche- Die älteren Menschen sind eine äusserst heterogene ma mit vier Handlungsfeldern für die Gesundheits- Zielgruppe mit vielfältigen und unterschiedlichen förderung im Alter auf der kommunalen Ebene. Der Ressourcen, Fähigkeiten und Bedürfnissen. Die vor- sinnbildliche Weg soll ganzheitlich sowie nach Be- liegende Broschüre legt einen Fokus auf Menschen darf und Möglichkeiten der Gemeinde durchlaufen über 65 Jahre, die im eigenen Zuhause leben. werden. Jede Gemeinde baut auf dem auf, was be- Der Lebensalltag älterer Menschen findet primär in reits besteht. der Gemeinde – und in der Stadt im Quartier – statt. Das Kapitel 1 zeigt faktenbasiert auf, weshalb die Dies ist der Ort, wo die Menschen leben, ihren Inte Gesundheitsförderung im Alter heute wichtiger ist ressen nachgehen und Entscheidungen treffen, die denn je und warum sich ein Engagement in diesem sich auf ihre Gesundheit auswirken. Die Weltgesund- Bereich für die Gemeinden lohnt. heitsorganisation (WHO) schreibt dazu: «Gesundheit Das Kapitel 2 beinhaltet das Was und das Wie. Wel- wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt ge- ches Vorgehen verspricht Erfolg? Worauf sollte bei schaffen und gelebt» [2]. Die kommunale Ebene ist der Planung und Umsetzung speziell geachtet wer- deshalb der zentrale Ort, an dem die Förderung von den? Wie können die Gemeinden die vier Handlungs- Gesundheit und Lebensqualität im Alter stattfindet. felder «mit Leben füllen», gestützt auf die aktuelle wissenschaftliche Evidenz und die langjährige Um- Der Begriff «Gemeinde» wird in dieser setzungserfahrung in Schweizer Gemeinden? Broschüre stellvertretend für alle politischen Das Kapitel 3 geht der Frage nach, wie Gemeinden, Gemeinden verwendet. Er schliesst Städte, Städte und Kantone ganz konkret vorgehen. Dazu Quartiere und Gemeindeverbunde mit ein. werden drei Modellbeispiele aus verschiedenen Landesregionen aufgezeigt. An wen richtet sich diese Broschüre? Im Grundlagenbericht «Gesundheit und Lebens- Diese Broschüre richtet sich an Fachpersonen, die qualität im Alter» finden sich weitere Fakten und sich auf der kommunalen Ebene für die Gesundheits- Zahlen sowie Antworten auf Fragen wie: Was förderung im Alter einsetzen. Sie arbeiten beispiels- bedeutet Gesundheitsförderung im Alter? Welche weise in Behörden, Fach- oder Anbieterorganisatio- Faktoren beeinflussen die Gesundheit der nen. Sie finden Argumente, um Entscheidungstra- älteren Bevölkerung? Welche Ziele verfolgt die gende und mögliche Partnerinnen und Partner vom Gesundheitsförderung im Alter und an welche Nutzen der Gesundheitsförderung im Alter zu über- Zielgruppen richtet sie sich? zeugen. Die vier präsentierten Handlungsfelder bie- Die jeweils aktuelle Version aller Dokumente ten zudem eine Systematik, die die Akteurinnen und finden Sie auf der Website von Gesundheits Akteure bei der Planung, Umsetzung und Weiterent- förderung Schweiz. Dort finden Sie auch das wicklung der Gesundheitsförderung im Alter unter- A rbeitspapier 53 «Gesundheit fördern und stützen kann. Krankheiten vorbeugen» mit einem allgemeinen Des Weiteren finden auch Gruppierungen und Verei- Argumentarium für die Gesundheitsförderung ne der Zivilgesellschaft, wie beispielsweise Selbst und Prävention.
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 5 Das Wichtigste auf einen Blick Zum Einstieg werden Kernaussagen auf den Punkt gebracht. Konkrete Zahlen und Fakten, auf denen diese Aussagen basieren, finden sich in den Kapiteln 1.1 bis 1.4 und in den referenzierten Publikationen (siehe Quellenverzeichnis). Warum lohnt sich die Gesundheitsförderung Welche Rolle spielen Gemeinden in der Gesund- im Alter in den Gemeinden? heitsförderung im Alter? • Die Bevölkerung in der Schweiz wird auch in den • Der Lebensalltag von älteren Menschen findet nächsten Jahrzehnten weiter altern. Wie gesund in der Gemeinde oder im Quartier statt. Die und autonom Menschen älter werden, lässt sich Gemeinden schaffen mit einer partizipativen bis ins hohe Alter positiv beeinflussen. Alterspolitik die entscheidenden Rahmen • Mithilfe der Gesundheitsförderung im Alter lassen bedingungen für altersfreundliche Umgebungen sich Gesundheit und Autonomie älterer Menschen und ein altersgerechtes Wohnen und Leben. nachweislich verbessern. Besonders wirksam sind Entsprechend ist die kommunale Ebene der die Bewegungsförderung und Sturzprävention, zentrale Ort für die Förderung von Gesundheit die Förderung einer ausgewogenen Ernährung und Lebensqualität im Alter. und der psychischen Gesundheit. • Gemeindeverantwortliche können dank ihrer • Je mehr ältere Menschen bis ins hohe Alter Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern die selbstständig zu Hause leben, desto stärker wird ältere Bevölkerung zur Mitwirkung motivieren das Kostenwachstum im Gesundheitswesen und ihr gesellschaftliches Engagement stärken. gebremst. Das trägt zu einer wesentlichen finan- • Viele Gemeinden haben eine Fach- oder Koordi- ziellen Entlastung der Gemeinden bei und ent nationsstelle Alter eingerichtet, die auch ge lastet die älteren Menschen und ihre Familien. sundheitsförderliche Massnahmen koordiniert Auch in den Haushalten fallen weniger Kosten an und mitfinanziert. Vielfach werden sie dabei und die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit von von den Kantonen unterstützt und beraten. Die betreuenden Angehörigen wird geschützt, wenn operative Umsetzung erfolgt aber immer mit weniger Betreuungsaufgaben anfallen. Beides Partnerorganisationen und Akteurinnen und Ak- wirkt sich positiv auf die Lebensqualität der be- teuren auf der kommunalen Ebene. troffenen Personen und die Steuereinnahmen • Die Förderung von Gesundheit und Lebensqua von Gemeinden aus. lität im Alter fällt nicht in den Zuständigkeits • Ältere Menschen sind eine grosse Ressource für bereich eines einzigen Politikbereichs. Oft über- Gemeinden und leisten wichtige Beiträge an die nehmen die Verantwortlichen für Gesundheit Gesellschaft: Sie hüten (Enkel-)Kinder, betreuen und/oder Soziales eine koordinierende Rolle in unterstützungsbedürftige Angehörige und sie der departementsübergreifenden Zusammen bringen ihr Wissen und ihre Erfahrungen in ehren- arbeit. Das fördert einen ganzheitlichen Ansatz amtlichen Funktionen ein. Gute Gesundheit er- und bündelt die Ressourcen. leichtert ihnen ihr gesellschaftliches Engagement. Fazit: In die Gesundheitsförderung im Alter zu investieren, «lohnt sich» im Hinblick auf die Lebensqualität der älteren Menschen, den sozialen Zusammenhalt und eine funktionierende Zivilgesellschaft. Investitionen in die Gesundheitsförderung im Alter heute haben das Potenzial, den Finanzhaushalt einer Gemeinde morgen zu entlasten.
