Kinder der Ureinwohner wollen lernen - Stiftung Jesuiten ...
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INDIEN 04 Mit leerem Magen lernt es sich schlecht: Geduldig warten die Schulkinder in Satia in Nordindien aufs Mittagessen. Die Dorfschule der Jesuiten zählt 346 Kinder – die allermeisten aus Ureinwohner-Familien, die es in der indischen Gesellschaft besonders schwer haben. Kinder der Ureinwohner wollen lernen 21 287 Kinder gehen in der Dumka-Raiganj Provinz in Jesuitenschulen – 21 287 Mal Hofnung auf ein besseres Leben Santal und Paharia stehen in der ren roten, blauen, grünen und gelben licher Bequemlichkeit – mühsam ringen indischen Gesellschaftsordnung Polo-Shirts. die Menschen der Natur ihre Weiden und ganz unten. Jesuiten betreiben seit Mit Klatschen und Lachen wird jeder Äcker ab. Sieg quittiert. Das gemeinsame Tauziehen Jharkhand ist ein sogenannter Tribal Jahrzehnten Schulen für Kinder der ist der Abschluss des Sportfestes in Satia, State: Im Bundesstaat leben mehrheitlich beiden Ureinwohner-Stämme – und einem Dorf in den Bergen Nordindiens. Tribals, Angehörige der verschiedenen begleiten die Talentiertesten bis zur Den ganzen Vormittag über haben sich die indischen Volksstämme, die zu den Urein- Hochschule. Voraussetzung für gute Mädchen und Buben bei Wettkämpfen, wohnern zählen. Sie alle haben ihre eige- Bildung sind qualiizierte Lehrer und Geschicklichkeitsspielen, Akrobatik und ne Tradition und Sprache. Gemeinsam ist traditionellen Tänzen verausgabt. Lehrer, ihnen, dass sie ausserhalb des Kastenwe- Lehrerinnen: Mit Schweizer Hilfe Gäste, Eltern, Geschwister und Grosseltern sens stehen – ausserhalb von allem: Sie erhalten sie einen angemessenen haben vom Sportplatzrand aus alles genau gehören mit den Kastenlosen, wie die Lohn. mitverfolgt und bei einigen Spielen sogar Dalit bei uns im Westen oft genannt wer- mitgemacht. Die Stimmung ist entspannt, den, zu den Ärmsten des Landes, aber it Begeisterung ziehen die Kinder fröhlich, ja ausgelassen. anders als die Dalit existieren sie in der M am Seil. Vorne die Kleinen, ihre blossen Füsse fest in den Sand- boden gestemmt, um nicht weggezogen Tribals stehen ausserhalb von allem Satia liegt im Bundesstaat Jharkhand, im Wahrnehmung der traditionellen indi- schen Gesellschaft kaum. In der Vergan- genheit wurden Tribals oder Adivasi, so zu werden. Hinten die Grossen, die eher Grenzgebiet zu Bangladesch. Jharkhand der Hindi-Begrif für Ureinwohner, syste- auf Technik und Muskelkraft setzen. Vier heisst übersetzt: Land der Wälder und Bü- matisch an den Rand gedrängt, ignoriert Gruppen der Jeevan Jyoti Schule treten sche. Umgeben von bewaldeten Bergen und ausgebeutet. gegeneinander an – die altersdurchmisch- und steinigem Buschland wirkt das Dorf Seit Jahrzehnten arbeiten die Jesuiten ten Teams sind gut unterscheidbar an ih- denn auch wie am Ende der Welt, fern jeg- der Dumka-Raiganj Provinz in Jharkhand
