GESUNDHEITSVERSORGUNG IN EUROPA - DER EUGH ZUR GRENZÜBERSCHREITENDEN BEANSPRUCHUNG VON GESUNDHEITSLEISTUNGEN - JKU ePUB

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Eingereicht von
                                         Sophie Reitmayr

                                         Angefertigt am
                                         Institut für Europarecht

GESUNDHEITSVERSORGUNG                    Beurteiler
                                         Univ.-Prof.  Dr.    Franz

      IN EUROPA –
                                         Leidenmühler

                                         November 2021

     DER EUGH ZUR
GRENZÜBERSCHREITENDEN
  BEANSPRUCHUNG VON
GESUNDHEITSLEISTUNGEN

 Diplomarbeit
 zur Erlangung des akademischen Grades

 Magistra der Rechtswissenschaften
 im Diplomstudium

 Rechtswissenschaften

                                         JOHANNES KEPLER
                                         UNIVERSITÄT LINZ
                                         Altenberger Straße 69
                                         4040 Linz, Österreich
                                         jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt
bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht
habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument
identisch.

Linz, 03.11.2021

Unterschrift

                                                                                       2
GENDERGERECHTE SPRACHE

In der vorliegenden Diplomarbeit wurde aus Gründen der besseren und leichteren
Lesbarkeit entweder die männliche oder die weibliche Form von personenbezogenen
Wörtern verwendet. Nach der Absicht der Verfasserin sind auch in jenen Fällen beide
Geschlechter angesprochen, in denen ausnahmsweise nur die männliche oder nur die
weibliche Form verwendet wurde und es handelt sich keinesfalls um eine Benachteiligung
des jeweils anderen Geschlechts.

                                                                                     3
GESUNDHEITSVERSORGUNG IN EUROPA – DER EUGH ZUR
   GRENZÜBERSCHREITENDEN BEANSPRUCHUNG VON
             GESUNDHEITSLEISTUNGEN

Inhaltsverzeichnis

I.     EINLEITUNG                                                           6

A. VORWORT                                                                  6
B. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN                                                     7
1.     GESUNDHEIT                                                           7
2.     GESUNDHEITSWESEN                                                     8
3.     (GRENZÜBERSCHREITENDE) GESUNDHEITSVERSORGUNG                         9

II.    DIE RECHTSGRUNDLAGEN IM BEREICH DER GESUNDHEIT                      11

A. VERTRAGLICHE UND GESETZLICHE GRUNDLAGEN                                 11
1.     VERTRAG VON MAASTRICHT                                              11
2.     VERTRAG VON AMSTERDAM                                               11
3.     AEUV (VOR ALLEM ARTIKEL 114 UND 168)                                12
4.     GRC (VOR ALLEM ARTIKEL 35)                                          14
B. ANWENDUNG DER GRUNDFREIHEITEN DES BINNENMARKTES                         16

III.   DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF                                         17

A. ALLGEMEINES                                                             17
B. RECHTSPRECHUNG                                                          19

IV.    GRENZÜBERSCHREITENDE GESUNDHEITSVERSORGUNG                          20

A. RECHT VON PATIENTEN AUF GRENZÜBERSCHREITENDE GESUNDHEITSVERSORGUNG      20
B. EUROPÄISCHE GESUNDHEITSPOLITIK                                          22
C. EU4HEALTH 2021-2027: EINE VISION FÜR EINE GESÜNDERE EUROPÄISCHE UNION   23

V.     DIE RECHTSPRECHUNG DES EUGH IN BEZUG AUF DIE GRENZÜBERSCHREITENDE
GESUNDHEITSVERSORGUNG                                                      25

A. VERORDNUNG NR. 1408/71                                                  25
B. URTEILE KOHLL UND DECKER                                                26
1.     URTEIL KOHLL                                                        26
2.     URTEIL DECKER                                                       29
                                                                            4
3.     SCHLUSSFOLGERUNG                                          31
C. URTEIL VANBRAEKEL                                             32
D.     URTEIL SMITS UND PEERBOOMS                                33
E. URTEIL MÜLLER-FAURÉ UND VAN RIET                              35
F. URTEIL WATTS                                                  36

VI.    DIE AUSWIRKUNGEN UND FOLGEN DER RECHTSPRECHUNG DES EUGH   37

A. VERORDNUNGEN                                                  38
1.     NR. 883/2004                                              38
2.     NR. 987/2009                                              38
B. RICHTLINIE 2011/24/EU                                         39
C. UMSETZUNG                                                     40
D.     ÖSTERREICH                                                41
1.     GESUNDHEITSVERSORGUNG IN ÖSTERREICH                       41
2.     GESUNDHEITSSYSTEME IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH              42

VII.    FAZIT UND SCHLUSSWORT                                    42

VIII. ANHANG                                                     44

A. VERZEICHNISSE                                                 44
1.     LITERATUR                                                 44
2.     INTERNETQUELLEN                                           46
B. RECHTSVORSCHRIFTEN                                            51
C. URTEILE                                                       53

                                                                  5
I. Einleitung

A. Vorwort

11. März 2020 – der Tag, an dem Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der
World Health Organisation (im Folgenden kurz „WHO“), den Ausbruch des Coronavirus
offiziell zu einer Pandemie erklärte.1 Ein Tag, der nicht nur das Leben einzelner
Individuen, sondern das der gesamten Weltbevölkerung verändern sollte. Bis zum
heutigen Tag, 12. Oktober 2021, verzeichnet man weltweit insgesamt 238.244.097 Fälle,
davon 4.857.467 Todesfälle, von offiziell registrierten Erkrankungen am Coronavirus.2
Alleine in der 39. Kalenderwoche 2021 (27. September bis 03. Oktober) wurden über 3,1
Millionen neue Fälle und fast 54.000 neue Todesfälle auf der ganzen Welt offiziell
gemeldet. Man kann seit August dieses Jahres einen Rückgang der Zahl der neuen Fälle
beobachten, mit Ausnahme von Europa, wo die Zahl ähnlich zu der der Vorwoche blieb.3

Als Anfang 2020 die ganze Welt von einer Welle an medialen Berichten über einen
gesundheitlichen Krisenzustand überrollt wurde, wurde die gesamte Bevölkerung vor
immense Herausforderungen gestellt. Jedoch ist COVID-19 nicht die erste Krankheit, die
weltweit für unzählige Todesfälle verantwortlich ist. Es gab bereits einige Pandemien in
der Menschheitsgeschichte vor Corona, die auch weitaus tödlicher waren, wie zum
Beispiel die Spanische Grippe, die von 1918 bis 1920 eine Vielzahl an Menschenleben
forderte oder Aids.4 Quer durch die ganze EU, ja die ganze Welt, wurden Maßnahmen
gesetzt, die das gewohnte gesellschaftliche Treiben und das „normale“ Leben so gut wie
zum Erliegen brachten. Soziale Kontakte wurden zu einer gravierenden Risikoquelle und
mussten deshalb auf das absolute Minimum reduziert werden.

