Agrarpolitischer Blick über die Grenzen - Kleinbauern ...
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03 August 2016 MAGAZIN FÜR BAUERN & KONSUMENTINNEN AKTUELL Agrarpolitischer Blick über die Grenzen AGRARSUBVENTIONEN GESTERN UND HEUTE PFLANZENZÜCHTUNG Einblicke in verschiedene Interview mit Agrar- Neue Gentechnik- Länder und Systeme historiker Peter Moser Verfahren regulieren S. 3–9 S. 10 –11 S. 12–13 oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 1 25.07.16 10:09
EDITORIAL Über den Tellerrand hinausschauen W ussten Sie, dass ein Durchschnittsbauernhof in der EU rund sechs Hektaren kleiner ist als in der Schweiz? Oder dass in den USA nur gerade ein Prozent aller Betriebe biolo- auswirken und warum wir uns heute – sinnbildlich auch durch die vier hängigen Volksinitiativen – wieder vor einer wichtigen, zukunftsweisenden Weichenstellung befinden. gisch produziert? Hätten Sie es für möglich gehalten, dass ein Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre mit vielen Denk- Land 90 Prozent seiner gewonnenen Milch exportiert? Diese anstössen. Patricia Mariani und weitere spannende Fakten haben wir in unserer neusten Ökologo-Ausgabe, die Sie hier in den Händen halten, recher- chiert und zusammengestellt. Egal ob ennet der Grenze in Deutschland oder am anderen Anteil Unterstützung am Bruttoeinkommen der Bauern in % Ende der Welt in Neuseeland – alle hier vorgestellten Agrar- systeme versuchen den jeweiligen geografischen, wirtschaftli- 60 chen und politischen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. 50 Doch sie haben allesamt ihre Tücken, denn eine Ideallösung hat bisher noch niemand gefunden. Die Erweiterung des agrar- 40 politischen Horizonts schärft dabei nicht nur unser Bewusst- 30 sein für globale Zusammenhänge, sondern hilft auch, von den Fehlentwicklungen in anderen Ländern zu lernen, die Vorzüge 20 des eigenen Systems mehr zu schätzen oder auch einzelne 10 Aspekte kritischer zu hinterfragen. Vergleicht man die verschiedenen Länder miteinander, so sticht 0 Neuseeland vor allem eine Tatsache ins Auge: Die Schweiz weist weltweit ge- Norwegen Australien sehen die am stärksten staatlich gestützte Landwirtschaft auf Brasilien Schweiz Kanada Mexiko EU (28) Türkei Island Japan China (siehe Grafik). Im Interview mit Agrarhistoriker Peter Moser lesen Korea Israel Chile USA Sie, wie sich die einzelnen Aspekte dieser Agrarsubventionen INHALTSVERZEICHNIS KLEINBAUERN- Nr. 3/2016 WARENVERSAND IMPRESSUM AGRARSUBVENTIONEN Fair und ökologisch einkaufen Auflage: 22’000 Expl., erscheint 4x jährlich Politik in der Sackgasse? 3 Geniessen Sie die neuen und altbewährten Produkte aus Mitgliedschaft/Abo/Spende 2016: EINBLICK IN DIE SCHWEIZ dem Kleinbauern-Warenversand ● Mitgliedschaft (inkl. Abo) CHF 30.– Fläche und Öko-Leistungen 4–5 oder bereiten Sie damit anderen ● Familienmitgliedschaft (inkl. Abo) CHF 50.– eine Freude. 15–20 ● Ökologo-Abo CHF 30.– Herzlichen Dank für Ihre Spende! DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH Unser Postkonto: 46-4641-0 Europa – alle gleich und Kleinbauern Warenversand Herausgeber/Redaktion: trotzdem verschieden 6–7 c/o gebana AG Kleinbauern-Vereinigung Ausstellungsstrasse 21 (Schweiz. Vereinigung zum Schutz der SYSTEM IN DEN USA 8005 Zürich kleinen und mittleren Bauern) Rundum versichert 8 www.kleinbauern.ch Postfach, 3001 Bern, Tel. 031/312 64 00, Tel. 044/500 32 03 info@kleinbauern.ch NEUSEELAND Grafik: Paradebeispiel in Bedrängnis 9 id-k Kommunikationsdesign, Bern Priska Neuenschwander, Fällanden INTERVIEW Jetzt Adressverwaltung: Agrarpolitik im Wandel 10–11 tellen! Kleinbauern-Vereinigung, Postfach, vo es r b 3001 Bern, Tel. 031/312 64 00, PFLANZENZÜCHTUNG info@kleinbauern.ch Neue Gentechnik-Verfahren 12–13 Druck & Versand: Neidhart + Schön AG, Zürich FOTOS: GEBANA AG FSC-Mix QUERBEET M+C Mail GmbH, Rickenbach SQS-COC-100141 Monsanto Tribunal, O Sole Bio 14 Foto Titelbild: Séverine Curiger 2 ökologo 3 / 2016 www.kleinbauern.ch oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 2 25.07.16 10:09
LANDWIRTSCHAFT GLOBAL Landwirtschaftspolitik in der Sackgasse? Der Ländervergleich auf den nachfolgenden Seiten zeigt, dass die Landwirtschaft ohne Agrar- stützungen weltweit eine ganz andere wäre. Dabei sieht die staatliche Unterstützung von Land zu Land ganz verschieden aus. Ob Agrarversicherungen, Direktzahlungen oder gar keine staat- liche Hilfe: alle Systeme haben ihre Tücken. E in Ländervergleich zeigt, dass sehr viele Länder ihre Land- wirtschaft unterstützen und schützen – sowohl die Industrie- staaten als auch Schwellenländer. Das zum Nachteil der ärms- wussten Umgang mit den natürlichen Ressourcen und gibt den Bürgerinnen und Bürger eine Mitbestimmungsmöglich- keit. Das ist weltweit einzigartig. Bäuerinnen und Bauern haben ten Länder, denen die finanziellen Mittel dazu fehlen. Bis vor dadurch auch unter erschwerten Bedingungen, z.B. im Berg- wenigen Jahren verbilligten Staaten in Europa und Nordameri- gebiet, eine Chance zu existieren. Trotzdem sind viele Bauern ka Lebensmittel mit Ausfuhrsubventionen und überschwemm- nicht einfach zufrieden mit der doch sehr grossen Abhängigkeit ten die Märkte von Entwicklungsländern in Afrika, Asien und und Bürokratie, die ein solches System mit sich bringt. Sie ar- Südamerika. Die lokalen Produzenten wurden preislich unter- rangieren sich jedoch damit. Ein Blick in die Vergangenheit mit boten und blieben auf ihren Waren sitzen. Nun sind Exportsub- dem Agrarhistoriker Peter Moser auf den Seiten 10–11 zeigt, ventionen international verboten und müssen bis Ende 2020 dass die Landwirtschaft den Spagat zwischen Bewahren und ganz abgeschafft werden. Die massiven Agrarexporte zerstören Verändern schon seit Langem lebt. Die neue Agrarpolitik seit aber weiterhin kleinbäuerliche Einkommen. Die europäischen 2014 und die aktuell zahlreichen Initiativen zur Landwirtschaft und amerikanischen Bauern können billiger Lebensmittel her- zeugen ausserdem von der lebendigen Diskussion rund um stellen, da sie Unterstützungsgelder vom Staat erhalten und die Ausrichtung der Schweizer Landwirtschaft. nicht alle Kosten und Produktionsrisiken mit dem Verkauf der Barbara Küttel Produkte decken müssen. Im Gegenzug sind für Bauern aus Entwicklungsländer Exporte nach Europa oder Amerika schwer zu realisieren. Produkteanforderungen, Zölle und mangelnde Übersicht der porträtierten Länder Infrastruktur erschweren Exporte in die Industriestaaten. Land Ø Betriebs- Spezielles/Ausrichtung der Schutz nötig? grösse in ha der Landwirtschaft Die Frage, ob ein solcher Schutz und Landwirtschaftsförde- Schweiz 20 ● weltweit am stärksten unter- rung in verhältnismässig wohlhabenden Ländern Sinn macht, stützt ist angesichts der Auswirkungen