6 Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich ABBILDUNG 1 Handlungsfelder für gesundes Altern in der Gemeinde HANDLUNGSBEDARF ZENTRALE HANDLUNGSPRINZIPIEN • Demografische Alterung • Settingansatz • Gesundheit und Autonomie als Kernelemente • Partizipation für Wohlbefinden im Alter • Gesundheitliche Chancengleichheit • Wunsch älterer Menschen, so lange wie m öglich • Salutogenese und Ressourcen- im eigenen Zuhause zu leben orientierung • Volkswirtschaftliche Folgekosten von • Empowerment Multimorbidität, Betreuung und Pflege • Umfassendes Gesundheits- verständnis Mehr im Kapitel 1 Mehr unter: www.quint-essenz.ch/de/sections/1 HANDLUNGSFELDER HANDLUNGSFELD 1 HANDLUNGSFELD 2 Politische und organis atorische Soziale Teilhabe und e in Rahmenbedingungen gestalten differenziertes Altersbild fördern Mehr im Kapitel 2.1 Mehr im Kapitel 2.2 HANDLUNGSFELD 3 HANDLUNGSFELD 4 Gesundheitsförderliche Persönliche Ressourcen Lebensbedingungen schaffen und gesundes Verhalten fördern Mehr im Kapitel 2.3 Drei evidenzbasierte Schwerpunktthemen: • Bewegungsförderung und Sturzprävention • Förderung einer ausgewogenen Ernährung • Förderung der psychischen Gesundheit Mehr im Kapitel 2.4 WIRKUNG Mehr Weniger • Selbstständigkeit, Lebensqualität • Vermeidbare Erkrankungen und Einschränkungen und gesunde Lebensjahre • Einsamkeit im Alter • Chancengleichheit • Pflege- und Betreuungsaufwand für A ngehörige • Generationensolidarität und Spitex • Engagierte ältere Bürgerinnen und • Bedarf an Alters- und Pflegeheimplätzen Bürger in der Gemeinde • Krankheits- und Pflegekosten für die B evölkerung und die öffentliche Hand Mehr in den Kapiteln 1 und 2 Mehr in den Kapiteln 1.2 bis 1.4
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 7 1 Warum lohnt sich die Gesundheitsförderung im Alter? 1.1 Die Gesellschaft wird älter 1.2 Erfolge stabilisieren, Herausforderungen reduzieren Ältere Menschen sind ein wachsender Teil der Be- völkerung in Gemeinden und Städten. Diese demo Die Menschen in der Schweiz werden nicht nur älter, grafische Alterung ist ein Resultat der im letzten immer mehr ältere Frauen und Männer sind auch bei Jahrhundert erzielten Fortschritte und Entwick guter Gesundheit. Das gilt insbesondere für die Men- lungen in den Bereichen Ernährung, Hygiene, Medi- schen zwischen 65 und 75 Jahren, aber auch danach zin, Bildung, Arbeitswelt und soziale Sicherheit. ist die Gesundheit oft gut. Diese Erfolge zeigen sich Die Vereinten Nationen bezeichnen die steigende unter anderem in der Anzahl Jahre, die eine 65-jäh- Lebenserwartung deshalb als «eine der grössten rige Person im Durchschnitt in guter Gesundheit Errungenschaften der Menschheit» [3]. verbringen wird (siehe Abbildung 2). Die Alterung der Gesellschaft wird sich in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen und sich unter an- derem auf die Anzahl älterer Menschen generell ABBILDUNG 2 (65+) und insbesondere auf die Anzahl der hoch altrigen Menschen (80+) auswirken. Ebenso steigt Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren der Anteil der Personen ab 65 Jahren in der Gesell- Lebenserwartung / Lebenserwartung in guter Gesundheit im Alter von 65 Jahren, nach Geschlecht, Schweiz, 1997 im Ver- schaft. Dies führt dazu, dass weniger Personen im gleich zu 2017, basierend auf Obsan (2019) [5] Erwerbsalter (20–64 Jahre) immer mehr Menschen im Pensionsalter (65+) gegenüberstehen (steigen- 90 der Altersquotient). Ältere Menschen sind die am stärksten wachsen- 22,5 85 20,4 de Bevölkerungsgruppe, und schon bald wird es 19,7 erstmals in der Geschichte mehr Menschen über 16,5 65 Jahre geben als Kinder und Jugendliche unter 80 14,5 20 Jahren. Ältere Menschen sind somit eine der Alter 13,7 grössten Zielgruppen der Gesundheitsförderung. 75 11,8 11,9 70 TABELLE 1 Demografische Alterung 65 Männer Frauen Männer Frauen 2020 2045 1997 1997 2017 2017 65+ Jahre 1,7 Mio. 2,7 Mio. Männer Frauen Anteil 65+ Jahre 19 % 26 % Lebenserwartung Lebenserwartung Lebenserwartung in Lebenserwartung in 80+ Jahre 0,5 Mio. 1 Mio. guter Gesundheit guter Gesundheit Altersquotient* 30 45 Eigene Darstellung in Anlehnung an Obsan (2019) [5] * Personen ab 65 Jahre pro 100 Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren Quelle: Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz (BFS 2017) [4]
8 Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich Auch die selbst wahrgenommene Gesundheit, die auch natürliche Veränderungen im Körper statt, die Lebenszufriedenheit und das Gefühl von Vitalität die Gesundheit und das Wohlbefinden beeinflussen. bleiben lange hoch (siehe Tabelle 2). Die Gesund- Insbesondere chronische Krankheiten (NCDs), das heit wird grösstenteils selbst als (sehr) gut wahrge- gleichzeitige Auftreten von mehreren Erkrankungen nommen, auch wenn jüngere Menschen sich noch (Multimorbidität) sowie Stürze nehmen im Alter zu häufiger (sehr) gesund fühlen. Ältere Menschen sind (siehe Abbildung 3). So stürzt beispielsweise alle hingegen generell zufriedener mit dem eigenen sechs Minuten ein älterer Mensch in der Schweiz, Leben als jüngere, und die Altersgruppe der 65- bis wobei das Verletzungsrisiko verglichen mit jüngeren 74-Jährigen hat eine höhere Vitalität als alle ande- Menschen deutlich erhöht ist [13]. ren Altersgruppen [6, 7]. Erst bei den hochaltrigen Psychische Belastungen und Erkrankungen sind zu- Personen nehmen die selbst wahrgenommene