Gesundheitsökonomie, Gesundheitssysteme, Öffentliche Gesundheitspflege - Vorlesungsreihe - Klinikum Fulda
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Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie, Gesundheitssysteme, Öffentliche Gesundheitspflege Dozenten: Hagemeister - Henrich - Kranke - Mehlhase - Vogel - Menzel
Einführung in die Vorlesungsreihe Priv.- Doz. Dr. med Thomas Menzel Vorstand Krankenversorgung / Sprecher des Vorstandes Klinikum Fulda gAG 6
Gesundheitsausgaben • 2016: +3,8 % (zu 2015) auf 356,5 Milliarden Euro oder 4 330 Euro je Einwohner entsp. 11,3 % des Bruttoinlandsprodukts. • Prognose 2017: erstmals mehr als 1 Milliarde Euro pro Tag (374,2 Milliarden Euro) Sondereffekt: . Die höhere Wachstumsrate für 2017 ist auf das dritte Pflegestärkungsgesetz zurückzuführen, das am 1. Januar 2017 in Kraft trat Im Gesundheitswesen arbeiten 5,2 Millionen Menschen, d.h. etwa jeder achte Erwerbstätige in dieser Branche tätig. Seit dem Jahr 2000 hat die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen um rund eine Million zugenommen (27%) Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 7
2016: Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Deutschland: 356,5 Milliarden Euro Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 8
Im Jahr 2016 waren rund 808.000 Personen in der deutschen Automobil- industrie beschäftigt Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 9
Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP (OECD, 2013) Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 10
Deutschland im internationalen Vergleich OECD Health Data 2013 Organisation for Economic Co-Operation and Development Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 11
Rang 2013 1 5 10 15 Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 12
Wie geht’s weiter? Prognosen sind gefährlich …… 2007 / 2050 Erkrankte [%]/ Gesamtbevölkerung für 22 Krankheiten Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 14
ars medicinae: ärztliche oíkos: Haus Kunst / Heilkunde nomos: Gesetz/Regel Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 15
Wirtschaftswissenschaften / Gesundheitsökonomie • Die Wirtschaftswissenschaften zählen zu den Sozialwissenschaften • Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre – Die Betriebswirtschaftslehre untersucht die wirtschaftliche Seite eines Unternehmens innerhalb einer Volkswirtschaft – Die Volkswirtschaftslehre untersucht die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge und Prozesse einer Gesellschaft unter mikroökonomischen und makroökonomischen Aspekten. Die Volkswirtschaftslehre ist die Wissenschaft von der Bewirtschaftung der knappen gesellschaftlichen Ressourcen • Die Gesundheitsökonomie ist eine fachübergreifende Unterdisziplin der Wirtschaftswissenschaften, enthält Elemente der Gesundheitswissenschaften und Volkswirtschaftslehre – Beschäftigt sich mit Produktion, Verteilung und Konsum von knappen Gesundheitsgütern in der Gesundheitsversorgung Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 16
Wirtschaft(en) / Knappe Güter • Wirtschaften: Aktivitäten, die die bestmögliche planmäßige und effiziente Bedürfnisbefriedigung mit knappen Ressourcen • Notwendigkeit zu Wirtschaften ergibt sich aus: – Knappheit der Güter – Unbegrenztheit der menschlichen Bedürfnisse • Grundprobleme des Wirtschaftens: – Allokation: Welche Güter werden in welchen Mengen unter Einsatz welcher Ressourcen produziert? – Distribution: Wer erhält wie viel von den produzierten Gütern? – Allokation/Distribution kann über den Markt oder durch den Staat erfolgen – Opportunitätskosten sind entgangene Erlöse, die dadurch entstehen, dass vorhandene Möglichkeiten (Opportunitäten) zur Nutzung von Ressourcen nicht wahrgenommen werden Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 17
Bedürfnisse /Ressourcen /Knappheit • Bedürfnisse • Ressourcen – Natürliche Ressourcen – Menschliche Arbeitskraft – Produktionsmittel • Knappheit/Mangel: Bedürfnisse Wirtschaftsgüter unbegrenzt Spannungs- knapp verhältnis Zwang zum Wirtschaften Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie 1 Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 18