auf Entwicklungsländer be- ● Geld für Flächen und ökologi- rechtigt. Doch wie genau wird die Landwirtschaft überhaupt sche Leistungen gefördert? Und welche Vor- und Nachteile haben die einzel- nen Fördersysteme? Auf den nachfolgenden Seiten wird die EU 14 ● gemeinsame Agrarpolitik für staatliche Unterstützung in der Schweiz, der EU mit Fokus auf alle Staaten Deutschland und Österreich, den USA und Neuseeland ver- ● Strukturunterschiede zwischen glichen (siehe Tabelle). Neuseeland als Beispiel eines Staates den Ländern ohne Agrarstützung zeigt, dass eine Landwirtschaft ohne öf- Deutschland 58 ● höhere Zahlungen für erste fentliche Gelder eben auch ihre Tücken hat. Nach einigen Jah- Hektaren ren Freihandel zeigen sich negative Auswirkungen im neusee- ● keine Obergrenze ländischen Ökosystem und die wirtschaftlichen Risiken dieser Strategie. Österreich 20 ● Strukturen ähnlich wie in der Die Frage, ob die Landwirtschaftspolitik weltweit in einer Schweiz ● Obergrenze bei 150’000 Euro Sackgasse steckt, ist berechtigt. Grundlegende Veränderungen Basisprämie zu fordern, mag richtig sein, grössere Sprünge sind politisch aber schlichtweg eine Utopie. Die Diskussion und Suche in der USA 180 ● Produktion steht im Fokus Gesellschaft nach einer zukunftsfähigen Landwirtschaft ist ● nur Ernte- und Preisabsicherung wichtig und richtig. FOTOS: GEBANA AG Neuseeland 232 ● exportorientiert, abhängig vom Weltmarkt Schweizer System fällt nicht ab ● fast keine staatliche Unterstüt- Die Agrarpolitik in der Schweiz ist vergleichsweise teuer. Das zung Schweizer Direktzahlungssystem ermöglicht jedoch einen be- www.kleinbauern.ch ökologo 3 / 2016 3 oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 3 25.07.16 10:09
SCHWEIZ Direktzahlungen statt Kontingente Tierhaltung und Ackerbau sind die beiden Pfeiler der Schweizer Landwirtschaft. Bis 1990 unter- stützte der Staat die Bauernfamilien durch gesicherte Preise und Mengensteuerungen. Milchseen, Fleischberge und grosse Umweltprobleme waren die Folgen. In den 90er Jahren folgte der dringende und von der Bevölkerung unterstützte Wechsel zu den ökologischen Direktzahlungen. Heute hat die Schweiz die weltweit meistunterstützte Landwirtschaft, aber längst nicht alle Probleme sind gelöst. A uf den ersten Blick ist die Landwirtschaftsfläche in der Schweiz einfach grün. Dieser Schein trügt nicht, denn mehr als zwei Drittel der genutzten Fläche ist Grünland, also Wiesen Agrarreform Die staatliche Unterstützung der Schweizer Bauernfamilien hat sich in den letzten 25 Jahren stark verändert. Vor den 90er Jah- und Weiden. Das so gewonnene Grünfutter wird von den rund ren war das primäre Ziel der Agrarpolitik die Sicherung eines 1,5 Millionen gehaltenen Rindern zu Milch und Fleisch vere- landwirtschaftlichen Einkommens, welches vergleichbar war mit delt. Viele Bauernfamilien setzen auf die Nutztierhaltung und dem Rest der Bevölkerung. Dazu wurden den Bauern «kosten- nur wenige Betriebe arbeiten komplett viehlos. Denn neben den deckende Preise» versprochen und die Produzentenpreise von Rindern leben auf Schweizer Bauernhöfen noch 1,5 Millionen Milch und Getreide massiv gestützt. Diese künstlich hohen Prei- Schweine, zehn Millionen Hühner, zehntausende Pferde und se verleiteten die Bauern zu Produktionssteigerungen. Milch- Ziegen sowie hunderttausende Schafe. Mit dieser tierischen Pro- seen, Butterberge und volle Getreidesilos waren die Folgen, der duktion und den erforderlichen Grasflächen prägen die rund Staat versuchte mit Überschussverwertung und Mengenkon- 54’000 Bauernhöfe das Landschaftsbild der Schweiz massgeb- tingentierung dagegen anzukämpfen. Die Kluft zwischen Ange- lich mit. Auf dem Ackerland wächst am häufigsten Weizen und bot und Nachfrage wuchs jedoch immer stärker und die enor- Gerste. Daneben werden weitere Getreidearten, Kartoffeln, Rü- men Ausgaben belasteten die Bundeskasse zunehmend, eine ben und Raps angepflanzt. Die Getreidefläche schrumpft jedoch Reform wurde nötig. National- und Ständerat brachten 1992 seit Jahren, zwischen 1996 und 2012 nahm sie beispielsweise den Systemwechsel ins Rollen und führten produktionsunab- um einen Viertel ab. Gleichzeitig wurde 2012 erstmals mehr als hängige Zahlungen ein. Die Idee dahinter war klar: weg von vier Milliarden Kilogramm Milch gemolken. Dieser Trend hält der Preis- und Mengensteuerung, hin zu mehr Markt und Öko- an; die Getreidefläche wird weniger, während die Milchmenge logie. Das bäuerliche Einkommen sollte nicht mehr mit künst- steigt. Obwohl die Landwirtschaft jährlich Lebensmittel im lich hohen Preisen gestützt werden, ausbezahlt wurden nun Wert von über 4,7 Milliarden Franken herstellt, ist ihr Anteil am neuerdings Direktzahlungen: Beiträge für gemeinwirtschaftliche Bruttoinlandprodukt im Vergleich zum Industrie- und Dienst- und ökologische Leistungen. Die Agrarreform war lanciert, 1996 leistungssektor gering und beträgt weniger als ein Prozent. erhielt die Landwirtschaft einen neuen Verfassungsartikel. 4 ökologo 3 / 2016 www.kleinbauern.ch oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 4 25.07.16 10:09
zahlungen. Somit werden verschiedene Instrumente zur Vertei- lung der staatlichen Gelder eingesetzt, die meisten ohne direkte Wirkung auf Preis und Menge. Eine Ausnahme mit Preissteue- rung ist das «Schoggi-Gesetz» aus dem Jahr 1974, welches die Ein- und Ausfuhren von verarbeiteten Lebensmitteln regelt. Beim Import werden die Produkte mit Zöllen verteuert, damit sie den inländischen Preisen entsprechen. Werden Produkte mit Milch oder Getreide in der Schweiz produziert und anschlies- send exportiert, zahlt der Bund den Mehrpreis der einheimi- schen Grundstoffe und verbilligt damit das Endprodukt auf das ausländische Preisniveau. Somit zahlt der Bund beispielsweise einen Beitrag an die Milch in exportierter «Schweizer Milch- schokolade» an die Verarbeitungsbetriebe. Für 2015 wurde das Budget für das «Schoggi-Gesetz» gar noch um 15 Millionen ausgeweitet. Insgesamt wurden 95 Millionen Franken an die Industrie ausbezahlt. Da solche Exportsubventionen von Agrar- produkten nach internationalen Handelsrichtlinien verboten sind, muss die Schweiz nun handeln und diese Zahlungen bis Ende 2020 einstellen, respektive anders gestalten. Im Moment Art. 104 BV sind erst wenige Nachfolgevorschläge vom Bund und den Direktzahlungen Sichere Versorgung Branchenverbänden auf dem Tisch. Konzept Pflege der Kulturlandschaft Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen Dezentrale Besiedlung des Landes Förderung besonders naturnaher, umwelt- und 2,8 Milliarden für alle tierfreundlicher Produktionsformen Der grösste Teil des Agrarbudgets wird für die Direktzahlungen verwendet, der Bund zahlt jährlich rund 2,8 Milliarden Franken