Chemotherapie-induzierte Neuropathien (CIN) - www.kup.at/ - Krause und ...

 
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Journal für

 Neurologie, Neurochirurgie
 und Psychiatrie
             www.kup.at/
 JNeurolNeurochirPsychiatr   Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems

Chemotherapie-induzierte
                                                                               Homepage:
Neuropathien (CIN)
                                                                      www.kup.at/
Vass A, Grisold W                                               JNeurolNeurochirPsychiatr

Journal für Neurologie                                               Online-Datenbank
                                                                       mit Autoren-
Neurochirurgie und Psychiatrie
                                                                    und Stichwortsuche
2009; 10 (2), 44-47

                                                                                           Indexed in
                                                              EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS

 Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz
 P.b.b. 02Z031117M,              Verlagsor t : 3003 Gablitz, Mozar tgasse 10               Preis : EUR 10,–
Seggauer
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Entzündlicher Formenkreis,
Therapieansätze und Pathophysiologie.
Individualisierte Arzneimitteltherapie

13. bis 14. Oktober 2018
in Schloss Seggau
bei Leibnitz                             zum Programm 
Chemotherapie-induzierte Neuropathien (CIN)

          Chemotherapie-induzierte Neuropathien (CIN)
                                                                     A. Vass1, W. Grisold2

 Kurzfassung: Durch Chemotherapie induzierte           Thalidomid. In dieser Übersicht wird auf die ku-    As causative therapies do not exist they are a dose-
 Neuropathien manifestieren sich meist als über-       mulativen Dosen dieser Substanzen und die je-       limiting side effect of tumor therapy. Five groups of
 wiegend sensorische Neuropathien, die zu Ko-          weilige Symptomatik und Häufigkeit der dadurch      chemotherapeutic agents can cause CIN: platinium
 ordinationsstörungen und neuropathischen Schmer-      entstehenden Neuropathien eingegangen.              compounds, taxanes, vinca alcaloids, bortezomib,
 zen führen. Da es keine kausale Therapie gibt,                                                            and thalidomid. In this paper, the cumulative dose
 stellen sie eine dosislimitierende Nebenwirkung       Abstract: Chemotherapy-Induced Neuropa-             of these drugs and the symptoms and signs as well
 der Tumortherapie dar. Hervorgerufen werden           thies. Chemotherapy-induced neuropathies (CIN)      as the frequency of these neuropathies are re-
 sie durch fünf Substanzgruppen: Platinderivate,       are predominantly sensory neuropathies leading to   ported. J Neurol Neurochir Psychiatr 2009; 10
 Taxane, Vinca-Alkaloide sowie Bortezomib und          coordination problems and often neuropathic pain.   (2): 44–7.