Diese Arbeit handelt von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in Bezug
auf die grenzüberschreitende Beanspruchung von Gesundheitsleistungen. Zu Beginn
wird auf die Rechtsgrundlagen im Bereich der Gesundheit eingegangen, sodann wird der

1
  Vgl Weltgesundheitsorganisation: Pandemie der Coronavirus-Krankheit (COVID-19):
https://www.euro.who.int/de/health-topics/health-emergencies/coronavirus-covid-19/novel-coronavirus-2019-ncov
(Abgerufen am 21.09.2021).
2
  Vgl The New York Times: Coronavirus World Map: Tracking the Global Outbreak:
https://www.nytimes.com/interactive/2021/world/covid-cases.html (Abgerufen am 12.10.2021).
3
  Vgl World Health Organization: Weekly epidemiological update on COVID-19:
https://www.who.int/publications/m/item/weekly-epidemiological-update-on-covid-19---5-october-2021 (Abgerufen am
06.10.2021, übersetzt mit der Hilfe von https://www.deepl.com/translator).
4
  Vgl Frankfurter Allgemeine: Als fast jeder dritte Mensch auf Erden starb:
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schneller-schlau/die-toedlichsten-pandemien-der-welt-und-ihre-folgen-
16991965.html (Abgerufen am 23.09.2021).
                                                                                                                   6
Europäische Gerichtshof und seine Rechtsprechung, im Speziellen betreffend die
grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung thematisiert.

B. Begriffsbestimmungen

1. Gesundheit

„Gesundheit“ kann anhand vieler verschiedener Definitionen erklärt werden. Die
Begriffsbestimmung, die am weitesten verbreitet und auch jene ist, welche vor allem auch
von den Organen der EU zugrunde gelegt wird, ist die der WHO.

Die Satzung der WHO definiert Gesundheit wie folgt:

            „Die Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen physischen, geistigen
                 und sozialen Wohlbefindens und nicht bloß des Fehlens von
                                    Krankheiten oder Gebrechen.
           Der Genuß des höchsten erreichbaren Gesundheitsstandards ist eines
            der Grundrechte jedes menschlichen Wesens ohne Unterschied von
           Rasse, Religion, politischer Anschauung, wirtschaftlichen und sozialen
                                            Verhältnissen.“ 5

Somit ist die Gesundheit ein Grundrecht, welches jedem Menschen zusteht, ohne dabei
irgendeiner Diskriminierung oder Benachteiligung ausgesetzt zu sein. Folgt man dieser
Auslegung der WHO ist offensichtlich, dass dem Begriff „Gesundheit“ ein sehr weites
Verständnis zugrunde zu legen ist. 6 Es geht darum nicht nur nicht krank, sondern gesund
zu sein. Auch der EuGH greift auf die Begriffsbestimmung der Gesundheit der WHO
zurück.7

Der weltbekannte Philosoph Friedrich Nietzsche erklärt dagegen die Gesundheit anhand
folgender Definition:

5
  Vgl Satzung der Weltgesundheitsorganisation,
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10010264 (Abgerufen
am 23.09.2021).
6
  Vgl Schneider in Mayer/Stöger (Hrsg), Kommentar zum EUV und AEUV, 143. Lieferung (2012), Art 168 AEUV, Rz 4.
7
  Vgl EuGH 12. November 1996, Rs C-84/94, Vereinigtes Königreich/Rat, ECLI:EU:C:1996:431, 1996, I-5755, Rz 15.
                                                                                                             7
„Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt,
                    meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen.“ 8

Neben diesen beiden wohl bekanntesten Definitionen der Gesundheit, wären noch jene
der Herren Ernst Bloch und Talcott Parsons zu erwähnen. Bloch sah Gesundheit als
etwas an, dass „genossen, nicht verbraucht werden soll“.9 Der Soziologe Parsons
hingegen erklärte die Gesundheit aus einem gesellschaftlichen Blickwinkel als „einen
Zustand optimaler Leistungsfähigkeit eines Individuums, für die wirksame Erfüllung der
Rollen und Aufgaben, für die es sozialisiert worden ist.“10

Gerade in den letzten Jahren hatte, wohl auch auf Grund der unzähligen „Fitness-
Influencer“ und generell der sozialen Medien, das Prinzip eines „healthy lifestyle“
(deutsch:     gesunder       Lebensstil)      einen     unglaublichen       Aufschwung,         sei   es   die
ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung oder das gesamte Konzept eines
gesunden Lebensstils.

2. Gesundheitswesen

In Österreich gibt es ein Gesundheitswesen, welches eine qualitativ sehr hochwertige und
effiziente Gesundheitsversorgung sicherstellt. Hier geht es um Krankenversorgung,
Gesundheitsförderung und auch die präventive Seite in Form von Bemühungen,
Krankheiten zu vermeiden und die Gesundheit zu erhalten.11

Um die hohe Qualität unseres Gesundheitswesens auf Dauer zu gewährleisten, gilt das
Gesundheitsqualitätsgesetz12. Damit der österreichische Standard erhalten wird, verfolgt
dieses Gesetz folgende vier Hauptprinzipien: Effektivität, Effizienz, Patientenorientierung
und Transparenz.13

Aber nicht nur innerhalb Österreichs hat die Gesundheit Eingang in die gesetzlichen
Grundlagen gefunden, auch auf europäischer Ebene wird im Vertrag über die

8
  Vgl Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie vom 7. Januar 2018:
https://blog.endokrinologie.net/nietzsche-santi-3597/ (Abgerufen am 23.09.2021).
9
  Vgl Bloch in Zimmermann (Hrsg), Das Prinzip der Hoffnung (2017), 47.
10
   Vgl Thönnessen, Public Health und die Frage nach dem „richtigen“ Gesundheitsverständnis, 206ff.
11
   Vgl Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Gesundheitswesen:
https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitsleistungen/gesundheitswesen/inhalt (Abgerufen am 23.09.2021).
12
   Gesundheitsqualitätsgesetz, StF: BGBl I Nr. 179/2004.
13
   Vgl Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Gesundheitswesen:
https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitsleistungen/gesundheitswesen/qualitaet (Abgerufen am 23.09.2021).
                                                                                                             8
Arbeitsweise der Europäischen Union14 (im Folgenden kurz „AEUV“) der Titel XIV mit
„Gesundheitswesen“ überschrieben. Artikel (im Folgenden kurz „Art“) 168 AEUV handelt
über den Beitrag der Union zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus
(siehe unten Punkt II. A. 3.).

Das Gesundheitswesen ist eben nicht nur in den Mitgliedstaaten ein wichtiges Thema,
sondern auch auf EU-Ebene, denn die Europäische Union ergänzt die Gesundheitspolitik
der europäischen Länder. Um die EU-Länder bei der Verwirklichung der gemeinsamen
Ziele und auch bei der Krisenbewältigung zu unterstützen, werden von ihr nicht nur
unionsweit geltende Normen und Vorschriften für medizinische Dienste und Produkte
angeordnet, sondern sie stellt vor allem auch die Mittel für Gesundheitsprojekte in der EU
bereit.15

3. (Grenzüberschreitende) Gesundheitsversorgung

Bürger der Union genießen die Freiheit, sich im Unionsgebiet beinahe uneingeschränkt
zu bewegen und aufzuhalten (allgemeine Freizügigkeit und darin geregelt die allgemeine
Bewegungsfreiheit; Art 21 Abs16 1 AEUV)17 und somit sich auch in einem anderen
Mitgliedstaat medizinisch behandeln zu lassen und die entstandenen Kosten erstattet zu
bekommen.18

Eine Grenzüberschreitung liegt dann vor, wenn kein rein innerstaatlicher Sachverhalt
gegeben ist.19

Wenn von Gesundheitsversorgung gesprochen wird, meint man damit eine Kombination
aus    Einrichtungen        des     Gesundheitswesens,            Gesundheitsprodukten             und     auch
Dienstleistungen des Gesundheitssektors. All diese Komponenten werden den Bürgern
aufgrund des oben erwähnten Gesundheitssystems zur Verfügung gestellt.

