Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich! - Argumente und Handlungsfelder für Gemeinden und Städte - GERONTOLOGIE ...

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Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich! - Argumente und Handlungsfelder für Gemeinden und Städte - GERONTOLOGIE ...
August 2021

     Gesundheitsförderung
     im Alter lohnt sich!
     Argumente und Handlungsfelder für Gemeinden und Städte
Impressum

Herausgeberin
Gesundheitsförderung Schweiz

Autorin und Autor
– Dominik Weber, Gesundheitsförderung Schweiz
– Claudia Kessler, Public Health Services (PHS)

Projektleitung
Dominik Weber, Gesundheitsförderung Schweiz

Redaktion
Christa Rudolf von Rohr, Gesundheitsförderung Schweiz

Folgende Fachpersonen trugen zur Entwicklung der Broschüre wesentlich bei
(alphabetische Reihenfolge nach Nachname):
– Renate Amstutz, Schweizerischer Städteverband
– Tamara Estermann Lütolf, Dienststelle Gesundheit und Sport Kanton Luzern
– Martin Flügel, Schweizerischer Städteverband
– Claudia Hametner, Schweizerischer Gemeindeverband
– Marianne Lüthi, Gesundheitsamt Graubünden
– Delphine Maret Brülhart, Gesundheitsförderung Kanton Wallis, Label Commune en santé
– Mathias Müller, Stadtpräsident Lichtensteig
– Noëlle Poffet-Grosjean, Spitex Bas-Vallon
– Irène Renz, Amt für Gesundheit Kanton Basel-Landschaft
– Simon Stocker, bis Ende 2020 Stadtrat der Stadt Schaffhausen

Ihnen und den Personen, die mit ihren Testimonials die Informationen illustrieren,
sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Fotonachweis Titelbild
Gesundheitsförderung Schweiz / Peter Tillessen

Auskünfte/Informationen
Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04,
office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch

Originaltext
Deutsch

Bestellnummer
02.382.DE 08.2021

Download PDF
www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen

© Gesundheitsförderung Schweiz, August 2021
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 3

Inhaltsverzeichnis
Einleitung                                                                                                  4

Das Wichtigste auf einen Blick                                                                              5
   Warum lohnt sich die Gesundheitsförderung im Alter in den Gemeinden?                                     5
   Welche Rolle spielen Gemeinden in der Gesundheitsförderung im Alter?                                     5

1	Warum lohnt sich die ­Gesundheitsförderung im Alter?                                                     7
   1.1 Die Gesellschaft wird älter                                                                          7
   1.2	Erfolge stabilisieren, Herausforderungen reduzieren                                                 7
   1.3 Gesundheitsförderung im Alter wirkt                                                                  9
   1.4	Gesund altern ist volkswirtschaftlich r­ elevant                                                   10
   1.5 Das Wichtigste in Kürze                                                                             12

2	Was können Gemeinden tun?                                                                               13
   2.1	Politische und organisatorische Rahmen­bedingungen gestalten (­ Handlungsfeld 1)                   14
   2.2	Soziale Teilhabe und ein differenziertes ­Altersbild fördern (Handlungsfeld 2)                     16
   2.3	Gesundheitsförderliche Lebensbedingungen schaffen (Handlungsfeld 3)                                19
   2.4	Persönliche Ressourcen und gesundes V   ­ erhalten fördern (Handlungsfeld 4)                       20
   2.5 Das Wichtigste in Kürze                                                                             21

3	Wie fördern Schweizer Gemeinden die Gesundheit im Alter?                                                22
   3.1 Merkmale der ausgewählten Beispiele                                                                 22
   3.2	Gesundheitsförderung im Rahmen des Ansatzes der Gemeinwesenarbeit:
        das Städtchen L­ ichtensteig im Kanton St. Gallen                                                  23
   3.3	Ein ganzheitlicher und regionaler Ansatz zur Förderung der Gesundheit im Alter:
        das Bas-Vallon im Berner Jura                                                                      25
   3.4	Unterstützung der Gemeinden durch die Kantone:
        der Ansatz des Kantons G ­ raubünden in der Gesundheitsförderung im Alter                          27

Quellenverzeichnis29
4    Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich

Einleitung
Die Gesundheitsförderung im Alter unterstützt äl­       organisationen älterer Menschen und organisierte
tere Menschen bei einem ihrer grössten Anliegen:        Freiwillige, darin wertvolle Impulse. Auf kantonaler
dem Wunsch, so lange wie möglich autonom leben,         Ebene sind besonders die Verantwortlichen von
handeln und entscheiden zu können [1]. Eine gute        kantonalen Aktionsprogrammen und Mitarbeitende
Nachricht ist, dass sich die Gesundheit und Auto­       von kantonalen Organisationen angesprochen.
nomie vieler älterer Menschen mit wirkungsvollen
Massnahmen bis ins hohe Alter fördern beziehungs-       Eine kurze Lesehilfe
weise erhalten lassen.                                  Die Übersichtsgrafik auf Seite 6 vermittelt ein Sche-
Die älteren Menschen sind eine äusserst heterogene      ma mit vier Handlungsfeldern für die Gesundheits-
Zielgruppe mit vielfältigen und unterschiedlichen       förderung im Alter auf der kommunalen Ebene. Der
Ressourcen, Fähigkeiten und Bedürfnissen. Die vor-      sinnbildliche Weg soll ganzheitlich sowie nach Be-
liegende Broschüre legt einen Fokus auf Menschen        darf und Möglichkeiten der Gemeinde durchlaufen
über 65 Jahre, die im eigenen Zuhause leben.            werden. Jede Gemeinde baut auf dem auf, was be-
Der Lebensalltag älterer Menschen findet primär in      reits besteht.
der Gemeinde – und in der Stadt im Quartier – statt.    Das Kapitel 1 zeigt faktenbasiert auf, weshalb die
Dies ist der Ort, wo die Menschen leben, ihren Inte­    Gesundheitsförderung im Alter heute wichtiger ist
ressen nachgehen und Entscheidungen treffen, die        denn je und warum sich ein Engagement in diesem
sich auf ihre Gesundheit auswirken. Die Weltgesund-     Bereich für die Gemeinden lohnt.
heitsorganisation (WHO) schreibt dazu: «Gesundheit      Das Kapitel 2 beinhaltet das Was und das Wie. Wel-
wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt ge-      ches Vorgehen verspricht Erfolg? Worauf sollte bei
schaffen und gelebt» [2]. Die kommunale Ebene ist       der Planung und Umsetzung speziell geachtet wer-
deshalb der zentrale Ort, an dem die Förderung von      den? Wie können die Gemeinden die vier Handlungs-
Gesundheit und Lebensqualität im Alter stattfindet.     felder «mit Leben füllen», gestützt auf die aktuelle
                                                        wissenschaftliche Evidenz und die langjährige Um-
     Der Begriff «Gemeinde» wird in dieser              setzungserfahrung in Schweizer Gemeinden?
     Bro­schüre stellvertretend für alle politischen    Das Kapitel 3 geht der Frage nach, wie Gemeinden,
    ­Gemeinden verwendet. Er schliesst Städte,          Städte und Kantone ganz konkret vorgehen. Dazu
     ­Quartiere und Gemeindeverbunde mit ein.           werden drei Modellbeispiele aus verschiedenen
                                                        Landesregionen aufgezeigt.