„ Einleitung                                                                     sen und werden im Folgenden besprochen: Es handelt sich um
                                                                                 die bereits erwähnten Platinderivate, Taxane, Vinca-Alkaloi-
Neurotoxische Nebenwirkungen am peripheren Nervensys-                            de und die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung ge-
tem sind bei Tumortherapien heute zunehmend ein dosis-                           winnenden Substanzen Bortezomib und Thalidomid.
limitierender Faktor, denn im Gegensatz zu hämatologischen
Nebenwirkungen, die mit hämatopoetischen Wachstumsfak-
toren („growth factors“) behandelt werden können, gibt es
                                                                                 „ Platinderivate
derzeit keine Behandlungsmöglichkeiten oder Präventivmaß-                        Dazu zählen Cisplatin, Carboplatin und Oxaliplatin. Sie gehö-
nahmen [1]. Sie manifestieren sich meist in überwiegend sen-                     ren zu den DNA-Alkylantien und werden in der Therapie
sorischen Neuropathien, die zu beträchtlichen subjektiven                        zahlreicher Tumoren verwendet.
und objektiven Beeinträchtigungen wie Koordinationsstö-
rungen, Ungeschicklichkeit und neuropathischen Schmerzen                         Es treten rein sensorische Neuropathien auf. Als pathologi-
führen, was bei zunehmend besseren Langzeitremissionen                           scher Mechanismus wird eine Ganglionopathie der sensiblen
eine deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität für die                       Spinalganglien angenommen. Klinisch treten zunächst Miss-
Patienten bedeuten kann.                                                         empfindungen in den Zehen auf, später kommt es zur Beteili-
                                                                                 gung aller sensiblen Qualitäten und damit in schweren Fällen
Über einen möglichen verstärkenden Einfluss vorbestehender                       auch zu Koordinationsstörungen und Ataxie.
Neuropathien – hereditär oder bedingt durch Diabetes mel-
litus oder Alkohol – auf die Entwicklung toxischer Neuro-                        Für Cisplatin wird die kumulativ toxische Dosis mit 400 mg/m2
pathien ist bisher zu wenig bekannt [2]. Ebensowenig weiß                        angegeben. Bei dieser Substanz ist aber auch das Phänomen
man über synergistische Neurotoxizität von kombinierten                          des „Coastings“ beschrieben. Das bedeutet, dass nach Beendi-
Chemotherapieschemata.                                                           gung der Therapie über Monate noch eine weitere Zunahme
                                                                                 der Symptome auftreten kann [4, 5].
Durch Chemotherapien induzierte toxische Neuropathien
sind meist sensorisch oder überwiegend sensorisch und treten                     Dieser Effekt ist bei Carboplatin von geringerer Bedeutung.
nach mehreren Zyklen der Chemotherapie auf, wobei meist                          Carboplatin scheint überhaupt etwas weniger toxisch zu sein,
eine kumulative Dosis ermittelt werden konnte (Tab. 1). In                       erzeugt aber in höheren Dosen eine ähnliche Neuropathie wie
den meisten Fällen stabilisieren sich die Symptome nach Be-                      Cisplatin.
endigung der Chemotherapie, nur bei Platinderivaten kennt
man einige Ausnahmen im Verlauf: Einerseits gibt es eine                         Oxaliplatin, welches vor allem beim metastasierenden Kolon-
akute Neurotoxizität bereits kurz nach der ersten Chemothera-                    karzinom eingesetzt wird, bewirkt unmittelbar nach der ersten
pie bei Oxaliplatin, andererseits gibt es das Phänomen des                       Anwendung bei 60–80 % der Patienten durch Kälte verstärkte
„Coastings“, also eine weitere Progression der Neuropathie                       Missempfindungen in Händen, Mund und Hals [6]. Dieser
nach Beendigung der Therapie bei Cisplatin [3].                                  neurotoxische Effekt ist wahrscheinlich durch eine Ionen-
                                                                                 kanalstörung an den spannungsabhängigen Natriumkanälen
Wichtig zu erwähnen ist, dass nicht alle Zytostatika toxische                    bedingt und reversibel. Bei 20–30 % der Patienten tritt später
Neuropathien verursachen. Die wichtigsten Chemotherapeu-                         eine dosisabhängige Neuropathie ähnlich wie bei Cisplatin
tika, bei deren Anwendung eine toxische Neuropathie zu er-                       auf. Auch die kumulative Dosis wird ähnlich, nämlich mit
warten ist, lassen sich in fünf Substanzgruppen zusammenfas-                     mehr als 300 mg/m2 angegeben.

Aus der 1Neurologischen Ambulanz, Sozialmedizinisches Zentrum Floridsdorf und
dem 2Ludwig-Boltzmann-Institut für NeuroOnkologie, Neurologische Abteilung des   „ Taxane
Kaiser-Franz-Josef-Spitales (SMZ-Süd), Wien
Korrespondenzadresse: Dr. med. Andrea Vass, Ambulanz, Interne Abteilung,         Dazu gehören Paclitaxel (Taxol) und Docetaxel (Taxotere).
Sozialmedizinisches Zentrum Floridsdorf, A-1210 Wien, Hinaysgasse 1;             Paclitaxel wurde ursprünglich aus der Rinde eines pazifischen
E-Mail: a.vass@aon.at                                                            Baumes (Taxus brevifolia) gewonnen, wird aber inzwischen

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Chemotherapie-induzierte Neuropathien (CIN)