14
   Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, StF: BGBl. III Nr. 86/1999, Abl C 326/47 (2012).
15
   Vgl Europäische Union: Gesundheit: https://europa.eu/european-union/topics/health_de (Abgerufen am
05.10.2021).
16
   Absatz im Folgenden kurz „Abs“.
17
   Vgl Europäisches Parlament: Freier Personenverkehr:
https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/147/freier-personenverkehr (Abgerufen am 05.10.2021).
18
   Vgl Europäische Kommission, Coggi, Richtlinie über grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung tritt in Kraft:
https://ec.europa.eu/health/newsletter/117/focus_newsletter_de.htm) (Abgerufen am 05.10.2021).
19
   Vgl Kutzscher, Der grenzüberschreitende Sachverhalt in der Rechtsprechung des EuGH und deren Auswirkungen
auf die Freizügigkeit der Unionsbürger (2011), 112.
                                                                                                                   9
Die Gesundheitsversorgung hat einen wichtigen, gesellschaftlichen Zweck inne. In einer
Gesellschaft wie unserer, welche permanent nach Ruhm und Reichtum strebt, geht es
immer um Leistungsfähigkeit. Um diese zu garantieren, muss man sich in einem guten
Gesundheitszustand befinden.20 Die Gewissheit einer guten Gesundheitsversorgung
zählt zu einem der wichtigsten Faktoren unseres Daseins. Zu wissen, dass man rasche,
fachlich und qualitativ hochwertige Hilfe bekommt, wenn man sich in einem
gesundheitlichen Ausnahmezustand befindet, beeinflusst unsere Lebensqualität immens.

Damit sowohl der Leistungs- als auch der Sicherheitsstandard aller Teilbereiche des
österreichischen          Gesundheitswesens               und        damit         einhergehend           der
Gesundheitsversorgung stetig auf dem gleichen (hohen) Niveau bleibt, gibt es neben dem
oben erwähnten Gesundheitsqualitätsgesetz21 noch eine Reihe an Gesetzen und
Verordnungen, wie zum Beispiel das Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz
200222, das Arzneimittelgesetz 198323, die Gebrauchsinformationsverordnung 200824 und
viele mehr.25

Um eine in der Europäischen Union harmonisierte Rechtslage zu schaffen, wurden vor
allem die Verordnungen Nr. 883/200426 und Nr. 987/200927 sowie die Richtlinie
2011/24/EU28 geschaffen (siehe näher unten Punkt VI.).

20
   Vgl DocCheck Flexikon: Gesundheitsversorgung: https://flexikon.doccheck.com/de/Gesundheitsversorgung
(Abgerufen am 23.09.2021).
21
   Gesundheitsqualitätsgesetz, StF: BGBl I Nr. 179/2004.
22
   Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz, StF: BGBl. I. Nr. 63/2002.
23
   Arzneimittelgesetz, StF: BGBl. Nr. 185/1983.
24
   Gebrauchsinformationsverordnung, StF: BGBl. II. Nr. 176/2008.
25
   Vgl Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen: Gesetzliche Grundlagen: https://www.basg.gv.at/ueber-
uns/gesetzliche-grundlagen (Abgerufen am 23.09.2021).
26
   Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit.
27
   Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur
Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit.
28
   Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09. März 2011 über die Ausübung der
Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.
                                                                                                             10
II. Die Rechtsgrundlagen im Bereich der Gesundheit

A. Vertragliche und gesetzliche Grundlagen

1. Vertrag von Maastricht

Der Vertrag über die Europäische Union vom 07. Februar 199229 wird auf Grund des Ortes
seiner Unterzeichnung auch Maastricht-Vertrag genannt.30 Besagter Vertrag trat mit 01.
November 1993 in Kraft und schuf eine gesetzliche Grundlage für die Gesundheitspolitik.
Das Gesundheitswesen wurde zum ersten Mal als ein eigener Politikbereich definiert.31
Mit dem ehemaligen Art 3 lit o wurde der Beitrag zur Erreichung eines hohen
Gesundheitsschutzniveaus als eine Tätigkeit der Gemeinschaft niedergeschrieben. Eine
ähnliche Formulierung findet sich heute in Art 6 lit a AEUV32, welcher den „Schutz und
[die] Verbesserung der menschlichen Gesundheit“ 33 als Gemeinschaftsziel normiert.34

Anlässlich der Tagung im Frühling 2013 in Maastricht „European Public Health: 20 years
of the Maastricht Treaty“ betonte der Gastgeber Prof. Brand, dass sich durch EU-weites
Vorgehen der Gesundheitsschutz für mehr als 500 Millionen Bürger wesentlich verbessert
hat. Da die Europäische Union ab ihrem Gründungstag in der Lage war, durch
gemeinsame Regelungen die Gesundheit aller Unionsbürger zu beeinflussen, etablierte
sich die Gesundheit als ein Ziel der EU-Politik bereits in den 90er-Jahren.35 Seitdem ist
sie ein nicht wegzudenkender Bestandteil der europäischen Politik und wird laufend durch
neue Regelungen, wie auch beispielsweise durch die Richtlinie über die Ausübung der
Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung36, verbessert.37

2. Vertrag von Amsterdam

Mit dem Vertrag von Amsterdam38, welcher am 01. Mai 1999 in Kraft getreten ist
(unterzeichnet wurde er bereits am 02. Oktober 1997 durch die Außenminister der EU-

29
   Vertrag über die Europäische Union vom 07. Februar 1992, StF: BGBl. III Nr. 85/1999, Abl C 326/13 (2012).
30                                4
   Vgl Leidenmühler, Europarecht (2020), 12.
31
   Vgl Schneider in Mayer/Stöger (Hrsg), Kommentar zu EUV und AEUV, 143. Lieferung (2012), Art 168 AEUV, Rz 2.
32
   Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, StF: BGBl. III Nr. 86/1999, Abl C 326/47 (2012).
33
   Art 6 lit a AEUV.
34
   Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der
Patientenrichtlinie (2012), 12.
35
   Vgl Healthcare in Europe: Experten-Bilanz zu 20 Jahren EU-Gesundheitsmandat: https://healthcare-in-
europe.com/de/news/experten-bilanz-zu-20-jahren-eu-gesundheitsmandat.html (Abgerufen am 27.09.2021).
36
   Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09. März 2011 über die Ausübung der
Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.
37
   Vgl AOK-Bundesverband: Die Chronik der EU-Gesundheitspolitik: https://www.aok-
bv.de/hintergrund/dossier/europa/index_15410.html (Abgerufen am 27.09.2021).
38
   Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, (97/C 340/01).
                                                                                                             11
Staaten39), wurde versucht, die Einheitliche Europäische Akte und den Vertrag von
Maastricht zu komplettieren. Der Amsterdamer Vertrag brachte im europäischen
Gesundheitsbereich einige Änderungen mit sich, eine grundlegende Erweiterung der
Kompetenzen blieb jedoch leider aus.40

Aufgrund der Charakterisierung des Gesundheitsschutzes als Querschnittsaufgabe,
musste die Kommission immer den Interessen und dem Schutz der europäischen
Bevölkerung im gesundheitlichen Kontext Rechnung tragen.41 Die Gesundheit wurde in
den Fokus der EU-Politik gerückt, denn alle unionspolitischen Entscheidungen müssen
eine Prüfung der Gesundheitsverträglichkeit durchlaufen.42

Art 129 des Vertrages von Amsterdam statuiert, dass die Tätigkeit der Union „auf die
Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten
und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit
gerichtet“ ist.43 Die Union hat somit die Möglichkeit, die nationale Politik zu beeinflussen
und zu ergänzen, auch wenn – wie bisher – die Organisation und die medizinische
Versorgung hauptsächlich mitgliedstaatliche Kompetenzen blieben.44 Außerdem wurde in
Abs 3 normiert, dass die Gemeinschaft sowie die Mitgliedstaaten die Kooperation mit
Drittländern und auch mit den internationalen Organisationen, die im Gesundheitswesen
eine Rolle spielen, fördert.45