An wen richtet sich diese Broschüre?                     Im Grundlagenbericht «Gesundheit und Lebens-
Diese Broschüre richtet sich an Fachpersonen, die        qualität im Alter» finden sich weitere Fakten und
sich auf der kommunalen Ebene für die Gesundheits-       Zahlen sowie Antworten auf Fragen wie: Was
förderung im Alter einsetzen. Sie arbeiten beispiels-    bedeutet Gesundheitsförderung im Alter? Welche
weise in Behörden, Fach- oder Anbieterorganisatio-       Faktoren beeinflussen die Gesundheit der
nen. Sie finden Argumente, um Entscheidungstra-          ­älteren Bevölkerung? Welche Ziele verfolgt die
gende und mögliche Partnerinnen und Partner vom           Gesundheitsförderung im Alter und an welche
Nutzen der Gesundheitsförderung im Alter zu über-         Zielgruppen richtet sie sich?
zeugen. Die vier präsentierten Handlungsfelder bie-       Die jeweils aktuelle Version aller Dokumente
ten zudem eine Systematik, die die Akteurinnen und        finden Sie auf der Website von Gesundheits­
Akteure bei der Planung, Umsetzung und Weiterent-         förderung Schweiz. Dort finden Sie auch das
wicklung der Gesundheitsförderung im Alter unter-         ­A rbeitspapier 53 «Gesundheit fördern und
stützen kann.                                              Krankheiten vor­beugen» mit einem allgemeinen
Des Weiteren finden auch Gruppierungen und Verei-        Argumentarium für die Gesundheitsförderung
ne der Zivilgesellschaft, wie beispielsweise Selbst­     und Prävention.
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 5

Das Wichtigste auf einen Blick
Zum Einstieg werden Kernaussagen auf den Punkt gebracht. Konkrete Zahlen und Fakten, auf denen diese
Aussagen basieren, finden sich in den Kapiteln 1.1 bis 1.4 und in den referenzierten Publikationen (­siehe
Quellenverzeichnis).

Warum lohnt sich die Gesundheitsförderung                Welche Rolle spielen Gemeinden in der Gesund-
im Alter in den Gemeinden?                               heitsförderung im Alter?

• Die Bevölkerung in der Schweiz wird auch in den        • Der Lebensalltag von älteren Menschen findet
  nächsten Jahrzehnten weiter altern. Wie gesund           in der Gemeinde oder im Quartier statt. Die
  und autonom Menschen älter werden, lässt sich            ­Gemeinden schaffen mit einer partizipativen
  bis ins hohe Alter positiv beeinflussen.                  ­Alterspolitik die entscheidenden Rahmen­
• Mithilfe der Gesundheitsförderung im Alter lassen          bedingungen für altersfreundliche Umgebungen
  sich Gesundheit und Autonomie älterer Menschen             und ein altersgerechtes Wohnen und Leben.
  nachweislich verbessern. Besonders wirksam sind            Entsprechend ist die kommunale Ebene der
    die Bewegungsförderung und Sturzprävention,              ­zentrale Ort für die Förderung von Gesundheit
    die Förderung einer ausgewogenen Ernährung                und Lebensqualität im Alter.
    und der psychischen Gesundheit.                      • Gemeindeverantwortliche können dank ihrer
• Je mehr ältere Menschen bis ins hohe Alter                  Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern die
  selbstständig zu Hause leben, desto stärker wird            ältere Bevölkerung zur Mitwirkung motivieren
  das Kostenwachstum im Gesundheitswesen                      und ihr gesellschaftliches Engagement stärken.
  ­gebremst. Das trägt zu einer wesentlichen finan-      • Viele Gemeinden haben eine Fach- oder Koordi-
   ziellen Entlastung der Gemeinden bei und ent­              nationsstelle Alter eingerichtet, die auch ge­
   lastet die älteren Menschen und ihre Familien.             sundheitsförderliche Massnahmen koordiniert
   Auch in den Haushalten fallen weniger Kosten an            und mitfinanziert. Vielfach werden sie dabei
   und die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit von                von den Kantonen unterstützt und beraten. Die
   ­betreuenden Angehörigen wird geschützt, wenn              operative Umsetzung erfolgt aber immer mit
    weniger Betreuungsaufgaben anfallen. Beides               Partnerorganisationen und Akteurinnen und Ak-
    wirkt sich positiv auf die Lebensqualität der be-         teuren auf der kommunalen Ebene.
    troffenen Personen und die Steuereinnahmen           • Die Förderung von Gesundheit und Lebensqua­
    von Gemeinden aus.                                        lität im Alter fällt nicht in den Zuständigkeits­
• Ältere Menschen sind eine grosse Ressource für              bereich eines einzigen Politikbereichs. Oft über-
    Gemeinden und leisten wichtige Beiträge an die            nehmen die Verantwortlichen für Gesundheit
    Gesellschaft: Sie hüten (Enkel-)Kinder, be­treuen         und/oder Soziales eine koordinierende Rolle in
    unterstützungsbedürftige Angehörige und sie               der departementsübergreifenden Zusammen­
    bringen ihr Wissen und ihre Erfahrungen in ehren-         arbeit. Das fördert einen ganzheitlichen Ansatz
    amtlichen Funktionen ein. Gute Gesundheit er-             und bündelt die Ressourcen.
    leichtert ihnen ihr gesellschaftliches Engagement.

  Fazit: In die Gesundheitsförderung im Alter zu investieren, «lohnt sich» im Hinblick auf die Lebens­qualität
 der älteren Menschen, den sozialen Zusammenhalt und eine funktionierende Zivilgesellschaft.
 ­Investitionen in die Gesundheitsförderung im Alter heute haben das Potenzial, den Finanzhaushalt
  einer Gemeinde morgen zu entlasten.
6   Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich

ABBILDUNG 1

Handlungsfelder für gesundes Altern in der Gemeinde

    HANDLUNGSBEDARF                                            ZENTRALE HANDLUNGSPRINZIPIEN

     • Demografische Alterung                                  • Settingansatz
     • Gesundheit und Autonomie als Kern­elemente              • Partizipation
       für Wohlbefinden im Alter                               • Gesundheitliche Chancengleichheit
     • Wunsch älterer Menschen, so lange wie m
                                             ­ öglich          • Salutogenese und Ressourcen-
       im eigenen Zuhause zu leben                               ­orientierung
     • Volkswirtschaftliche Folgekosten von                    • Empowerment
       ­Multimorbidität, Betreuung und Pflege                  • Umfassendes Gesundheits-
                                                                  verständnis
      Mehr im Kapitel 1
                                                                Mehr unter:
                                                                www.quint-essenz.ch/de/sections/1

                                                      HANDLUNGSFELDER

                HANDLUNGSFELD 1                                HANDLUNGSFELD 2

                Politische und organi­s atorische              Soziale Teilhabe und e­ in
                Rahmen­bedingungen ­gestalten                  differenziertes ­Altersbild­ fördern

                  Mehr im Kapitel 2.1                           Mehr im Kapitel 2.2

                HANDLUNGSFELD 3                                HANDLUNGSFELD 4

                Gesundheitsförderliche ­                       Persönliche Ressourcen
                Lebensbedingungen schaffen                     und gesundes Verhalten fördern

                  Mehr im Kapitel 2.3                          Drei evidenzbasierte Schwerpunkt­themen:
                                                               • Bewegungsförderung und Sturz­prävention
                                                               • Förderung einer ausgewogenen Ernährung
                                                               • Förderung der psychischen Gesundheit
                                                                Mehr im Kapitel 2.4

                                                         WIRKUNG

                Mehr                                           Weniger
                • Selbstständigkeit, Lebensqualität            • Vermeidbare Erkrankungen und ­Einschränkungen
                   und gesunde Lebensjahre                     • Einsamkeit im Alter
                • Chancengleichheit                            • Pflege- und Betreuungsaufwand für A­ ngehörige
                • Generationensolidarität                        und Spitex
                • Engagierte ältere Bürgerinnen und            • Bedarf an Alters- und Pflegeheimplätzen
                   Bürger in der Gemeinde                      • Krankheits- und Pflegekosten für die B
                                                                                                      ­ evölkerung
                                                                 und die öffentliche Hand
                  Mehr in den Kapiteln 1 und 2
                                                                   Mehr in den Kapiteln 1.2 bis 1.4
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 7