Übergangsbeiträge direkt an die Betriebe. Die Direktzahlungen sind in verschiede- ➜ Sicherstellung einer sozialverträglichen Entwicklung ne Kategorien eingeteilt, als Basis wird pro Hektar Land eine Versorgungssicherheitsbeiträge ➜ Offenhaltung durch flächen- Prämie ausgezahlt. Dazu kommen Beiträge für die Bewirtschaf- deckende Bewirtschaftung Landschaftsqualitätsbeiträge ➜ Förderung der Sömmerung ➜ Erhaltung und Förderung Produktionssystembeiträge vielfältiger Landschaften ➜ Förderung Ackerbau und der Arten- und Lebens- tung von Hängen und steilen Flächen. Besonders ökologische und Weiterentwicklung Kulturlandschaftsbeiträge ➜ Erhaltung Produktions- wichtige Einzelkulturen ➜ Ausgleich Erschwernis ➜ Ausgleich Erschwernis ➜ Erhaltung, Förderung ➜ Förderung besonders naturnaher, umwelt- und tierfreundlicher oder tierfreundliche Produktionssysteme sowie Flächen mit be- Biodiversitätsbeiträge Produktionsformen sonderer Biodiversität werden entlöhnt (siehe Konzept Direkt- raumvielfalt zahlungen). Im Schnitt erhält ein Betrieb 65’000 Franken Direkt- kapazität zahlungen pro Jahr, je nach Betriebsgrösse und Teilnahme an Ökoprogrammen können die Zahlungen höher oder tiefer aus- fallen. Die meisten Beiträge werden nach Fläche ausbezahlt, QUELLE: BLW Ökologischer Leistungsnachweis ÖLN und Ressourceneffizienzbeiträge grosse Betriebe mit viel Land sind also im Vorteil. Mit der Agrar- ➜ nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen politik 2014–2017 wurden verschiedene Obergrenzen für Direkt- Strukturelle und soziale Eintretens- und Begrenzungskriterien zahlungen abgeschafft oder geschwächt, somit profitieren diese Betriebe gleich doppelt. Multifunktionalität in der Verfassung Agrarpolitik im Wandel Auf der obersten Stufe des Schweizer Rechts sind nun seit Welche Richtung soll nun die schweizerische Agrarpolitik ein- 1996 die Aufgaben der Landwirtschaft und die Grundlagen der schlagen? Darüber wird heftig gestritten und kann in Kürze so- Direktzahlungen festgehalten. Der Verfassungsartikel wurde gar an der Urne entschieden werden. Klar ist: Die Schweizer mit gut 77% Ja-Stimmen angenommen. Die Hauptziele des Ar- Bevölkerung steht (noch?) hinter ihren Bauern und unterstützt tikels sind Versorgung der Bevölkerung, Erhaltung der natürli- staatliche Unterstützungsgelder. Besonders wichtig sind ihnen, chen Lebensgrundlagen, dezentrale Besiedlung und Förderung laut Befragungen, die tierfreundliche Haltung und eine umwelt- von naturnahen, umwelt- und tierfreundlichen Produktions- freundliche Bewirtschaftung. Somit ist das Ziel einer zukünftigen formen. Die Direktzahlungen sollen das bäuerliche Einkommen Agrarpolitik, ökologische Leistungen noch besser abzugelten angemessen ergänzen und die multifunktionalen Aufgaben und Ressourcen zu schonen. Gerade der Boden muss auch für der Landwirtschaft abgelten. Als Bedingung für die Auszahlung folgende Generationen fruchtbar erhalten bleiben. Wichtig für müssen die Betriebe den ökologischen Leistungsnachweis ÖLN den Erhalt der Unterstützung der Bevölkerung ist die Wieder- erbringen. Dazu müssen sie sich an das Tierschutzgesetz halten, einführung einer Obergrenze. Damit werden imageschädigende eine geregelte Fruchtfolge aufweisen und den Boden schonen Exzesse nach oben und flächenhamsternde Grossbetriebe ver- und schützen. Die genauen Anforderungen und die Höhe der hindert. Daneben stehen weitere Herausforderungen wie eine Zahlungen regelt die Direktzahlungsverordnung, welche alle mögliche Liberalisierung des Agrarmarktes im Raum. Teilweise vier Jahre überarbeitet wird. ist dies bereits Realität, wie der freie Käsehandel mit der EU zeigt. Wie und wann sich die Schweizer Landwirtschaft einem FOTO: SÉVERINE CURIGER Unterstützung heute offenen Agrarhandel stellen muss, weiss man heute nicht. Klar Die Schweizer Landwirtschaft wurde letztes Jahr mit insgesamt ist: In der Schweiz mit den kleinräumigen Strukturen und den 3,6 Milliarden Franken unterstützt, etwa 5% der totalen Bundes- hohen Lohnkosten kann nicht zu Weltmarktpreisen produziert ausgaben. Darin enthalten sind Kosten für Verwaltung und Kon- werden. Deshalb sind Qualitätsstrategien und eine passende trolle, Produktions- und Absatzfördergelder sowie die Direkt- Agrarpolitik gefragt. Dora Fuhrer www.kleinbauern.ch ökologo 3 / 2016 5 oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 5 25.07.16 10:09
DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH Europa – alle gleich und trotzdem verschieden Die Agrarpolitik der EU legt grundsätzliche Regeln für alle Mitgliedstaaten fest, in der Umsetzung unterscheiden sich die Länder aber wesentlich. Insgesamt gibt es 12 Millionen EU-Landwirtschafts- betriebe mit durchschnittlich 14 Hektaren Fläche. I n den Mitgliedstaaten der Europäischen Union EU wirtschaf- ten 12 Millionen Betriebe. Zusammen besitzen diese rund 172 Millionen Hektaren und nutzen zwei Drittel davon für den Acker- vorhanden. Das Grundkonzept der geltenden GAP besteht aus zwei Säulen: erstens den Direktzahlungen, welche 80% der Ausgaben umfassen, und zweitens den Programmen zur Ent- bau. In der Schweiz ist das Verhältnis von Acker- zu Grünland wicklung des ländlichen Raums. Aus der zweiten Säule werden mit einem zu zwei Dritteln gerade umgekehrt. Im Durchschnitt Projekte zur Schaffung von Arbeit und Beschäftigung im länd- besitzt ein europäischer Bauer 14 Hektaren Land, in der Schweiz lichen Raum bezahlt, sowie Kultur- und Umweltbestrebungen sind es 19 Hektaren. Die Unterschiede zwischen den Mitglied- gefördert. Die GAP wird ausschliesslich aus dem EU Haushalt staaten sind jedoch gewaltig. Während beispielsweise ein mitt- finanziert, in welchen die Mitgliedstaaten regelmässig einzah- lerer Betrieb in Tschechien eine Fläche von mehr als 150 Hekta- len. Das Budget für die Landwirtschaftsausgaben beträgt jähr- ren besitzt, ist die durchschnittliche Betriebsgrösse in Rumänien lich rund 58 Milliarden Euro (etwa 64 Mrd. Franken). kleiner als 4 Hektaren. Im internationalen Agrarhandel spielt die EU eine wichtige Rolle, denn ihre Mitgliedstaaten exportie- Zahlungen an Bauern ren und importieren gemeinsam am meisten Lebensmittel. Die Direktzahlungen sind aufgeteilt in flächenbezogene und ökologische Zahlungen. Zwei Drittel des Budgets werden als Gemeinsame Agrarpolitik Basisprämie auf die Fläche bezahlt, der Rest als Entschädigun- Die EU legt ihre Agrarsubventionen mit Regeln in der «Gemein- gen für ökologische Leistungen. In der Schweiz hingegen wer- samen Agrarpolitik» (GAP) für alle Mitgliedstaaten fest. Die zen- den nur knapp 40% der Direktzahlungen als Flächenbeiträge tral gesteuerte Politik führt zu gemeinsamen Vorschriften in ausgezahlt. Die Basiszahlungen in der EU können ab 150’000 einem einheitlichen Binnenmarkt und stärkt die Verhandlungs- Euro pro Betrieb um mindestens 5% gekürzt werden. Alternativ position gegenüber Aussen. So gelten für alle Mitglieder diesel- können sich die Länder für eine Umverteilung entscheiden und ben Regeln, aber für die genaue Ausgestaltung ist Spielraum für die ersten 30 Hektaren (oder bis zur Durchschnittsgrösse) FOTO: 6 ökologo 3 / 2016 www.kleinbauern.ch oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 6 25.07.16 10:09