3. AEUV46 (vor allem Artikel 114 und 168)

Auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union einigten sich die Staats-
und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten auf dem Gipfel von Lissabon im Jahr 2007
(deshalb die Bezeichnung „Vertrag von Lissabon“), 2009 trat der Vertrag dann in Kraft
und galt als Reform des bis dahin gültigen EG-Vertrages.47

39
   Vgl Jopp/Maurer/Schmuck (Hrsg), Die Europäische Union nach Amsterdam (1998), 9.
40
   Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der
Patientenrichtlinie (2012), 13.
41
   Vgl König, Gesundheitspolitik in der Europäischen Union nach dem Vertrag von Amsterdam:
https://www.jstor.org/stable/24511743 (Abgerufen am 27.09.2021).
42
   Vgl AOK-Bundesverband: Die Chronik der EU-Gesundheitspolitik: https://www.aok-
bv.de/hintergrund/dossier/europa/index_15410.html (Abgerufen am 06.10.2021).
43
   Art 129 Vertrag von Amsterdam.
44
   Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der
Patientenrichtlinie (2012), 13f.
45
   Vgl Europäische Union: Vertrag von Amsterdam: https://europa.eu/european-
union/sites/default/files/docs/body/treaty_of_amsterdam_de.pdf (Abgerufen am 06.10.2021).
46
   Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, StF: BGBl. III Nr. 86/1999, Abl C 326/47 (2012).
47
   Vgl Bundeszentrale für politische Bildung: Die Kompetenzen von EU und ihren Mitgliedstaaten in der
Gesundheitspolitik: https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72853/kompetenzen (Abgerufen am
06.10.2021).
                                                                                                                 12
Art 114 AEUV normiert, dass das Europäische Parlament und der Rat „Maßnahmen zur
Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten“ erlassen
können48, um einen funktionierenden Binnenmarkt zu errichten.49 Gemäß Abs 3 geht „die
Kommission        in    den      Bereichen       Gesundheit,        Sicherheit,      Umweltschutz         und
Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau aus“ und zwar unter Berücksichtigung
aller   greifbaren      und     auch     im    großen      Maße      gesicherten       wissenschaftlichen
                  50
Erkenntnissen. Das Niveau muss jedenfalls über dem bisherigen unionalen Durchschnitt
liegen.51

Die Harmonisierungskompetenz des Art 114 AEUV verleiht der Union jedoch keine
ausschließliche Zuständigkeit zur Erfüllung dieser Ziele, sondern das Subsidiaritätsprinzip
des (heute geltenden) Art 5 Abs 3 EUV kommt zur Anwendung.52 Dies bedeutet, dass die
Europäische Union nur dann eingreifen darf, wenn auf mitgliedstaatlicher Ebene die Ziele
nicht erreicht werden können.53

Art 168 AEUV spricht vom Schutz der menschlichen Gesundheit, ohne dass dieser Begriff
näher erläutert oder definiert wird. Wie bereits weiter oben (unter Punkt I. B. 1.) erwähnt,
wird von der herrschenden Lehre die Gesundheitsdefinition der WHO zugrunde gelegt,
so auch vom EuGH. 54

Gegenstand des Art 168 AEUV sind präventive Maßnahmen, wie die Verbesserung der
Gesundheit, Verhütung von Gefährdungen für die Gesundheit und auch Beseitigung von
Ursachen, die eine solche Gesundheitsgefährdung hervorrufen können.

Auch      gemäß        Art    168      AEUV       liegt    die     hauptsächliche        Kompetenz          im
gesundheitspolitischen Bereich bei den Mitgliedstaaten. Die Europäische Union hat
ergänzende Funktion und ist im Grunde auf die Förderung und Koordinierung

48
   Vgl Leidenmühler in Jaeger/Mayer (Hrsg), Kommentar zu EUV und AEUV, 216. Lieferung (2018), Art 114 AEUV,
Rz 16ff.
49
   Vgl Griller/Ziller (eds), The Lisbon Treaty (2008), 177.
50
   Vgl Art 114 Abs 3 AEUV.
51
   Vgl Leidenmühler in Jaeger/Mayer (Hrsg), Kommentar zu EUV und AEUV, 216. Lieferung (2018), Art 114 AEUV,
Rz 46ff.
52
   Vgl EuGH 10. Dezember 2002 Rs C-491/01, The Queen/Secretary of State for Health, ECLI:EU:C:2002:741, 2002,
I-11453, Rz 176ff.
53
   Vgl Stutter/Gurtner in Jaeger/Stöger (Hrsg), Kommentar zu EUV und AEUV Art 113 AEUV, Rz 36 (Stand 1.10.2018,
rdb.at).
54
   Vgl Schneider in Mayer/Stöger (Hrsg), Kommentar zu EUV und AEUV, 143. Lieferung (2012), Art 168 AEUV, Rz 4.
                                                                                                             13
beschränkt.55 Sie ist im Hinblick (wegen der Charakterisierung als Querschnittsklausel)
auf     alle     unionspolitischen          Maßnahmen            dazu      verpflichtet,       ein     hohes
Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen.56 Gemäß Art 168 Abs 557 können das
Europäische       Parlament       und      der    Europäische      Rat    „gemäß       dem     ordentlichen
Gesetzgebungsverfahren             [...]   auch    Fördermaßnahmen             zum     Schutz        und   zur
Verbesserung der menschlichen Gesundheit sowie insbesondere zur Bekämpfung der
weit verbreiteten schweren grenzüberschreitenden Krankheiten, Maßnahmen zur
Beobachtung,          frühzeitigen         Meldung        und       Bekämpfung           schwerwiegender
grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren [...] erlassen.“ 58 Der Kommission zu folge,
sichern die beiden Artikel (Art 114 und 168 AEUV) die vorrangige Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten in der Gesundheitspolitik.59 Der EuGH hat aber schon im Urteil
Vanbraekel60 entschieden, dass der Kommission die Befugnis eingeräumt wird, eine
Richtlinie im Gesundheitswesen zu erlassen.61

Festzuhalten ist aber, dass nicht das höchste, sondern nur ein hohes Niveau garantiert
werden muss. Es besteht daher die Möglichkeit, dass ein Zusammentreffen des
Gesundheitsschutzes mit anderen Vertragszielen stattfindet, dabei ist er nicht
grundsätzlich als vorrangig anzusehen. Jedoch haben sich sowohl der EuGH als auch
das EuG (im Folgenden kurz für „Gericht der Europäischen Union“) dazu entschieden,
dass gegenüber wirtschaftlichen Belangen der menschlichen Gesundheit Vorrang zu
gewähren ist.62

4. GRC63 (vor allem Artikel 35)

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden kurz „GRC“) wurde
im Dezember 2000 in den Primärrechtsrang erhoben (Art 6 Abs 1 EUV)64, ist somit
rechtsverbindlich und normiert die Grund- und Menschenrechte innerhalb der EU. Die

