Langzeitschäden durch Cannabis - ein unterschätztes Problem?
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
CURRICULUM Schweiz Med Forum 2006;6:1128–1132 1128 Langzeitschäden durch Cannabis – ein unterschätztes Problem? Michael Schaub, Rudolf Stohler Forschungsgruppe Substanzstörungen, Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Einleitung Quintessenz 쎲 Joints (Cannabiszigaretten) produzieren, ähnlich wie Tabakzigaretten, etwa Cannabis ist heute die meistverbreitete illegale 4000 verschiedene chemische Stoffe, teils mit bekannter kanzerogener Potenz, Droge in der Schweiz. Etwa ein Fünftel der teils mit noch unerforschten Krankheits- und Gesundheitspotentialen. Schweizer Bevölkerung hat in ihrem Leben schon einmal Cannabis geraucht. Insbesondere 쎲 Mögliche somatische Langzeitschädigungen durch das regelmässige Rau- unter Jugendlichen hat sich die Prävalenz des chen von Joints sind im respiratorischen System zu erwarten. Cannabiskonsums in den letzten zwanzig Jahren 쎲 Ungeklärt, aber wahrscheinlich ist, dass ein Cannabiskonsum für Patienten vervielfacht. Mehr als 6% der unter 25jährigen mit kardiovaskulären Erkrankungen schädlich sein könnte. gaben bei der letzten Gesundheitsbefragung an, mindestens einmal pro Woche Cannabis zu kon- 쎲 Die Teratogenität des Cannabiskonsums während der Schwangerschaft sumieren [1]. scheint klinisch unbedeutend zu sein. Allerdings wurden nach einer Cannabis- Der Rauch von Joints (Cannabiszigaretten) ent- exposition in utero kognitive Beeinträchtigungen im Kindesalter beobachtet. hält, ähnlich wie derjenige von Tabakzigaretten, 쎲 Von negativen Langzeitwirkungen auf die Psyche bei regelmässigem Can- verschiedene, zum Teil kanzerogene Stoffe (z.B. nabiskonsum kann hauptsächlich beim Krankheitsverlauf von schizophrenen Benzpyren) [2]. Es ist nur schon deshalb zu er- Patienten ausgegangen werden. warten, dass regelmässiges Cannabisrauchen zu vergleichbaren somatischen Spätschäden führt 쎲 Die Assoziation zwischen einem Cannabiskonsum und Depressionen scheint wie das alleinige Tabakrauchen. vor allem gemeinsamen Faktoren geschuldet zu sein, die sowohl das Risiko Auch potentielle Langzeitschädigungen von psy- für den Cannabiskonsum als auch für Depressionen erhöhen. chischen Funktionen sind denkbar. Teilweise 쎲 Psychosoziale Probleme bei Jugendlichen sind häufiger eine Ursache für den kontrovers diskutiert wird der Einfluss eines Konsum von Cannabis als umgekehrt. mehr oder weniger regelmässigen Konsums auf die Entstehung bzw. den Verlauf psychotischer 쎲 Bei chronischem Cannabiskonsum im Erwachsenenalter wurde von kogni- und depressiver Störungen im allgemeinen und tiven Leistungsdefiziten berichtet, die allerdings nach Konsumbeendigung bei vulnerablen Subgruppen im speziellen, auf reversibel waren. Persönlichkeitszüge sowie auf kognitive (v.a. 쎲 Trotz der relativ geringen Zahl gesicherter Spätschäden besteht eine aus- mnestische) Fähigkeiten. Ebenfalls zu nennen reichend hohe Evidenz, um aus ärztlicher Sicht von Cannabis als Rausch- und ist in diesem Zusammenhang die Debatte um Genussmittel abzuraten. die Verursachung eines «amotivationalen Syn- droms». Schliesslich ist auch die Rolle von Can- Summary nabis als sogenannte «gate-way-drug» unklar. Es steht andererseits aber auch ein möglicher Long term adverse effects of cannabis – medizinischer Nutzen von Cannabis für eine an underestimated problem? Vielzahl von medizinischen Konditionen zur Debatte, und in einigen Fällen wurde ein 쎲 Cannabis smoking results in the uptake of some 4000 different chemical solcher in der Praxis schon gezeigt. Potentielle compounds. While some of these possess well-known carcinogenic properties, Anwendungsfelder von Cannabis bzw. einzel- the effects of others are at present unknown. ner Cannabinoide sind die Schmerzbehand- 쎲 Possible adverse long-term effects on the respiratory system of habitual lung, chemotherapieinduzierte Übelkeit, Man- smokers are probably to be expected. gelernährungszustände, Spastizität (z.B. bei Multipler Sklerose) und das «waste-syndrome» 쎲 There is suggestive evidence of adverse consequences from cannabis use in bei AIDS-Kranken. Neuerdings werden Cannabi- patients with a compromised cardiovascular system. noiden auch interessante neuroprotektive Eigen- 쎲 Cannabis use during pregnancy does not appear to be teratogenic. However, schaften nachgesagt. Bei allfälligen medizini- some cognitive functions of children exposed to cannabis in utero appear to be schen Anwendungen müsste selbstverständlich adversely affected. auf eine möglichst schadensarme Einnahme- form geachtet werden. CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. 1119 oder im Internet unter www.smf-cme.ch.
CURRICULUM Schweiz Med Forum 2006;6:1128–1132 1129 Cannabiskonsumenten, die während zwei Jah- 쎲 Long term negative effects of chronic cannabis use on mental health are ren täglich Cannabis rauchten, ein um mehr als primarily observed on the long run in case of schizophrenia. das Dreifache erhöhtes Risiko für eine Nikotin- 쎲 The association of cannabis use with depression apparently stems from abhängigkeit innerhalb von drei Jahren bestand. shared genetic or environmental factors. Falls sich diese Befunde bestätigen und Jugend- liche und Adoleszente durch den Konsum von 쎲 Psychosocial problems of young people are a cause of chronic cannabis use Joints eher zu Nikotinkonsum und -abhängigkeit rather than the reverse. neigen, bedeutete dies, dass solche Konsumen- 쎲 Cognitive impairment in chronic cannabis users seems to be reversible after ten auch Langzeitschädigungen durch Tabak cannabis use has stopped. und insbesondere durch Tabakzigaretten erlei- den könnten. 쎲 From the medical point of view there is sufficient evidence to advise against Verschiedentlich hat sich Cannabis bei der Be- cannabis use for recreational purposes. handlung von Karzinomschmerzen und bei chemotherapieinduzierter Übelkeit bewährt. Chemisch reines THC, das als Medikament (Dro- nabinol) in vielen Ländern zugelassen ist und Somatische Langzeitschädigungen auch in der Schweiz mit einer Sonderbewilligung verordnet werden kann, unterscheidet sich in Auswirkungen des Cannabiskonsums auf den seiner Wirkung teilweise wesentlich von der Respirationstrakt, das Herz-Kreislauf-System, Cannabinoidmischung, wie sie – in variablen das Endokrinium und das Immunsystem sowie Quantitäten – in der Hanfpflanze vorliegt. solche eines mütterlichen Cannabiskonsums Berichte über erhöhte Karzinomrisiken in ande- während der Schwangerschaft stehen hier im ren Körperregionen als dem Respirationstrakt Mittelpunkt des Interesses. Teilweise wird über (Tumoren der Zunge und