mehr bezahlen. Junge Bäuerinnen und Bauern unter 40 Jahren schaftet, die grösser als 1’000 Hektaren sind. Diese Ländereien erhalten in den ersten fünf Jahren nach Betriebsübernahme sind nicht mehr in bäuerlicher Hand, sondern gehören börsen- höhere Direktzahlungen. Um Gelder für Ökoleistungen zu erhal- kotierten Agrarkonzernen. Die Bodenpreise sind in ungeahnte ten, muss ein Betrieb drei Voraussetzungen erfüllen: verschie- Höhen gestiegen und Landwirtschaftsland wird zum Speku- dene Kulturen anbauen, bestehendes Grünland schützen und lationsobjekt. Unternehmen hamstern Land und vertreiben mit mindestens 5% der Ackerfläche mit Hecken, stickstoffbindenden ihrer industriellen Produktion die letzten ansässigen Kleinbe- Pflanzen oder anderen Landschaftselementen aufwerten. Im triebe. Kritiker ziehen bereits Vergleiche zu Entwicklungen in Vergleich zur Schweiz sind die Instrumente zur Förderung eines Afrika und reden von «Landgrabbing» der Grosskonzerne. ökologischen und ressourcenschonenden Anbaus erst spärlich Grossbetriebe geführt von Konzernen sind im restlichen Land vorhanden. eher selten und die Durchschnittsgrösse, ohne die ostdeut- schen Betriebe, liegt bei 42 Hektaren. Keine Grenzen nach Oben In Deutschland werden rund 280 Euro Direktzahlungen pro Kleinstrukturiert (fast) wie in der Schweiz Hektare ausgezahlt, somit erhält ein durchschnittlicher Betrieb Im Gegensatz zum Grossteil der EU liegt der Fokus der öster- rund 14’280 Euro (etwa 15’550 Franken) staatliche Fördergel- reichischen Landwirtschaft nicht auf dem Ackerbau, sondern der im Jahr. Deutschland setzt auf die Umverteilung der Basis- auf der Nutztierhaltung. Die Mehrheit der 150’000 Betriebe prämie anstelle einer Obergrenze. Nach dem EU-Recht kann produziert Milch oder Fleisch, deshalb wird mehr als die Hälfte bis ein Drittel des Direktzahlungsbudgets eines Landes für diese der Fläche als Grünland genutzt. Die mittlere Betriebsgrösse Förderzahlungen der ersten Hektaren eingesetzt werden, in liegt knapp unter 20 Hektaren und jeder dritte Betrieb befindet Deutschland wären theoretisch Zusatzzahlungen von rund 180 sich im Berggebiet. Diese Agrarstruktur ähnelt den Verhältnis- Euro für die ersten 46 Hektaren möglich. Tatsächlich ausbezahlt sen in der Schweiz. Nur der Bio-Anteil liegt noch etwas höher, werden 50 Euro/ha für die ersten 30 Hektaren und 30 Euro/ha rund 20% der Fläche wird biologisch bewirtschaftet. bis zur 46. Hektare. Deshalb monieren Kritiker, die Umvertei- lungsprämie sei zu tief angesetzt und werde nur ausbezahlt, Ein Drittel mit weniger als 5’000 Euro damit die Obergrenze nicht eingeführt werden muss. Von einer Die durchschnittlichen Zahlungen pro Fläche sind in Österreich Obergrenze der Basisprämie bei 150’000 Euro wären Betriebe fast doppelt so hoch wie in Deutschland und liegen bei rund mit mehr als 850 Hektaren betroffen, also Grossbetriebe mit 600 Euro/ha. Wegen der kleineren Strukturen sind die durch- viel Land. Als Folge dieser fehlenden Deckelung werden an schnittlichen Direktzahlungen pro Betrieb jedoch tiefer. 2015 einzelne Betriebe Hunderttausende Euro Direktzahlungen aus- wurde jedem Betrieb im Schnitt 12’166 Euro ausbezahlt, dies gezahlt und der Anreiz für Flächenwachstum wird verstärkt. entspricht etwa 13’250 Schweizer Franken. Der Durchschnitt gibt die reale Verteilung der Gelder nur teilweise wieder, jeder Kontraste in Deutschland dritte Betriebe erhielt weniger als 5’000 Euro und nur 2% der Die 285’000 Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland unter- Betriebe bekamen mehr als 50’000 Euro. Die ausbezahlten scheiden sich stark zwischen dem ehemaligen Gebiet der BRD staatlichen Gelder liegen in den EU-Staaten somit deutlich un- und Ostdeutschland. In Ostdeutschland befindet sich ein Drittel ter den Schweizer Verhältnissen, wo durchschnittlich 65’000 der gesamten Landwirtschaftsfläche aber bloss 1% aller deut- Franken an jeden Betrieb fliessen. Österreich hat keine Umver- scher Betriebe. Diese Betriebe sind im Schnitt 230 Hektaren teilungsprämie für kleine Betriebe und deshalb eine Obergrenze gross. Die Hälfte der Fläche wird bereits von Betrieben bewirt- der Basisprämie ab 150’000 Euro. In der Realität wird kein Euro eingekürzt. Die Obergrenze betrifft nur die Beiträge pro Fläche und Betriebe können insgesamt über 300’000 Euro an Direkt- zahlungen bekommen, bevor gekürzt wird. Tatsächlich ist kein Betrieb gross genug, um überhaupt in die Nähe dieser Grenze zu kommen. 2015 erhielt kein Betrieb mehr als 150’000 Euro Basisprämie und weniger als 100 Betriebe mehr als 150’000 Euro Direktzahlungen insgesamt. Im selben Jahr fielen in der Schweiz mehr als 1’300 Betriebe in die Kategorie mit mehr als 150’000 Franken Direktzahlungen. Und jetzt? Da die letzte Reform der EU Agrarpolitik erst vor Kurzem statt- fand, ist in naher Zukunft nicht mit umfassenden Änderungen zu rechnen. Die Herausforderungen für eine gemeinsame Agrar- FOTO: BARBARA KÜTTEL; RENOVABIS/ACHIM POHL ausrichtung werden nicht weniger, schon allein die Vielfalt der Landwirtschaft in den einzelnen Staaten ist riesig. Dass die Staaten bei der Ausgestaltung der einzelnen Zahlungen indivi- duelle Regelungen vornehmen können, scheint deshalb sinn- voll. Das Beispiel Deutschland zeigt jedoch auch negative Folgen dieser Wahlmöglichkeiten. Gerade die vielfältigen Landwirt- schaften Europas mit ihren unterschiedlichen topografischen und klimatischen Voraussetzungen bieten die Chance, den Erhalt von Ressourcen und Biodiversität mit einer besseren Förderung der ökologischen Landwirtschaft auszubauen. FOTO: Dora Fuhrer www.kleinbauern.ch ökologo 3 / 2016 7 oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 7 25.07.16 10:09