Allokation • Relevante Fragen: • Wofür sollen die Ressourcen verwendet werden? • Wofür wollen / sollen wir das Geld ausgeben? • Welche Maßstäbe sollen dabei zur Anwendung kommen? • Welche Verteilungs-Modelle können dabei helfen? • Wie sollen Leistungsentscheidungen auf gesellschaftlicher Ebene getroffen werden? Entscheidungen! Theorie der Entscheidungsfindung als Bestandteil der Wirtschaftswissenschaften • Verhaltensökonomik -> Entscheidungstheorie Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 19
Modelle • Modelle sind Theorien, die beschreiben, wie die Welt funktioniert (funktionieren soll) – Sie werden entwickelt und überprüft – Sie setzen geeignete Annahmen und vereinfachten die Sachverhalte, um zum besseren Verständnis der wirklichen Welt beizutragen • Ein Modell ist immer ein beschränktes Abbild der Wirklichkeit Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 20
Modelle des Wirtschaftens: Positive Ökonomik • Beschreibungen, Erklärungen und Voraussagen über soziale Entitäten und das Verhalten von Individuen unter gegebenen Restriktionen • Werturteile werden nicht berücksichtigt, Lösungsvorschläge nicht geliefert. „Positiv“ bedeutet hier „das Gegebene“ • Kennzeichen: Analyseperspektive des methodologischen Individualismus / Modell des Homo Oeconomicus – Der Homo Oeconomicus handelt entsprechend seiner eigenen Interessen, die Abbild seiner individuellen Präferenzen sind (Eigennutzaxiom) – Präferenzen: „handelbare Güter“ und Dienstleistungen wie Gegenstände oder intangible Aspekte Gesundheit, Lebensfreude oder Gier. • Annahme: Bei gegebenen Restriktionen verhält sich das eigeninteressierte Individuum (zweck-) rational mit dem Ziel den größten (subjektiven) Nutzen zu realisieren Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 21
positive Ökonomik • Tausch eines Gutes x zum Preis p auf dem Markt: • Grundlage für Interaktionen von Anbietern und Nachfragern sind individuelle Kosten-Nutzen-Bewertungen – Der Nachfrager kauft das Gut x genau dann, wenn der Marktpreis von x nicht seine maximale Zahlungsbereitschaft übersteigt, die Resultat seiner subjektiven Wertschätzung des Gutes bezogen auf seine Präferenzen unter gegebenen Budgetrestriktionen (Zahlungsfähigkeit) ist – Theorie des Entscheidungsnutzens (von Neumann/Morgenstern) • Annahme: im freien Marktes setzt sich rationales Verhalten in der Regel durch – Funktioniert bei einfachen Entscheidungen – komplexe Zusammenhänge entziehen sich einfachen Bewertungen • Trotzdem wurde dieses Modell lange favorisiert Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 22
Theorie der Entscheidung • Drei „Denkschulen“ • Entscheidungsanalyse (von Neumann/Morgenstern) – Logischer, Statistikbasierter Ansatz – Vorgehen: Problem formulieren/ Handlungsoptionen auflisten/Positionen systematisch bewerten – Erwartungsnutzen (Eintrittswahrscheinlichkeit x Nutzen) • Verhaltensökonomik (Kahnemann/Tversky) – Folgt der Erkenntnis, dass Entscheidungen häufig nicht auf der Basis der Regeln der Entscheidungsanalytik beruhen – Heuristik: Reduktion komplexer Sachverhalte, Entscheidungen auf Basis unvollständiger Information – Kognitive Verzerrungen / Entscheidungsfehler • Natural Decision Making (Gigerenzer/Klein) – Erforschung der „ökologischen Realität“ (kontextbezogene Reduktion) – Kleine Stichprobe/große Anzahl von Optionen -> heuristsicher Ansatz – Sonst: Entscheidungsanalyse – Wahrscheinlich am besten: Kombination aus beidem Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 23
Modelle des Wirtschaftens: Normative Ökonomik • Umfasst Werturteile • Fragt, was an einem Wirtschaftssystem geändert werden sollte • welche Handlungen am besten für das Erreichen eines gewünschten Ziels sind • Ihr liegen wirtschaftspolitische Absichten verschiedener bestimmten Richtungen zugrunde. • Als Wissenschaft erforscht sie Normen ergebnisoffen mit empirischen Methoden. • Grundlage: normativer Individualismus • Der normative Individualismus geht von mit moralischer Autonomie ausgestatteten Individuen aus: – „Der Mensch ist Selbstzweck und genügt sich selbst“ • Die Gesellschaft dient dabei als Instrument zur Verfolgung individueller Interessen, die auf subjektiven Präferenzen (Nutzen) beruhen – Wenn zwei Handlungsalternativen verglichen werden, interessieren sowohl die Wohlfahrtsverluste als auch die Wohlfahrtsgewinne, die einzelne Akteure oder die Gesellschaft insgesamt gegenüber einer anderen Lösung erfahren. • Die Wahl des Maßstabes, der zur Beurteilung einer ökonomischen Situation eingesetzt werden soll, beinhaltet ein (normatives) Werturteil Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 24