Tabelle 1: Charakteristika der wichtigsten Chemotherapie-induzierten Polyneuropathien
Substanz      Kumulative         Häufigkeit     Symptome und Zeichen                               Elektrophysiologie
              Dosis

Cisplatin      400 mg/m2         30–40 %        Distal, symmetrische Gefühlstörungen               SNAP und sens.
                                                aller Qualitäten an Armen und Beinen.              NLG reduziert
                                                Oft schmerzhaft, „Coasting“-Effekt
Carboplatin    600 mg/m2         10–20 %        Selten schmerzhaft, ähnlich, aber                  SNAP und sens.
                                                geringer ausgeprägt als Cisplatin                  NLG reduziert
Oxaliplatin    > 300 mg/m2       40–60 %        Kälteinduzierte Dysästhesie und Krämpfe            Motor und sens.
 Akut                                           in Mund, Schlund und Armen                         NLG normal und sens.
 Chronisch                                      wie Cisplatin                                      SNAP und sens. NLG reduziert
Vincristin     5–15 mg           30–40 %        Distal symmetrische Sensibilitätsstörungen         SNAP und CMAP reduziert,
                                                und Schwäche, autonome Störungen                   NLG distal reduziert.
                                                (Obstipation)                                      Neurogenes EMG
Docetaxel      400–600 mg/m2     10–20 %        Milde distale Sensibilitätsstörungen               SNAP und CMAP leicht
                                                und diskrete Schwäche                              reduziert NLG distal leicht vermindert,
Paclitaxel     200 mg/m2                                                                           geringe neurogene Veränderungen
                                                                                                   im EMG
Bortezomib     1–1,3 mg/m2       20–40 %        Milde distale Sensibilitätsminderung für alle      SNAP und CMAP reduziert, NLG
                                                Qualitäten, seltener motorische Störungen          distal gering vermindert, distal be-
                                                                                                   tonte neurogene Veränderungen
Thalidomid     > 20 g            20–40 %        Milde distale Sensibilitätsstörungen für alle      SNAP und CMAP reduziert, NLG
                                                Qualitäten, selten motorische Störungen            distale gering vermindert, distal
                                                                                                   betonte neurogene Veränderungen
NLG: Nervenleitgeschwindigkeit, SNAP: sensibles Nervenaktionspotenzial, CMAP: Compound action potential (Summenpotenzial)

synthetisch hergestellt. Docetaxel ist ein semisynthetisches        Taxanen aber bewirken Vinca-Alkaloide eine Destabilisie-
Derivat aus den Nadeln des europäischen Taxus baccata.              rung der Mikrotubuli. Dadurch entsteht auch hier eine längen-
Beide Substanzen werden allein oder in Kombinations-                abhängige axonale Neuropathie mit sensiblen, motorischen
therapien bei Mamma-, Ovarial-, und Bronchuskarzinomen              und autonomen Symptomen. Es treten Parästhesien und
eingesetzt. Sie bewirken vorwiegend sensorische oder senso-         Schmerzen in Händen und Füßen auf, auch Krämpfe und
motorische längenabhängige Neuropathien [7, 8]. Als Mecha-          Schwäche in den kleinen Fußmuskeln [10]. Autonome Stö-
nismus wird eine hyperstabilisierende Wirkung an axonalen           rungen inkludieren Obstipation, orthostatische Hypotension,
Mikrotubuli angenommen. Dadurch kann das Zytoskelett in             Impotenz und Blasenatonie. Hirnnervenparesen und Mono-
den Axonen nicht flexibel reorganisiert werden, was den             neuropathien kommen seltener vor [11]. Bei vorbestehenden
axonalen Transport behindert und damit zu einer axonalen            genetisch bedingten Polyneuropathien sind unter Vincristin
Neuropathie führt. Bei Docetaxel sind die Symptome ausge-           dramatische Verschlechterungen beobachtet worden [12].
prägter als bei Paclitaxel (kumulative Dosis 200 mg/m2), ge-
nerell aber sind die Symptome selten stark ausgeprägt. Im           „ Bortezomib
Vordergrund stehen Parästhesien und dysästhetische Schmer-
zen in Füßen und Händen, Schwäche tritt fast nie auf, der           Diese Substanz wird in der Therapie des multiplen Myeloms
Achillessehnenreflex kann fehlen, proximale Reflexe sind            eingesetzt [13]. Es handelt sich um einen Proteasomhemmer,
meist erhalten. Meist remittieren die Symptome einige Wo-           der Mechanismus für die Entstehung der Neuropathie ist un-
chen nach Beendigung der Therapie.                                  klar. Etwa 30 % der Patienten entwickeln ein Polyneuro-
                                                                    pathiesyndrom [14]. Die Symptome sind meist sensibel, distal
Bei Taxanen ist auch eine schmerzhafte proximale Myalgie            und längenabhängig. Da vor allem eine „Small fiber-Neuro-
der unteren Extremitäten beschrieben [9].                           pathie“ besteht, stehen Schmerzen im Vordergrund.