USA Rundum versichert Die US-amerikanische Landwirtschaft fokussiert auf grossflächige, oftmals intensive Produktion. Sie exportiert weltweit am meisten Lebensmittel und ist führend im Anbau von gentechnisch ver- änderten Pflanzen. Der Staat unterstützt ländliche Gebiete und bezahlt Ernährungsprogramme, die Bauern können ihre Tiere und Ernten billig versichern lassen. D ie Vereinigten Staaten von Amerika USA sind das flächen- mässig drittgrösste Land der Welt und weisen mit ihren fruchtbaren Böden ideale Voraussetzungen für eine grossflächi- darum haben sie ihre Betriebe spezialisiert und stark mechani- siert. Täglich schliessen 50 Höfe, so dass es heute noch rund 2,1 Millionen Betriebe mit einer durchschnittlichen Grösse von ge und produktive Landwirtschaft auf. Der einzige limitierende über 180 Hektar gibt. Im globalen Agrarhandel spielen die USA Faktor ist oft der fehlende Niederschlag und das benötigte Was- eine zentrale Rolle. Sie sind der weltweit zweitgrösste Impor- ser muss aufwändig aus Boden oder Flüssen gepumpt werden. teur und der grösste Exporteur von Agrarprodukten. Vor allem Der Fokus der Farmer liegt auf einer effizienten Produktion, Rindfleisch, Soja und Mais verschiffen sie rund um den Globus. Landwirtschaftliche Produkte tragen zu 10% der gesamten Exporterlöse und 1,5% des BIP bei. Versicherungen statt Direktzahlungen Vor zwei Jahren wurde die amerikanische Agrarpolitik auf den Kopf gestellt und die Subventionen neu definiert. Zuvor wurden jährlich 4,5 Milliarden US-Dollar (rund 4.4 Milliarden Franken) als fixe Summen pro Fläche ausbezahlt, egal ob oder was dar- auf angebaut wurde. Diese Direktzahlungen wurden gestrichen und mit verschiedenen subventionierten Versicherungsprogram- men ersetzt. Die Bauern können sich nun billig gegen Ernte- verluste absichern oder für ihre Kulturen einen Mindestpreis zusichern lassen. Fällt der Marktpreis unter diese Schwelle, zahlt der Staat die Differenz. Auch der Erlös aus der Milchpro- duktion kann versichert werden; wenn die Differenz von Futter- kosten und Milchpreis unter ein bestimmtes Niveau fällt, erhält der Farmer Ausgleichszahlungen. Daneben existiert ein wah- rer Dschungel an Förderprogrammen für Ernährung, Forschung und ländliche Entwicklung. Dieser bunte Massnahmenmix kostet jährlich rund 95 Milliarden Dollar, das entspricht 2% der totalen Staatsausgaben. Im Feuer der Kritik Für dieses neue System hagelt es Kritik von verschiedenen Seiten. Einerseits wird angekreidet, dass die Versicherungsaus- Gentech oder Bio? gaben künftig explodieren, wenn die Marktpreise fallen oder Im Gegensatz zu Europa ist der Anbau von gentechnisch vermehrt extreme Wetterereignisse wie Dürren auftreten. Diese veränderten Organismen GVO weit verbreitet. Auf rund der Befürchtungen sind bereits Realität, gerade wurde das Budget Hälfte der amerikanischen Fläche wachsen gentechnisch für die beiden wichtigsten Versicherungsprogramme um mehr veränderte Sorten. Mais, Soja und Baumwolle sind zu 90% als 15 Milliarden Dollar für die nächsten 10 Jahre aufgestockt. gentechnisch verändert, unverändertes Saatgut zu finden Andererseits wird mit der Neuverteilung der Gelder und den ist schwierig. Der Grossteil der verkauften Lebensmittel Versicherungen die Unterstützung der Bauernfamilien einseitig wird aus GV Pflanzen hergestellt und erst einzelne Staaten auf eine intensive Produktion ausgelegt. Andere Aspekte wie haben vor Kurzem eine Kennzeichnungspflicht für Produkte vielfältige Fruchtfolgen oder Biodiversität werden wenig oder mit GVO eingeführt. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach gar nicht abgegolten, Anreize für eine Umstellung auf biologi- Bio-Lebensmitteln stark an. Da nur 1% aller Betriebe bio- sche Produktion fehlen und deshalb bleibt der Bio-Anbau eine logisch produzieren, reicht dies bei weiten nicht, so im- Nische. Am meisten profitieren industrielle Grossbetriebe, wel- portieren die USA Unmengen an Bio-Lebensmittel. Den- che mit Pestiziden und Monokulturen arbeiten. Die staatlichen FOTO: JEFF KUBINA noch wächst die Anzahl Bio-Betriebe nur langsam, der Fördergelder ermöglichen einseitigen Betrieben eine risiko- Umstellungsprozess ist für viele zu lang und zu kompliziert reiche Strategie mit intensiver Produktion, die den Weltmarkt und sie bauen weiterhin GV Mais oder Soja an. mit Billig-Produkten überschwemmt. Dora Fuhrer 8 ökologo 3 / 2016 www.kleinbauern.ch oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 8 25.07.16 10:09
NEUSEELAND Paradebeispiel in Bedrängnis Nach dem Wegfall der staatlichen Unterstützung in den 80er Jahren mussten sich die Bauern Neuseelands gänzlich auf den Markt ausrichten. Dazu spezialisierten sie sich auf einige profitable Exportprodukte. Dank idealen Bedingungen für Kühe stieg Neuseeland zu einem der grössten Milchexporteure der Welt auf und galt lange Zeit als das Paradebeispiel für einen freien Agrarmarkt. Doch sinkende Weltmarktpreise gefährden heute die Existenz vieler Familienbetriebe. Daneben setzen Nährstoffüberflüsse und Übernutzung der Umwelt vermehrt zu. D ie Landwirtschaft Neuseelands wurde lange mit Schafhal- tung assoziiert. Tatsächlich ist die Schafdichte enorm; es leben rund sechsmal mehr Schafe als Menschen auf dem Insel- Landwirtschaft nur rund 4% zum Bruttoinlandprodukte beisteu- ert. Die staatlichen Zahlungen betragen heute noch etwa 1% des bäuerlichen Einkommens, deshalb werden die Neuseeländer staat. Doch die Zahl der Schafe ist seit Jahren rückläufig, die oft als Vorzeigebauern betitelt, die sich dank Kostenoptimierung Rinderzahl verdoppelte sich dagegen in den letzten 25 Jahren. und Spezialisierung auf einem freien Agrarmarkt behaupten. Der Trend ist klar: weg von den Schafen hin zur Milchwirtschaft. Ein Auslöser für diesen Wandel waren die Agrarreformen der Preise im Keller 1980er Jahre. Damals strich die Regierung praktisch alle Sub- Bis vor Kurzem ging diese Rechnung auf, denn die weltweite ventionen an die Bauern. Ausschlaggebend war jedoch nicht Nachfrage nach Milchprodukten stieg stark an. Somit stiegen der Wunsch nach Marktliberalisierungen, sondern Sparmass- auch die Preise und verleiteten viele Bauern zum Ausbau ihrer nahmen des Staates. Der Aufschrei der 80’000 Bauernfamilien Produktion. Ihre Milch überschwemmte den Markt, daneben war gross, ihre Einkommen bestanden damals zu 40% aus öf- wuchs die Nachfrage nicht wie prognostiziert, sondern brach fentlichen Geldern. Den Bauern blieben zwei Möglichkeiten: ein und riss damit die Preise in die Tiefe. Seit 2014 ist der Milch- einen Nebenerwerb aufbauen oder ihre Kosten drastisch sen- preis um die Hälfte eingebrochen und die neuseeländischen ken. Da die Schafprodukte vorher stark subventioniert waren, Bauern erhalten nur noch rund 17 Rappen pro Liter Milch. Die- gaben viele die Schafhaltung auf und spezialisierten sich auf ser Preiszerfall bedroht viele Betriebe in ihrer Existenz, rund konkurrenzfähigere Produkte. 