Lymphdrüsenkarzi- kausal assoziierte Langzeitschädigungen berich- nome) sind bisher nur vereinzelt zu finden, sind tet oder vermutet, dass ein Konsum zu deren zum Teil widersprüchlich und basieren auf Entstehung beiträgt. methodisch unzureichenden Studien. Auswirkungen auf den Respirations- Kardiale Effekte trakt und die Tumorgenese Das endogene Cannabinoidsystem scheint eine Häufiges Cannabisrauchen kann eine ganze zentrale Rolle bei der Modulation einer Vielzahl Anzahl pulmonaler Langzeitschädigungen zur von vaskulären Funktionen zu übernehmen. Folge haben. Möglicherweise reduziert die in den Exogenes THC soll eventuell, in niedriger Dosie- letzten Jahren steigende THC-Konzentration ge- rung, protektiv gegen die Bildung atheromatoti- wisser Hanfpräparate allerdings die Schadstoff- scher Plaques in den Arterien und insbesondere belastung. Zu den Langzeitschädigungen durch in den Koronarien wirken. Ein Cannabiskonsum regelmässigen Konsum von Joints gehören chro- erhöht generell die Herzfrequenz sowie den nische Bronchitiden und andere Atemwegent- systolischen Blutdruck, wobei auch intermittie- zündungen, histopathologische Auffälligkeiten rende orthostatische Hypotensionszustände auf- der Bronchialmukosa und eine Funktionsstörung treten können [4]. Über die Auswirkungen des der tumoriziden Aktivität der Alveolarmakropha- Cannabiskonsums auf Patienten mit kardio- gen, was zu Metaplasien und schliesslich zu Kar- vaskulären Erkrankungen ist bisher nur wenig zinomen der Lungen führen könnte. Eine neuere bekannt. Naheliegend ist jedoch, dass solche Reviewarbeit kommt dennoch zum Schluss, dass Patienten aufgrund der erhöhten Herzfrequenz bis heute keine schlüssige Evidenz aus Beobach- und des vergleichsweise hohen Carboxyhämo- tungsstudien von Cannabiskonsumenten vor- globinlevels sowie posturaler Hypotensionen liege, die eine Assoziation zwischen dem Canna- wahrscheinlich einem erhöhten Gesundheits- bisrauchen und Lungenkarzinomen zeige [3]. risiko ausgesetzt sind. Auf der Basis von In-vitro- Denkbar ist somit, dass die Zusammenhänge und In-vivo-Tierexperimenten werden dem en- wesentlich vielschichtiger und komplexer sind. dogenen kardialen Cannabinoidsystem vielver- So legen einige Studien auch nahe, dass gewisse sprechende protektive Eigenschaften gegenüber Cannabinoide antikarzinomatöse Aktivitäten be- Myokardinfarkten nachgesagt. sitzen. Eine bronchodilatatorische Wirkung wurde ebenfalls beschrieben, was ein Abhusten von Schadstoffen begünstigen könnte. Effekte auf das Endokrinium Es gilt aber ebenfalls zu beachten, dass bei nicht- rauchenden Teenagern mit einem wöchent- In Tiermodellen wurde gezeigt, dass akute Can- lichen Cannabiskonsum ein um das Achtfache nabinoidadministrationen ganz verschiedene erhöhtes Risiko für einen regelmässigen Niko- hormonelle Systeme beeinflussen können. Dazu tinkonsum nachgewiesen wurde und dass bei gehörten gonadale Steroide, Wachstumshor-