Ge- dem im Alter eine häufige Herausforderung, ebenso sundheit und Vitalität ab, weniger deutlich aber die wie Einsamkeitsgefühle (siehe Tabelle 3). Ungewollte Zufriedenheit mit dem eigenen Leben [8]. Diese in den letzten Jahrzehnten erzielten Erfolge gilt es zu stabilisieren, damit in der Schweiz die Le- ABBILDUNG 3 bensqualität und Gesundheit im Alter auch weiter- hin hoch bleiben. Zahl der chronischen Krankheiten nach Altersklasse, SHARE 2010–2011, Personen ab 50 Jahren, N=3627 Grosse Unterschiede in der Gesundheit 100 % Bei den hier referierten Gesundheitsdaten han- delt es sich um Durchschnittswerte. Die älteren 80 % Menschen sind jedoch ein äusserst heterogener Teil der Bevölkerung; es gibt grosse Unterschiede 60 % in der Gesundheit, die unter anderem mit dem 40 % Geschlecht, dem Bildungshintergrund, der öko- nomischen Situation oder einem Migrationshin- 20 % tergrund zusammenhängen [9]. In der Praxis ist dieser Tatsache durch chancengerechte Mass- 0% 50–54 Jahre 60–64 Jahre 70–74 Jahre 80–84 Jahre 55–59 Jahre 65–69 Jahre 75–79 Jahre 85–89 Jahre nahmen Rechnung zu tragen. 0 Krankheiten Wie in jedem Lebensalter stehen Erfreuliches und 1 Krankheit 2 Krankheiten Herausforderndes auch ab 65 Jahren natürlicher- 3 Krankheiten 4 Krankheiten weise nebeneinander. Während das Alter eine «Zeit des persönlichen Wachstums, der Kreativität und Pro Quelle: Multimorbidität bei Personen ab 50 Jahren duktivität» sein kann [1], finden im Laufe des L ebens (Obsan 2013) [14] TABELLE 2 TABELLE 3 Indikatoren: Gesundheit Indikatoren: Gesundheitsprobleme 65–74 Jahre 75+ Jahre 65–74 Jahre 75+ Jahre (Sehr) gute selbst wahrgenommene Mind. eine chronische Krankheit / Gesundheit 77 % 67 % ein dauerhaftes Gesundheitsproblem 45 % 50 % Hohes Energie- und Vitalitäts- Mittlere oder hohe psychische niveau 63 % 48 % Belastung 11 % 13 % Lebenszufriedenheit Einsamkeitsgefühle (auf einer Skala von 0 bis 10) 8,4/10 8,3/10 (manchmal bis sehr häufig) 28 % 35 % Quellen: [10, 11, 12] Quellen: [10, 15, 16]
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 9 «Wenn wir heute proaktiv Lösungen suchen, können wir später Probleme vermeiden. Es ist daher w ichtig, immer in Bewegung zu bleiben.» Alain Berset, Bundesrat Einsamkeit ist auch im Alter häufig und hat auf die Die positive Wirkung der Gesundheitsförderung im Gesundheit einen ähnlich schädigenden Einfluss wie Alter für die einzelnen Menschen, aber auch für die das Rauchen oder starkes Übergewicht [17]. ganze Gesellschaft, ist wissenschaftlich gut belegt, Treten körperliche und psychische Erkrankungen insbesondere in den folgenden drei Schwerpunkt- sowie sensorische Beeinträchtigungen (Seh- und themen. Hörvermögen) und Einschränkungen der Mobilität (Gehvermögen) gleichzeitig auf, kann dies zu beson- Bewegungsförderung und Sturzprävention ders schwerwiegenden Folgen für die funktionale Massnahmen zur Bewegungsförderung im Alter er- Gesundheit führen. Die Möglichkeit, alltäglichen Ak- weisen sich als ausserordentlich wirksam für die tivitäten selbstständig nachzugehen, wird dadurch Gesundheit und die Selbstständigkeit. Dank kör- eingeschränkt. perlicher Aktivität im Alter lassen sich sowohl zahl- Die Entstehung nichtübertragbarer Krankheiten, die reiche körperliche und psychische Erkrankungen den grössten Teil der Krankheitslast im Alter ausma- vermeiden oder hinauszögern, als auch bereits be- chen, ist zu einem wesentlichen Teil auf lebensstil stehende chronische Leiden positiv beeinflussen bedingte Risikofaktoren zurückzuführen. Mangelnde [19–21]. Bewegung, Tabak- und übermässiger Alkoholkon- Regelmässige Bewegung und Übungen zum Kraft sum sowie eine unausgewogene Ernährung gelten erhalt können Einschränkungen und Hilfsbedürf als wichtigste lebensstilbedingte Risikofaktoren [18]. tigkeit im Alltag um bis zu 50 Prozent reduzieren Das Auftreten und der Verlauf dieser Herausforde- [22]. Ausserdem vermindert regelmässige Bewe- rungen lassen sich aber positiv beeinflussen. Die gung im Alter das Risiko, an Demenz zu erkranken, Gesundheitsförderung im Alter kann dazu einen we- um über 10 Prozent beziehungsweise verzögert sentlichen Beitrag leisten und damit die Lebensqua- das Auftreten von Demenzerkrankungen um zwei lität älterer Menschen und die Gesundheitskosten bis drei Jahre [23]. Das verhindert oder verzögert entscheidend beeinflussen. die Pflege- und Hilfsbedürftigkeit und fördert die selbstständige Lebensführung. Auch die Wirkung von Massnahmen zur Sturzprä- 1.3 Gesundheitsförderung im Alter wirkt vention im Alter ist gut belegt. Die Häufigkeit von Stürzen im Alter kann mit spezifischen Trainings Gesundheit und Wohlbefinden im Alter sind mass- um 30 bis 50 Prozent reduziert werden [24–27]. geblich geprägt vom gesamten persönlichen Le- Körperlich trainierte ältere Personen haben im bensverlauf: So wie man lebt, so wird man älter. Es Vergleich zu Gleichaltrigen, die ihre Muskulatur und lohnt sich deshalb, bereits früh die Gesundheit zu ihr Gleichgewicht nicht trainieren, ein geringeres stärken und zu stabilisieren. Risiko, sich bei Stürzen leicht oder schwer zu ver Die Gesundheit lässt sich aber auch nach der Pen letzen. sionierung noch verbessern oder zumindest erhal- Neben der belegten Wirkung auf die Gesundheit und ten. Für die Förderung der eigenen Gesundheit ist es die Autonomie fördert die Bewegung im Alter auch nie zu spät! die psychische Gesundheit.