90% der Bauern sind gezwungen, neue Kredite aufzunehmen, um diese Einkommenslücke kurzfristig zu schliessen. Milch in die ganze Welt Auf den grossen Grasflächen können die Kühe weiden, sodass Kehrseite der Medaille nur tiefe Futterkosten anfallen. Dank dem milden Klima ist ein Der Wandel von der Schaf- zur Rinderhaltung und der Effizienz- Stall unnötig, die Tiere bleiben immer draussen. Dieses System steigerung der Milchkühe hat nicht nur wirtschaftliche Folgen, bietet im internationalen Vergleich Kostenvorteile. Als Folge sondern auch weitreichende Auswirkungen auf die neusee- spezialisierten sich viele auf Milchkühe, die Tierzucht und der ländische Natur. Nährstoffüberschüsse gefährden heute die Futterbau wurden laufend optimiert. Heute gibt es noch 63’000 Wasserqualität und die intensive Beweidung verschärft die Ero- Betriebe, die meisten davon Familienbetriebe mit rund 400 Kü- sionsgefahr. Die einseitige Spezialisierung auf Milch und die hen. Die Milch wird nicht in Neuseeland getrunken, sondern zu Abhängigkeit vom Weltmarkt zwingen die Bauern zu Produk- 90% exportiert und als Milchpulver in die ganze Welt verfrach- tionssteigerungen ohne Rücksicht auf Natur und Umwelt. tet. Jedes dritte Milchprodukt auf dem Weltmarkt stammt aus Wegen der sinkenden Preise stecken sie ökonomisch in einer FOTO: LARA MOSER FOTO: JEFF KUBINA Neuseeland. Daneben werden Fleisch und Früchte wie Äpfel und Sackgasse. Nun warten die Betriebe auf einen Rückgang des Kiwi für den Export produziert, die Milch ist aber der Verkaufs- weltweiten Milchüberschusses und steigende Preise. Bis dahin schlager. Die Lebensmittelexporte stützen die gesamte Aussen- bleiben ihnen Durchhalteparolen und kurzfristige Kredite, um wirtschaft, ihr Anteil liegt bei 60% aller Exporte, dies obwohl die Rechnungen zu zahlen. Dora Fuhrer www.kleinbauern.ch ökologo 3 / 2016 9 oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 9 25.07.16 10:09
INTERVIEW MIT PETER MOSER Agrarpolitik gestern und heute Die Lebensmittelpreise sind über Jahrzehnte kontinuierlich gefallen. Die Schweizer Bauern wurden so immer abhängiger von staatlicher Unterstützung. Gleichzeitig haben sich die Ziele der Agrarpolitik immer wieder stark verändert und die Bauernfamilien mussten sich laufend neuen Rahmenbedin- gungen anpassen. Agrarhistoriker Peter Moser beleuchtet diese unterschiedlichen Aspekte der Agrar- subventionen und erklärt, weshalb auch die heutige Agrarpolitik wieder in einer Sackgasse steckt. Die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Rohstoffe sind tiere und der drastischen Reduktion der beschäftigten Personen weltweit seit dem 2. Weltkrieg bis etwa zur Jahrtausendwende wurden zudem grosse Flächen frei, die vorher zur Nahrungs- fast kontinuierlich gefallen. Was läuft falsch? und Futtermittelproduktion auf den Betrieben benötigt wurden. Peter Moser: Dass die Produzentenpreise in diesem Zeitraum In diesem Prozess wurden die bäuerlichen Betriebe als teilauto- so massiv gesunken sind, hängt primär damit zusammen, dass nome Produktionseinheiten aufgelöst und der Agrarsektor zu seit den 1950er Jahren auch die Landwirtschaft im grossen Stil einem integralen Teil der wachsenden Volkswirtschaft. In West- billige, nicht erneuerbare Ressourcen zur Produktion von Nah- europa haben alle Staaten und (praktisch) alle politischen Partei- rungsmitteln einsetzen kann. Mit der Verdrängung der Arbeits- en diesen Prozess mit Anreizen und Vorschriften beschleunigt. «Der allergrösste Teil der staatlichen Transfer- zahlungen bleibt nicht bei den bäuerlichen Familien, sonder fliesst in Gewerbe, Industrie und Dienstleistungen.» Der gemeinschaftliche Charakter der bäuerlichen Arbeit ist mit der Industrialisierung der Landwirtschaft zur Seltenheit geworden. 10 ökologo 3 / 2016 www.kleinbauern.ch oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 10 25.07.16 10:09
Welchen Anteil haben die staatlichen Interventionen (Subven- erfolgte aus ganz unterschiedlichen Motiven. Viele versprachen tionen/Direktzahlungen) an den tiefen Lebensmittelpreisen? sich von der Reform mehr Biodiversität und Tierschutz sowie Das ist schwierig zu sagen. Denn die Interventionen erfolgten einen geringeren Hilfsstoffeinsatz, viele (und oft die gleichen) teilweise, um die landwirtschaftlichen Einkommen zu stützen, jedoch auch einfach mehr Importe und billigere Preise. Beide teilweise, um günstige Nahrungsmittel und billige Rohstoffe Erwartungshaltungen wurden (nur) zum Teil erfüllt. Deshalb für die Nahrungsmittelindustrie sicher zu stellen. fällt die Kritik an der Landwirtschaft heute wieder ähnlich hef- tig aus wie vor einem Vierteljahrhundert. Sind die Zahlungen an die Landwirtschaft nun Fluch oder Segen für die Bäuerinnen und Bauern? Die vier aktuell lancierten Landwirtschaftsinitiativen sprechen Vermutlich beides zugleich. Auf der einen Seite schwächen für eine, zumindest innerlandwirtschaftliche Krise. Auch Ende sie die Verhandlungsmacht der Produzenten auf den Märkten – der achtziger und Anfang der neunziger Jahre wurden viele in der Schweiz ebenso wie in der Dritten Welt. Umgekehrt ver- Initiativen lanciert. Sehen Sie Parallelen? schaffen sie einzelnen Bauern, die nicht allzu hoch verschul- Diskussionen und politische Auseinandersetzungen interpre- det sind, immer auch einen Handlungsspielraum, den logischer- tiere ich nicht als Ausdruck einer Krise, sie illustrieren unter- weise nicht alle auf die gleiche Art und Weise nutzen. Kaufen schiedliche Vorstellungen und Interessen. Wegen der Ignoranz, die einen mehr Produktionsmittel, so setzen andere auf eine mit der viele agrarpolitische Diskussionen geführt werden, är- arbeitsintensivere und damit teurere Produktion oder investie- gere auch im mich zuweilen. Aber die Auseinandersetzungen ren in Boden und Gebäude. Der allergrösste Teil der staatlichen sind doch auch Ausdruck einer funktionierenden Demokratie. Transferzahlungen bleibt deshalb gar nicht bei den bäuerlichen Dass einige derjenigen, die in den 1990er Jahren erfolgreich für Familien, sondern fliesst ins Gewerbe, in die Industrie und, im- Reformen kämpften, den eingereichten Initiativen skeptisch mer mehr, in den Dienstleistungsbereich. Es ist diese Funktion oder gar ablehnend gegenüber stehen, illustriert nur, wie der Bauern als Verteiler der Transferzahlungen an nicht-land- schnell man in der Politik von einem Reformer zu einem Be- wirtschaftliche Dritte – nicht die Agrarlobby – die sicherstellt, wahrer oder von einem Verlierer zu einem Sieger (und umge- dass die Ausgaben «für die Landwirtschaft» sowohl in der kehrt) werden kann. Schweiz als auch in der EU politisch mehrheitsfähig sind. Die Landwirtschaft hat sich in vielen Industrieländern stark verändert. Und doch ernähren noch immer mehrheitlich Klein- «Was mir in der heutigen Diskussion bauern die Welt. Die Landwirtschaft hat viele Gesichter. Die auffällt, ist die Sehnsucht nach einfachen richtige Strategie einzuschlagen, scheint für den einzelnen Land- Lösungen in allen politischen Lagern.» wirt schwierig. Hat die Agrarwirtschaft ein Identitätsproblem? Bauern und Bäuerinnen sind sich wie kaum eine andere Be- rufsgruppe