55
   Vgl Schneider in Mayer/Stöger (Hrsg), Kommentar zu EUV und AEUV, 143. Lieferung (2012), Art 168 AEUV, Rz 5f.
56
   Vgl Bundeszentrale für politische Bildung: Die Kompetenzen von EU und ihren Mitgliedstaaten in der
Gesundheitspolitik: https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72853/kompetenzen (Abgerufen am
06.10.2021).
57
   Vgl Art 168 Abs 5 AEUV.
58
   Vgl Schneider in Mayer/Stöger (Hrsg), Kommentar zu EUV und AEUV, 143. Lieferung (2012), Art 168 AEUV, Rz
24ff.
59
   Vgl Astl, Die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Europa – Die Patientenrichtlinie (2011), 17ff.
60
   Vgl EuGH 12. Juli 2001, Rs C-368/98, Vanbraekel/Alliance nationales des mutualités chrétiennes,
ECLI:EU:C:2001:400, 2001, I-05363.
61
   Vgl EuGH 12. Juli 2001, Rs C-368/98, Vanbraekel/Alliance nationales des mutualités chrétiennes,
ECLI:EU:C:2001:400, 2001, I-05363, Rz 48.
62
   Vgl EuGH 12. Juli 1996, C-180/96R, Vereinigtes Königreich/Kommission, 1996, I-3936, Rz 93.
63
   Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl C 326/391 (2012).
64                                 4
   Vgl Leidenmühler, Europarecht (2020), 25ff und 125.
                                                                                                             14
kodifizierten Rechte können auf europäischer Ebene vor dem Europäischen Gerichtshof
in Luxemburg, der für die Anwendung der Charta zuständig ist, geltend gemacht werden.65

          „Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und
                auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen
              Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und
          Durchführung der Politik und Maßnahmen der Union in allen Bereichen
                  wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.“ 66

Neben Art 168 AEUV, der die unionalen Kompetenzen in der Gesundheitspolitik regelt,
verankert Art 35 GRC ein Recht auf Gesundheitsschutz.67

Wie auch im AEUV versteht man gemäß der GRC unter Gesundheitsvorsorge präventive
Leistungen, um das Auftreten und die Ausbreitung von Krankheiten hintanzuhalten.
Ärztliche Versorgung meint die Behandlung durch einen Arzt und ist somit enger gefasst,
als der sonst gängige Begriff der medizinischen Versorgung, welche auch andere
Berufsgruppen neben den Ärzten, wie zum Beispiel Physiotherapeuten impliziert.
Überwiegend wird davon ausgegangen, dass der Begriff der Gesundheit im Sinne des Art
35 Satz 1 GRC die körperliche und geistige Unversehrtheit miteinbezieht, jedoch soziale
Faktoren wie Ernährung außenvorlässt.68

Aus Art 35 Satz 1 GRC lässt sich ein subjektives Recht auf Zugang zu
Gesundheitsleistungen im grenzüberschreitenden Kontext gegen die Union ableiten.
Gestützt wird ein solches Recht dem EuGH zufolge auf die Dienstleistungsfreiheit in
Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot.

Die EU-Mitgliedstaaten sind gemäß Art 51 GRC nur in Durchführung des Unionsrechts an
Art 35 Satz 1 GRC gebunden, Unionsbürger können also nur in grenzüberschreitenden
Sachverhalten ein subjektives Recht aus Art 35 GRC ableiten und nicht dann, wenn es
sich um einen reinen Inlandssachverhalt handelt.

65
   Vgl Bundeskanzleramt: Grundrechte der Europäischen Union:
https://www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/verfassung/grund-und-menschenrechte/grundrechte-europaeischen-
union.html (Abgerufen am 06.10.2021).
66
   Art 35 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl C 326/391 (2012).
67                                                               2
   Vgl Damjanovic in Holoubek/Lienbacher (Hrsg), GRC Kommentar (2019), Art 35 GRC, Rz 3f.
68                                                               2
   Vgl Damjanovic in Holoubek/Lienbacher (Hrsg), GRC-Kommentar (2019), Art 35 GRC, Rz 13f.
                                                                                                           15
Im Unterschied dazu und der Rechtsprechung des VfGH folgend erwächst aus Art 35 Satz
2 GRC kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, welches zur Einklagung der
Sicherstellung des hohen Gesundheitsschutzniveaus berechtigt, da es sich lediglich um
einen bloßen Grundsatz gemäß Art 52 Abs 5 GRC handelt.69 Ein solcher Grundsatz dient
„nur“ der Auslegung und der Kontrolle der Rechtmäßigkeit. 70

Anders als in Satz 1, welcher auf das subjektive Recht des Unionsbürgers zugeschnitten
ist, wird der Begriff „Gesundheitsschutzniveau“ in Satz 2 weiter verstanden und umfasst
somit auch, angelehnt an die Definition der WHO von Gesundheit, neben psychischen
und seelischen auch soziale Kriterien. 71

Misst man die Verpflichtung zum Schutz des Gesundheitsniveaus am Wortlaut des
zweiten Satzes, so würde man davon ausgehen, dass nur die Union verpflichtet ist.
Dementsprechend wäre auf mitgliedstaatlicher Ebene die Gesundheitspolitik nicht im
Rahmen des Art 35 Satz 2 GRC zu gestalten. Folgt man Jarass, so ist neben der
Festlegung durch die Union auch die Durchführung der gesundheitspolitischen
Maßnahmen erfasst, welche regelmäßig in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten
fällt.72

B. Anwendung der Grundfreiheiten des Binnenmarktes

Im Jahr 1993 wurde der Binnenmarkt der Europäischen Union geschaffen. Dies ist ein
Markt, innerhalb dem der freie Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr
garantiert ist.73 Zusätzlich zu den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehören
auch Norwegen, Island und Liechtenstein zum Europäischen Binnenmarkt.

Im     Gesundheitskontext       geht     es    vor   allem     um     den    freien    Waren-      und
Dienstleistungsverkehr. Die Warenverkehrsfreiheit gewährleistet die freie Zirkulation von
Waren, darunter versteht man nach der Rechtsprechung des EuGH körperliche Sachen,
die in Handelsgeschäften Gegenstand sein können74 . Durch die Dienstleistungsfreiheit

69                                   3
   Vgl Streinz in Streinz (Hrsg), EUV/AEUV (2018), Art 35 GR-Charta, Rz 4.
70                                                               2
   Vgl Damjanovic in Holoubek/Lienbacher (Hrsg), GRC Kommentar (2019), Art 35 GRC, Rz 28ff.
71                                                               2
   Vgl Damjanovic in Holoubek/Lienbacher (Hrsg), GRC-Kommentar (2019), Art 35 GRC, Rz 30.
72                                                           3
   Vgl Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2016) Art 35, Rz 3f.
73
   Vgl EUR-Lex: Binnenmarkt: https://eur-
lex.europa.eu/summary/chapter/internal_market.html?locale=de&root_default=SUM_1_CODED%3D24 (Abgerufen
am 16.10.2021).
74
   Vgl Piska in Jaeger/Stöger (Hrsg), EUV/AEUV (2019), Art 34 AEUV, Rz 16 (Stand 01.07.2019, rdb.at).
                                                                                                        16
wird    es    den     Bürgern      der    Europäischen         Union     ermöglicht,       Dienstleistungen
grenzüberschreitend zu erbringen und in Anspruch zu nehmen.75

Für diese Waren und Dienstleistungen, welche, die Grenzen der Hoheitsgebiete der
Mitgliedstaaten übergreifend, angeboten werden, gibt es unionsweit geltende Vorschriften
sowie Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen.76

Zu den detaillierteren Problemstellungen im grenzüberschreitenden Gesundheitswesen
siehe weiter unten bei der Rechtsprechung des EuGH (Punkt V.).