10 Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich Förderung einer ausgewogenen Ernährung Um das Alter aktiv gestalten und einen gesunden Das Ernährungsverhalten älterer Menschen lässt Lebensstil führen zu können, brauchen ältere Men- sich durch gezielte Interventionen verbessern und schen bestimmte Lebenskompetenzen. Hohe Le- ausgewogener gestalten [28–30]. Die Ernährung im benskompetenzen – wie Kommunikationsfähigkei- Alter steht im Zusammenhang mit dem Ausmass ten, Emotionsregulation und soziale Kompetenzen an Muskelkraft, der Infektanfälligkeit, Herz-Kreis- – können helfen, mit den Herausforderungen des lauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und Demenz Alterns besser umzugehen. Sie stärken zudem die [31]. Interventionen zur Förderung einer ausgewo- Überzeugung, Handlungen aufgrund eigener Kom- genen Ernährung beeinflussen daher unterschiedli- petenzen ausführen zu können. Diese Überzeugung che körperliche und psychische Funktionen positiv wird Selbstwirksamkeit1 genannt und ist neben der [28]. Ältere Menschen in einem guten Ernährungs- sozialen Unterstützung eine der entscheidenden zustand werden nach Operationen zudem seltener Ressourcen im Alter. Lebenskompetenzen lassen erneut hospitalisiert als Gleichaltrige, die von Fehl- sich bis ins hohe Alter weiter entwickeln und stär- oder Mangelernährung betroffen sind [32]. ken [39]. Förderung der psychischen Gesundheit Depressionen und Angststörungen im Alter können 1.4 Gesund altern ist volkswirtschaftlich durch die Förderung eines gesunden und körperlich relevant aktiven Lebensstils sowie durch Entspannungstrai- nings nachweislich positiv beeinflusst werden [33, Die Kosten für die Langzeitpflege von älteren Men- 34]. Auf Gemeindeebene können Gruppeninterven schen durch Pflegeheime und Spitex betrugen im tionen – wie das gemeinsame Singen mit Gleichalt- Jahr 2018 rund 16,4 Milliarden Franken. Dies ent- rigen, die psychische Gesundheit älterer Menschen sprach 20,4 Prozent der gesamten Gesundheitskos- nachweisbar erhalten und verbessern [35]. Auch im ten [40]. Die Kantone und Gemeinden finanzieren ei- Alter kann man sich dank hoher Anpassungsfähig- nen grossen Teil dieser Ausgaben: etwa 25 Prozent keit von Einsamkeit wieder «erholen» [36]. der stationären und 17 Prozent der ambulanten Die soziale Teilhabe und Unterstützung wirken sich Langzeitpflege2 . In Zukunft wird der Bedarf an Lang- einerseits positiv auf das psychische Wohlbefinden zeit- und Alterspflege aufgrund der demografischen und affektive Erkrankungen aus und scheinen ande- Alterung weiter ansteigen [41, 42] und damit auch die rerseits auch ein Schutzfaktor für die kognitive Ge- Kosten für Kantone und Gemeinden [42–44]. sundheit (z. B. Demenz) zu sein [37]. Eine Zürcher Das Kostenwachstum in der Pflege – und, in gerin- Studie zeigt ferner, dass sich auch das Wohlbefinden gerem Ausmass, in der Akutmedizin – kann mit ei- von Menschen, die bereits kognitiv beeinträchtigt ner wirksamen Gesundheitsförderung im Alter ent- sind, durch soziale Kontakte und Unterstützung ver- scheidend gedämpft werden. bessern lässt [38]. «Gäbe es ein Medikament, das auf die Entwicklung von Demenz so gut wirkt wie ein gesunder Lebensstil, dann würde man von einem Wundermittel sprechen.» Paul G. Unschuld, PD Dr. med., Zentrumsleiter, Klinik für Alterspsychiatrie, Psychiatrische U niversitätsklinik Zürich 1 Was ist Selbstwirksamkeit und wie kann sie im Alter gefördert werden? Antworten finden Sie in unseren Erklärvideos zum Thema Selbstwirksamkeit. 2 Eigene Berechnung auf Basis von Abbildung 5 in [46].
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 11 «Wir brauchen nicht mehr Altersheime, sondern mehr Gesundheitsförderung und Prävention.» François Höpflinger, em. Titularprofessor für Soziologie, Universität Zürich, heute selbst im Rentenalter Als weiteres Beispiel für den Nutzen der Gesund- Für die zukünftigen Kosten des Gesundheitswesens heitsförderung im Alter sei die Sturzprävention er- ist es also massgeblich, wie gesund die Bevölke- wähnt. Weniger Stürze im Alter bedeuten weniger rung altert. Denn gesunde ältere Menschen be schwerwiegende Folgen für die älteren Menschen nötigen weniger Leistungen des Gesundheits- und (z. B. Leiden, Spitalaufenthalte oder Verlust von Pflegesystems. Zusätzlich sinkt auch der Bedarf an Autonomie durch Einschränkung der Mobilität) und informeller Unterstützung durch Angehörige, wo- weniger Gesundheitsausgaben für die öffentliche durch insbesondere Frauen entlastet werden und Hand. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) ihr Engagement im Arbeitsmarkt erleichtert wird [1]. schätzt deren gesamte volkswirtschaftliche Kosten Schliesslich setzen sich ältere Menschen selbst in auf rund 16 Milliarden Franken pro Jahr. Allein die vielfältiger und unverzichtbarer Weise für ihr per- materiellen Kosten, etwa für Heilung und Pflege, sönliches und gesellschaftliches Umfeld ein, zum summieren sich auf rund 1,7 Milliarden Franken [45]. Beispiel als freiwillig Engagierte oder bei der Unter- Wie gross das gesamte Einsparungspotenzial ist, stützung von Angehörigen – und dies fällt leichter wenn Menschen im Alter möglichst lange gesund bei guter Gesundheit (siehe Kapitel 3.2). bleiben, lässt sich anhand von Modellrechnungen abschätzen. In einer Studie der Universität St. Gal- len von 2019 wurde berechnet, dass der Anstieg ABBILDUNG 4 der Langzeitpflegekosten bis im Jahr 2050 um etwa zwei Drittel geringer ausfallen dürfte, wenn die Le- Gesamtausgaben für die Gesundheit benszeit in schwerer Krankheit und Pflegebedürf- 17 tigkeit verkürzt werden kann. Die Autoren der Studie 16,9 % folgern, dass eine positive Entwicklung der Gesund- 16 15,8 % heit der älteren Menschen «die Auswirkungen der 15 in Prozent des BIP 14,8 % wachsenden und alternden Bevölkerung auf die 14 Langzeitpflegekosten zu einem Grossteil mildern 13,8 % können» [46]. 13 Diese Berechnungen bestätigen Ergebnisse einer 12 etwas älteren Studie von 2012. Diese kam zum 11 Schluss, dass der zukünftige Ausgabenanstieg im 10 Gesundheitswesen um bis zu 40 Prozent geringer 2009 2060 sein könnte, falls die Zahl der Lebensjahre in Krankheit und Pflegebedürftigkeit reduziert werden Pure Ageing Referenz Healthy Ageing C ompression of Morbidity kann (siehe Abbildung 4, Szenario «Compression of Morbidity» im Vergleich zu «Pure Ageing»). Damit Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Legislatur finanzplan 2013–2015; Anhang zur Botschaft über die dürften in Zukunft jährliche Einsparungen von über Legislaturplanung 2011–2015 (Schweizerische Eidgenossen- 10 Milliarden Franken erreicht werden [43, 44]. schaft 2012) [47]