Wohlfahrtsökonomie = Allokationstheorie • Daraus abgeleitet Konzepte zur Lösung der Allokationsfrage unter gegebenen Knappheitsbedingungen: • Wohlfahrtsökonomie oder Allokationstheorie • Teilbereich der Volkswirtschaftslehre, der sich mit der Beeinflussung der ökonomischen Wohlfahrt, die sich aus der Allokation von Ressourcen ergibt, beschäftigt • Kennzahl: Pareto-Optimum – Zustand, in dem es nicht möglich ist, ein Individuum besser zu stellen, ohne zugleich ein anderes Individuum schlechter zu stellen Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 25
Normative Ökonomik -> Arrow‘s Unmöglichkeitstheorem • Es gibt keine Entscheidungsregel, die auf Basis individueller Rangordnungen eine gesamtgesellschaftliche Präferenzfunktion bildet wenn jede individuelle Rangordnung gleich viel zählt. • Wenn Person A die Alternative x strikt vor der Alternative y präferiert und Person B dagegen y strikt vor x • und beide Rangordnungen gleichwertig sind kann keine Aussage darüber gemacht werden, welche Alternative auf gesellschaftlicher Ebene vorzuziehen ist Auflösung: Extra-welfaristische Sichtweise Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 26
Extra-welfaristische Sichtweise • Grundlagen: – Nutzenbewertung für die Individuen erfolgt nicht mehr durch diese selbst – Den verschiedenen Alternativen wird „von außen“ ein Nutzen zugeschrieben • Methoden: – Kosten-Nutzen-Analyse – Kosten-Effektivitäts-Analyse – Kosten-Nutzwert-Analysen • Diese Analysen sind Bestandteil der Gesundheitsökonomie….. Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 27
Gesundheitsökonomie • Gesundheitsökonomie ist die einfache Analyse der wirtschaftlichen Aspekte des Gesundheitswesens unter Verwendung von Konzepten der ökonomischen Theorie. • Gesundheitsökonomie (oder Medizin-Ökonomie) – (engl.: medical economics, health economics, frz.: économie de la santé, économie médicale) – empirische und theoretische, interdisziplinäre Wissenschaft, die sich mit der Produktion, der Verteilung und dem Konsum von knappen Gesundheitsgütern und mit der ökonomischen Seite der Gesundheitsversorgung allgemein beschäftigt Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 28
Kosten-Nutzen-Analyse • Kosten und der Nutzen einer Maßnahme werden in Geldeinheiten gemessen – auch intangible Effekte wie Schmerz und Leid • Bewertung des subjektiven Nutzens kann beispielsweise mit der Zahlungsbereitschaftsmethode (willingness to pay) erfolgen In einem Fußballstadion sind 10.000 Menschen versammelt. Einer von ihnen ausgelost wird, der dann • Wenig Verwendung in sterben soll. Deutschland Jeder einzelne wird gefragt, wie viel er zahlen würde, um dieses Risiko für sich auszuschließen. Chance 1:10.000 ->Zahlungsbereitschaft noch überschaubar • Die (monetären) Bewertungs- Annahme: Bereitschaft 300 Euro zu zahlen Probleme sind aus methodischerdiese Summe durch das Todesrisiko von ein Zehntausendstel dividiert Sicht noch nicht gelöst das Ergebnis von drei Millionen Euro soll dann der "Wert für ein statistisches Leben" sein. Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 29
Kosten-Effektivitäts-Analyse • Effektivität= Wirksamkeit • Die Nützlichkeit bemisst sich an der Effektivität einer Maßnahme • Messgrößen: natürliche Einheiten (technische Erfolgskriterien) Beispielsweise – Senkung des Blutzuckers – Komplette Remissionen – Überleben in Jahren • Definition durch Mediziner • Problem: Vergleichbarkeit mit anderen Maßnahmen, die andere Parameter benötigen Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 30