III. Der Europäische Gerichtshof

A. Allgemeines

Der Gerichtshof der Europäischen Union ist gemäß Art 13 Abs 1 UAbs (kurz für
„Unterabsatz“) 2 EUV ein Unionsorgan und hat seinen Sitz in Luxemburg.77 Der EuGH,
die Kommission, das Europäische Parlament und der Europäische Rat haben denselben
Rang.78 Der EuGH wird innerhalb der supranationalen Organisation der Europäischen
Union wie auch der Mitgliedstaaten als das mächtigste Organ eingestuft.79

Seit 08. Oktober 2015 hat Koen Lenaerts (Belgien) das Amt des Präsidenten des
Gerichtshofs inne, Vizepräsident ist Lars Bay Larsen (Dänemark). Der Österreicher
Andreas Kumin ist seit dem 20. März 2019 Richter am Gerichtshof.80

Der Gerichtshof setzt sich aus 27 Richtern und elf Generalanwälten zusammen. Von den
27 Mitgliedstaaten81 der Europäischen Union wird je ein Richter entsandt.82 Der Präsident,
der aus dem Kreise der Richter gewählt wird, leitet die rechtsprechende Tätigkeit. Der

75
   Vgl Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort: Binnenmarkt – Allgemein:
https://www.bmdw.gv.at/Services/Internationale-Services/Binnenmarkt-Services/Binnenmarkt-Allgemein.html
(Abgerufen am 16.10.2021).
76
   Vgl EU-Info: Binnenmarkt: https://www.eu-info.de/europa/EU-Binnenmarkt/ (Abgerufen am 16.10.2021).
77                                4
   Vgl Leidenmühler, Europarecht (2020), 71.
78
   Vgl Mähner, Der Europäische Gerichtshof als Gericht (2005), 165.
79
   Vgl Mähner, Der Europäische Gerichtshof als Gericht (2005), 207.
80
   Vgl Gerichtshof der Europäischen Union: Vorstellung der Mitglieder:
https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_7026/de/ (Abgerufen am 25.10.2021).
81
   Das Vereinigte Königreich ist seit 31. Januar 2020 kein Mitglied der Europäischen Union.
82
   Vgl Mähner, Der Europäische Gerichtshof als Gericht (2005), 166.
                                                                                                          17
Gerichtshof wird unterstützt von den Generalanwälten, sie stellen die Schlussanträge,
also ein Rechtsgutachten, in den ihnen zugewiesenen Rechtssachen.83

Die Gerichtsbarkeit der Union wird durch den Gerichtshof der Europäischen Union
ausgeübt. „Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof [EuGH], das
Gericht [EuG] und die Fachgerichte.“ 84

Aufgabe des Gerichtshofes ist es, das Recht bei der Auslegung und Anwendung der
Verträge zu wahren, er ist somit das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen
Union.85 Zu seinen Agenden zählen vor allem im Zuge von Vorabentscheidungen die
Auslegung des Rechts, die Wahrnehmung von Vertragsverletzungen bei der
Durchsetzung des Rechts, usw. Für solche Vorabentscheidungsanträge ist der EuGH
zuständig, im Gegenzug befasst sich das Gericht beispielsweise mit Nichtigkeitsklagen
von Einzelpersonen.86 Er ist es, der Urteile auf Unionsebene fällt.

Auch die Unionsorgane blieben nicht von den Auswirkungen des gesundheitlichen
absoluten Ausnahmezustandes der jüngsten Zeit verschont. Gefordert war/ist eine rasche
Anpassung, Flexibilität und auch Innovation in Zeiten der Krise. In jedem Bereich mussten
persönliche Kontakte stark eingeschränkt werden und es wurde versucht, sehr schnell die
Möglichkeit des Homeoffice in weitestgehendem Ausmaß zu etablieren und die
technischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, um die exponentiell steigende
Ausbreitung der Pandemie etwas zu verlangsamen und das Leben wie die Gesundheit
vieler zu schützen.

Es folgte eine Reihe von Fristverlängerungen, Annullierungen oder Verschiebungen von
mündlichen Verhandlungen vor Ort in Luxemburg. Die Bearbeitung dringender
Rechtssachen, in denen beispielsweise die nationale Entscheidung von jener des
Gerichtshofes abhängt, konnte dem EuGH zufolge dann aber auf schriftlichem Wege
fortgesetzt werden, um unnötig lange Verzögerungen zu vermeiden. Nach und nach

83
   Vgl Gerichtshof der Europäischen Union: Präsentation: https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_7024/de/ (Abgerufen
am 23.09.2021).
84                                                     4
   Art 19 Abs 1 EUV und vgl Leidenmühler, Europarecht (2020), 72.
85
   Vgl Gerichtshof der Europäischen Union: Präsentation: https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_7024/de/ (Abgerufen
am 23.09.2021).
86
   Vgl Europäische Union: Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH): https://europa.eu/european-union/about-
eu/institutions-bodies/court-justice_de (Abgerufen am 23.09.2021).
                                                                                                                 18
wurden dann unter strengsten Hygienemaßnahmen mündliche Verhandlungen wieder
anberaumt.

Ein Hilfsmittel, das eine bemerkenswerte Rolle in diesen Zeiten – vor allem im
Arbeitsleben – spielte, war die Videokonferenz. Zum allerersten Mal in der Geschichte
des Gerichtshofes wurde darauf für Generalversammlungen zurückgegriffen.

           „Alle diese Maßnahmen – kombiniert mit einer intensiven Vorbereitung
                  des Unionsorgans auf Krisensituationen, insbesondere durch
              Aufstellung von Notfallplänen und Einrichtung der entsprechenden
            Organisationsstrukturen – erklären die positive statistische Bilanz des
            vergangenen Jahres trotz einer Krise, deren Umfang und Komplexität
                                              beispiellos sind.“ 87

B. Rechtsprechung

Die rechtsprechende Gewalt als Staatsfunktion und dritte Staatsgewalt (neben Legislative
und Exekutive) ist ausschließlich den Richtern vorbehalten, sie besitzen somit eine Art
„Rechtsprechungsmonopol“.88

Wenn eine Rechtssache an den EuGH gelangt, wird für jeden Fall ein Richter und ein
Generalanwalt ernannt. Die Arbeitsweise des EuGH orientiert sich an folgendem zwei-
Phasen-Verfahren, an dessen Ende das Urteil steht. Es beginnt mit einem schriftlichen
Verfahren, das durch eine schriftliche Erklärung der Parteien eingeleitet wird. Der Richter
(Berichterstatter) verfasst nun einen Bericht über diese Angelegenheit, welcher dann in
der Generalversammlung erörtert wird. Im Zuge dessen wird entschieden mit welcher
Besetzung das Gericht diesen Fall entscheiden wird, ob eine mündliche Verhandlung
stattzufinden hat, sowie auch, ob der Generalanwalt hierzu eine offizielle Stellungnahme
abzugeben hat.89

87
   Vgl Gaudissart, Tätigkeit der Kanzlei des Gerichtshofs im Jahr 2020, Ein kurzer Überblick über die wichtigsten
statistischen Trends des vergangenen Jahres und die Maßnahmen zur Bewältigung der Gesundheitskrise im
Jahresbericht 2020 Rechtsprechungstätigkeit, 217ff: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2021-
04/ra_jud_2020_de.pdf (Abgerufen am 27.09.2021).
88
   Vgl Mähner, Der Europäische Gerichtshof als Gericht (2005), 55.
89
   Vgl Europäische Union: Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH): https://europa.eu/european-union/about-
eu/institutions-bodies/court-justice_de (Abgerufen am 23.09.2021).
                                                                                                                     19
Nach der schriftlichen Phase, findet eine mündliche Verhandlung im Sinne einer
öffentlichen Anhörung statt. Hierbei können die Rechtsvertreter der Parteien ihre
Ausführungen vor dem EuGH vortragen. Sollte es vom Gericht als erforderlich angesehen
worden sein, dass der Generalanwalt Stellung nimmt, wird diese bereits vor der Anhörung
vorgelegt. Nach der gemeinsamen Beratung der Richter wird ein Urteil gefällt und dieses
erlassen.90 Damit so ein Urteil zustande kommt, muss die Entscheidung mit
Stimmenmehrheit gefasst werden.91 Das Urteil wird in öffentlicher Sitzung verkündet und
ist am selben Tag noch auf der Website CURIA92 verfügbar.