12 Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 1.5 Das Wichtigste in Kürze • Gesund altern ist volkswirtschaftlich relevant: Eine ganzheitliche Gesundheitsförderung im • Die Gesellschaft wird älter: Die Alterung der Alter erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass esellschaft wird sich in den nächsten Jahr G Menschen im dritten und vierten Lebensalter zehnten fortsetzen. Der Anteil der hochaltrigen lange selbstständig zu Hause, sozial integriert Personen in der Gesellschaft wird sich erhöhen und aktiv in guter Gesundheit und mit einer und der Anteil von Menschen im Pensionsalter hohen Lebensqualität bleiben können. Gleich wird zunehmen gegenüber dem Anteil der Be zeitig ist Gesundheitsförderung im Alter ge- völkerung im Erwerbsalter. Ältere Menschen sind eignet, körperliche und psychische Erkrankungen eine der grössten Zielgruppen der Gesundheits- zu vermeiden, Heimeinweisungen hinauszuzö- förderung. gern sowie Unterstützungs- und Pflegebedürftig- • Erfolge stabilisieren und Herausforderungen keit zu verringern. Darüber hinaus sind gesunde reduzieren: In Anbetracht der steigenden und selbstständige ältere Menschen besser in Lebenserwartung ist eine gesunde, aktive und der Lage, wichtige Beiträge an die Gesellschaft teilhabende ältere Bevölkerung besonders zu leisten. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ge- bedeutsam. Trotz chronischer Krankheiten, die winnt die Gesundheitsförderung im Alter deshalb im Alter häufiger werden, sollen und können im Gleichschritt mit der demografischen Alte- die L ebensqualität und die Selbstständigkeit rung an Bedeutung. bis ins hohe Alter erhalten bleiben. • Gesundheitsförderung im Alter wirkt: Die Ge- sundheitsförderung im Alter kann einen wesent lichen Beitrag dazu leisten, die Gesundheit, die Potenziale und die Selbstständigkeit von älte- ren Menschen lange zu erhalten. Die Wirkung der Gesundheitsförderung im Alter ist wissen- schaftlich belegt, insbesondere in den Schwer- punktthemen «Bewegungsförderung und Sturz- prävention», «Förderung einer ausgewogenen Ernährung» und «Förderung der psychischen Gesundheit», wobei Letzteres auch die Förderung von Lebenskompetenzen und sozialer Teilhabe im Alter einschliesst.
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 13 2 Was können Gemeinden tun? Die älteren Menschen sind eine sehr PRAXISTIPP heterogene Zielgruppe Betreuende Angehörige erreichen Alles Handeln in den Gemeinden sollte berück Folgende Faktoren können betreuenden sichtigen, dass die älteren Menschen über 65 Jahre Angehörigen den Zugang zu Angeboten der eine sehr vielfältige Bevölkerungsgruppe darstel- Gesundheitsförderung erleichtern: len. • Niederschwelligkeit: Die Angebote können Nicht alle älteren Menschen haben die gleichen mit wenig Zeitaufwand – idealerweise Bedürfnisse und die gleichen Möglichkeiten, sich zu Hause – genutzt werden und sind mit gesund zu verhalten. Das Geschlecht, die Alters- geringen Kosten verbunden. gruppe (drittes oder viertes Lebensalter), das Bil- • Betreuungsdienst: Die betreute Person kann dungsniveau und die finanziellen Ressourcen, ein mitgenommen werden oder es steht für sie allfälliger Migrationshintergrund oder die sexuelle eine erschwingliche Betreuung zur Verfügung. Orientierung und Geschlechtsidentität sind nur ei • «Inseln der Normalität schaffen»: Das nige Merkmale, welche die Diversität dieser Ziel Angebot bringt einerseits Entlastung gruppe prägen. Unterschiedliche Ressourcen und und a ndererseits freudvolle Perspektiven Belastungen sind bei der Gestaltung der Angebote im Betreuungsalltag. sowie bei der Ansprache und der Beteiligung von • Peer-Austausch: Es besteht die Gelegen- älteren Menschen zu berücksichtigen. Auch be heit zur Vernetzung und zum Austausch mit treuende A ngehörige, von denen viele selbst ältere anderen betreuenden Angehörigen. Menschen sind, haben spezifische Bedürfnisse. • Nicht stigmatisierende Information: Die Um die gesundheitliche Chancengleichheit zu stär- mündliche und schriftliche Kommunikation ken, sollten Angebote deshalb vermehrt auf sozial vermeidet stigmatisierende Begriffe wie benachteiligte und besonders vulnerable Menschen «belastete Angehörige». ausgerichtet werden. • Vertraute Anbietende: Die betreuenden Ange hörigen kennen die anbietenden Akteurinnen oder Akteure und vertrauen ihnen. Quelle: [48] «Mein Gesundheitsziel ist es, im Alter so lange wie möglich ohne fremde Hilfe a uszukommen. Wertvoller als ein langes Leben ist für mich ein u nabhängiges Leben.» Ali Toprak, Rentner, stammt aus der Türkei und lebt in Ostermundigen bei Bern