1	Warum lohnt sich die
   ­Gesundheitsförderung im Alter?
1.1   Die Gesellschaft wird älter                               1.2	Erfolge stabilisieren,
                                                                     Herausforderungen reduzieren
Ältere Menschen sind ein wachsender Teil der Be-
völkerung in Gemeinden und Städten. Diese demo­                 Die Menschen in der Schweiz werden nicht nur älter,
grafische Alterung ist ein Resultat der im letzten              immer mehr ältere Frauen und Männer sind auch bei
Jahrhundert erzielten Fortschritte und Entwick­                 guter Gesundheit. Das gilt insbesondere für die Men-
lungen in den Bereichen Ernährung, Hygiene, Medi-               schen zwischen 65 und 75 Jahren, aber auch danach
zin, Bildung, Arbeitswelt und soziale Sicherheit.               ist die Gesundheit oft gut. Diese Erfolge zeigen sich
Die Vereinten Nationen bezeichnen die steigende                 unter anderem in der Anzahl Jahre, die eine 65-jäh-
Lebenserwartung deshalb als «eine der grössten                  rige Person im Durchschnitt in guter Gesundheit
Errungenschaften der Menschheit» [3].                           verbringen wird (siehe Abbildung 2).
Die Alterung der Gesellschaft wird sich in den
nächsten Jahrzehnten fortsetzen und sich unter an-
derem auf die Anzahl älterer Menschen generell                   ABBILDUNG 2
(65+) und insbesondere auf die Anzahl der hoch­
altrigen Menschen (80+) aus­wirken. Ebenso steigt               Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren
der Anteil der Personen ab 65 Jahren in der Gesell-             Lebenserwartung / Lebenserwartung in guter Gesundheit im
                                                                Alter von 65 Jahren, nach Geschlecht, Schweiz, 1997 im Ver-
schaft. Dies führt dazu, dass weniger Personen im               gleich zu 2017, basierend auf Obsan (2019) [5]
Erwerbsalter (20–64 Jahre) immer mehr Menschen
im Pensionsalter (65+) gegenüberstehen (steigen-                       90
der Altersquotient).
Ältere Menschen sind die am stärksten wachsen-                                                                             22,5
                                                                       85                       20,4
de Bevölkerungsgruppe, und schon bald wird es                                                                19,7

erstmals in der Geschichte mehr Menschen über
                                                                                 16,5
65 Jahre geben als Kinder und Jugendliche unter                        80
                                                                                                                           14,5
20 Jahren. Ältere Menschen sind somit eine der
                                                               Alter

                                                                                                             13,7

grössten Zielgruppen der Gesundheitsförderung.                         75
                                                                                 11,8           11,9

                                                                       70
TABELLE 1

Demografische Alterung                                                 65
                                                                               Männer          Frauen      Männer         Frauen
                                           2020       2045                      1997            1997        2017           2017

65+ Jahre                               1,7 Mio.    2,7 Mio.
                                                                            Männer                         Frauen
Anteil 65+ Jahre                           19 %        26 %                   Lebenserwartung                 Lebenserwartung
                                                                             Lebenserwartung in             Lebenserwartung in
80+ Jahre                               0,5 Mio.     1 Mio.                   guter Gesundheit                guter Gesundheit

Altersquotient*                              30          45
                                                                Eigene Darstellung in Anlehnung an Obsan (2019) [5]

* Personen ab 65 Jahre pro 100 Personen im Alter
   von 20 bis 64 Jahren

Quelle: Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der
Schweiz (BFS 2017) [4]
8    Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich

Auch die selbst wahrgenommene Gesundheit, die                   auch natürliche Veränderungen im Körper statt, die
Lebenszufriedenheit und das Gefühl von Vitalität                die Gesundheit und das Wohlbefinden beeinflussen.
bleiben lange hoch (siehe Tabelle 2). Die Gesund-               Insbesondere chronische Krankheiten (NCDs), das
heit wird grösstenteils selbst als (sehr) gut wahrge-           gleichzeitige Auftreten von mehreren Erkrankungen
nommen, auch wenn jüngere Menschen sich noch                    (Multimorbidität) sowie Stürze nehmen im Alter zu
häufiger (sehr) gesund fühlen. Ältere Menschen sind             (siehe Abbildung 3). So stürzt beispielsweise alle
hingegen generell zufriedener mit dem eigenen                   sechs Minuten ein älterer Mensch in der Schweiz,
­Leben als jüngere, und die Altersgruppe der 65- bis            wobei das Verletzungsrisiko verglichen mit jüngeren
 74-Jährigen hat eine höhere Vitalität als alle ande-           Menschen deutlich erhöht ist [13].
 ren Altersgruppen [6, 7]. Erst bei den hochaltrigen            Psychische Belastungen und Erkrankungen sind zu-
 Personen nehmen die selbst wahrgenommene Ge-                   dem im Alter eine häufige Herausforderung, ebenso
 sundheit und Vitalität ab, weniger deutlich aber die           wie Einsamkeitsgefühle (siehe Tabelle 3). Ungewollte
 Zufriedenheit mit dem eigenen Leben [8].
 Diese in den letzten Jahrzehnten erzielten Erfolge
 gilt es zu stabilisieren, damit in der Schweiz die Le-         ABBILDUNG 3
 bensqualität und Gesundheit im Alter auch weiter-
 hin hoch bleiben.                                              Zahl der chronischen Krankheiten nach Altersklasse,
                                                                SHARE 2010–2011, Personen ab 50 Jahren, N=3627

    Grosse Unterschiede in der Gesundheit                       100 %
    Bei den hier referierten Gesundheitsdaten han-
    delt es sich um Durchschnittswerte. Die älteren             80 %
    Menschen sind jedoch ein äusserst heterogener
    Teil der Bevölkerung; es gibt grosse ­Unterschiede           60 %

    in der Gesundheit, die unter anderem mit dem
                                                                40 %
    Geschlecht, dem Bildungshintergrund, der öko-
    nomischen Situation oder einem Migrationshin-
                                                                 20 %
    tergrund zusammenhängen [9]. In der Praxis ist
    dieser Tatsache durch chancengerechte Mass-                   0%
                                                                        50–54
                                                                        Jahre

                                                                                        60–64
                                                                                        Jahre

                                                                                                        70–74
                                                                                                        Jahre

                                                                                                                        80–84
                                                                                                                        Jahre
                                                                                55–59
                                                                                Jahre

                                                                                                65–69
                                                                                                Jahre

                                                                                                                75–79
                                                                                                                Jahre

                                                                                                                                85–89
                                                                                                                                Jahre
    nahmen Rechnung zu tragen.

                                                                        0 Krankheiten
Wie in jedem Lebensalter stehen Erfreuliches und                        1 Krankheit
                                                                        2 Krankheiten
Herausforderndes auch ab 65 Jahren natürlicher-                         3 Krankheiten
                                                                        4 Krankheiten
weise nebeneinander. Während das Alter eine «Zeit
des persönlichen Wachstums, der Kreativität und Pro­            Quelle: Multimorbidität bei Personen ab 50 Jahren
duktivität» sein kann [1], finden im Laufe des L
                                               ­ ebens          (Obsan 2013) [14]

TABELLE 2                                                       TABELLE 3

Indikatoren: Gesundheit                                         Indikatoren: Gesundheitsprobleme

                                     65–74 Jahre 75+ Jahre                                                65–74 Jahre 75+ Jahre
(Sehr) gute selbst wahr­genommene                               Mind. eine chronische Krankheit /
Gesundheit                                      77 %    67 %    ein dauerhaftes Gesundheits­problem                45 %          50 %
Hohes Energie- und Vitalitäts-                                  Mittlere oder hohe psychische
­niveau                                         63 %    48 %    ­Belastung                                         11 %          13 %
Lebenszufriedenheit                                             Einsamkeitsgefühle
(auf einer Skala von 0 bis 10)             8,4/10      8,3/10   (manchmal bis sehr häufig)                         28 %          35 %

Quellen: [10, 11, 12]                                           Quellen: [10, 15, 16]
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 9

                  «Wenn wir heute proaktiv Lösungen ­suchen, können wir später Probleme
                  ­vermeiden. Es ist daher w
                                           ­ ichtig, immer in Bewegung zu bleiben.»
                  Alain Berset, Bundesrat