„ Vinca-Alkaloide                                                   „ Thalidomid
Hierzu gehören zwei natürliche Alkaloide einer boden-               Diese Substanz wurde um 1950 als Schlafmittel eingeführt
deckenden Pflanze aus Madagaskar (Catharanthus roseus),             und wegen teratogener Nebenwirkungen aus dem Handel ge-
Vincristin und Vinblastin, sowie zwei semisynthetische Deri-        nommen. In der Therapie der Lepra und auch einigen Mani-
vate: Vindesin und Vinorelbin. Sie werden vor allem bei             festationen von AIDS wird die Substanz eingesetzt. In den
hämatologischen Erkrankungen, Lymphomen und Leukämi-                letzten Jahren wird sie zur Therapie des multiplen Myeloms,
en verwendet. Sie bewirken eine dosisabhängige senso-               von myelodysplastischen Syndromen und anderen Maligno-
motorische Neuropathie (kumulative Dosis 5–15 mg/m2) in-            men als VEGF-Hemmer eingesetzt.
nerhalb der ersten drei Monate der Therapie. Der Entsteh-
ungsmechanismus ist ähnlich wie bei den Taxanen eine Wir-           In 20–40 % der Patienten entwickelt sich eine überwiegend
kung auf den axonalen Transport. Im Gegensatz zu den                sensorische Neuropathie (kumulative Dosis > 20 g) [15].

                                                                                            J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (2)     45
Chemotherapie-induzierte Neuropathien (CIN)