14 Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich Vier Handlungsfelder für gesundes Altern Ein Gemeinschaftswerk in der Gemeinde Die Gemeinden schaffen die Rahmenbedingungen, Basierend auf langjährigen Praxiserfahrungen und damit gutes Wohnen und Leben auch im Alter mög- den nationalen KAP-Leitzielen werden nachfolgend lich bleibt. Die meisten Gemeinden haben in den letz- vier Handlungsfelder für die Gesundheitsförderung ten Jahren ein Alterskonzept oder Altersleitbild erar- im Alter vorgeschlagen. Diese Handlungsfelder beitet und eine Fach- oder Koordinationsstelle Alter helfen bei der Planung und Entwicklung von kom- eingerichtet. Auf dem Weg zu mehr Altersfreundlich- munalen Massnahmen. Um ein systematisches keit erfolgt die Planung und Umsetzung schweizweit Vorgehen zu fördern und die Übersichtlichkeit zu unterschiedlich. Insgesamt kann festgestellt wer- erhöhen, werden sie einzeln aufgezeigt. In der den: Die Gemeinden und Städte nehmen seit einigen Umsetzungspraxis soll es jedoch keine künstliche Jahren eine deutlich aktivere Rolle in der Alterspoli- Trennung zwischen den Handlungsfeldern geben. tik ein. Verbundlösungen bzw. die Erkenntnis, dass Vielmehr stehen sie in enger Wechselwirkung zu es sich lohnt, sich regional oder gar überregional einander und führen in Kombination zu wirksamen auszutauschen und zu planen, gewinnen an Bedeu- Angeboten. tung [49]. Zahlreiche Partnerinnen und Partner stehen den Gemeindeverantwortlichen zur Seite, um partizi 2.1 Politische und organisatorische pativ einen Aktionsplan für ein gesundes Altern Rahmenbedingungen gestalten zu erarbeiten und umzusetzen. In jeder Gemein- (Handlungsfeld 1) de ist die Gruppe der professionellen und zivil gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure, die Das erste Handlungsfeld schafft den sich aktiv für die Gesundheitsförderung im Alter breiteren Rahmen für Interventionen engagieren, anders zusammengesetzt. Abbildung 5 der Gesundheitsförderung im Alter. zeigt schematisiert typische Akteursgruppen auf. ABBILDUNG 5 Kooperationslandschaft für die Gesundheitsförderung im Alter in den Gemeinden Gemeinde Pro Senectute, SRK, weitere NGOs Kirchen und religiöse (i. d. R. Lead beim Sozial- und und Gesundheitsligen Gemeinschaften Gesundheitsdepartement) Hausärztinnen und -ärzte und andere Gesundheitsfachleute Andere Sektoren Kooperationslandschaft für (z. B. Sozialdienste, die Gesundheitsförderung Baudepartement, Sport und im Alter in den Gemeinden Aufsuchende Unterstützungs- Bildung, Kultur usw.) dienste (z. B. Spitex) Zivilgesellschaft und Freiwillige (z. B. Diverse private Anbietende Kantone Organisationen der Migrationsbevölkerung und Dienstleistende und Netzwerke von älteren Menschen)
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 15 Zusammenarbeit und Rollen in den Kantonen PRAXISTIPP Die kommunalen Verwaltungen sind vor allem in der Situationsanalyse in den Gemeinden Planung, Koordination und Finanzierung von Mass- Einen innovativen Ansatz für eine Situations nahmen tätig. Die Kantone spielen bei der (Mit-) analyse in den Gemeinden bietet das Label Finanzierung und bei der Strategieentwicklung eine «Gesunde Gemeinde», das in der Romandie ver- tragende Rolle. Einige Kantone übernehmen eine breitet ist. Kantonale Fachpersonen für Gesund- koordinierende Funktion und unterstützen die Ge- heitsförderung unterstützen die Gemeinden bei meinden in der Umsetzung ihrer Massnahmen. der Inventarisierung von Angeboten. Die Bera- Zudem spielen Nichtregierungsorganisationen wie tung v erfolgt zudem das Ziel, bereits umgesetzte Pro Senectute, Caritas, das SRK und die regionalen Massnahmen aufzuwerten und über neue Mass- Gesundheitsligen eine wichtige Rolle in der Gesund- nahmen in Bereichen nachzudenken, die noch heitsförderung im Alter. Ihre primäre Aufgabe ist die nicht ausreichend abgedeckt sind. Je nach Anzahl Konzeption und Umsetzung von Massnahmen. Viele der Massnahmen wird das Label mit einem, übernehmen auch koordinative Aufgaben. zwei oder drei Sternen für drei Jahre g ewährt. Seniorinnen- und Seniorengruppen sowie medizini- Im Porträt auf Seite 27 wird ein alternativer sche Berufsgruppen sind weitere Schlüsselakteure, Ansatz zur Situationsanalyse aus dem Kanton die vor allem in der Umsetzung von Massnahmen Graubünden erwähnt. aktiv sind [18]. Weitere Informationen zum Label «Gesunde Gemeinde» finden sich auf der Website Situationsanalyse als Ausgangspunkt www.labelcommunesante.ch/de/homepage.html. Um mit den vorhandenen Mitteln einen effizien- ten und wirksamen Ansatz zu entwickeln, hat es sich bewährt, mit einer Situationsanalyse (inklu- Erfolgsfaktoren für wirksame Ansätze sive A ngebots- und Bedarfsanalyse) zu beginnen: Um das Fundament für eine langfristig erfolgreiche Was gibt es bereits in der Gemeinde? Wer sind Gesundheitsförderung im Alter zu legen, haben sich die Akteurinnen und Akteure? Wer bietet welche die folgenden Erfolgsfaktoren in der Praxis bewährt: gesundheitsförderlichen Angebote für ältere Men- • Strategisch und politisch verankern: Massnah- schen an? men zum gesunden Altern setzen eine starke Führung und klare Bekenntnisse voraus. Ein ent- «Eine starke Präsenz und aktive Rolle der Politik und Verwaltung schafft Verbindlichkeit für das Engagement einer Gemeinde zum Wohle der älteren Bürgerinnen und Bürger. Dies wiederum fördert die Identifikation der Akteurinnen und Akteure in und ausserhalb der Verwaltung mit den erarbeiteten Strategien. Alle werden als Partnerinnen und Partner in die Umsetzung von Massnahmen eingebunden.» Simon Stocker, von 2013 bis Ende 2020 Stadtrat der Stadt Schaffhausen (zuständig für die B ereiche Quartierentwicklung, Soziales, Alter, Sicherheit und öffentlicher Raum)