gewohnt, in mehreren «Sprachen» zu sprechen und FOTO: ETH-BIBLIOTHEK ZÜRICH, BILDARCHIV/STIFTUNG LUFTBILD SCHWEIZ/FOTOGRAF: SWISSAIR/LBS_SR01-02272 / CC BY-SA 4.0; ZVG unterschiedlichen «Kulturen» zu leben, sie haben grössere Pro- Die Umweltprobleme und Überschussproduktion waren in bleme als diese. den 1980er Jahren greifbare Probleme. Heute scheinen diese komplexer und vor allem globaler zu sein. Wie beurteilen Agrarpolitik gibt zahlreiche Vorgaben. Rückblickend betrach- Sie das? tet, haben sich deren Ansprüche und Ziele immer wieder stark Mit dieser Diagnose kann ich nicht viel anfangen. Die Welt geändert und sind auch teilweise widersprüchlich. Wie ging war schon immer vielfältig und damit komplex. Und die schwei- die Landwirtschaft bisher mit diesen immer neuen politischen zerische Landwirtschaft ist seit der zweiten Hälfte des 19. Jahr- Rahmenbedingungen um? hunderts in transnationale, globale Strukturen eingebunden. Pragmatisch, von Fall zu Fall verschieden. Seit dem 19. Jahr- Was mir an den heutigen Diskussionen auffällt, ist die Sehn- hundert wird von der Landwirtschaft erwartet, dass sie Normen sucht nach einfachen Lösungen in allen politischen Lagern. und Wertvorstellungen erfüllt, die an einer industriellen, nicht Das ist Ausdruck einer intellektuellen Trägheit, kein Rezept zur an einer agrarischen Realität entwickelt worden sind. Heute Lösung von Problemen. Das gilt für die Bildungs-, Agrar- und soll die Landwirtschaft ebenso effizient und homogen funktio- Sozialpolitik. Hier wirken sich die Forderung nach einfachen nieren wie die Industrie – aber gleichzeitig soll diese Landwirt- Lösungen zudem besonders destruktiv aus. schaft auch bäuerlich bleiben und für das sorgen, was moder- ne Gesellschaften zerstören: Biodiversität, und die Fähigkeit, Das Interview wurde von Barbara Küttel schriftlich geführt. Ressourcen zu nutzen statt sie zu verbrauchen. Sie haben kürzlich in den Medien (Bauernzeitung) zur aktu- ellen Milchkrise in der Schweiz gesagt, dass die «neue Agrar- politik» ein Vierteljahrhundert nach Beginn ihrer Umsetzung in eine Sackgasse geraten ist. Können Sie das näher erläutern? Peter Moser ist Leiter des Archivs Jede politische Neu-Orientierung gerät mit der Zeit selber in für Agrargeschichte und Autor eine Sackgasse, wird also ihrerseits reformbedürftig. Eine erfolg- mehrerer Bücher zur europäischen reiche Entwicklung basiert nicht auf einem Beharren des Be- und schweizerischen Agrargeschichte. stehenden, sondern aus Bewahrung und Veränderung zugleich. Im Oktober 2016 erscheint: «Rausch Es nützt nichts, heute Vorstösse mit dem Argument zu bekämp- & Ordnung. Eine illustrierte Geschichte fen, dass vor zwanzig Jahren fast 80% der Abstimmenden der der Alkoholfrage und Alkoholpolitik.» Neu-Orientierung der Agrarpolitik zugestimmt hätten. Denn die damalige Zustimmung zum neuen «Gesellschaftsvertrag» www.agrararchiv.ch ökologo 3 / 2016 11 oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 11 25.07.16 10:09
ALTE VERSPRECHEN – NEUE RISIKEN Neue Gentechnik-Verfahren Neue Gentechnik-Verfahren versprechen den präzisen «Umbau» von Pflanze, Tier und Mensch. Doch wie präzise sind die Techniken? Und wer wird von deren Anwendung am meisten profitieren? Kritische Nachfragen und eine vorsorgende Regulierung sind dringend notwendig. S eit einigen Jahren sind verschiedene neue gentechnische Verfahren in der Entwicklung, die sowohl in der Pflanzen- und Tierzüchtung (inkl. Insekten), als teilweise auch in der Hu- re gentechnische Veränderungen liessen sich kaum herstellen – , glaubt man sich jetzt in der Lage, das Erbgut und die Genregu- lation zielgerichtet, planvoll und ohne erhebliche Nebenwirkun- manmedizin (Gentherapie) angewendet werden können. Neben gen manipulieren zu können. Wortschöpfungen wie «Genome- Verfahren wie der Cisgentechnik (Ökologo 2/15), die der bekann- Editing» (übersetzt ungefähr: «gezieltes Umschreiben» von ten (Trans-)Gentechnik sehr ähnlich sind, stehen in der aktu- Genomen) oder «Präzisionszüchtung» sollen glauben machen, ellen Diskussion vor allem die so genannten Genome-Editing- dass man die Ära der Steinzeit-Gentechnik verlassen hat. Verfahren im Fokus (siehe Box S. 13). Im Gegensatz zur «alten» Gentechnik soll es mit diesen Verfahren, allen voran CRISPR-Cas, Alte Versprechen... möglich sein, ganz präzise in das Erbgut von Pflanzen, Tieren Entsprechend weitreichend sind die Versprechen und Erwar- (und Menschen) einzugreifen. Nachdem man drei Jahrzehnte tungen, was mit Hilfe der neuen Verfahren in der Pflanzenzüch- lang im Bereich der «alten» Gentechnik mit ungenauen Schrot- tung alles erreicht werden kann: Von bekannten Zielen wie schussverfahren gearbeitet hat – der Ort des Einbaus der neuen der Ertragssteigerung, deren Notwendigkeit wie gehabt mit der Gen-Konstrukte konnte nicht kontrolliert werden und komplexe- wachsenden Weltbevölkerung begründet wird, oder der Ent- wicklung von neuen Resistenzmechanismen gegen Schädlinge oder Pilzerkrankungen, sollen sich nun auch komplexe Eigen- schaften wie Trockenheits- oder Hitzetoleranz erzeugen lassen. Gentechnikregulierung …neue Risiken Als die ersten Produkte der «alten» Gentechnik in den Ungeachtet der weit verbreiteten Euphorie gibt es einige Wis- 1990er Jahren auf den Markt kamen, haben sich die Schweiz senschaftlerInnen, die z. B. die Zielgerichtetheit von Verfahren und Europa für eine Gentechnikregulierung entschieden, wie CRISPR-Cas kritisch hinterfragen. So schneiden die einge- die mögliche Risiken des Verfahrens frühzeitig erkennen setzten Enzyme immer wieder auch an anderen, nicht vorher- und bewerten soll. Die gentechnisch veränderten Pflanzen bestimmten Stellen im Genom. Darüber hinaus weisen sie dar- müssen ein Zulassungsverfahren durchlaufen, rückver- auf hin, dass die (vermeintliche) Präzision der Verfahren allzu oft folgbar sein und gekennzeichnet werden. So können diese mit deren Sicherheit gleichgesetzt wird. Doch so einfach ist es Produkte, sollte sich herausstellen, dass sie eine Gefähr- nicht. Gene sind keine linearen Konstruktionsanweisungen, dung für Mensch, Tier und/oder Umwelt darstellen, (theo- keine Baupläne für Organismen, so betont es die Agrarökologin retisch) wieder vom Markt genommen werden. Damit hat Angelika Hilbeck von der ETH Zürich. Sie erfüllen auch nicht das Vorsorgeprinzip eine wichtige Funktion sowohl in der nur eine bestimmte Funktion. Gene sind meistens multifunktio- schweizerischen, als auch der europäischen Gentechnik- nal. Wenn man, wie es mit den neuen Verfahren möglich ist, regulierung erhalten. z. B. ein einzelnes Gen stilllegt, weil es mit einer Eigenschaft in Verbindung gebracht wird, die man nicht mehr haben will, 12 ökologo 3 / 2016 www.kleinbauern.ch oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 12 25.07.16 10:09