Einsamkeit ist auch im Alter häufig und hat auf die      Die positive Wirkung der Gesundheitsförderung im
Gesundheit einen ähnlich schädigenden Einfluss wie       Alter für die einzelnen Menschen, aber auch für die
das Rauchen oder starkes Übergewicht [17].               ganze Gesellschaft, ist wissenschaftlich gut belegt,
Treten körperliche und psychische Erkrankungen           insbesondere in den folgenden drei Schwerpunkt-
sowie sensorische Beeinträchtigungen (Seh- und           themen.
Hörvermögen) und Einschränkungen der Mobilität
(Gehvermögen) gleichzeitig auf, kann dies zu beson-      Bewegungsförderung und Sturzprävention
ders schwerwiegenden Folgen für die funktionale          Massnahmen zur Bewegungsförderung im Alter er-
Gesundheit führen. Die Möglichkeit, alltäglichen Ak-     weisen sich als ausserordentlich wirksam für die
tivitäten selbstständig nachzugehen, wird dadurch        Gesundheit und die Selbstständigkeit. Dank kör-
eingeschränkt.                                           perlicher Aktivität im Alter lassen sich sowohl zahl-
Die Entstehung nichtübertragbarer Krankheiten, die       reiche körperliche und psychische Erkrankungen
den grössten Teil der Krankheitslast im Alter ausma-     vermeiden oder hinauszögern, als auch bereits be-
chen, ist zu einem wesentlichen Teil auf lebensstil­     stehende chronische Leiden positiv beeinflussen
bedingte Risikofaktoren zurückzuführen. Mangelnde        [19–21].
Bewegung, Tabak- und übermässiger Alkoholkon-            Regelmässige Bewegung und Übungen zum Kraft­
sum sowie eine unausgewogene Ernährung gelten            erhalt können Einschränkungen und Hilfsbedürf­
als wichtigste lebensstilbedingte Risikofaktoren [18].   tigkeit im Alltag um bis zu 50 Prozent reduzieren
Das Auftreten und der Verlauf dieser Herausforde-        [22]. Ausserdem vermindert regelmässige Bewe-
rungen lassen sich aber positiv beeinflussen. Die        gung im Alter das Risiko, an Demenz zu erkranken,
Gesundheitsförderung im Alter kann dazu einen we-        um über 10 Prozent beziehungsweise verzögert
sentlichen Beitrag leisten und damit die Lebensqua-      das Auf­treten von Demenzerkrankungen um zwei
lität älterer Menschen und die Gesundheitskosten         bis drei Jahre [23]. Das verhindert oder verzögert
entscheidend beeinflussen.                               die Pflege- und Hilfsbedürftigkeit und fördert die
                                                         selbstständige Lebensführung.
                                                         Auch die Wirkung von Massnahmen zur Sturzprä-
1.3   Gesundheitsförderung im Alter wirkt                vention im Alter ist gut belegt. Die Häufigkeit von
                                                         Stürzen im Alter kann mit spezifischen Trainings
Gesundheit und Wohlbefinden im Alter sind mass-          um 30 bis 50 Prozent reduziert werden [24–27].
geblich geprägt vom gesamten persönlichen Le-            Körperlich trainierte ältere Personen haben im
                                                         ­
bensverlauf: So wie man lebt, so wird man älter. Es      ­Vergleich zu Gleichaltrigen, die ihre Muskulatur und
lohnt sich deshalb, bereits früh die Gesundheit zu        ihr Gleichgewicht nicht trainieren, ein geringeres
stärken und zu stabilisieren.                             Risiko, sich bei Stürzen leicht oder schwer zu ver­
Die Gesundheit lässt sich aber auch nach der Pen­         letzen.
sionierung noch verbessern oder zumindest erhal-          Neben der belegten Wirkung auf die Gesundheit und
ten. Für die Förderung der eigenen Gesundheit ist es      die Autonomie fördert die Bewegung im Alter auch
nie zu spät!                                              die psychische Gesundheit.
10   Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich

Förderung einer ausgewogenen Ernährung                           Um das Alter aktiv gestalten und einen gesunden
Das Ernährungsverhalten älterer Menschen lässt                   Lebensstil führen zu können, brauchen ältere Men-
sich durch gezielte Interventionen verbessern und                schen bestimmte Lebenskompetenzen. Hohe Le-
ausgewogener gestalten [28–30]. Die Ernährung im                 benskompetenzen – wie Kommunikationsfähigkei-
Alter steht im Zusammenhang mit dem Ausmass                      ten, Emotionsregulation und soziale Kompetenzen
an Muskelkraft, der Infektanfälligkeit, Herz-Kreis-              – können helfen, mit den Herausforderungen des
lauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und Demenz                    Alterns besser umzugehen. Sie stärken zudem die
[31]. Interventionen zur Förderung einer ausgewo-                Überzeugung, Handlungen aufgrund eigener Kom-
genen Ernährung beeinflussen daher unterschiedli-                petenzen ausführen zu können. Diese Überzeugung
che körperliche und psychische Funktionen positiv                wird Selbstwirksamkeit1 genannt und ist neben der
[28]. Ältere Menschen in einem guten Ernährungs-                 sozialen Unterstützung eine der entscheidenden
zustand werden nach Operationen zudem seltener                   Ressourcen im Alter. Lebenskompetenzen lassen
erneut hospitalisiert als Gleichaltrige, die von Fehl-           sich bis ins hohe Alter weiter entwickeln und stär-
oder Mangelernährung betroffen sind [32].                        ken [39].

Förderung der psychischen Gesundheit
Depressionen und Angststörungen im Alter können                  1.4	Gesund altern ist volkswirtschaftlich
durch die Förderung eines gesunden und körperlich                     ­relevant
aktiven Lebensstils sowie durch Entspannungstrai-
nings nachweislich positiv beeinflusst werden [33,               Die Kosten für die Langzeitpflege von älteren Men-
34]. Auf Gemeindeebene können Gruppeninterven­                   schen durch Pflegeheime und Spitex betrugen im
tionen – wie das gemeinsame Singen mit Gleichalt-                Jahr 2018 rund 16,4 Milliarden Franken. Dies ent-
rigen, die psychische Gesundheit älterer Menschen                sprach 20,4 Prozent der gesamten Gesundheitskos-
nachweisbar erhalten und verbessern [35]. Auch im                ten [40]. Die Kantone und Gemeinden finanzieren ei-
Alter kann man sich dank hoher Anpassungsfähig-                  nen grossen Teil dieser Ausgaben: etwa 25 Prozent
keit von Einsamkeit wieder «erholen» [36].                       der stationären und 17 Prozent der ambulanten
Die soziale Teilhabe und Unterstützung wirken sich               Langzeitpflege2 . In Zukunft wird der Bedarf an Lang-
einerseits positiv auf das psychische Wohlbefinden               zeit- und Alters­pflege aufgrund der demografischen
und affektive Erkrankungen aus und scheinen ande-                Alterung weiter ansteigen [41, 42] und damit auch die
rerseits auch ein Schutzfaktor für die kognitive Ge-             Kosten für Kantone und Gemeinden [42–44].
sundheit (z. B. Demenz) zu sein [37]. Eine Zürcher               Das Kostenwachstum in der Pflege – und, in gerin-
Studie zeigt ferner, dass sich auch das Wohlbefinden             gerem Ausmass, in der Akutmedizin – kann mit ei-
von Menschen, die bereits kognitiv beeinträchtigt                ner wirksamen Gesundheitsförderung im ­Alter ent-
sind, durch soziale Kontakte und Unterstützung ver-              scheidend gedämpft werden.
bessern lässt [38].