„ Diagnose und Differenzialdiagnose                                           („Meningealkarzinose“) vorkommen, ähnelt aber selten ei-
                                                                              nem Polyneuropathiesyndrom.
Die Chemotherapie-induzierten Polyneuropathien (CIN) zei-
gen ein relativ stereotypes Verhalten. Sie sind vorwiegend                    Paraproteinämisch bedingte Neuropathien kommen sowohl
sensomotorisch, wobei die Sensibilitätsstörung gegenüber der                  bei monoklonalen Gammopathien unbestimmter Signifikanz
motorischen Komponente überwiegt und längenabhängig ist.                      (MGUS) als auch bei multiplen Myelomen vor. Neben
Das bedeutet, dass die distalen Extremitätenabschnitte beson-                 therapiebedingten Neuropathien sind auch antikörperbe-
ders der Füße am deutlichsten betroffen sind und dass sie eine                dingte Neuropathien (z. B. anti-MAG) sowie auch Amylo-
symmetrische Verteilung zeigen. Gefühlsstörungen, entwe-                      idosen möglich.
der als Gefühlsverlust oder als Mißempfindungen, stehen für                   Paraneoplastisch verursachte Polyneuropathien werden oft
die Patienten im Vordergrund. Neuropathische Schmerzen                        vermutet, kommen aber selten vor. Im Unterschied zu den
können vorkommen.                                                             CIN treten diese meist vor der Diagnose des Tumors auf oder
Bei der neurologischen Untersuchung kann eine grobe Zuord-                    führen zu dessen Entdeckung. Vom Typ der Neuropathie ist
nung der betroffenen Fasertypen gemacht werden: Verlust                       die seltene sensorische Neuronopathie mit Ataxie sehr auf
von Lagesinn und Vibrationsempfinden weist auf einen Aus-                     eine paraneoplastische Ursache hinweisend. Auch in den fort-
fall der großen myelinisierten Fasern hin, Störung von Schmerz-               geschrittenen Stadien einer Tumorkrankheit können milde
und Temperaturempfinden auf einen Befall der kleinen Fa-                      sensomotorische Polyneuropathien auftreten, die eher bei der
sern. Oft sind mehrere Faserpopulationen betroffen. Der Aus-                  Untersuchung auffallen als dass sie den Patienten Beschwer-
fall der Motorik ist selten. Hingegen können durch Ausfall                    den bereiten.
oder Störung der Sensibilität Bewegungsabläufe trotz erhalte-                 Lokale, segmentale schmerzhafte Neuropathien lassen eher
ner Kraft deutlich gestört sein. Die Reflexe sind abge-                       an Nervenkompressionssyndrome (mechanisch oder neo-
schwächt oder fehlen.                                                         plastisch) als an CIN denken. Bei Tumorpatienten sind derar-
Ungeschicklichkeit bei feinen motorischen Bewegungen tritt                    tige asymmetrische schmerzhafte Neuropathien sorgfältig ab-
auf. Gefühlsstörungen an den Beinen beeinträchtigen die Ko-                   zuklären. Auch die CIN beginnen aufgrund der Längen-
ordination und verursachen möglicherweise Gangunsicher-                       abhängigkeit eher an den Beinen. Gefühlsstörungen, die auf
heit oder Gangstörungen. Autonome Störungen wie Orthosta-                     beide Hände beschränkt sind, sollten zunächst an ein Karpal-
se, Störungen der Gastrointestinaltrakts oder des Urogenital-                 tunnelsyndrom denken lassen.
trakts sind selten.                                                           Multiplex-Neuropathien im Zusammenhang mit Vaskulitis
                                                                              sind zwar in Einzelfällen als paraneoplastisches Syndrom be-
Die Erfassung der Schmerzsyndrome ist schwierig und muss
                                                                              schrieben, insgesamt aber selten und unwahrscheinlich.
immer von möglichen tumorbedingten Schmerzsyndromen
abgegrenzt werden. Schmerzcharakteristika und Dokumenta-
tion mit einer Visuellen Analog-Skala sind hilfreich.                         „ Prophylaxe und Therapie
Skalen zur Erfassung der CIN sind zwar vorhanden, sind aber                   Zahlreiche Versuche der prophylaktischen Therapie der CIN
entweder sehr allgemein neurologisch gehalten (onkologische                   [18] waren bisher ohne Erfolg (Amifostin, Vitamin E, ACTH-
Skalen) oder relativ aufwändig in der Durchführung (neurolo-                  Analoga etc.). Die wirksamsten Maßnahmen sind die klinische
gische Skalen). Der „Total Neuropathy Score“ ist relativ ein-                 Beobachtung und genaue Beachtung der kumulativen Dosen.
fach anzuwenden und präzise [16].                                             Ziel sollte es sein, klinische Symptome wie Gefühlsstörungen,
                                                                              Unsicherheit, Missempfindungen u. a. möglichst frühzeitig zu
Bei Patienten mit Tumorerkrankungen gibt es zahlreiche an-
                                                                              identifizieren. Die onkologische Therapie wird dann je nach
dere Ursachen für Polyneuropathien. Eine direkte Invasion
                                                                              Ausprägung der CIN modifiziert werden können.
der peripheren Nerven ist zwar äußerst selten, kann aber gele-
gentlich bei Lymphomen („Neurolymphomatose“) [17] oder                        Zahlreiche symptomatische Therapien, vorwiegend gegen
Leukämien auftreten, eine ausgedehnte Infiltration der spina-                 neuropathische Schmerzsyndrome, sind möglich und sollten
len Nervenwurzeln kann bei meningealem Tumorbefall                            bei Notwendigkeit eingesetzt werden (Tab. 2). Maßnahmen