IV. Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung

Von grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung wird dann gesprochen, wenn ein
Patient die medizinische Versorgung in einem anderen als in dem Mitgliedstaat, in dem
er versichert ist, in Anspruch nimmt.93 Erfasst ist nicht nur der Fall, dass der Patient die
Dienstleistung an sich beansprucht, sondern auch jener der Verschreibung, Abgabe und
Bereitstellung      von     Medizinprodukten          und     Arzneimitteln,       sofern     dies     mit    der
                                               94
Gesundheitsdienstleistung korreliert.

Gemäß       dem      Richtlinienentwurf95 weist            der    Begriff    der    grenzüberschreitenden
Gesundheitsversorgung zwei Aspekte auf. Zum einen die Patientenmobilität, also, dass
sich der Patient zu einem medizinischen Dienstleister begibt. Auf der anderen Seite steht
die Möglichkeit dieses Dienstleisters, dass er seine Leistung nicht nur in seinem
Niederlassungs-, Wohn-, oder Registrierungsstaat erbringen kann.96

A. Recht von Patienten auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung

Bürger der EU haben das Recht, den fortwährenden Zugang zu einem ausgewogenen
Angebot erstklassiger Gesundheitsleistungen in jedem EU-Land zu nutzen und

90
   Vgl Europäische Union: Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH): https://europa.eu/european-union/about-
eu/institutions-bodies/court-justice_de (Abgerufen am 23.09.2021).
91
   Vgl Gerichtshof der Europäischen Union: Präsentation: https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_7024/de/ (Abgerufen
am 23.09.2021).
92
   Abrufbar unter: https://curia.europa.eu/jcms/jcms/j_6/de/.
93
   Vgl Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09. März 2011 über die Ausübung der
Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, L 88/45, Rz 11.
94
   Vgl Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09. März 2011 über die Ausübung der
Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, L 88/45, Rz 16.
95
   Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09. März 2011 über die Ausübung der
Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, L 88/45.
96
   Vgl Astl, Die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Europa – Die Patientenrichtlinie (2011), 4.
                                                                                                                20
anschließend die Kosten für die Dienstleistung in ihrem Versicherungsmitgliedstaat
erstattet zu bekommen.97 Wenn diese Leistung auch im „eigenen“ Land beansprucht
werden kann, werden die Kosten in jener Höhe ersetzt, bis zu der sie auch im Heimatland
erstattet würden. In Ausnahmefällen kann jedoch die Voraussetzung einer Genehmigung
zum Tragen kommen, dies vor allem dann, wenn es sich um den Einsatz kostenintensiver
und sehr spezieller Leistungen handelt oder mit der Behandlung eine Übernachtung in
einem Krankenhaus einhergeht.98

Bevor man sich jedoch in ein anderes Land der Europäischen Union begibt, um sich dort
einer medizinischen Behandlung zu unterziehen, sollte man vorab einiges abklären. Dazu
zählen etwa die Patientenrechte bei der Inanspruchnahme der Gesundheitsleistung,
Bedingungen und eventuelle Kostenerstattungsansprüche sowie auch ein mögliches
Beschwerdeverfahren, sollten Probleme oder andere Widrigkeiten auftreten.99

Um eine fundierte Entscheidung treffen zu können, schreiben EU-Vorschriften vor, dass
sich Unionsbürger leicht über die Gesundheitsversorgung in anderen Mitgliedstaaten
informieren      können       müssen,       damit     sie    einen     Vergleich      zwischen       diversen
Behandlungsoptionen             unter      Wahrung          der     europäische         Sicherheits-        und
Qualitätsstandards ziehen können.

Von den öffentlichen Gesundheitsausgaben entfällt nur knapp 1% auf die Nachfrage nach
grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung, dennoch ist sie ein elementarer
Bestandteil der Europäischen Union.100 Im Jahr 2020 beliefen sich laut Statistik Austria
die Gesundheitsausgaben in Österreich gemäß SHA (kurz für „System of Health
Accounts“) auf 43.181 Millionen Euro. Dazu verzeichnete man eine Summe von zusätzlich
2.789 Millionen Euro, welche in das Gesundheitswesen investiert wurde.101

97
   Vgl Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union: Die Gesundheitspolitik der EU:
https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-health-policy/ (Abgerufen am 10.10.2021).
98
   Vgl Europäische Kommission: Grenzüberschreitende Pflege:
https://ec.europa.eu/health/cross_border_care/overview_de (Abgerufen am 02.10.2021).
99
   Vgl Europäische Kommission: Grenzüberschreitende Pflege:
https://ec.europa.eu/health/cross_border_care/overview_de (Abgerufen am 02.10.2021).
100
    Vgl Europäische Kommission: Grenzüberschreitende Pflege:
https://ec.europa.eu/health/cross_border_care/overview_de (Abgerufen am 02.10.2021).
101
    Vgl Statistik Austria: Gesundheitsausgaben in Österreich:
https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/gesundheitsausgaben/index.html
(Abgerufen am 02.10.2021).
                                                                                                              21
Dem Eurostat (Statistisches Amt der Europäischen Union)102 zufolge, betrugen die
Ausgaben im Gesundheitsbereich der EU-Länder im Durchschnitt 9,9% des
Bruttoinlandsproduktes (im Folgenden kurz „BIP“) im Jahr 2018. In Österreich waren es
2019 10,4% des BIP.103 Die gesamte Europäische Union betrachtet, wurden rund 2.982
Euro für die Gesundheit pro Person ausgegeben.104

B. Europäische Gesundheitspolitik

Die Funktion der Union in der Gesundheitspolitik ist eine ergänzende, denn die
Mitgliedstaaten sind sowohl für die Organisation und Zurverfügungstellung von
Gesundheitsdiensten sowie auch für die medizinische Versorgung zuständig. Die EU-
Politik im Gesundheitswesen verfolgt vielfältige Ziele, zu erwähnen sind vor allem:
      Þ Schutz und Verbesserung der Gesundheit der Bürger
      Þ Unterstützung der Modernisierung der Gesundheitsinfrastruktur
      Þ Steigerung der Effizienz der Gesundheitssysteme
      Þ Stärkung        der     Vorsorge        und      Bewältigung         für     grenzüberschreitende
         Gesundheitsgefahren105

Die     Zusammenarbeit          und     Koordinierung         innerhalb      Europas       ist   gerade         im
Gesundheitsbereich deshalb von enormer Bedeutung, da im Binnenmarkt der freie
Personenverkehr von großer Relevanz ist und somit die Bürger nicht nur an ihrem
dauerhaften Aufenthaltsort von einem medizinischen Notfall betroffen sein können.106

Grundsätzlich kann die historische Entwicklung der europäischen Gesundheitspolitik in
mehrere Phasen unterteilt werden. Zu Beginn der Europäischen Gemeinschaft, als erste
Phase,      stand     der     Gedanke       einer     wirtschaftlichen       Konsolidierung,        also        die
Zusammenfassung einzelner Regelungen zu einem Gesamtregelwerk, um einen
Überblick zu bekommen.

