Gesundheitsschutz durch Stärkung der Beziehungskompetenz: Lehrer-Coachinggruppen
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Hans Böckler Stiftung und GEW „Präventive Maßnahmen des Arbeits- u. Gesundheitsschutz für Lehrkräfte zur Verhinderung und zum Abbau psychischer Belastungen“ 29. März 2011 Gesundheitsschutz durch Stärkung der Beziehungskompetenz: Lehrer-Coachinggruppen Prof. Dr. med. Joachim Bauer Universitätsklinikum Freiburg i. Br. joachim.bauer@uniklinik-freiburg.de Prof. Bauer Univ Freiburg
Unterbrink T, Zimmermann L, Pfeifer R, Rose U, Joos A, Hartmann A, Wirsching M, Bauer J: Improvement in School Teachers’ Mental Health by a Manual-Based Psychological Group Program. Psychother Psychosom 2010;79:262-264 Prof. Bauer Univ Freiburg
Der neue medizinisch- neurobiologische Ansatz bei der Analyse von Gesundheits- belastung in Humandienstleistungsberufen • Automatisch arbeitende Gehirnsysteme registrieren die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen (Motivationssystem, Stresssystem) • Nicht gelingende Beziehungsgestaltung im Lehrberuf – behindert den Wissenstransfer, behindert die Unterrichtsarbeit – ist eine erstrangige Belastung der mentalen Gesundheit von Lehrkräften • Wissensvermittlung und Kompetenzstärkung von Lehrkräften im Bereich praktische Beziehungspsychologie (mit Schülern, Eltern, Kollegen/innen) ist Gesundheitssschutz Prof. Bauer Univ Freiburg
Belastung durch das Unterrichtsgeschehen Prof. Bauer Univ Freiburg
Die Situation im Lehrerberuf: Negative Erfahrungen mit Schülern (innerhalb 12 Monaten) p < 0,001 60 % der Gesamtstichprobe 53,2 50 40 29,6 30 p < 0,001 Gymnasium, p < 0,001 20 p = 0,031 N = 426 10,3 Hauptschule 10 7,3 2,6 N = 435 0,9 0,5 2,1 0 Beleidigungen Androhung von Beschädigung von Gewalt Gewalt persönlichem Eigentum Prof. Bauer Univ Freiburg
Selbsteinschätzung belastender Arbeitsbedingungen für Lehrer (N=408) 1. Klassenstärke 4,11 2. Verhalten schwieriger Schüler 4,01 3. Stundenanzahl 3,42 4. Koordinierung von beruflichen und privaten Verpflichtungen 3,29 5. Außerunterrichtliche Pflichten (z.B. Organisation von Freizeitangeboten) 3,22 6. Ausstehende Anerkennung von Abschlüssen (z. B. Referendare) 3,16 7. Neuerung, Veränderung im Schulsystem 3,12 8. Stoffumfang 3,07 9. Administrative Pflichten (fachfremde Aufgaben) 3,06 10. Verteilung der Stunden 2,91 11. Berufliches Image und Prestige 2,77 12. Vertretungsstunden 2,74 13. Fortbildungsveranstaltungen außerhalb der Dienstzeit 2,69 14. Eigener Gesundheitszustand 2,65 15. Ausstattung mit Unterrichtsmaterialien 2,65 16. Baulicher Zustand der Schule 2,46 17. Zusammenarbeit mit Eltern 2,46 18. Fachfremder Unterricht 2,21 19. Beziehung zum Schulleiter/Schulleiterin 2,07 20. Überwiegend unterrichtete Klassenstufe 2,23 21. Bezahlung 2,06 22. Umfeld der Schule 2,05 23. Zusammenarbeit mit der Schulverwaltung 2,04 24. Beziehung zu Kollegen/Kolleginnen 2,01 Prof. Bauer Univ Freiburg 25. Typ der Schule 1,59 26. Beziehung zu nichtpädagogischen Personal in der Schule 1,33
Die Situation im Lehrerberuf: Gesundheitliche Belastung anhand des „General Health Questionnaire“ GHQ Lehrer/innen mit einem GHQ-Score größer/gleich dem Schw ellenw ert von 4 (keine Gruppenunterschiede) 100% 90% 29,8 31,5 28,8 30,8 28,7 27,0 29,8 29,9 32,1 80% 70% 60% GHQ-Score >= 4 50% GHQ-Score < 4 40% 70,2 71,2 69,2 71,3 73,0 70,2 70,1 68,5 67,9 30% 20% 10% 0% N= x N= N= x N= N= x N= N= x N= N= 949 339 602 475 461 426 523 622 327 Gesamt x Männer Frauen x bis 51 älter x Gy Haupt- x Vollzeit Teilzeit Jahre als 51 mna- schule Prof. Bauer Univ Freiburg