CURRICULUM Schweiz Med Forum 2006;6:1128–1132 1130 mone, Prolaktin und Thyroidhormone. Beim aber auch eine ganze Anzahl anderer möglicher Menschen sind die Befunde zu den allfälligen Langzeitschädigungen dokumentiert. Darunter hormonellen Veränderungen durch chronischen fallen Berichte über ein erhöhtes Risiko für das Cannabiskonsum hingegen inkonsistent und Auftreten psychischer Störungen oder über klinisch wohl eher unbedeutend. einen früheren Beginn. Nachstehend wird der Stand des Wissens für einzelne Störungen erläu- tert. Dabei wird sich zeigen, dass der Ursache- Immunsystem Wirkungs-Zusammenhang meist ungesichert ist und dass eine psychische Störung häufiger Abgesehen von der schon erwähnten Suppres- zu einem regelmässigen Cannabiskonsum führt sion der tumoriziden Aktivität der Alveolar- als umgekehrt [6]. makrophagen ist bei der derzeitigen – allerdings sehr spärlichen – Datenlage eine klinisch rele- vante systemische Immunsuppression durch Amotivationales Syndrom und Cannabis bzw. Cannabinoide nicht zu befürch- psychosoziale Folgeschäden ten. Beim AIDS-assoziiertem «waste-syndrome» bei Jugendlichen und Adoleszenten wurde verschiedentlich von einer Verbesserung der Symptomatik berichtet. Viele Studien widmeten sich der Frage, ob sich ein Cannabiskonsum auf die Motivation und die Leistungsfähigkeit bei Jugendlichen auswirke. Schwangerschaft Heute gelten Passivität, Lethargie, Antriebs- mangel, verflachter Affekt und Interesselosigkeit Beim Menschen ist bisher kaum von teratogenen zwar als mögliche Effekte eines fortgesetzten Effekten durch einen Cannabiskonsum berichtet Konsums; die Existenz eines eigenständigen, worden. Verglichen mit der gut dokumentierten cannabisinduzierten amotivationalen Syndroms Teratogenität von Alkohol scheint diejenige von gilt aber als überholt. Erklärungen für amotiva- Cannabis, wenn überhaupt vorhanden, nur mini- tionales Verhalten sind mehr im sozialen Kontext mal und klinisch unbedeutend zu sein. Dagegen zu suchen, in dem Cannabis konsumiert wird. konnten bei Kindern, die in utero Cannabis aus- Adoleszente Cannabiskonsumenten gewöhnen gesetzt waren, zwar keine Intelligenzminderung, sich schneller einen antikonventionellen Lebens- jedoch geringere exekutive Funktionsleistungen stil an, sind häufiger Mitglieder von kontestativen (v.a. bezüglich der Aufmerksamkeit und der visu- oder delinquenten Peergroups, nehmen früher ellen Hypothesetestung) beobachtet werden [5]. erwachsene Verhaltensweisen an und verlassen frühzeitiger die Schule und das Elternhaus. Eine sehr umfangreiche systematische Übersicht Analgesie und neuroprotektive Effekte longitudinaler Studien in der Allgemeinbevölke- rung über den Zusammenhang zwischen dem Cannabinoide haben vermutlich einen Nutzen in Cannabiskonsum von jungen Personen und den der Schmerzbehandlung. Gerade bei der Be- psychosozialen Folgeschädigungen [6] kommt kämpfung von chronischen Schmerzen könnten zum Schluss, dass es keine Evidenz gebe, die Cannabinoide gut mit den tendenziell stärker eine «robuste» Kausalbeziehung zwischen sedierenden Opiaten kombiniert werden und so einem Cannabiskonsum und psychosozialen Fol- unerwünschte Opiatwirkungen reduzieren helfen. geschäden belege. Weiter werde die Stärke der Neben einer stattlichen Anzahl anekdotischer assoziativen Zusammenhänge mit schwachen Berichte über Symptomverbesserungen bei ver- Schulleistungen, dem Konsum von anderen ille- einzelten Multiple-Sklerose-Patienten, die regel- galen Drogen, psychischen Beschwerden sowie mässig Cannabis konsumierten, konnten nun mit einem auffälligen Verhalten im allgemeinen einige kontrollierte klinische Studien die Wirk- überschätzt. Besonders deutlich gelte dies für samkeit von mittels eines Sublingualsprays ver- eigentliche