Tabelle 2: Möglichkeiten der symptomatischen Therapie der CIN
Substanz                                              Anwendung
     ++           ++
Ca - oder Mg -Infusionen                              Bei akuter Oxaliplatin-Toxizität: Schmerzen und Muskelkrämpfe
Carbamazepin                                          Neuropathische Schmerzsyndrome1; Vermeidung der Oxaliplatin-Toxizität2
Gabapentin, Pregabalin                                Neuropathische Schmerzsyndrome (keine Studien mit CIN)
Nicht-steroidale Antirheumatika                       Neuropathische Schmerzsyndrome (keine CIN-Patientenstudien)
Opioide                                               Neuropathische Schmerzsyndrome (keine CIN-Patientenstudien)
Trizyklische Antidepressiva                           Neuropathische Schmerzsyndrome (keine CIN-Patientenstudien)
Topische Analgetika                                   Neuropathische Schmerzsyndrome (keine CIN-Patientenstudien)
Cannabinoide                                          Neuropathische Schmerzsyndrome (keine CIN-Patientenstudien)
1
 Fast alle Studien wurden bei der diabetischen Polyneuropathie und bei der Trigeminusneuralgie gemacht.
2
 Über mögliche Wirkungen von Mehrfachtherapien liegen beim neuropathischen Schmerz keine Studien vor.