16 Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich schiedenes E ngagement der kommunalen Ver- Zusammenarbeit mit den vielen Akteurinnen, antwortlichen bringt erfahrungsgemäss die bes- A kteuren und Anbietenden s owie den älteren ten Resultate. Wesentlich sind Massnahmen Menschen selbst zu achten. zur gesellschaftlichen Aufwertung des Alters • Auf Bestehendem aufbauen: In vielen Gemeinden sowie gesetzliche, politische und finanzielle und Städten finden sich bereits bestehende An Rahmenbedingungen, die Planungssicherheit gebote und Initiativen, auf denen sich aufbauen und ein nachhaltiges E ngagement erlauben. lässt. • Departementsübergreifend zusammenarbeiten: • Austausch pflegen: Viele Gemeinden sind seit Zahlreiche Politikbereiche und Dienste können Längerem in der Gesundheitsförderung im Alter die Gesundheit von älteren Menschen positiv be- aktiv und k önnen Vorbilder für andere sein, einflussen. Eine gemeinsame Ausrichtung s owie die neu einsteigen möchten. Erfahrungen und be- eine gute Koordination und Vernetzung helfen währte Ansätze anderer Gemeinden sollten im dabei, die Kräfte und Ressourcen zu bündeln und Dialog mit den Akteurinnen und Akteuren an die effizient zu nutzen. Insbesondere die gute Zu lokalen Verhältnisse angepasst werden. sammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren des Gesundheits- und des Sozialwesens ist entschei- dend. Innerhalb des Gesundheitsbereichs ist es 2.2 Soziale Teilhabe und ein differenziertes wichtig, die Gesundheitsförderung und Prävention Altersbild fördern (Handlungsfeld 2) mit der Früherkennung, der Behandlung und Rehabilitation, aber auch mit der Pflege und der Ein differenziertes Altersbild fördern palliativen Versorgung zu koordinieren [1]. Weder ein rein positives noch ein rein • Zuständige Stelle definieren und mit Ressourcen negatives A ltersbild entsprechen die- ausstatten: Es hat sich bewährt, eine zuständi- sem vielfältigen Lebensabschnitt [50]. ge Stelle für die Koordination der Altersarbeit zu Vielmehr braucht es differenzierte Altersbilder. definieren und mit genügend personellen und «Das Alter kann als ein Lebensabschnitt gesehen finanziellen Ressourcen auszurüsten. Personelle werden, in dem Veränderung und (Weiter-)Entwick- und infrastrukturelle Ressourcen sowie das lung möglich sind. Gesundheitliche Beschwerden finanzielle Budget werden dabei von verschiede- können auftreten, aber trotzdem ist es möglich, nen Quellen beigesteuert: der kommunalen Körper und Geist zu trainieren und aktiv zu sein. Verwaltung, Partnerorganisationen, Anbieten- Man kann bis ins hohe Alter etwas Neues lernen. den, Sponsorinnen und Sponsoren, Kantonen Auch die eigenen Einstellungen können sich wan- oder Stiftungen. deln, man findet möglicherweise mehr Gelassen- • Von Anfang an partizipativ arbeiten: Um die viel- heit. Lebendige soziale Kontakte im Familien- oder fältigen Ressourcen der Gemeinde optimal zu Freundeskreis bereichern das Leben. Die Lebens nutzen, ist von Anfang an auf eine p artizipative erfahrung wird geschätzt, man ist auch für andere «Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Im Alter darf man sich nach Schicksals schlägen nicht gehen lassen. Mir hilft mein gesellschaftliches Engagement, zum Beispiel als Kursleiterin für das Gedächtnistraining oder in den partizipativen Forschungsaktivitäten des SeniorLab. Meine Aktivitäten tragen mich über schwierige Zeiten, stimulieren mich und machen mir Freude.» Gudrun Chable, wohnhaft in Lausanne, pensionierte Kinderkrankenschwester, ehemals Präsidentin Migros Genossenschafterinnenbund / «Forum elle» Waadt, heute unter anderem Kursleiterin in der Gesundheitsförderung im Alter und aktiv bei SeniorLab
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 17 «Ich will mein Alter gestalten und nicht bloss bewältigen!» Marianne de Mestral, wohnhaft in Männedorf (ZH), früher in der Beratung und Bildungsarbeit für Erwerbslose tätig, langjähriges Engagement im Seniorenrat, seit 2013 Co-Präsidentin von SP60+ da und sozial integriert. Es besteht auch die Mög- ligenarbeit leistet, ist in der Altersgruppe der 65- bis lichkeit, sich freiwillig zu engagieren und sich damit 74-Jährigen mit über 53 Prozent am höchsten [10]. weiterhin aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft Um ein realistisches und differenziertes Bild des zu beteiligen und einen wertvollen Beitrag zu leis- Alters als Lebensphase zu zeichnen, gilt es, ten» [51]. diese Leistungen und Beiträge älterer Menschen sichtbar zu machen und in der Kommunikation zu Ältere Menschen – eine Ressource berücksichtigen. für die G esellschaft Engagierte ältere Menschen sind eine wertvolle Res- Soziale Teilhabe im Alter fördern source in Gemeinden. Viele ältere Menschen bringen Bei der sozialen Teilhabe geht es um die «Integra sich heute in ihrer Wohngemeinde ein und engagie- tion von älteren Menschen in sozialen Netzwerken ren sich mit Kompetenz, Wissen und Erfahrung. Sie von Familien und Freunden sowie ihre Integration in leisten unverzichtbare soziale und ökonomische Bei- die Gemeinschaft, in der sie leben, und in die Gesell- träge an die Gesellschaft, indem sie Bekannte, Nach- schaft als Ganzes» [18]. Die soziale Teilhabe ermög- barinnen und Nachbarn unterstützen, Angehörige licht damit soziale Unterstützung, die eine zentrale betreuen, sich freiwillig engagieren, Mentorinnen Ressource für die psychische Gesundheit ist [53]. und Mentoren für jüngere Menschen sind, oder tra- gen als Arbeitende, Konsumentinnen und Konsu- PRAXISTIPP menten zur Volkswirtschaft bei [1]. Die soziale Teilhabe in den Gemeinden fördern So wird zum Beispiel in der Altersklasse der 65- bis Soziale Teilhabe kann auf vielfältige Weise ge 84-Jährigen mehr als doppelt so häufig informelle fördert werden, zum Beispiel durch Treffpunkte Hilfe geleistet als empfangen. Im Jahr 2016 leiste- oder Tavolatas, Gruppenkurse, gemeinsame ten betreuende Angehörige, viele selbst im dritten Ausflüge, die Unterstützung durch Besucher- oder vierten Lebensalter, in der Schweiz insgesamt oder Fahrdienste oder intergenerative Ange- 80 Millionen Stunden unbezahlte Arbeit für die Be- bote. Ein Planungsleitfaden von Gesundheitsför- treuung und Pflege von nahestehenden Personen, derung Schweiz zeigt Schritt für Schritt auf, mit einem geschätzten Geldwert von 3,7 Milliarden wie Gemeinden vorgehen können, um die soziale Franken pro Jahr [52]. Teilhabe von älteren Menschen zu fördern. Auch in der Freiwilligenarbeit sind die älteren Men- Das vorgeschlagene Vorgehen basiert auf Praxis schen nicht wegzudenken. Der Anteil der Bevölke- erfahrungen in den Kantonen, und es werden rung, der institutionalisierte oder informelle Freiwil- Erfolgsfaktoren genannt.