N E PA L Satia Jirulia BANGLADESCH INDIEN Kalkutta mit den Stämmen der Santal und Paharia «Es gibt in dieser Gegend einen grossen überzeugen. Es funktioniert besser, wenn zusammen. Pater Solomon SJ führt uns Reichtum an Heilplanzen. Die Paharia wir unsere Schulkinder von ihrem Alltag über Pfade entlang von Reisfeldern in die geben ihr Wissen von Generation zu Ge- erzählen lassen.» Siedlung Chamnakandu. Ein Dutzend neration weiter», sagt Pater Solomon. Der Zurück nach Satia, wo zurzeit 346 Mäd- Paharia-Familien leben hier. «Die Ernte Zufall will es, dass wir den Beweis für seine chen und Buben die Jeevan Jyoti Schule dieses Jahr war gut», erzählt eine Familie Worte gleich im nächsten Haus in Cham- der Jesuiten besuchen. Jeevan Jyoti be- und zeigt auf die Hirsekörner, die zum nakandu inden: Ein junger Familienvater deutet Licht des Lebens. Die Kinder sind Trocknen auf einem Tuch ausgebreitet ist gerade dabei, eine ölige Tinktur gegen sogenannte First-Generation Learners – liegen. Auch die Bohnenvorräte im Dunkel Gelbsucht anzurühren. Das jüngste seiner die allerersten ihrer Familie, die eine Schul- der Hütte werden im Schein der Taschen- vier Kinder schläft von Malaria geschwächt bildung erhalten. Die meisten Kinder le- lampe gezeigt. Was die Familie nicht selber auf einer gelochtenen Liege unter einem ben in den beiden Hostel-Internaten, die zum Essen braucht, wird verkauft. Tuch. Die Gelbsucht ist Begleiterscheinung mit deutschen Spenden gebaut werden «Der Verkauf läuft über Mittelsmänner», einer schweren Malaria-Attacke. Die Ge- konnten. Erst vor kurzem ist das Internat erklärt Pater Solomon später. «Oft werden gend von Satia ist berüchtigt für diese der Mädchen eingeweiht worden; es wird die Paharia betrogen und erhalten einen Krankheit, auch für die gefährliche Form von indischen Ordensschwestern geleitet. viel zu geringen Verkaufspreis – die meis- der zerebralen Malaria, die immer wieder Die frisch lackierten Hochbettgestelle ste- ten der Erwachsenen waren nie in der Todesopfer fordert. «Mangelernährte Kin- hen noch zum Trocknen im Garten. Schule und können nicht rechnen.» Pater der sind anfälliger für Malaria, weil ihr Im- Solomon stammt aus Madurai im Süden munsystem geschwächt ist», erklärt Pater Lehrerlöhne mit Schweizer Spenden Indiens und ist bewusst in die Jesuitenpro- Solomon. Die Schweizer Spenden für die Tribals wer- vinz Dumka-Raiganj im Norden eingetre- Das Leben in den Paharia-Dörfern ist den für bessere Lehrerlöhne eingesetzt – 05 ten: «Mein Vorbild war der heilige Franz karg und arbeitsreich. Die Böden geben insgesamt 90 000 Franken, aufgeteilt in Xaver. Wie er wollte ich Missionar sein und nicht viel her, die Familien versuchen, etwa drei Tranchen für die Jahre 2018 bis 2020. dorthin gehen, wo wir am meisten ge- durch den Verkauf von Feuerholz zusätz- Geld, das dringend benötigt wird: Bessere braucht werden.» Seit vier Jahren lebt er lich etwas zu verdienen. Alle müssen als Löhne gewähren bessere, motiviertere in Satia und sagt: «Ich bin glücklich hier.» Arbeitskräfte anpacken – auch die Kinder. Lehrer, die mehr Zeit in die Arbeit mit ihren «Es gibt immer noch sehr viele Kinder in Klassen investieren können und weniger Wissen über Heilplanzen den Dörfern, die nicht zur Schule gehen», einem Nebenjob nachgehen müssen. Der 39-Jährige ist vor allem für Gesund- sagt Pater Solomon und seufzt. «Die Eltern «Wenn wir einem Lehrer helfen, ganz von heitsarbeit und Naturmedizin zuständig. sind vom Wert der Bildung nicht leicht zu seinem Lehrerlohn zu leben, helfen wir LINKS: Sportfest in Satia an der Schule Jeevan Jyoti – zu Deutsch «Licht des Lebens». RECHTS: Viele Paha- ria-Kinder müssen arbeiten. Diese Jungs dürfen zur Schule und lernen ihre ersten Wörter auf Englisch.