psychische Störungen. Die Datenlage abreichtem THC bei der Spastizitätsreduktion spreche eher für eine umgekehrte Kausalität. von Patienten mit Multipler Sklerose zeigen. Psychosoziale Probleme seien demzufolge häu- Ein relativ neues Forschungsfeld untersucht zur- figer für den Konsum von Cannabis verantwort- zeit vor allem in Tierexperimenten die neuropro- lich als umgekehrt. tektiven Eigenschaften spezifischer Cannabinoide. Kognitive Beeinträchtigungen Mögliche Langzeitschädigungen bei Erwachsenen psychischer Funktionen Langzeitwirkungen auf die kognitive Leistungs- Wahrscheinlich ist eine Verschlechterung des fähigkeit wurden bisher vor allem bei inten- Krankheitsverlaufs von Schizophreniepatienten sivem, langjährigem Cannabiskonsum und nach mit regelmässigem Cannabiskonsum. Es ist dessen Beendigung untersucht. Bei fortgesetz-
CURRICULUM Schweiz Med Forum 2006;6:1128–1132 1131 tem Konsum von Erwachsenen scheint eine Ver- Vergleichsweise sicher ist hingegen der Befund, minderung von den Aufmerksamkeits-, Lern- dass ein Cannabiskonsum bei schizophrenen und Kurzzeitgedächtnisleistungen vorzuliegen, Störungen mit eher ungünstigen Verläufen asso- wohingegen andere kognitive Leistungen, insbe- ziiert ist [8]. sondere auch das Langzeitgedächtnis, unbeein- Neuere prospektive Studien zeigen relativ deut- trächtigt bleiben [7]. Nach dem Absetzen kann es liche Assoziationen zwischen einem Cannabis- wahrscheinlich bei langjährigem, chronischem konsum und späteren Depressionen [9]. Solche Cannabiskonsum während der ersten ein bis Zusammenhänge führen einige Autoren jedoch zwei Wochen zu Defiziten in der Aufmerksam- auf gemeinsame Faktoren zurück, welche sowohl keitssteuerung und bei Gedächtnisleistungen das Risiko für einen Cannabiskonsum als auch kommen, die sich dann aber in den allermeisten dasjenige für depressive Episoden erhöhen [9]. Fällen wieder legen: Langzeiteffekte auf die Möglicherweise besteht aber gerade bei Mäd- kognitive Leistungsfähigkeit scheinen offenbar chen, die Cannabis bereits früh konsumieren, ein schon einen Monat nach der Abstinenz so ge- erhöhtes Risiko für eine spätere Depression. ringfügig zu sein, dass sie sehr schwer messbar Erstaunlich wenig ist darüber bekannt, was für und klinisch unbedeutend sind [7]. Relevant Risiken ein regelmässiger Cannabiskonsum für scheint aber auch das Einstiegsalter zu sein. So die Genese oder den Verlauf anderer psychischer schnitten Langzeitkonsumenten, die schon vor Störungen birgt. Bei Persönlichkeitsstörungen, dem 17. Lebensjahr mit dem Cannabiskonsum vor allem bei der dissozialen und der Borderline- angefangen hatten, nach 28 Tagen Abstinenz Persönlichkeitsstörung, wird in den meisten schlechter ab als solche mit einem späteren Fällen von einem gemischten Substanzkonsum Beginn. Möglicherweise ist dies aber nur ein berichtet. Dasselbe gilt bei Aufmerksamkeits- Hinweis dafür, dass Cannabiskonsumenten mit defizit- und Hyperaktivitätsstörungen. Ein multi- einem früheren Beginn länger zur kognitiven Re- pler Substanzgebrauch kommt auch bei Phobien generierung brauchen oder dass Einschränkun- gehäuft vor. Hierbei steht jedoch der Konsum von gen schon vor dem Konsumbeginn vorlagen. Alkohol und Benzodiazepinen im Vordergrund. Vereinzelt wird über günstige Effekte bei Patien- ten mit posttraumatischen Belastungsstörungen