Kosten-Nutzwert-Analysen • Definition der Nützlichkeit einer Maßnahme in Form eines Nutzwertes • Ein Nutzwert umfasst mehrere Ergebnisgrößen, die nach einer bestimmten Gewichtung aggregiert werden • Beispiel: qualitätsadjustiertes Lebensjahr (QALY) • Aggregat der Dimensionen gesundheitsbezogener Lebensqualität und (Rest-) Lebenserwartung: – Die Lebensqualität wird auf einer Skala von 0 (Tod) bis 1 (vollständige Gesundheit) indexiert und mit der Anzahl gewonnener Lebensjahre multipliziert – Ermittlung der erwarteten Restlebenszeit anhand klinischer und epidemiologischer Studien – Bewertung der Lebensqualität durch spez. Messinstrumente (Fragebögen) • Berechnung des monetären Aufwands [€] • Dimension der Kosten-Nutzwert- Analyse: €/QALY • Kriterium der Effizienz…… Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 31
Effizienzkriterium • Fragestellung: Welche Maßnahmen, die das Bedürfnis Gesundheit befriedigen, sollen mit den zugeteilten Ressourcen auch tatsächlich umgesetzt werden? • Maßstab: die Nützlichkeit einer Maßnahme im Verhältnis zu den Kosten Effizienz • Effizienz (v. lat.: efficere „bewirken“) ist das Verhältnis eines in definierter Qualität vorgegebenen Ziels zu dem Aufwand, der zur Erreichung dieses Ziels nötig ist. Effizienz ist gegeben, wenn Bei gleichen Kosten keine quantitative oder qualitative Ausweitung möglich ist Bei gegebener Menge und Qualität keine Kosteneinsparung möglich ist • Nach dem Effizienzkriterium sind diejenigen Maßnahmen vorzuziehen, die unter den gegebenen Alternativen den Nutzen maximieren – Effekt pro Geldeinheit (Kosten-Effektivitäts- Analyse) – QALYs pro Geldeinheit (Kosten-Nutzwert-Analyse auf Basis von QALYs) Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 32
Ökonomisches Prinzip (Effizienzpostulat) • Minimalprinzip – Beim Minimalprinzip ist das zu erreichende Ziel vorgegeben. Der Mitteleinsatz soll so gering wie möglich – minimal – bei einem bestimmten Ertrag sein • Beispiel: Mit möglichst wenig Benzin eine vorgegebene Strecke fahren • Maximalprinzip – Beim Maximalprinzip (auch Maximumprinzip oder Haushaltsprinzip) ist der Mitteleinsatz (Input) vorgegeben. Es soll ein möglichst hohes (also maximales) Ziel (Output) erreicht werden • Beispiel: Mit einer gegebenen Benzinmenge möglichst viele Kilometer fahren. Kommunen (öffentliche Haushalte) sollten nach diesem Prinzip arbeiten Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 33
Kritik am Effizienzkriterium • Indifferenz gegenüber der Verteilung des Nutzens: – Präferenzen der Individuen für eine bestimmte Verteilung des Nutzens werden nicht berücksichtigt • Beispiel: – Verrechnung (und Bevorzugung) einer präventiven Maßnahme, die sehr vielen Menschen einen geringen Nutzen stiftet – mit einer Maßnahme die ein einziges konkretes Menschenleben retten kann • Der ökonomische Ansatz macht keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen wichtigen und unwichtigen Entscheidungen („Leben und Tod“) und ist daher nicht mit einer Entscheidung für ein bestimmtes Produkt (z.B. Auto) gleichzusetzen • Es besteht ein Zielkonflikt zwischen den bestmöglichen gesellschaftlichen Ergebnissen und bestimmten Verteilungszielen Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 34
Perspektive • Effizienz kann nicht das alleinige Kriterium der Ressourcenallokation im Gesundheitswesen sein • Effizienz ist sinnvoller weise nur ein Kriterium unter mehreren sein (prinzipienethischen Ansatz) • Beispielweise in Kombination mit – Maximierung des gesundheitlichen Gesamtnutzens – Bevölkerungsschutz – Achtung der Menschenwürde – Freiheit – Gleichheit – Gerechtigkeit – Verhältnismäßigkeit Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 35
Kosten, Kosten-Nutzen, Kosten-Effektivität und Kosten-Effizienz Gesundheitlicher Nutzen Einer gewährten Einer NICHT gewährten Nutzen/ Gesundheitsleistung Gesundheitsleistung Kosten Relation Ist Ist Wäre Wäre positiv negativ positiv negativ Optimale Unter- positiv Versorgung Versorgung Fehl- Optimale Versorgung Versorgung Über- Optimale negativ Versorgung Versorgung Nach Prof. Eberhard Wille, Universität Mannheim Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 36
• Angebot und Nachfrage nach Gesundheitsleistungen – Demographie und Kosten Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 37
Entwicklung der Lebenserwartung in D Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 39