                     «Gäbe es ein Medikament, das auf die Entwicklung von Demenz so gut wirkt wie
                     ein gesunder Lebens­stil, dann würde man von einem Wundermittel ­sprechen.»
                     Paul G. Unschuld, PD Dr. med., Zentrumsleiter, Klinik für Alterspsychiatrie, ­
                     Psychiatrische U
                                    ­ niversitätsklinik Zürich

1 Was ist Selbstwirksamkeit und wie kann sie im Alter gefördert werden? Antworten finden Sie in unseren ­Erklärvideos
   zum Thema Selbstwirksamkeit.
2 Eigene Berechnung auf Basis von Abbildung 5 in [46].
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 11

                  «Wir brauchen nicht mehr Altersheime, sondern mehr Gesundheits­förderung
                  und Prävention.»
                  François Höpflinger, em. Titularprofessor für Soziologie, Universität Zürich, heute selbst
                  im Rentenalter

Als weiteres Beispiel für den Nutzen der Gesund-                Für die zukünftigen Kosten des Gesundheitswesens
heitsförderung im Alter sei die Sturzprävention er-             ist es also massgeblich, wie gesund die Bevölke-
wähnt. Weniger Stürze im Alter bedeuten weniger                 rung altert. Denn gesunde ältere Menschen be­
schwerwiegende Folgen für die älteren Menschen                  nötigen weniger Leistungen des Gesundheits- und
(z. B. Leiden, Spitalaufenthalte oder Verlust von               Pflegesystems. Zusätzlich sinkt auch der Bedarf an
­Autonomie durch Einschränkung der Mobilität) und               informeller Unterstützung durch Angehörige, wo-
 weniger Gesundheitsausgaben für die öffentliche                durch insbesondere Frauen entlastet werden und
 Hand. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU)            ihr Engagement im Arbeitsmarkt erleichtert wird [1].
 schätzt deren gesamte volkswirtschaftliche Kosten              Schliesslich setzen sich ältere Menschen selbst in
 auf rund 16 Milliarden Franken pro Jahr. Allein die            vielfältiger und unverzichtbarer Weise für ihr per-
 materiellen Kosten, etwa für Heilung und Pflege,               sönliches und gesellschaftliches Umfeld ein, zum
 summieren sich auf rund 1,7 Milliarden Franken [45].           Beispiel als freiwillig Engagierte oder bei der Unter-
 Wie gross das gesamte Einsparungspotenzial ist,                stützung von Angehörigen – und dies fällt leichter
 wenn Menschen im Alter möglichst lange gesund                  bei guter Gesundheit (siehe Kapitel 3.2).
 bleiben, lässt sich anhand von Modellrech­nungen
 abschätzen. In einer Studie der Universität St. Gal-
 len von 2019 wurde berechnet, dass der Anstieg                      ABBILDUNG 4
 der Langzeitpflegekosten bis im Jahr 2050 um etwa
 zwei Drittel geringer ausfallen dürfte, wenn die Le-           Gesamtausgaben für die Gesundheit
 benszeit in schwerer Krankheit und Pflegebedürf-
                                                                                   17
 tigkeit verkürzt werden kann. Die Autoren der Studie                                                                                        16,9 %
 folgern, dass eine positive Entwicklung der Gesund-                               16
                                                                                                                                             15,8 %
 heit der älteren Menschen «die Auswirkungen der                                   15
                                                             in Prozent des BIP

                                                                                                                                             14,8 %
 wachsenden und alternden Bevölkerung auf die
                                                                                   14
 Langzeitpflegekosten zu einem Grossteil mildern                                                                                             13,8 %
 können» [46].                                                                     13

 Diese Berechnungen bestätigen Ergebnisse einer                                    12
 etwas älteren Studie von 2012. Diese kam zum
                                                                                   11
 Schluss, dass der zukünftige Ausgabenanstieg im
                                                                                   10
 Gesundheitswesen um bis zu 40 Prozent geringer
                                                                                          2009                                            2060
 sein könnte, falls die Zahl der Lebensjahre in
 ­Krankheit und Pflegebedürftigkeit reduziert werden                              Pure Ageing       Referenz      Healthy Ageing     C ompression
                                                                                                                                      of Morbidity
  kann (siehe Abbildung 4, Szenario «Compression of
  Morbidity» im Vergleich zu «Pure Ageing»). Damit              Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Legislatur­
                                                                finanzplan 2013–2015; Anhang zur Botschaft über die
  dürften in Zukunft jährliche Einsparungen von über
                                                                Legislaturplanung 2011–2015 (Schweizerische Eidgenossen-
  10 Milliarden Franken erreicht werden [43, 44].               schaft 2012) [47]
12    Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich

1.5     Das Wichtigste in Kürze                        • Gesund altern ist volkswirtschaftlich relevant:
                                                        Eine ganzheitliche Gesundheitsförderung im
• Die Gesellschaft wird älter: Die Alterung der         Alter erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass
  ­ esellschaft wird sich in den nächsten Jahr­
  G                                                     ­Menschen im dritten und vierten Lebensalter
  zehnten fortsetzen. Der Anteil der hochaltrigen        lange selbstständig zu Hause, sozial integriert
  Personen in der Gesellschaft wird sich erhöhen         und aktiv in guter Gesundheit und mit einer
  und der Anteil von Menschen im Pensionsalter           ­hohen Lebensqualität bleiben können. Gleich­
  wird zunehmen gegenüber dem Anteil der Be­              zeitig ist Gesundheitsförderung im Alter ge-
  völkerung im Erwerbsalter. Ältere Menschen sind         eignet, körperliche und psychische Erkrankungen
  eine der grössten Zielgruppen der Gesundheits-          zu vermeiden, Heimeinweisungen hinauszuzö-
  förderung.                                              gern sowie Unter­stützungs- und Pflegebedürftig-
• Erfolge stabilisieren und Herausforderungen           keit zu verringern. Darüber hinaus sind gesunde
  reduzieren: In Anbetracht der steigenden              und selbstständige ältere Menschen besser in
  ­Lebenserwartung ist eine gesunde, aktive und         der Lage, wichtige Beiträge an die Gesellschaft
   teilhabende ältere Bevölkerung besonders             zu leisten. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ge-
   ­bedeutsam. Trotz chronischer Krank­heiten, die      winnt die Gesundheitsförderung im Alter deshalb
    im Alter häufiger werden, sollen und können         im Gleichschritt mit der demogra­fischen Alte-
    die L
        ­ ebensqualität und die Selbstständigkeit       rung an Bedeutung.
    bis ins hohe Alter erhalten bleiben.
• Gesundheitsförderung im Alter wirkt: Die Ge-
  sundheitsförderung im Alter kann einen wesent­
  lichen Beitrag dazu leisten, die Gesundheit,
  die Potenziale und die Selbstständigkeit von älte-
  ren Menschen lange zu erhalten. Die Wirkung
  der Gesundheitsförderung im Alter ist wissen-
  schaftlich belegt, insbesondere in den Schwer-
  punktthemen «Bewegungsförderung und Sturz-
  prävention», «Förderung einer ausgewogenen
  Ernährung» und «Förderung der psychischen
  Gesundheit», wobei Letzteres auch die Förderung
  von Lebenskompetenzen und sozialer Teilhabe im
  Alter einschliesst.
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 13

2	Was können Gemeinden tun?
Die älteren Menschen sind eine sehr                            PRAXISTIPP
heterogene Zielgruppe                                         Betreuende Angehörige erreichen
Alles Handeln in den Gemeinden sollte berück­                 Folgende Faktoren können betreuenden
sichtigen, dass die älteren Menschen über 65 Jahre            ­Ange­hörigen den Zugang zu Angeboten der
eine sehr vielfältige Bevölkerungsgruppe darstel-            ­Gesundheitsförderung erleichtern:
len.                                                           • Niederschwelligkeit: Die Angebote können
Nicht alle älteren Menschen haben die gleichen                    mit wenig Zeitaufwand – idealerweise
Bedürfnisse und die gleichen Möglichkeiten, sich
­                                                                 zu Hause – genutzt werden und sind mit
gesund zu verhalten. Das Geschlecht, die Alters-                  ­geringen Kosten verbunden.
gruppe (drittes oder viertes Lebensalter), das Bil-            • Betreuungsdienst: Die betreute Person kann
dungsniveau und die finanziellen Ressourcen, ein                   mitgenommen werden oder es steht für sie
allfälliger Migrationshintergrund oder die sexuelle                eine erschwingliche Betreuung zur Ver­fügung.
Orientierung und Geschlechtsidentität sind nur ei­             • «Inseln der Normalität schaffen»: Das
nige Merkmale, welche die Diversität dieser Ziel­                  ­An­gebot bringt einerseits Entlastung
gruppe prägen. Unterschiedliche Ressourcen und                      und a ­ ndererseits freudvolle Perspektiven
Belastungen sind bei der Gestaltung der Angebote                    im ­Betreuungsalltag.
sowie bei der Ansprache und der Beteiligung von                • Peer-Austausch: Es besteht die Gelegen-
älteren Menschen zu berücksichtigen. Auch be­
­                                                                   heit zur Vernetzung und zum Austausch mit
treuende A ­ ngehörige, von denen viele selbst ältere               anderen betreuenden Angehörigen.
­Menschen sind, haben spezifische Bedürfnisse.                 • Nicht stigmatisierende Information: Die
 Um die gesundheitliche Chancengleichheit zu stär-                  ­mündliche und schriftliche Kommunikation
 ken, sollten Angebote deshalb vermehrt auf sozial                   ver­meidet stigmatisierende Begriffe wie
 benachteiligte und besonders vulnerable Menschen                ­«belastete Angehörige».
 ausgerichtet werden.                                          • Vertraute Anbietende: Die betreuenden An­ge­
                                                                    hörigen kennen die anbietenden Akteurinnen
                                                                    oder Akteure und vertrauen ihnen.