„Lehrer- Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell“ Prof. Bauer Univ Freiburg
Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell • Zielebene – Arbeitsplatz - – Mitarbeiter +++ – Kollegium ++ – Leitung + – Organisation - • Wirksamkeit – Medizinische Evidenz +++ – Grundsätze ArbSchG – Akzeptanz + • Weitere qualitative Einflussgrößen (Moderatoren) – Dokumentation +++ – Qualifikation +++ – Entwicklungsstand („Reifegrad“) + Prof. Bauer Univ Freiburg
Coachinggruppen mit Lehrkräften: Ängste und Vorurteile • Angst vor Psychologisierung der „objektiven“ Probleme der Schule (vor allem: zu große Klassen) • „Psychostempel“ für Lehrer? • Angst vor Bevormundung • Schwierigkeiten, einen Rollenwechsel anzunehmen • Angst, es würden „Fehler“ aufgedeckt • Probleme mit gegenseitigem Vertrauen i. d. Gruppe • Unlust, Störung d. Ruhe, Überforderung, Zeitmangel Prof. Bauer Univ Freiburg
Thematische Module für die Gruppenarbeit nach dem Freiburger Modell • Innere Einstellungen der Lehrkraft: Identität + Identifikation • Beziehung zu Schülern • Beziehung zu Eltern • Kollegialer Zusammenhalt vs. Spaltung • Entspannungsverfahren Prof. Bauer Univ Freiburg
Identität Prof. Bauer Univ Freiburg
Persönliche Identität: Darf ich im Beruf so sein wie ich bin? • Auftreten als Mensch mit Eigenschaften oder identitätslose Unangreifbarkeit • Spannungsfeld zwischen persönlicher Identität und beruflicher Rolle • Zu sich selber stehen („Stehen“! - Ausstrahlung durch Körpersprache und Stimme) • Darf ich Gefühle zeigen (Spontaneität, Ärger, Freude) • Persönliche Identität als Kraftquelle Prof. Bauer Univ Freiburg
Ängste als Bremsen der Identität • Angst, zu dem zu stehen, was man tut (auch zum eigenen Beruf) • Angst vor Fehlern, es den anderen nicht überall Recht zu machen, durch „Nein“ sagen und Grenzen-Setzen Unwillen auszulösen • Angst, sein Privatleben gegen berufliche Überbeanspruchung zu verteidigen • Angst, seine Freude an der Arbeit zu zeigen (die eigene Arbeit darf einem „offiziell“ keinen Spaß machen) • Angst, gute Leistungen zu zeigen (die anderen könnten meinen man wolle sich wichtig tun) • Angst vor Lob und Anerkennung Prof. Bauer Univ Freiburg
Emotionale Ansteckung im Kollegium: „Darf“ man Freude an der Arbeit haben? • Kultur der Klagsamkeit, Neid, Verachtung von Leistungsbereitschaft, Pessimismus • Freude am Engagement (Erleben von Selbstwirksamkeit, Funktionslust), Flow, Offenheit, positive Anteilnahme, Optimismus Prof. Bauer Univ Freiburg
Identifikation Prof. Bauer Univ Freiburg
Die Bedeutung der Identifikation mit dem Beruf • Identifikation als positive Ressource – Beruf als Quelle erlebter Selbstwirksamkeit – Quelle des Selbstwerterlebens – Mangelnde Identifikation als Stressquelle • Identifikation als Gefahrenquelle – Überhöhter Leistungsdruck – Perfektionismus – Fehlende Distanzierungsfähigkeit (wenn der Beruf nicht Aufgabe mit Anfang und Ende ist, sondern zum Daseinszustand wird) Prof. Bauer Univ Freiburg
Leistung Selbstwert Kommunikativ Vor d. Arbeit Nach d. Arbeit Engagiert, aber distan Selbstbehauptung+, Wünscht Kooperation, G zierungsfähig, aktives Erholungsverhältnis widerstandsfähig, risikofreudig kommunikationsfähig, flexibel Sehr engagiert, nicht Empfindlich, kränkbar Betont selbständig A distanzierungsfähig, emotional sucht Dominanz statt ehrgeizig, aufopfernd „gratifikationsbedürftig“ Unterstützung Erschöpft, reduzierte Null Selbstvertrauen, isoliert, starr B Konzentration, durchsetzungsunfähig, unflexibel, kann sich Krankheitsanfällig sehr empfindlich nicht helfen lassen Reduzierte Leis- kann sich behaupten, Kommunikation o.k. S tungsbereitschaft, grenzt sich ab, solange keine Leis- tung erforderlich ist Schonhaltung Prof. Bauer Univ Freiburg