INDIEN damit Dutzenden von Schulkindern und auf eine funktionierende Schule. Es ist ihr grosser Wunsch. «Wir sind sehr glück- auf lange Sicht auch ihren Familien», sagt Sonntag. Im schmalen Holzhaus mit Stroh- lich, dass Pater Lourdu zu uns nach Jirulia Missionsprokurator Toni Kurmann SJ. dach und gelochtenen Wandmatten ha- gekommen ist», sagt Nunulal Tudu. Seine Die Schule «Licht des Lebens» hat sich ben sich Santal aus den umliegenden Frau Fulkumari und er haben vier Töchter, in den letzten Jahren enorm entwickelt. Dörfern zum Gottesdienst versammelt. für die er sich eine gute Bildung wünscht. Am Abend gibt es ein Trefen mit allen Das provisorische Gebäude wird auch Ein moderner Wunsch eines Mannes, des- Hostel-Kindern. Im Schneidersitz sitzen sie für Versammlungen und Unterricht, als sen Ethnie von der indischen Gesellschaft auf dem Boden, eingewickelt in grosse Lager und Wohnraum genutzt. 2014 ist als rückständig betrachtet wird; ein be- Wolltücher gegen die Kälte. Die Kinder Pater Lourdu SJ, Inder auch er, nach Jirulia merkenswerter Wunsch auch in einem lernen ab der ersten Klasse Englisch. Sie gezogen. Mittlerweile gibt es Englisch- Land, wo Frauen noch immer viel weniger sind wissbegierig und stellen den Gästen kurse, Nachhilfe für Schulabbrecher, eine zählen als Männer. «Zwar gibt es eine aus Europa Frage um Frage: «Gibt es Armut Fahrschule für arbeitslose Jugendliche, staatliche Dorfschule, aber sie funktioniert in Europa? Wie ist das Leben dort – anders Katechismusgruppen – die Resonanz in nicht», sagt Kleinbauer Tudu. «Die Lehrer als hier? Gibt es bei euch auch Berge? Was den 29 Santal-Dörfern im Umkreis von sind entweder gar nicht da oder sie unter- gefällt euch in Satia?» 30 Kilometern ist hoch. Pater Sushil SJ zum richten nicht. Die Kinder lernen nichts.» Nomen est omen an der Schule von Sa- Beispiel, der den Gottesdienst hält, ist Ag- Geplant ist, stufenweise eine Grund- tia: Bildung als Licht des Lebens, Bildung ronom und steht den Kleinbauern mit Rat schule mit acht Klassenzimmern zu bauen als Türöfner in die Zukunft. Die Jesuiten und Tat bei. Der indische Jesuit kümmert und später eine Mittel- und Oberschule in Dumka-Raiganj verantworten 18 Grund- sich zudem um den Reis- und Gemüse- anzuschliessen. Jirulia liegt zehn Kilometer schulen, zwölf Oberschulen, fünf berufs- anbau der Jesuiten-Kommunität. südlich der Provinzstadt Dumka, wo die 06 bildende Colleges und eine Hochschule. Die Tomatenfelder gehen nahtlos in die Jesuiten ein College betreiben – eine hof- Derzeit zählen ihre Schulen vom Kinder- Baustelle der neuen Schule über. Sand und nungsvolle Perspektive für Kinder wie die garten bis zur Hochschule 21 287 junge Ziegelsteine werden geschleppt, Zement Tudu-Töchter. Menschen. Die aufgeweckten Primarschul- angerührt, Baugruben ausgehoben. Ein kinder in Satia werden wohl einen anderen Freundeskreis aus Fulda (D) spendete Harte Arbeit in Steinbrüchen Weg gehen können als ihre Eltern. 30 000 Euro für die ersten beiden Klassen- Auf der Weiterfahrt nach Kalkutta, wo wir zimmer der Grundschule. Die feierliche am Ende unserer Reise am Hauptbahnhof Kleinbauer Tudu und seine Töchter Segnung des Grundsteines steht an. Kin- den Nachtzug nehmen und unsere erste Kinder und Eltern im 80 Kilometern südlich der, Mütter und Väter formieren sich um Etappe Richtung Europa antreten, kom- gelegenen Jirulia dagegen warten noch die Jesuitenpatres. Der Bau der Schule ist men wir an Steinbrüchen vorbei. Auch LINKS: Die Paharia und Santal, Tagelöhner und Kleinbauern, sind angewiesen auf Zusatzeinkommen. Was die Ladung Brennholz wohl einbringt? RECHTS: Wasserholen ist Frauensache. Eine Wasser- trägerin auf dem Weg ins Dorf Chamnakandu.