46        J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (2)
Chemotherapie-induzierte Neuropathien (CIN)

der Rehabilitation, insbesondere bei ausgeprägten Sensibili-                              4. Thompson SW, Davis LE, Kornfeld M,            ropathy in Charcot-Marie-Tooth disease type
                                                                                          Hilgers RD, Standefer JC. Cisplatin neuro-       1A. Cancer 1996; 77: 1356–62.
tätsstörungen und Störungen der Koordination, sind notwen-                                pathy. Clinical, electrophysiologic, morpho-     13. Cavaletti G, Nobile-Orazio E. Bortezomib-
dig.                                                                                      logic, and toxicologic studies. Cancer 1984;     induced peripheral neurotoxicity: still far
                                                                                          54: 1269–75.                                     from a painless gain. Haematologica 2007;
                                                                                          5. Walsh TJ, Clark AW, Parhad IM, Green          92: 1308–10.
„ Zusammenfassung                                                                         WR. Neurotoxic effects of cisplatin therapy.
                                                                                          Arch Neurol 1982; 39: 719–20.
                                                                                                                                           14. Richardson PG, Barlogie B, Berenson J,
                                                                                                                                           Singhal S, Jagannath S, Irwin D, Rajkumar
                                                                                          6. Gamelin E, Gamelin L, Bossi L, Quasthoff      SV, Srkalovic G, Alsina M, Alexanian R,
Die CIN gewinnt zunehmende Bedeutung und ist aufgrund                                                                                      Siegel D, Orlowski RZ, Kuter D, Limentani
                                                                                          S. Clinical aspects and molecular basis of
der bisher schlechten Therapiemöglichkeiten möglichst durch                               oxaliplatin neurotoxicity: current manage-       SA, Lee S, Hideshima T, Esseltine DL, Kauff-
                                                                                          ment and development of preventive meas-         man M, Adams J, Schenkein DP, Anderson
Beachtung der kumulativen Dosis und der klinischen Sympto-                                                                                 KC. A phase 2 study of bortezomib in relaps-
                                                                                          ures. Semin Oncol 2002; 29: 21–33.
me zu vermeiden. Von wesentlicher Bedeutung sind einige                                                                                    ed, refractory myeloma. N Engl J Med 2003;
                                                                                          7. Lipton RB, Apfel SC, Dutcher JP, Rosen-       358: 2609–17.
Substanzen wie Platinderivate, Taxane, Vinca-Alkaloide,                                   berg R, Kaplan J, Berger A, Einzig AI, Wiernik   15. Palumbo A, Facon T, Sonneveld P, Bladè
Thalidomid und Bortezomib, bei denen relativ häufig Neuro-                                P, Schaumburg HH. Taxol produces a predomi-      J, Offidani M, Gay F, Moreau P, Waage A,
                                                                                          nantly sensory neuropathy. Neurology 1989;       Spencer A, Ludwig H, Boccadoro M,
pathien auftreten. Bei fast allen anderen Substanzen sind                                 39: 368–73.                                      Harousseau JL. Thalidomide for treatment
Neuropathien zwar beschrieben, kommen jedoch seltener vor.                                8. Postma TJ, Vermorken JB, Liefting AJ,         of multiple myeloma: 10 years later. Blood
                                                                                          Pinedo HM, Heimans JJ. Paclitaxel-induced        2008; 111: 3968–77.
                                                                                          neuropathy. Ann Oncol 1995; 6: 489–94.           16. Cavaletti G, Bogliun G, Marzorati L,
Neben der Erkennung der Neuropathien und der Abstimmung                                                                                    Zincone A, Piatti M, Colombo N, Parma G,
                                                                                          9. Nguyen VH, Lawrence HJ. Use of gabapen-
mit dem Onkologen sind auch symptomatische Therapien be-                                  tin in the prevention of taxane-induced          Lissoni A, Fei F, Cundari S, Zanna C. Grading
                                                                                                                                           of chemotherapy-induced peripheral neuro-
kannt und auch rehabilitative Maßnahmen sollten durchge-                                  arthralgias and myalgias. J Clin Oncol 2004;
                                                                                                                                           toxicity using the Total Neuropathy Scale.
                                                                                          22: 1767–9.
führt werden [19].                                                                                                                         Neurology 2003; 61: 1297–300.
                                                                                          10. DeAngelis LM, Gnecco C, Taylor L,            17. Baehring JM, Damek D, Martin EC,
                                                                                          Warrell RP Jr. Evolution of neuropathy and       Betensky RA, Hochberg FH. Neurolympho-
                                                                                          myopathy during intensive vincristine/corti-     matosis. Neuro Oncol 2003; 5: 104–15.
   „ Relevanz für die Praxis                                                              costeroid chemotherapy for non-Hodgkin’s
                                                                                          lymphoma. Cancer 1991; 67: 2241–6.               18. Walker M, Ni O. Neuroprotection during
                                                                                                                                           chemotherapy: a systematic review. Am J
   Für die Praxis ist es wichtig, Neuropathien, die durch                                 11. Burns BV, Shotton JC. Vocal fold palsy       Clin Oncol 2007; 30: 82–92.
                                                                                          following vinca alkaloid treatment. J Laryn-
   Chemotherapeutika induziert werden, als solche zu er-                                                                                   19. Grisold W, Vass A, Schmidhammer R,
                                                                                          gol Otol 1998; 112: 485–7.
                                                                                                                                           Zifko U. Rehabilitation of neuropathies. Critical
   kennen. Sie werden im Wesentlichen durch fünf Substanz-                                12. Graf WD, Chance PF, Lensch MW, Eng           Reviews in Physical and Rehabilitation
   klassen hervorgerufen, nämlich Platinderivate, Taxane,                                 LJ, Lipe HP, Bird TD. Severe vincristine neu-    Medicine 2007; 19: 19–53.

   Vinca-Alkaloide, Bortezomib und Thalidomid. In den
   meisten Fällen sind sie sensorische Neuropathien und oft
   reversibel. Eine kausale Therapie ist derzeit nicht verfüg-
   bar, aber symptomatische Therapien und rehabilitative                                    Dr. Andrea Vass
   Maßnahmen sollten durchgeführt werden.                                                   Geboren 1958. Promotion 1982. 1983–1992
                                                                                            Turnus und Ausbildung zur Fachärztin für
                                                                                            Neurologie und Psychiatrie, 1992–2002
EuroPNS: Project LSSM-CT-2005-518174.                                                       Leitung der neuromuskulären Ambulanz im
                                                                                            Krankenhaus Hietzing, seit 1993 Konsiliar-
                                                                                            neurologin im Orthopädischen Spital Speising,
                                                                                            seit 2002 Konsiliarneurologin im SMZ
Literatur:                                   ropathy in patients with pre-existing neu-     Floridsdorf.
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                                                                                                                           J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (2)                   47
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