102
    Abrufbar unter https://ec.europa.eu/eurostat/de/home.
103
    Vgl WKO Statistik: Gesundheitswesen: http://wko.at/statistik/eu/europa-gesundheitswesen.pdf (Abgerufen am
02.10.2021).
104
    Vgl Salto: EU: Ausgaben für das Gesundheitswesen: https://www.salto.bz/de/article/15122020/eu-kennzahlen-
aus-dem-gesundheitssektor (Abgerufen am 02.10.2021).
105
    Vgl Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union: Die Gesundheitspolitik der EU:
https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-health-policy/ (Abgerufen am 30.10.2021).
106
    Vgl Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union: Die Gesundheitspolitik der EU:
https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-health-policy/ (Abgerufen am 10.10.2021).
                                                                                                                 22
In den 1970er-Jahren wurden zum ersten Mal Maßnahmen zur Vergemeinschaftung des
Krankenversicherungsschutzes für emigrierende Arbeitnehmer und Selbständige gesetzt
und es gab erstmals Aktionen auf nationaler Ebene gegen den Missbrauch von Alkohol
und Nikotin.

Mit der Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 1986107 wurde die nächste
Phase eingeleitet. Zur Verwirklichung des Binnenmarktes wurde von einem hohen
Schutzniveau vor allem auch im Gesundheitsbereich ausgegangen.

Am Beginn der folgenden Phase stand der Maastrichter Vertrag108 vom 07. Februar 1992
(siehe oben Punkt II. A. 1.). Dieser Vertrag beinhaltete zum ersten Mal einen Auftrag an
die Europäische Gemeinschaft zur Festlegung einer Gesundheitspolitik, zudem fand sich
in Art 129 EGV aF (kurz für „alte Fassung“) eine Kompetenzgrundlage für das
Gesundheitswesen. Für die Union bestand dies jedoch nur in einer komplementären
Zuständigkeit, sie ist auf die Förderung der mitgliedstaatlichen Zusammenarbeit in
präventiven Hinblicken beschränkt.

Als am 01. Mai 1999 die Vertragsrevision von Amsterdam109 in Kraft getreten ist, erfuhren
die unionsrechtlichen Kompetenzen im Gesundheitsbereich eine Aufwertung. Mit
Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon110 im Dezember 2009 wurde der EGV in den
AEUV umbenannt und in Art 6 sowohl der Schutz als auch die Verbesserung der
menschlichen Gesundheit eingebettet. Gemäß Art 9 ist die Europäischen Union dazu
angehalten, den Gesundheitsschutz sowohl in der Politik- und Maßnahmenfestlegung als
auch –durchführung zu achten. Art 168 AEUV enthält eine Erweiterung der
Förderungskompetenzen der Union.111

C. EU4Health 2021-2027: eine Vision für eine gesündere Europäische Union

Das Programm „EU4Health 2021-2027“ ist die gesundheitspolitische Antwort der EU auf
die COVID-19-Pandemie, dies deshalb, weil diese Krise sich beispiellos auf Patienten,

107
    Einheitliche Europäische Akte vom 28. Februar 1986, Nr. L 169/1.
108
    Vertrag über die Europäische Union vom 07. Februar 1992, (92/C 191/01).
109
    Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, (97/C 340/01).
110
    Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft, (2007/c 306/01).
111                                                                     3
    Vgl Wallner in Resch/Wallner (Hrsg), Europäisches Gesundheitspolitik (2020) im Medizinrecht: Handbuch, 42f.
                                                                                                              23
das Personal im medizinischen Bereich und auch die Gesundheitssysteme der
Mitgliedstaaten ausgewirkt hat. Doch das Programm soll nicht nur eine reine Reaktion auf
die Pandemie sein, sondern darüber hinausgehen und die Systeme krisenfester machen.
Die Möglichkeit der EU, gesundheitspolitische mitgliedstaatliche Maßnahmen zu
komplettieren und zu unterstützen, soll erweitert werden.112

Es gibt vier allgemeine Ziele und darunter zehn spezifische Ziele, zu deren Umsetzung
über EU4Health 5,3 Milliarden Euro von der EU investiert wurden.

Die vier allgemeinen Ziele lauten wie folgt:
      Þ Improve and foster health in the Union (deutsch: Verbesserung und Förderung der
         Gesundheit in der Union)
      Þ Protect people in the Union from serious cross-border threats to health (deutsch:
         Schutz der Menschen in der Union vor schwerwiegenden grenzüberschreitenden
         Gesundheitsbedrohungen)
      Þ Improve medicinal products, medical devices and crisis-relevant products
         (deutsch: Verbesserung von Arzneimitteln, Medizinprodukten und krisenrelevanten
         Produkten)
      Þ Strengthen health systems (deutsch: Stärkung der Gesundheitssysteme)113

Um diese Programmziele zu erreichen, gibt es jährliche Arbeitsprogramme, die sich in
folgende vier Aktionsbereiche unterteilen lassen, wobei jedoch unabhängig vom Bereich
der Schwerpunkt auf der Krebsbekämpfung liegt:
      Þ Krankheitsprävention
      Þ Krisenvorsorge
      Þ Gesundheitssystem
      Þ Digitales

Der Fokus des Programms liegt auf der reaktiven Bewältigung der aktuellen Pandemie
und im Zuge dessen auf der Stärkung der Widerstandsfähigkeit im Hinblick auf
grenzüberschreitende               Gesundheitsgefahren.                 Eine         weitere   dringende
gesundheitspolitische Priorität liegt im europäischen Plan zur Krebsbekämpfung.

112
    Vgl Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union: Die Gesundheitspolitik der EU:
https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-health-policy/ (Abgerufen am 10.10.2021).
113
    Übersetzt mit Hilfe von https://www.deepl.com/translator.
                                                                                                      24
Außerdem soll durch EU4Health Augenmerk auf eine Arzneimittelstrategie für Europa
gelegt werden.

Maßgebend ist, dass die EU Initiativen wie die Europäischen Referenznetze für rare
Krankheiten ausweitet und aus gegebenem Anlass bei weltweiten Gefahren und
grenzübergreifenden Aufgaben die globale Kooperation weitergeführt und gestärkt
wird.114

V. Die Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf die grenzüberschreitende
   Gesundheitsversorgung

A. Verordnung Nr. 1408/71

Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71115 ist eine EU-Verordnung zur zwischenstaatlichen
Koordinierung der verschiedenen nationalen Systeme der sozialen Sicherheit von EWG-
Vertragsstaaten sowie der Schweiz.

Sie trat am 30. April 2010 außer Kraft und wurde durch die Verordnung (EG) Nr.
883/2004116 ersetzt (siehe unten Punkt VI. A. 1.). Details und Ergänzungen wurden
zusätzlich noch in der Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 574/72117 geregelt.

Da durch die Verordnung weder das Sozialrecht der Mitgliedstaaten harmonisiert werden
soll, noch ein Europäisches Sozialrecht entstehen soll, enthält sie zum Zweck der
Koordinierung Kollisions- und Sachnormen. Vom sachlichen Geltungsbereich der
Verordnung umfasst sind alle Rechtsvorschriften im Hinblick auf Krankheit und
Mutterschaft, Invalidität, Alter, Hinterbliebene, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten,
Arbeitslosigkeit, Familienleistungen und Sterbegeld.

Besagte Verordnung eröffnet den Patienten im Allgemeinen die Möglichkeit, in einen
anderen EU-Mitgliedstaat zu reisen und sich dort, nach Genehmigung durch die

114
    Vgl Europäische Kommission: Gesundheit und Strukturfonds: https://ec.europa.eu/health/funding/eu4health_de
(Abgerufen am 02.10.2021).
115
    Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit
auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und
abwandern, Abl L 149 S. 2 in der konsolidierten Fassung der VO (EWG) 118/97 vom 02.12.1996, Abl. 1997 L 28, 4.
116
    Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit, L 166.
117
    Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr.
1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der
Gemeinschaft zu- und abwandern, Nr. L 74/1.
                                                                                                              25
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