INDIEN nachts herrscht Hochbetrieb, schwer be- ladene Lastwagen rumpeln über die SPENDENBITTE Schlaglöcher an uns vorbei. Der Staub aus den Steinbrüchen liegt wie ein Film über Mit strahlendem Lächeln schaut das Bäumen und Häusern, der frisch gewa- Mädchen vom Buch auf. Sie geht in schenen Wäsche, den Menschen. Das Satia zur Schule, ein Dorf im Berg- Atmen fällt schwer. Die Fahrt durch die land Nordindiens – in eine Schule Dörfer ist beklemmend – wir wähnen uns der Jesuiten mit dem hoffnungs- in einer Art Vorhölle. vollen Namen «Licht des Lebens». Der Bundesstaat Jharkhand ist reich an Die Schule steht im Stammesgebiet natürlichen Ressourcen, der berühmte der Santals, die wie alle Tribal- schwarze Stein aus der Gegend wird für den Strassenbau in ganz Indien gebraucht. Stämme seit je von der traditionel- Doch weder die Santal noch die Paharia len indischen Gesellschaft ausge- proitieren davon, in deren Besitz das Land grenzt werden. Umso wichtiger ist eigentlich ist. So wie die Paharia beim Ver- das Engagement der Jesuiten vor kauf der Bohnen übers Ohr gehauen wer- Ort. Zurzeit zählt die Grundschu- weltweit will mithelfen, dass Lehrer den, so werden hier mit unlauteren Kne- le im Bergdorf 346 Schulkinder. an Tribal-Schulen der Jesuiten belverträgen hart arbeitende Menschen Noch aber gehen viel zu weni- angemessene Löhne erhalten. Damit ausgebeutet und das Land hinterher als ge der Tribal-Kinder zur Schule. sie bei ihren Klassen bleiben und Ödland zurückgelassen. 07 Weil sie arbeiten müssen, weil die keiner Zweitarbeit nachgehen müs- Um eine Zukunft zu haben, brauchen Schule fehlt oder weil die Schule sen. Mit 90 000 Franken, verteilt die Kinder der Paharia und Santal gute Schulen. Damit sie die Verträge lesen und nicht funktioniert, wie ein Vater auf drei Jahre für drei Grundschu- rechnen können, wenn Mittelsmänner von vier Töchtern in der Reportage len, profitieren Tribal-Kinder von ihren Vätern die Ernte abluchsen wollen. sagt: «Zwar gibt es eine staatliche einer besseren Bildung – Türöffner Damit die Kinder mit all ihren Fähigkeiten Dorfschule, aber die Lehrer sind für ein besseres Leben. Herzlichen wachsen können und mutig werden, ge- entweder nicht da oder sie unter- Dank! Pater Toni Kurmann SJ, rechtere Verhältnisse einzufordern. richten nicht.» Die Stiftung Jesuiten Missionsprokurator Judith Behnen, Mitarbeit Pia Seiler LINKS:Sonntags- messe in Jirulia mit Pater Sushil SJ. RECHTS: Santal- Kinder in Jirulia, wo die Jesuiten bald eine Schule mit zwei Zimmern eröffnen können.
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