Langzeitwirkungen (PTBS) berichtet. bei psychischen Störungen In der Literatur werden vor allem Erkrankungen Schlussfolgerungen aus dem schizophrenen Formenkreis sowie affektive Störungen mit einem Cannabiskonsum Mögliche somatische Langzeitschädigungen assoziiert [8, 9]. durch das regelmässige Rauchen von Joints sind Über mögliche Zusammenhänge von Cannabis chronischer Husten, Atemwegentzündungen, und Störungen aus dem schizophrenen Formen- ein dysreguliertes Wachstum der Epithelzellen kreis existieren eine Vielzahl von Untersuchun- und eine klinisch relevante Suppression der gen [8]. Vermutlich kann Cannabis eine leichte, Alveolarmakrophagenfunktion, was zu Metapla- vorübergehende, toxische Psychose induzieren, sien und in fortgeschrittenen Stadien zu Lungen- die unmittelbar nach einem Cannabiskonsum karzinomen führen könnte. Die Evidenz dafür ist oder innerhalb der folgenden 48 Stunden auf- aber zum jetzigen Zeitpunkt noch limitiert und tritt, zwischen einem und sechs Monate lang relativ inkonsistent. Es ist trotzdem naheliegend, dauert und auf keine anderen Ursachen als auf dass bei einem allfälligen medizinischen Einsatz den Cannabiskonsum zurückzuführen ist (DSM- von Cannabinoiden aufgrund dieser denkbaren IV-TR). Solche toxischen Psychosen kommen pulmonalen Langzeitschädigungen auf eine jedoch selten vor und ziehen kaum eine ärztliche möglichst schadensarme Einnahmeform geach- Intervention nach sich. Studienergebnisse zur tet werden müsste. Ungeklärt, aber wahrschein- Frage, ob ein Cannabiskonsum längeranhal- lich ist, dass ein Cannabiskonsum für Patienten tende psychotische Episoden bei vulnerablen mit kardiovaskulären Erkrankungen schädlich Individuen verursachen kann, sind teilweise wi- ist. Die Teratogenität von Frauen, die während dersprüchlich. Prospektive Studien weisen dar- der Schwangerschaft Cannabis konsumieren, auf hin, dass ein Cannabiskonsum wahrschein- scheint unbedeutend zu sein. Neurokognitive lich eher mit einem erhöhten Psychoserisiko Tests führten hingegen zu Berichten über eine assoziiert ist, lassen aber noch keine endgültigen Verminderung der exekutiven Leistungsfähigkeit Schlüsse zu [8]. Die Tatsache, dass die Schizo- im späteren Kindesalter. phrenieinzidenz in den letzten 30 Jahren stabil Von negativen Langzeitwirkungen eines regel- bis leicht rückläufig war, der Konsum von Can- mässigen Cannabiskonsums auf die Psyche nabis sich jedoch in derselben Zeitspanne ver- kann hauptsächlich beim Krankheitsverlauf von fünffachte, lässt zumindest an einem kausalen schizophrenen Patienten ausgegangen werden. Zusammenhang zwischen dem Cannabiskon- Weiter wurde bei erwachsenen chronischen sum und einer späteren Schizophrenie zweifeln. Cannabiskonsumenten von – allerdings nach der
CURRICULUM Schweiz Med Forum 2006;6:1128–1132 1132 Abstinenz reversiblen – Verminderungen der nenfalls besteht aber bei Mädchen, die Cannabis Aufmerksamkeits-, Lern- und Kurzzeitgedächt- bereits früh konsumieren, ein erhöhtes Risiko nisleistungen berichtet. Die assoziativen Zusam- für eine spätere Depression. menhänge zwischen einem Cannabiskonsum Als Schlussfolgerung lässt sich anmerken, dass und psychosozialen Folgeschäden bei jungen eine ganze Anzahl von negativen somatischen Personen werden eher überschätzt, denn psy- sowie psychischen Langzeitwirkungen in Frage chosoziale Probleme