18 Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich «Als Akteur der Gesundheitsförderung bestimme ich auch, wie ich selbst älter werde.» Hans Peter Graf, wohnhaft in Genf, pensionierter Gerontologe, aktiv als Vorstands- und Stiftungsratsmitglied mehrerer Altersorganisationen Partizipation der älteren Menschen in der PRAXISTIPP Gesundheitsförderung Die Partizipation von älteren Menschen Gesundheitsförderliche Angebote werden dann von in den Angeboten fördern älteren Menschen genutzt, wenn sie ihren Bedürf- Die Erfahrung zeigt, dass viele ältere Menschen nissen entsprechen und für sie attraktiv gestaltet Lust haben, sich zu beteiligen, und bereit sind, sind. Wer könnte besser wissen, wo die Bedürfnisse mitzuwirken. Echte Partizipation in Programmen liegen und was ankommt, als die älteren Menschen und A ngeboten bedeutet Mitwirkung und Mit selbst? Heute geht es nicht darum, Gesundheits bestimmung. Vielerorts organisieren sich ältere förderung für ältere Menschen zu machen, sondern Menschen in Seniorinnen- und S eniorenräten, mit ihnen. So entfalten die investierten Mittel die Netzwerken oder alterspolitischen Gruppierun- grösste Wirkung. gen und leisten damit e inen Beitrag zur Förde- Vielerorts gestalten ältere Menschen Angebote zur rung der Gesundheit im Alter. Bewährte Möglich- Gesundheitsförderung bereits aktiv mit. Engagierte keiten, um die Mitwirkung älterer Menschen zu ältere Menschen und Seniorinnen- und Senioren- fördern, sind zum B eispiel [54]: gruppen sind Schlüsselakteure in der Konzeption, • Zukunftswerkstatt/-kaffi für die ältere Be Umsetzung und Evaluation der Gesundheitsförde- völkerung zur Klärung der Bedürfnisse und die rung im Alter. Die Erfahrungen und Einsichten Ansprache von interessierten Personen von älteren Menschen stellen eine unverzichtbare • Runde Tische oder regionale Foren mit älteren Expertise dar, die diejenige der Fachleute ergänzt. Menschen zur partizipativen Weiterentwick- Als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sind sie lung von Massnahmen wichtige Partnerinnen und Partner für die Umset- • Begleit- oder Steuergruppe für die Gesund- zung von kommunalen alterspolitischen Zielen und heitsförderung im Alter mit einer starken Massnahmen. Vertretung älterer Menschen • Dorf- und Quartiersspaziergang und Bege- hungen mit älteren Menschen, um ihre Sicht in die strukturelle Gesundheitsförderung einfliessen zu lassen • Förderung und Unterstützung der Freiwilli- genarbeit und von sorgenden Gemeinschaften • Öffentliche Würdigung und Anerkennung der ehrenamtlich Tätigen und der betreuenden Angehörigen Weiterführende Informationen zur Partizipation finden Sie im Arbeitspapier 48 «Partizipation in der Gesundheitsförderung».
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 19 «Es braucht wiederholte Begegnungen zwischen den Generationen, um das Verständnis füreinander zu vertiefen, um tragfähige Beziehungen und Interesse aneinander zu fördern. Wenn man intergenerativen Ansätzen die nötige Zeit und Sorge gibt, dann kann eine unglaubliche Dynamik entstehen, die beiden Seiten zugutekommt.» Dr. Anne-Claude Juillerat Van der Linden, Psychologin mit Spezialisierung in Neuropsychologie, Dozentin und Präsidentin Association VIVA Begegnung zwischen den Generationen (Strassen und Pärke), soziale Einrichtungen, ziel- Teilhabe an der Gesellschaft umfasst neben der gruppengerechte Freizeit- und Bildungsangebote, Chance, sich und seine Kompetenzen einzubringen, verlässliche Bezugspersonen im Umfeld (Nachbar- insbesondere auch soziale Beziehungen zu seinen schaftshilfe), Pflegesysteme und soziale Werte be- Mitmenschen. Damit sind Kontakte zu Gleichaltrigen treffen. sowie Begegnungen und Solidarität zwischen den Generationen gemeint. PRAXISTIPP Generationenverbindende Ansätze, insbesondere Verhältnisse schaffen, die ein gesundes Angebote, welche ältere Menschen mit Kindern und Verhalten fördern Jugendlichen zusammenbringen, wirken als Brü- Durch strukturelle Massnahmen im Umfeld cken und fördern die Generationensolidarität. Sie älterer Menschen kann ihr Aktionsradius bieten oft eine ideale Plattform, um verschiedene vergrössert und ihre Autonomie gestärkt wer- Themen aus den Bereichen der psychischen und der den. So laden zum Beispiel Gehwege erst körperlichen Gesundheit miteinander zu verbinden. dann zum Zufussgehen ein, wenn sie attraktiv gestaltet sind und über Sitzbänke verfügen. Kleine Abstände zwischen Zebrastreifen – im 2.3 Gesundheitsförderliche Lebens- Idealfall mit Inseln in der Mitte – vermitteln bedingungen schaffen (Handlungsfeld 3) ein Gefühl von Sicherheit und erlauben es, mobil zu bleiben. Autonomie und Lebensqualität im Alter Eine Umgebung, die Bewegung und Begegnung lassen sich nicht nur über die Stärkung fördert, sowie neue Wohnformen oder Mög der persönlichen Ressourcen älterer lichkeiten der Mitwirkung im Gemeinwesen er Menschen fördern (Handlungsfeld 4). möglichen es älteren Menschen, am sozialen Damit ein selbstständiges Leben auch mit begin Leben teilzunehmen. nenden oder fortgeschrittenen Einschränkungen Mittagstische sind auf die kostenfreie Benutzung möglich bleibt, braucht es äussere Lebensbedingun- von öffentlichen Räumlichkeiten angewiesen gen, die gesundheitsförderlich und altersgerecht ge- und werden besser besucht, wenn sie Menschen staltet sind. Massnahmen zu den Lebensbedingun- verschiedener Generationen am gleichen Tisch gen können unter anderem die Bereiche öffentlicher zusammenführen. Verkehr, Wohnen, soziale Absicherung, Städtebau «Alter heisst: mitdenken – mitgestalten – bewegen – hinterfragen – wagen!» Josef Senn, wohnhaft in Chur, pensionierter Lehrer, ehemaliger Grossrat und Mitglied des Bündner und des Schweizer Seniorenrats
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