Entwicklung der Lebenserwartung in D Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 40
Demografische Entwicklung (Alterspyramide) Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 41
Lebenserwartung: Deutschland und die Welt Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 42
Höhere Lebenserwartung = Größere Nachfrage = Höhere Kosten Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 43
Höhere Lebenserwartung = Höhere Kosten? • „Je besser die Medizin ist, um so mehr gelingt es, Kranke am Leben zu erhalten, die bei schlechter Betreuung viel eher gestorben wären.“ • „Die am Leben gehaltenen Kranken und alten Menschen müssen natürlich weiterhin medizinisch betreut werden.“ Prof. Dr. med. Eggert Beleites em. Präsident der Landesärztekammer Thüringen Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 44
Höhere Lebenserwartung = Höhere Kosten? Drei Hypothesen zum Einfluss der gestiegenen Lebenserwartung auf die Gesundheitsausgaben: 1. Status-quo-Hypothese: altersspezifische Pro-Kopf-Ausgaben hängen nur vom Stand der medizinischen Technik ab. • Die Auswirkungen der demografischen Alterung kann berechnet werden, indem das aktuelle Altersausgabenprofil auf künftige Altersverteilungen der Bevölkerung angewandt werden (Prognos 1998) Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 45
Höhere Lebenserwartung = Höhere Kosten? Drei Hypothesen zum Einfluss der gestiegenen Lebenserwartung auf die Gesundheitsausgaben: 2. Medikalisierungsthese: Die neuen Möglichkeiten der Behandlung etwa von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verlängern das Leben der Patienten, ohne jedoch deren Gesundheitszustand entscheidend zu verbessern • Zusätzliche Behandlungen z. B. für Krebserkrankungen werden nötig • Der medizinische Fortschritts führe zur Lebensverlängerung von Patienten, die so krank sind, dass sie ohne die neuen Behandlungen sterben würden. Das führt zu einer zunehmenden Verschlechterung des Gesundheitszustands der Bevölkerung über die Zeit und zu höheren Kosten (Olhansky et al. 1991; Krämer 1993). Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 46
Höhere Lebenserwartung = Höhere Kosten? Drei Hypothesen zum Einfluss der gestiegenen Lebenserwartung auf die Gesundheitsausgaben: 3. Kompressionsthese: Der Unterschied der Gesundheitsausgaben zwischen jung und alt ist nicht in erster Linie altersbedingt, sondern der unterschiedlichen Nähe zum Tod begründet • In den hohen Altersgruppen befindet sich ein höherer Anteil von Personen in den letzten Lebensjahren, in denen die Gesundheitsausgaben zur Vermeidung des nahenden Todes besonders hoch sind. • In dieser Situation führt ein Anstieg der Lebenserwartung – verursacht durch den medizinischen Fortschritt oder einfach einen gesünderen Lebensstil – zu sinkenden Sterblichkeitsraten, so dass in jeder Altersgruppe weniger Personen im letzten Lebensjahr stehen. (Fries 1980) Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 47
Höhere Lebenserwartung = Höhere Kosten? Drei Hypothesen zum Einfluss der gestiegenen Lebenserwartung auf die Gesundheitsausgaben: 3. Kompressionsthese: Der Unterschied der Gesundheitsausgaben zwischen jung und alt ist nicht in erster Linie altersbedingt, sondern der unterschiedlichen Nähe zum Tod begründet – Der Anstieg von Behandlungskosten am Lebensende ist belegt – Die Kompressionsthese wird gestützt durch die Zurückhaltung von Ärzten, alte, nichtheilbare Patienten so aggressiv zu behandeln wie junge Patienten mit gleichen Symptomen Ab einem bestimmten Alter führt dies zu einer Abnahme der Ausgaben am Lebensende, d.h. die Schätzungen künftiger Anstiege der Pro-Kopf- Gesundheitsausgaben fallen zu hoch aus Die empirische Grundlage für sinkende Ausgaben am Lebensende im hohen Alter ist eindeutig Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 48
Hohes Alter: hohe Kosten? Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 49
Versteckte Rationierung? Kosten Überlebende/Sterbende Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 50
Versteckte Rationierung? Kosten Überlebende/Sterbende Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 51