Ziele für die persönliche Einstellung zum Beruf • Einen inneren Raum zwischen Sich und die schulische Sphäre schalten: Ich bin nicht identisch mit der Schule. • Druck im Schulgeschehen nicht zum eigenen inneren Geschehen werden lassen (Kein Verzicht auf Pausen, keine Übernahme von Hetze in den eigenen Handlungs- Rhythmus, Kein „ohne mich bricht alles zusammen“ (z. B. bei Krankheit) • Das Selbstwertgefühl sollte auf zwei Beinen stehen: Privatleben und beruflicher Bereich (Work-Life-Balance) • In wenigen, gut ausgesuchten Bereichen Engagement zeigen, aber sonst „Nein“ sagen können. Prof. Bauer Univ Freiburg
Die Beziehung zu den Schülern/innen Prof. Bauer Univ Freiburg
Elemente von Beziehung im schulischen Kontext • Das Kind als Person sehen, sich selbst als Person zu erkennen geben • Emotionale Resonanz • Perspektivwechsel • Führen, aber ohne Demütigung, Bloßstellungen, Kränkungen • Körpersprache des Lehrers • Stimme des Lehrers Prof. Bauer Univ Freiburg
Beziehungsgestaltung mit Schülerinnen und Schülern: Was ist „Beziehung“? • Schüler als Person sehen. Selbst als Person erkennbar sein – Kontaktaufnahme an der Person ausrichten – Bezugnahme auf Interessen, Absichten und Bemühungen des Anderen – Defizite als Entwicklungspotentiale beschreiben – Keine Bloßstellungen oder Beschämungen • Wahrnehmung der Führungsfunktion – Eigene Werthaltungen und Lebenseinstellung erkennbar werden lassen – Eigene Vorstellungen und Willen bezüglich des Ablaufs der Dinge entwickeln - und dies klar zeigen – Deutlich machen, welche Ziele man erreichen möchte und wie sie erreicht werden sollen. Von Schülern etwas fordern („Ich möchte gerne, daß Ihr...“). Prof. Bauer Univ Freiburg
Die besondere Bedeutung des Stundenbeginns • Bedeutung der Kontaktaufnahme beim Stundenbeginn (Erst Beziehung herstellen, dann zum Stoff überleiten) • Regularien („Wer fehlt heute?“) möglichst während oder am Ende der Stunde • Präsenz, Überblick, Offenheit, Deutlichkeit (Stimme, Körpersprache) und physische Nähe zu „Problemzonen“ (Proxemik) Prof. Bauer Univ Freiburg
Lehrertyp „Formalist“ (Einseitige Stoffbezogenheit, Keine Beziehungsgestaltung) • Lehrerin/ Lehrer spürt den Stoff im Nacken, geht hinter seinem Curriculum in Deckung, krallt sich an Regularien fest • ... empfindet Gespräche, die sich nicht um den Stoff drehen, als Zeitverlust • ... mißt Schüler/innen überwiegend an ihren Leistungen, entwertet leistungsschwache Kinder • ... gestaltet keine Beziehung, fürchtet Verlust der Kontrolle, hat daher keinen Kontakt • ... ist gefürchtet und wird krank, weil Leistungsziele nicht erreicht werden oder weil sich keiner an seine Regeln hält Prof. Bauer Univ Freiburg
Lehrertyp „Gutmensch“ (Geht in der Beziehungsgestaltung unter) • Lehrer/ Lehrerin baut bei seinen Schülern ausschließlich auf Einsicht oder Partnerschaft • ... will niemandem weh tun, will keinen überfordern • ... verleugnet die Notwendigkeit, Leistungsziele zu erreichen • ... ist permanent am Sich-Erklären und Sich-Entschuldigen • ... hat Angst, sich unbeliebt zu machen, macht sich oft gerade dadurch unbeliebt • ... genießt keinen Respekt • ... fühlt sich enttäuscht und getroffen, wenn sein Vertrauen nicht erwidert wird, wird daran krank Prof. Bauer Univ Freiburg