                                                              Quelle: [48]

                  «Mein Gesundheitsziel ist es, im Alter so lange wie möglich ohne
                  fremde Hilfe a
                               ­ uszu­kommen. Wertvoller als ein langes Leben ist für
                  mich ein u
                           ­ nabhängiges ­Leben.»
                  Ali Toprak, Rentner, stammt aus der Türkei und lebt in Ostermundigen bei Bern
14   Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich

Vier Handlungsfelder für gesundes Altern                         Ein Gemeinschaftswerk
in der Gemeinde                                                  Die Gemeinden schaffen die Rahmenbedingungen,
Basierend auf langjährigen Praxiserfahrungen und                 damit gutes Wohnen und Leben auch im Alter mög-
den nationalen KAP-Leitzielen werden nachfolgend                 lich bleibt. Die meisten Gemeinden haben in den letz-
vier Handlungsfelder für die Gesundheitsförderung                ten Jahren ein Alterskonzept oder Altersleitbild erar-
im Alter vorgeschlagen. Diese Handlungsfelder                    beitet und eine Fach- oder Koordinationsstelle Alter
helfen bei der Planung und Entwicklung von kom-                  eingerichtet. Auf dem Weg zu mehr Altersfreundlich-
munalen Massnahmen. Um ein systematisches                        keit erfolgt die Planung und Umsetzung schweizweit
Vorgehen zu fördern und die Übersichtlichkeit zu                 unterschiedlich. Insgesamt kann festgestellt wer-
erhöhen, werden sie einzeln aufgezeigt. In der                   den: Die Gemeinden und Städte nehmen seit einigen
­Umsetzungspraxis soll es jedoch keine künstliche                Jahren eine deutlich aktivere Rolle in der Alterspoli-
 Trennung zwischen den Handlungsfeldern geben.                   tik ein. Verbundlösungen bzw. die Erkenntnis, dass
 Vielmehr stehen sie in enger Wechselwirkung zu­                 es sich lohnt, sich regional oder gar überregional
 einander und führen in Kombination zu wirk­samen                auszutauschen und zu planen, gewinnen an Bedeu-
 Angeboten.                                                      tung [49].
                                                                 Zahlreiche Partnerinnen und Partner stehen den
                                                                 Gemeindeverantwortlichen zur Seite, um partizi­
2.1	Politische und organisatorische                             pativ einen Aktionsplan für ein gesundes Altern
      Rahmen­bedingungen gestalten                               zu erarbeiten und umzusetzen. In jeder Gemein-
     ­(Handlungsfeld 1)                                          de ist die Gruppe der professionellen und zivil­
                                                                 gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure, die
               Das erste Handlungsfeld schafft den               sich aktiv für die Gesundheitsförderung im Alter
               breiteren Rahmen für Interventionen               engagieren, anders zusammengesetzt. Abbildung 5
               der Gesundheitsförderung im Alter.                zeigt schematisiert typische Akteursgruppen auf.

ABBILDUNG 5

Kooperationslandschaft für die Gesundheitsförderung im Alter in den Gemeinden

                                                            Gemeinde
     Pro Senectute, SRK, weitere NGOs                                                       Kirchen und religiöse
                                                (i. d. R. Lead beim Sozial- und
           und Gesundheitsligen                                                                Gemeinschaften
                                                   ­Gesundheitsdepartement)

        Hausärztinnen und -ärzte
     und andere Gesundheitsfachleute                                                           Andere Sektoren
                                                Kooperationslandschaft für
                                                                                             (z. B. Sozialdienste,
                                                 die Gesundheitsförderung
                                                                                         Baudepartement, Sport und
                                                im Alter in den Gemeinden
       Aufsuchende Unterstützungs-                                                          Bildung, Kultur usw.)
           dienste (z. B. Spitex)

                                                                                     Zivilgesellschaft und Freiwillige (z. B.
        Diverse private Anbietende
                                                           Kantone                Organisationen der Migrationsbevölkerung
           und Dienstleistende
                                                                                    und Netzwerke von älteren Menschen)
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 15

Zusammenarbeit und Rollen in den Kantonen                        PRAXISTIPP
Die kommunalen Verwaltungen sind vor allem in der               Situationsanalyse in den Gemeinden
Planung, Koordination und Finanzierung von Mass-                Einen innovativen Ansatz für eine Situations­
nahmen tätig. Die Kantone spielen bei der (Mit-)­               analyse in den Gemeinden bietet das Label
Finanzierung und bei der Strategieentwicklung eine              ­«Gesunde Gemeinde», das in der Romandie ver-
tragende Rolle. Einige Kantone übernehmen eine                   breitet ist. Kantonale Fachpersonen für Gesund-
koordinierende Funktion und unterstützen die Ge-                 heitsförderung unterstützen die Gemeinden bei
meinden in der Umsetzung ihrer Massnahmen.                       der In­ventarisierung von Angeboten. Die Bera-
Zudem spielen Nichtregierungsorganisationen wie               tung v­ erfolgt zudem das Ziel, bereits umgesetzte
Pro Senectute, Caritas, das SRK und die regionalen            Massnahmen aufzuwerten und über neue Mass-
Gesundheitsligen eine wichtige Rolle in der Gesund-           nahmen in Bereichen nachzudenken, die noch
heitsförderung im Alter. Ihre primäre Aufgabe ist die         nicht ausreichend abgedeckt sind. Je nach Anzahl
Konzeption und Umsetzung von Massnahmen. Viele                der Massnahmen wird das Label mit ­einem,
übernehmen auch koordinative Aufgaben.                        zwei oder drei Sternen für drei Jahre g  ­ ewährt.
Seniorinnen- und Seniorengruppen sowie medizini-              Im Porträt auf Seite 27 wird ein alternativer
sche Berufsgruppen sind weitere Schlüsselakteure,             ­Ansatz zur Situationsanalyse aus dem Kanton
die vor allem in der Umsetzung von Massnahmen                  Graubünden erwähnt.
aktiv sind [18].                                               Weitere Informationen zum Label «Gesunde
                                                               ­Gemeinde» finden sich auf der Website
Situationsanalyse als Ausgangspunkt                             www.labelcommunesante.ch/de/homepage.html.
Um mit den vorhandenen Mitteln einen effizien-
ten und wirksamen Ansatz zu entwickeln, hat es
sich bewährt, mit einer Situationsanalyse (inklu-           Erfolgsfaktoren für wirksame Ansätze
­sive A
      ­ ngebots- und Bedarfsanalyse) zu beginnen:           Um das Fundament für eine langfristig erfolgreiche
 Was gibt es bereits in der Gemeinde? Wer sind              Gesundheitsförderung im Alter zu legen, haben sich
 die Ak­teurinnen und Akteure? Wer bietet welche            die folgenden Erfolgsfaktoren in der Praxis bewährt:
 gesundheitsförderlichen Angebote für ältere Men-           • Strategisch und politisch verankern: Massnah-
 schen an?                                                    men zum gesunden Altern setzen eine starke
                                                              Führung und klare Bekenntnisse voraus. Ein ent-