muss man damit rechnen, dass noch ein paar andere Dinge Alle grösseren Saatgut- und Agrarchemieunternehmen arbei- ab- oder umgeschaltet werden. Es wird also in ein Netzwerk ten bereits jetzt mit den neuen gentechnischen Verfahren. Äus- von rückgekoppelten Prozessen eingegriffen, von dem man nur serst aktiv sind sie auch im Bereich der dazugehörigen Patente. einen Abschnitt kennt. Mit welchen Folgen? Wie werden sich Wer wird von der Anwendung der neuen Verfahren also am Pflanzen, die im Labor die gewünschte Eigenschaft aufweisen, meisten profitieren? Und was für Pflanzen für welche Art von in der Umwelt verhalten, in der sie mit einer Vielzahl unter- Landwirtschaft werden die Grossen entwickeln? Die Erfahrungen schiedlichster Faktoren interagieren und die selbst in einem mit der «alten» Gentechnik sollten eigentlich ausreichen, um ständigen Wandel begriffen ist? Wird die Pflanze ihre neue hier – nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Eigenschaft über Generationen stabil behalten? Andere uner- Politik – äusserst kritisch und wachsam zu sein und vorsorgend wünschte Nebenwirkungen könnten – für Mensch, Tier oder Um- regulierend einzugreifen. Eva Gelinsky welt – schwerwiegendere Folgen haben: So sind u. a. auch eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit der Pflanze, eine Anreicherung Eva Gelinsky koordiniert die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie von Giftstoffen oder ein Anstieg von Allergenen möglich.1 Saatgutarbeit, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei ProSpecieRara und ist im Vorstand der SAG Gentechnik oder konventionelle Züchtung? Eine umfassende, von den Interessen der Entwickler und An- 1 EcoNexus, Ricarda Steinbrecher (12/2015): Gentechnik bei Pflanzen und wender möglichst unabhängige Risikobewertung der neuen die «Neuen Züchtungstechniken» (NTZ) – inhärente Risiken und Regulie- rungsbedarf. Verfahren wird es wohl nur geben, wenn sie als das reguliert werden, was sie sind: Gentechnik (siehe Box S. 12). Organisati- 2 Download des Positionspapiers unter: http://gentechfrei.ch/images/ stories/pdfs/Themen/2015SAG_Neue_Gentechnische_Verfahren.pdf onen wie die Schweizer Allianz Gentechfrei, aber auch viele eu- ropäische NGOs fordern dies schon seit Monaten2. Von den zu- 3 In Deutschland wird die versuchsweise Freisetzung des Cibus-Raps durch eine Klage bislang verhindert. ständigen Behörden sowohl in den EU-Staaten, als auch in der Schweiz gibt es dagegen noch immer keine klare Festlegung. Unterdessen gehen die Diskussionen weiter, die nicht nur auf der rechtlichen und wissenschaftlichen, sondern auch der poli- tischen und ökonomischen Ebene geführt werden. Aus Sicht Neue Gentechnik-Verfahren der grossen Züchtungsunternehmen steht derzeit einiges auf Cisgenetik (Cisgenese, Intragenese): Gene und weitere dem Spiel. Wie das Beispiel der «alten» Gentechnik zeigt, wäre Elemente des eingeführten Genkonstrukts stammen aus- eine breite Anwendung der neuen Verfahren in Europa kaum schließlich aus dem Genpool der jeweiligen Pflanzenart möglich, wenn Saatgut und Produkte gekennzeichnet, Freiset- (z. B. Wildapfelgene → Apfel). Aber: Übertragung durch zungsversuche und Anbau angemeldet, Koexistenzmassnah- «klassische» gentechnische Verfahren. men eingehalten und im Kontaminationsfall auch Schadens- In der Schweiz werden cisgene Kartoffeln und Äpfel im ersatz gezahlt werden müsste. Entsprechend intensiv laufen die Freisetzungsversuch getestet. Bislang sind weder in der Lobbykampagnen der grossen Saatgut- und Chemiefirmen. Schweiz, noch in der EU cisgene Pflanzen/Produkte auf dem Markt. Rechtliche Unklarheit in Europa, erste Fakten in den USA Während die rechtliche Situation in Europa und der Schweiz Oligonukleotidtechnik (Oligonukleotid-gerichtete nach wie vor unklar ist, werden u. a. in den USA die ersten Fak- Mutagenese, OgM): Kurze, synthetisch hergestellte DNA- ten geschaffen. Seit 2015 wird dort beispielsweise der herbi- Abschnitte werden in die Zelle eingeschleust. Dadurch zidresistente Raps der Firma Cibus angebaut, der mit Hilfe der werden zelleigene Reparaturmechanismen aktiviert, die Oligonukleotid-gerichteten Mutagenese entwickelt wurde.3 An- an bestimmten Stellen im Erbgut Mutationen auslösen. gebaut wird auch eine Kartoffel, die durch Cisgenese, Intrage- In der Schweiz sowie in der EU sind vermutlich noch kei- nese sowie RNA-Interferenz entstanden ist. Diese Kartoffel soll ne Pflanzen auf dem Markt. nicht nur gegen die Kraut- und Knollenfäule resistent sein, sich nach dem Anschneiden weniger verfärben, bei der Verarbei- «Genome Editing»/Gen-Scheren (CRISPR-Cas, TALEN, tung unter bestimmten Bedingungen weniger Acrylamid bilden, Zink-Finger-Nukleasen, Meganukleasen): Die DNA wird sondern auch bei kühleren Temperaturen gelagert werden kön- an bestimmten Stellen mit Hilfe von Enzyme aufgetrennt, nen. Wie sicher sind diese Pflanzen für Mensch, Tier und Um- die mit Gensonden gekoppelt sind. Nach der Reparatur welt? Darüber liegen bislang keine Daten vor, da die zuständigen der DNA durch die Zellen entstehen an den jeweiligen Behörden in den USA entschieden haben, dass beide Pflanzen Stellen oft Mutationen. Es können an diesen Stellen auch bzw. die daraus entwickelten Produkte keine spezielle Risiko- zusätzliche DNA-Abschnitte eingebaut werden. bewertung erforderlich machen. Sie werden also nicht nur ein- In der Schweiz sowie in der EU sind vermutlich noch kei- fach angebaut, ohne dass (Bio-)Landwirte erfahren, wo dies ge- ne Pflanzen auf dem Markt. schieht, sondern sie landen auch ohne weitere Kennzeichnung auf dem Markt und damit auf dem Teller der VerbraucherInnen. Eingriffe in Epigenetik/Genregulierung (u.a. RNA-Inter- ferenz (RNAi) oder Veränderungen der Chromatinstruk- Wer wird von der Anwendung der neuen Gentechnik profitieren? tur/Methylierung): Hier wird unter anderem der Boten- Aktuell verhandelt die Bayer AG mit dem Konkurrenten Mon- stoff RNA genutzt, um die Aktivität bestimmter Gene zu santo über eine Übernahme, DuPont Pioneer möchte mit Dow- verändern. Die Effekte können vorübergehend oder länger- FOTO: CLIPDEALER Agro Science fusionieren und Syngenta soll von ChemChina fristig sein (ohne/mit Veränderung der DNA-Struktur). übernommen werden. Der Markt für Saatgut und Pestizide, der In der Schweiz sowie in der EU sind vermutlich noch keine bereits heute von nur fünf Unternehmen dominiert wird, wird Pflanzen auf dem Markt. in Zukunft vielleicht nur noch von drei Grosskonzernen bedient. www.gentechnikfreie-saat.org/neue-gentechnische-verfahren.html ökologo 3 / 2016 13 oeko_3_16_redaktionell_01-14_wf.indd 13 25.07.16 10:09
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