Versteckte Rationierung? Wie häufig haben Sie in den letzten sechs Monaten eine für den Patienten nützliche Maßnahme aus Kostengründen nicht durchgeführt bzw. durch eine preiswertere und zugleich weniger effektive Maßnahme ersetzt? Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 52
Das Problem mit den Prognosen…. • Vorausberechnung der Behandlungskosten • Perspektive: 22 Jahre • Prognostizierter durchschnittlicher Anstieg pro Jahr – Kompressions-Szenario: 0,2 % – Status-quo-Szenario: 0,6 % • Tatsächlicher Anstieg (2002 bis 2008): 2,3 % pro Jahr • Relevante Faktoren für die Kostenentwicklung: – demografischen Entwicklung – medizinisch-technischer Fortschritt – Teuerung – rechtliche Rahmenbedingungen – Leistungs- und Zugangsausweitungen – die Morbiditätsentwicklung – …. Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 53
Kosteneffektivität der Prävention Prävention: Vermeidung oder Wenige gute Daten Hinauszögerung einer verfügbar gesundheitlichen Beeinträchtigung Die einzige Präventionsmaßnahme, die Wirklich kosteneffizient ist? Impfung ! Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 59
• Sparmaßnahmen, Rationalisierung Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 60
$12 SGB V Absatz 1 • „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. • Leistungen, die nicht notwendig sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ • Versorgung ist ‚wirtschaftlich‘, wenn der Leistungserbringer die (notwendigen, ausreichenden und zweckmäßigen) Leistungen mit einem möglichst geringen Aufwand erbringt. • (WANZ-Prinzip) Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 61
Z-A-N • Zweckmäßig ist eine ärztliche Maßnahme, die objektiv geeignet ist, auf den angestrebten Zweck, den Heilerfolg hinzuwirken • Ausreichend sind Leistungen, wenn sie – dem Einzelfall angepasst sind – dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen – den medizinischen Fortschritt berücksichtigen. • Notwendig ist eine Behandlung, die – nicht über den Umfang dessen hinausgeht, was im Einzelfall zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit unentbehrlich ist. – der Arzt bei der Behandlung eines Patienten nach dem Stand der medizinischen Erkenntnissen nicht verzichten darf, andernfalls ist die Behandlung nicht ausreichend. • Kriterien zweckmäßig und ausreichend stellen sicher, dass nicht weniger geschieht, als zur Erzielung des Heilerfolges geschehen muss • Kriterium notwendig stellt sicher, dass nicht mehr geschieht, als diesem Ziel entspricht. Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 62
Rationalisieren und Rationieren • Rationalisierung ist die Erbringung einer medizinischen Leistung mit weniger Aufwand – Das Ziel der Rationalisierung ist es, Unnötiges abzuschaffen und die vorhandenen Mittel möglichst wirkungsvoll einzusetzen • Weniger unnötige Untersuchungen und wirkungslose Behandlungen • preisgünstigere Medikamente • effizientere Arbeitsabläufe • Rationalisierung wird heute vor allem mit der Arbeitsintensivierung betrieben, also durch Mehrleistungen des ärztlichen und des Pflegepersonals. Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 63
Rationalisieren und Rationieren • Rationierung beschreibt den Verzicht auf an sich sinnvolle medizinische Leistungen aus finanziellen Gründen – Dabei geht es nicht um überflüssige Behandlungen • sondern um die für eine bestimmte Person „zu teuren“ oder „nicht mehr angemessenen“ Leistungen • und letztlich um die Frage, was ein Leben kosten darf – Rationierung im Gesundheitsbereich können sich altersdiskriminierend auswirken – Deutsche und englische Untersuchungen über die Sterbekosten (Gesundheitsausgaben im letzten Lebensjahr) belegen, dass betagte Patienten weit weniger intensiv behandelt werden als jüngere Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 64
Kostendiskussion /Rationierung • Das Gesundheitssystem muss mehr sein als ein Reparaturbetrieb • Die Konzentration auf die Kostendämpfung führt zu paradoxen Effekten: – die Kostenspirale dreht sich weiter – Die Qualität der Versorgung und die Zufriedenheit der Patienten- und der Ärzte verschlechtert sich • Die Kostendebatte führt zu versteckter Rationierung [Schwartz, Hannover] Vorlesungsreihe Gesundheitsökonomie ™ 02.07.2018 65
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