sind wahrscheinlich häu- kommen, die für Spätschäden verantwortlich figer für den Konsum von Cannabis verant- sein könnten. Davon sind jedoch relativ wenige wortlich als umgekehrt. Die Frage, ob ein Can- gesichert und vermutlich noch einige unbekannt. nabiskonsum längeranhaltende psychotische Dennoch reicht die Evidenzlage aus, um aus Episoden bei vulnerablen Individuen verursa- ärztlicher Sicht von Cannabis als Rausch- und chen kann, wird teilweise widersprüchlich be- Genussmittel abzuraten. Abraten heisst aller- antwortet. Prospektive Studien weisen darauf dings nicht verbieten und bestrafen. Wenig hin, dass ein Cannabiskonsum mit einem erhöh- spricht dafür, dass eine Pönalisierung zu einer ten Psychoserisiko assoziiert ist, lassen aber Senkung der Konsumprävalenz beiträgt [10], noch keine endgültigen Schlüsse zu. Ein Canna- und Untersuchungen zu den Folgen (Langzeit- biskonsum ist zudem relativ deutlich mit einem schäden) von polizeilichen Interventionen und erhöhten Risiko für spätere Depressionen asso- gerichtlichen Sanktionierungen sind dringend ziiert, was aber vermutlich auf gemeinsame erforderlich. Faktoren zurückzuführen ist, welche sowohl das Weitere Informationen zum Thema finden Sie Risiko für einen Cannabiskonsum als auch das- bei der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- jenige für depressive Episoden erhöhen. Gegebe- und andere Drogenprobleme (SFA) www.ispa.ch. Literatur 1 Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Dro- 7 Harrison GP Jr., Gruber AJ, Hudson JI, Huestis MA, Yurgelun- genprobleme (SFA). Zahlen und Fakten zum Thema ille- Todd D. Cognitive measures in long-term cannabis users. gale Drogen. Available from: www.sfa-ispa.ch/DocUpload/ J Clin Pharmacol. 2002;42(Suppl 11):41–7. d_cannabisgebrauch.pdf. 8 Hall W, Degenhardt L, Teesson M. Cannabis use and psy- 2 Iversen LL. The science of marijuana. Oxford: Oxford Uni- chotic disorders: an update. Drug Alcohol Rev. 2004;23: versity Press; 2000. 433–43. 3 Mehra R, Moore BA, Crothers K, Tetrault J, Fiellin DA. The 9 Degenhardt L, Hall W, Lynskey M. Exploring the association association between marijuana smoking and lung cancer: between cannabis use and depression. Addiction. 2003;98: a systematic review. Arch Intern Med. 2006;166:1359–67. 1493–504. Korrespondenz: 4 Jones RT. Cardiovascular system effects of marijuana. J Clin 10 MacCoun R, Reuter P. Evaluating alternative cannabis Dr. phil. Michael Schaub Pharmacol. 2002;42(11 Suppl):58–63. regimes. Br J Psychiatry. 2001;178:123–8. Forschungsgruppe 5 Fried PA, Smith AM. A litterature review of the conse- Eine Zusammenstellung mit weiterführender Literatur Substanzstörungen quences of prenatal marihuana exposure. An emerging zum Thema finden Sie in der Onlineausgabe dieses Zentrum für theme of a deficiency in aspects of executive function. Neu- Artikels unter www.medicalforum.ch/pdf/pdf_d/2006/2006- Abhängigkeitserkrankungen rotoxicol Teratol. 2001;23:1–11. 50/2006-50-60.pdf. 6 Macleod J, Oakes R, Copello A, Crome I, Egger M, Hickman Psychiatrische Universitätsklinik M, et al. Psychological and social sequelae of cannabis and Selnaustrasse 9 other illicit drug use by young people: a systematic review CH-8002 Zürich of longitudinal, general population studies. Lancet. 2004; mschaub@psychology.ch 363:1579-88.
Sie können auch lesen