Balance zwischen Gestaltung und Wahrnehmung von Beziehung von Führung Prof. Bauer Univ Freiburg
Die Beziehung zu den Eltern Prof. Bauer Univ Freiburg
Aspekte der Beziehungsgestaltung mit Eltern: Elterliche Motivlagen • Hilflosigkeit und Vermeidung von Kontakt zur Schule – Angstreflexe gegenüber der „Lehrerautorität“ – Schuldgefühle gegenüber dem eigenen Kind – Verständnisprobleme bei/mit Migranten • Konfrontation, Konkurrenz und Einmischung – Revanchegefühle wegen der eigenen Schulzeit – Konkurrenzverhalten Prof. Bauer Univ Freiburg
Kontakte zu Eltern: Balance zwischen Zulassen Wahrnehmung und von Beziehung von Führung Früh das Gespräch suchen. Eigene Ziele und Wege Sich und die Eltern als deutlich machen. Bündnispartner definieren . Einmischungen zurückweisen. Zuhören. . Elterliche Verantwortung Mehrsprachige Informationen verdeutlichen. u. Dolmetscher für Migranten. Extra- Elternabende? Prof. Bauer Univ Freiburg
Themen für die Elternarbeit Elemente eines „Schulvertrages“: Was die Schule als Ganzes mit Eltern vereinbaren sollte • ...daß Kinder morgens gefrühstückt haben (möglichst ohne morgendlichen TV- Konsum) • ...daß Kinder vor Schultagen mindestens 8 Stunden Schlaf haben • ...daß Respekt, Verzicht auf Gewaltdrohungen und auf Gewalt in der Schule absolute Regeln sind • ...und diese Regeln auch Zuhause gelten sollten • ...daß Eltern zu Elternabenden erscheinen sollten • ...Kinder unter 12 Jahren keinen eigenen Fernseher im Kinderzimmer haben sollten • ...daß Eltern einmal am Tag das Kind auf die Schule ansprechen (Situation des Kindes in der Klasse), einmal täglich nach Hausaufgaben fragen • daß Eltern hinschauen und mit den Kindern darüber reden, was Kinder sehen und spielen (TV, Videos, PC Spiele) Prof. Bauer Univ Freiburg
Kollegialer Zusammenhalt Prof. Bauer Univ Freiburg
Spaltungslinien im Kollegium • Aktivierung von Spaltungsdynamik durch Klagen von außen • Strikte gegen liberale Pädagogen • Überengagierte (Typ A) gegen zu wenig engagierte (Typ S) Kollegen • Männliche versus weibliche Kollegen • Unterschiedliche Positionen aufgrund des zu lehrenden Faches (Fachlehrer, Berufsschulen) • und weitere ... Prof. Bauer Univ Freiburg
Grundregeln für kollegialen Zusammenhalt • Pädagogische od. politische Haltungen nicht zu Glaubensfragen machen (Spaltung in Gleich- und Andersgesinnte) • Unterstütze Kollegen, die von außerhalb der Schule angegriffen werden • Kritik an Kollegen, die von Schülern oder Eltern vorgetragen werden mit neutraler Haltung entgegennehmen. Zusichern, daß die Schule sich intern damit befasst (z. B. Vertrauensgremium) • Auch Schulleiter(innen) sind Menschen sind. Auch Schulleiter stehen unter Druck stehen und brauchen Unterstützt. Beides ist wichtig: Kritische Begleitung und Unterstützung Prof. Bauer Univ Freiburg
Das „magische Dreieck“ der Lehrergesundheit Fachliche Kompetenz Mut zum persönlichen Stil Rolle und emotionale Authentizität Identität Beziehungsarbeit Soziale (kollegiale) Unterstützung Beachtung des Beziehungsgeschehens Erkennung und Abwehr von Spaltungsversuchen Einforderung von Elternverantwortung, Beziehung zwischen Typ A- und Typ S-Fraktion Erkennen psychischer Störungsbilder Zulässigkeit von Hilfeersuchen Führungsverhalten Prof. Bauer Univ Freiburg
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