                  «Eine starke Präsenz und aktive Rolle der Politik und Verwaltung schafft
                  ­Verbindlichkeit für das Engagement einer Gemeinde zum Wohle der älteren
                   ­Bürgerinnen und Bürger. Dies wiederum fördert die Identifikation der
                    Akteurinnen und Akteure in und ausserhalb der Verwaltung mit den erarbeiteten
                    Strategien. Alle werden als Partnerinnen und Partner in die Umsetzung von
                    Massnahmen eingebunden.»
                  Simon Stocker, von 2013 bis Ende 2020 Stadtrat der Stadt Schaffhausen (zuständig für die B
                                                                                                           ­ ereiche
                  Quartierentwicklung, Soziales, Alter, Sicherheit und öffentlicher Raum)
16   Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich

   schiedenes E   ­ ngagement der kommunalen Ver-              Zusammenarbeit mit den vielen ­Akteurinnen,
  antwortlichen bringt erfahrungsgemäss die bes-               ­A kteuren und Anbietenden s­ owie den älteren
  ten Resultate. Wesentlich sind Massnahmen                     ­Menschen selbst zu achten.
  zur gesellschaftlichen Aufwertung des Alters               • Auf Bestehendem aufbauen: In vielen Gemeinden
  ­sowie gesetzliche, politische und finanzielle               und Städten finden sich bereits bestehende An­
   Rahmenbedingungen, die Planungssicherheit                   gebote und Initiativen, auf denen sich aufbauen
   und ein nachhaltiges E  ­ ngagement erlauben.               lässt.
• Departementsübergreifend zusammenarbeiten:                 • Austausch pflegen: Viele Gemeinden sind seit
   Zahlreiche Politikbereiche und Dienste können               Längerem in der Gesundheitsförderung im Alter
   die Gesundheit von älteren Menschen positiv be-             aktiv und k
                                                                         ­ önnen Vorbilder für andere sein,
   einflussen. Eine gemeinsame Ausrichtung s­ owie             die neu einsteigen möchten. Erfahrungen und be-
   eine gute Koor­dination und Vernetzung helfen               währte Ansätze anderer Gemeinden sollten im
   ­dabei, die Kräfte und Ressourcen zu ­bündeln und           Dialog mit den Akteurinnen und Akteuren an die
    effizient zu nutzen. Insbesondere die gute Zu­             lokalen Verhältnisse angepasst werden.
    sammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren des
    Gesundheits- und des Sozialwesens ist entschei-
    dend. Innerhalb des Gesundheitsbereichs ist es           2.2	Soziale Teilhabe und ein differenziertes
    wichtig, die Gesundheits­förderung und Prävention             ­Altersbild fördern (Handlungsfeld 2)
    mit der Früherkennung, der Behandlung und
    Rehabilita­tion, aber auch mit der Pflege und der                    Ein differenziertes Altersbild fördern
    palli­ativen Versorgung zu koordinieren [1].                         Weder ein rein positives noch ein rein
• Zuständige Stelle definieren und mit Ressourcen                        negatives A­ ltersbild entsprechen die-
    ausstatten: Es hat sich bewährt, eine zuständi-                      sem vielfältigen Lebensabschnitt [50].
    ge Stelle für die Koordination der Altersarbeit zu       Vielmehr braucht es differenzierte Altersbilder.
    definieren und mit genügend personellen und              «Das Alter kann als ein Lebensabschnitt gesehen
    finanziellen Ressourcen auszurüsten. Personelle          werden, in dem Veränderung und (Weiter-)Entwick-
    und infrastrukturelle Ressourcen sowie das               lung möglich sind. Gesundheitliche Beschwerden
    ­finanzielle Budget werden dabei von verschiede-         können auftreten, aber trotzdem ist es möglich,
     nen Quellen beigesteuert: der kommunalen                Körper und Geist zu trainieren und aktiv zu sein.
     ­Verwaltung, Partnerorganisationen, Anbieten-           Man kann bis ins hohe Alter etwas Neues lernen.
      den, Sponsorinnen und Sponsoren, Kantonen              Auch die eigenen Einstellungen können sich wan-
      oder Stiftungen.                                       deln, man findet möglicherweise mehr Gelassen-
• Von Anfang an partizipativ arbeiten: Um die viel-          heit. Lebendige soziale Kontakte im Familien- oder
  fältigen Ressourcen der Gemeinde optimal zu                Freundeskreis bereichern das Leben. Die Lebens­
  nutzen, ist von Anfang an auf eine p   ­ artizipative      erfahrung wird geschätzt, man ist auch für andere

                     «Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Im Alter darf man sich nach Schick­sals­
                     schlägen nicht gehen lassen. Mir hilft mein gesellschaftliches Engagement, zum
                     Beispiel als Kursleiterin für das Gedächtnis­training oder in den partizipativen
                     ­Forschungsaktivitäten des SeniorLab. Meine Aktivitäten tragen mich über schwierige
                      Zeiten, stimulieren mich und machen mir Freude.»
                     Gudrun Chable, wohnhaft in Lausanne, pen­sionierte Kinderkrankenschwester, ehemals Präsidentin
                     Migros Genossenschafterinnenbund / «Forum elle» Waadt, heute unter anderem Kursleiterin in der
                     Gesundheits­förderung im Alter und aktiv bei SeniorLab
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 17

                   «Ich will mein Alter gestalten und nicht bloss bewältigen!»
                   Marianne de Mestral, wohnhaft in Männedorf (ZH), früher in der Beratung und Bildungsarbeit
                   für Erwerbslose tätig, langjähriges Engagement im Seniorenrat, seit 2013 Co-Präsidentin von SP60+

da und sozial integriert. Es besteht auch die Mög-           ligenarbeit leistet, ist in der Altersgruppe der 65- bis
lichkeit, sich freiwillig zu engagieren und sich damit       74-Jährigen mit über 53 Prozent am höchsten [10].
weiterhin aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft           Um ein realistisches und differenziertes Bild des
zu beteiligen und einen wertvollen Beitrag zu leis-          Alters als Lebensphase zu zeichnen, gilt es,
                                                             ­
ten» [51].                                                   diese Leistungen und Beiträge älterer Menschen
                                                             sichtbar zu machen und in der Kommunikation zu
Ältere Menschen – eine Ressource                             berücksichtigen.
für die G
        ­ esellschaft
Engagierte ältere Menschen sind eine wertvolle Res-          Soziale Teilhabe im Alter fördern
source in Gemeinden. ­Viele ältere Menschen bringen          Bei der sozialen Teilhabe geht es um die «Integra­
sich heute in ihrer Wohngemeinde ein und engagie-            tion von älteren Menschen in sozialen Netzwerken
ren sich mit Kom­petenz, Wissen und Erfahrung. Sie           von Familien und Freunden sowie ihre Integration in
leisten unverzichtbare soziale und ökonomische Bei-          die Gemeinschaft, in der sie leben, und in die Gesell-
träge an die ­Gesellschaft, indem sie Bekannte, Nach-        schaft als Ganzes» [18]. Die soziale Teilhabe ermög-
barinnen und Nachbarn unterstützen, Angehörige               licht damit soziale Unterstützung, die eine zentrale
betreuen, sich freiwillig engagieren, Mentorinnen            Ressource für die psychische Gesundheit ist [53].
und Mentoren für jüngere Menschen sind, oder tra-
gen als Arbeitende, Konsumentinnen und Konsu-                  PRAXISTIPP
menten zur Volkswirtschaft bei [1].                           Die soziale Teilhabe in den ­Gemeinden fördern
So wird zum Beispiel in der Altersklasse der 65- bis          Soziale Teilhabe kann auf vielfältige Weise ge­
84-Jährigen mehr als doppelt so häufig informelle             fördert werden, zum Beispiel durch Treffpunkte
Hilfe geleistet als empfangen. Im Jahr 2016 leiste-           oder Tavolatas, Gruppenkurse, gemeinsame
ten betreuende Angehörige, viele selbst im dritten            ­Ausflüge, die Unterstützung durch Besucher-
oder vierten Lebensalter, in der Schweiz insgesamt             oder Fahrdienste oder intergenerative Ange-
80 Millionen Stunden unbezahlte Arbeit für die Be-             bote. Ein Planungs­leitfaden von Gesundheitsför-
treuung und Pflege von nahestehenden Personen,                 derung Schweiz zeigt Schritt für Schritt auf,
mit einem geschätzten Geldwert von 3,7 Milliarden              wie Gemeinden vorgehen können, um die soziale
Franken pro Jahr [52].                                         Teilhabe von älteren Menschen zu fördern.
Auch in der Freiwilligenarbeit sind die älteren Men-           Das ­vorgeschlagene Vorgehen basiert auf Praxis­
schen nicht wegzudenken. Der Anteil der Bevölke-               erfahrungen in den ­Kantonen, und es werden
rung, der institutionalisierte oder informelle Freiwil-        Erfolgsfaktoren genannt.
18   Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich

                     «Als Akteur der Gesundheitsförderung bestimme ich auch,
                     wie ich selbst älter werde.»
                     Hans Peter Graf, wohnhaft in Genf, pensio­nierter Gerontologe, aktiv als Vorstands-
                     und Stiftungsratsmitglied mehrerer Alters­organisationen

Partizipation der älteren Menschen in der                         PRAXISTIPP
­Gesundheitsförderung                                             Die Partizipation von älteren Menschen
 Gesundheitsförderliche Angebote werden dann von                  in den Angeboten fördern
 älteren Menschen genutzt, wenn sie ihren Bedürf-                 Die Erfahrung zeigt, dass viele ältere Menschen
 nissen entsprechen und für sie attraktiv gestaltet               Lust haben, sich zu beteiligen, und bereit sind,
 sind. Wer könnte besser wissen, wo die Bedürfnisse               mitzuwirken. Echte Partizipation in Programmen
 liegen und was ankommt, als die älteren Menschen                 und A  ­ ngeboten bedeutet Mitwirkung und Mit­
 selbst? Heute geht es nicht darum, Gesundheits­                  bestimmung. Vielerorts organisieren sich ältere
 förderung für ältere Menschen zu machen, sondern                 Menschen in Seniorinnen- und S      ­ eniorenräten,
 mit ihnen. So entfalten die investierten Mittel die              Netzwerken oder alterspolitischen Gruppierun-
 grösste Wirkung.                                                 gen und leisten damit e   ­ inen Beitrag zur Förde-
 Vielerorts gestalten ältere Menschen Angebote zur                rung der Gesundheit im Alter. Be­währte Möglich-
 Gesundheitsförderung bereits aktiv mit. Engagierte               keiten, um die Mitwirkung älterer Menschen zu
 ältere Menschen und Seniorinnen- und Senioren-                   fördern, sind zum B  ­ eispiel [54]:
 gruppen sind Schlüsselakteure in der Konzeption,                 • Zukunftswerkstatt/-kaffi für die ältere Be­
 Umsetzung und Evaluation der Gesundheitsförde-                     völkerung zur Klärung der Bedürfnisse und die
 rung im Alter. Die Erfahrungen und Einsichten                      Ansprache von interessierten Personen
 von älteren Menschen stellen eine unverzichtbare                 • Runde Tische oder regionale Foren mit älteren
 Expertise dar, die diejenige der Fachleute ergänzt.                 Menschen zur partizipativen Weiterentwick-
 Als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sind sie                 lung von Massnahmen
 wichtige Partnerinnen und Partner für die Umset-                 • Begleit- oder Steuergruppe für die Gesund-
 zung von kommunalen alterspolitischen Zielen und                   heitsförderung im Alter mit einer starken
 Massnahmen.                                                        ­Vertretung älterer Menschen
                                                                  • Dorf- und Quartiersspaziergang und Bege-
                                                                     hungen mit älteren Menschen, um ihre Sicht
                                                                     in die strukturelle Gesundheitsförderung
                                                                     ­einfliessen zu lassen
                                                                  • Förderung und Unterstützung der Freiwilli-
                                                                      genarbeit und von sorgenden Gemeinschaften
                                                                  • Öffentliche Würdigung und Anerkennung
                                                                      der ehrenamtlich Tätigen und der betreuenden
                                                                      Angehörigen

                                                                  Weiterführende Informationen zur Partizipation
                                                                  finden Sie im Arbeitspapier 48 «Partizipation in
                                                                  der Gesundheitsförderung».
Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich 19

                  «Es braucht wiederholte Begegnungen zwischen den Generationen, um das
                  ­Verständnis füreinander zu vertiefen, um tragfähige Beziehungen und Interesse
                   aneinander zu fördern. Wenn man intergenerativen Ansätzen die nötige Zeit
                   und Sorge gibt, dann kann eine unglaub­liche Dynamik entstehen, die beiden Seiten
                   zugutekommt.»
                  Dr. Anne-Claude Juillerat Van der Linden, Psychologin mit Spezialisierung in ­Neuropsychologie,
                  ­Dozentin und Präsidentin Association VIVA

 Begegnung zwischen den Generationen                        (Strassen und Pärke), soziale Einrichtungen, ziel-
 Teilhabe an der Gesellschaft umfasst neben der             gruppengerechte Freizeit- und Bildungsangebote,
 Chance, sich und seine Kompetenzen einzubringen,           verlässliche Bezugspersonen im Umfeld (Nachbar-
 insbesondere auch soziale Beziehungen zu seinen            schaftshilfe), Pflegesysteme und soziale Werte be-
 Mitmenschen. Damit sind Kontakte zu Gleichaltrigen         treffen.
 sowie Begegnungen und Solidarität zwischen den
­Generationen gemeint.                                           PRAXISTIPP
 Generationenverbindende Ansätze, insbesondere                 Verhältnisse schaffen, die ein gesundes
 Angebote, welche ältere Menschen mit Kindern und             ­Verhalten fördern
 Jugendlichen zusammenbringen, wirken als Brü-                 Durch strukturelle Massnahmen im Umfeld
 cken und fördern die Generationensolidarität. Sie             ­älterer Menschen kann ihr Aktionsradius
 bieten oft eine ideale Plattform, um verschiedene              ­vergrössert und ihre Autonomie gestärkt wer-
 Themen aus den Bereichen der psychischen und der                den. So laden zum Beispiel Gehwege erst
 körperlichen Gesundheit miteinander zu verbinden.               dann zum Zufussgehen ein, wenn sie attraktiv
                                                                 gestaltet sind und über Sitzbänke verfügen.
                                                                 Kleine Abstände zwischen Zebrastreifen – im
2.3	Gesundheitsförderliche Lebens-                              Idealfall mit Inseln in der Mitte – vermitteln
     bedingungen schaffen (Handlungsfeld 3)                      ein Gefühl von Sicherheit und erlauben es, mobil
                                                                 zu bleiben.
              Autonomie und Lebensqualität im Alter              Eine Umgebung, die Bewegung und Begegnung
              lassen sich nicht nur über die Stärkung            fördert, sowie neue Wohnformen oder Mög­
              der persönlichen Ressourcen älterer                lichkeiten der Mitwirkung im Gemeinwesen er­
              Menschen fördern (Handlungsfeld 4).                möglichen es älteren Menschen, am sozialen
Damit ein selbstständiges Leben auch mit begin­                  Leben teilzunehmen.
nenden oder fortgeschrittenen Einschränkungen                    Mittagstische sind auf die kostenfreie Benutzung
möglich bleibt, braucht es äussere Lebensbedingun-               von öffentlichen Räumlichkeiten angewiesen
gen, die gesundheitsförderlich und altersgerecht ge-             und werden besser besucht, wenn sie Menschen
staltet sind. Massnahmen zu den Lebensbedingun-                  verschiedener Generationen am gleichen Tisch
gen können unter anderem die Bereiche öffentlicher               zusammenführen.
Verkehr, Wohnen, soziale Absicherung, Städtebau

                  «Alter heisst: mitdenken – mitgestalten – bewegen – hinterfragen – wagen!»
                  Josef Senn, wohnhaft in Chur, pensionierter Lehrer, ehemaliger Grossrat und Mitglied
                  des Bündner und des Schweizer Seniorenrats
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